Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 06, 1901, Sonntags-Blatt, Image 17

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    M
Cene Zitte.
-—..--..
Von Hans Albrecht.
Das Letzte war nun auch gethan
Man hatte sich am Sorge aufgestellt,
der Pfarrer hatte eine kurze Rede ge:
halten, und dann hatten die schwarz
getleidetem hilfsbereiten Leute den
Sarg so schnell hinabgelassen — so
furchtbar schnell und so tief —— er hatte
ihn lauen mehr gesehen, wie er hinab
blicken wollte. Ein Jeder der Umste
henden hatte ein paar Blumen hinabge
worfen, die wieder solch schwarzer
Mann mit der angenommenen, bezahl
ten Jammermiene in einem kleinen
Körbchen hinhielt, und ein paar hatten
sich nach der gelben Lehmerde gebückt
und eine Handvoll aus den Sara ge
streut. Dann noch die unglaubliche
Menge Händedriicle und herzliche. viel
leicht auch heuchlerisch gestannnelte
Worte der Theilnahme — bis die Erd
schollen anfingen, dumpf und hohl aus
den Sarg zu fallen. Da war er wie
von Fnrien verfolgt in den Wagen ge
sprungen. und den ganzen Weg, sogar
seit noch llang ihm das entsetkli.hh
hohle Poltern der Erdschollen im Obre·
Vorbei, vorbei — das Heim veröde!
und leer, seitdem sie dahingegangen.
Der einsame Mann setzte sich vor den
Schreibtisch und stützte den Kopf in
die hand. Die Thiir zum anstoßenden
Zimmer, wo die Todte gelegen, war
weit geöffnet, ein Dust von frischem
olze und Lorbeerbliittern, solch ein
ergenthümlich scharfer, durchdringender
Duft drang zu ihm herüber — er
konnte ihn nicht mehr ertragen. er
schloß die Thür und sank wieder aus
den Stuhl zurück. Er versuchte, sich
sein Leben vorzustellen, wie er die drei
zehn Jahre mit ihr gelebt, wie sie doch
eigentlich, wie rechte Ehegatten es sol
len, Freude und Leid getheilt, Sorge
und Glück, Enttäuschung und Hoff
nuna ---s aber alles verschwamni in
est-im- Pebel nirbt einmal ihres
FI
Gesichtes, des Gesichtes so lieblich und
zart und ernst, das er so geliebt und
dann in jungem Liebesrausche so selig
geküßt, vermochte er sich zu erinnern,
so dumpf und todt war alles in ieineni
Hirn geworden. Und die Jahre lagen
doch auch lang und einförmia dazwi
schen. Aus der himmelitiirmenden Be
geisterung. mit der er si- sich damals
erzwang, war längst ein ruhiaeg Ge
wöhnen geworden, und dann liatte er
ja die Fabrik, das große Unternehmer«
das ihn vorn Morgen sriih bis spät in
den Abend hinein-beschäftigte, ja, das
seine Gedanken oft die Nacht hindurch
wach hielt mit neuen Plänen und Ent:
wiirsen und Versuchen.
Still und freundlich hatte Dota im
Hause gewaltet. Jn Freude hatte sie
ihm auch den Knaben geboren mit Ge
duld und Güte hatte sie ihn ausgezo
gen. Jenes Große in den Gefühlen,
jenes hinreiszende war ihr freilich nicht
gegeben s— selbst seine große Liebe in
den ersten Jahren ihrer Ehe tonnte es
nicht zum Leben erwecken.
