Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 20, 1901, Sonntags-Blatt, Image 12

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    Heilige cos
Nacht.
Es liegt in tiefem Schweigen
Die winterliche Welt,
Und tausend Sterne steigen
Empor am Himmel-seit
Und stille Größe schreitet
Ueber die Erde sacht »
Den dunklen Fittich breitet
Die heil"ge Nacht.
Heimwärts will ich mich träumen
n die Vergangenheit — — —
rauscht in fernen Bäumen,
« spricht die Kinderzeit —
llnd ferne Lichter schimmern
lPeither durch Zeit und Raum —
Das ist Dein holdes Flimmer-i,
in Tannenbauml
Und leise Töne locken
Wie zauberkrdffger Sang
Jni Dorf die Kirchenglocken
Zinsen mit hellem Klang.
Und all die alten Lieder
Find wieder aufgewacht —- —
IF) komnf nnd steig’ hernieder,
Heilige Icachtl
Hi feil-I
» »
Hrilkge Nacht.
Nach dem Rufsifchen des J. Potapento.
Von Adolph Garbell.
Es ist ein ftiller Abend. Jm Dorfe
tft Alles verstummt. Durch die kleinen
Fenster der Häuschen fallen Lichtstrah
len auf den funkelndenSchnee . . Drin
nen sitzen am Tisch die Familienmit
glieder in gehobener Stimmung.
Das Häuschen Michailo Gamaleis
liegt am Ende des Dorfes, unweit von
der Stelle, wo eine tiefe Schlucht die
lder vom Dorfe trennt. Hinter der
. lucht erhebt sich auf einem kleinen
Zügel eine Windmühle, die Michailo
amalei gehört. Jn feinem Häuschen
ist ebenfalls um den reich bedeckten
Tisch die ganze Familie versammelt.
Diese besteht aus Gamalei, einem noch
gesunden, kräftigen Mann, der in der
Fugen Umgegend als vorzüglicher
irth bekannt ift, dessen Frau Jem
dotja, deren schon mit Runzeln bedeck
tes Gesicht noch Spuren früherer
Schönheit aufweist, und aus ihren
Sprößlingen Dmitro und Marjana,
sowie dem Großvater Jefräm, der zu
Ehre des wichtigen Tages seine warme
Stelle auf dem Ofen verlassen hatte.
Sie schlürfen Alle mit hölzernen Löf
feln aus einer großen Schüssel eine
Obstsuppe. Der Großvater feufzt bis
weilen auf, wobei er wahrscheinlich
seiner Jugendzeit gedenkt, und Gama
lei bemerkt hie und da, daß der Stand
des Wintergetreides zu den beften
Hoffnungen Veranlassung gebe. Die
Anderen schweigen. Dmitro scheint
große Eile zu haben. Bald legt er
auch den Löffel zur Seite, fteht auf
und nimmt seine Mütze.
,,Wohin gehst Du denn?« fragt ihn
der Vater.
JIns Dorf,« erwjoert Dmitro.
»Dort werden ver-eng Weihnachtsneder
gesungen« . -
»Warum aehst Du denn nicht ins
Dars?« fragte Gamalei seine Tochter.
»Ich werde nicht hinaehm Vater,«
erwiderte diese kurz und sah in Ge
danken verloren vor sich hin .
Plötzlich ertönte in der Ferne Ge
sang. Immer näher und näher schall
ten die kräftigen, jugendlichen Stim
men und es schien, als ob ganz in
ihrer Nähe gesungen würde. Marjana
spihte die Ohren und lauschte mit sol
cher Aufmerksamkeit, als ob sie nicht
der Gesana selbst interessire, sondern
in ihm etwas enthalten, was ihr nur
allein verständlich ist. Sie erhob sich
leise, trat ans Fenster, lehnte sich an
die Wand und horchte, ohne den Blick
vom Fenster zu wenden, unter welchem
bereits die cblichen Weihnachtslieder
ersehallteiu Unter allen Stimmen
Gute eine besonders helle hervor, die
. aiet recht traurig klang.
. »Wer ist es denn, dessen Stimme so
? ähnemjzuhören ist? Eine mächtige
sie,' sagte Gamalei.
»Da-I ist Terenti Loboda,« erwiderte
fi- Iratu »Weißt Du das nicht?«
L Akt Großvater seufzte aus und be
M Ich unruhig ans seinem Plas.
