Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 11, 1901, Sonntags-Blatt, Image 18

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Roman von Milbelm mcperckörstcn
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(1L IstssetunaJ
Der alte pensionirte Ritttneifter von
creat, der tnisesteis und rheumatisch
jeden Abend hier saß, gab nrit seiner
wartenden Stimme eine Definition:
.Ungelsächsischt Rasse, verpflanzt
nach drüben, dann vermischt und aus
cht, vergehen Sie recht, meine
tren: aufge ifchtt Durch alle mög
t Kreuzungem irisches Blut, fran
eä thes, spanisches, vielleicht sogar
anisches, hoc-interessant Vor
allem vom züchterischen Standpunkte.«
hätte Foseph ihm zugehöri, so hätte
et diellei t Anlaß genommen, sich die
sen «züchterischen Standpunkt, ange
wandt auf denStammbaum seiner Ge
mahlin« zu verbitten, aber er saß apa
ihisch und gab auf die hin und her
fchlvirrenden Fragen nur vage Ant
wetten.
Er hatte sich auf diesen Abend ge
ent, es gab da vielleicht ein letztes
l alte Erinnerungen auszunu
schen, jetzt schienen ihm die kurzen zwei
Stunden unerträglich lang.
Man fragte ihn aus wie einen Ge
Ichä kreisendem lohnt es sich faktisch,
n merita Umschau zu halten?
Giebt es wirklich Dutzende dieser schö
nen Millioniitinnen, die Lust hätten,
nach Deutschland überzusiedeln?
Sie horchten mit gespanntek Aus
merkfamieit, denn da saß nun einer,
der in dem Märchenlande reüssiert
hatte, der einem Vielleicht wirklich und
ernstlich raten konnte!
Er leerte fein Glas auf einen Zug
und stand auf:
«Karl! Za len!«
»Du will fort, Joseph? Jetzt
fehmksp
.Jch muß. Meine Frau erwartet
mich in Zer Oper.« Er sagte die Un
wahrheit, aber alles Blut drängte
nach feinem Kopfe, er mußte hinaus
um jeden Preis-. Und als sie ihn nicht
fortlassen wollten, fügte er eine zweite
Unwahrheit hinzu: »Ich komme wie
der, vielleicht heute Abend, oder wenn
ni t, dann morgen.«
nz flüchtig schüttelte er Trean
und Krachts und der andern Hände,
nnd ohne sich noch einmal nach dem
Stammtifche umzusehen, verließ er
das Zimmer.
Jst dem Theater ging Joseph auf
nnd ab und wartete. Es war kaum
seu- Uhr vorbei, 'vor einer Stunde
konnte die Oper nicht zu Ende fein.
Er Eil-ersann diese letzten acht Tage
noch einmal.
Die alten Bekannten hatten ihn au
ßerordentlich freundlich auiaenommen,
man überfchiittete ihn mit liebens:
würdigen Einladungen, die er abge
lehnt hatt-, und mit noch liebenswür
si eren Offerten. Jegendwie hatte
H das Gerücht verbreitet: «.f)eiden
amm ist hier, um Rennpferde für
Amerika u taufen,« und nun erhielt
er Ko se Anerbieten. Leute« die
ßch keinen Deut um ihn gekitmmert
« tim, als er nach Frangipanis Ver
a en und Niederlage außer Landes
ge mußte, schrieben ihm Briefe in
einem Stile. als ob sie nie aufgehört
Etten, feine herzlichsten Freunde zu
Und das alles nur, um ihre Pferde
en verlaufen! Das Pferdegefchäft
ft doch das fonderbarfte von der Welt,
weiß der Teufel!
Um einen that es ihm weh, daß der
sitr Monate berechnete Aufenthalt in
Deutschland nach knapp acht Tagen
zu Ende ging: um Rochug.