Und so war er auch ruhiger gewor
den, ganz allmälig, und sein Beruf
hatte ihn immer mehr in Anspruch ge
nommen; das Treibende, Rastlose,
Vollbliitige in ihm, das er in seiner
Ehe nicht verwerthen konnte, hatte sich
i spitz-Um Erwerbe ausgelebt. Die Unterneh
mungen waren immer ausgedehnter
geworden —— das Glück hatte ihm Ge
lingen und Reichthum in den Schooß
geworfen. '
Und dann der Knahe im Haus«-, ein
tuhlges stillv, ganz wie vie Mutter -
, vergebens hatte der Vater auf eine Le
bensäußerung gewartet, die ihm sagte,
dass er Blut von seinem Blute war,
vergeben-»aus ein wildes Umhertollen
im Hause, seinetwegen in vollster lin
ongenhesit aber still hatte der
leine gespielt, und still hatte er den
J Geschichte-i gelauscht, den Märchen
T- und frommen Liegenden die ihm die
f Mutter erzählte-«
Jm Hause ging es stets friedlich zu,
nie hörte man ein lautes oder gar ein
böses Wort, die Dienstboten waren
brav und tüchtig und thaten der gedul
digen Herrin alles zur Liebe-. Manch
mal war der große Friede ordentlich
ein wenig bedrückend für Alfred Thor:
wald. den Hausherrn, geworden; er
brach dann tteine Auseinandersetzuw
gen vom Zaune, nur um sich etwas ers
regen zu können, und so war er eigent
lich ein bischen zum Dei-boten gewor
den, ohne es zu wollen oder zu sein,
und es schien ihm, als iröchen die Ge
i miither nur um so mehr in sich hinein,
denn nun iam noch die Angst hinzu vor
; des Bauche-km kühn erhobener Stim
Mc und den Faustschlägeu aus den
Tisch, wobei das Geschirr klirrte. -
Umsonst versuchte sich ver Cinsame
vorzustellen, warum eigentlich in den
,-lehten ahren Dora immer stiller und
reundltcher geworden war —- abck mit
Jener Freundlichkeit, die tiihl eher ab
wehri als entgegenkommt und die den
Ekfspch sturmner Unterwürfigkeit so ähn
lich sicht
Plöhlich erfaßte ihn eine wilde
Sehnsucht, etwas der Todten Zuge-hö
tigei anzusehen, in der Hand zu hal
ten« mit seinen Küssen zu bedecken; et
Ias, was ihr vielleicht ganz besonders
setih gewesen, was sie irgendwo in
tinem verborgenen Fache ihres
Schreibtisches aufbewahrt. Ein Bild
vielleicht oder einen Gruß von ihm,
tvie er ihr deren so viele bei seiner ös
« isten Abwesenheit gesandt hatte. Er
f aus und and werthlose Notizein
- echnungen und Briese von ihren
sum-binnen die ihm gleichgiltig wa
- i
s- —-——« I
i
. ren, wohl-auch ein paar Verse, aus ir
· gknd einen Zettel til-geschrieben und
- zwischen anderen Schriftsachen ver
streut. Da hielt er ein kleines Päcti
, chen in der Hand, sauber zugeschniirt
nnd versiegelt. aus dem in deutlichen
Buchstaben zu lesen war: »Noch mei
nem Tode nngelesen zn verbrennen.«
Was konnte das sein? Ein Tagebnch
. alte Brieer -- vielleicht aar ein Ge
« heim-riß ausk- der Zeit, die vor ihrem
gegenseitige-n Kennenlernen lag? Nie
hatte Dora von irgend einem Erlebniß
oder von Menschen erziibt:, die mehr
als einen alltäglichen Eindruck auf sit«
gemacht hatten. Vielleicht lag in dem
Inhalte irgend eine Aufklärung ver
borgen über das ernste Wesen seiner
Fran, vielleicht wäre es ilmi möglich,
wenn er ihn kannte, noch nach ihrem
Tode etwas autzumachen oder auszu
Iöschen TM unbezwingliche Wunsch
stieg in ihm auf, das Packchen trotz ih
rer Bitte dennoch zu össnen -- und
dann wieder ein Zögern, wenigstens
diese letzte Bitte der Todten zu erfül:
len. Er tonnte es nicht « mit zittern
den Händen riß er die Schnur entzwei,
schlug daLs Papier auseinander und sal)
eine ganze Anzahl dichtbeschriebene
Briefblätter die Schrift war ihm
unbekannt Wie gebannt begann sein
t Auge auf dem obersten zu lesen:
»Meine tbeuerste Freundin! Wenn
» ein Wiederfeben nach so langer Zeit
zwei Menschen mit den alten Gefühlen
findet, die -— trotzdem das Leben sie
getrennt bat, dennoch zusammengeht-i
-, ren, deren Seelen ein Leben führen in
t Welten, die nicht jeder Staubgeborene
kennt, so düntt es mich, sollten eben
f diese Menschen auch den Muth besitzen,
i sich dies einzugestehen, wenn auch nur
i sich Beiden ganz allein. Und auf die
; fes Geständniß warte ich. Jch will es
zvon Dir selbst hören, Geliebte, von
lDeinem Munde, mit Deiner süßen,
imilden Seele, von Schriftzügen, die
Deine geliebte Hand dem Papiere an
J vertraut. Und vereint mit diesem
: ·m»-k«.» km» za. Ist-« »Wir. msv main-s
! Freundschaft zu bewahren oder Deine
Liebe —-- wie man es nun nennen mag.
