Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 30, 1901, Sonntags-Blatt, Image 16

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    Meidenstamm
vW W »W«
Roman von mildelm mcperckörstecx
(5. Fortsetzung-)
Franziska gab ihr die Sportzei«ixn
gen zu lesen, die in langen ieitartitelu
das bevorstehende große Rennen be
sprachen, und es war für Marie ein
seltsames Gefühl, Joseph-Z Namen da
immer wieder zu finden. Seine Reit
kunst und seine törperliche Kraft mur
den in Ausdrücken gelobt die si in
Erstaunen und Verwirrung verfetzten
Fremde Menschen schrieben das, wuß
ten das, und fie, seine Braut, hatte sich
um das alles nie gekiimmert.
»Warum hat er mir das nie zu le
sen gegeben?« fragte sie sich, nnd ein
Gefühl von stolzer Freude stieg ikn
ihr auf: »Weil Joseph zu groß de.
und zu bescheiden!«
Sie sammelte alle diese Zeitungen
und bat Franziska, ihr jeden Fach
ausdruck zu erklären. Sie war oei
dem Studium dieser trockenen Materie
mit einem wahren Feuereifer unI
freute sich wie einKind darauf, welche-«
erstaunte Gesicht Joseph mark-en muß
te, wenn sie wie eine Sportlady uit
allem vertraut sein würde.
Jn den Gesellschaften drängten die
Herren um sie mit Fragen nach Jo
seph: Glaubt er, daß er gewinnen
wird? Wann kommt er? Jsk Jungf
pani schon nach Berlin aeschaffäi —
bis in dem weltunerfahrenen Mäd
chentopfe Wesen und Werth und Be
deutung dieses Themas bizarre Far
men annahmen. Ganz Berlin schien
fiir sie nur noch um das große Armee
rennen sich zu drehen, in dessen Mit
telpunkt, wie alle Menschen und alle
Zeitungen oersicherten, Joseph stand.
Ihr Liebster war ver Helo, den die
Männer bewunderten und die Frauen
wie einen rirhingekrönion Sieger ver
ehrten, dem vielleicht der Kaiser selbst
den Preis reichen, und der. wieFran
ziska ihr hundertmal erzählt, unter
einein Jubelsturrn ver Menschen über
Even Rennplatz reiten würde.
MariesLiebe zu Josepb konnte nicht
größer werden. gewiß nicht, aber ihre
Liebe wurde in diesen letzren Tagen
fast demüthig und fast scheu. Sie so
klein und er so groß!
Schließlich schien es Ehr als drücke
kas- alles wie eine schwere Last sie tie
er und tiefer, aber in dem Augenbli
cke, wo Joseph kommen und sie uni
armen würde, fiel diese Last, Das wuß
ie sie, von ihrem Herzen, und sie würde
sich an ihn schmiegen und wieder ganz
glücklich an seiner Brust ruhen.
Nein: sie nicht klein und er nicht
groß! Zwei, die zu einander geboren,
wie früher, wie immer. Was braucht
man da zu messen!
Wäre er nur schon da und nähme sie
wieder mit!
Dieses Berlin war amiisani und
herrlich, von früh bis zur Nacht ein
Taumel von Lust und Aufregungen
nnd immer Reuem, aber Marie sehnte
sich heim.
Nur noch ver eine große Tag und
dann heim!
i s- :
Sie stand mit Franziska in der
Halle des Friedrichs- Babnhofes, als
der hannoverische Zug Abends sieben
Uhr heteinkam.
