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About Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918 | View Entire Issue (Nov. 29, 1901)
ff Its-them erse xiebr. Stizze von B. Rittweger Mit Mäxchen Vollmann ist eine Veränderung vor sich gegangen, eine aussallende Veränderung Seit einigen Wochen ist et nicht mehr aus dem Gymnasium gekommen mit dem Kra gen und dem Shlips in der Tasche, an statt am halfe. Auf die Vorwürfe der Mutter hatte Märchen früher stets die selbe Antwort: Der Kragen hat mich gekratzt, und ob ich so’n Ding anhab oder nicht, das ist doch höchst egal! Nicht genug, daß Märchen seht stets das lratzende Ding um seinen Hals duldet, er bemerli sogar, wenn die Plätterin Kragen und Manschetten nicht in tadellofem Zustand abgeliefert hat, und er kann bei Entdeckung eines Fleckchens schelten, als ob er mindestens der Papa wäre. Morgens beim An ziehen überlegt Märchen mit tiefsinni ger Denkermiene, welchen Shlips er wählen soll, und häufig schleicht er sich heimlich an Mamas Toilettentisch und träufelt sich Odeur auf das Taschen tuch. Kein Zweifel, Märchen ist eitel geworden. Was alle Ermahnungen seiner liebenden Mutter, alles Schelten des iiber den unordentlichen Spräszling zornigen Vaters nicht vermocht hatten, dazu bat Liddy Steinriicks bloßes Da sein geniigt. Das heißt;:»Liddy Stein-— eitel war schon immer dagewesen. Sie war ja in der Stadt ausgewachsen und täglich dem Märchen auf dem Schul weg begegnet. Liddy war dem Unter setundaner bis vor einigen Wochen so gleichgültig gewesen, wie alle die «dummen Mädels'«. Er hatte sich schon oft mit männlicher Ueberlegenheit ge fragt« wozu der liebe Gott eigentlich diese Art Geschöpfe erschaffen habe. Dann war etwas höchst Wunderbares geschehen. An einem tvonnigen Frühlings-mor gen war Märchen wieder einmal nach dem Gymnastum gepilgert. Und da ge schah es. Die tleine Liddy war übri gens schon tonfirmirt und tam allein ....s. r.e... .-I;,. »Um-: sub-»- Mär-km sen- rhy- via-V s-- w- ,,,,,,,, wollte eben mit recht zur Schau getra gener Gieichgiiltigteit an ihr vorüber rennen —— denn etwa ,,deckeln« vor solch einem Mädel, das gabs nicht --—, da fiel der tleinen Liddy das in Pergament papier eingelchlagene Butterbrot zur Erde. Märchen stutzt, eine Sekunbe dann biickte er sich und überreichte mit hochrothern Antliß Liddy das Päckchen. Sie nahm es mit verlegeneen Knie ent gegen und flüsterte taurn hörbar : Fh danke auch sehe. Und er stand ganz nah bei ihr und fah die duntelbewini perten großen blauen Augen, die einen so seuchten Glanz hatten, und die zar ten, flauniigen Wangen, die ebenfalls in höheres Noth getaucht waren, und er umfaßte mit einem Blick das ganze niedliche Persönchen. Dann zog er die Mühe und machte eine Art Verbeu gung, die allerdings einer Gliederun reniung ähnlicher sah. Liddy tnirte ebensalls wieder, und dann ging jedes-Z seines Weges weiter. Nach einigen Schritten drehte Mär-· chen sich um und —-— sonderbar, höchst sonderbar « Liddy that gerade das selbe. Bliyschnell streiften sich die Blicke, die Köpfe wurden noch röther, und dann wars geschehen: Märchen hatte in dieser Sekunde ergründet, zu welchem Zwecke die »kleinen Mädels« aus der Welt sind. Und von diesem Frühlingsnivrgen an wurde Märchen eitel, legte ungeheuern Werth aus seinen Anzug, ging heimlich an Manias Odeurfläfchchen. Dein entscheidenden Augenblick solg te eine herrliche Zeit ! Als Märchen ·eem anderen Niman Liddtt Von Wei tem sah, da begann sein junges Herz stürmisch zu tlopsen, und als er ganz nahe war, zog er ehrfurchtsvoll seine . Miitzr. Und Liddh, hold ertöthend, danlte wieder mit einem zierlichen Knir. Aber heute war sie nicht allein. An jkder Seite hatte sie eine Freundin, und die beiden waren so erstaunt