Das-, was ich fordert-, beraubt Nieman
den, selbst Deinen Mann nicht, es ist
nur etwas, was ihm nie gehört hat und
nie gehören konnte s-- —-«
Alsred Thorwald tam nicht weiter
stöhnend sant sein Kopf aus die Tisch
platte, zähnetnirschend wars er das
Parlet zur Seite· -- O diese Höllen
qualen, betrogen, getäuscht von einer
Frau, die er rein und ihm ganz erge
ben wähnte, von ihr, die ihm seinen
Knaben geboren, der sein Trost sein
sollte im einsamen Alter! Oder durfte
er vielleicht dem Knaben nun auch nicht
mehr seine Liebe schenteni Ein häß
licher Verdacht stieg in ihm aus, der
ihm das Blut ins Gesicht zurücktrieb--—
nur einen Blick noch aus das Datum
der Briefe; der erste und der letzte
Brief in demselben Jahre geschrieben,
der kleine Fred mußte damals vier
Jahre alt gewesen sein » so war we
nigstens eine entsetzliche Qual von ihm
genommen. Und als könnte er wieder
unschlüssig werden und weiter lesen,
riß er wie rasend die Briefe aus und
warf sie in den Ofen. Vorbei, vorbei
nun auch die Schmerzen um ihren Tod.
O die Ungetrene! Einem Anderen hat
te vielleicht ihr herz gehört, und er
hatte nur den Körper besessen--—darum
so kühl und gleichmäßig und ruhig!
Den Namen —— den Namen wissen,
Rechenschaft fordern « aber es war ja
nur ein seltsames Zeichen gewesen als
Unterschrift. immer das Gleiche, wag
irgend einen Buchstaben oder auch ir
gend etwas anderes bedeuten konnte.
Wie schrieb doch-Jener? uYMit Dei- ;
ner jugen, miioen Seerei- Was meinie
er wohl damit? Was wuszze er als ihr
eigener Mann denn eigentlich ·von ihrer
Seel-? Was lann man überhaupt mit
Seele meinen? Was hatte der Fremde
von ihrer Seele gespürt ? Aber hatte
er selbst denn eigentlich darnach ver
langt? Hatte er nicht nur die Gluth
ihrer Küsse vermißt und ihre uner
schütterliche Ruhe beklagt? Was hatte
er nach ihrer Seele gefragt! Der zarte
Zauber ihres Wesens entsprang wohl
ihrer Seele —- aber hatte er jemalLs
nach deni Quell gesorscht, hatte er ihm
irgend welche Nahrung geboten, irgend
einen geistigen oder tieferen Genuß, der
über alltägliche Dinge hinausging?
Hatte er sich je um ihre Interessen ge
tiimrnert, hatte er gefragt, womit sie
die Zeit ausfülle oder ihre Gedanken
und Gesiihle enträthselt, oder sich
Mühe gegeben, in ihrer Seele zu lesenf
Daran hatte er ja nie und nimmer
gedacht. Und ein Anderer war gekom
men irgend Jemand, den sie schon
sriiher gelannt haben mußte —- und
hatte der Dürstenden den Labetrunk
geboten, war eins mit ihr geworden im
Geiste; er hatte vielleicht all’»die Jahre
ihre Seele besessen, und sie ivar viel-«
leicht mit dem Gedanken an diesen
Menschen hinübergegangen in jene an
dere Welt. O, der Thor, der er gewe:
sen war « das Beste an dieser Frau
hatte er garnicht einmal geahnt, und
sie hatte es einem Anderen gegeben und
hatte mit diesem in Welten gelebt, die
, mit der seinen nichts gemein· hatten. --—
Doch vorüber —- vorijber Alles. Ihr
Leben war ihm räthselhast geblieben,
da er es mit ihr theilte —— es blieb so
I nach ihrem Tode. Daran war nun
nichts mehr zu ändern.
Thoeivald lonnte die Stille plötzlich
nicht mehr ertragen, er ging in das
Wohnzimmer, seinen Knaben zu su
chen. Da saß er und las in einem
l Buche und hatte den Kopf mit der
i
l
Hand gestützt, und iiber dem jungen,
reinen Antlitz lag derselbe Ausdruck
und derselbe Zauber. den er an Dora
so unendlich geliebt hatte. Unfähig,
sich länger zu beherrschen, schloß er das
Kind in die Arme nnd bedeckte das
blonde Lockenhaar mit heißen Küssen.
Fred fühlte instinktiv, wie sehr sein
Vater litt, die Thränen rieselten dem
Knaben die Wangen herab, und die
Lippen stammelten ganz leise die bange
Frage: »Nicht wabr, Papa, unsere
Mutter ist nun im Himmel und ist ein
schöner Engel mit großen Flügeln und
einem weißen Kleide?« Da war es,
als bräche dem Manne sein Herz mit-—
tendnrch, und ans den Trümmern stieg
die vollste Zuversicht, und der ganze.
tröstende Glaube an das kam zurück
wag er noch vor Minuten für ewig ver
loren glaubte. »
Wie gebrochen schlug Thorwald die
Hände vor’g Gesicht und schluchzte wild
aus — « hatte er denn immer Alles ge
than, wag ihrem zarten Wesen sympa
thisch war, hatte er denn immer dass
vollste Verständniß für ihre Eigenart
gehabt und zuletzt O hatte nicht aucii
er seine Versuchungen gehabt und war
ihnen erlegen? War das eine Jahr,
was sie mit dem Anderen geistig ver
lebte, nicht vielleicht das einzige gewe
sen, wag ihr das Leben an seelischcm
Glück und Verständniß gebracht hatte?
