Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 13, 1901, Sonntags-Blatt, Image 11

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    W
Kalt, rvartn lau!
Sitz-te von «Gtozttta». ktlnsrs dem llnaariiaton
von Q. Latiaittt
Doktor Ssapp hatte das unerwartete
Glück, in einer weltfernen Gegend ein
unwirthlicheg Grundstück von einer
Großtante zu erben. Es aad dort
nichts weiter als einen Brunnen, aber
dieser Brunnen verlieh dem Grundstück
seit undentlichen Zeiten einen gewissen
Werth, da sein Wasser sehr kalt und
sehr reichlich war. Die Nachbarn
schickten daher ihre Dienstboten zur
Sommerszeit dorthin zum Wasser
holen und vergalten die Geiälliaieit
dadurch, sich alle zwei, drei Jahre mit
einem Korb voll Waldfriichten, Heidcl
beeren oder frischen Eiern erkenntlich
zu zeigen.
Dr. Csapp betrachtete nachdenklich
das brunnenbehastete Grundftiirt.
Was sollte er damit beainnens Den
alten Zustand konnte er unmöglich be
lassen, denn Walderdbeeren af-, er nicht,
und die frischen Eier faulten sicher
schon, ehe die Brunnensteuer bei ihm
anlangte.
»Heureka!« rief er Plötzlich, sich an
die Stirn schlagend. »Wenn haben
wir das viele talte Wasser? « Jch
werde einfach eineKaltwasserheilanstalt
hier griinden.«
Da Dr. Csapp kein Geld besaß,
konnte er in der That etwas Kliiacresz
nicht augdentem und Jedem, der zu
wenig von diesem Metall sein eigen
nennt, kann man nur anratben, eine
Kalttoasserbeilanstalt ins Leben zu
rufen. da es die billiaste und dabei doch
einträalichste Einnahme der Welt ist.
Was braucht matt dazu? Kaltes
Wasser. ein Dutzend Leinentiicher,
einige Pferdedecten, eine Baractr, mit
unaehobelten Bänken tnöblirt, einen
schonunaslosen groben Burschen· den
man Bademeister oder Massenr benen
nen kann, eine in Oelfarbe hergestellte
Firmentafel mit der Ausschl-ist »Halt
tvasserbeilanstalt«, sowie einige An
noncen in der Zeitung.
Das braucht man und nicht mehr.
Dr. Csabp aber hatte höhere Absichten
mit seinem Grundstück im Sinne, da
her formulirte er die Aufschrift in zwei
Worte, so daß sie jetzt lautete:
,,Kalttvasserheilanftalt und Sanatos
rium.«
Zwei solchen imposanten Worten
war die heutige Welt, deren Haupt
lebensitveck das ,,(s.uriren« ist« unfähig
zu tviderftehen.« Dr. CsappH Anstalt
gedieh denn auch bald dermaßen, daß
nach Verlauf von kaum zwei Jahren
folgende Art von Annoncen aus den
Eintünften des ererbten Brunnens
möglich waren:
Nu r la l t! Harten tvir unseren Leid
sal-! Stühlen tvir unsere Hierin-til Be
nützen wir Tr. Csapvs stalttvnsierheil
tnethode« die einzig nnd allein nur in der
Qtnltltrnnnetz tnit einem Entmtoriunt
verlInndcnenWasierheilanstait. unter ver
sijnlicher Aussicht nnd Leitung Tr.
Csnvw erfolgen inmi. Maltbrunneih
nn einein der schönsten Pnnlte der Mat
vatlnsn gelegt-in ist eine Eisen, Arsen.
sod, Schwefel, Mehle-, PbocsvhoL Sanct
stofs- Zau. Chiusi-nd Litbiutn enthnl
tende, natitrlichc Quelle-. sinnreiche Luft
und Lindflune nach allen tttichtungen
Eisenbnltnsmtion in nächster Niter in
tattnt zwei Ztnndcn zu erreichen linielil
bar sichere Heilung bei kttlteutnationnt5.