iiber Märcheus Gruß, dasz ihnen der Mund osscu stehen blieb und sie erst die Sprache wiedersanden, als Märchen vorbei war. ElJiiixcheu drehte sich aucil heute nochmal nach Liddy um« aber sie that es nicht. Natürlich nicht, sie war ja nicht allein. Doch er war auch so zufrieden, es sah so hübsch aus-, wie der dide blonde Zops aus ihrem Rücken hin und her exiideltr. Ein reizeii«:eker; Geschöpf trug sicher die Erde nicht ! Am Nachmittag, es war Mittwoch, lehnte Märchen eine Aufforderung sei nes besten Freundes zu einein »Er bunimel" unter dem Vorwand noth wendigen »Biisselnö« ab und wanderte nachher ganz allein nach der Straße, in der ihre Eltern wohnten. Dort ging er wohl zehnmal auf dem dem Haus gegenüberliegenden Bürgersteig aus und ab, scheu wie ein Verbrecher nach dem Fenster spähend. Und welches Glück! k«Sie« wurde sichtbar, »er« grüßte und j«sie« danttei Trunten vor Seligkeit Emachte sich Märchen aus den heimtoeg « So blieb es nun eine ganze lange Zeit. Bis die Tanzstunde näher itücktr. Noch turz vorher, ehe das schicksalsschwere Butterbrod an jenem tte Märchen seinerMutten so ost die ede daraus kam, mit dem Brustton sder Ueberzeugung versichert, er dente snicht daran, die Tanzstunde niitzurnas .chen. Er verachte solche »Am-ruhel i i zi. rllhlingsmorgen zur Erde gefallen, i« -Iten«, und man könne auch ein ganzer iKerl sein ohne »das Gehilpse«. Nun stebr begann er eines Abends in der W i Dämmerung mit etwas unsicherer Stimme: Mama, man muß sich jeht izur Tanzstnnde anmelden. Jch habe , mich entschlossen, doch mitznmachem da ; ihr so sehr dafiir seid. Die Mama lö chelt heimlich. und laut sagt sie: Was fiir ein guter Junge du bist, Märchen, daß du uns das Opfer bringen willst. Aber unsertwegen lege dir leinen J Zwang aus« Wenn du nur ordentlich « lernsn dann sind Papa und ich schon zufr eden. Gott ja, aber einmal muß es doch sein, uan in der Prima fiillt es viel schwerer, We Zeit herauszubringen Na, we-.n’s sein muß, Kind, dann will ich mit Papa sprechen Und Manna sprach mit Papa, und bei diesem Gespräch lachten die Eltern herzlich, und dann sprach der Vater mit Mäxchens Klassenlehrer, und eines Morgens beim Kaffee warf er die Be merkung hin: Hör, Junge, ich hab mit Doktor Lüders gesprochen. Er hat nichts gegen die Tanzstunde einzu: wenden. Er meine, es sei besser, alle Kinderlranlheiten vor der Prima ab - zumachen. : Märchen war so glücklich, dafz er die ,,Kinderlranlheiten« stillschweigend in , Kauf nahm. An demselben Tag noch bestellte er sich Visitenlarten nnd lieb äugelte nach Empfang eine halbe E Stunde mit dem Paletchen, das sein Jch fünfzigmal darstellte. Durch eine - der Karten, die in modernster Schrift tie wichtigen Worte enthielten: Max Bollmann, Unterselundaner, bewirkte er nunmehr die Anmeldung zur Tanz I stunde. Eine zweite diente höherem Zweck. Vermittelst dieser zweiten Karte »engagirte« Märchen in höfli chen Worten Fräulein Liddy Steinriick zur Tanzstnnde. So war es Brauch und Sitte in der Stadt. Jeder Pen ; niiler, der etwas auf sich hielt, sorgte bereits bor Beginn des Knrsus dafiir, dafz er eine von den ,,gnten« Damen bekam, um nicht etwa nachher mit dem ,,Schund« vorlieb nehmen zu müssen. ; Daß aber Liddy die hervorragendste E Dame der ganzen Tanzstunde sein T würde, das stand bei Märchen fest. : Walter Friedberg hielt zwar Annchen E Hammer fiie die hübschefte, Otto Lang z behauptete, Wally Kohlmann fei ent : schieden der ,,Star« des dies-jährigen ; Kursns, aber Märchen wußte eg besser-. Er richtete also die Karte mit der schicksalsschweren Frage an Fräulein I Liddy Steintiick, Hochwohlgeboren, ! und vertraute sie ,mit einigem Herzllo i pfen der deutschen Reichspost an. Mit wendender Post langte denn auch z ein zarter, kaum drei Centimeter hoher, s zwölf Centimeter langer Briefumschlag an, der in zierlichster Steilschrift an - Herrn Unterfelundaner MaxVoltmann adrefsirt war. Dieser Umschlag enthielt eine entziiclende elfenbeinfarhige Visi , tentarte von denselben Maßen, und nn ! ter dem gestochenen Namen stand da in ) derselben zierlichen Steilschrift zu le sen: »beehrt sich, Jhnen ergebendft mit zutheilen, daß sie das freundliche En gagement gern annimmt.