Und daraus, daß sie dann verzichtet
hatte, ging ja schon hervor, daß sie rein
bleiben wollte und rein geblieben war.
Thorwald sah mit einem Male den
Himmel offen, ein Meer von Licht fiui
thete in die einsame Stube, ein süße-·
Klingen von unirdischen Melodieen
klang ihm in den Ohren, und eine
weiße Gestalt tam und winkte und lä
chelte ihm holdselig zu: seine Dora im
Himmel. -—-- Da sah er die gläubigen
Kinderangen noch immer in stummer
Frage aus sich gerichtet, und da spra
chen seine Lippen, beinahe ohne daß er
sich dessen bewußt wurde, zu seinem
Sohne: »a, Deine Mutter ist im
Himmel!«
«·.--ss
Ein IIkrziilteL
W
Novellette von L a r s D i l l i n g.
-.-.....-—
l.
Herr Bern war Kandidat der Theo
logie und Lehrer an der Bürgerschule
zu S. Daß er monatlich nur hundert
Gulden Gehalt bezog, war allgemein
bekannt; doch daß er ein sehr gefühl
vollcs Herz hatte und an eint-r un
glücktichen Liebe litt, das wußte Nie
mand.
; Wer sie war?
Iphigenia Grynager, die Tochter
aus dem wohlbekannten Hotel gleichen
Namens-.
Fräulein Grynager hatte Musik und
fremde Sprachen gelernt und was sonst
t zu einer modernen Erziehung gehört;
doch von wirthschastlichen Dingen ver
’ stand sie nichts. Das war auch nicht
k nöthig, meinte sie. Fiir Alles derartige
sorgte ja ihre Mutter.
Iphigenia war ein schönes Mädchen
mit goldblonden Locken, himmelblauen
’ Augen und einem Stumpsnäschern Sie
» zählte siebzehm Bern sünsundzwanzig
Jahre·
Er hatte ihr seine Liebe niemals
tund gethan, sondern betete sie aus der
Ferne an, das heißt: er fühlte sich hoch
bealiictL dann und wann einmal einen
freundlichen Gruß von ihr zu erhalten
wenn er sich im Hotel zum Mittagessens
einfand.
Neben dem Speisesaal lag das
Wohnzimmer, wo —- wahrscheinlich
zum Amiisement der Gäste -- Iphige
nia in der Mittagstunde ein wenig zu
spielen und zu singen pflegte. lind es
geschah mitunter, daß der in Tönen
schwelgendc Lehrer Suppe und Braten
vergaß und in seinerZerstreutheit Mes
ser und Gabel in die Tasche steckte
Doch am glücklichsten war er, wenn die
Wohnzimmerthiir spaltbreit offen stand
und ihm die entzückende Aussicht auf
Iphigenia-Z vollen Nacken und lichtgelbe
Haarfiille eröffnete
Eines Tages begegnete Bern beim
Fortgehen Frau Grvnager.
»O Frau Grynager, war das heute
herrlich!« begann er.
»Das Mittag, meinen Sie?«
»Ja, das auch, aber ich denle mo
mentan an den Gesang Ihrer Fräulein
Tochter.«
»Lieben Sie Gesana?«
»O sehr, Madame.«
»Und auch Klavierspiel?"
»Ganz außerordentlich«
»Dann müssen Sie uns einmal be
suchen. Jn einem so kleinen Städtchen
müssen ja gebildete Leute möglichst zu
sammenhalten. Morgen ist Sonntag;
dann kommen stets Bekannte. Besu
chen Sie uns dann auch zur Tasse Kas
see.«
,,Dieser freundlichen Einladung ver
mag ich nicht zu widersteheu,« versetzte
Bern beglückt.
»Also aus morgen,« sagte Madame, ’
während sie der Küche zuschritt. i
U.
Es war ein mächtiges» Wetter nnd
Bern in der dentbar vsgnügtesten -
Stimmung, als er am nächsten Nach- «
mittag das Wohngemach der Madame t
Grynager betrat. Er wurde sogleich’
Iphigenia-s Freundinnen, lauter netten,
jungen Mädchen dargestellt. Iphige
nia aber war die vettörperte holdselig
ieit und Liebenswiirdigteit und noch
1
nie in seinem Leben hatte Bern sich so
glücklich gefühlt.