Glieder nnd Siteruensituuiichc latarrlmli
selten Beschwerden. Blutnrntntin Meint
sucht. Vollbliitinteit, Nieren- undMazien
tritntheiten nnd Frauenleiden Vorzug
liche hinein-, schöne Wohnungen, tnaszisie
Preise Nijhereg durch den Badeiniuectatx
Das Publikum strömte in die Kalk
brunner Anstalt, utn sein Leben auf
Erden zu verlängetn. Dr. Csappsz
Heiltnethode war auch äußerst an
lockend. Diejenigen Menschen nämlich,
die sich nicht heilen lassen wollen. lie
ben es, freundlich behandelt zu werden;
jene hingegen, die ernstlich irgend eine
Heilcur durchzutnachen gedenten, hal
ten es fiir nöthig, daß der Arzt sie
quäle und durch seine souveräne Grob
heit die Besserung ihrer Gesundheit
befördere.
Dr.Csapd aber tvar grob wie Boh
nenstroh, und dag Hauptprincip seiner
heilmethode bestand darin, daß die
Kranken alles aushalten müßten, was
peinigend und unangenehnt war. Jn
Kaltbrunnen mußten die Leute barfuß
gehen, bis ihnen die Sohlen bluteten;
man jagte ste, wenn die Sonne glühend
schien, ohne Vut in die tenaenden
Strahlen; die Hungernden bekamen
nichts zu essen, den Durjtiaen war das
Trinken verboten, die Miiden sollten
nicht schlasen, wer sich aber dor dem
kalten Wasser entsetzte, wurde unaus
hörlich damit begossen. Hielt er auch
das standhaft ang, so gerieth er in die
unbarmherziaen Hände der- Massean
Da das Unternehmen Tr. tssappg
sich so angenehm entwickelte lies; er
seine ergrauenden Locken bis iur
Schulter wachsen, rasirte sich nach Art
der westeuroväischen Gelehrten, aina
immer in Schwarz und nannte sich
Professor-. Endlich engagirte er einen
junaen Asststenzarzt Dr. Csepp, der
unter dem Vorwande heilgymnastischer
Proeeduren sich an den Kranken itn
Boten übte.
Das alles hielten die Patienten aus,
denn der Mensch ist ein unglaublich
start organisirteg Wesen. Er erträgt
das alles, ja, je mehr er gemartert
wird, desto leichter gesundet er.
Eines Tages sagte nun Dr. Csepp
zu Dr. Csapp:
»Herr Professor, ich habe in Erfah
runa gebracht, daß Sie eine lfsjährige
Tochter in dem Institut der englischen
Fräulein besitzen· Nun, ich liebe Jhre
Tochter . . . .« «
»Was sder Tausend? Sie haben sie
ja noch nie gesehen?«
Sonntags Blatt
« Lwcilagc des ,,chmska Staats- Auzcigcr nnd Herold« ;
L
« »k. B. Lbiudolph, Herausgehen Grund Island Nkbt., den lis. Tck 1901 Jahrgang 23 No. 15 ,
— I
» .
»Das- macht nichts-. Jch liebe also
das Fräulein, wie gesagt, und bitte
um ihre Hund«
»Mit welchem Recht?«
»Mit dem Recht, daß ich nicht hiS
ins Unendliche nur zu Jhrem Nutzen
arbeiten möchte. Jch will Jhr Schwie
gersohn und dadurch Ihr Geschäfts
theilhaber werden. Das Unternehmen
ist glänzend genug, daß sich auch zwei
in die Einnahmen theilen können. Jch
bin meiner 1200 Gulden überdrüssig,
da ich weiß, daß Jhnen zwanzig-,
dreißigmal soviel im Jahre durch die
sen nichtswiirdig kalten Brunnen und
Fieifizre sachgemäße Hülfe in die Taschen
lie t.«
Dr. Csapp gerieth über diese offen-«
herzige Ansprache seines Assiitenten in
heftigen Zorn und warf ihn kurzer
Hand zur Thiir hinauf-.
Dr. Csepp schwor Rache. Schon nach
toenigenIaaen las Dr. Csapp in einem
medicinischen Fachblatt einen Artikel:
»Die Gefahren der Kaltivassercun Von
Dr. Csepp, ehemaligein Assistenzart der
Kaltbrunner Wasserheilanitalt.« Jn
dieser Abhandlung schilderte lksepp mit
großer -Ol)jectivität, das; seine durch
viele Jahre in Kaltbrunncn gesammel
ten Erfahrungen ihn init schweren Be
denken gegen die Kaltwassercur erfüll
ten. Die unendlich vielen Nerven-,
Gehirn- und Herzleiden, die Aahl
töpsigteit, Gicht, das Gliederzittern
und unzählige andere törperlichenUehel
seien zweifelsohne durch die Kaltwass
serdehandlung gezeitigt worden« Es
iki nchin --- fn fchlnft dkk Akiikkl ———
daß man nicht länger die Augen ver
schliesse und schleunigst zur Warmtvas
serbehandlung zurückkehre.