« Jhr Götter, welche Seligkeit! Mär f chen —- heiläufig bemerkt, wird Mär chen in letzter Zeit unangenehm, wenn jemand ihn also anredet. Nur die Mut ; ter darfs noch wagen, das zärtliche Di Zminutiv zu gebrauchen, vorausgesetzt, « daß Niemand dabei ist. Sie ist auch gar so lieb jetzt, die Mut ter, sie hätt ihni immer wieder geduldig zu, wenn er ihr von Liddy erzählt, und ! sie bringt ihm sogar den Walzerfchritt s hei, den er anfänglich gar nicht begrei - fen kann. Als der große Tag da ift, der i Tag der Vorstellung, die erfte gemein j same Tanzftunde, da ift Mäxchen be »-Z«( -I- HDUI III-ens- THIS-Of ....» »W» ......-. --.».-. O, diese Vorstellung! Zitternd vor Erregung steht Märchen ihr gegenüber; endlich ist der große Augenblick gekom men, da er es wagen darf, das erste Wort an sie zu richten. Die Musik stimmt den ersten Tanz an. Zaghast schreitet Märchen ausLiddh zu, Um nach tieser, tadelloser Verbeugung ihre Hand in der seinen zu fühlen und sie in die Reihe zu siihren. Der erste Tanz sowie « sämmtliche Franeaisen und Quadrilsi len gehören dem Herrn, der sich seine Dame gesichert hat. Nun steht Märchen, nachdem die erste Runde voriiber, neben ihr und darf sie unterhalten. Entsetzlich das; ihm eben ’ nichts Rechtes einsallen will! Da ent J deckt er zum Gliick eine Rose an ihrem " Gürtel und die hilft ihm aus dies-prun ge. O, die schöne Rose! Sie lieben wohl Rosen sehr? so stottert er her aus. Woraus Liddh mit holdem Lä cheln und lieblichem Erröthem »O ja, « sehr, alle Blumen. Sie sind so siisz!« s Nun ist das Eis gebrochen, die Beson genheit verliert sich, und bald schwatzt « das Pärchen lustig drauf log. — Woche reiht sich an Woche. Märchen Vollmann ist wie im Himmel, und es « gibt siir ihn nur einen Engel in diesem himmel: Liddh Selbst den langen » Müller, der sich als Prinraner einbildet, " die erste Rolle zu spielen. und der ihm Liddh gern abgelnöpst hätte, schneidet sie gänzlich. Jhr Blick sucht beim Ein tritt in den Saal immer nur ihn, Max chen. Doch alle Zeit vergeht. Die Tanz slunde ist zu Ende, nur noch der Schluß ball, dann lommt Liddy in Pension. Für ein halbes Jahr nur, nach Berlin zu einer Tante, Tum le ten Schlifs. Als ob sie noch Schl ss niit ig hättet Der Schlußball steht schon etwas unter dem Zeichen der Trennung. Liddh ist gar nicht io lustig wie sonst, und Mäxchen kämpft wahrhaftig aus dem heimweg i» mit höchst unmtinnl chen Thriinem · Is« Inst-Du HE« Eis-ZE- -—." 7 -. - troydem er die ganze Brust voll Eo tillonorden hat« von ihr allein sechs Stück Liddys Eltern gehen heimwärts ein paar Schritte hinter dem Pärchen, und Frau Steinriict meint beiläufig zu ih rem Mann: Gut, daß die Kleine nun « fort geht. Es war ja eine hübsche Zeit, ! aber solche Dummheiten miissen einmal ! ein Ende nehmen« I An ver Hausthür noch ein letzter Händedruck « Worte findet Mäxchen l nicht mehr —, dann die Verabschiedung T von den Eltern, nnd es ist vorbei. Noch » eine, Fensterpromenade am folgenden i Tag, die letzte, denn wieder einen Tag i später reiit Liddh ab, grade zu einer i Zeit, da Mäxchen auf der Schulbank ! itzt. Die Stadt erscheint Mäxchm seitLid- ’ dys Abreise völlig verödet. Die Stra ße, in der er so oft sehnsüchtigenBlietes : auf und ab gewandert, meidet er nun ängstlich. Eine Zeit lang sieht er ganz blaß aus nnd hat keinen