»Ih, Seröschta Lobada,« rief Ga
sslet «le- dessen Stimme ist es.
EMlb lau cht eben auch unsere Ma
M ansazeetsant . . . Also nicht
wandte am und sah
fett m var.
sehen,« ries dieser. »Ich weiß, was
l ich thu"!«
s »Ich bitte Sie um nichts, Vaters
s Jch schweige,« sagte Marjana mit zit- .
. ternder Stimme, »aber lassen Sie mich
? dann . . ."
! »So?! Der Vater darf nicht ein
.Wort sagen,« ries Gamalei ärgerlich
— werdend. »Und ich sage es Dir doch.
: Nimmermehr wirst Du Teriischtas
Frau. Jhm gebe ich Dich nicht. Jch
habe mein ganzes Leben gearbeitet
und gespart . . . Und jetzt soll Alles
ein Hungerleider bekommen?! Nein.
er bekommt Dich nicht . . .", ries er
laut und schlug mit der Faust aus den
Tisch.
.,Jch bitte ja auch nicht, ich bitte ja
auch nicht,« sliisterte Marjana, setzte .
» Ich auf vie Bank und ließ den Kopf
s hängen. Der Großvater war mit
; einem Ruck in die höhe gefahren,
» wandte sich zum Ofen, um gleichsam
. nicht Zeuge von dem zu sein« was da
j im Zimmer vor sich gebt, aber er über
s legte es sich schnell, machte Kehrt und
nahm seinen Platz wieder ein.
Die Stimmen draußen wurden im
mer schwiicher und der Gesang war zu
« Ende.
Jewdotja nahm zwei Brode und
mehrere Piroggen ieine Art Pasteten)
und that diese in ein Tuch.
«Marjana, geh’, bring’ das den
Sängern und sage, daß wir danken
lassen.«
m Marjana erhob sich, nahm »Es
- —- s---k-— ---- — »
»Du hast mich gar nicht so anzu
i
i
i
)
Puuci un« Hing luugfuus Jus Caru
hinaus. Einige Stimmen wurden
laut, dann wurde es wieder ganz still.
Die Sänger waren offenbar zu den
Nachbarn gegangen, da sie ja das
aanze Dorf besuchen. Jm Zimmer
herrschte eine schwillt Stimmuna und
am meisten laftete diese wohl auf Ga
malei; aber er sagte tein- Wort. Er
besaß viel Stolz und Eigensmnx hielt :
er sich doch fiir viel tliiger und besser, -
als die Anderen, nnd vielleicht mit z
Recht, denn er war ja reich und hatte
sich Alles durch eigeneArbeit und Ener
gie erworben Und deshalb glaubte er :
nur an seine Kraft und hatte Nieman
den, mit dem er sich berathen tonnte.
Jm Zimmer wurde es ihm gar zu
schwül. Er ftand auf und nahm seinen
Schafpelz
»Ich will ein wenig auf der Prisba
seine Art Bank aus Lehm vor den
Dorfhiitten in Kleinrußland) sitzen,«
sagte er nahm seine Münc, trat aus
dem Hause und feste sich auf die
Prisba unter den Fenftern seines
hauses Von Weitem schallte der Ge
sang der Dorfjugend herüber Jm
Dorfe waren zum großen Theil die
Lichter schon erlofcherr. Gamalei sah
nachdenklich nach dein mit Sternen be
siieten Himmel und auf den Schnee,
der im Lichte der Sterne funkelte und
glitzerte, ohne recht zu wissen, woran er
eigentlich dachte Seine Seele durch
zog ein Gefühl der Zufriedenheit mit
sich selbst, feinem Leben und seiner
Stellung Er saß so da, als ob er
von den Sor en eines ganzen Lebens
auöruhen mii
Langsame, unsichere Schritte ertön
ten. Aus der Pforte trat der Groß
dater herauip näherte sich dr Prijba
nnd festem sich nia i neben seinen Sohn,
sondern am en egengese ten
Ende Mai. and so saecnfie
Mist-ed da, als obße einander
fremd wären und nur zufällig aus
derselben Prisba Platz genommen hät
ten, um sich auszuruhen.
Und durch die nächtliche Stille ver
nehmen sie deutlich zwei fast sliifternde
Stimmen.
»Nein, Terenti, nein. mein Lieber,
mein Herzliebiter . . . Laß mich . . .