Aber während Joseph an der lan
gen steinernen Aufsahrtsrarnpe des
« Königlichen Theaters aus und nieder
ging, sann er darüber nach und dachte:
"» »Es ist vielleicht gut so· Der Rochug
Osten heute ist vielleicht auch nicht mehr
· Eber Rochus von damals. Behalt ihn so
im Gedächtniß, wie er war.«
Zwischen Joseåh und seiner Frau
hatten diese acht age Schranken auf
richtet, die von Tag zu Tag wuch
sen und zu Mauern wurden·
Mit ihrem scharfenVeestande begriss
ne am ersten Tage nach jener Lie
snacht den strategischen Fehler, den
He begangen hatte. Sie suchte ihn
wieder gut zu machen; sie war ruhig
freundlich egenJoseph, weich und
zärtlich gegen arie — zu weich und
I u Azittttch
AmPZweiten Tage lehnte sie sich an
ihren ann und sa e mit ihrem gut
« strittig- spöttischen Zittchelm
»Ich weiß alles, was du denkst, Joe
Und du hast ganz recht. Es war häß
- lich von uns beiden. Nun dent nicht
Uhr daran, Joe, sei wieder gut und
Wt
Er Mädeoe Uhl Und dachte doch da
. dritten Tage wechselteu sie kein
s .« miteinander und am Mittwoch
. « mit ihrem Schwaget in die
h ers spät Abends heimzu
Ye- mi im er m krit
ssssxsxxsssxiwws si-«
. T .’ : «
Ende dieser Woche alle Welt davon re
deDer einzige, der die beiden nicht be
achtete, war Joseph.
Im Innern des Theaters wurde es
lebendig, die Borhallen erleuchteten
lich, die Thüren wurden weit geöff
net, die Vorstellung war been-det.
Jm Strome der heransdriingenden
Menschen erschien Albrecht mit seiner
Frau und Jan-e Es solgte eine flüch
tige Begriißung mit Joseph, dann ging
man die Straße entlang· Albrecht
mit seiner Schwiigerin voran, Joseph
und Marie eini e Schritte lzienterdreirn
Er sah, wie Ich die Vor igehenden
nach Jane und ihrem Begleiter um
wandten, die beiden bildeten in der
That ein stattliches Paar: Albrecht
mit ilirrenden Sporen in seiner reichen
Unform, Jane mit dem Federhut und
der seidenen Toilette, deren seidene
Unterileider bei jedem Schritte ra
schelten und rauschten.
Auf Joseph und Marie sah Nie
mand.
Sie hatten wochenlang bleiben wol
len, aber ganz plößlich hatte Jane ihn
heute morgen gefragt
»th es dir recht, wenn wir reisen?
Jch langweile mich."
.Wann ?«'
»Wartet du willst. Vielleicht in zwei
Tagen. Am Dienstag.«'
,,.Gut «
Er ging neben Marie und wechselte
mit ihr glei ültige Worte. Jn dem
Gedränge der enschen, die vom Thea
ter heimeilten, verloren sie das vorn
ärhende Paar eine Zeitlang aus den
ugen sie gingen in diesem schwafew
den Gewühl so unbeachtet nnd ern am
lUIc III II Iskss III IUIU UsI
Nach achtundvierzigStundenk Dann
fort und nie wieder kommen! Marie I
nie wieder sehen!
Bis heute hatte er mit sich getämpst.
Er hatte es vermieden, mit Marie al
lein zu sein, ihr nahe zu kommen, er
wollte standhaft bleiben, und er blieb
auch heute standhaft. Er zog ihren
Arm nicht an sich und sagte nicht »Ma
rie« und blickte sie nicht an
Eine tote Konservatiom »Was
wurde im Theater gegeben?«
»Der Freischüp.
JGeht ihr oft m s Theater?«
»Biötoeilen.«
Jhre Hand lag ganz lose aus seinem
Arm, aber sie fühlte, wie dieser Arm
zitterte.
Mit einem sonderbaren Blick mu
sterte Jane die weißen Gesichter, als
sie — an der Schillerstraße wartend —
fiiz beiden in der Menge herankommen
a ·
Vergebens drängte Albrecht: »Ihr
wollte doch noch nicht heim? Wir wer
den doch den Abend zusammen seini? »
Diesen vorletzten Abendik Sie lehnte
es talt ah:
» eh bin mtide. Gute Nacht'
A drecht bat noch einmal, mit einem
seindseligen Blicke schaute er aus seinen s
Bruder und Marie, die stumm dabei
standen, aber Jane bot ihm kühl die
hand:
«Gute Nacht. Bis morgen. Also
wie heißt das, wohin wir morgen sah
ren?«
« ten-hausen«
« chön Herrenhausen.« Sie sprach
das Wort mühsam mit ihrem fremd
artigen Accent. «Joe, deinen Arm.