rechten Appetit, dann aber siegen Jugend und Gesund heit über die trankhafte Stimmung. Es gibt auch ordentlich zu biiffeln; die Tanzstnnde hat viel gekostet. Soviel Muße, um ab nnd zu Verse zu schmie den mit den ungewöhnlichen Reimen Liebe nnd Triebe, IHerz und Schmerz, Sonne nnd Wonne, bleibt jedoch immer noch. Die Zeit vergeht. Morgen kommt sie wieder. Fritz Andere-, der es ganz bestimmt von seiner Schwester weiß, hat es Märchen verrathen. Märchen ist in nnbefchreiblicherAnfregung. Zum Glück ist er fchulfrei zu der Stunde ih rer Ankunft· So tann er an der Bahn sein. Auf dem Wege lehrt er erst in . einer Gärtnerei ein und ersteht einen kleinen Veilcl)enstrctufz. Veilchen sind ihre Lieblingsblumein nnd sie sollen . ihr sagen, daß seine Gefühle noch die s I - l i - i I selben sind. Zitternd vor freudiger Erwartung steht Märchen etwas im Hintergrunde des Bahnsteigm Er will noch nicht von Liddys Eltern ge sehen fein. Nachher wird sich schon al les finden, nach der ersten Begriißung Jetzt fährt der Zug in die Halle-, jetzt hält er. Das übliche Drängen und Treiben. Märchen-s Auge schweift su s chend an der Wagenreihe entlang. ; Dort stehen ihre Eltern, und Ietzt. — aber nein, das ift nicht möglich! Diese schlante große junge Dame mit dem hochfrisirten Haar unter dem kühnen, aufgeschlagenen Hut, mit einem Rie senstrauß in der Hand, dag ist doch nicht Liddy, seine Liddy?- Das ift je mand ganz Fremde-» Sie lacht und schwatzt laut und lustig mit ihren El tern und Freundinnen, Und dann setzt sich die Gruppe in Bewegung, und Märchen driiclt sich scheu zur Seite, als sie näher kommen. Er möchte davon laufen und bleibt doch stehen nnd hört wie Suse fragt: Von wem ist denn das prachtvolle Bouquetik und wie Lid dy antwortet: Asfessor Möhring hat« mir zum Abschied gebracht, er war faft täglich bei uns im Haus! Da fällt Liddys Blick grade auf Mäxchen; der reißt die Mütze ab, und Liddh stuft einen Augenblick, als wenn sie sich au etwas befänne. Dann dankt sie lächelnd, etwas spöttisch lächelnd, wie es ihm fcheint, und er liest es auf ihrem Antlitz, daß sie denkt: Ach, das ist ja Märchen, Märchen Voll-nann. Und dann ift sie vorbei. Märchen fteht eine Weile ganz starr, wie gelähmt, und schaut ihr nach. Das ist nicht mehr Liddy, seine Liddy, die dort geht. Das ist eine Dame, eine fertige Danie; und er ----- ach, er ist immer nur noch das Märchen! Und Märchen zerdrückt die Veilchen in seiner Hand und fehlendert sie in weitem Bogen von sich. Dann läuft er hinaus in den Wald, ganz allein, er könnte keinem Menschen jetzt vor die Augen treten, nicht einmai der guten Mutter. Unter den grünen Bäumen wirft er sich in das Moos nnd schlnchzi und schluchzL als wollte das Herz brev chen und schwört Haß dem ganzen fal schen weiblichen Geschlecht. Von dieser Stunde an ist Märchen Weiberfeind Auf wie lange, das man die Zukunft lehren. — Dantschreiben der Fa inilie Richard Wagner s. Jn Bciltiiiiore’g herrlichem »«3«ruid Hill Part« erbebt sich bekanntlich seit Kurzem auf stattlichem Posiament die schöne Büste Richard Wagner’g, welche die deutschen Sänger Baltiniore’5 auf dem Bundesgesanggfest in Brooklyn als Siegegpreis errungen. Einen Be richt iiber die schöne Einweihungsfeier sandte der Baltimorer Musitprofessor Vollbracht, der in Bayreuth bekannt ist, dorthin an die Familie Wagner; und er hat folgende Antwort von Wagners jüngster Tochter erhalten: »Prof. J- E. Vollbracht Baltimore. Sehr geehrter Herr! Empfangen Sie den verbindlichsten Dank für die mei ner Mutter erwiesene Aufmerksamkeit durch die Zufendnng des Berichtes aus dem ,,Deutschen Correspondenten« von der schönen bedeutenden Feier, welche in Baltimore stattgefunden. Es war das Erste, was wir darüber hörten, und wir sind Jhnen für die liebens würdige Mittheilung sehr dankbar. Gerne hätte Ihnen, sehr geehrter Herr, meine Mutter dieses selber ausge sprochen, doch ist sie fett einiger Zeit leidend und am Schreiben verhindert. Sie bittet mich, Sie ihrer herzlichen Ertenntlichleit zu versicheru, und ich füge derselben den Ausdruck meiner freundlichsten Hochachtung bei. Eva Buogner Bayreuth, den 18 Oktober 1.