Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 06, 1901, Sonntags-Blatt, Image 11

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    Eise tin-, tin-He Haut-.
Von S.Barinkav.
Eine liebe-. linde Hand
älnnn sm- tiiele Wunden lteilenf
lsllnckliett, wer ein Wesen fand,
Lein nnd Pein nnr ilsni in theilan
Eine liebe-, linde Hand
For-le alle Erdenfrendcih
can-or irrte-, das-, im Unverstand
Wir nnm Zeit nnd straft vergeude-il
Tat-um aclne Gold nnd Tand
Nicht zu ltocti in dieiern Lotsen ..
Eine liebt-, lind-: Hand
Zollft vor n rein dn erstrebt-its
-4»...«—
Das Ehrengefchenl.
Humoresle von Friedrich Thieme.
Der Schriftsteller Apollonius Roo
bett, Verfasser zahlreicher durch
fcharfsinnige Erfindung ausgezeich:
neter Krirninalromane. feierte fein
fünfunbzwanziges Berufgjubiläuni.
Von allen Seiten regnete es Gratultr
tionen und Gefchente, nur die Staats
behörden nabmen, wie dies inDentfch
lano Schriftstellern nnd Publizisten
gegenüber gebräuchlich, von oem
Ehrentage leine Notiz. Es war gegen
zwölf Uhr Mittags-, der Strom ver
Gratulanten hatte fich verlaufen, und
Apollonius Roobert saß in feinem
Solon, mitten in einer Laube von
Blüthen und Blaltpflanzen und inn
geben von einem ganzen Museum von
silbernen Löffeln, goldenen Tassen,
Cigarrenetiris, Stickereien, Vorkom
feln, Gemäloem Photographien n. f.
w» noch ganz athemloes von ven Reden,
Die er gehalten nno angehört hatte,
nnd ließ den Blick fchmunzelnv und
beseligt über all vie Herrlichkeiten hin
fchreiten, als Das Mädchen eintrat und
einen lHerrn inclcete, der ihn zu fprei
chen wünsche
Natürlich war er angenehm, und
aleich darauf trat er ein« ein elegant
getleideter Herr von aristotrattsiyen
Alliirem dem ein Dienstmann ein gro
ßes, sorgfältig verschnürtes Patet
nachtrug. Der Träger stellte seine
Last auf einen Stuhl und entfernte
sich, der Fremde aber schritt mit höf
licher Verbeugng auf den Jubilar zu
und hub un:
»Mein Name ist Schulze. Gestatten
Sie mir, Ihnen die Glückwiinfche
ein-es Ihrer eifrigsten Verehrer darzu
bringen, der Ihnen nicht nur manche
genußreiche Stunde verdankt, sondern
auch noch in anderer Weise zu hoher
Dantbarkiet verpflichtet ist. Erlau
ben Sie mir, Ihnen als Ausdruck
mseiner Bewunderung und Dankbar
teit dieses bescheidener Geschenk zu
überreichen.«
Der Jubilar, tief gerührt« ergriff
idarcn die dargebotene Hand.
»Herzlichsten Dank siir Ihre lie
benswürdige Absich:. Ich habe ja gar
nicht die Ehre, Sie zu kennen, und
weiß wirklich nicht« wodurch und in
welcher Hinsicht eg mir gelungen ist,
Sie zu besonderm Dante zu der
pflichtm«
»Und doch ist es der Fall,« erwi
derte der Besucher begeistert. »Ich der
dante Ihnen viel, ja eigentlich alles,
was ich mein nenne ----- erzeigen Sie
mir die Ehre, meine tleine Gabe huld
reich anzunehmen, Sie werden in dem
beiliegenden Briefchen alle nähere
Aufklärung sinden.«
Apolloniug accepiirte in liebens
iviirdigster Form, und der Fremde
empfahl sich niii höflichen Worten.
Neuaierig öffnete der Jubilar so
gleich das Paket, und siehe, der herr
lichste uno tostbarste Taselauisatz
blitzte ihm entgegen, den seine Augen
je bewundert hatten. lsine Arbeit in
reicher Vergoldung, eine sinnige Lllle
gorie darstellend, mit wahrhan kunst
vollen Figuren und zierlichen Säulen
aus gediegen silberner Unterlage
das Herz lachte ihm im Leibe, er rief
unverzüglich seine Frau und seine bei
den Töchter herbei, und alle drei ju
belten laut vor Enthusiasmus und
Verzückung
Dbenan lag ein isouveru der Judi
lar risz es auf -- aber siehe, beim
Turchlesen besivölkte sich seine Penta
stirne.