Aus Wiedersean
Jm Hotel ging sie schweigend in ihr
Qimmek während ototer-h im Solon
LFW
blieb und noch auc- dem Fenster
schaute. Es war früh, taum elf Uhr,
er hatte teine Neigung, schon schlafen
zu gehen.
Er hörte sie drinnen mit Dash re
den, eine Stunde lang, dann wurde es
still· Auch draußen auf der Straße
war es einsam geworden. Joseph hielt
eine halbverbrannte, längst erloschene
Cigarretc zwischen den Zähnen und
starrte fast ohne Gedanken vor sich
hin. Es war finster im Zimmer, er
ließ den Kopf auf die Brust singen.
Da fuhr er auf und öffnete ie Au
Fsk Lichtschein war im Zimmer. die
hür hatte sich geöffnet, und in der
Thitr ftandJane im Nachttleid mit der
Kerze in der Hand.
»Joe!« rief Jane und streckte den
Arm mit der Kerze vor und suchte in
der Dunielheit nach ihrem Mann.
»Was-W
»Es ist zwei Uhr nachts. Du soll
test schlafen gehen.«
»Ja, bald." Er rührte sich nicht von
seinem Platze.
Eine Minute stand Jane unbeweg
lich und wartete auf fein Mittommen,
dann, als er leine Miene machte, ihr
zu folgen, brach der san e dumpfe nie
dergepreßte Grimm di er Tage her
vor.
«Ob dein Bruder mir den Do macht
und mich verfolgt mit feinen l cherli
Anerbietung-In dir es gleicht«
M He gute an und
ehst- istdttmveu Lache
surtixtsssie·dqwird dir gleich set-, wen
» : qiim werde-. nicht
i
W
Er rührte sich nicht don sei-Im
Platze.
Ohne Zusammenhang und logfsche
Geoantenoerdindung sprang ihr
Grimm über auf Marie:
»Um einer solchen Person wisen!
Weißt du, du machst dich lächerlich.
Ich könnte alles verstehen und alles
verzeihen. Jch könnte es verstehen,
wenn mein eigener Mann mir speise
rissen würde durch eine Frau von-Geist
und Schönheit und blendendem Licht.
Durch eine, die größer wäre als ich —
aber to?! Das! -—— Du machst dich lä
cherlich. lächerlich!«
Er schwieg und saß mit einer eisi
gen Ruhe in dem Sessel ihr gegenüber.
Und durch seine steinerne Kälte
empört. sinnlos emacht, suchte sie
nach den oerleßend en Worten.
«Eine Larve, weiter nichts! Ein Ge
sicht, das vielleicht einmal s Zn war,
gut, meinetwegen, aber eine chönheit
ohne Geist, einsältiig, nichtssagend, so
nüchtern, so grenzenlos nüchtern.«
Sie erschrack über ihre eignen
Worte, die in dem dunklen Zimmer
schrill nachzuhallen schienen.
Die Kerze brante herunter, in dem
Pülnnen Nachttleide begann sie zu stö
te n.
Er saß, den Kon aus die hönde ge
le t und die Arme aus die Knie ge
stützt, als ob er schliefe, et blickte ihr
nicht nach, als sie aing.
Die große Sehenswiirdigteit des
einstigen Köni sfitzes »Derrenhausen«
ist die riesenhaste Palme, deren Glas
baus so hoch empor-ragt daß man es
in weitem Umkreise von Hannooer und
den Dörtern aus sehen tann.
Tausendmal war Joseph als Junge
und später als Offi ier vorbeigeritten,
aber er erinnerte si , nur einmal in
sein-ern Leben die Palme gesehen zu
baden. Straendtoelcher Verwandtenbe
such war anwesend gewesen, und da die
Fremden alles das zu ehen erhalten,
was die Einheimischen zwar hoch
schätzen, aber selten oder nie betrachten,
tleine Marie mit zu der Palme ge
nommen.