Doch leider folgte diesem glücklichen
Tag die bitterste Enttiiuschung.
Diese Enttäuschung erschien in Ge
stalt eines eleganten, jungen Mannes
aus der Residenz, eines hübschen Men
schen mit großen, dunklen Augen und
zierlichem Schnurrbärtchen, der über
dies außerordentliche Redegewandtheit
besaß; denn er war Handlung-steilen
der. Nach dem Souper lud er die gan
ze Gesellschaft auf sein Zimmer, wo er
sie mit Torte und Wein trattirte una
den Damen Proben von allerhand kost
baren Seidenstoffen zeigte.
Als Bern sich am folgenden Morgen
wie gewöhnlich ins Hotel begab, stand
die Wohnzimmerthiir wie gewöhnlich
spaltbreit offen, und wie gewöhnlich
saß Iphigenia vor dem Piano, aber »
und das war nicht wie gewöhnlich —
sie saß dort nicht allein.
Stramberg, der Ellenreiter, saß ne
ben ihr und hatte den Arm um ihre
Taille geschlungen.
Bern steckte Messer und Gabel zwar
nicht in die Tasche, aber er hätte sie sich
ins Herz stoßen mögen.
Ill.
Einige Monate später prangte die
lleine Kirche von S. im FestschmucL
Teppiche deckten den Boden und der
Altar war reich mit Grün und Blu
men verziert.
Die Klatschbasen des Städtchens
waren natürlich vollziihlig versammelt
und harrten der Dinge, die da lonnnen
sollten.
Das Erscheinen des Bräutigams-,
» der, Madame Grynager am Arm füh
J rend, gefolgt von einer Anzahl Hoch
zeitsgöstem die Kirche betrat, unter
» brach ihr eifriges Gespräch.
Die Orgel begann zu spielen, und
sei-s
-... cis-— k-« u-(...-.·- --t,-I.:».
Ulls Uslll pr SUIijsU SI.U,IIII »I
Braut, mit einem Gefolge lieblicher
Brautiungfern.
Wie hold und rührend sie aussah in
» dem weißseidenen Schleppgewande und
s dem langen Schleier!
s Der Lehrer war bleich, sehr bleich.
; Beim Eintritt in die Kirche lief; die
IBraut ihr Bouquet fallen. Born hob
: es auf und überreichte es ihr. Ein
kleines Myrthenzweiglein, das sich los
gelöst, behielt er.
Nach der Trauung fand im Hotel ein
großartigeg Feftmahl statt und Abend
brachte der Gefangnerein »Cäeilia« ein-:
Serenade. Kurzurm es ging Allei«
höchst würdig und feierlich zu.
Bern stand in seinem Zinnner.
Durch das offene Fenster fiel silbernes
Mondlieht und beleuchtete einen kleinen
Blumentopf, in den er das Myrtheni
zweiglein gepflanzt hatte.
»Diefer Zweig ist das Bild meiner
Liebe,« flüsterte er wehmuthgvolL
»Nun habe ich ihn in der Erde begra—
ben und doch wird er Wurzel schießen
und wachsen nnd mich durch feine
Schönheit erguicten.«
Er hatte Recht. Die hoffnungslose
Liebe, die er im Herzen begraben, faßt
daselbst Wurzel, wuchs und erfüllte sein
Leben mit poetischem Hauch. Jn sec
nen Träumen fah er das Bild feiner
Geliebten idealifirt, schöner als sie in
Wirklichkeit war, und das verfchaffte
ihm glücklichere Augenblicke, als der
Gegenstand feiner Liebe selbst es viel
leicht vermocht hätte.
Al-« Iphigenia mit ihrem Gatten von
der Hochzeit-steife zurücktehrte, hatte
Bern das Städtchen verlassen-. Er
war in einen sehr entfernten Ort ver
s setzt worden.
, ev.
Siebzehn Jahre sind seither vergan
? gen und viel verändert in dem kleinen
Städtchen.
Madame Grynager hatte schon vor
einigen Jahren das Zeitliche »so-met
und Jphigenia ist Wittwe. Stram
herg, der nach zweijähriger Ehe gestor
ben, hatte ihr ein Töchterchen und eine
Menge Schulden hinterlassen. Nach
seinem Tode war sie wieder ins Hotel
gezogen, dessen Besitzerin sie nach deni
Ableben ihrer Mutter wurde.
Eines Tages saß der Kreis der
Alatschhafen — »die heilige Fahne«,
wie man sie im Städtchen hieß ---— in
einem Kaffeegarten beisammen.
»Habt Jhrs schon gehört?« fragte
die alltoissende Wittwe.