Denle nicht daran· Mein Vater will
nicht . . . Mein Vater hat gesagt:
»Ich gebe Dich ihm nicht zur Frau,«
und sein Wort ist unerschiitterlich. Und
gegen den Willen des Vaters werde ich
nicht handeln. . . .«
»Meine Marjana ist eine gute Toch
ter,« sagt sich Gamalei. »Sie spricht
wie ein gutes Kind. Und Du hast
nicht nöthia, einen hungerleider zu
nehmen. Er ist es gar nicht werth . .«
»Marjana, mein Täubchen! Du
willst also, daß ich vergehe vor Leid?
Ich kann ohne Dich nicht leben und
werde ohne Dich nicht leben . . ."
.Suche Dir doch eine Andere, Te
renti . . . Jch. ich . . . werde über-—
haupt nicht heirathen, wenn man mich
zwingen wird .gutwillig sicherlich
nicht. «
»Das Mädchen spricht Unsinn,«
denkt Gamalei, «diesen Unsinn werden
wir ihr schon austreiben . . .«
Der Großvater rückt unterdessen
leise näher an seinen Sohn heran
Seine Lippen gerathen in Bewegung
und in einem langsamen Iliistertone
beginnt er:
«Michailo, Michailo, mein Sohn!
Du bist ein guter Wirth, ein kluger
Mensch, aber es scheint, dasz Dein Herz
versteinert und Dein Gedächtnis
tx—-J- - --.-..L-— .
U
« doch schon entschieden, daß e einen ihr
? Allen plösrlich die Freiheit geschenkt
l
swsuuw sichs-nur« Hi . · . Du cllll
nerst Tich Dein-es eigenen Lebens nicht
mehr . .
»Ach, Väterchen, lassen Sie Jhre
Erzählungen iiber unser sriiheres Le
ben und verbringen Sie Jhre Tage in
Ruhe.«
»Das werde ich schon thun, Michai
lo, aber Du sollst Dich daran erin
nern, daß auch Du ein solcher Bursch
wie Terenti warst, dem ein ähnliches
Schicksal bevorstand. Erinnerst Du
Dich, wie Du Jewdotja lieb gewannit
und unsere Herrin schwor, als sie oon
Deiner Liebe ersuhr, daß Du sie nie
wiedersehen solltest. Erinnerst Du Dich
daran, wie Du damals den Muth sin
ten ließest und zu mir kamst und sag
test, daß Du ohne Jewdotsa nicht leben
kannst, wie Dein Vater-, der damals
noch nicht so alt war und dern Du ge
horchtest, weil Du damals ein guter
Sohn und nicht so stolz warst wie
ietzt, Dir Muth zusprach und Dich trö
stete? Jch sagte Dir, daß Gott gnädig
sei, und er war Dir gnädi . War es
widerwärtigen Bauer aus einem an
deren Dors heirathen sollte, als uns
wurde. Und auch Du wurdest srei und
nahmst Dir Je wdotsa zum Weibe und
hast mit ihr ein stilles, glückliches
Leben aenossen . . . Und Beide war’t
Jhr arm, Du und Jewdotja, und Eu
rer gegenseitigen Liebe halber hat Gott
Euch reich gesegnet . . .« «
»Ach, Bitterchen, Böterchen,« seufzte
kaum hörbar Gamalet aus und liesz
sein haupt aus die Brust sinken.
»Dente doch daran, Michatlo, wie.
ei geworden wäre, wenn uns die gol
dene Freiheit nicht geschenkt worden
witte, und Jewdoksa einen Underens
geheitathet hätte; wenn Du gezwungen
worden wärst, ein Mädchen. das Du
nicht liebst, u nehmen. CI wäre Alles
anders ge eminen. Du hättes Dich
I dem Trunk ergehen und Du wiirtt ein
derivrener Mensch gewesen und nicht
der erste Wirth im Dorfe gworden
Was schadet es denn, daß Terenti
nichts hat? Er ist aber ein guter, bra
der Junge und ein vorzüglicher Ar
beiter. f
Wo Liebe. da ist auch Segen und
f Glück. So ist es, Michailo, mein lie
ber Sohn.«
Der araubiirtige Mann schwieg, und
auch Michailo sagte tein Wort, aber
seine Augen schauten nicht mehr so
stolz und in seinem gebeugten Haupte
schwirrte-i Gedanten über längst ver
gangene Zeiten, und ein warmes Ge
fühl schlich sich ihm in die Brust und
stimmte sein Herz so weich . . . Ja,
er hatte sich der Vergangenheit erin
nert, und mit Entsetzen dachte er da
ran, wie es getommen wäre, wenn der
Zar ihnen die Freiheit nicht geschenkt
und ihm Jewdoija entrissen worden
wäre. Und er vergegenwiirtigte sichi
Jewdotia von damals . . . Vor sei-l
nem geistigen Auge stand wieder jenes i
schlanke, hübsche junge Mädchen mit’
den feurigen Augen, in die er stunden
lang zu schauen liebte . . .