- Jetzt, da er wieder neben Marie am
» Faß des gewaltigen Baumes stand, er
innerte er si an jenen eLag aus der
Kinderzeit mit einer Deutlichkeit von
unheimlicher Schärfe. Er hatte damals
an der Faserrinde des Baumes ge
zuptt, was man ihm verbot, aber er
zupste nachher doch wieder daran, und
zwar so energisch« daß er ein großes
Stück ahriß. Niemand sah es, nur
die tleine Marie, die ihn mit großen
erichreckten Augen beobachtete. Natür
lich war sie es, der er das erbeutete
Stück Rinde schenkte. und als sie ein
paar Stunden später im Kaisergarten
zum »Der-zog von Braunschtveiq« mit
den Fasern spielten, kam die Unthat
zur Kenntniß der Verwandten, wurde
aber nicht bestraft, sondern Macht«
und er erinnerte sich, wie eine der Tan
ten sagte:
»Ein toller Junge-«
Ein toller Junge — heute war er
kein toller Junge mehr. Er hielt die
Hand im hellen Handschuh auf die sit
berne Kritcke seines Stockes gestützt,
unsd als der Gärtner ein Handvoll
Fasern von der Palme schnitt und sie
im Kreise umherreichte, rührte Joseph
keinen Finger danach.
Albrecht gab, immer zu Jane ge
wendet, in seiner pedantischsgenauen
Weise einen Kommentar des aumes:
»Es ist die höchste Palme in ganz
Europa. Sie ist ganz und gar einzig
in ihrer Art. Und sie wächst noch im
so hatte man damals auch ihn und die .
" mer. Früher,war das Glashaus we- ;
sentlich niedriger, und man ls sich
damit, daß man den großen ehiilierY
- mit den Baumwurzeln immer tiefer in
einen Erdschacht hinadließ Dann hat «
man mit gan enormen Kosten die es
neue haus er aut.«
Der Baum tte in der That etwas
IGewaltigeL r ers ien mit feinen
» trhstallenen, üppigen öusern, seinem
x WOXYMOHIMIJLW Akten-II
wieverichrveoen in runnnchen Hawai
:ten, seinen kostspieligen Bedürfnissen
und der zauberhasten Pracht der ihn
» umgebendenl feineren Basallen wie
ein königlicheg Lebewesen, das den
Wechsel der Zeiten überdauert hat und
in dieser Einsamkeit von herrenhau
sen das Dasein eines Verbannten
suhrt.
Es gab vergangene Tage, da Kö
nige aus diesen Banrn stolz waren und
ihn hegten und ihn anderen Königen
zeigten. Aber seit Jahrzehnten kom
men teine König mehr in das Palmen
hautL keine englischen Prinzem keine
Liebegpaare vomsköni shos, die in den«
Dickicht der afrikaniscsen Schlingpfans
zen und in dern betäubenden, feuchten,
heißen Dufte der Palmen sich küssen
Nur renide kommen, nüchterne Leut-»
die firr sünfundzwanzig PfennigeEim
tritksgeld von dem Gärtner botanische
Jniorrnatipnen verlan en mild getreu
zu wissen wünschen, wie hoch die alte
Königopalrne sei, wie br:·r an der
Krone nnd wir alr.
Marie tastete nach Josephs Arm:
»Ich möchte —- hinanz..«
Der kalte Schweiß stand ihr rus der
Stirn, dieses-Sieben in der bestem-nen
den, atemraubenden Hi e hatte ihr
Gesicht rnit einer fahlen lasse überzo
gen.
Draugn in der Sonne wurde ihr
besser. ie sa n noch. wie der Gärt
ner die eiserne hür in dem Glaähause
vers laß, damit kein Unherusener in
das us der Palme eindringen könne,
dan ingen sie durch vie lieblichen
engli chen Gärten, die seibsr Jam
ver hntez Auge elten.
Ueber die breite .:straße, deren
mi häutet und V llen -— einst
ygen ver Hofbeaznten und her
Lsc ne m der Dienerichaft —
.«.
leer und verschlossen in der Sonne
hiintten. kamen sie am Schiah vorbei
in die weiten. großartigen Anlagen
des sranzösxschen Parti.
Nane war erstaunt.
Sie hatte nie dergleichen geschen
dieser riesige, viereckige Pian, die end
losn, geradliniqen Hecken und in der
Ferne blaue Weg-, vie den horizont
schließe-r
»Das ist sehr schön,« saate sie aus
richtig, und mit einem impulsiven Ber
M über einen Abgrund we eine
Nie zu pannen, wandte sie —
das erste al heute —- u Joseph-·
»Sieh doch, Joe. ie schön —
nicht wahr-i«
N einmal, zögernd, langsam
sagte re:
·—nicht wahrt«
Und dann inmmte etwas aui in ih
rem jungen sicht, das gleich daraus
einer Totenhliisse wich.