« W Die Mache. i i · 4 Von O. Sangiacomo. ] - W i Jch zog mit großem Enthusiasmus s zum ersten Male auf Wache , mit sieh-i zehn Jahren ist man auch als Soldat . noch ern halbes Kind , jeder einfachste Vorfall nimmt eine riesige Bedeutung an ; das Leben bietet in diesem Alter « noch so viele Geheiinnifse dar! Ich hatte eine halbe Stunde gebraucht, um die Patronentasche zu putzen, die Knöpfe des Waffenrockes blitzten wie Silber, der Stern des Käppis strahlte in der Sonne wie eine leuchtende Scheibe; wenn ich auf dem Wege zu Elvira gewesen wäre, hätte ich nicht mehr Sorgfalt auf meine Uniform ver wenden tönnen. ch war untadelhaft. n der Mannfchaftsstube, wo ich mir nach der zweiten Mahlzeit noch einmal den schneeweißen Ledergurt putzte, ging ich im Geiste alle Paragraphen der Dienstvorfchrift über die Pflichten der Schildwache durch. »Mein Gott, wie zahlreich sind diese Pflichten i« . . .. Der neben mir stehende Catapane sagte: »Heute Abend haben wir Leichen wache.« »Wer ist denn gestorben » »Wer gestorben ist ? Nun, das weiß doch wohl die ganze Kaserne I« Jch sab ihn erstaunt an ; ich wuszte von nichts-· Nun erzählte mir Catapane, daß sich am Morgen, während die Soldaten auf . dem Exerzierplatz waren, der Zentimet fter Giacoinetti durch einen Kombina 3 schusz ins Herz getödtet habe. ,,Giacometti? Der schöne, große, junge Mann mit dem blondenSchnurr bart, der erst Ende des Monats beför dert wurde ?« ,,Derselbe. Stelle Dir vor, ich hatte Rasernendie nst und fegte gerade die Treppe des Bureaus, als plötzlich von dem klein-i Korridor auf der rechten Seite des Gebäudes ein Flintenschuß ertönt. Was war geschehen. 7 Jn einem Auaenblict war der Korridor voller Leute ; Schreiber, Ordonnanzen, Feld webel, sogar der Bataillons : Adjutant stürzten auf den Flur; aber es war nichts zu sehen; während indessen alle anderen Thüren weit ausgerissen wa ren, war die Giacomettis von innen verschlossen. Der Schuß war von dort her gekommen. Violiui, der Zahlmei fter des dritten Bataillons, stürzt auf die Thiir zu und ruft angstvoll: ,,G)'iacometti ..... Giaeornetti. l Giulio Aber die Thür war fest verschlossen und Giacometti antwortet nicht; als man das Ohr an das Schlüsselloch leg te, hörte man ein leises Röcheln, ein unverständliches Murmeln, dann nichts weiter Der Adjutant sagte zu mir: »Ho len Sie den S.chlosser « Ich stellte deti Besen in eine Ecke und sprang, immer vier Stufen auf einmal, die Treppe hinab. Auf dem Hofe fand ich den Offizier der Wache ganz bestürzt über den Schuß, dessen Grund er nicht wußte. »Es ist oben im Bureau,« sagte ich ihm, »der Zahlmeister hat sich er schossen.« Jch eilte zum Schlosser Als ich mit diesem wieder herauf tam, brauchte man ihn nicht mehr; die Thiir war irgendwo geöffnet worden und die Stube des armen Giacometti war voller Leute. Er lag todtenblaß I auf dem Bette, die großen weit aufge rissenen blauen Augen fchienen nach der l Thiir zu blicken; man hatte ihm die lei ern-n F llcllc Joppc uIlU Ulc luuucuc weile uup s gezogen; auf der weißenBrust, nahe dem i Herzen befand sich ein tleines schwar jzes Loch und ein paar schwärzliche ; Blutstropfen: ich sah es nur einen Au s genblick und stiirzte gleich fort; es mach t te mir einen solchen Eindruck, daß ich s tein Wort herausbringen konnte. l Auf der Treppe, wo ich meinen Besen .wieder zur Hand nahm, sah ich den l Stabsarzt mühsam l)eraussteigen, mit seinem riesigen Bauch. « »Er-to ist ers« fragte er mich. »Dort!