Zehen nach dein Tode Ben G. Guchonin. - Jeden Sonnabend Abend versam melten wir uns bei dem alten Profes sor Swarnitzin, um zu plaudern. Wie immer, saßen wir auch am Sonnabend, den Z. November. in fei nem Kabinet am bennenden Kantin Diesmal fanden wir den Wirth ernst gestimmt und nicht so lebensfroh und vergnügt, Laie wir gewohnt waren. ihn zu sehen. « »Meine Herren,·« so sprach er. »Ich habe sehr viel in meinem Leben erlebt, viel erfahren, und eben ieht hat das Schicksal mir einen neuen Kur-user gsk bracht. Vor zwei Taqen war Ich M derBeerdigung meines Freundes Toch-: tareff . . . Jhr tanntet Um - - - IF lonnte den Tod seiner Braut nicht überleben, die er bis zum Wahnsinn lieb hatte . . . Man hat mir sein Ta gebnch zugesandt. Jch werde die letz ten Seiten daraus vorlese-n, und wir wollen zusammen bestimmen, ob es die Phantasie eines physisch zerrütteten Menschen ist, oder etwas Neues-, ein Bitten des Gedankens, ein Etwas, iiber welches wir, bei dem jetzigen Pri mitiven Zustande der Wissenschaft nur die Achseln zucken können, und sogar meinetwegen lächeln. Aber es verge hen vielleicht Jahrhunderte, und dann kommt einmal die Möglichkeit, die Seele nicht nur mittels des Willens zu regieren, sondern durch irgendwelche ·getsttge Gese e, die dem Verstande oder vielleicht au der physischen Macht un tergeordnet sind. Wenn die Wissenschaft die Gesetze des Geistes, nämlich die Möglichkeit, iiber ihn zu regieren, findet, dann wird sie das Ende vernichten und ein neues Leben schaffen, die Unsterblichkeit . · . Hat der arme Tochtareff das sagen wollen in seinem TagebuchZ Bitte, hören Sie zu. Sonnabend, den 26. Oktober. Heute starb sie. Jch dachte, ich hätte den Zweck des Lebens schon gefunden, als ich ihr begegnete. . . . Sie führte mich tu den Taaen meiner stiiben Fin: gend, wcckte in mir den Sinn des Guis ten, hieß rnein Herz schlagen - —- ich liebte sie mit allen Kräften der Seele; e wurde meine Braut, und an dem s age, wo sie mir gehören sollte, starb ie · . . Wenn es in der Welt ein Gliicl giebt, so wird es nur durch die Liebe hervor-i gerufen· Eugenie zeigte mir die Däm merung des irdischen Glückes, aber jetzt · von ihr nur die Leiche geblieben. as ist in der Leiche jetzt, der kalten, der athemlosen? Ich liebte die Augen« sie starben; vor allen anderen liebte ich re am meisten; denn durch sie sah ich hre Seele, aber mit ibr ist auch das Leben ihrer Augen verschwunden Bef fer wäre es, wenn ihr Leib mit ihrer Seele geflohen wäre; bitter ist es zu sehen, wie das, was man lieb hatte. der Zersetzung, der Fäulniß anheim gefallen ist« den Würmern zur Speise .Nur die Schale des SMenschen ist gebiieben, die ein der Uinfetzung un terworfener Stoff geworden ist« Das Leben der Seele wird im Aether des nichtirdifchen Seins verlaufen, ohne das Gefühl des Schmerzean und des Kummers. Dieses Sein fängt in dein Augenblick an, wo der Blick erlischt und das Leben des Leibes aufhört. Die gleichzeitig Geburt-nen, die fiir ein lurs zes Dasein vereinigt waren, die Welt der Seele und des Stoffes, haben sich fiir immer getrennt um fiir ewig zu leben oder fiir ewig zu sterben. Das Geschaffene fiir die Unsterblich leit und das Geschaffene um zu ste:r I--— -..I’-. --.