Er hatte nicht geantwortet, nicht
einmal den Kopf nach ihr gewendet.
Albrecht, der zur Seite getreten war
und sdie steinerneSonnenuhr mit seiner
eignen Uhr verglichen hatte -— er ver
säumte das nie, wenn er in den Gär
ten von Herrenhausen war —- ries sie
an:
»Sehen Sie hier, Jane: die Son
nenuhr." Er erläuterte mit seiner pe
dantischen Genauigkeit Zeiger nnd
Platte, dann hvt er Ihr wieder den«-Arn
und siihrt sie weiter:
»Morgen sind Sie in Paris Ueber
morgen vielleicht in Verssilles. Dank
werden Sie uns und Herrenhausen
ver essen.« «
sie hörte nicht, was er sagte. Sie
hörte nur hinter sich den Kies knir
schen unter den Schritten der beiden,
die hinter ihr ingen.
»Und das it das Theater-«
Albrecht siihrte sie die steinernen
Sitzreihen hinaus und zeigte ihr des.
» Ylict aus diepiihnejzt Lfiihrte sie hin
«».s!s
uuer sur souqnc sue-Ir, »nur nun-Ist
aus cken bestehen, während vor jeder
Kuli e eine Erzsigur steht: Tänzer,
Fechten Tänzermnen —- dieses Mal
war sie wirklich überrascht!
»Das ist seltsam, wie seltsam das
ist. Ein wirtliches Theater!«
Sie gingen hin und her und betrach
teten jede einzelne Figur. Dann führte
er sie über die steinerne Rundtreppe
am Ende der Bühne hinab und . . .
Si stand von neuem erstaunt: ganz
von der Sonne übergliinzt erhob sich
jenseits der Decken eine tolossale Was
sersiiule, deren riesige Wasserfälle irl
hundert Fuß höhe zu Gischt zer
stäubte.
»Das sind die berühmten Wasser
werte von herrenhausen," sagte er do
zirend, »auch eine unserer Sehen-wür
digteiten·«
Rechts, links, allenthalben rauschten
Fontiinen, stiebten Kaskaden. während
die Sonne Regenbogen in die stäubens
den Wasser malte. Er siihrte sie von ei
nem Wasserbeelen zum andern, sie gin
gen durch lange Heckengiinge und san
den immer neue Fontänen· Ein brei
ter Wasserlauf, auf dem Sehn-Eine
schliefen, zog sieh sehnur erade an bei
den Seiten der sranzösi chen Anlagen
Jn den weiten, verlassenen Gärten war
es still, nur die Wasser plätscherten
Wenn man nach langem Gehen an die
Grenze des Königsgartens gelangt
war, sah man aus grüne Wiesen und
Felder, und jenseits dieser Wiesen in
weiter Ferne hohe Schornsteine, die
ihre dunkeln Rauchwolten unablässig
terzengerade in die Lust sandten.
.Was ist dorti«
»Es-Wen vie Fabrikherr-· ;
(
.- d· -
Sie blickte lange hinüber. Die lan- I
en Reihen gi antiseher, arbeitender
chlöte hatten ür sie etwas heimat- -
siehes, das nach allen den sonderbaren
hecken, Palmen, steinernen Götterbil
dern und Goldsischen und schlafenden
Schwänen an Jersey erinnerte, und an
Bestan· wo Titane in den schwarzenhö
sen der väter ichen Fabrik nach vor we
nigen Jahren umher etollt hatte.
»Was ind es für k ahriten?« fragte
iie nach einer Pause, «sind es Eisen
iabriten ?'·
Albrecht guckte die Achseln:
»« ch tann es nicht sagen-«
» ch glaube, es find Eiienfabrilen,«
sagte sie.
- i
An dein Sandsteiniockel des ehernen
chterz, ganz vorn an der ersten Ku
isse, war Marie stehen geblieben. Es
war ein warmer Tag, aber sie zitterte
vor Frost. Sie suchte nach einemhalt,
sie konnte nicht weiter
Und während ihr Mann Jane von
Kulisse zu Kulisse führte, die einzelnen
Figuren zu erklären suchte und von
den pruntoollen Festen erzählte, die
der hoi hier ein veranstaltet hatte,
ft- rd iie mit geschlossenen Augen.
