Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 27, 1901, Sonntags-Blatt, Image 9

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    Novelle von E. H. von Hugo-n
»Nimm es nur nicht zu schwer,
Gerda, der liebe Gott wird schon ein
Heim fiir Dich haben. Wenn ich ein
Mann wäre, würde ich Dich gleich hei
rathen, und das wäre der beste Wir
kungskreis fiir Dich. Mein Mann hat
da einen Corpsbruder, einen Pracht
menschen, sage ich Dir. Hiibsch, lie
bens würdig und reich, dazu eine nette
Lebensstellung, den möchte ich für mein
Leben gern unter die Haube brin en,
oder besser gesagt unter den Pantosfel
Aber glaubft Du, es wäre mir nur
möglich, ihn mit einer Dame zusam
menzubringen7 Er ineist vor jedem
Damenhut aus, wenn er ihn nur im
Vorplatz hiingen sieht. Mein Mann
behauptet freilich, nur die Frauen wä
ren daran schuld. daß er so geworden
wäre. Er hätte einmal eine Dame sehr
lieb gehabt, und die hätte nur mit ihm
gespielt, und dies hätte ihn fo gegen
die ganie Frauenwelt verbittert. Jch
sage Dir, ich bin manchmal so giftig
auf ihn, daß ich wünschte, er wäre nur
eine Stunde einmal mein Bubi, damit
ich ihm durch schlagende Beweise meine
Meinuna beibringen könnte. Kopf
hoch, Gerda, und die Thranen aus den
Augen« es wird sich schon ein Heim fiir
Dich finden.« Mit diesen Worten trö
stete die kleine Frau Professor Min
Marbag eifrig ihre Freundin Gerda
Darst, die mit trübseligem Gesicht in
einem Sessel lehnte Und an einem hüb
schen Babvlleidchen stichelte. Wer weiß,
was fiir eine schwungvolle Rede über
dasJ Gliict der Ehe die lebhafte, junge
Frau ihrer Freundin noch gehalten
hätte, wenn nicht plötzlich im Neben
ziinmer ihr Erbprinz ein wahrhaft
ohrenbetiiubendes Gebrüll erhoben
hätte, Ioezc es seine Mutter schleunigst
veranlasle in das Nebenzimmer zu
stürzen und ihren tleinen Schreier zum
Schweigen zu bringen.
ists-da Fiorisz hatte die tleine Frau
sehr lieh und gönnte ihr ihr Glück von
Herzen, aber sie möchte auch ein bischen
von diesem Glücke haben. Sie war im
mer ein Glücke-lind gewesen, die hüb
sche Frau Professor; Gerda dagegen
hatte eine schwere Kindheit hinter sich.
Frühoerwaist und beiVerwandten auf
aezoaem fehlte ihr von frühester Kind
heit an der Sonnenschein der Eltern
licbc und des lklternhaiises, in dessen
Licht und Wärme eine kleine Menschen
tnaipe nun einmal am besten gedeihl.
Herrn Horst flammte aus einer alten,
nisten Lisiziersfamilir. Jhre Vorfah
ren hatten sich manchen Lorbeerkranz
und manchen verdienstvollen Orden ers
obert, aber keinen Geldschatz· Und
Gerdcks Eltern machten teine Aus
nahme. Sie hinterließen ihrer Tochter
eine so kleine Rente, daß Gerda ge
zwungen war, sich einen Wirkungs
lreis zu suchen.
Sie war ein tüchtiges und nettes
Mädchen, aber hübsch war sie nicht,
und sie sah mit ihren dreiundzwaniig
Jahren mindestens wie achtundzwan
zia aug. Sie hatte bis vor einigen
Monaten Stinderm die noch Schul
gwana haben sollten, Privatstunden
aegeben, aber eine Halserlrankung
hatte sie gezwungen, diesen Wirkungs
kreis aufzugeben Nun war sie seit
Wochen bei ihrer ePnsionssreundin
auf Besuch und hoffte von Woche zu
Woche, einen neuen Wirkungskreis zu
finden. Aber es ist heute nicht so
leicht, eine Stellung zu finden; es ist
iiberall mehr Llnaebot als Nachfrage.