Gamalei erhob sich plöhlich mit be
sonderer Energie.
»He, Teräschta, tomm mal her. Te
riischta,« ries er laut in die Nacht hin
aus. »Was stehst Du da am Zaun,
wie ein nächtlicher Dieb? Komm« her,
sage ich Dir.«
Teriischta tam unsicher heran und
nahm vor Gamalei und seinem Vater
die Mütze ah. Marjana war am Zaun
geblieben und sah mit behendem Her
zen aus die drei Männer hin.
»Guten Abend. Onkel Michailo!
Fröhliche Weihnachten!« stieß Teriisch
ta endlich hervor.
»Nun . . . dante schön. Und auch
Dir wünsche ich sröhtiche Weihnachten,
Terätchta. Morgen kannst Du Frei
werber zu mir senden . . . Jch hab
es Fingndersjiberlegt ."
zeraiaira nanv var inm, schau-e
Gamalei unverwandt an und traute
nicht seinen Ohren.
»Ist es wirtlich wahr, Onkel Mi
chailo?·'
»Wenn ich Dir aber sage: Schicke sie
ber, so schicke sie eben ber! . .«. Jch
aebe Dir meine Tochter . . . ich werde
sie Dir aeben . . .«
Teriischta stieß unzusarnrnenbiins
gende Dantesworte hervor und stand
sassunaslos da, als ob er nicht wisse,
was er nun tbun und wohin er sich
wenden solle. Gamatei trat an seinen
altenVater berau, beugte sich, saßte ibn
unter die Arme und hob ibn vorsichtig
aus.
«Wollen wir ins Zimmer gehen,
Väterchen . . . Legen Sie sich wieder
aus den Ofen . . . Es ist Zeit, sich
Ruhe zu gönnen . . ."
Und vorsichtig, als ob er fürchten
würde, den alten Vater fallen zu las
sen, siibrte er diesen ins haus.
Der alte Mann aber schaute mit
sreudestrabelnden Augen zum himmel
und zu dem an diesem still glänzenden
Stern aus und seine Lippen sliisterten
zitternd: »Ebre und Preis sei Dir.
Allmächtiger! Jm himmel und aus
Erden ist Friede. . . und Gerechtigteit
wohnt noch bei den Menschen«
—«-s—·-.-—--—-———
Ein Weihnailztheschenk
Iiovelterte von Artbur Lapi-.
Jn dem arosien Saal der Wohnung
des reichen Fabritbesitzers hartiwg
strahlte heller Lichterglanz, der nicht
nur von den Flammen des Kristall
tronleuchters berriibrte. sondern auch
von den vielen Wachslichtern der bei
den Riesen - Weibnachtsbäume, die
ihre Kronen bis zur Decke emporstreck
ten. Aus zwei langen Tischen waren
allerlei Angebinde ausgestapelt und
Herr hartwig. der haust-en war eis
rig damit beschäftigt, noch weitere Ge
schenke her-beizutragen und aus die ein
zelnen Pläne zu oertbeilen. Der eine
Tisch trug die Gaben für die Familie
nno Das Hausaesindex auf dem andern
Tisch wurde nach auler alter Sitte dem
Comptoirpersonal beicheert, denn der
Fabrilhefitzer liebte es nich:, seine An
gestellten mit dem üblichen Gelage
ichenl abzufinden, sondern es war ihm
eine herzensfache und gewährte ihm
selbst immer eine größere Freude, lei
nem Prokuristen, Buchhaltern und
Compioirdienern an dem hohen Feier
tage Ueberraschungen zu beriien.