Sie hörte die Schritte der beiden
verhallen, die Stimmen immer ferner,
eine traumgleiche Mädigteit zog über
sie hin·
Ein Vogel begann ganz in der Nähe
zu zwitlchern.
Dann legte sich ein Arm um ihre
Schultern, eine Hand nahm ihre hand.
Sie öffnete nicht die Au en. Sie that
drei, vier Schritte und iihlte iich nie
dergezogen auf einen Steintis. War
es vie Sonne, die so warm aut, ihre
kalten hände ichient Die Kälte
schwand. nnd ans der Hand, die ihre
hande umspannt hielt, und aus der
andern hand, die auf ihrer Schulter
lag, tam eine weiche Wärme, die auf
der Schulter dnr das dünne Som
mertieid unablä ig wie ein warmer
Strom drang.
Wieder begann der Vogel zu zwis
n.
Er hörte auf nnd fing von neuem
an. Und schwieg wieder.
i
.Wird er noch einmal Mk
dachte tie. und sie wußte ganz genau
used fiilIlte ganz sent-m er werde ei
t un.
Richti er thateit
Ein iicheln zog iiber ihr chi,
dann atmete sie tses auf und its e
die Au n.
«.Zosg:)dt« sa te sieff leise und schloß
die ugen von eisern
Mit starrem Gesi te saß er neben
ihr. Hier an dieser elden Stelle hat
ten sie dvr sechs Jahren alt junge.
liickliche Menschen in Winter-kalte und
chnee Frühling gefeiert. Die er jeIt
im Arme strit, glich in keinem Zuge
me r der chönen, iißen Marie von
ein .
Aber fe länFJ er niederschaute, um
so mehr schien OGesicht der k rnu sich
u ändern. Ein weicher, giicklicher
Hug legte sich um den Mund, die blas
en Lip n töteten sich, und nun Zif
nete te nach einem langen, tiefen
Atemzuge die Augen zum zweiten
Male:
»Er-lebl- —« ·
Die Au en waren dieselben geblie
ben, oder chien es nur so? Oder hat
ten sie nur heute. in dieser einzigen
Stunde, den altensauberhaiten Glanz
zurückgewonneni , Es war nichts
Schmerzliches in Maries Blick, nichts
von einem Bewußtsein, daß in wenigen
Stunden der leste Abschied kommen
würde — nichts als der Ausdruck un
siiglichen Glück-.
anepb -««
» ane!!«
Er riß sie, außer sich, empor und ;
preßte seinen Mund auf ihren Mund. ;
» «Marie —- Marie «- Marie ———«
- Tot und starr standen die alten;
E steinernenGFtterbilder und stumm und
lalt die griAen Hecken, die in jedem
Frühjahr, wenn re ausleben und die
Arme ausbreiten möchten, von der un
k«-miu-sö«sn cui-d duä Msfdnsks In
die leblose Form zurüctgezwängt wer- :
den. n ihrem Schatten haben in
hundert ahren zahllose Menschen sich
gesunden und sich getrennt, gelacht
und geweint, getollt und geiiindigt,
waren Menschen überglücklich und
Menschen berzweiselt
Alles wiederholt sich hunderisach,
tausendfach, millionensach.
Einmal suhr Joseph aiis nnd spähte
um sich: war da Jemangdi
Keine zehn Schritte entfernt gin en
Albrecht und Jane vorüber. iei
suchten und blieben einen Augenblicti
stehn und schauten rechts nach demi
Amphitheater and links nach der l
Bühne.
Er fürchtete sie nicht: mochten sies
kommen. wenn sie Lust hatten, und ihn »
sehen, wie Marie in seinem Armes
ruhte, —-— aber doch hielt er den Atem ;
an. Vielleicht um Maries willen.
Sie gingen weiter und ihre-Schritte
derhallten.