Aus dieser Fachschrist gelangten
Augziige in die Tagespresse und er
regten die ernstliche Besorgniß Dr.
Csappg. Ja, selbst Separatabziige dec
Artikelg erschienen unter dem Motto:
»Mir tdarm!« und wurden tostenlos
an sämmtliche Patienten des Kalt
beunner Sanatoriumg verschickt.
Die llnzusriedenen unter ihnen
d. h. die Gesunden, die eine tägliche
Besserung ihres Anstandes nicht con
statiren konnten --—- begannen zu tnur
ren: »Freilich, freilich! Die Kaltroass
serheilmethode taugt wirklich nichts.
Man miißte einenVersuch mit warmem
Wasser machen-« Und eines Tages er
schien über dein Thor der seit langem
stillstehenden, aber noch mit brauch
baren Kesseln versehenen Stiiritussa
hril in Kaltbrunnen ein frisch gestri
chenes Schild tnit der Ausschrist: »Tr.
Cseupg Warnitvasserheilanstalt und
Sanatorium.«
Von nun an trat in dein Annancen
theil der Zeitungen dem Kaltbrunnen
»Mir kalt!« iiherall das Flalthrunnerx
»Mir warm!« entgegen und die der
Kalttdassermethode iiberdriissigen Va
tienten gingen in Mengen don Tr.
Csapp zu Dr. Csepp über
Tag rIlnsehen desJ neuen Unterneh
mens hob sich von Tag zu Tag. Die
durch liälte gequälten Menschen ver
nahmen von den zur Wärme zuriickge
lehrten Gefährten voll Neid, dass Dr.
tsseuu noch schrecklichen Euren mit sei
nen Patienten unternehme, tvie Tr.
Csaptx Hatte matt in der alten Heil
anstatt die Menschen augfrieren las
sen, so wurden sie in der neuen wahr
hast getochtz während dort nur Fleisch
zu essen erlaubt war, dursten hier nur
Gemüse und Mehlspeisen genossen
werden. Wurden die Leidenden bei
Dr. Csapp einfach geknetet, mußten sie
hier nun Holz spalten und Kohlen tra
gen, das Feuer unter dem Kessel an
ziinden und es unterhalten.
Dr· lssapp sah mit der Zeit ein, dass,
Dr. Csepp das öialte mit dein Warmen
zu Grunde concurrire. Wenn dieser
Kampf noch lange dauerte, würde bald
aller Werth ans dem von der Groß
tante ererbten Brunnen auggepuinpt
sein. So entschlosysich denn der Doc
tor zu dem groszen Schritt, nnd eines
TaaeH erschien er bei seinem ehemaligen
Afsistenzarzt und jetzigen Concurren
ten.
»Lieb» College«, erklärte er, »da
bin ich, nni Ihnen Frieden anzubieten.
Jchertenne an, daß Sie mich besiegt
haben. Sie haben Recht, Jhre Me
thode ist die wahre. Daher theile ich
Ihnen mit, dasz ich noch heute die nö
thigen Kessel bestellen werde, um zu
Ihrem tsurshstein überzugehen-«
Dr. Csepp erschrak jetzt, verlor aber
seine liteisteggeaenwart nicht.
»So? Dann taufen Sie lieber mein
Unternehmen, denn wenn Sie, lieber
College, warm werden, wende ich mich
sosort der Kälte zu. Zwei Marmort
stalten an einem Ort können nicht ge
deihen."
»Darin haben Sie ebenfalls recht,
lieber College. Aber ich will Ihnen
noch etwas sagen, was vielleicht der
beste Ausweg wäre.«
»Und?«
»Sie wissen ja, baß ich eine 19jäh
rige Tochter bei den englischen Fräulein
babe. Dieses reizende Kind liebt Sie
- unbekannter Weise Falls Sie diese
Liebe erwidern und ich die Freude
hätte, Sie als meinen Schwiegersohn
begrüßen zu dürfen, to könnten wir
die beidenUnternehmungen vereinigen.«
.,Hand darauf!« entgegnete Dr.