»Was gibt’g denn, Männchen?«
»O« dies ist ein seltsamer Vorfall!
Hört einmal. wag hier geschrieben
steht: »Hochverehrter Herr! Empfan
gen Sie anbei ein kleines Ehrenge
schenk mit der Versicherung meiner
glühendsten Dankbarkeit Jch bin von
Beruf, was man einen internationalen
Spiyhuben nent, habe in meinem
Gewerbe glänzende Erfolge aufzuiveis
sen und bin stets glücklich den sahn
denden Händen der Polizei entgangen.
Alles das s— meine Erfolge, meine
bisher unangetastete Freiheit ver
tsanle ich der Lektiire Ihrer ausge
zeichneten, geistvollen Romane. Ich
war stets der Erste, welcher ein Exem
plar eines neu erschienenen Wertes
aus Jhrer Feder erwarb, und indem
ich ohne Verzug die von Ihnen erson
nenen Kunstgriffe zur prattischen An
wendung brachte, gelang es mir nicht J
nur, mir im Lause der Jahre ein an- j
sehnliches Vermögen zusammenzustehs l
len, sondern mich auch stets der Ber
solgung zu entziehen. Jn Jhrer
Schule bin ich geworden, was ich bin,
Ihre-nf Unterricht danke ich meine Ge
schicklichkeit. Es ist daher nicht mehr
als billig, daß ich darnach trachte,
mich zu revanchiren, indem ich Jhnen
Aufmerksamkeit erweise, indem ich
Sonntags - CElsttt
Beilage des ,,Ncbraska Staats-T)luzeigcr und Herold«. ,
;
J. P. Windolvh, Herausgehen Grund Islanty Nebr« den di. Tec. 1901 Iahkgjnig ZZNIL Hf
I
)
.nung Ausdruck gebe, daß Ihrer
Spenderg nicht tennen,« seufzte Apol
ans aufrichtiaeni Herzen der Hoff
scharfsinniaen Feder noch recht viele
Romane von gleich werthvoller Erfin
dung entflieszen möchten. Jn glühen
der Verehrung und Bewunderung Jhr
ewig dankbarer Friedrich Schulze, in
ternationale Hochstapler.«
Das war ein talter Wasserstrahl
auf den Enthusiasmus der Beschauer-,
der Jubilar selbst war recht tleinlaut,
und man erörterte die Frage, wag in
diesem Falle zu thun sei.
,,Zuriictgeben tönnen wir das Ge
schenk nicht, da wir die Adresse des
loniuS, »das beste wäre wohl, die
Gabe der Armenkasse zur Verwer
thung für wohlthätige Zwecke zu über
weisen.«
»Aber es ist ein so wunderbarer
Tafelaufsatz,« slötete Olivia, die äl
teste Tochter. »Es wäre schade da
ruin!«
»Wir brauchen ja niemand von detkn
Ursprung des Geschenteg etwas zu sa
aen,« warf die Mama mit einem bit
tenden Blick auf den Gatten ein.
»Und wenn die Sache dann doch
heraustomtnts Dann sind wir un
sterblich blamirt.«
»Ach, sie kommt sicher nicht her
au5!«
»Bebalte ihn doch, lieber Papa.«
»Es ist die tostbarste Spende, die
Du erhalten hast.«
So redeten die Damen hin und her,
sie vereinigten ihre Bitten Und Lieb
tosunaen, bis der Papa schließlich
balhnackmpbenn sann-? So will irb
ieuch einen Vorschlag machen- Wir
! acceviiren das Geschenk und um einer
I möglichen Blamsage zu entgehen, lese
i ich heute Abend unseren Gästen den
I Brief selber vor als einen ausgezeich
neten Witz, ben sich ein Verehrer und .