-L »Ur, YOU-antun uns nur ()UI, Illlu uUI ewig voneinander getrennt worden. Gebunden mit der Erde, befestigt an sie durch die Atmosphäre, stirbt der Leib Und befreit die Seele, um dort zu 1 leben, wo fiir ihn tein Platz ist. Die unvermeidlich»I Seele lennt weder die Zersetzung noch ein Ende, ihre Krank heit ist in dem Leibe, ihr Leben im Aether. Und die Seele meine-« Enge-nie ist in die andere Welt übergegangen wohin nur wenige streben, von wo aber Rie rnand zurückkehrt . . . Jst denn ihre Seele ganz und gar s von der Erde weggegangean Kann ihre Seele nur dann mit der Seele eines anderen Menschen in ein Verwandtschaftsberhältniß treten, so lange ihr Leib lebte Nein . . . Das Endliche und die ewige Seele, sie leben, jedes sein Leben; die Seele kann zur Seele kommen, aber sie sehen, mit ihr Umgang haben, tann man nur durch die Seele. Der Leib hat seine Sin nesorgane, sie hat auch die Seele. Die II Organe des Leibes sind grob, materiell, sie betäuben die zarten Organe der Seele. Diese lönnen sehen, fühlen, hören, wenn die Sinne des Leibes schweigen . . . wenn all das erifche ill wird, und der Schlaf den Leib in feine Arme einfchließt, dann lebt die Seele allein, dann lebt, hört und sieht I« Mir die Seele. Wie das breite Sieb nicht im Stan de it, außer ein paar Tropfen, Wasser u galten, so tönnen die Sinne des Sei es tnit seiner groben Umhiillung nicht die zarten Lebensstriche der Seele Mhaltem und in dem Gedächtniß blei nur wenige unzufammenhängende Eindrücke-, genannt Träume-. Wenn die Nacht sich auf die· Erde . abliißt und der Leib sich’ dem Vor k lde des Todes ergiebt, dann tomrnt f Ihre Seele zu mir . . . . Jch werde auf - s Nacht warten. Jn der Fin terniß l, Macht« auf einem fallenden «terne « ed ihre Seele vom himmel zu mir herabsliegen . . . sie wird kommen. Jsch ; Music . . . i Sonntag, den 27. Oktober-. s Jch habt-mich nicht geirrt. Sie kam. . Kaum hatte sich die Nacht aus der Erde ausgebreitet und mein Leib sich im . Traum vergessen, da ließ sich ihre Seele aus die Erde im Strahl des - Mondes nieder. Sie nahm mich mit s sich in den zarten Rosaiither, wo das « Reich f« ewigen Seins ist, wo es lei nen J N Fine Zersetzung und wo es keine Kis- ’.«: giebt. Dort wird man nicht geboren, dorthßr tommt man nur, dort ist tein Anfang, tein Ende. ! Die irdische Ehe ist wie eine Zusam mensetzung Von Wasser und Oel. Die Materien bleiben Her-theilt. Nicht so die Seele. Durch Geheimnisse ver- « bunden, dringt sie durch die Nerven in das Verborgene und macht die Gedan ken, die Gefühle, die Wünsche und die Vernunft den beiden gemein. Das Berbinden der Seelen bildet ein neues . Leben, das durch die Liebe in dem ewi- « - gen Sein geboren ist. Montag, 28. Oktober. Sie kam wieder zu mir. Sie rust " meine Seele. Jhr Leib ist nicht mehr da, er ist schon begraben in der Erde, « und wenn mein Leib begraben wird, dann wird auch meine Seele sich aus - dem zersallenden, der Krankheit un- I terworsenen, vermodernden Gefängniß losreißen. Jch habe beschlossen, in die E « Welt der Seele überzugehen. . . . Jn dem ich freiwillig weggehe, helfe ich meiner Seele sich von dem sterbenden Mitrobengesiingnisse « dem Leib sich zu trennen. Der Tod, das ist das - Ende der tleinen Operation, und die Krankheit, genannt irdische-s Leben, hört auf. Jch, nämlich mein Geistiges, werde . nicht sterben. Es stirbt nur der Leib, " indem er mit seinem Tod ein neues Das ist nicht das Ende, sondern der . Anfang, die Vernichtung des Hinder- ; , nisses siir Vereinigung der Seelen ifugeniens Leib ist nicht mehr d-.i. - Jhre Seele wartet aus mich und so . . ., I Leben, das Leben des Geistes, gebiert. i lDllsUm scllll zogcllli ch lllll Hauts was dem ewigen Leben und dem ewi gen Glücke ein Hinderniß ist. J »Der Tod durch den Tod aufgeho- z » ben.« Sterben —- um zu leben. ; Ist O II f »Sie wissen, meine Herren, dafz an » « dem Tage, als die letzte Seite geschrie- ( ben worden, der Autor des Tagebucheg , sich erfchossen hat,« sagte Swarnitzin. t : »Wie denken Sie darüber. Jst er ein j i Wahnsinniger?« Alle saßen still da » . Blaue, diinne ! Strahlen im Kamin wanden sich wie ein endlose-Z Band nach oben. --- » -—--——- o---· — Ani Sorge. Von Max Ludwig. ..·.....