Csepp erfreut. «
Die beiden Aerzte kamen nun über
ein, daß es sowohl mit der Kälte wie
mit der Wärme genug sei. Beide Heil
metltoden waren so zu sagen ausge
schödft und der noch nicht unterminir
ten dritten, der »Lauen«, gehörte die
Zukunft.
Die dazu nöthigen FachartikeL Zei
tunggberichte und Annoncen ließen
auch nicht auf sich warten, und in der
nächsten Saison arbeiteten Dr. Esapp
und Dr. Csepp gemeinsam unter der
Devise: »Nur lau!«
Die Kaltdrunner ,,Vereinigten Sas
natorien siir Lauwasserdeltandlung«
konnten kaum die Menge der Kranken
fassen. Der geerbte Brunnen Dr.
Csavdg aofz unaufhörlich seine kalten
Wassermassen mit dem heißen Wasser
der ehemaligen SpiritugsabrikKessel
zusammen, zum Heile der leidenden
Menschheit!
Beide wurden binnen kurzem Mil
lionäre. Tausende von Geheilten sea
neten ihre Namen; denn wenn die
Menschheit das Kalte und Wurme aus
l)ielt, warum sollte sie nicht auch das
Laue vertragen.
Der Jdi0t.
Von Georges d’lFL«pareiL-.
l.
,,,’5iil)rt den Burschen herein!« be
fahl Der König oon Preußen
,,.c;tier ist ver Mann, Ijtajeftät!«
Der Jbiot war eingetreten. Tiefes
Schweigen herrschte, während Des Kö
nigs Augen forschend oie Gestalt des
Gefangenen überflogen. Hinter ihm
standen, ftramm aufgerichtet, zwei
Adjutanten in lautlofer Erwartung.
Nur bas- regelmäßige Ticlen der
Wanoubr war oernehntbar.
Jmtner noch ruhte des Königs
Blicl auf beut Antlitz Dei- Gefangenen.
Er betrachtete den brutalen Kopf mit
Dem wirren Haar, Den blähen alanz
lofen Augen. Von Der herabhängen
Den Unterlippe lief unaufhörlich Spei
chel herunter; es fchien lautu Dentbar,
Daf; in diesem oerthierten Körper eine
menschliche Seele leben tonnies Die
ser Kopf, der eher einem Thontluuts
pen glich, war beinahe grauenerregend.
»Nein, meine Herren, wag halten
Sie von dein ba?« fragte Der Könia
- »Aber sprechen Sie franzöfifch vor
ihm! - Was meinen Sie?««
»Das-, er nicht blönsinnia ift, wie er
sich Den Anschein giebt, uno Daf-, Mas
feftiit ihn oetroft befragen tönnen!«
»Sie find alfo Der Mann,« beaann
oer Konra, »Der meinen Grenaoieren
in der Nacht »zum lit. diese-Z LUionatI
mit geheimer Botschaft fiir Den Gene
ral de Cheoerl enttoifchte.« Der Herr
feher nahm ein Papier zur Hand, Das
er beut Gefangenen entaeaenhieli.
Dieser aber rührte fich nicht unb hob
Den Blick nicht auf.
»Er thut, als wäre er auch noch
taubstumm,« bemerkte einer Der Ab
jutanten. »Er ift ein raffinirter
Schuft,« Dabei versetzte er dein Manne
einen kräftigen Stoß. Der Jbiot
blickte ihn an unb lachte in sich hinein.
,,Diefer Brief giebt genaue Auss
L
kuntt nber Ihre Mission,« fuhr Der
skönig svr1. »Sie sind entdeckt; gehen
Zie also diese Komödie auf und ani
rvorten Zie!«
Verständnileog irrten des Xdivten
Augen umher.
Ein alter General hatte inzwischen
den Gefangenen aufmerksam betrach
tel. Er war ein iveißhaariaer Mann,
voller Wiirde in feinem Wesen. Jetzt
trat er näher und sagte zu dem Frem
den:
»Ich erkenne Sie wieder, Herr
Illarqui5!«
Der Spion schien nichts zu verste
hen; sein Kopf ivackelte blöde hin und
her, und aug dem Mundtvinkel rann
ihm der Speichel. Wieder herrschte
hangeg Schweigen, und nur die
Wanduhr tickte weiter.
