Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 29, 1901, Sonntags-Blatt, Image 16

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    un Ein no
Einkgell den« jjchmgirewässo
Roman von GeMUde INDEM
Autokistrte deutsche Uebersetzung von A WITHan
(5. Fortiesungd
»Sie scheinen meine Tante Mar
· aret wirklich lieb zu baben,« äußerte
ätzmesca wie sie mit Bettn in deren
lafzinnner saß und sich vie Haare
bösftete
Es war unmöglich, sich einen au
genfälligeren Gegensas zu denken, als
den zwischen den beiden Mädchen. Jn
tärem Bestreben, ihrem königlichen
Gaste rechtschaffen die Irr-its zu
machen. hatte Betty siir concesca ei
nen feinen, mit guten Spähen gar-nir
ten Battistsrisirmantel herbeigebolt.
Sie hatte ihn nach einein Modell in ei
nem Mobejournal angefertigt; bie
uthaien batte Frau Revelswortb ge
spendet Die Eleganz und Kostbarkeit
von Francesca’s Toilette erreate die
Vewunderun ber einfachen. bescheide
nen, tleinens etty. Die Unterkieider
waren alle ganz neu, von schwerer
Seide und mit den besten Spiyen be
fest. Daß sie beuete Vormittag erest
gekauft worden, räumie Franresca
rückhaltlos ein.
»Sobalb ich vonherrn Simpson
den Rang uno die Verhältnisse mei
ner Tante, wie auch meine eigenen
Aussichten erfahren hatte, tarn es mir
auch zum Bewußtsein, baß es meine
Pflicht sei, vor Frau Revetsroorth zu
erscheinen, wie eg sich für eine Nichte
gezieme.«
»Nun, ich bin Frau Revelscvortb’s
Cousine im zweiten Grade, unb, sehen
Sie mal, wie schlicht alle meine Sa
chen sind!«
mu- -;-fl-ZJ-ö —-«I--- Cä- IS
If
-
nicht viel aus solch kleinen Ertradck
anzen!? Jch für meine Person tann
ihnen nicht widerstehen!«
»O, ich möchte sie auch ganz aern
haben," gestand die andere, möchte
gern seidene Stränivfe und Schuhe
init hohen Absätzen tragen, und seide
ne Kleider mit Spitzentalbeln wie die
Reigen, und die Kleiderröcke mit
ide gesätteret, und Taschentiicher
mit Spignbeiah durchvuftet von den
feinsten arfiims! Jch kann sie aber
nicht haben, folglich muß ich mich mit
Kajchmir, Cheviot Und Mohair be
gnugen.'«
»Warum bitten Sie Frau Bebels
worth nicht um das Gewünichte?«
»Thue ich wohl! Jch brauche meh
rere Taschentiicher, sage ich. Du kannst
recht gute bei Broweley in Kinafion
bekommen, das Stück zu einem halben
Schilli1g. Hier haft Du drei Schil
linge zu einem halben Dutzend, ist
ihre Antwort.'·
»Ich würde für die drei Schillinae
zwei nehmen und nachher um mehr
bitten. Sie besitzen teine moralische
Kraft,« erklärte Franresca gelassen.
»Aber vermuthlich beabsichtigen Sie,
das Versäumte nach ihren-r Tode von
der Erbschaft nachzuholen?«
O, ich kann nicht ertragen, an ihr
Sterben nur zu denken!« rief Bettv.
»Ich will sie viel lieber behalten, als
nach ihrem Tode jährlich 200 Pfund
Sterling Revennen haben.«
»Mir 200 Pitnd Sterling! Nun,
sie besitzt ja über eine Million!«
»Jawohl; das ist aber das Ren-eis
tvorth’sche Vermögen und fällt natür
lich an Revelsworths. Es wird Jhnen
bekannt sein, und wenn nicht« io wird
Frau Revelsworth es Jhnen mitthei
lemdaß nach dem letzt-en Willen ihres
Gatten das ganze Revelsworth'sche
sesitzthunn das baue-Geld sowie die
Liegenschaften, zu Johanni nächsten
Zahrei gerade hundert Jahre nach der
und ung der Firma unter die EE
ben, jedoch nach ihrem eigenen Gu
achten vertheilt werden muß Jht ei
Wö, von ihrem Vater ererbtes Ber
mögen ist davon ausgeschlossen und .
tomint an die Verwandten von ihrer
Seite.«
»Ich sollte meinen,« bemerkte Fran
cesca nachdenklich, indem sie die
haarnadeln aus ihrem Haar zog, Daß
es wie ein galt-braunen mit roth
durchschossener Mantel über ihre
Schultern stel. »Sie müßten des blo
ßen Namens Revelsivarth müde sein!«
«Manchmal bin ich fast geneigt, mir
Vorwürfe zu machen, nicht auch mit
diesem gesegneten Namen aeboten zu
sei-ek« lachte die kleine Betty. »Aber,
o, was Sie für Haar haben! Wie üp
ia es ist, und wie lang und weich!
lch’ selten schönes Menschenkind
sind Sie, Fräulein Revelsworth!«
Francesca lachte aber nicht mit.