« — und ich zeigte ihm den Weg Natiirlich kam der Doktor zu spät, der arme Giacometti war todt;Herz und Puls schlugen nicht mehr· Dicht beim Bette lehnte in einer Ecke das Gewehr, dessen er sich bedient hatte. »Aber-wag fiir ein Grund mag er gehabt haben?« fragte ich lebhaft er regt· »Hm! Wer lann das wissen?! .. Nachdem der Arzt eingetreten war, ha ben sie mir natürlich die Thiir vor der Nase zugemacht und damit war die Ge schichte aus. Aber Eins man ich Dir noch sagen: Heute Nacht müssen wir Wache bei ihm halten. Hast Du Angst?« ,,Angst?« —— Dabei sah ich ihm stolz ins Gesicht und dieser Blick sollte sagen: Jch bin Freiwilliger, und das genügt· Catapane steckte ruhig seine Pfeife an und sagte: »Ich wache aber doch lieber bei einem oder auch zwei Leben digen; man weiß manchmal nicht-. · die Leute erzählen so vielerlei» .« Die ersten beiden Stunden wurde ich als Schildwache vor die Kasernenthiir gebstelltz die Zeit ging schnell genug vor u er. Die Soldaten kamen in Trupps her aus, war dem wachthabenden Osfizier vorbei, der sie mit seinem malitiösen »» Lächeln von Kopf bis zu Fuß mustertr. Glücklich auf der Straße athmeten sie Alle wie von einem Alp befreit aus, drückten das Käppi tiefer auf die Stirn und verlangsamten ihren Gang. die Linie stolz aus den Säbelgrifs gestützt, Beim Vorübergehen lächelten ihnen die Gevatterinnen unter den Ladenthiiren zu: diese fröhliche Jugend strömte wie eine frische Lebenswelle in die Straßen, die Wirthshäuser und Cafes, überall ein heiteres, geräuschvolles Lachen, ei nen frischen Hauch lustiger Jugend ver breitend. Vom Marttplatze aus ergoß sich die Fluth in hundert tleine Ströme, theilte sich in hundert kleine Gruppen. Einige Soldaten blieben vor den Seil tänzerbuden stehen und betrachteten stundenlang mit aufgesperrtem Munde die Plalate; ab und zu rigkirte Einer oder der Andere zwei Soldi und trat em. Jch sah sie mit zurückgeschobenem Käppi und triumphirender Miene wie der herauskommen und erblickte auf dem Ballon zur Linien die beiden ele ganten Prosile der Fräulein Galli, der « schönen Töchter des Oberstleutnants, die mich bis in meine Träume verfolg ten, obgleich sie in Wirklichkeit keine Ahnung von meiner Existenz hatten. Aus das Gewehr gestützt, mit dem aus gesetzten Säbelbajonett, das in der un tergehenden Sonne blitzte, würde ich, meinen Schildwachposten für das Gold i der ganzen Welt nicht hingegeben ha-· . ben. Jch fühlte, daß ich etwas vor- i stellte; mir war, als ob das Ver- i trauen des ganzen Heere-s auf mir : ruhte und die Verantwortlichkeit der I ganzen Kaserne auf meinen Schultern lastete. Die beiden Stunden vergingen in blitzartiger Schnelle; dann wurde ich abgelöst und zum Zapfenstreich in Reih und Glied gestellt. Als wir ausein andergegangen waren und ich mich am Ofen erwärmte, betrat Processi flu: chend das Wachlolal, stellte sein Ge wehr aus den Ständer, drängte sich zwischen ung und brummte, ganz blas3, vor sich bin: »Ich halte teine Leichenwache mehr!« »Ei! Warum denn nicht?-« sagte ich zu ihm. Aber Processi hüllte sich in stolzes Sehn-inm- » war noch leichenblaix ..