»Sie haben,« sprach der König
dann wieder, »den General de Che
vert, der bei Aachen Stellung genom
men hatte, venachrichtigt, daß er ein
neues Corps herbeiziehen möge, aus
den Regimentern von Navarra, Aus
vergne und vierzig Grummet-Corn
paanien. . . .«
Der Jdiot verfolgte mit gespannter
Aufmerksamkeit eine Fliege, die am
Boden kroch, und plötzlich zertrat er
mit lautem Aufstampfen das Thier.
»—- und zwei Kavallerie-Brigaden,
die auf Halberstadt ziehen sollten
Das stimmt doch Alles-, nicht wahrs« i
schloß der König. !
Rur die Uhr gab ihre tictende Ent- l
gegnung.
2.
Jetzt wandte sich der alie General
an den König. »Ich möchte darauf
schwören, Majestät, daß Dieser Mann
der Marquis Antdine de Coadilo ist.
Zwei seiner Brüder stehen in Che
veret’g Armee, ebnso wie er selber.
Sie sind alle Drei fiir tapfer, sogar
tolliiihn beiannt. Am 19. trug er
noch seinen Bart; jetzt hat er ihn ab
nehmen lassen, daH verändert ihn voll
ständig. . . O, ich ertenne Sie sehr
wohl,« sprach er zu dem Gefangenen
gewendet. ,,Oeffnen Sie mal den
Mund! Ein Edelmann hat gewöhn
lich gepflegte Zähne!«
Der arme Blödsinniae blieb unbe
weglich, er hörte offenbar nicht. Der
Grenadier wurde hereingerufen, der
den Jdioten beim Genick packte und
ihm qewaltsam den Mund öffnete.
Die Hähne sahen faulia und schwarz
aug, wie bei einem Kranken. Der
General gerieth in hellen Zorn.
»Oho, der ist aber gerissen! Bei
Gott, ein iluger Kopr« f
Der Jdiot ergriff einen Stuhl,1
drehte ihn an der Lehne unaufhörlich
im Kreise herum und ließ ihn dann
zur Erde fallen. Plötzlich drückte er
seine Auaenlider zusammen und mit
grellem Auftreischen riß er sich ein
paar Haare aus.
»Dies« Komödiant!« knirschte der
General.
Auf die beiden jungen Adjutanten
hatte dieser Vorgang jedoch einen ge:
waltigen Eindruck gemacht Sie wa
ren ganz bleich geworden, und einer
nnn ihnen murmelt-« Nr ist sit-hef
lich irrsinnig; man braucht ihn ja nur
anzusehen!«
Auch Der König schien sich langsam
zu Dieser Ansicht zu kehren.
»Ich kann bei diesem armen Narren
auch nicht Die geringste Spur eines
Llriitotraten iinDen,« meinte er. »Ur
theilen Sie nicht ooreilig, General!
Der französische Spion hat uns frei
lich sehr geschadet; aber dieser Mensch
Da ist vielleicht Doch unschuldig!«
Die jugendlichen Ofiiziere blickten
in athemloser Spannung auf Den Kö
nig. An Der Wand aelehnt, stand Der
alte General in Gedanken versunken
Da. Plötzlich ariff er nach seiner Pi
stole, trat Dicht hinter Den Gefangenen
unD feuerte, Die Waffe auf Den Fuß
lioDen gerichtet, ab. Rauch unD Flam-r
me stieaen hoch aus« aber Der JDiot
riihrte kein Glied.
Der König lachte auf. »Nun, Ge
neral, wag Denken Sie jetzt? Glau
ben Sie immer noch, Das-, Der Kerl
nicht taub ist?«
Ter alte sSolDat murDe aanz blaß
Vor Zorn. llnD mieoer trat erivar
tunagoolle Stille ein.
»Ach «va-:«,« saate Der Ftönia, der all
Dieser fruchtlosen Versuche miiae mar,
»Da-z Subjett ist wirklich nichts weiter
als ein VagabunD Wer hat ihn Denn
einaebracht?«
,,lsiner von Den Geloen Hufaren
liw Majestät, Der als« besonders tiich
tia bekannt ist.«
»Um so schlimmer! Sehen Sie
Doch nur Diesen Kopf an. Er verräth
auch keine Spur von irgenD welchem
inneren Leben: eine tthe Seele, wei
ter nichts-P
rs
u.