-·-— Es war der dritte Tag nach ihrem Tode, der Tag, an dem der Leichnam in die Todtenljalle übergesiihrt werden sollte Friß Wendeler erwachte ans einem tiefen, erquickenden Schlaf, der endlich nach den erschöpfenden Aufregungew der letzten Tage über hin gekommen war, der ihn fast gegen feinen Willen « niedergezwungen hatte. Lichte Träume waren deni Erwasp chen vorausgegangen, das schattenloscs Glück der Vergangenheit zu neuern Le s ben erweckend. Um so furchtbarer« drang jetzt die«öde Wirklichkeit auf ihn . ein. . Neben ihm war das verlassene Lager « der geliebten Fran, gerade so sorgfäl- ; tig bereitet wie alle Tage, als erwarte s eg stündlich die Rückkehr der Herrin.k - »«..e.t k--».- I-- Un- ssnnk- . Aus Uclll Heu-,- ouvos « -·-s genrocL deti sie iiberzuwerfen pflegte, zelndem Blick verfc gt. Denn er cr hob sich nur Ungern nnd mühsam. Auch ietzt blinzelte er nach dem weichen, fal keine schlanke, weiße Hand wectte es zu raschelnder« rauschender Bewegung, die ihm früher so regelmäßig wie ein Uhr wert den Beginn des Tagewerks an unbewenlieh —- todt. genstände sahen ihn an wie lauter Aus rufunaszeichem es war. es war und wird niemals wieder sein! Die Reflerion, bisher vom Heulen schlag der Ereignisse betäubt, erwachte Mann. uin seine Gedanken in quälen das Einst und aus dem Einst in das Jetzt zu führen. Er stand vor dem Sarge. Ueber das Antlitz der Todten hatte man eines breitet. Das seine Parfum ihrer Wä dem Wechsel den Weg ans dem Jetzt in . wenn sie ans dem Bett in die Vadestu- ; be eilte. Im Halbskhlaf hat:e er im- E mer ihre flinken Bewegungen mit blin tigen Rleidnngsstlick hinüber. Aber« zeigte. Der Morgenrock blieb liegen, Und hundert andere vertraute Ge- I ietzt mit aller Macht in dem einsamen I ihrer dnftigen Battisttaschentiicher ge-« , sche machte sich neben dem schwerenl Dust der Blumen und tKränze bemerk bar, als wollte es den lauschigen alletn herrschte, den fremden Ein dringlingen, den Lorbeer- und Hyazim thengerilchen preisgeben. Behutsarn hab Wendelcr das Tuch. i War das seine Lu? Schier fremd cr I Züge und Linien dieselben waren. Raum, das Bondoir, in dem es bisher - l schien ihm ietzt ihk Antlitz, obschon vie t Er hatte geglaubt —- haiv gehofft, I » halb gefürchtet, daß der Anblick der« « geltebten Todten den Schmerz in ihm ! überquellen lassen würde in einem be freienden Thränenstrorm aber statt des - sen stand er —- und er war sich dessen bewußt —- erstaunt vor dem Leichnam wie vor einem seltsamen Phänomen, i l das nicht sein Herz,-das seinen Vers stand in Anspruch nahm. Lu, seine Lu, war anders gewesen als die. die vor ihm lag. Das war nicht ihr treues Madonnenantlitz, aus dem kein Ausdruck sich spiegelte als der ehelicher Zuneigung, an dem er nur ein tindliches Lächeln kannte. Ein ihm verborgen gebliebener We senszug mußte in dem Moment des Sterbens von ihr Besitz gegriffen ha ben. Nichts llnsympathisches, im Ge gentheil ein verführerischer neuer Lieb reiz war um ihre Lippen versteinert, etwas Feineres, Komplizirteres als das Wesen, das er an ihr gekannt hatte. Lange stand Wendeler da und sann nach iiber diese räthselvolle Ber änderung. Er stellte sich die Todte in den verschiedensten Stellungen und Augenblicken vor. Wenn sie im Schau lelstuhl zurückgelehnt saß, in die Let türe eines Buches vertieft, wenn sie Klavier spielte, oder wenn sie vor dem Spiegel Toilette machte. Doch er konnte sich leines Ausdruckes erinnern, der diesem unbeschreiblichen Lächeln ähnlich sah. Er erinnerte sich vielmehr-, dasz er in einer Art Unterbewußtsein oft die Sehnsucht gehabt habe, seine Lu möchte doch einmal anders aussehen, daß ihr sich ewig gleichbleibender güti ger Ausdruck manchmal dasselbe Ge fiihl der Uebersfättigung in ihm wach gerufen hätte, wie es etwa die allzuhiiu fige Wiederholung eines llangvollen Musikstückes in uns zeitigt. Aber ge rade der Gedanke an diese halb unbe wußten Ansstellungen an dem Wesen der Todten peinigte ihn jetzt wie ein Gewissensbifz. Er wehrte sich dagegen, den Schmerz um die Todte hinter einer beinahe objektiven Ueberlegung zurück treten zu lassen. · Was mochte es denn anders sein als ein auf rein physiologischen Ursachen beruhendes Spiel der vom Todestampf aus ihrer natürlichen Lage gebrachten Mienen! Darum breitete er das Tuch wieder iiber das Gesicht, und wie sich jetzt unter denkleichtem fchmiegfamen L-..!