Und nun war es so weit. Herr Hart
wig gab feiner Frau ein Zeichen, die
hausfrau fette sich an den Flügel
und intonirte die feierliche, geiragene
Melodie des Weihnachiilieded:
.Srille Nacht, heilige Nacht —- alles
schläfr, einsam wacht
Nur der Enqu hochheiliqe Schnar. holder »
Knabe in lorligem Haar
Schlaf in himmlier Ruhl Schlaf in
himmlischet Ruh'«.
herr hariwig öffnete die beiden
Flügelthiiren und während die weihe
oollen Klänge durch den hohen Raum
rauschte-i, krai die Schaar der Mäd
chen und Männer ein, die neugierige,
lehnfiiehtige Blicke nach den Gut-enti
schen warfen. Woran schritt die Toch
ter des Laufes das einzige Kind des
hariwig’schen Charakters
Elle Hartwig war eine Blondine
’ von etwa zwanzig Jahren. Aber die
; Bewegungen des jungen Mädchens
hatten- nlchri erwartunasfrohes. elas
Fische-. Ueber dein blossen Oelirhi lag
ihre Daitung hatte etwas Müdes.
Freilich, als sie III- die Iiille von Ge
schenken erblickte, die ihr die Eltern
descheert hatten. stieg ihr die Röthe der
Erregung doch in das fchtoermiithig
werthvollen Beweise der Liebe und
Freigebigkeit ihrer Eltern machten ei
nen sichtlich tiefen Eindruck auf das
junge Mädchen. Und als nun der
Vater hinzutrat und sie forschenden
Blickes fragte: »Nun, Eis-che-, bist Diu
i«iiifrieden?" da warf sie sich dem alten
Herrn an die Brust und ftamrnelte:
»Dant, herzlichen Dank, Papa!"
Auch die Mutter, die jeht den Vor
trag des Weihnachtsliedeö beendet hat
» te und sich ihr näherte, umarmte und
titszte sie. Plötzlich aher schien eine
’ heftige, unaushaltsatne Gemüthsbewe
zrung oie Zwanzigsiihrige zu erfassen.
Sie drückte ihr hlondes Köpfchen fest
an die Schulter der Schulter der Mut
ter, um das Schluchzen, das ihr aus
rinaender Brust beraufdrang, zu er
sticken.
Zum Glück war der Vater fchon an
den Tisch seiner Angestellten getreten,
um sich an den glänzenden Blicken und
aen zufriedenen Mienen seiner Leute
zu weiden. Rafch zog Frau Hartwig
die bitterlich Weinende zu dern Flügel,
der in der Nähe des Fensters stand.
»Armes Kind.« fragte sie erschro
cken. »was haft Du denn? So fasse
Dich doch! So fei doch ruhig, Els
chen!«
»Ach, Mama,« stammelte das junge
Mädchen unter Schluchten »ich bin
doch so furchtbar unglücklich!«
Ueber die Züge der alten Dame flog
ein stilles Lächeln der Rührung. Jhre
Lippen bewegetn sich. als wollte sie
etwas Tröftendes erwidern, aber sie
begnüate sich. das hlonde Köpfchen ih
res Kindes tröstend und ermuthigend
an streift-In Dem-r moussi- sis sieh .
blickende Gesicht. ·«Die funkelndem«
es tote ein Schleier von Wehen-il, und ?
plötzlich aus der Umschlingung ihrer
Tochter mit dem Ausruf los: »Onlel
Fritz, Elschen!«
Es ist Frau Hartwig’g Bruder, ein
alter Junggesellen der den Saal be
tritt, um wie alljährlich den Weih
nachteinhmd im Kreise der Familie sei
nes Schwaaers zu verleben.
Eise hat sich rasch ausgeriebiet und
bemüht sich, die Spuren ihrer Thra
nen zu verwischen. Onlel Fritz geht
ihr lächelnd entgegen; aus der Rock
tasche hat er ein Etui gezogen, das er
seiner Nichte mit einem schelmischen:
»’ne Kleinigkeit vom Weihnachtsi
marlt — Du mußt schon sürlieb neh
men,« überreicht
Aber als nun Eise öffnet, sann sie
einen Aufschrei der Ueberraschung nicht
unterdrücken Es ist ein kostbarer
Ring mit einem großen wundervollen
schillernden Opal, der von einer Reihe
lleiner blihenedr Diamanten umge
ben ist.
»Na, er gefällt Dir wohl nicht?«
neckt Onlel Fris.
Das junge Mädchen aber küßt den
alten herrn stürmisch.
»Du bist so gut, Onlelt« same sie
dantend und stockt den Ring an den
Finande Hex-hin rnd her bewegt,
um sich an dein Funleln der Steine zu
erfreuen.