Angewidert trat Der König an’s
Fenster, Durch Das er hinaugsah, und
-r. — ex: Jl- « ,... s»- fu«-»
Lunte »Hu-up pr. »u, un, uns xzusssuxy »s
verlassen, als der alte General ihn
zuriickhaltend leis saatet
»Wenn ich bitten darf, gehen Ma
jestät noch nicht! Bleiben Majesth
nur noch ein paar Augenblicke! Ich
zweifelte ja zuerst auch, aber jetzt bin
ich fest überzeugt, das; der Mann ein
allerdings ungewöhnlich aeschickier
Komödiant ist. Er spielt seine Rolle
ausgezeichnet. . . Wirklich, Sie ma
chen Jhre Sache vorzüglich, Herr
Marqni5,« wendete er sich laut an den
Gesanaetien, dein er dicht in die Au
gen blickte.
Der Jdiot rührte sich nicht.
,,Trotzdem,« meinte der König,
,,spricht Alles aegen diese Möglichkeit
Dieser irre, unglückliche, schniutziae
Bursch’. . .«
Der General trat ans den Gefange
nen zu und riß ihm den Kragen her
Unter, daß unter den Fetzen die Haut
«hervorkam, schwarz vor Schmutz.
»Majestät,« saate der alte Soldat,
»ich 'bite inständiast um einige Minu
ten Gehör unter vier Augen, aber der
Mann hier soll inzwischen nicht von
der Stelle.«
»Gut, solaen Sie mir,« beschied der
Könia Er und der General verließen
das Gemach.
,,Jch schwöre, daß ich mich nicht
irre, Majestat,« begann der alte Offi
zier.
»Und ich glaube, Sie sind starr
töpfig!« entgegnete derKönig lächelnd.
»Nein, nein, Majestiit, gewiß nicht!
Jch bitte Ew. Majestät nur noch um
ein wenig Geduld! Es giebt noch
andere Mittel, und an eines denke ich
besonders-l«
»Und das wäre?«
»Nun, Majestät, wir haben es hier
doch mit einem Franzosen zu thun.
Er selbst wird sich nicht verrathen;
dazu hatte er seine Rolle zu gut stu
dirt. Maiestät kennen ja diese heroi
sche Rasse; diese Menschen sind kühn,
soralo"5, aber dennoch. . .«
Jetzt bogen sie um die Ecke des-Gan
ges und führten das Gespräch mit ge
dämpster Stimme fort. Nur noch
ein hastiges Wispern war vernel)inbar,
und dann, nach wenigen Minuten,
hörte man das eilige Dadonrollen ei:
nes Wagens.
Bald kam der Wagen zurück, brach
te einen Jnsassen mit, und nun bega
ben sich der König und der General
wieder in das Gemach, in dem der
Jdiot noch wie vor stumpf vor sich
hinstierte.
4.
Mit Ausnahme des Königs, der sich
in seinen Stuhl zurückgelehnt hatte,
blickten alle Anwesenden gespannt auf
den Jdioten. Allmählich theilte sich
des Herrschers Zweifel auch ihnen mit.
Denn während der König mit dem
General abwesend war, hatte der
arme Narr einen Stuhl zerschmettert,
abwechselnd gelichert und geweint und
aug voller Lunge gebrijllt. Ein Gän
setiel, den er in einem Tintenfasz ste
aen san. harre ihn wuo gemacht, und
nur mit aller Kraft hatten sie es fer
tiq gebracht, ihn in der Mitte des
Zimrners festzuhalten. Jetzt stand -:r
gebändigt da, nur der Kopf pendelte
» lanasam von einer Seite nach der an
deren.
»Majestät,« begann jetzt der Gene
ral, »sind im Begriff, Diesen Spion zu
der-urtheilen. Jn Versailles kennt
man ihn als ritterlichen Edelmann.
Wir haben nun da eine Dame aus
Halberstadt, die einst Kammersrau bei
der stöniain Maria Leszynsta gewe
sen, sie kennt jedes Gesicht am fran
zösischen Hofe aus«1vendia. Jch habe
nach ihr geschickt, und mit Ew. Masc
ftiit Erlaubniß wollen wir sie dem
Marquis acaeniiberstellen.«
Der Könia tvintte zustimmenö.
Zwei Wachen öffneten die Thür, und
mit leichten, unhörbaren Schritten
trat in ruhiaer Haltung die Gerufene
herein.