«f.-.J.. Uclucuc Un stutssuun unzuujsusuh war es wieder das Profil feiner Lu, das er so oft von dern Hintergrund dieser rothen Tapeten sich hatte abhe ben sehen. Und innig küßte er ihre bleichen, kalten Hände. a- sic si Wie zu einer stillen Andacht setzte er sich hin, um im Lesen der Briein aus Vettlungenek Zeit die alten glücklichen Tage noch einmal zu leben· Da lagen sie, wohlgeordnet und ver schniirt in drei kleine Päckchen Die Verstorbene liebte Klarheit und Ord nung. Beide waren sie teine Freunde des Briisfisschrrsibisns. Aber um so ge drängter war. was sie schrieben. Obenan jene erste Zeit, die sie die »Befreiung« nannten, als er Lu kennen lernte in dem qualvollen Joch ihrer unglücklichen ersten Ehe, gekettet an ei nen Mann, der in einer fürchterlichen Krankheit langsam verfiel. Wie be redt erzählten die wenigen Zeilen von dem Auf und Ab der Hoffnung und Verzeiflung ohne noch in einem Wort die beginnende gegenseitige Znsxeigung zu verrathen Und dann die ersten Andeutungenx ,,liebe gnädige Frau« und »niein lieber Freund«, bis zu dem Taae, da das Te learainm einlief: .,Frei!!!« Jene Zeit war die allerköstlichste ge wesen. Damals hatte er sich fiir ein paar Tage vom Dienst freiaemacht und war hin zu ihr aeeilt, um ihr zu sagen. was sie längst zwischen den Zeilen seiner Nrinfrs noli-sen hatte Und doch Wllk ssc durch feinen Antrag erschreckt gewesen. Ueberhauvt fand er sie in einem selt« sam bewegten litemiithezustand Tage stiller Verfnnlenheit wechselten mit neu erwachter Lebensfreude-. Ob sie den Anderen je geliebt hatte? Meri würdig, daß sie in einem stillen Ein verständniß weder damals-s noch später je über ihn gesprochen hatten. Eines Tages traf er sie, wie sie eine Anzahl Briese verbrannte. »Das soll test Du nicht thun.« hatte er ihr ge sagt. »Solche Belege einer traurigen Vergangenheit lassen uns die bessere Gegenwart erst recht genießen.« Sie hatte nichts darauf erwidert, aber ihm doch - - wenn auch zögernd recht ge« geden. Denn sie legte den Rest der Briefe beiseite-. Sie müssen üvrigeno noch da sein, überlegte Wendeler. Aber dann fiel es ihm ein« daß ihn jene Zeit ja gar ; nichts anging. Und er fuhr in der un terbrochenen Lettüre fort. Es tamen Briefe, die sie sich geschrie ben, wenn Dienstreisen ihn auf län gere oder kürzere Zeit von ihr trenn ten. Die ihren sehnsüchtig und zärt lich von Anfang an, die seinen im Ausdruck seiner Zuneigung zu ihr sich steigernd, je liinger er fort war· »Man soll sich öfters von einander entfernen, um einander wieder nahe u kommen!« So hatte er einmal geschrieben, als sie ihn bat, feine Reise ja doch möglichst abzulürzen. Er hatte stets eine ge linde Angst vor dem ehelichen Phili sterthum. Und wieder erinnerte er sich mit einem Gefühl der Reue, daß ihre sich stets gleichbleibende Liebe, die ihn wie in einen warmen Mantel hüll te, ihm manchmal unbequem gewesen war. Jetzt stor ihn, weil ihm dieser warme Mantel jiir immer genommen Wac. —- —— Sorgfältig schnürte Wendeler die Päckchen wieder zusammen und legte sie zurück in den kleinen Schreibtisch. Er wußte nicht mehr, in welchem der vielen Schubfacher sie gelegen hatten. So zog er ein beliebiges auf. Ein gol dener Reis lag darin und ein vergilb ter Brief· Als er den Ring näher be trachtete, konnte er feststellen, daß er Lu’g erster Ehering gewesen war. Den » hatte sie aufgehobean Jn einer Regung von Neugier griff ’ er zu dem Brief. Er trug die Na- « mengunterschrift des Mannes-, den Lu vor ihm besessen hatte Zum ersten Mal griff ein Gefühl der Eifersucht in ihm Platz. Sie trieb ihn, , das zu lesen, von dem er kurz vorher gemeint hatte, daß es ihn nichts an ginge. D. 12. 