»Wenn ich nur wüßte, wo ich ein Heim
finden könnte,« sagte Gerda seufzend
vor sich hin. Jn demselben Moment
ftilrzte die Frau Professor wie einWir
belwind in die Stube. Auf dem rech
ten Arm hielt sie ihren Bubi, mit dem
linken schwenkte sie ein Zeitungsblatt
Zvie eine Triumphfahne hin und her
«Gerda,« rief sie athemlos, »ich hab’
was für-Dich, da liess
Und Gerda las: »Für eine allein
stehende, ältere Dame, Wittwe eines
höheren L)fiizierg, wird eine junge
Dante als Gefellschafterin und Toch:
ter des Hauses gesucht. Offizierswaise
bevorzugt. Honorar nach Uebereini
tunft. Offerten erbeten unter 123 an
die Ervedition dieses Blattes.«
»Was-r dies nun nicht wunderbar für
Dich? Gleich setzt Du Dich hin und
fchreibft,« jubelte die tleine Frau, liißte
Gerda auf die Stirn und tanzte mit
ihrem Bubi, der vor Vergnügen laut
lriihte, im Zimmer umher.
Gerdag Augen strahlten. »Ach,
wenn das etwas wäre, ich wäre zu
aliictlich,« sagte fie leise.
»Natürlich wird es etwas, ich habe
so einen Ahnimus, schreib, Gerda.
schreit-, die Annonce ist Dein Gliick,«
sagte die Frau Professor lachend. Und
Gerad letzte sich hin und schrieb. Frau
Milln aber nahm das Zeitungsblatt
wieder zur Hand und las mit vergnüg
teltem Gesicht darin. Plötzlich lachte
.fie hell auf, fo daß Gerda neugierig den
Kon hob. »Du, Gerda, hier ich noch
etwas für Dich,'« rief sie lachend, »hiire
nur.« Und mit Pathos las sie: »Eine
Bitte an nette Damen. Wir suchen
fiir einen Freund ohne dessen Wissen
eine liebenswürdige, tluge Frau, wenn
auch ohne Vermögen, im Alter von 23
bis 28 Jahren. Unser Freund ist 40
Jahr, l .mögend, in guter Lebensstel
lung und ein vornehmer, liebentmer
ther Charakter, mit dem eine vernünf
tige Frau recht glücklich werden tann.
« Dfsrrten bis 24. dieses Monats unter
M an die Expedition dieser Zeitung
Honntaggs Blatt
Beilage des ,,Nebraska Staats-A·1Jzeiger und Herold«
z· P« Wind-mid, Herausgehen Graun Island, Nebr» den 27. Zept. 1901. Jahrgang 22. No. 4.
erbeien.« Nun, Gerda, wie wäre es,
wollen wir diesem liebenswerthen Cha
rakter nicht zu seinem Glück verhelfen?«
fragte die kleine Frau lachend ihre
Freundin.
«Duniines Zeug,« erwiderte diese
und zuckte dabei die Achseln, »ich danke
dafür, auf solche Art einen liebenswer
then Charakter kennen zu lernen.«
»Na, denn nicht,'« antwortete Milly
Marbag lustig, und dann vertieste sie
sich wieder eifrig in die Zeitung
Nach einiger Zeit hob Gerda den
Kopf. »Bitte, Milly, willst Du so gut
sein und mir noch einmal die genaue
Cbiffre sagen?«
Frau Marbag warf einen flüchtigen
Blick auf die Annoncenseite und berich
tete: »No. 125, Expedition dieser Zei
tung.«
»Daiile.« sagte Gerda, schrieb die
Adresse. setzte sich einen Hut auf und
trug den Brief an den nächsten Post
tasten.
Es war eine Woche später. Gerda
hatte nie eine Antwort auf ihren Brief
bekommen und fah mit triibein Herzen
in die Zulunfi. Die lleine Frau Pro
fessor Marbag aber ging mit strahlen:
dein Gesicht in ihrem Heini umher. Sie
hatte entschieden Glück mit ihren Plä
nen. Wie sehr hatte sie eg sich doch ge
wünscht, daß der liebste Freund ihres
Mannes, der Herr Professor Erich
Walten und Gerda sich kennen lernen
sollten. Und nun war es geschehen,
ganz ohne ihr Zuthun. Wie aus der
Erde gezaubert stand er eines Tages
vor ihrer Thüre. Lächelnd küßte er
ihr die Hand und sagte ihr dabei, ein
Brief ihres Mannes-, den dieser ihm zu
seinem Geburtstag geschrieben hätte,
und iii dem er ihm sein Heim in den
verloetendsten Farben hinzauberte,
hätte ihn zu dieser Reise verführt. ———
tätliictselia hatte sie ihn Gerda vorge
stellt. Er hatte Gerda bei dieser Vor-—
stellunq mit einem ganz eigenthiimli
chen Blick angesehen, so, als wollte er
bis auf den Grund ihrer Seele sehen
Der tleinen Frau siel dieser Blick ans
und sie erkundigte sich nachher Unter
vier Augen bei ihrem Mann, ob er
Gerda vielleicht in seinem Briese er
wähnt hätte. » Der schüttelte sehr
energisch den Kopf.