Langsam bewegte sie sich nach dem
Spiegel und beterachtete ihr Bild da
Iks mlt kritischen Blicken, die Haar
bskße noch in der band haltend. Jn
kostbaren Seidenröcken und dem
» « Battistsrisitmantel und mit
III weit Tiber die Taille bereut-fallen
UI M und den wie blaue Sterne
Itsdm schönen Angesicht strahlend-en
W M set eheimen Etreguna in
s Ist ZEI- eees · sie tu Größe, e»si
Æ solt-sit ali ein vollkommenen
» s in einer Ksnigin des Feen
-· weis-as ich bin ich ichs-If
sed- Us iäess «
W
hat mir nie etwas eingebracht. Jch
bin nie reich —- wirtlich reich, meine
ich, gewesen, habe nie meine eigene
Eauipage gehabt, nie meine eigenen
Pferde. Diamanten, schöne Kleider-,
Pelzgarniturem zarte Spitzen. nie
etwas von all den Dingen, die einer
schonen Frau von Rechts wegen zu
kommen. hin und wieder habe ich
wohl etwas besessen, ein wenia Geld,
gerade genug, das Verlangen nach
mehr in mir zu wecken. Es war aber
so unsicher, ohne Bestand — heute
besessen« und morgen wieder zerstoben.
Sehen Sie mich an, Bettv; ich bin
P Jahre, und gestern Morgen hatte
ich nicht einmal ein Pfund Sterling
in der Tasche!"
Es sprach aus ihrer Stimme und
ihrem anzen Wesen oerhaltene Lei
denscha t, die auf Betty halb nichte
ckend, halb sascinirend wirkte. Ei
war tlar erefichtlich, Francesca befand
its-h in mitteilsamer -timmuna, und
f He Augenblicke, in welchen sie das Be
Durfniß empsand, ihr herz auszu
schiitten, waren bei Francesca nur
selten. Selbst jetzt schien sie viel mehr
einer inneren Stimme zu antworten,
als mit Bewußtsein zu einer anderen
zu sprechen.
»Sie sehen auch ganz so aus, alk
müßten Sie alle Schau deren Jhr
Herz bedarf, betommen,« meinte Beim
beim Bürften ihrer kurzen. dunklen
Locken und blickte mit unverhohlener
Bewunderung zu Francesca auf.
»Aber,« fuhr sie, den Blick dabei an
ihrem meher als schlichten, rothen Bar
chentrock hereabgleiten lassend, etwas
unlogisch fort, »verelangt denn Jhre
Seele so ieher nach theuren Sachen?«
»Qb ich danach verelange7« wieder
holte Francesca spöttisch -Mit Leib .
und Seele verlange ich danach! Sehen "
Sie, Bettv. ich bin tein alltägliches,
tunges englisches Mädchen. Meine
Mutter entstammt einer sehr alten rö
knischen Familie — der Conti-Patast,
in dem iie geboren und ausgewachsen,
war vor zweihundert Jahren eine
iürsiliche Residenz. Bei ihrer Verhei
rathung besaß sie aber tein Vermis
gen, nnd mein Vater entwars stets
Pläne. Geld zu schaffen —- selbst in
Alchentie piuschte er und vergeudete
auf diese Weise das Vermögen wie
der, das er durch seine tüchtigen Er
findungen gewonnen. Den einen Tag
waren wir reich, und den anderen
mußten wir Hunger leiden. Und so
ist es bei rnir immer gewesen. Immer
und immer wieder hat mir ein Ver
mögen vor den Augen herumgetanzt,
ist jedoch stets unerreichbar geblieben,
und denn —«
Sie hielt jiih inne und blickte aus
Bettn herab, die wie oerzaubsett
lauschte. ·
»Ich begreiie mich selbst nicht, wie
ich in dieser Weise von mir selbst re
den tqnn.« unterbrach sie sich tnit
leichtem Lachen. .Was werden Sie
senten?«
»Ich dente —- zerbreche mir eigent
lich den Kopf darüber, will ich Ihnen
gestehen, wenn Sie mir meine Offen
heit nicht übel nehmen wollen« wie es
kommt, daß nicht längst schon ein ho
her Adliger oder sonst ein Krösus Sie
heimgesiihrt hat, wenn Sie ihn zu
nehznen geneigt gewesen wären-«
· —-1l- txt-.