Freund an mir erlaubt hat.«
»Ja, ja, Du hast recht, so soll es
sein!«
Der Abend lam, und mit ihm die
zahlreichen Gäste, welche der Schrift
steller zur Feir seines Jubiläumg ge
laden hatte. Unter allen Geschenken
ragte der Tafelaufsatz, welchem der
lihrenplatz auf der Tafel angewiesen
war, königlich hervor, er erntete die
meiste Bewunderung der Jubilar und
seine Damen strahlten im Entzücken
des Besitzer-, ein Dutzend ber Gäste
plagten fast vor Neid, und alH nun
Apolloniug Die Geschichte der reichen
Spende zum besten gab und das Bi
let vorirug, wurde der Scherz mit un
aeheurem Beifall und fröhlichem Ge
lächter begrüßt.
Da erhob sich plötzlich einer der tite
ladenen, Der Rechtsanwali Plaido
riuo, und sagte: »Lieber Freund, der
Aussatz ist allerdings ein Meisterwerk
der bildenden Kunst, aber es ist Zu
fall oder Tücke, er besitzt eine auffäl
lige Aehnlichkeit mit demjenigen, wel
cher in derslossener Nacht dem Regie
rungspriisidenten d. Steifhals gestoh
len morden ist.«
«11nmöglich," rief Apolloniuc3, un
ruhia werdend.
»Veraleiche doch selbst einmal
Das entwenden-Kleinod ist ganz detail
; lirt in der polizeilichen Belanntma
Jchung der heutigen Abenbzeituna be
schrieben, worin vor dem Ankauf ge
warnt tvird.«
Der Anwalt zog die Zeitung aus
Ver Tasche. Er las mit erhobener
Stimme die einzelnen Ertennunggzeis
chen vor und sie fanden sich sänimtlich L
—.. -- ist ----- kx-—l .-.---..
Ull Uclll Uc,l-IIIHLIU,IIII lUIFULt
»Kein Zweifel, er ist eg,« betonte
der Anwalt.
»Aber Herr Rechtsanwalt, es giebt
sicherlich noch mehr Tafelaufsätze die
ser Art,« machte Frau Rodbert den
Versuch, ihr kostbare-Z Eigenthum doch
noch zii rekliimiren.
»Woh! möglich — -- doch hier ist noch
ein Umstand angeführt, der zur siche
reii Erkennung des Diebstahlobjektg
dient. Der gestohlene Aussatz enthält
in seiner Mitte eine goldene Kapsel,
die sich öffnet, wenn man iiiis den
Knopf der Arnispange der die Tanz«
tiinst versinnbildlichenoen allegori
scken Figur driickt.«
Zosort brachte der Jubilar die an:
gegebene Manipulation zur Ausfüh
rung, und siehe die Kapsel sprang
wirklich iiiis und ein kleiner Zettel fiel
heraus, deii der Rechtsanivalt aus
nahm und mit lauter Stimme vor
lag:
,,Diesen Tiiselaiisscitz habe ich, um
Jhiten eine iini so größere Ehre zu er
weisen, unter Benutzung des Kunst
grisss gestohlen, welchen Sie in Ihrer
neuesten Kriminalnovelle geschildert
haben!«
Schüler: »So ein Unsinn, sich im
mer «mit der Weltgeschichte abplagen
zu müssen; fertig wird sie ja doch nie!«
Seheud im ewigen Dunkel.
Erzählung von G e o r g E n g e l.
1.
Präsident: »Der Angeklagte ist her
einzuführen«
Und von zwei Gerichtsdienern sorg
fältig unterstützt, schreitet ein kleiner,
weißhaariger Herr in den Schwinge
richtssaal und läßt sich dann langsam
nieder. Das glattrasirte, vornehme
Antlitz, dessen weiche Züge die gute
Erziehung verrathen, trägt er hoch
aufgerichtet.
Ein Murmeln geht durch den Saal,
dann wird es wieder todtenstill.
»Der Mann ist blind,« sagte der
Präsident und schließt unwillkürlich
die Augen, und während fein Wort
verklingt, schauert unten auf der Bank
der Zeugen ein junges-, Mondes-» ganz
in Schwarz qetieioetes Weib ängstlich
zusammen, und ihr scheuen-, hilsefle
hender Blick heftet sich minutenlnng
aus den renunqglosen Greis dort oben.
Jmmer schneller schlägt ihr Herz, dass
wilde-, ungestüme in ihrer Brust, im:
mer mehr Augen scheinen sich auf sie
zu richten, und immer räthselhaster
sprechen die todten Sterne deg Blin
den zu ihr.