»Dann hat es ihm die Gerda beim
ersten Sehen angethcn,« platzte Min
heraus.
»Echte Weiberlogit,« glossirte ihr
Mann.
»Na, wir werden ja sehen, iver wie
der recht hat,« entgeanete sie bestimmt.
Und sie sahen es. Als der Herr Pro
sessor nach vierzehn Tagen abreiste,
stellte er ihnen mit dein glücklichsten
Gesicht von der Welt Gerda als seine
Braut vor: und dazu erzählte er ihnen
lachend, wie es so gekommen war. —
Ein paar übermüthige alte Cur-pser
der von ihm, wegen ihrer tollen Strei
che Mar und Moritz genannt, hatten
aus Uebermuth eine Heirathsaiinoriee
in die Zeitung gerückt, und schickten
ihm zu seinem vierzigsten Geburtstage
mit einem tlassischen Gratulations
briefe die ganzen eingelausenen Briese
mit dein tategorischen Befehl: ,,Such’
Dir eine aus, Zu mußt heirathen,
k-—-kk ----- It -- LI- 0455 « ans-I
IUllsl Uktpunl »O »Is- «'so·- sey-·
lachend, balb ärgerlich hatte er einen
Brief aufgemacht-« Er wollte nur-ein
mal sehen, wag für Damen sich darauf
melden. —— Zu feiner höchsten Ueber
rafchung las er, als fein Auge auf den
Brief fiel, feines Freundes Adresse an
gegeben. Nun las er natürlich, aufs
höchste überrascht, den Brief ganz durch
und fand, daß dieser Brief unmöglich
eine Antwort auf die Heiratbgannonee
fein konnte, sondern durch eine Ber
wechselung in feine Hände gekommen
war. Es war der Brief, den Gerda
geschrieben, und auf dessen Beantwor
tung sie fo sehnsüchtig gewartet hatte
Dem Professor gefiel die handschrift
und der ganze Brief fo sehr, daß er
plötzlich Luft bekam, diefe Gerda Horst
kennen zu lernen. »Und deshalb kam
ich ber, und nun habe ich wirklich durch
den triftigen Streich meiner Freunde
mein Glück aefunden,« schloß der Pro
fessor lachend feine Erzählung »Wie
die Berwechseluna aber möglich war,
daf; ift mir ein Nätbfel.«
Die kleine Frau Professor fand erft
keine Worte fiir diese Thatfache, dann
küßte sie Gerda jubelnd nnd tröstete
sich mit dem Citat: »Es giebt mehr
Dinge zwischen Himmel und Erde, von
denen sich Eure Schulweigbeit nichts
träumen läßt«
Jbr Mann aber ging schweigend an
den Zeitungsftänder und suchte sich die
Zeitungen aus jener Woche beraus.
Nach griindlichem Suchen brachte er
denn die nette Konfufion feiner kleinen
Frau an das Tageslicht. Mit vor
wurfsvollem Gesicht machte er ihr klar,
daf; zwifchen 123 und 125 ein großer
Unterschied sei. —
Sie aber lachte ihm lustig in dass
Gesicht und sagte lachend: »Ich habe
es mir immer gewünscht, daß die bei
den ein Paar werden, nnd daß ich das
zu Stande gebracht habe, freilich wie
seine blinde Henne, das wird mich
freuen, so lange ich lebe. — Und die
beiden freuen sich auch darüber. Denn
wie hätten sie je ihr Glück gefunden
ohne meine Konfusion.«
Das glückliche Brautpaar gab ihr
natürlich recht, und ihr Mann zuckte
lachend die Achseln. »Na, wenn Jhr
alle zufrieden seid, dann bin ich’5
auch,« sagte er lustig.
-—s--s- -—- T
Wie man den Schnnpsen lurirt.
Von Mart Ttvain.
Es mag eine schöne Sache sein, zur
Unterhaltung des Publikums zu
schreiben, aber weit erhabener und ed
ler ist es, ivenn man zur Belehrung
desselben, zu seinem Besten, zu seiner
tvahrhasten und offenbaren Wohlfahrt
die Feder führt. Das letztere ist der
allgemeine Zweck dieses Artikels, und
wenn derselbe nur einem einzigen lei
denden Mitmenschen die Mittel dazu
zeigt, seine Gesundheit wieder herzu
stellen, in seinem erloschenen Auge noch
einmal das Feuer der Hoffnung und
Freude anzufachen, seinem erstorbenen
Herzen die Tage zurückzugeben, — so
bin ich vollständig für meine Mühe be
lohnt.