iylullkcvtu Wutuc Uutukuuuh Ihnen-i —
aber nicht beleidigt
»Vielleicht hält mir zu Jesallen
schiver,« entgegnete sie, »vielleicht auch
bin ich nicht nach jedermanns Ge:
schmack. Aber, da wir eben vom Ge
schmack sprechen —-— wie sagt Ihnen
mein Cousin Dudlen zu?«
Jetzt war die Reihe des Rothwei»
deng an Bettv·
»Er ist sehr schön,« erliiirte sie,
»und in den Augen,der Stirn und dein
Kinn Ihnen ein bischen ähnlich. Jbre
beiden Kinne sehen so entschlossen aus.
Jch will nur hassen, daß Sie nie mit
einander in Streit gerathen!"
»Weshatb?«
»Nun, dann würde es Krieg geben
lzwischen Jhnen bis auss Messer, bin
ich überzeugt Sie haben beide jenen
Zug im Auge als würde feiner nach
geben, vielmehr —«
»Was vielmehr? Nur heraus mit
der Sprache! Ich werde tnich nicht be
leidigt fiihlen!«
»Als verzeihten auch Sie nicht
leicht "
Francesea lachte.
»Ich glaube nicht, rachsüchtiger Na
tne zu sein« erklärte sie bedachtiq und
zog den Kam-n durch die langen
Striibnen ihres glänzenden haarei,
,,wenn rnir die Leute nicht in den Weg
treten·«
»Ich möchte Ihnen n t in den Weg
treten," kaute Beity ent chieden.
ie nd ein merkw biges kleines
Miit-eli« ries Innqu mit ihren
weiches-, wo Ulautenden Laches· »Ich
bin aber noch n halb fett mit
weinen Frage-; bin nämlich iirchi
teng gsM alles sie- passe
rsst z- Mep WAGNER
Missetat-ude tex
MLIZOÆIIMZ:
E tu diesem Das-set Hasen Sie te etwas
- e e ni« -
« s ist tein Sehen,' milderte setty
ist-ro schaute sich ängßlich um« «es ist
oren.«
»Was? Kettenklirren oder Stöh
nen oder sonst etwas Schreckliches?«
«Schlimmer-« meinte Bettes, stand
aus und trat dicg zu ihr berau. .Rau
schen ist ei — ansehen-von schwerer
Seide —- den ganzen Gang entlang.
O. ich habe ej wieder und wieder ge
hört! Irren isi unmöglich!«
.Waj hat's denn aber zu bedeu
ten-P sor te rancesca werter unter
raschem se der Farbe, wie es der
Fall bei Betth gewesen.
Sie miissen nämlich wissen, daß die
ses Haus schon unter der Regierung
Heinrichs des Achten erbaut worden
isi,« erzählte Betth in leisem, furcht
durchzittertem Ton, «uno daß Elisas
beth, als sie im hampton-Court-Palaft
Hof hielt, eine Hofdame hatte, Mistreß
Katharine Pensotd, die hier in diesem
Hause, das ihren Eltern ehörte, ge
boren und erzogen war. Ziese beaing
den großen Fehler, mit einem derLiebs
daher der Königin —- Leicester soll es
gewesen sein « eine Liebschaft zu un
terhalten. Die Königin kam hinter die
Geschichte und war wiithend. Sie ent
ließ Mistreß Katharine aus der Stelle.