»Madame, ist Ihnen dieser Fran
zose da betannt?« fraate der König.
Forschend blickte die Frau den Ge
; fanaenen an, dann eutaeanete sie be
stimmt:
»Nein, Masestiit!«
,,(ttut,« mischte sich der General ein,
»Sie werden wieder gerufen, wenn
man hier noch Ihrer bedarf. Aber
bitte, gehen Sie durch jene Thiir dort
hinaaus·«
Um dieser Aufforderung Folge zu
leisten, mußte die Dame quer durch
das Gemach und dicht an dem Gesan
aenen vorüberaehen.
Athemlose Stille herrschte in dem
Raum. In dem Augenblick, als die
Frau an dem Jdioten vorbeischreiten
wollte, stolperte sie, stieß einen kleinen
- Schrei aus und fiel in die Knie.
Jm selben Augenblick veränderte
sich der Ausdruck im Gesicht des Ge
fangenen -s- -—— —
,,O, Madame, gestatten Sie mir!«
- Hastia hielt er inne.
Ein wahrer Tumult brach in dem
Zimmer los. Leichenblaß war der
König ausaesprunaen.
Die Frau war lautlos verschwun:
den·
«Dieser Thort« murmette einer
mitteidia.
Drunten im Hofe dröhnte das
aleichmäßiqe Stampsen schwerer
Stiefel und das Ausschlnnen von
Musketen· Dann schallte die Stimme
des Marquig Antoine de Coadilo laut
und hell durch die Lüfte:
»Lang lebe der König von Frank l
reich!!«
Und darauf das Entladen von
zwanzig auf ein Herz gerichteter
Flinten. . .
»Sosind die immer zufassen,«
murmelte der alte General vor sich
bin, main-end er den Schloßhof der
ließ·
———-— -—.—--- - «
Carneqie ist bibliothekwahnsinnig
——so saat Millionär Benedei. Mag
sein. aber die Methode in diesem
Wahnsinn ist gar keine üble.
.
Cur tut-eisiger This-fe.
Ein in China ansässiger Schwebt
berichtet dem Stockholmer Astonblad
eine interessante Episode aus der Zeit,
kurz nachdem die Boxer die Gesandt
schaften in Peting zu beschießen begon
nen hatten. Es war von höchsterWich
tiateit, Nachrichten nach Tientsin zu
schicken. Die Boten, die man schon
abgesandt hatte, fanden unter den
Boxern den Tod oder mußten unber
richteter Sache wieder umkehren.
Schließlich erklärte sich ein 15jähriger
Chinesenknabe bereit, den Versuch zu
wagen. Man steckte ihn in ein Bett
lercostiim und rüstete ihn auch mit ei
ner kleinen Thonschale aus, wie die
chinesischen Bettler sie benutzen. Der
Brief wurde in Oelpapier gewickelt
und dann auf den Boden der Thon
schale geleat und mit einer Schicht
Reisbrei überschmiert. So ausgestat
tet, lief; man den Boten am 4. Juli
in der Dunkelheit mit einem Tau an
der 40 Fuß hohen Mauer hinab, aber
hierbei aina die Thonschale in Stücke.
Borsichtig löste der Bote den Brief los
und wickelte ihn nebst dem Oelpapier
um einen Finger, gleichsam als hätte
er sich diesen verletzt Bald wurde er
I
Tsöds I Ists-·
Von den Boxern angerufen und unter- -
sucht, die aber den vermeintlichenBett- .
ler aleich wieder laufen ließen.
Unbehelligt legte er nun den halben
Weg zurück, bis er eines Abends bei
einem Bauerngehöft Halt machte, um
zu betteln. Dem Bauer, der hier
wohnte, waren alle seine Knechte aus
geriickt, sie hatten sich den Boxern an
geschlossen, nnd der Bauer zwang nun
den Knaben, bei ihm in Dienst zu
bleiben. So ginaen achtzehn Tage
Verloren, dann stellte sich der Knabe,
indem er Essen und Trinken ver
schmähte, krank, woraus ihn der brave
Dienstherr wegjagte. Langsam schlepp
te sich der Bote fort, bis er aus Ge
siclitgweite des Bauers war, worauf er
seine Schritte beschleunigte. Glücklicb
vor Tientsin angekommen, mußte er
drei Tage uml)erstreisen, ehe es ihm
gelang die Soldatenwachen zu passi
ren, aber schließlich, am 22. Juli,
konnte er seinen Brief dem englischen
Conful übergeben.