Jch habe stets ein reines und mahl
loses Leben »efiihrt, und so darf ich
glauben, daß Niemand, der mich kennt,
die Rathschläge, die ich geben werde,
aug Furcht binteraangen zu.werden,
surucrweuen miro· txs wird
Publikum selbst zu Gute toininen,
wenn es meine hier geschilderten Gr
sahrungen beim Kuriren eines
Zchnudfens liest und in meine Fuß
tapfen tritt.
Als das weiße Haus in Virginia
abbrannte, verlor ich mein Heim,
meinen Frieden, meine Gesundheit und
meinen Koffer. Der Verlust der ersten
beiden Gegenstände war von nicht all
zu großer Bedeutung. Denn was ist
leichter zu haben, als ein Heim, worin
teine Mutter oder Schwester oder eine
entfernte junge Kousine uns durch
Wearäumen unserer schmutzigen
Wäsche und durch Entfernung unse
rer Stiefel vom Kaminsims daran er
innert, daß es Wesen giebt, die an uns
denken und für uns sorgen. Und aus
dem Verlust meines Friedens machte
ich mir nicht viel, weil ich tein Dichter
bin und die Melancholie es unmöglich
lange bei mir aushalten kann. Aber
eine gute Gesundheit und einen noch
besseren Koffer zu verlieren, das war
Mr unangenehm. Meine Gesundheit
unterlaa am Tage jenes Brandes ei:
nein heftigen Schnupfen, infolge mei
ner übermäßiaen Bemühungen, mich
fertig zu machen. um irgend etwas zu
thun. Uebrigens opferte ich mich um
sonst, denn dir Plan zum Löschen des
Feuers, den ich ersann, war so kom
plicirt, daß ich erst in de: Mitte der
folgenden Woche damit fertig wurde.
Als ich das erste Mal nieste, rieth
mir ein Freund, ich solle die Füße in
heißem Wasser baden und mich zu Bett
legen. Was ich that. Kurs darauf
rieth mir ein anderer Freund, wieder
aufzustehen »und eine taltoDuche zu
- nehmen. Was Ich auch that. Eine
Stunde darauf versicherte mir ein drit
ter Freund, man müsse ,,einen
Schnuper füttern und ein Fieber
aushungern.« Ich litt an beiden una
hielt es daher fiir das Beste, mich zu
nächst gegen den Schnuper vollzu
stopfen und dann zu fasten und daf
Fieber inzwischen verhungern zu
lassen.
Jn Fällen, wie dieser, thue ich sel
ten etwas halb. Jch af; recht anstän
dig, und zwar wandte ich meine Kund
schaft einem Fremden zu, der an dein:
selben Morgen sein Restaurant eröff
net hatte. Er wartete in achtungsvol
lem Schweigen in meiner Nähe, bis
ich mit dem Füttern meines Schnup
fens fertig war, und dann fragte er,
ob die Leute in Virginia häufig ani
Schnuvfen litten. Jch glaubte dac
besahen zu müssen, worauf er hinaus
ging und sein Schild herunternahni.
Jch ging in’s Geschäft und tras un
terwegs einen anderen Busenfreund,
der mir sagte, ein Quart Salzwafser,
warm genommen, sei gegen den
Schnuper so gut, wie nur irgend
etwas. Jch glaube laum, daß ich noch
so viel Platz hätte, aber dennoch ver
suchte ich es jedenfalls-. Das Resultat
ivar überraschend. — Jch meinte meine
unsterbliche Seese ausgeworfen zu
haben.
Da ich meine Erfahrungen nur zum
Nutzen derer erzähle, die mit der in
Rede stehenden Unpäßlichkeit behaftet
sind, so denle ich, sie werden es in der
Ordnung finden, daß ich sie vor dem
Gebrauche solcher Mittel schütze, die
sich bei mir als unwirksam erwiesen
haben, und aus Grund dieser Ueber
zeuaung warne ich sie vor warmem
Salzwasser. Es mag ja ein ganz gu
tes Mittel sein, aber mir scheint, es ist
zu start. Wenn ich wieder einmal den
Schnupfen hätte und mir bliebe nur
die Wahl zwischen einein Erdbeben
und einem uart warmem Salzwas
ser, so würde ich es mit dem Erdbeben
versuchen.