Aber sehen im nschsten Moment
breitet sich ein Schatten über ihr Ge
sicht und ein leiser, irnbewusrter Seuf
zer steigt aus ihrer Brust hinaus.
Ontel Fris, der sie scharf sirirt, be
merlt jetzt, daß sie geweint hat.
»Ich glaube aar,« saate er halb ge
riihrt,.halb scheltend, »Du hast Thriis
nen veraossen —- Thrnäen am Weih
nachtsabendt Na höre mal, Eilet«
Das junge Mädchen sentt rasch ihr
Gesicht und starrt schweigend zu Bo
den. Onlel Fritz beobachtet die vor
ihm Stehende ausmerlsam: Mitleid
und Rührung spiegeln sich in seinem
autmiithigen Gesicht. Er beugt sich zu
ihrem Ohr hinüber und flüstert: »Am-s
hoch. Kind! Nicht verzaatt Wer weis-,
was Dir das Christuslind noch be
scheertt Du weißt —- das Beste lomrnt
immer zulehtst
Elle blickt überrascht aus und will
eine Frage an den Onlel richten, dies
ser aber wendet sieh rasch zu dem Tisch
der Leute« nachdem er noch einmal
seiner Nichte lächelnd, verheißungsdvll
zugenielt hat. «
Else sinkt. Was will der Oniel mit
seinen oralelhasten Worten sagen?
«Wer weist, was Dir das Christustind
noch bischeertt« Gedankenvoll tritt
Eise an das Fenster. Sollte es viel
teiilt einspiner sein« das sie sinch so
-t-- .
fcql grausaqu ou- ujt users Use out-e
bisher verweigert hat, aus Furcht, sei
nem einzigen Kinde, das er über alles
liebt, einmal ein Unglück zustoßen.
Eise seufzt Jhr Gesicht verdüstert
sich. ihre Augen umfloren sich wieder.
Ach, alle reichen Geschenke, die man ihr
zugedacht hat und noch vielleicht zu
dentt, können sie nicht erfreuen. Sie
kann ja woch nie wieder froh werden
eit — —- —
Die Augen der Grübelnden blicken
vurch die angelaufenen Fensterscheihen
ans die stille Straße hinaus. Dunkei
wie draußen in der Natur ist es auch
in ihrem hergen. Die schreckliche Scene
steht vor ihrem Geiste, die Scene, die
sie nie in ihrem Leben vergessen wird
und die sie unglücklich gemacht hat fiir
den Rest ihres ganzen Daseins.
Es war Ausgang des Sommers,
als sie mit Walter Rohrbeck im Garten
hinter-dem hause ein Rendezvvus hat
te. Seit einigen Wochen liebte sie den
schlankem bitt-retten Buchhalter ans
der Fadrih dessen Intelligenz iind Ei-,
set der im Geschäft strenge Vater im
mer gelobt hatte. Sie Dichte selbst
nicht recht, wie es gekommen. sie hatte
den bescheidenen, aber doch innigem
beredten Worten des jungen Mannes
nicht widerstehen tännein Sie hatten
liedeerfiillte Worte, feurige Liedes
ichwiite iind zuletzt süße Küsse ge
tau. Und ganz berauscht von ihrem
jun-gen Liedesgliick hatten fie das Ge
räusch sich nähernder Schritte nicht ge
hör:, bis plötzlich die zornig icheltende
Stimme des- Vaters sie aus ihrem
Taumel aufgeschreckt hatte.
»Fort!« hatte der alte Herr, zorn
roth mit stammenden Augen vor ihnen
stehend, gerufen, ieine Hand gebiete
risch gegen den Buchhalter ausstreetend
»Fort aus meinem Hause! Und lassen
Sie sich nie wieder oor mir sehen! Jch
werde Sie lehren, mir heimlich das
Herz meines Kindes zii bethiiren!«
Walter Rohrbeck hatte lein Wort er
widert. Nur noch einen unsiiglichs
traurigen Blick hatte er auf die Ge
liebte geioorien, dann ioar er todm
bleirh, mit gesenktem Haupee davonge
gangen.