Ih- »xc» Ists-nig-. n. --—4«-s».:-IJ Is
v-» sysu ssq ------ , su- nasses-ON
eine ruhige, llare Stimme.
Präsident? »Sie sind der Senator
Karl Christoph Valenus".3«
Der Angeklagte: »Ja, Herr Prä
sident.«
Präs.: »Wie alt?«
Angetl.: »Es Jahre.«
Präs.: »Sie sind blind?«
Angetl.: »Ja."
Präs.: «Können Sie sich erinnern.
wann Sie dieses Unglück traf?«
?lngetl.: »Vor zehn Jahren.«
Präs.: »Eben so lang-.- sind Sie
auch verheirathet?«
?lnqetl.: »l5ben so lange«
Präs.: »Jhre Gattin war die Toch
ter Jhree besten Freundes-. Jch lese
aus Ihren Alten, dasz Sie oon der
Dame während Jhrer langen Kranks
heit gepflegt, baß Sie Dieselbe dann
qeheirathet nnd in glücklicher, unge
trübter lfhe gelebt haben?«
« Tag schöne blasse Weib nus der
Zeugenbanl lehnte sich entlriiftet ;uriirl
und schließt die Augen. Etwas, wie
eine Lähmung rinnt durch ihren Kör
per, und nur noch wie durch einen
Nebel hört sie die Stimme ihre-J Gat
ten
»Ja. Herr Ptiisid ee ist alles-,
wie Sie sagen.
Präs: ,,21ngetlaqter, Sie, bisher
einer der hochqeachtetsten Männer der
Stadt, stehen hier vor den Geschwores
nen, um sich wegen Todtschlageg zu
verantworten. Eines Abends haben
Sie sich selbst dem Untersuchung-Stich
ter gestellt und bekundet, ’daft Sie Jl)
ren jungen Freund, den Baan von
Liebritz, während er mit Ihnen speiste,
hinterrücks erschaffen hätten. Damals
berweiaerten Sie jede Aufklärung
iiber diesen räthselhnften Fall. Be
harren Sie auch heute noch bei Ihrem
Schweinen s«
Angeli. lfestti »Ich habe die Tth
auf mich nenommem Herr Präsident
Alles weitere überlassen Sie mirs
Platz ,,;«lngeuaaier, naben Sie nat
auch die Folgen Jltreg lfittsiitlussecs
klar gemacht? Wenn Sie nnss den
Schleier nicht liisten, wenn wir nicht
etwas iiber die Motive erfahren, die
Sie zu Jlsrer unseliaen That aetrie
ben, dann, Herr Balenu5, mus; der
Spruch verlränanißooll siir Sie fallen.
Aber noch einmal lassen Sie sich er
mahnenk Alle sind überzeuai, das
tiefinnerliche Gründe regsam gewesen,
daß es vielleicht sogar ein mißverstan
denes Gebot der Ehre war, welches-«
Sie beherrschtr. Herr Senator, Sie
sind erblindet, keine Farbe leuchtet Ih
nen, ewiae Nacht unigiebt Sie, ein
solcher Mann greift nicht aus« gemei
ner Mordaier zur Wasse. Sprechen,
erklären Sie s-—«
Angekl. (unsichers: »Sie werden
Nichts weiter erfahren, Herr Präsi
dent. Ich bitte Sie noch einmal, koni
inen Sie zum Schluß.
Dann spricht der Vertheidiger, kurz
und knapp, der Staatsanwalt, die Ge
schworenen ziehen sich zurück nnd
schreiten dann langsam wieder in den
Saal. Der Obmcinn verliest das Ur
theil:
»Schuldia — mildernde Umstände
sind zugebilligt.«
Und »schuldig, schuldia,« lreischt es
wie mit tausend Stimmen vor den
Ohren der blonden Frau dort unten.
Mit weit geöffneten Augen starrt sie
aus das silberne Kruzifix. Nein, das
ist nicht mehr der Widerschein des
flackernden Lichtg, der Heiland bewegt
sich und schüttelt die Faust gegen ste,
und vom Kreuze dröhnt es: »Schul
dig, schuldig.«
Präsident: »Der Angeklagte ist zu
zehn Jahren Zuchthaus verurtheilt.«
2.