Marie die mit geschlossenen Augen s
an seiner Brust lehnte, hatte nichts ge- ;
hort. Aber sie fühlte seinen Atem
stocken nnd dann rasch gehen; ängstlich »
blickte sie aus:
.J·viepb ——?« i
deSie sprachen nur wenig miteinan- I
r
Sie sragte nicht: »Joseph, weshale
hast du mir das acthan?«
Urrd er sagte nicht: habe im- .
mer nur dich lieb gehabt arie ——« ;
Sie sprachen nicht vom Abschied und
daszS sie sich nie wieder sinden würden. »
Sie sprachen von damals: i
»Weißt du noch —?« I
»Bei t du noch -—?«
Und e wußten noch. Es war ia so «
lur e Zeit erst her: sechs Jahre seit der
Lie szeit zwölf ahre seit Maries
Konsirniatiom an die sie sich erinner
ten: »Weißt du noch, ich tani heriiber
: von Potedani in Fähnrichsunisorin?«
» —- und achtzehn Jahre seit sie ein
. lleines Ding war, das bei oseph le
sen lernte und die erste iesertaset
volltrißeltr.
i Was sind achtzehn Jahres Ein
Nichts!
Aber den beiden erschienen sie wie
tier- Eminbit
Sie sprachen von jenem Winter
tage, da sie hier zusammen gewesen
waren, und dein gleichen Gedanken
folgend, blickten sie beide zu gleicher
Zeit ach dein ehernen Fechter, dessen
Gesi t und Nacken damals von Jo
sevhs Schneebällen überstiebt wurden.
»Wenn du zwölfmal trissst, ioll das
ein Zeichen sein« dasz wir zusammen
glücklich werden
Er halte alle zwölf Male getrassen,
aber glücklich —
Sie schauten sich an, «eder von ei
nein unendlichen Mitleid "e den ande
ren ersiilli. «
» ofeph —
- iebe Marie —«
« -ch werde sie nie wiedersehen —- das
wu te er. Jch werde nie wiederkom
men; aber wenn ich auch tönte, Marie
siinde ich nicht webe
Er blickte iiber sie sort na der lä
cherlichen Figur eines Dionv ins und
versuchte mit Anspannung aller· Mus
leln, Nerven, Gehirnthiitigleit irgend
einen banalen Gedanken hu lassen, ir
gend etwas Ernstei oder ustigTs oder
—— aber er war nicht im Stan , seine
Bewe ung niederzuzwinaem Wie in
’enee inute, da er Marie zum ersten
ale wiedergesehen hatte, überwal
tiate ihn der Schmet , und vlö lich
zuckte ein sassungsloies Schlu zen
durch seinen Körper.
Marie richtete sich auf und zog sei
nen Kopf an ihre Schulter:
»Meine nicht, Joseph —- lieber Jo
e i«
nOåie trocknete seine Thranen, und
ein Weinen wurde allmählich tuhiger.
it einem merlwiirdigem anzusam
menhängendenisinsall dachte sie daran,
I
lW die and-e thi- gis-ph
nannte. Immer nur mir s.;.»tischen
HAbtit any
z bät ame wenigsäzu gebt-ne
F ist, arte, allein. und als ob sie in
. amen liebtosen wollte, wiederholt
» sie i n zärtlich:
l . kitph —- Jszepb —«
. brend sein op an ibrer Schul
i ter ruhte und sein nen leiser wurde,
I betrachtete sie ihn: wie jung Zoseph
) noch aussah. Zwi chen Schlii und
Au e 5Zog sich eine se ne Linie, die wohl
nog iemand außer ihr bemerkt hatte,
und iiber die sie nun leise mit denFins
geespihen glitt, als ob sie sie fortwi
schen woGelltä. Aber sonsi war es ein so
jun i cht.
Z gab eine Zeit, wo sie zu Joseph
auf ebitckt batte wie zu einer Re
sve tspersom als sie ein kleines Mäd
chen war und er ein großer Junge, der
hoch zu Pferde am hause vorbeiritt.
, Nun, heute war re alt geworden und
I Ists-b jung geblieben. Und noch ein
. hr oder zwei oder ein paar Jahre,
dann wiirde sie fort sein« ausgelb cht
. und bald vergessen. Aber Joseph, den
sie da im Arme hielt, wiirde weiter ie
ben, no zwanzig Jahre, vieriigJahrh
sechzig «ahre. Seltsam. Er wird
hier in herrenbausen vielleicht einmal
umhergeben als ein ganz alter Mann.
aber vielleicht giebt es dann gar lein
herrenhausen mehr. Dann leben
ganz andre Menschen —- Menschen. an
die wir heute noch gar nicht denken, an
die man sogar in zwanzig Jahren
noch gar nicht dentt —- und Joseph
lebt immer noch.
Wenn er dann ausgeben wollte und
mein Grab suchen, er fände es nicht
mehr. Weil es nicht mebr existirt.