Bliyschnell flogen ihre Aug. r die
Zuge Wagenreihe ans und ao, unv
-vaeph!«
Wid« . —
»Ach, endlich, endlich!« Sie küßte
ihn fast zu ftürrnisch. »Endlich' End
-lich!« Bis Fräulein Franziska unge:
baldig wurde und gleichfalls Beach
jung verlangte
»Nun, Joseph, wie geht’s?«
Er schüttelte ihre Hand und stot
terte ein paar Worte, wie Jemand,der
Lief das »Abaeholtwerden« nicht vo
bereitet swar oder doch nur eine einziae
junge Dame auf dem Bahnhof erwar
tet hatte, dann blickte er sich rathlos
mu: »Seit da tein Gepackträger?« Er
hatte ganz das Wesen eines Menschen,
der zum erstenmal auf der Eisenbah.1
g ahren ist und nun ganz verwirrt
it nichts Bescheid weiß. Zwischen
durch schenkte er Marie ein slüchtiaesz
Lächeln: »Wie geht’s?« —- ein Lächeln
auf Abschlagszahlung — und suchte
dann wieder: »Ist da wirklich kein
Gepäcktkäger? Sie sind alle besetzi.
Ich werde die Sachen selbst tragen.«
Die »Sachen« bestanden nur in zwei
«Geaenftänden: ein-er alten, vielge
: braucht-en Reitpeitsche und einer ges
sen, vielgereisten Leben-« in der
- KQttel und Reitausriistung besan
« ««,Faß an, Marie,« lachte die Consi
se, »wir tragen die Tasche,« und Jo
« war in einer so mertwiirdi kopf
Cgesefassångzxßß er Zåwij st lex-)
M sen er . nn freut
W er sich und na den Mädchen
M ab, nin ße elbst zur-Dreisp
i
» » um diese Zeitl« sagt
»Mit-d Joseph nnd Marie
- I s des Sai: «Ja, morgen
" Mk Dann war das grosse
M. Mn wußte man,
’ wie die Zukunft sich gestalten würde.
»Ist Frangipani schon in Berl:n?«
»Ja, seit gestern Abend.«
»Bist Du aufgeregt, Joseprm
Und er nickte ehrlich: »Ja.«
»Tröste ihn, Marie, ich drehe mich
um.'·
Marie nahm seine beiden Hände in
die ihrigen und beugte sich dok: »Jo
seph?«
Sie schauten sich lange an während
die Droschle iibex den Königs-Ding
humpelte und Franziska nack. den klink
terndeu Goldileidern der goldenen
Siegesgöttin so aufmerksam empor
blickte, als ob sie den starren Falten
wurs zum erstenmal in Augenschein
nähme.
Einweber Ausdruck zog Eber Ma
rie’s Gesicht, den mit so miiden, er
schöpsten, bossnungslosen Augen er
widerte Joseph ihren Blick, daß eine
tödtliche Angst in ihr emporsiieg.
An diesem ganzen Abend fanden sie
nur ein einziges Mal Gelegnebeit, ein
paar Minuten miteinander allein zu
sein, durch Franziskcks Vermittlung,
die sie in ihr eigenes Zimmerchen
führte und als Schatzengel vor der
Thüre Wache hielt. Zu Josepbki Ehren
gab es ein festliches Diner, bei Dern
Marie in dem blauen Seidenmussclin
nebenJoseph saß, bei dein nur von dem
morgen statt-findenden Armeerennen
diesEede war, bei dem ans das Braut
paar getoaflet wurde, aus Joseph ein
zeln, aus Marie einzeln, auf den Sieg,
der dem gleich nam Der Sieppe mit
Secttrinlen begonnen wurde nnd bei
dem der alte General allen Nichxen und
anwesenden jungen Damen die Eröff
nung machte, daß er fiir jede einzelne
auf Frangipani ein Zwanzignsarlstiict
wetten werde. Gewann Jajeph, so
würde die ganze lustige Mädcienfchaar
mir einem klingenden Eeldgevinne an
dem Siege betheiligt fein.
Sie waren selig: eine Wette, eine
richtige Geldmettek «Wieviel wird man
da gewinnen?!« Sie drängten mit ih
ren hellen, leichten Kleidern wke eine
Wolke um Joseph: »Joseph. gieb Dir
Miihel Dies eine Mal mußt Tn ge
winnen! Auf jeden Fall!«
Er lachte, sein blasses Gesichi war
von dem Wein-und der Aufregung ge
töthet.