Fünf Jahre oerstrichen, da erhielt
der Landesgerichtspräsident eines Ta- »
ges einen berste-gelten Brief aus dem
Zuchthaug zu N. Er enthielt die lurze
Mittheilung des Anstirltsdireltors,
daß vor wenigen Tagen No. 54, der
ehemalige Senator Valenug, gestorben
sei. Unmittelbar vor seinem Hinschei
den habe er einem Beamten das bei
folgende Schreiben siir den Präsiden
ten dittirt:
»So ist Alle-J gekommen!
Es ist lange, lange her, wohl fünf
zehn Jahre. Jch erwachte und rieb
mir die Augen, aber seltsam, Alles
blieb Nacht, und doch wußte ist, es
mußte Tag sein. Jch griff an mein
Bett, es war da — ich tastete nach
meiner Uhr, sie lag an ihrem gewohn
ten Platz und tictte rasch und laut —
hastig wars ich mich tvieber in die Kis
sen und preßte meinen Kopf gegen die
Wand. Noch immer glaubte ich, das;
Alle-Z ein häßlicher-, schwarzer Traum
sei, allein während ich Die Augen ge
schlossen hielt, pochte mein Herz so
wild, so ängstlich, das-; ich nach kurzer
Zeit in die Höhe fuhr. Wieder Nacht,
aus-« der Nichts emportauchte. Einen
Augenblick blieb ich ganz still. Es
mußte ja wiederkehren, dag sehnsüch
tia erwartete Licht, ich fühlte ja seine
Wärme, empfand ja, daß leuchtende,
heiße Sonnenstrahlen aus meiner
Wange spielten. Bevor ich mich gestern
zur Ruhe gelegt, hatten Gäste bei mir
geweilt. -——- Jch wußte es ganz genau,
ich hatte sie doch aeseben mit beiden
Augen erfaßt, meinen alten Freund
und Lilli seine Tochter! Lilli hatte
ein blaues Kleid getragen. Also blau!
Dch mußte es doch gesehen haben, dasz
eg- blau war. O, wie mich diese Er
tenntniß beruhigte! Wenn ich gestern
noch die Farben unterschied, dann
mußte mein jetziges Unoermögen ganz
natiirliche Ursachen haben. Gewis-«
ich war nur früher erwacht, und es
war noch Nacht; eine ganz besonders
finstere, undurchdringliche Nacht!
Da durchzuckte mich ein schrecklicher
Gedanle. Jch will Licht anziinden -
Ita, das ist es- ——- Licht -- dann werde
ich sehen. Zitternd tastete ich nach dem
Leuchter. Ich rifs ein Streichholz an,
es ;erbrach. Das zweite flammte auf.
Woher wußte ich dag! Weh -- ich
sah es nicht, ich fühlte ja nur die tleine
Flamme, fiihlte sie, bis sie mir den
Finger verbrannte. Bewußtlosi ris-,
ich noch eine an, und noch eine-, die
ganze Schachtel brannte, und Doppelt
start stieg mir der Geruch des oersenas
ten .5;-lee5 in die Nase.
Eine unaeheure Wuth packte mich,
Ich springe ane- dem Bett, werfe mich
mitten aus den Estrich und ich schnelle
wieder empor.
Nacht, Nacht. Nacht —
Ich schreie, briille ftundenlana, end
lich fahre ich wieder empor, ich fühle,
das-. eine weiche Hand auf meiner
Ztirn ruht und höre oon einer Stim
me zum ersten Mal dac- entscheidende
Wort: »Er ist blind.«
s
»
Sie sasz neben mir. —s—— Zwei Mo
nate hatte ich getobt und aeraft, jetzt
erwachte ich zu neuem Bewußtsein
Lilli saß neben mir, als das heftiae
Fieber oon tnir entfloh. Sie beuate
sich iiber mich, und plötzlich umfina
ich sie und drückte sie schluchzend an
meine Brust. O, ich toar ein rasender,
wahnwitziaer Thor! Kurz oor mei
nem llngliict hatte ich mich mit Lilli
oerlobt, jedoch war ich Egoist genug,
ihr Opfer anzunehmen.
Es war in dem großen, schönen,
tiefen Garten, hinter meinem Haufe.