Unmittelbar darauf sandte man den
Boten mit einer Antwort nach Peking
zuriick; diese war auf einen dünnen
Papierstreisen geschrieben, an Sir
lflaiide Mardonald gerichtet und lau
tete: »Ihr Brief Vom 4. Juli ist ange
kommen. Jetzt sind 24,000 Mann
aelandei und 19,()0() befinden sich hier
E— -
in Uentnn General Oasen-e rocro
morgen in Takn erwartet. Tientsin
steht unter ausländischer Regierung.
Das Pulvermagazin der Boxer ist ex
plodirt. Viele Soldaten sind unter
wegs-. Die meisten Damen haben
Tientsin verlassen.« rTotzdem die
Borer iiberall waren, glückte es dem
jugendlichen Boten ungefährdet Pe
tinq zu erreichen, wo er am 28. Juli
sAntwortschreiben an die Gesandt
schasten überreichte Der muthige
Cliinesenjunne war natürlich der Held
de: Tages.
—
Mit Dorf mit 47,217 Einwohnerir.
Das größte Dorf in Deutschland
ist zur Zeit die industrielle Laubge
meinde Vorbect im Rubrtohlenredier
mit sinle Einivobnern. Nach der
Vollgiäbl unq von 1895 beanspruchten
noch ie Berliner Vororte schöneberg
mit italisi- Einmobnern und Rixdorf
mit 554,ll45; Einmohnern die ersten
Stellen unter den ,,Törsern«. Seit
diese beiden ,,Dörfer« nun zu Städten
erboben morden sind nnd Altendorf
bei Essen, das Wie-J bereit-Z 4l),280
Einwohner hatte, am l. August d. J.
mi: Essen vereinigt morden ist, ist
Bdrbeit an die erste Stelle gerückt. Vor
et.oa 15 Jahren bezeichnete man all
aemein disz Dorf angenbielan l19,
127 Einwolmeri im Gnlengebirge als
Ins »ard"f),te Dorf« «i«n31visclien ist
dasselbe aber bereit: an die Ell Stelle
aeriiitt Weiter zirosie Dörser sind:
Lielnenberg im Regierungs-bein
Bot-sonnt mit 4-';,JI72. Löbtau bei
Dresden mit :«’-:J,Rt)7, Hamborn bei
Rudrort im Reqierunngezirt Löffel
dorf mit :t:3,;:)lt8 Neuiveiszensee bei
Berlin mit ., 9,44 Deutsch Wilmers
does bei Berlin mit ZU,671, Altenessen
mit 2H,l;78, Biler mit 28,5l)0, Neun
tireben bei Trier mit 27,695, Schalle
bei Gelsentirchen mit 2l5,l)74, Bottrop
mit 24, Höl, Wonne mit W,663,
Gras-, Lichterselde mit 23,175, Za
borze bei Zabrze im Regierungsbezirt
Oppeln mit 22,592,1leelendorf mit
21.,88li, Panlow bei Berlin mit 21,
III-, Steqlitz bei Berlin mit 21,423
Eimodbnern
Natürlich steben den M »D·orfern«
auch viele tleine »Städte gegenüber.
Tie prentruche Provinz Boten hat al
lein stsZ Ztiiote niit nur 1 —---20()0 Ein
inolmein nnI S) niit weniger wie 1000
Einnmlniern Deutschland hat nicht
weniger als 135 ,,St"cidte« auszuwä
sen, Die weniger als JW Einwohner
haben. Als gllertleinste Stadt kann
wohl Das ,,3täotchen« Hauenstein bei
Watdghnt in Baden mit 191 ,,St«cid
tern« angesehen werden. Dann kommt
das benachbarte Wiirttemberg mit dem
Städtchen Zaoelftein bei Caltv, das
293 Einwohner hat· Die Z. Stelle be
ansprucht Fürstenberg im badischen
KreiseVillingen ini Amt Einwohnern.
Unter 1000 Einivobnern bleiben im
aiinzen Deutschen Reiche 135 «Städ
te«. die sich auf alle Gegenden ziemlich
gleichmäßig vertheilen.
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Ziemlich viel schmutzige Hofwäsche .
wird jetzt eoram publico gewaschen.