»Ja, ja, selbstverständlich! Wir
gewinnen!'«
Nachher wurde getanzt, da endlich
gelang es Franziska, ihre beiden
Schützlinge ftir ein paar Minuten zu
samtnen-zuführen
Er umschlang Marie siürrnifch
seine düstere Stimmung war verflo
gen, und Marie selbst hatten Wein
und Tanz erregt.
Sie sprachen nicht mehr über das
Rennen und diese unheimliche Ent
scheidung ihres Lebensglücks, der sie
rnit jeder Stunde und jeder Minute
näher kamen.
Von fernher aus« den immern jen
seits des Corridors lan en Musik
und Lachen und der dump e Ton der
tanzenden Fü e, von der Stra her
auf kam dur die geöffneten - r
das Klingeln eines ver päteten ferne
bashnwagens.
Und die kleine Wächter-in vor der
Thür fühlte trotz aller selbstlosen
Freundschaft etwas wie einen Stich
durch ihr Herz gehen. Die da drin
nen waren das glücklichste Brautpaar
auf idem weiten Erdenrund, und sie
selbst —- alleinl Vielleicht —- großer
Gott —- für ·im«nrer«!
Um ein Uhr Mittags begann auf
allen Bahnhöfen der Berliner Stadi
dahn der Andrang der Menschen.
Eine halbe Stunde später nahm das
Drängen an den Billetfchaltern und
vor sden Coupes der langsam einsetz
Ienden Rennziige lebensgefährli e
Dimensionen an. Die Gentlemen mit
den gelben Tickets erfter Classe waren
froh, in einem Wagen dritter Clage
stehend und in Gluthhitze eingey er t
hinausbefördert zu werden, wci end
die Gentletnen mit den Tickets dritter
Classe noch viel froher waren, aus den
rothen Sammettissen die lleine Reise
zu asbfoloirew An eine Controlle nicht
zu denken! Auf dem Schlesifchen .
Bahnhos wurde der letzte Ansturm so ?
fürchterlich, daß aller Fläche der Be- »
amten ungeachtet die eute auf die
Plattform sich zusammen·schoben, aufj
das Verdec! des Wagqons kletterten
und an den unglaublichsten Situatio
nen die zwei Meilen lange Schnell
zugsfahrt rislirtem
Man km das Publikum beim-wem «
wenn es zu Hundexttaufenden beim
Pfingstfeste in’s Freie befördert zu
werden wünscht, aber alle Beamten
schust ist ohnmiichtig gegenüber den
zehntausend Rennbahnbesucherm die
von der behenden Besorqniß gedrängt
werden, sie könnten das erste Rennen
versäumen, das heißt die erste Gele
genheit zum Weiten verpassen.
»Wer gewinnt die »Armes I«
«Frnagivani nnd kein andre-P
»Heidenftamm und kein andrer.«
Die Sonne deckte die riesigenTrainZ
Gibt einer afrilanitsrljen Gluth, bohrte
durch die verhangten Fenster der
W
i
l Coupes und brachte un liickliche Esth
matiter drinnen in Er tickun sgesahn
»Wer ewinnt »die Armee Z«
) Allent alben dieselbe Frage. Be
; kannte, die sich einge Zeit nicht ge ehen
; hatten und einander be küßten, ag
i ten nicht: »Wie geht’s« ondern: »Wer
gewinnt die «Armee«?«
! Nur vorn im Zuge, ivo die rohen
i Salontvagen laufen, »reservirt ttr die
iMitglieder des Unionclubs«, gab es
I glückliche Damen, die ihre neuen Tote
etten in leidlicher Verfassung nach
Hoppegarten brachten, alle andernDa
zmentletder waren zerdrückt, abgeri -
I sen, abgetreten, mit Staub bede i,
von Cigarrenasche überschüttet und
von dem Ruß der Loeomotiven ge
; schwärzt.