Das erste Mal saß ich wieder in dem
rohrgeflochtenen Stuhl und lauschte,
wie die Nachtigallen fangen. Und
wieder saß Lilli neben mir und
ihre Hand ruhte in der meinen. Da
kam noch einmal die Erlenntniß über
mich:
Verlaß mich, Lilli, Du bist fo schön
und jung und ich bin ein blinder
Greis geworden. --—- Jch will Dein
Opfer nicht«
Sie driiclte mir die Hand und
schwieg.
»Du kannst mich ia nicht lieben,
Lilli.«
Sie warf sich an meine Brust und
ichlnchzle laut: »Mitleib fiilile ich mit
Dir, qrenzenlofeg Mitleid, das mir
das Herz zerreißt -- ich kann Dich
nicht lassen.«
Da triumphirte ich, ich Thor, der
ich Das Lebende an Das Starke leiten
wollte-. Jch Thor, ich Thor — ich
war blind!
4.
Die Jahre schlichen Dahin und aus
Nacht und Nacht ward für mich jeder
neue Tag. Einsam lebten wir in Dem
großen Hause, nur zuweilen besuchte
uns der junge Baron Liebritz, ein
Gutsbesitzer, mit dem ich geschäftlich
l
verbunden war. Am meisten entzückte
er mich durch sein prachtvolles sonores
Organ, und so geschah es, das-, er mir
vst Stunden lang vorlesen mußte.
Eine Zeit lang kam er täglich, dann
seltener, zuletzt blieb er gänzlich aus.
Jetzt erst, nachdem ich ihn nicht mehr
bei mir wußte, empfand ich eine starke
Sehnsucht nach ihm, und eg drängte
mich, wenigstens viel von ihm zu
sprechen
«Lilli, beunruhigt Dich dieses selt
same Verschwinden nicht auch?« fragte
ich eines Tages meine Frau, die
scheinbar mit irgend einer Arbeit be
schäftigt am Fenster saß.
Sie antwortete nicht gleich, dann
aber sagte sie ruhig:
»Nicht doch, Christoph, er wird be
schäftigt sein.«
Allein ich war noch nicht befriedigt,
sondern mußte mich noch länger über
meinen Freund unterhalten.
»Er ist ein schöner Mann, Lilli?«
fragte ich weiter, »nicht ivahr?«
Sie antwortete immer mit der glei
chen Ruhe und Güte.
»Ja, er ist sehr schön, Christoph·«
»Wie kommt eg, daß wir noch nicht
darüber sprachen; gefällt er Dir
denn?«
Jch hörte, daß sie ihre Häkelei »zu
sammenpackte und gleich darauf ent
gegnete sie rasch:
»Mein Urtheil ist ja nicht mask
aebend; aber auch ich halte ihn fiir
einen achtungswerthen Charakter und
freue mich namentlich, wenn Dir sein
Umgang zusagt. Vielleicht kommt er
auch bald wieder.«
Fast schien sie eg geahnt zu haben.
Schon Nachmittags, alg ich aus dem
Trital »macht- Mai-htt- icsb hi
Stimme des Baron-Z zu vernehmen.
Freudig ries.ich ihn, allein nur Lilli
lockte mein Ruf herbei, welche mir ver
sicherte, daß ich mich getauscht haben
müsse.
Am Abend kam er wirklich.
Meine Frau hatte schon vorher über
stopfschmerzen getlagt und sich zeitig
iuriictgezogen So waren wir allein.
Er setzte sich inir gegenüber und such e
sein langes Aus-bleiben zu entschuldi
gen.
»Geschäft-: leere Etliissfliichie,«
spottete- ich d tonlich, »Sie haben sicher
lich Jhre Zeit besser angewandt —
vielleicht ist ei gar eine Liebe?«
Der Baron schwieg einen Auan
blirt dann gab er unsicher zu:
»Ja es ist eine Liebe, Herr Sena
tor!«
,,Also doch ——-« Jch lachte über
meine gute Idee und verspottete ihn
nach Kräften Endlich fragte ich,
warum er mich, seinen Freund, nicht
schon früher ins Vertrauen gezogen
hätte
»Weil es eine gefährliche Neigung
ist« gab er zuriict und seine tiefe
Stimme bebte --—, ,,e5 betrifft eine
verheirathete Frau «
Jch fuhr aus »Aber sind Sie denn
toll, Baron? Und dasz oertiinden Sie
so offen? Hoffentlich weis-, doch die
betreffende Dame noch nichts ovn
ihrer Liebe?«
»Ja, sie weiß eg
»Und sie liebt Sie svieder?«
»Ja, ja!«
»Und s-—--?«
,,Weiter nicht-M brach er ab unI
erhob sich »Wir wollen wieder zu
unserer Lettüre zurückkehren« Spä
ier als gewöhnlich verließ er mich.