4. 94.« Zwölfter April vier- - undneunzig ? Das war einen Tag, nachdem Lu’s er te Ehe rechtskräftig geschieden war. nd doch bieß die An rede : »Du mein Liebste-Z in der Welt. X meine Leonie.« Dem Lesenden stieg das Blut in’53 ? Gesicht. Gierig las er weiter : »Noch einmal laß mich Dich so an- « reden. Noch einmal, wenn Du auch seit Langem nicht mehr so genannt sein willst, die Du mich verachtest. Aber ich « will Dich erinnern an die Zeit, da Du freiwillig zu mik kamst in Dein-: jun- : gen, behenden Liebe. Weißt Du eg» : daß ich Dich damals fragte, ob Du bei mir bleiben wolltest, auch wenn mich die »" Krankheit, deren erste Zeichen ich schon E damals wahrnahm, vollends nieder-; werfen würde? Und daß Du sagtest, nein, daß Du jauchztest : Ja, ich will Dein sein, und wenn die ganze Welt Dich verachtet· Und jetzt bist Du es, die « mich verachtet. Wohl weiß ich, daß es so kommen mußte in diesen Jahren zu- ’ nehmenden Elends. Auch hätte ich an- - ders zu Dir sein sollen, hätte mir be- « « wußt bleiben sollen, daß ich ein abge- ’ tateltes Wrack geworden war und nicht mehr jenes stolze Segelschiff, das Dich hineintrug in die herrliche Welt. Nun aber bin ich gestraft genug. Du bist von « mir gegangen und jene köstlichen Zei- - ten sind ausgelöfcht in Deinem Herzen. « Oder nicht ? Manchmal hoffe ich, daß Du ihrer noch gedentst, daß Du das Letzteffvergißt,«uni in der Erinnerung das Urue oreqach zu genießen, sowie »ich es fortan thun werde in meiner . Einsamkeit. Aber Du bist noch jung und hast noch Ansprüche an dieZukunsi. Du wirst Dich wieder verheirathen. Wie kommt es, daß ich so ruhig daran « : denken kann? Jch will es Dir sagen. « Niemals, das weiß ich bestimmt, wird Dir die Zukunft so Herrliches geben . wie die Vergangenheit Dir gab. Weißt ;Du noch, jene herrlichen Tage am . Meer, in Viareggio, die uns vergin . gen wie lachendes Kinderspiel, im Fan gen und Entsliehen? Und denkst Du ; noch an den Arno, und an jene"stillen vWandersahrten in das Wunderland der Renaissance, und als wir dann vom - Süden an unseren nordischen Ramin ; zurückkehrtenZ Glaubst Du wirklich, das3 es noch schönere Zeiten geben wer ; de ? Niemals, sage ich Dir, ich weis; es so sicher, daß Du trotz Allem mein bleiben wirst, daß kein Anderer Dich - nach mir besitzen wird — Dich, das We ; sen, zusammengesetzt aus tausend ent zückenden Buntheiten, auH Weichheit - . und Herbheit. das ich täglich von neuer ; köstlicherer Seite kennen lernen durfte. « Darum, Liebste, bin ich Dir nicht gran; darüber, wenn ich höre, daß sich Frau Leonie wieder vermählen wird. Waz ist sie Z- Was geht sie mich an ? Meine Leonie bleibt mir. Du bleibst mir — fiir den Rest der Tage, den ich noch zu leben habe. Dein Stesan pldergA Der Brief war Wendeler’-Z Händen » entfallen Eiselkälte beschlich sein Herz. s Er stand zuriickgelehnt an den Schreit tiich und blickte mit starren Augen vor « sich hin. Die sechs Jahre seiner Ehe mit Lu sah er zurück. Jn dieser langen Zeit ttsatte sie dieser Brief begleitet. Mochte sie iln auch niemals wieder gelesen haben, er war doch da! Und jetzt war sein ei aener Satz umgedrebt worden« Hier s trat der Beleg eines vergangenen Glücks irn unvergeszlicher Herrlichkeit. lind die Gegenwart? Sie war wie Treib laucswärme geaen die Gluth der Sonne, die auf den Bergen glüht. »Du bleibst mir trotz Allein« Wen deler siihlte « in grausamer Ertenntnifz, daß daH Wort