Nachdem der Sturm, der in meinem
Magen gewiithet hatte, vorüber war
und sich teine barmherzigen Samari
ter weiter einstellten, fuhr ich fort, mir
Taschentiicher zu borgen und sie in
Atome zu blasen, wie in den früheren
Stadien meines Schnupsen3, bis ich
einer Dame in den Weg lies, die von
jenseits der Prairien kam nnd, wie sie
sagte, in jener Gegend gelebt batte
wo die Aerzte selten wären, so das-, sie
sich nothgedrungen bedeutende Ge
wandtbeit in der Behandlung einfa
cher ,,Haugtrantbeiten« erworben bät
te. Sie mußte sicher sehr viel Erfah
rung besitzen, denn sie sah aug, als ou
sie hundert undfijnfiia Jahre alt sei
Sie mischte einen Sud oon Sr)rup,
Scheidewafser, Terpentin und verschie
denen anderen Droauen und verord
nete mir davon alle Viertelstunde ein
Weinglas voll. Nach einer einzigen
Dosis hatte ich genug. Sie beraubte
mich gänzlich meiner moralischen
Grundsätze und erweckte jeden unmitt
digen Trieb meiner Natur. Unter
ihrem bösartigen Einflusse ersann
mein Hirn Wunder der Gemeinheit,
meine Hände waren nur zu schwach,
sie auszuführen; waren damals nicht
meine Kräfte einer Reihe von Angrif
fen unfehlbarer Heilmittel gegen mei
nen Schnupfen erlegen gewesen, so
schmeichl e ich mir, ich hätte einen Raub
versucht. Wie die meisten anderen
Ellienschen denke ich ost gemein und
handl- hpmsnhnv ins-und »F sk nö- Las-»k
ich jene Medicin nahm, hatte ich in
solch übernatürlicher Verworfenheit
Fschwelgt und eg mit Stolz gefühlt.
ach Ablan zweier Tage war ich so
weit, daß ich wieder doktern konnte.
Jch nahm noch ein paar unfehlbare
Mittel ein, und trieb schließlich meine
Erkältung aus- dem Kon in die Lun
gen.
Jch begann unaufhörlich zu husten,
und meine Stimme sank unter Null;
ich sprach in einem donnernden Baß,
zwei Oktaven tiefer, als meine natür
liche Stimnilage. Meine regelmäßige
Nachtruhe konnte ich nur erlangen, in
dem ich mich in einen Zustand der
äußersten Erschöpfung hineinhustete,
und sobald ich dann im Schlaf zu’
sprechen ansing,.weckte mich meine
mißtönende Stimme wieder auf.
Mein Fall wurde Von Tag zu Tag
ernsthafter. Man empfahl reinen
Wachholderschnapps. Jch nahm ihn.
Dann Wachholder mit Symp; das
nahm ich auch. Dann Wachholder mit
Zwiebelm ich that noch die Zwiebeln
dazu und nahm alles drei, entdeckte
aber keinen besonderen Erfolg, außer
daß ich einen Athem bekommen hatte
wie ein Bussard.
Jch hielt es fijr rathsam, eine Luft
deränderuua vorzunehmen. Jch ging
mit meinem Redortertollegen Wilfon
nach dem Biglerse. Mit Vergnügen
erinnere ich mich. wie grofzartig wir
keiften; wir fuhren in der Landkutfche
nnd mein Freund nahm sein Gehört
mit, welches aus zwei prachtvollen sei-«
denen Taschentiichern und dem Das
auerreotyp seiner Großmutter bestand.
Den Tag über segelten und jagten
und sischten und tanzten wir, und die
aanze Nacht hindurch turirte ich an
meinem Schnuvfen Aus diese Weise
aelana es mir, alle vierundzwanzig
Stunden auszunutzen. Aber mein
Leiden wurde immer schlimmer-.
Man empfahl ein Latenbad Jchs
hatte bis jetzt noch tein Mittel zurück
gewiesen, und es schien thöricht,«jetztt»
Damit anzufangen. Jch beschloß also,
ein Latenbao zu nehmen, tro dem ich
leine Ahnuna hatte, was für eine Pro
ceour das eigentlich war. Sie wurde
um Mitternacht vorgenommen, bei
sehr srostiaer Witterung. Man ent
blößte mir die Brust und Rücken und
wand ein mit Eiswasser durchtriinttes
Laien --- es schien mir tausend Ellen
lang —- um mich herum, bis ich aus
sah wie der Schwapper einer Riesen
lanone.