Diese kehrte nun in dieses Haus zu
ihren Eltern zurück. Sie erfuhr von
ibnen eine harte, herabtoiirdigende Be
handlung, weinte oor Gram Tag und
Nacht und zehrte sich von Stand an zu
einem Skelett ab, bis an einein kalten
Wiiuertage ihr Leichnam in der halb
zugefrorenen Themse, an der Stelle,
wo jetzt die Schleuse ist. gefunden wur
de. Die Sage berichtet nicht, ob sie
ihren Tod durch einen unglücklichen
Zufall, durch Mord oder Selbstmord
sand. Aber des Nachts lann man sie
auf dem Gange draußen vor diesem
Zimmer und auf dem der oberen Etaae
tauschen und in das Zimmer-, das sie
einstmals bewohnte, hinein- und ber
ausaleiten hören-«
»Welches Zimmer ist denn basi«
»Ein kleiner Raum am ehren Ende
des Ganges. in der ersten Eta e über
dieser. Jn diesem Stockwerk indet
sich neben Frau Revelsworthz großem
Salon in dem Erkertheile ihr großes
Schlaf- und Ankteidezimrner, von
wol-Ia-- -;-- Oft-U- t---..Dt::l.-4
Isssqssst IOOII SVII VO·IIII’I»CI, UIIU ·
dann noch mein Zimmer-. bas, wie Sie
sehen, ziemlich geräumig ift. Aber in
ver oberen Etage liegt das einzige gro
ße Gemach in dem Erter iiber dem
Salon, außer tiefem find noch vier
tteinere Raume vorhanden, voni wet
chen drei zusammenhängen. Das bin
terfte. das Eckzimmer, das jetzt verå
schlossen sing das «Sputzimmer« ge
nannt wirb, war Miftreß Katharina-n
Schlafzimmer. Dort hängt auch ihr
Portrait. Sie ift in einer gelben
Brokatrobe gemalt. Das haus hieß
früher Pensold haufe. Unsere Dienst
leute tiindiaen sofort, wenn sie das ge
ibenftifche Rauschen zum erstenmale
hören. —- Aber ich durfte Sie nicht so
erfchrecken ——«— Sie sehen anz blaß ans!
Fürchten Sie sich vor fpenftern —
wie ich? Ich ziehe bessNachts immer
das Deckbett über den Kopf, um
Miftreß Penfotv nicht ooriiberfchliir
fen zu bören.«
»Ich glaube an Gefpenfter,« erklärte
Francesca ernst. »Ein-sie aber nicht
fagen« mich vor ihnen zu fürchten. Jch
mischte ganz gern in dem Spatzimmer
schlafen und Miftresz Katharine her
ein- und binausraufchen sehen nnd
hören. Ich würde aus dem Bett sprin
gen, ifr einen tiefen Knix machen nnd
frage : »Was fehlt Ihnen, Miftreß
Katbarine«?«
Mit dein Daumen und Zeigefinger
von jeber hand hatte fie ibren seidenen
Unterrock erfaßt uan machte eine tiefe
Verbeugung. wobei ihr aufgeliifteö
bat-r iilier ihr Antlitr und di- ist-iust- -
tern fiel. Halb lachend bald erschreckt
sah ihr Beim zu, als plötzlich die araße
Thurmuhr auf dein nahen Pierdestalle
tlar und deutlich die Mitternocht5
itunde verkündete· Aber zwischen den
Schlägen wurde ein sonderbar ra
ichelndees und ichliiriendes Gerau ch
hörbar —- ein Ton, rvie das rasche
wegen von Jemand in einer steifen, sei
denen Nobe.
Einen leiien Entsetzeneichrei aussto
ßend, stürzte Betty nach ihrem Bett
und vergrub ihren Kopf in den Kissen
Draußen, vor Frau Reveleworths
Schlaizirnmerthiir tauerte Jwan und
bewegte sich unruhig. Einen Moment
nur wurde France-ca blaß und bebte
vor Schreck, dann aber ergriff fie, sich
beherrschend, den auf dem Toiletten
tisch stehenden Leuchter mit der-Wachs
terze und schlich auf den Fußspi en an
die Thür, riß sie plötzlich au und
blickte die Kerze dochhaltend, den Cor
tidor hinauf und hinunter.
Die große, friesdeschlageneSchwing
tdiir links bewegte sich noch, gewahrten
Francesea s scharfeAugen und want
Knarren nicht beachtend, flog re wie
ein Pfeik nach jener Richtung den
Gang hinab. Nach wenigen Minuten
kehrte sie in das lafzimmer, wo
Bette-, bangend und z tternd, im Dun
keln zurückgeblieben rnit einem heim
lichen Lächeln in den Augen, wieder
zurück.
»Ur-armen Sie rasch herein und ver
ichließen Sie die Thüri« hauchte Pet
ty, ihren kleinen, dunklen Ko f au
den Kisen hebend Sage- ie mir
nun« was Sie gesehen lpate
»Was nicht« aneeiea,
indem He die setze an den tsch Kell
te. »Bist hörte nur« Mäqgiwäte
TM M ts s
Itti fendeeice t«.- .
.Sprechen Sie nicht in dieser hist
erßasrrenden, ruht n Weise von dein
Schrecklichenl« rie seith. »Ich werde
gewiss davon träumen!«
Jedoch, als die Mädchen sich schließ
lich niederlegten, da war es Franrecra
und nicht seith, die oon Träumen
heimgesucht wurde. Denn wie leitete
egen Morgen erwachte, und das hege
Zieht des ersten Morgendiirnmerunqsi
scheins durch die allousien herein
schimmern sah aus rancesrcks liebli
ches, schlafendes Antlitz, waren ihre
Lippen geöffnet, und Beim hörte sie
im Schlummer leise murmeln
.Eine Million Psund Sterling Ver
mögen —- eine Million!« ·
Vill.