wahr geworden war. Das Beste an Lu, den wahrhaft-mitteni thum ihres Wesens, hatte er nie beses sen. Eine aute, treue, eheliche Liebe, an j der Einer festhält, der auf dem Meer der Leidenschaften schiffbriichia gewor den war. aber nicht sich selbst hatte sie ihm gegeben! Sich selbst, dieseg Wes sen, ,«3usammengesetzt aus tausend ent ziickenden Buntheiten«. Sie hatte es in sich verschlossen gehalten, wie sie diesen . Brief verschlossen hielt, ais das Eigen- I tt,urn eines Anderen. des Mannes-, zu dem sie »freiwillig kann in junger, be bender Liebe«. Jetzt verstand Wendeler den seltsa men Ausdruck auf dem Gesicht der Todten. Jn dem Fieberzustand ihrer letzten Stunden war sie sie selbst gewor den, Leonie Olders, und nur ein Phan tom war seine Lu gewesen. —- — Wendeler verließ das Sterbezimmer. i Allerlei untlarePläne gingen ihm durch i den Kopf. Weit weg wünschte er sich, denn nichts verband ihn mehr mit der ; Todten. Z Da fiel sein Blick auf einen Strauß z Jmmvrtellen, den der Bediente mit der , litarte eines Kondolenten soeben ge- ! bracht hatte. i i ,,Stefan Olders« stand darauf zu le sen. Wendeler stutzig dann aber —- in einem Gefühl, halb Scham, halb Ehr- i furcht, nahm er den Strauß und trug ihn hinüber-. Gerade aus das Herz der l Todten legte er ihn. — — Anmut-inten -—--.— Aus dem Rufsischen von A n t o n T f ch e ch o w. —. Die Generalin Marfa Petrowna, Petschonkin oder wie die Bauern sie nannten, Petfchontschicha, welche be-J reits seit zehn Jahren die Praxis auf homöopathifchem Gebiete ausübte, em pfing an einem Dienstage des schönen » Monats Mai die Kranken in ihrem Arbeitstabinett. Vor ihr auf dein Tische waren die homöopathische Apo- " theke, das Rezeptbuch und die Berech nungstabellen für die Apotheke ausge breitet· An der Wand unter dem Spie gel hingen in Goldrahmen der Brief irgend eines Petersburger Homöopa then, eines nach Marfa Petrowncks Meinung berühmten und großen Man nes, dann weiter das Portrait des Popen Ariftarch, dem die Generalin ihr Heil, nämlich Logsagung von der ver derblichen Allopathie und Erkenntnifz der Wahrheit, verdanktr. « Jm Vorzimmer sitzen und warten die Patienten, zumeift Bauern. Alle, mit Ausnahme von zwei oder drei, find . barfiifzig weil die Generalin angeord net hat, die nicht fonderlich angenehm - duftenden Stiefel draußen zu lassen. Marfa Petrowna hat schon zehnl Personen empfangen und ruft eben die elfte auf: ,,Gawrila Gruzd!« Die Thür geht-auf und statt Gomi la Gmde tritt Samuchrifchin in’s Zimmer, der Nachbar der Generalin " und verarmter, heruntergetmnmenerv Gutsbesitzer, ein.tleiner, alter Mann mit fortwährend blinzelnden Augen und der Mütze, die ihn als Edelmann i kennzeichnet, unter dem Arme. Er stellt - den Stock in die Ecke, geht zur Genera- » liu und läßt sich schweigend vor ihr auf ein Knie nieder. »Was soll das? Was fällt Ihnen denn ein, Kugma Kusmitfch?« ruft die Generalin betroffen. »Um Gottes willen!« »So lange ich lebe, stehe ich nicht « auf!« sagt Samuchrifchin, indem er« sich ihrer Hand bemächtigt und diese küßt. »Möge alle Welt sehen, wie ich unseren Schutzengel, die Wohlthäterm der Menschheit, auf meinen Knien ver- · ehre! Möge alle Welt wissen, welche , wohlthätige Fee mir das Leben ge- « schenkt, mir die Wahrheit gezeigt und ’ meinen lliigelnden Sleptizigmus er-T leuchtet hat, vvr ihr bin ich nicht allein L bereit, anf meinen Flnieen zu liegen, ’ sondern mich in’s Feuer zu stürzen für « Sie, die wunderthätige sHeilerin aller s Leiden, die Mutter der Waisen undj Wittwen! Jeh bin gesund auferstan- « den, zu neuem Leben erwacht durch ihr E Zauberwort. « ! »Es . . . es freut mich sehr . . .« stam melt die Generalin und erröthet vor F Vergnügen. »Es gewährt Genugthu- s ung, dies zu hören Bitte, nehmen Sie doch Platz! ...Am verflossenen Dienstag waren Sie noch so schwer tranl.