»Was denn?«
s »Daß der neue Pastor angekommen
it.'«
»So! Wie heißt er denn«.2«
,,Bern. Der nämliche Bern, der vor
siebzehn Jahren als Lehrer hier ange
stellt war und damals Iphigenia Gryg
nager zum Altar geführt hat. Bis dag
Pfarrhaus in Ordnung gebracht ist,
wohnt er im Hotel Stramberg.«
Jn der That war Tags zuvor der
neue Prediger angelangt. Aus dem
Wege zum Hotel durchkreuzten so viele
Gedanken sein Hirn, daß er nicht ein
mal bemerkte. daß das Datel feinen Na
men geändert und auf dem Schilde jetzt
mit großen Letteru »Hotel Siramberg«
stand.
Da er Niemand im Flur antraf,
schritt er geradeswegs zum Sucisefazi.
Wie früher stand auch ietzt die Thijr des
Wohnzimrners spaltbreit offen. Er
schaute hinein.
Träumte oder machte er ? Dort am
Piano saß Iphigenia. just wie vor fieb
zehn Jahren. vielleicht etwas schlanler
als damals. sonst aber unverändert
Er strich mit der Hand über die
Stirn.
»Wer mag das nur fein Z« murmelte
er vor sich hin.
»Ist da Jemand ?« klang es aus dem l
gis-THEATERMEIS
TER-ZW- ZEka
Wohnzimmer unb gleich daraus erschien
eine junge Dame in der geöffneten
Thürf
Der Prediger schaute sie betroffen an.
Es war die Geliebte seiner Jünglings
jahre, die vor ihm stand. Sie war es
nnd war es auch wieder nicht. Sie war
schlanker schöner, just so, wie er sie in
seinen Träumen gesel«,.en
»Sie wünschen....?« fragte sie
- böslich
»Jch.... ich möchte gern..«.. ein
einfaches Abendessen und ein Zimmer
Jch bleibe einige Zeit hier. Ich-. . ich
.mein Name ist Bern, Pastor Bern'
,.,Bern U Aber dann sind Sie hier
jc wohl ein alter Belanni-er? . . . · Mut
ter hat oft von Ihnen erzählt. Sie ha
ten sie jl zum Altar geleite t« ’
»So wären Sie also . . .. I«
,,Jphigenia Stramberg, Iphigenia
Grhnagers Tochter.«
So s«
»Aber wollen Sie nicht inc- Wohn
ztmnter kommen Herr Pay tor ? Mut
ter ist augenblicklich ausgegangen, aber
wenn Sie unterdessen mii meiner Ge
sellschaft vorlieb nehmen wollen . . . .«
Während der Unterhaltung erwies
Iphigenia sich als ein liebes ungeliin
steltes Mädchen und nach Verlauf einer
halben Stunde fühlte der Vastor, daß
die Liebe zur Mutter sich aus die Toch
ter übertragen habe. Und diese Liebe
war vielleicht nicht so hoffnungslos s
Nun hatte er ja eine gute Stellung.
Das einzige Hinberniß lag vielleicht
in dem großen Altersunterschiede, aber
so sehr alt war er ja auch noch nicht.
Dann kehrte auch Frau Stramberg
heim
Die Begrüßung war herzlich und die
Unterhaltung bald in oollstem Gange.
»Wo doch die Zeit bleibt !« bemerkte
die Wittwe als Iphigenia für einige
Zeit das Zimmer verlassen hatte »Als
Ec- A; -- c--4«Z »««pi du«-«- »Es in Dienst-«
Isl- s-,I III ssv
Alter. Manv saqt, sie soll inir ausfal
lend ähnlich sehen-«
»Ganz außerordentlich«
»Was solch Mädchen einem doch zu
schaffen macht. I« fuhr die Mutter so: t.
Sie hat schon ziemli ch viel Anträge ge
habt. Dieser Tage hat wieder ein ge
wisser Herr Ferner um sie angehalten.
Ein recht netter Mensch; aber er ist
nur Lehrer. nnd das ist natürlich keine
Partie für meine Tochterf
»Liebt Ihre Tochter ihn Z«
»Nein, natürlich nicht «
»Das ist doch qiir nicht so natiir
lich,« entqignitis dir Bridigir mit isi
nism mitlnstugi von Bittisrtiit, währind
J er sich irhob und seiner Wirthin guti
. Nacht wünschte.
E »O, wariiin bin ich nur in diissin un
seligen Ort ziiriickgetishrtP dachte er
« wahrend er dii Treppe hinanstieg.
X
Die helle Morgisnsonni vercioldeti
I die Blätter des am Fenster disg PastoriJ
stehenden ElltytthenoäumIsnd
; Bern schaute hinaus runtin eilte
« Ginia, frisch, wie dir blühindis Som
L mernioraisn, iieschäfiig hin und her.