Es ist ein arausames Verfahren
Wenn das eisialte Tuch das warme
Fleisch berührt, so springt man mit
plötzlicher Gewalt auf und schnappt
nach Lust wie im Todeskampf. Ich
meinte, mein Stündlein sei aetom"men.
»Nimm niemals ein Latenbad ——
niet Rächst der Unannehmlichteit, eine
bekannte Dame zu treffen, die aus ihr
selbst am besten bewußten Gründen,
dich nicht sieht, wenn sie dich ansieht,
und dich nicht kennt, wenn sie dich
sieht, tst es die unangenehmste Sache
von der Welt.
Aber, was ich sagen wollte, als das
Laienbad gegen meinen Huften nichts
balf, empfahl mir eine Freundin, ein
Senfpslaster aus die Brust zu legen.
Jch glaube,.das würde mich wahrhaf
tig lurirt haben, wäre nicht Freund
Wilson gewesen. Als ich zu Bett ging,
leate ich mein Senfpflaster — Und es
rvae ein sehr schönes, 18 Zoll in’s Ge
vierte —- zurecht, so daß ich es zur
Zeit bei der Hand hätte. Aber Freund ’
Wilson bekam in der Nacht Hunger
und —- das Weitere male man sichs
selbst aus«
Nach achttägiaem Aufenthalte am
Bigler - See »in«q ich an die Dampfer:
quellen, und nahm außer den Dampf
bädern eine Menge der nichtswürdig
sten Arzneiem die je zusammengebraut
werden« Sie hatten mich kurirt, allein
ich musite nach Virginien zurück, wo
ich es, trotz der verschiedensten Heilmit
tel, die ich Tag fiir Tag verschluckt-H
dahin brachte, meine Krankheit durch
Unnorsichtiakeit und Strapazen zu
derschlimmern.
Jch beschloß schliesslich nach Sau
Francisco zu neben, und gleich am
Tage meiner Ankunft rieth mir eine
Dame im .s:)otel, alle vierundzwanzig
Stunden ein Quart Whiskey zu trin
ken, und ein Freund in der Stadt em
pfahl mir genau dasselbe Verfahren
Jeder rieth mir, ein Quart zu neh
men; das machte eine halbe Gallone.
lch nahm sie, Und lebe immer noch.
Mit den besten Absichten von der
Welt empfehle ich also die buntscheeli
aen Kurmetboden, die ich durchgemacht «
habe. der Beachtuna aller Patienten.
Möaen sie es damit versuchen: Hilft
es nichts, so kann es auch nicht mehr
als sie umbrinaen.
« —-.-—..
Die seultur hat auch die Eingeboreneu
am Sambesi ieut beleckt.
Eine englische Zeitung erzählt, Arn-e
die Cultur, die alle Welt beleckt, auch
auf die Eingeborenen am Samt-est sich
erstreckt hat. Die Herrschaften kehren
jetzt nämlich zu ihren fernen Fkraalg,
allwo sie den in den Minen erworbenen
Lohn in Bier oder anderen Herrlich
keiten vertrinken und sonst verpraffen
wollen, auf dem Stahlroß heim. Um
sich klar zu machen, was dies bedeutet,
mufz man sich die dünnschenkeligen,
plattfiifkigem mit allerlei undesinirba
ren Bündeln behangenen nackten Her
ren vorstellen, wie sie über die weite
Steppe paddeln, die Luftpumpe nnd
andere zum Radfahren nöthige Requi
siteu um sich herutngebunden, ein Bün
del Maigkolben von der Seite herab
fliegend, einen Wasserbehälter auf dem
Rücken, einen Bergmannoriemen um
die nackte Tgille geschlungen und ver
schiedene Ochsenschwanz - Decoratio-:
nen an den Riemen flatternd. Ein
einzelner Radfahrer dieser Sorte wür
de schon komisch genug wirken, aber ein
ganzes Rudel von ihnen macht wirklich
den denkbar originellften Eindruck.
Sie scheinen ihre Räder auch recht bil
lig nach folgender erprobter Methode
zu erwerben: Zuerst lernen sie auf
irgend einem befreundeten oder sonst
verfügbaren Rade fahren, dann, wenn
die Zeit der Heimreise heranrückt, war
ten sie eine günstige Gelegenheit ah, wo
gerade ein Rad unbeaufsichtigt ist. Jn
wenigen Tagen sied sie weit den Sam
besi hinaufgeradelt, wo der »Volke
man« keine braven Schwarzen aus
ihrer Ruhe stört.