« . »Und wie krank! . .. Nur daran zu · denken, ist schon fchreellichl« sagt Za mnchrischin und setzt sich. ,,Jn allen Gliedern und Organen der Rheurnatin mus. Acht volle Jahre habe ich gelit- Z ten, mich gequält konnte keine Ruhe finden, weder bei Tag, noch bei ! Nacht, meine edle Wohlthäterint Ich ; habe mich von Aerzten behandeln las- I sen, bin zn Professoren nach Kasan ge reist, habe allerhand Zeug geschmiert nnd gefchluctt, Wasser getrunken» eg gab Nichts, das ich nicht versucht hätte IMein aanzes Vermögen habe ich an siuren gewendet, und die Aerzte haben mir nur Schaden gebracht, au ßerdem Richth Sie haben mir die Krankheit in den Leib l)ineingetrieben, tie aber Dann iniedzr lierauszittreiben, dazu reichte ihre Wissenschaft nicht aus. Sie wollten nur Geld haben, die- . se Taugenichtse, was aber den Nutzen H betrifft, ivelchen sie der Menschheit zu I schaffen Verpflichtet wären, das macht ihnen weiter keinen stummen Sie verschrieben irgend eine Giroinantia und die soll man trinken. Menschen iviirger, mir einem Worte. Ohne Sie, unseren Engel, läge ich schon im Gras - be! Wie ich am verflossenen Dienstag von Ihnen nach Hause komme, schaue ich mir die kleinen Kügelchen an, welche Sie mir gegeben haben, und denke: »Nun, was sollen mir die? Wie tön- » l nen diese winzigen, kaum sichtbaren; Körner mein großes, veraltetes Leiden heilen.« Das denke ich Ungläubiger, J lächle zweifelhaft, nehme eines der Kü- , gelehen . . . . und da plötzlich! Mir ist, ! als wäre ich nimmer trank ..... Alles » wie weggeblasen. Meine Frau sieht « mich groß und verwundert an undl traut ihren Augen gar nicht . . .. Bist Du es denn wirklich, Kolsa?« fragte sie : mich· »Ja, ich bin’"s« antwortete ich ihr. Dann knieten wir Beide vor dem Heiligenbilde nieder und beteten fiir unseren rettenden, hilfreichen Engel: »Verleihe ihr Alles, o Herr, was wir empfinden, aber mit Worten nicht aussprechen können!« Samuchrischin fährt mit dem Rock iirmel über die Augen, steht vom Stuhle aus und scheint die Absicht zu haben, wieder auf ein Knie zu sinken, die Ge neralin jedoch hindert und veranlaßt ihn, sich zu setzen. »Danken Sie nicht mir!« sagte sie, hochroth vor innerer Erregung, mit ei- « nem begeisterten Blick auf das Bild Ari stareh’s. »Nein, nicht mir . . . ich bin nur das gehorsame Werkzeug eines an deren höheren Geistes. Jn der That, es grenzt an’s Wunderbare! . . . Ein ver i L- - ,-. --—,,,, - w. ., spss alteter, achtjiihriger Rheurnatismus Eurch ein einziges Körnchen geschwun en.« »Sie waren so gütig, mir deren dtoi zu geben. Das eine nahm ich vor dem Mittagessen, und eg« wirkte, wie schon gesagt, augenbsirtlichl Das zweite Abends, und dass dritte am folgenden Tag-e . . . seit der Zeit fiihle ich mich ein anderer Mensch. Wie durch Zauber Al leg geschwunden Ich glaubte mich schon dem Tore nahe, wollte meinem Sohne nach Moskau schreiben, er solle kommen. Da hat Gott mir Sie, meine Erlöserin, gesandt! Jetzt ist mir zu Muthe, als wäre ich im Paradiese . . . Arn letzten Tienslage war ich ganz lahm, vermochte mich kaum fortzuschleppen, und heute lönnte ich einem Hasen nachrennen . . . Mir ist, als würde ich noch hundert Jahre leben. Jetzt haben wir nur ·noch einen Jammer . . . unsere Armuth! . . . Was nützt die Gesundheit, wenn man nichts zu leben hat? . .. Tie liebe Noth macht sich fast noch ärger fühlbar, als die Krankheit Um nur ein Beispiel zu nehmen . .. Jetzt ist die Zeit, Hafer zu säen, wie aber soll man säen, wenn man keinen Samen hat? . . . Man muß wel chen kaufen, natürlich, aber woher sollen wir das Geld nehmen? . . »Ich werde Ihnen Hafer geben, Kug ma Kusmitsch · . . Bleib-en Sie nur sitzen, bleiben Sie doch! Sie haben mir Freude bereitet, eine so große Genug thuung gewährt, daß nicht Sie mir zu danken haben, sondern ich Jhnen dan ten muß.