Allein, ich fand auch auf meinem La
«
get reine mune, nnmer wieder ver
folgte mich der Gedanke an Die selt
same Eröffnung meines Freundes-,
und noch unausgesetzt durch ihn be
schäftigt, saß ich am nächsten Morgen
am Kaffeetisch Ein höfeg Geliist
reizte mich, mich mitzutheilen Lillc
ineilte wieder an ihrem gewohnten
Platz, ali- ich das- unselige Wort an
hob:
»Jetzt weis; ich, warum uan der
Baron so lange vernachlässigte. tkr
liebt eine verheirathete Frau! Hättest
Du das geglaubt, Lilli«?«
Etwa-J stlirrenoeg fiel zu Boden.
ich erschrak, und ich fühlte förmlich,
wie sie mir in die leeren Augensterne
blickte. Dann stammelte sie etwa-J
und huschte an mir vorüber. llnD
durch die Flucht Der weiten Zimmer
hörte ich deutlich, wie eine weibliche
Stimme tief und leidenschaftlich aus
schluchzte Aber nein, ich mußte
mich getäuscht haben, denn schon nach
wenigen Minuten lehrte sie zurück,
setzte irgend eine Erquickung vor tnir
nieder und vermochte über meine Mit
theilung zu scherzen· Erst als der
Diener mit den Zeitungen erschien, er
hob sie sich und schritt in den Garten
hinab.
Jch blieb mit meinem alten Auf
wärter allein. Mir war so seltsam
ruhig zu Muthe, und doch rieselte mir
Etwas talt den Rücken herab, und in
den Augen brannte Etwas-, entsetzlich,
quälend, wie glühendes Blei. Jch
W
konnte den Gedanken nicht los wer
den, er peinigte mich, sie hatte gie
schluchzt. Und dann kam die »Ent
scheidung Jch rief meinen Diener,
gab vor, der Baron hätte wegen ir
gend eines verlorenen Gegenstandes
geschrieben und bat ihn, stch zu erin
nern, wann mein Freund zuletzt da
gewesen.
»Aber Herr Senator,« sagte der
Alte lächelnd, ,,ler Baron kommt doch
fast täglich.«
,,Täg——?« ich begann plötzlich so
laut zu lachen, daß der Diener um
mich besorgt wurde, aber ich beruhigte
ihn und schickte ihn fort.
Nachmittags fand ich nach langem
Umhertasten in meinem Schreibtisch
den Revolver, der schon seit Jahren
geladen an seinem Platze tag.
Gegen Abend klagte meine Frau
plötzlich über erneute Schmerzen und
zoa sich wieder zurück. Eine halbe
Stunde daraus tam ,,Er«.
Der Diener stellte uns eine Lampe
aus den Tisch und der Baron setzte
ohne weisere Einleitung seine gestrige
Vorlesung fort. Schon gegen zehn
llhr erhob er sich und wollte sich kurz
oerabschieden. Jch hielt ihn zurück;
jetzt mußte es geschehen!
»Warum berauben Sie mich so früh
Ihrer Gesellschaft?« sragte ich, mich
gewaltsam beherrschend, »aber müssen
Sie etwa zu jener Dame?«
Jch hörte seinen raschen Athemzug,
dann sagte er heftia —--s ,,Errathen!«
»Werden Sie ertvartet?« Jch klam
merte mich dabei an den Tisch fest und
merkte, wie die Lampe auf dein Holze
«s,urcric.
,,Ja,« sagte er unsicher. »Zum
ersten Mal ——-«
Eine Spanne Zeit blieb es still
zwischen uns Beiden, dann streckte er
die Hand geaen mich aus und wünschte
mir ruhig »Gute Nachtt«
Nun würde er gehen! Langsam er
hob ich mich und stieß absichtlich das
Buch zur Erde.