Z »Diese Ungewißheit eriragis ich
inicht,« fliistirte isr vor sich hin; »ich
muß sii se bald wie möalich i«s.«ndin
« Er ging hinunter in den Gartin zti
I der Laube, wohin Ginia ihre Schritte
? aelintt. Dort saß sti, eini Hindarbiit
T im Schooß. Bei seinem lssrschisinen
steckte sie hastig einen Brief in die Ta
sche nnd fuhr mit der Hand iiber die
; Augen.
i ,,Thr«cinen ?«
»Ach nein, es . . . es tvar . . . nur
« ·
»in dann-» SO.«-IsI-1«
Dir Prediaer schaute sie eini Wiili
ernst und prüfend an.
,,Vermuthlich eine Lieber-geschichte-?"
meinte er dann.
Ein tiefer Seufzer war die Ani
wori.
»Sollte er Sie betrogen haben?«
»Er? Niemalg!«
»Will Mama es nicht zugeben Z«
»Nein.«
»Dann betrifft es wohl Herrn Fer
ner?«
,,« a. Er ist zwar nur Lehrer, aber
ein so guter, lieber Mensch, und mit
einem Anderen könnte ich niemals
glücklich werden,« erklärte sie unter
hervorstiirzenden Thränen.
»Nun, nun, weinen Sie nicht mehr.
Sobald ich ihn näher kennen gelernt
habe, gelingt es mir vielleicht, Jhrer
Mutter Zustimmung zu erlangen.'·
«Wollen Sie das wirklich thun-M
,,Vielleicht. —- Aber es bleibt vor
läufig unter uns.
Noch am nämlichen Tage machte der
Prediaer dem Lehrer einen Besuch. Er
blieb lange dort. Abends saß er dann
mit Frau Siramberg in deren Wohn
zimmer.
»Werthe Frau,« sagte er, »ich will
Jhnen einmal eine Geschichte erzäh
len.«
»Es war iinmal ein Lehrer. Der
liebte ein ju aes Mädchen Aber er
war arm und ohne nennengnnsrtbe
Aussichten, und daher verschwieg er ihr
seine Liebe und sie heirathete einen ans
deren. Dieser Lehrer war ich. Das
Mädchen waren Sie.«
»Wirtlich? Sie sind verliebt in mich
gewesen ?- «
»Ja, vor langer Zeit. Doch hier-:
iiber wollte ich nun eigentlich nicht re
den. Sie haben eine Tochter ---«
»Sie wollen doch nicht etwa um Ge
nias Hand anhalten?«
»Ja, doch nicht siir mich selbst. Mein
Kandidat befindet sich jedoch in der
nämlichen Lage, wie ich seinerzeit, nur
mit dem Unierschiede, daß er gewagt
hat« sich der Geliebten zu erklären und
er seine Liebe auch erwidert weiß. Sie
wissen wohl, wen ich meine. Meint-s
THE-HIRSCH XII-IT Eis-. Pia HEXE ÆF
-.—.-—-..—·- - ---.·
Wissens ist es ein Mann, gegen den
nichts einzuwenden ist«
»Aber seine Airssichten?«
»Er ist ein tüchtiger Mensch, der
sicherlich vorwärts lemmen wird, und
überdies gedenke ich ihnen — im Falle
sie ein Paar werden —- meine ganze
Habe zu ve.rmache Es ist zwar nicht
viel — einige tausend Gulden —- aber
doch genug, um Jhre Tochter, im Falle
sie Wittwe würde vor Nahrungsqu
gen zu schiitz.-II.«
»Aber, bester Herr Pastor, wodurch
haben die jungen Leute so viel Güte
virdieni ’ Sie kennen sie ja kaum vier
undzwanng Stunden
»Und doch lange genug, um sie gern
glücklich zu sehen. Und daher möchte
ich nun Ihre Zustimmung erlangen.«
»Lassen Sie mir Zeit zum Ueberle
q l’li.«
»Wozu noch viel iibirlegen2«
»Nun wohl, « sagte die Wittwe, wäh
rend sie sich erhob und den Paftor
schaut-oft cmldchelte, »ich wüßte nicht,
was ich Ihnen abschlagen könnte. Jch
will Genia sogleich sagen, daß Sie den
Sieg davongetragen haben.«
Damit verließ sie das Zimmer.
Vl.
Wiederum fand zu S. eine Hochzeit
statt. Der Lehrer Ferner heirathete
Fräulein Stramberg und Pastor Bern
vollzog ihre Trauung.
Er sprach herrlich und ergreifend
über die wahre Liebe, die sich selbst
oerleugnet und llaglos zu leiden weiß.
Es war beschlossen worden, daß
Bern bei den Neuvermählten wohnen
sollte, bis seine eigene Wohnung in
Stand gese t war.