« »Sie sind unsere Vorsehung! Wie doch Gott solche Herzensgiite hat schaf fen tönnenl Es muß Jhnen selbst Ber gnijgen machen, Jhre guten Werte zu überblicken . . . Wir armen Teufel ha len Nichts-, worüber wir uns freuen könnten . .. Wir sind geringe Leute, kleinmiithig, ohne Edelsinn, überflüssig in der Welt, Niemand zum Barthen, iurzweg Gewürm. Unsereiner hat nur den AdelstiteL ist aber m materiel ler Beziehung ebenso daran, wie der Bauer, und noch schlechter . . . Jch wohne in einem aus Stein und Ziegeln erbauten Hause, doch ists nur Tausch nnn hpnn hllklsi’ä Dskii rinnt DIZ Waf -W-s.:-..-w.usi.««»iais-Ns"» New-Mk " « i » Muse-Manqu » »-" H’ "»"·-« « ser, und es ist Nichts da, um Schinvsln zu tausen.« »Ich werde Jhnen Schindeln geben, Kugma Kusmitsch.« « Samuchrischin erbittet sich noch eine Kuh, einEmpfehlungsschreiben für sei ne Tochter, die er in einem Erzie hungsinstitute unentgeltlich unterbrin gen möchte, und verzieht dann, gerührt durch die Großmuth der Generalin, vom Uebermasz seiner Gefühle über mannt, den Mund und greift in die Tasche nach dem Sacktuche . . . Die Ge neralin sieht, wie mit dem Tuche ein Stückchen rothes Papier zum Vorschein kommt und geräuschlos zur Erde fällt. »Jn meinem ganzen Leben vergesse ich das nicht,« murmelte er, »und mei nen Kindern werde ich’s einschärfen, dessen eingedenk zu bleiben, meinen Enkeln-. . · von Geschlecht zu Geschlecht Sie ist eg, will ich ihnen sagen, welche mich dem Grabe entrissen hat, welche . . « Seine Stimme bricht, er vermag nicht mehr weiterzusprechen Nachdem die Generalin ihren Patienten bis an die Thiir begleitet hat, schweift ihr thriinenersiilltes Auge liebevoll über das Vild Vlristarch’s, über die Apothe le, die Rezeptbiicher und den Stuhl, auf dem soeben der Mann gesessen hat te, den sie vom Tode gerettet, dann fällt ihr Blick auf das weggeworfene Stückchen Papier und bleibt darauf haften. Die Generalin hebt das Blatt auf, entfaltet eL und sieht drei Nägel klmn ji«-»in linmsn hiisfnlthn molk-nt sitt vergangenen Dienstag Samuchrischin gegeben hat. »Es sind dieselben,« denkt sie betrof fne, »sogar dag Papier ist das gleiche . Er hat eg also nicht einmal geöff net! . . . Was hat er in diesem Falte eingenommen-? Höchst sonderbar . . . Sollte er mich etwa getäuscht haben?« Und zum ersten Male während der ganzen Dauer ihrer zehnjährigen tirarig beginnen sich in der Seele der Ottneralin Zweifel zu regen. Sie ruft ihre nächsten Pi tienten vor und macht, wenn sie mit ihnen von ihren Leiden spricht, Wahrnehmungen, die ihr sriig her völlig entgangen waren. Alle Kranken, durchwegg ohne Ausnahme, riihnien vorerst dir wunderbare Wir tung ihrer Arzneien, preisen ihre Kunst, schiinpfen weidlich iiber Aerzte im Allgemeinen und Allopathen im Besondere-n, um dann, wenn freudigcI Erregung ihre Wange-i röthet, zur Aufzählung ihrer Wüniche überzuge hen Der Eine will Samen für die Aussaat, der Zweite Holz, der Dritte erbittet die Erlaubniß, in ihren Wal dungen zu jagen, u. s w. Sie blickt in das breite, wohlgenährte Antlitz des Popen Aristarch, der ihr den Weg zur Wahrheit gezeigt hat, und eine andere, neue Wahrheit beginnt sich vor ihrem Geiste zu enthüllen. Was die Genera lin da entdeckt hat« it nichts- Neues-, sondern nur die bittere alte Wahrheit, daß die Menschen ein falsches, durch iriebenes, hinterlistiges Geschlecht sind. Ekkiäkrich. Fräulein:» Aber Herr Doktor, ietzt trinken Sie schon die dritte Flasche Wein, und heute Morgen haben Sie doch in Jhrer Ordinationsstunde über das Trinken geschimpft.« Doktor: »Ja, mein Fräulein, wenn Sie einen solchen Kater gehabt hätten, wie ich, dann hätten Sie gewiß auch geschildpr «