,.Heben Sie es aus-« befahl ich kurz.
Willig bückte er sich danach, und
gleichsam zum Dank klopfte ich ihm
leise auf die Schultern. »Wie einen
breiten Rücken er hat,« dachte ich noch,
dann drückte ich los — —- —
si- -s· si
,,Meine Tage gehen zu Ende. Jch
sterbe im Zuchthau5. Jetzt erst weiß
ich eg, die Menschen sind Alle blind,
erst der Tod macht sie sehend!«
——..—-..
Wie lange lebt ein Hinqerichtetert
Bielfach ist die Frage aufgeworfen
worden, wie lange nach Bollzug des
Hinrichtunggakteg noch das Bewußt
sein im Körper des Gerichteten lebt.
Auf eine merkwürdige Weise hat der
französische Gelehrte Belpeau dieFort
dauer des Bewußtseins nach der Guil
lotinirung festgestellt. Er besuchte den
zum Tode derutheilten La Pommeray
in seinem Gefängnisse Und bat ihn,
der ebenfalls Arzt war, um folgendes-:
»Ich werdr Jhrer Hinrichtuna beiwoh
nen. Wenn dag Fallbeil gefallen sein
wird, werde ich sofort Ihren Kopf er
fassen, und wenn Sie dann noch einen
Schimmer don Bewußtsein haben, so
wenden Sie Ihren Blict mir zu.« Der
Berurtheilte versprach, die Bitte zu er:
füllen, und in der That sollen sich, als
Belpeau sofort nach der Hinrichtung
den ston deg Gerichteten aufhob, ihm
die Augen dieses Kopfes zugewendet
haben... Ein Verbrecher wurde in
Piemont garrotiert, kam aber wieder
zu siclz und wurde schließlich begnadigt.
Als man ihn frug, was er gespürt ha
be, sagte er: »Eure-n starken Schlag
und dann nicht«- mehr.«
Bor zwanzig Jahren lebte in Bar
eeldua ein französischer Flüchtling, der
in Utarseille als ziommuuard zum
Lode verurtheilt und erschossen wor
den war. Illig die Soldaten abmari
schirt waren, bemerkte der Etationås
chef des Bahnhoseh an dessen Mauer
man die Berurtheilten gestellt hatte,
daf; einer sich noch bewege; er schaffte
den Mann in seine Wohnung und dort
wurde er wieder in’g Leben zurückge
rufen. Lllg man ihn später fragte,
wag er empfunden habe, saate auch er
dasselbe lvie jener in Piemont Gardi
tirte: ,,Einen starken Schlag und
nichts Iveiler.« Jnteressani ist, daß
dieser Mann in Barcelona von einer
Pension lebte, die ihm ein französischer
Ztaatkniantn ve la Gueronniere, aus
zahlen «ies3. Als dieser Staatsmanm
Damals französischer Botschafter in
KonstantinoveL während des Krieges
von 1870 in Marseille landete, wollte
ihn der Pöbel li)nchen. Ein Unbekann
ter aber stieß ihn gegen eine offene
Thür, die er hinter ihm verschloß.
Dieser Mann ivar der in Marseille
zum Tode verutheilte Feommunard,
dem de la Gneronniere ans Dank fiir
diese Rettung eine lebenslängliche
Pension augsetzte
--. ,- ..
Eine heitere Kriegsgeschichte aus
dein Transvaal erzählt die »Deutsche
Zeitung fiir die Niederlande«: Jn
der Nähe von Felertsdorp im Trans
vanl wurden vierzehn Mann des 13.
Englischen Husaren - Regitnents von
Den Vuren gefangen. Da die Buren
an Kleiderinangel leiden, wurden den
Gefangenen diesUnisornien bis auf
das letzte Stück Wäsche abgenommen
nnv vann wurden sie in das englische
Lager geschickt. Am anderen Tage
wurden 48 Mann desselben Regimentö
Italien in Gebrauch gekommen zu
rächen, doch auch diese fielen in einen
Hinterhalt und erlitten vasselbeSchick
sal lvie ihre Waffengenossen. Seitdem
wird das 1:-3. Englische Husaren-Re
giment nur noch dag »Regiment der
Adamiten« genannt.
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