-. nnd hatte einen ganz ver-störten Blick. Die Anderen verhöhnten ihn und such ten aus alle nur mögliche Art zu erra then, was er gescheit habe. Um Mitternacht tam ich heran; toir stiegen mit dem Korporal die beinahe duntlen Treppen zum Burenu hinaus und betraten, das Gewehr im Arm, den Kniridor. Giacotnetti’5 Zimmer ; stand offen und wars auf die gegen überliegende Wand ein Dreieck röth lichen Lichtes; ein anderes Licht brannte aus der entgegengesetzten Wand und verlängerte die Schatten; es herrschte eine Grabesstille. Der · storporal ließ mich neben Pieroni tre · ten, der mir die Instruktion wieder holte und abtrat; dann gingen Beide . davon, während ein düster hallendes » Echo ihre Schritte begleitete. » Jch blieb allein zurück. Was ich empfand, weiß ich lautn zu beschreiben. Zuerst lehnte ich mich an ; die Wand und atte nicht den Muth, in sdas Zimmer zu sehen; das Dreieck ; röthlichen Lichtes war von einetn un ; deutlichen Schatten unterbrochen, des 1 sen Umriß man nicht ganz erkannte; - aber beim Ausslackern der kleinen « Flammen vergrößerten sich diese Schat : ten in drohender Weise und vermisch ’ ten sich mit dem meinigen, als ob sie ? ihn umgarnen wollten. Allmählig lehrte mir der Muth zu tiicl, die Neugier touchg. Ein tiefes Gefühl von Mitleid sitt den schönen todten Jiinalina übertam mich. siir diefes Opfer des Gesschickg, das dort vor mir lag und am gestrigen Tage noch voller Leben und Kraft gewesen tvar· Und ich betrachtete ihn. Seine Brust war noch unbedeelt, und ein rundes Loch in der Nähe des Herzen ließ dag reine Weiß seiner Haut nur um so deutlicher hervortre-v ten; aber die großen, blauen Augen waren siir immer geschlossen nnd der blonde Kopf ruhte auf dein Rissen mit der Schwere des ewigen Schlafe-. Ar iner Junge! . . . Armer Junan . . . Jch hatte schon einen Schritt in das Zimmer gethan; der Tod tibt einen unheimliche-n Zauber auss; ich fiihlte mich unwiderstehlich nach sdem Bette hingezogen; er schien mir uniiiögliesi, rast er todt sei; vielleicht schlief er nur. Ein paar rasch voriiberzielnsnde Schat ten geben hier und da dem blassen Antlitz einen Schein von Leben, der mich erbleichen ließ; dennoch trat ich näher, verstohlen tvie ein Dieb« ange trieben von der krankhaften Neugier dek) Kindes-, das Alleg sehen, Alles wissen möchte. - Jch putzte das Licht, das trübe brannte, und sofort beleiichtete ein hellerer Schein die marmorne Blässe dieser sein geschnittenen Züge. Ich dachte an seine arme Mutter, an seine armen Schwestern; an der rechten Wand hing in einem vergoldeten Rah men eine große Photographie, eine Fa miliengruppe, aus der seine Gestalt bervorragte. Arme-r Junge, armer Junge! . . . Warum hatte er sich nur getödtet? . . · Jch sah in Gedanken die namenlose Verzweiflung der armen alten Frau, die meiner Mutter so ähnlich war, und ein schmerzhaftes Schluchzen stieg mir in die Kehle aus; es schien mir, als ob alle diese Porträts es mit ansahen, leise zu mir sprachen, mit Thriinen in den Augen Und Thrönen in der Stim W-, W—-- --.-.---— me, die alle in der einen traurig-n Frage zusammenklanng »Warum? . . »Warum? Nicht das geringste Zeichen, nicht die kleinste Spur. Giacometti toar ein tüchtiger junger Mensch gewesen« in ge ordneten Verhältnissen, von Allen ge liebt und geachtet , in seinem einfachen Zimmer herrschte ein Hauch von Frie den, die Ordnung eines wohlerzogenen Jünglinge- mit ruhigen Gewohnheiten. Das Geheimniß iag dort in jenem marmornen Antlitz mit. dem Profit einer griechischen Gemme, in jenen sarblosen Lippen, die zu einem trau rigen Lächeln verzogen waren. Am Ringfingxr der linken Hand glänzte ein schmaler, goldener Reif ; vielleicht eine» Erinnerung an seine Mutter . . . Dann hatte er sich wohl aus Liebe getödtet, um einer jener gigantischen, unmögli chen Leidenschaften willen, die eine Exi stenz zerschmettern. Und wer war· die Göttin? ..... Es hing kein Frauen bildniß an der Wand, kein Brief lag auf dem Schreibtisch. Jch erging mich in Vermuthungen und betrachtete ein gehend den armen Giulio, ihn mit Blicken befragend. Mit einem Male sah ich etwas Dunkles zwischen dem Kopfkissen und dem Laien hervorschim mern, einen schmalen, schwarzen, gold geränderten Streifen. Beim genauen Hinsehen erkannte ich, daß es eine Kabinetsphotogravhie nar, die unter dem Kovfkissen