Jn dieser ersten Nacht im hause sei
ner Tante sand Viktor Reveleworth
keinen Schlaf. «
Er besasz ein nervöo eindrucksvolles
Künstlertemperament, und die ausre
genoen Ereignisse des Tages, die in
Francescckö Erscheinen und dem möch
tiaen Eindruck, den ihre Schönheit aus
ieiu herz gemacht, givfelten, machten
Schlas sür ihn zur Unmöglichkeit
Noch nie zuvor war er durch die
Reize einer Frau sa tief erregt worden.
Bis hierher hatte sich ihm noch leine
Gelegenheit geboten, unter vier Augen
mit Franresca zu sprechen: aber sest
entschlossen war er bereits-, sobald er
mit ihr allein sein würde. Franceeca
seine Liebe zu erklären, und Sie zu
bitten. die Seine zu werden
»Es ist wirtlich zum Verwundern«,
dachte er beim hin- und herwersen aus
den Kissen des rothdehangenenkimmeb
betteä, «wie ruhig, wie ohne a en elan
Dudleh ist! Die anhetungewiirdige
Francesca anzuhliclen, ohne in Liede
zu ihr zu entbrennen, ist unmöglich;
und doch konnte er im Mondenschein
mit ihr nach Kingston und wieder zu
rückgehen, ohne mehr zu sagen, wie:
»Meine theure Cousine, welch’ liebli
cher Abends« Wäre ich nur an seiner
Stelle gewesen! Natürlich wiirde die
gräßliche Tanie mit dem Papa ei
nichts lieber sehen, als wenn ein Je
oeljworth eine Reoeleworth heirathe
te! Wir würden uni mit Dudley in's
Vermögen theilen. Er wiirde sich die
reizende lleine Betth zur Frau neh
mea, usu- tull muss-km wie eß lll vcll ·
Märchen beißt, alle zusammen glück
lich leben bis an unser Ende.«
Aber selbst diese berauschenden Zu
lunftsbilder seiner Phantasie tvaren
unfähig, den Schlaf herbeizuloetem
Stunde auf Stunde verrann und im
mer noch lag der junge Mann da mit
offenen Augen, lauschend auf die re
gelmäßigen Athemziige seines Bruders
im anstoßenden Zimmer und auf das
sonderbare Knacken und Raschelm wie
ei alten häusern des Nachts vielfach
eigen ist. Wie die ersten Morgenstrah
len geftern in Eile ftatt Rouleaux auf
gehangen worden« sich hereinzusteblen
begannen, da wurde Vittor’s Gemiith
plötzlich von ihm unertlärlicher tiefer
Niedergeschlagenheit überschattet. Der
Mangel an Schlaf und die Eigenart
und Diirftigleit der neuen Umgebung
mochten zweifelsohne zu dieser Ge
müthsverstimmung beitragen. Und
als er gegen 3 Uhr in einen halb-va
chenden Schlummer fiel, da steigerte
sich diese Gemüthsverstimmung zu ei
ner Empfindung bevorstehenden Un
glückj und dem sicheren Gefühl, sich
unter einem geheimnißvollen Zauber
bann zu befinden, dem zu entfliehen
für ihn Unmöglichkeit
Von der Uhr auf den Pferdestiillen
ertönte der letzte Schlag der fünften
Stunde, als Viktor jäh, mit voller
Klarheit seiner Sinne, erwachte, mit
dem Bewußtsein einer störenden Ge
genwart in seiner nächsten Nähe. Jm
Yett ist-die höhe fahrenthierte er um —
nch. Meinen-) war im Zimmer, und
durch die ossenstehende Thür tonnte er
feinen Bruder athmen hören. Dudley
war ein sester Schläfer, der seiten,
wenn überhaupt je, eher erwachte, ais
bis ihm des Morgens sein heißes- Was
ser gebracht wurde. Auch fest rührte
er sich nicht« wie Bittor in iein Zimmer
trat und argwödnisch darin Umschau
hieit. Die äußere, aus den Corridor
siihrende Thiir war nur angelehnt,und
doch wußte Viktor ganz sicher, daß
sein Bruder vor dem Niederlegen fie
fest Fuge-nacht hatte. Die Oeffnung
erweiternd, schickte er den Blick von ei
nein Ende des Ganges nach dein ande
ren, von der schmalen Treppe link-, die
nach den Mansarden siihrte, wo die
weibliche Dienerichast schlies. bis zur
Tbür des großen, unbewohnten, direct
über seiner Tante Wodnzimmer liegen
den Gemaches zu seiner Rechten
Niemand war aus den Füßen; das
ganze Haus schien völlig ruhig. Ader
nichtsdestoweniger machte sich das Ge
fühl, in direkter Nähe von einer beson
ders seindlichen Gegenwart umgeben
zu sein, wiederum geltend, sowie er
das Gemach seines schlafenden Bru
ders durchschritten hatte und in sein
eigenes eingetreten war
Und diese Empfindung beruhte nicht
blos aus Einbiidun . Lauschend, se
den Nerv«aus’i Aeu erste anspannend,
konnte er deutlich ein leises Anschein
vernthnien, wie don den s tigen Be
wegungen einer Person in e net seide
nen siehe herrührend, dazwischen von
Zeit zu Zeit wieder das Kmäen einer—
iete, und ein Geräusch, als ed Je-«
mand tattend mit den Waden an den
Mut-m Insan i
Die Ansichte, die er vorn Umgehen
irn hause vernommen« due uckten
seit Hirn ou Antwort tte ja
sells etc , des ihr Vater dau
ieiukr schikani- sarese vere- eu sitt-!