Ehe er sch am Hochzeitsabend in
sein Zimmer zurückzog, übergab er
dem Bräutigam ein versiegeltes Packet.
»Die-H ist meine Hochzeitsgabe, « sagte
er »Doch dürft Jhr es erst nach mei
nem Tode öffnen. Es enthält mein
Testament.«
Dann hoffe ich, daß es noch viele,
hials Ankun- «1Icpblnsson blos-It Si- Is
li,en Gott sei Dank nicht danach aus,
als ob Sie früh sterben wurden «
»Der Tod kommt oft unerwartet.
Mir ist so seltsam zu Muth. ganz so,
als ob ich eine lange Reise unternehmen«
müßte.
Am folgenden Morgen fand man den
Prediger todt auf seinem Bette
liegend, die Hände über der
Brust gefaltet, ein Lächeln aus
den bleichen Lippen. Friedli
cher als in diesem Augenblick hatte er
niemals ausaeseden Neben seinem La
aer stand fein Mnrtlienbäumchenx ein
Zweig desselben streifte sein Kopfkissen.
»Ach, daß er gerade jetzt sterben
nsuß,« schluchzte Genia, »daß er nicht
melsLZeuge unseres Glückes sein kann,
das wir einzig ihm verdanken.«
»Und wofür er vielleicht sein eigenes
Glück geopfert hat,« siigte Ferner sin
nend hinzu.
—— s- --Os.-—--———
Die neuen englischen
M ii n ze n. Aus London wird berich
tet: Wabrscheinlich im März wird das
neue, mit dem Bildniß des König
Eduard Ul. geprägte Geld in Eng
lcno herauskommen Der Graveur der
königlichen Münze, G. W. de Saulleks,
Lsat die Zeichnungen vollendet; die Be«v
hörten beobachten jedoch noch strengste-Es
Stillschweigen darüber. Die Eduard
EIJiiinze wird die erste des- 20. Juli
lfundertJ sein; die Spekulation unser
Saminlern und Nuinismatilern ist da
her natürlich groß. Wahrscheinlich
werden die Brouzemiinzen wie bei der
jetzigen Augaabc aus der Rückseite die
IS -» LfI. --—.—
Ulgut Ule Oususuuu zttgcth Olc Ost-Il
zemiinzen haben eine seltsame Geschichte.
Als Leonard Charleg Wyon seinem Va
ter als Graveur der königlichen Münze
folgte, war die alte Kupferausgave von
1860 sein erster Entwurf. Das Metall
trat ein Amalgam aus Kupfer, Zinn
und Zink, »Schifs und Leuchtthurm'«
uurden zum ersten Mal eingeführt, und
Whon hatte die Kühnheit, seinen vollen
Namen aus dem Rande der Schulter der
Königin verborgen anzubringen. Auf
der Rückseite erschienen die Buchstaben
,L· C. W.« unter dem Schild. Da die
Selbstreklaiue des Künstlers der Köni
gin zuwider war. verschwanden die
Buchstaben les-th. Das bekannte künst
lerische Bild vom »Heiligen Georg uno
veiu Drachen« wird wahrscheinlich bei
der Golotniinze Eduardg Vl·l. beibe
halten werden. Es erschien 1817 zuerst
und stannnte vou Pistrucci, dem Gra
i rcur Georgg lll. und Georgs Vl.
i
Abgebrannte Abgeordne
’ te. Nach Meldung aus Budapest müs
sen sich unter den ungarifchen Abgeord
neten, die tiirzlich gewählt wurden, eine
« ganze Anzahl start verschuldeter Perso
nen befinden. Während nämlich das
Parlamint noch nicht einmal zusam
mengetreten war, waren bei der Kasse
des Abgeordnetenhauses bereits eine
Masse-von gerichtlichen Verfügungen,
betreffend die Veschlagnahme der Be
ziige einzelner Mitglieder, eingelaufen.
Er meinte nicht den Kai
se r. Folgende Anetdote aus den oft
preufzisclzen Kaisettagen wird von Oh
renzeugen erzählt: Als der Kaiser mit
rer »Hol«,·enzolleru« Pillau verließ, wur
die die Yacht durch einen Lootsen durch
das Pillauer Tief geführt. Beim Los
tveifen der Bugsirtrossen schien der die
»Hok,enzollern« begleitende Seelvotfe zu
fürchten, daß die Schlepper vergessen
hätten, ihn nach Pillau mit zurückzu
nehmen; er rief deshalb von der Kom
mandobriicke der Yacht dem Einen der
Kapitäne zu: »He. Wilhelmt« worauf
sich der Kaiser nach dem Rufet herum
drehte und lachend zu seiner Umgebung
sagte: »Meint er mich?«