hervorsah Hier dar das Gebeimniß verborgen. Jeh vermochte meine Neugierde nicht zu beherrschen; dies Geheimnisj ge hörte mir nicht ; der arme Todte hatte eg mit sich nehmen, in seiner Gruft mit begraben lassen wollen; aber mir kam auch der Gedanke, daß am morgen den Tage die Photographie Allen m die Hände fallen würde, und es erschien mir als ein gutes Werk, sie den neugie rigen Blicken gleichgiliiger Leute zu entziehen. Jch nahm sie und betrach tete sie...., das Blut schoß mir in· den Kons, das Herz schlug mir zum Zerspringen und das Bild wäre mir fast aus der Hand gefallen. Sie war eg, die schöne Marie Galli, die Tochter des Qberstleutnanis mit ihrem griechi schen Köpfchen, ihrem göttlichen Lä cheln ..... Schritte näherten sich der Treppe; ich steckte das Bild in die Tasche und tiifete den Todten auf die bleiche Stirn. ,,Lebewohl, armer Giulio ; Du hast geliebt toie ein Dichter und Niemand verstand Dich !..·.« Es schien mir, als ob von diesen Lippen ein Hauch aus-ginge, als ob der Todte mir ganz leise in’g Ohr flüsterte : «Danl, mein Bruder l« -...-s» Ueber einen Aberglauben Kaiser Wilhelm g l. berichtet Professor Delbriict in den «Preuß. Jahrbüchern« in seinen Erinnerungen an die Kaise rin Friedrich Delbriick schreibt unter Anderem: Es giebt bekanntlich viele sonst hochintelligente Menschen, die doch irgend einem kleinen Aberglauben in bestimmten Hahlem Tagen oder Vorzeichen huldigen. Die Kaiserin Friedrieh war völlig frei davon, ob gleich sie, wie sie erzählte, einmal etwas erlebt hatte, was einen Menschen, der sonst dazu geneigt sei, wohl hätte aber gläubisch machen können. Als sie ihren dritten Prinzen geboren hatte, fragte der Kronprinz beim König an, wie er ihn nennen solle. König Wilhelm er widerte, eg sei ihm gleich, nur den Na men Ferdinand möge er nicht, der habe dem Hause kein Gl"ck gebracht. Die kronprinzlichen Herr chaften beschlos sen, den Sohn Sigigmund zu nennen. Da geschah eg, daß der Hofprediger bei der Taufe statt Sigistnund Ferdinand sagte Der stönig sah seinen Sohn nnemnrfohnll nn · es schien in nlä nli er ihm absichtlich diesen Tort angethan hätte. Die- Sache mußte aufgeklärt werden; das Merttviirdige war, daß nicht etwa der Hofprediger vorher da von gehört hatte, daß der Prinz nicht Ferdinand beiser solle, und eben des halb in den Jrrthnm verfallen war, sondern esJ war toirtiich reiner Zufall, das; er sich gerade mit diesem Namen versprochen Aber, so fügt Delbrück hinzu, das Wort iiönig Wilhelni’s isk eingetroffen, dem lleinen Prinzen ist tein Gliiet beschieden gewesen, er ist, zwei Jahre alt, im Jahre 1866 wäh rend des Striegeg gestorben. --— Ein Zwiegespräch Eine lustiae Geschichte von seinem Aufent halt in St. Petersbnrg im Jahre lthL während dessen er auch vor dein Zaren Alexander lll und seiner Fa milie austrat, erzählt Hederic Fevre im »Ganloig«: Ein Franzose, der des letorgenS angekommen war, be sucht Abends das Promenadentonzert des Wiiitergartens, und da seine Cigarre ans-gegangen ist, bittet er einen vor übergehenden Offizier um Feuer-. Der Osfizier zögert einen Augenblick, reicht dann dem Franzosen seine Cigaere, und während dieser einen Funken dar aus zieht, fragt er den Franzosen lä chelnd: »Sie sind ein Franzose, mein Herri« »Noch besser . . . .. aus Tou lonse!« »Sie kommen znm ersten Mal durch RuleandZ« »Ja, mein Herr.« »Dann tann ich mir freilich erklären, das; Sie den großen Herrn in Unisorm, der bei mir stand, als Sie mich um Feuer baten, nicht gegrüßt habeni·« »Der große Herr! . . .. Jch habe nicht Acht gegeben . . « Wer tvar es denni« »Dieser Herr,« sagte der Ossiziet und nahm endlich seine erloschene Cigarre zurück, »das ist der Kaiseri« ,,Sind Sie dessen ganz sicher?« »Um so siche rer, als es mein Vater ist«