i » Das einstimmige Gelübde jedes
I Mitreisenden war: »Einmal zum Ar
l
i
meerennen nnd nie wie-den« als man
aber glücklich draußen angelangt war
und am Büsset die erste Stärkung
; eingenommen hatte, schien aller Reise
ärger verslogen, und die große Frage
circulirte von Neuem:
»Wer gewinnt die »Armee" ?«
Die Kellner, die mit ihren Brettern
voll Kasseetasien und Biergliisern
durch die Menge drängten, fanden.
halbtodt von Hitze und Arbeit, noch
die Kraft, mit oen Collegen oder dem
Mann am Bierausschant die vier
Worte auszutauschem
»Wer gewint die »Armee"?«
Und »wer gewinnt sdie «Armee«?«
fragte Seine Königliche Hoheit Print
Leopold, der in Begelitung seines
Adjutanten von Berlin her die Fahrt
im Zweispänner zurücklegte.
»Joseph Heidensiamm, Königliche
Hoheit, mit Frangipani.«
Ein Gerii t ging über den Renn
platz: »Josep gewinnt iiber die »Ar
mee'« ein Vermögen, et hat seit Wo
chen in Berlin und Hamburg sein
Pferd wetten lassen: 12,000:1000,
10,0()0:1000, nochmal dasselbe, Idann
24,000:3000, 20«0()0:3000 und so
weiter, er steckt mit zrangipani alle
Buchmacher in die Ta che.«
War das Thatsache, Dann mußte
Josephs Riit in der That eine »gute
Sache« sein, und nun bemächtigte sich
des ganzen Rennplatzes ein »Frangi
panifieber«.
»Wie lang Frangipani·5"
· «
»Par1.
»Pari! Bei siebzedn Pferden! Das.
ist ja Wahnsinn! In einer Siena-le
chase, wo auch das beste Pferd stürzen
kann!«
Aber sdie Bnchmacher und Wett
aaenten zuckten mit Verdrossenen Blick
die Achseln: »Pari und teinen Deut
Männer-«
Einer war dabei, ein kleiner Buch
rnacher Namens Isidor Rosenthal —
damals nur wenig bekannt, heute ein
angesehener Mann —, der einen Ner
venanfall bekam und in’s Krankenzim
mer geschafft werden mußte, wo man
ihm mit Eis und Selterwasser nach
einiger it wieder auf die Beine half.
Der handetnde Arzt gab sich dem
verzeihlichen Jrrthume hin, daß der
Kranke bei der fürchterlichen Hitze eine
Art Sonnenstich bekommen habe, aber
der »Ring der Buch-machet« wußte bes
ser, an welchem Stich der arme kleine
Jsidor Mammengetnickt war, näm
lich an »Armee«. Es war allge
mein betannt, daß dieser unglückliche
verblendete Mensch seit Wochen gegen
Frangipani gewettet hatte, zu unsin
nigen Kursem daß ihn Habsucht und
Spielteusel immer tiefer, zu immer
tolleren Engagements veranlaßt bat
ten, unsd daß Frangipani«s todficherer
Sieg Isidor heute das Rückgrat bre
chen würde.
Man setzte den bleichen und zittern
den kleinen Mann in die schattiaste Ecke
der Tribiine zwischen seine Frau und
Schwester, denen der Arzt befahl, ihn
unter keiner Bedingung vor Abend
wieder in die Sonne zu lassen, und da
saß er den langen Nachmittag und
wartete mit unnatürlich weit geöffne
ten Augen aus die «Armee«.
Denn das große- Ereigniß sollte erst
nach einigen Stunden in Scene gehen,
nachdem drei andere, minderwerthiae
Rennen als Vorspeisen den Appetit des
Publikums auf das höchste Maß ge
steigert haben würden.