Der Nennen dralnlofer Telearapliic für
betten-Ismene ftark angezweifelt.
Einiae Kriegsschiffe der britifchen
Mariae sind jetzt mit Apparaten fiir
drahtlose Telegrapbie ausgerüstet und
können mit größter Leichtigkeit Nach-«
richten anf eine Entfernung von 50
oder W Seemeilen senden, als mit den
früherenHiilfgmitteln bei völlig klarem
Wetter auf zehn Meilen. Trotzdem
wird der Nutzen der drahttoien Tele
aravbie für Kriege-zweite noch immer
stark angezweifelt. Der bedenklichstc
Umstand liegt darin, dafr die Meldun
aen nicht geheim bleiben, falls- sie nicht
ans besonderen Gelieimzeichen zufam
mengesetjt werden, und auch in diesem
Falle könnte noch jedes feindlicheSchiff,
das einen entsprechenden Ttlvvarat an
Bord besitzt, die Depesche nicht nur
auffangen, sondern auch deren Lesbari
. ieit an ihren Bestimmunggort verhin
dern, indem es seinen eigenen Apparat
in Thätialeit setzt. Mindestens sollten
also Reichen vereinbart werden, deren
Gntziffernng so schwierig wie möglich
ist, nnd deren Benutzung lönnte nur
entbehrt werden, wenn die Nähe eines-i
» feindlichen Schiffes als ans-geschlossen
s gelten kann. Selbst in diesem Falle
aber erfährt die drahtlose Telegraphie
gegenwärtig noch viele Einschränkun
gen in ihrer erfolgreichen Anwendung,
und sie wird für Kriegszwecke wahr
scheinlich nicht früher völlig brauchbar
sein, als das Mittel gegeben ist,
Stätte der elektrischen Schwinger
beliebig einzustellen und die Appetit-F
so einzurichten, daß die Mögest
elektrischen Wellen nur von dem ARIE
rat aufgenommen werden können, des
in gleicher Weise eingestellt ist wir
der Sendeapparat. Alsdann würde
es ein seltener Zufall sein, wenn ein
feindliches Schiff seinen Apparat ge
rade in der gleichen Weise eingestellt
hätte, so daß es die Depesche auch sei
nerseits auffangen könnte. Bei einem
größeren Geschwader müßte dann der
Empfangsapparat auf jedem einzelnen
Schiff eine ganz bestimmte Einstellung
besitzen die beim Aussenden eines Te
legramms berücksichtigt werden muß,
damit die Nachricht an das bestimmte
Schiff und nur an dieses gelangt.
T »Wer ist die Dante, die unr- da vom
Himmel fällt?«
Einer der niedlichen kleinen Sterne
des Pariser Tl)eaterhimmels, Fräulein
Lea Leonne, will nächstens von Lhon
aus eine Dauerfahrt im Luftballon
unternehmen. Bei diesem Anlafz erin
nert man sich in Paris an die Ballon
fahrt, die einst Sarah Bernhardt in
Gesellschaft des damals berühmtesten
Liiftschiffers Godard und des Malerö
Ulairin ausführte. Der Aufstieg er
folgte inGegenlvart einer tausendiöpfi
gen Menge vom Tuileriengarten aus.
Oben in der lautlosen Höhe der Lüfte
fühlte sich dieTragödin unsagbar wohl.
lttodard lächelte nnd plante einen
Scherz. Plötzlich senkte sich der Ballon,
und man sah die Concordienbriicke
unter fich, der die Menge zulief, erwar
t--rid, der Ballen werde in die Seine
fliegen. Ehe es dazu kommt, hat Go
dard einen Sack Ballast geleert, und
der Ballon steigt wieder in die Höhe.
Mart flieat iiber die Julisäule weg,
uno ein-: englische Familie die auf ei
nem Balcon Siesta hält, bekommt den
feinen Sandregen des zweiten Wollust
factess auf die Köpfe Weiter fliegt der
Ballon iiber den Friedhof Vere
Lachaise, auf dessen Gräber Sarah
Bernhardt die Blumen ihres Bouquets
hinabstrent, und 20 Minuten später,
gegen Zz7 Uhr Abends, ist man über
dem Walde von Vincennes. Es ist
Essengzeii. Sarah Bernhardt fchmiert
Vrötchen, die sie mit Gänseleberpastete
heleat. Godard entkortt eine Flasche
Zett, und man amusirt sich vortrefflich.
Fie geleerte Sectflasche wird in den
Hwk »Du xnuunuczv gcluutscu, lUU Ilc
im Fallen zwei Schwäne erschreckt.