biliigsen Kauspreii erworben- such
der Omnibuetutscher hatte des Gespen
stet in leeroorth se Erwähnung
gethan. Aber das do ,tlaee Not en- .
licht war die unwahrscheinltchste ,:
von Gespenstern zur Ausführung t rer !
Streiche gewä lt zu werden. Dahets
entschloß sich ’ltor, da von Schlat(
fest doch nicht mehr die Rede sein
konnte. sich geräuschlos anzutleidemurn
feinen ichlasenden Bruder nicht zu sto
ren, und dem Ursprung dieses geheim
niszoollen Maschean nachzuspüren
Daß es ein Spulzimmekitn Hause
- gebe, hast- gestern das Hauzmädchen
Suse schweigend eingeräumt. Die ·
weibliche Dienerschast schlief in denl
Mansarden, und Welldon mit seinem
Sohne in einer Stube in der Nähe der
Küche. fo dasz Vittor mit Sicherheit
annehmen durfte, die anderen Räume·
in dieser Etage unbeseht und diese,
entschied er sich, wollte er zu seiner ei
genen Beruhigung durchsorschen.
»Ohne Zweifel sind es Mäuse oder
Ratten. die dieses sonderbare Geräusch
oerursachen,« sagte er sich beim schleu
niaen Anziehen der-kleiden »und ihnen
will ich einen Ueberrumpelungsdesuch
abitatten·« ·
Aus den Fußspisen durch das vor
dere Zimmer huschend, besand er sich
sogleich draußen aus dem Corridor,der
von drei hohen Fenstern, ganz so, wie
in der unteren Etage. erhellt wurde.
Neben dem Zimmer, in welchem er ge
schlafen hatte, im Winlel des Corkis
dors. der Treppe bis-sowie, besand
sich eine Thür, die er beim Bewe en
des Drückers unverschlossen sand. it
der band aus dem Drücker, noch da
ttehend, wähnte er. von der Jnnenseite
der Thiir das Geräusch leiien Ra
schelns zu vernehmen, ähnlich dem, das
er in feinem Schlaszimmer gehört.
Doch während des Lauschens tdard er
sich bewußt, daß von innen seinemEim
treten Widerstand entgegengesetzt wur
de. Der Drücker, der stch unter seiner
Hand leicht bewegt hatte, blieb fest,
und deutlich tonnte er hören, wie innen
an der Ihiir ein eingerosteter Riegel
oorgeschoben wurde.
Viktor prallte zuriich Seine Ab
sicht war es ja nicht« Jemand im Al
Ittllfcitttvvllen tu stören llun tue-Is
war ihm am Abend versichert worden,
daß er und sein Bruder in der zwei
ten Etaae allein logiren würden: die
drei Damen hatte er auch in der unte
ren Etaae sich in ihre Zimmer zurück
ziehen sehen. Solltktich vielleicht ein
Dieb in dieses unbesehte Zimmer ge
lchlichen haben?