Vielleicht giebt es dann überhaupt
teine Kirchhofe mehr. Die Menschen
lassen sich verbrennen wie in alten
Zeiten aus großen Scheiterhaufen, die
prasselnd und blutigrot leuchtend ihre
Flammen in die Luft schlagen —
»Jn die Luft schlagen ——«
i
»Oui«-i
:Marie"'
Joseph fuhr cui unb blickte mit sei
nem oerioein en Gesichte erschreckt em
por: »Marie, cvers isti«
Sie öffnete die Augen und fah ihn
angstvoll an. Dann ichian sie mit
einem wilden und boch nur chioachen
Ungestüm ihre Arme um seinen halt-:
»Joieph! Laß mich nicht allein! Jo
seph, ich bin fo allein!!«
»Marie, was isi —?«
»Geh nicht fort, Joseph! Geh du
nicht fortst«
Dann. hastig ließ sie ihn los: »Mir
nicht auf mich, Joseph. nein, nein« —
aber im nächsten Moment warf sie sich
wieder an seine Brutt: »Joieph, bleib
bei mir, bleib bei mir!« Se preßte sich ’
itternb in seine Arme: »Mich friert,
vM deck mich-u . Ach, mich friert
»Tiefe«-h mich
oEr hörte ihre Zähne zusammenschm
gen, ihre hänbe waren eiskalt.
Er schaute sich hilietuchenv um: war
da Niemand, der helfen konnte? Aber
es blieb ganz still ringsum, und mit
ihren steinernen Gesichter-i standen ice
Götter unb Göttinnen im Kreis-. mäh
rend die Frau irre zu renen beqam..
Jlxrehiinbe flogen im » eher, sie lacht e,
sie :-e-nte, ih. ganz: FU: per bebte. und
tik Wo :.« die iortvinrenv von ihr-n
klirren Damen, bee« i Len Zitlamg
naenlpcna wurden leis ,undeutli«.if«.
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; nicht. Er redete ihr zu: «Marie be
sruhige ischJ liebe, site Masse ich
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Ihm h :ien ionnte?! Ja blieb Jl
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Jbre zitternd-en Hin e hielten wie
m:. · Kinn ssnern feinen hats umspannt
Joseph -·"i Echte sin; frei « mac
u: n even Moment Atem zu ichopien
isef dzzn sammeln ate! o:e into t:
Kraft iärer hänbe verbreifachte sich.
halbi nnios hob er Morie empor
unb tru sie vie steinernen Stufen der
Ille-- F--I- Ist-- su- ss fee-ts- scro
riert so mich friert
Uuqsls Ost-out« spat ass- sup- »sp
samteit hinaus in’s Freie, wo man
vielleicht lHilfe finden wiirde oder einen
Wagen, der sie heimbringen konnte!
Er ging mit langen. raschen Schritten
einen Heckengang entlang, immer zu
idr sprechen-d wie zu einem Kinde:
,,Rudig, Liedchen, nun mußt du aanz
ruhig sein, ja, fu«-" und dann einen
zweiten heckengang· einen dritten —
er sand den Auswe nicht! Diese
französischen Baum ecken von dreifa
cher Manneshöhe verdeckten nach al
len Seiten hin dar Ausblick, und als
Joseph nach iausendSchritten keuchend
aus den Hecken hinausgelangte, sah er
vor sich die Wiesen von Limmer. Er
war in der salschenRichtuna gegangen;
nun mußte er den ganzen weiten Pakt
trog einmal durchreiten.
inen Au endlick blieb er stehen« um
Atem zu s spsem die Sonne schien
ihre Glut verdoppelt zu haben, und der
Schweiß perlte unter seinem Hut her
vor und rann iiber sein Gesicht.
Joseph wandte um und ging den
Weg zurück. Fortwährend sprach sie,
während ihre Arme, so ost er keuchend
anhielt, sich sester uni seinen hals
preßien, als oh sie in solchen Augen
blicken fürchtete, von Joseph fortgeris
sen zu werden«
Decke urn hecke, Gans um Gang!
Die seinen Adern seiner Augen schwol
len blutrot, seine Knie zitterten.
Da lag das tleine Königsiheaier
wieder vor ihm. Still und einsam wie
zuvor. Jn den Steingesichtern der
Götter ein boshastes Lachen.
Gotttetsma tolay ,