Biber schon fällt der Ballon wieder, ein
dritter Sack des Ballasts muß geleert
werden nnd über-schüttet eine auf der
Wiese lagernde Gesellschaft Ein Va
ter, der meint, sein Sohn habe Unng
getrieben, verabreicht dem llnschuldiaen
eine Backpfeiie, Sarah Bernhardt wird
darüber tviithend und wirst die Blech
lsiichse mit den Reiten der Pastete den
-.L)errschaften vor die Füße, die nun
endlich den Ballen sehen und hell auf
lachen. Allniählich bricht die Abend
däninternna herein. Die Gesellschafi
flieat noch iiber den Wald Von Fers
tiereis nnd landet bei dein Dorfe Ver
» eherer »Wer ist die Dame, die uns
? Oa vorn Himmel fälli?« fragte eitt
Bauer, der mitgeholsen hatte. »Ein
« Stern,« antwortete der galante Go
darb
tm
Wie ein Lumpeniammlerliiinschen unter
die Paläste Pariser Millionäre kommt.
llncer den herrlichen Paliijten nnd
Ltintniltiinierin welche dieAvenne des Boiszs
de Vonluane in Paris einiiintnen, fällt
ein kleines-, altes, iirtnlieties Oiincielien
anf, das inmitten eines rieiiaen Garten
terrains ssxsln nnd sich ansninnnt, wie ein
llelnsrlileiliiel liinait vemanaener Zeiten.
In der Tlmt ist tIasJ Oiinsiiten iilJer nenn
,,-ia Jahre alt. Tanialis hies; die Gegend
nrnli die «C«l)ene von Illlaillot « nnd lag
weit ani;er dein liewulniten Paris-. Sein
scrlianer war ein Litnwensatnniler, der
mass-über mit feiner Frau die Straßen
Paris- dnreliitreifte. Mit rastlosein Fleiii
liraeliteti es die Innaen «ente soweit, dai3
sie das Hans-mein das eine Hol·il)iitte ais
neien war, tanfen nnd ein kleine-s
Winnditiitt dazn erwerben konnten Alt-I
«» coun- uon ztstnlnol wurde ltlztvllcllcll
dass Quartier Maillot uti.- ali- der Linn
pensannnler nnd seine Isran alte Lentc
aeworden waren, die in ihrem Nin-Sitten
init ihren drei Töchtern lebten nnd dass
alte Geschäft dnreh etliche Dritte-nd An
nejtellte im Großen betrieben, da waren
inzwischen i se Wrnndwerthe jener Geaend
ins- ,Ǥsabelhafteite aeitieaen llnbetiinnnert
nni die Ereignisse hattest die Alten gear
beitet, aefnart nnd in ihren Töchtern fo
viel Liebe zn den Eltern gepflanzt, daß
die drei Mädchen alle Bewerbnnaen alt-Is
sallnaen nnd nnr mit den Eltern leben »in
wollen erklärten.
Rath ihrem Tode setzten die Gerichte
dass Inventar des Vermögens anf, nnd
esJ emab sieh daf; die inzwischen alt ge
wordenen drei Tochter anizer dein Hält-J
aien nnd dem tnailitiaen Mrnndftiick ein
Verniiiaen in Staatspapieren von fiinf
illiillionen Franks befaften Vor etwa zehn
Jahren starben zwei von ihnen, nnd die
ilelnsrlelnsnde blieb einzige Erbitt. Die
Illbenne dn Bot-;- de Bonloane begrenzte
anf der einen Seite ihren Petiti, der anf
der anderen Eeite bon der nicht minder
glänzenden Abenne de l"J(nnn-ratriee ein
neialnnt wnrde Zo lieat heilte dac- alte
Vnnnnsnfatnntlerhanglben inmitten eines
berrliihen ltlartenike Man hat der Einen
tliinnerin vzwei LlIlillionen Franks-J fiir ihr
(«-lrnndfliick geboten, aber sie eriiiirte, daß
sie sieh niemals botn elterliihen Nest tren
neis winde. Die Tochter des-«- Lumpen
sannnlers ist heute 77 Jahre alt und darf
nat den Vnrnsz eines Mariens im Werthe
e«n 17 Millionen Franks neftattcn« Jhr
Wes-«- trsfjat die Nnnnner 29 der Avepne
d Bis-A nnd dort lebt die alte EinsiedlcciI
den Erininsrnnaen an die Arbeit und die
Liebe ihrer Eltern
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Die Netze gewisser Schönheiten wet-v
» den nur für Goldfifche ausgeworfen.