Froh. einen Vorn-and zur Befriedi
aung der ihn beherrschenden Neugier
gefunden zu haben, itemmte sich Viktor
mit seiner ganzen Kraft gegen die
Thür. Krachend ivrang iie auf
Das feinen Blicken enthiillie Zim
mer war iehr klein und jeglicher Art
von Feuerstätte bar, überiiiet mit Pa
dieren undNehrichi, und nur von einem
Fenster erhellt, dies aber so von
Schmuy verdunkelt, daß es fast un
dnr sichtig war. An der Wand hing
ein ines Oelhild ohne tiinitlerilchen
Werth und geduntelt von der Zeit und
Vernachlässigung das eine Dame in
einem Tudorcostiim von gelbem Brotat
darstellen. Möbel waren in dem Rau
me nicht vorhanden. auch lag auf den
schmuhiaen Dielen kein Teppich. Die
ganze Stätte hatte das Aussehen, auch
die Luft darin bezeugte die Annahme,
als wäre sie jahrelang geschlossen gr
toesen. Schon stand Viktor im Be
ariii, den Raum wieder u verlassen,
in der Ueberzengung, da feine erste
Ansicht bezüglich der Ratten unt-Mäuse
die richtiae fei. als er die aerissene und
verblichene, in - Felsen berabböngende
Tapeie an einer Stelle, an der der
Treppe qegeniiberliegenden Seite des
Zimmerckdens, sich besorgen sah, wie
wenn sie kaum erst berührt worden
Icörr.
Ein Haufen Schutt lag zwischen
ihm und der Wand aufgetbiirmt. Zim
verlich darüber binwegschreitend, ent
deckte er, daß sich in der Mauer ein mit
gleicher Tabete belleideter Wand
schrank befand, und daß die Thür des
selben ein ganz klein wenig geöffnet
war. Sie weit aufreibend, und den
Arm in die Oeffnung lchiebend, spürte
Viktor nun den warmen Athem eines
lebenden Wesens,das sich in den hinter
sten Winkel dieses iinfleren, dunklen
Versteck- gedrückt
Es war dag sicher kein Geist. Was
aber in aller Welt batte denn eine
Frau in voller Toilette um 5 Ubr
Morgens in einem leeren Raume das
Nevelsworth«schen hat-fes zu schaf
fen? fragte sich Viktor, voller Staunen
über seine Entdeckung zurücklchretkend
Aus der dunklen Ecke schlug süßes,
leises Lachen von einer Frauenstirntne
an lein Obr, und heraus iral feine
Eousine Irancesea and vor i bin.
Sie lab lebr bleich aus« be and sich
aber scheinbar in der heitersien Laune
und liess beim Anblick seiner verdutzten
Miene ihr silberbellesLachen von neuem
erschallen. .
.Mon Dien, ma eouiine, was ma
chen Sie denn hieri« preßte Viktor
schließlich iiber die Lippen.
Sie verschlos- i rn mit zwei schlan
ken Fingern den und.
»S« Nicht it laut sprechen, lon
wesen Sie den Geist! Dies iee i
nämlich das Spulzirntney rnii en Sie
wissen.« -
»Was aber thun Sie denn ierf«
»Das isi ein Gebeimnisl Ih, wie
ichmukig nnd dumpf das Zimmer ist«
und wie lieblich der Morgen dranpenl
MIC- Cie. was ich gern Ws
»Dein; wenn’i aber etwas iß, das
s äsidsie Zu thun in meinen Miisten
,- k —«
.Illerdings, wenn Sie nur den gn
ten Willen dadenl« ries Franretca und
wnndte sich mit einem bezaubernden
Stacheln ibm zu. »Ich mZchte so ers
einen Spaziergang nach dern Fkusse
hinunter machen, meine staubigenhiins
de dort zu waschen, und wünsche u der
Promenade Jhre angenehme schlei
tun-·.:. Wolken wir zusammen geben«
ehe irgend einer wach wirdi'·
»Von Herzen gekni«
»Aber ganz leise! Folgen Sie mir!«
Sie traten hinaus aus den Corridor.
Francesca machte die Tdiir del S uks
zlmmers zu, verschloß sie sorgsltig
und zog den Schlüssel aus dem Schloß.
»Es ist der Schlüssel von Bettd's
Stube,« ertlärte sie dabei im Flüster
tone. »Ich probirte ihn. und er paßte
ganz genau«
Nun gin’s die Treppe binod. Fran
cesca bei ihrem hoben Wachse sich mit
solch’ wunderbarer Leichtigkeit bewe
aend, die wirklich etwas Kanenartiges
hatte, wie Viltor wohl hätte bemerlen
müssen, wenn er sie mit so etwas
sprichwörtlich Falschem zu vergleichen
im Stande gewesen« Den Kops stol
erhoben, und mit dem Morgenlicht aus
den rotdgoldigen Hlechtem schritt sie
wie eine Königin die slachstu ige Eisen
treppe hinunter, nur so lange innehal
tend aus dem Wege, um den Schlüssel
wieder in’s Schloß von Bettn’5 Zim
mer zu stecken und ihren Hut zu holen,
den sie in der Hand bis nach unten
trug.