Sie —— die Zurückbleibende — hatte
der erzitterte Vater hart angelassen
und sie »untindlich« und »ichlecht« ge
icholten. Seitdem aber ioar er nie
wieder auf diesen Vorgang zurückge
kommen: es schien. als habe er den
aufreizenden stürmisehen Austritt ganz
und gar bemessen. Sie aber ---— Eise
« tann noch immer nicht überwinden,
was ihr widerfahren ist. Still und
stiller ist iie geworden, blasser und
Massen Ihr Herz ist seitdem nicht
wieder froh gewesen. Von dem Se
liedten hat sie nie wieder etwas gehst-L
bat er sie veraessen oder aedeuli et «
noch ihrer treu und liebevoll, toie fix
immer « immer an ihn deuten tvirU
Der grelle Ton der lurtlingel Int
reifzt Die Sinnenoe un enft ihren-Se
danten Sie wendet sich wieder»;n den
Saal zurück. Es fällt ihr auf. nah ein
Flüstern durch vie Verfamn ten geht
und daß aller Augen seh neugierig
und lächelnd auf sie richten. Was hat
das nur zu bedeuteni
Und jeht lehrt der Diener, der rasch
hinausgeeilt war, zuriiet und meldet:
»Herr Darin-ig, has Weihnachten
ichs-at fiir has gnädige Fräulein ift
III «
Wobei lächelt der Mensch verichmiht
und auch alle andern lächeln und
blicken einander an und nicien einan
der zu. Der Vater aber wirft einen
rasches-. verftohlenen Blitz auf Eile,
giebt dann seinem Schimmer einen
Wink und schreitet zur Thür.
Elle weiß nicht, wie ihr geschieht.
Ontel Fritz tritt an sie heran und ver
bindet ihr tie Augen mit einem Tuch.
»Nun naß mal auf, Kindl« wisperte
er ihr zu. »Nun rathe mal, tvas jetzt
lommt!'«
Eise hört, wie die Thiir geöffnet
wird und ivie ein allgemeines Ziiiftkrn
und Tufcheln und hnlhunterdriidxss
Lachen durch den Saal schwirrt. Leicht
huschenee Schritte nähern sich ihr und
jetzt macht Jemand dicht vor ihr Halt.
Ihr schlägt das Herz zum Zer
springen. Ein Gedante, der- sie schin
reln macht, schießt ihr plötzlich durch
den Kopf. Sie tvill jauchzen, aber
nein, das tann ja nicht lein. Das ist
ja nicht denthart
Sie hört das Wispern ihrer Eltern,
die an ihre Seite getreten sind. Die
Szimrne ihres Vaters klingt so meet
wiirdig weich und bewegt und wieder
flammt die Hoffnung in ihr aus, vie
hegtiickende, heirligenve hoffnung.
Mir-- Inn Linn Ti- his Muse-sonne
die Unqeiviizheit iiicht länger ertraaeii
Sie reißt die Binde von ihren Augen .
und: »Walter!" judelt sie, »Waiter!«
Mit knierish-ten Armen steht er
vor ihr, der Geliebte und sie wirft sich,
alles- rinagum vergessend, an seine
Brust, weinend und lachend in einem
Athemzug.
Herr Hart-via streicht sich mit der
Vand über seine feuchten Augen
,Nun Elschen«. fragte er, ,,bab’ ichs
recht gemach? Bift Du nun zufrie
denisp
Sie macht sich rasch aus der Umar
mung des Getiedten los und uinhalft
ihren Vater mit dem ganzen Unge
ftiim eines glückberauschten zwanzig
jährigen jungen Mädchens. Und dann
wendet sie sich zur Mutter und liißt
auch diefe voll Dankbarkeit und Se
ligteit·
here hartwig aber wendet sich zu
den Verfammelten die mit Rührung
und freudiger Antheilnahme der Fami
lienfeene zufchauem Mit feiner Rech
ten faßt der Fabrikbesiher die hand
des Buchhacters mit feiner Linien die
der Tochter und ruft mit froher Stim
me in die Versammlung hinein
«Jch freue mich. Ihnen allen mit
theilen zu können, daß sich meine Toch
ter Eise mit Herrn Walter Rohrdeek
soeben veriobt hat.«
Darauf winkt er dem Diener: »Nun,
Franz, bringen Sie die Bowle herein,
Damit wir alle auf das junge Braut
paar ansiohen lönnen!«
Ontel Frih tritt, während die Glä
ier eingefchenlt werden, an feine Nichte
heran und klopft sie auf die in dunklem
Purpur glühenden Waden·
»Na« Kind, was habe ich geiagtk
Das Vesie tommt immer zulehti sahe
ich rechtf« . . . .
Ä