Vor der Thür von Frau Bebels
wortise Schlasgemacht lag der mörde
rische Jwan und drehte sich beim Vor
übergeben der beiden lnurrend im
Schlase um. Er wußte aber, daß sie
in das Haus gehörten und keine Min
ber waren, daher lies-, er sie unbehelligt
vassiren. Unten in der Halle aber
stellte sich ihnen eine ernstere Schwie
rigkeit in den Weg. Vor der Thür
ichwelle lag, in seiner ganzen Länge
ausgestreckt, der Bullenbeißer Briion,
die Nase zwischen den Vorderpfoten,
idr Näherkommen still und regungslos
deobachtend.
»Komm, mein Ihierljf redete Viktor
ihn an. »Wir wollen einen kleinen
Spaziergang hinunter nach derThemse
machen. Du wirst uns passiren lassen.
nicht wahr?«
Briton tnurrte. riihrte sich aber
nicht handbreit aus seiner Stellung als
Wächter der Eingangsthiir.
»Wir miissen tiihn über ihn hinweg
schreiten und sie östnen," meinte
France-tm »Warum dressirt Tante
Margaret die hunde nicht, zu wissen,
wer ein Revelsworth ist, wenn sie ihn
iehen ?« .
Lachend machte sie den Versuch, sich
um Briton herumzudriictem während
Vittor mit Schmeichelworten auf ihn
einredete. Doch taum hatte sie den
Fuß aui die Thürmatte qesest, als der
Hund wild aui sie losiuhr und sie nie
derrerrte auf die Knie.
Sie war ioiort wieder aui den Fit
ßen, blaß und bebend, jedoch unverlehi.
»Es ist mir nichts geschehen,« der
sicherte sie aus Vittor’s besorgte Fra
gen, »ich war nur für den Augenblick
erschrocken. Seien Sie to gut, nach
zusehen, ob an der hinterfeite des
Hauses noch ein anderer Ausganf ist. «
t
Sie brauchen wirklich teine Ang zu
haben, mich mit dem hunde allein hier
zu lassen. Er wird mir sicher nicht
wieder zu nahe tornmen, werden Sie
sehen!'«
Vittors Suchen nach einem Aus
gang nahm mehrere Minuten in An
spruch, während welcher er s iibers
zeugen mußte, daß sie durch de hin
tere, iiir die Dienerschait bestimmte
Thiir nicht hinaus tonnten, weil der
Schlüssel fehlte. Welldon hatte ihn
des Nachts stets unter seinem Konstit
ien, wie Viktor später in Erfahrung
brachte.
Bei seiner Rücktehr sah er zu sei
nem namenlosen Schreck Iraneeiea
auf dem Flur kauern, mit dern Rücken
nach ihm zu. Beim Eintreten schlug
ein teuchendek, gurgelnaer Laut an
fein Obr. Mit einem Entiehensichrei
lOiirzte Vittor vorwärts aufFranceIea
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Füße unh wandte ihm ihr ftrnhlenhes
und löchelndes Antlitz zu.
»Der Hund fiel mich wiederum an,
doch gelang es mir —-— vem immel
sei’e gevanlt ——— ihn von mir ernzus
halten. Rein, bitte, sich leine Bor
wiirfe zu machen, daß Sie mich mit
ihm allein gelassen! Wer hätte ihn
denn fiir solch’ ein geiiihrlicheg Vieh
halten können? Bitte, strafen Sie ihn
nicht weiter; er hat fchon genu und
wird uns jetzt hinauslassen, den ’ i l«
Sie hatte recht. Der Bullenbei er
schlich hinweg, zitternd und kläglich
winselnh, machte auch nicht Miene,
dazwischen u treten, als Ritter,
Franceseas nweifung nachtommend,
die Riegel zurückfchob und mit ihr
hinansfchritt.
Die Morgenluft war entzückend
trilch und l hl. Ein schwacher rofa
Schimmer leuchtete no? am öftlichen
himmel, und iiber her hemfe lieferte
ein dünner Nebel. Jn dem herrl en
Licht des frühen Morgens erschien
Immeer Schsnheit noch strahlen
ver als in ver titnftlichen Beten tuns
des gesteigert Abende, und ittor
wähnte, ire blauen sagen blickten
ihn mikhe anderem niereer an, was
feine Pulfe rascher topfen machte.
Mist Wut-mein