Albrecht von Heidenstamnr tarn mit
einem der Vorortziige hinaus, so daß
er das erste Nennen überhaupt nicht
zu sehen erhielt.
Er hatte teine Eile, das Gedränge
der Menschen war ihm unangenehm,
und ihm, der nie auch nur einen Pfen
nig wettete, war der Anblick eines
Rennen-Z mehr oder weniger absolut
gleichgültig
Für das Armeejaetdrennen hatte er
den Ritt auf »Madagastar« übernom
men, einem hochbeinigen irischen
Steepler, der seinem früheren Regi
mentstameraden Brandenbera gehör
- te. Es war ein aussichtsloser Ritt, den
man ihm in früheren Jahren nicht an
zubieten gewagt hätte, ein schlechtes
Pferd, ein mäßiger Springer, gut ge
nug fiir eine Jagd im Gelände, aber
ohne alle Chancen in einem wirklichen
großen Rennen.
Jn seiner Uniforrn als Hauptmann
des Großen Generalstabes wurde er
von dem Publikum nur hie und da er
kannt und auch von diesen wenigen
Rennplaßbesuchern, die sich feiner
Glanzzeit erinnerten, kaum beachtet
Er war nicht eitel, wenigstens nicht
in detn Sinne der Bühnensterne und
; Rennbahnheldenz er hatte auch keiner
k lei Anlaß, sich über das rasche Ver
» gessen der großen Menge zu erregen;
« seine glanzvolle Laufbahn innerhalb
Ider preußischen Armee war gesichert,
L und an leitender Stelle hatte man ein
besseres Erinnerunasvermögen fiir sei
ne einst unvergleichliche Reiierbravsur.
I Aber ein bitteres Lächeln ging doch
über sein Gesicht, als er seitab» stehend
und unbeachtet plößlich Joseph sah,
der in in einem dichten Gefolge von
Damen nnd herren über den Plan
ing. Allenthalben machte man Jo
eph Plan, drängte heran, um ihn zu
sehen, wies auf ihn mit Fingern und
grüßte.
»Da! Der da! Ja. der! Das ist der,
der Frangipani reitet.«
Nur die wenigsten Leute bedurften
»diefer Belehrung, aber am »Arme
tage'« sind Tausende in hoppegartem
die das ganze Jahr hindurch keine
Rennen besuchen nnd des halb von den
Stammgästen des Turfs über alle
Personen und Vorgänge instruirt wer
den mti en.
So tte man einst auch aiif Al
brecht mitjfingern aedutetl
Es i Ia gut, wenn man den siche
ren Ha en erreicht hat, aber damals —
das Ringen und Kämpfen — war
doch vielleicht schöner. Es war die Ju
gend gewesen.
»Weghalb habe ich diesen Ritt
heute unternommsen?« dachte er, ais
Joseph mit feinem Troß hinter den
Büschen des Sattelplatzes verschwun
den rvar unsd et immer noch allein an
der Eiche auf der Höhe des Sattel
piatzes stand. »Wie ein alter Komö
diant, der immer noch nach den Lam
pen fich zurücksehnt nnd immer noch
einmal vor dem Publikum sich verbeu
gen möchte.«
Da kam-Joseph zurück. Er ging wie
der mitten iiberd en Platz mit seinem
lachenden, schwatzenden Gefolge von
Herren und Damen, aber er «ing nicht
mehr allein, sondern führte arie am
Arm, die mit ihren großen Augen
rechts und links schaute
Und wieder drängte die hin und her
wogende Masse hinzu, um den Helden
der Rennbahn anzuftarren, man bil
dete förmlich Spalier, diesmal doppelt
neugierig, denn wie ein Lauffeuer
ging ei dgrch die Menschenmenge:
»Das ist Heidenftamm’g Braut.«
»Fei« Braut? Wo?«
-- a.·«
Man sprach so laut, daß sie es hö
« ren mußte, eine Purpurröthe bedeckte4
ihr schönes Gesicht. s
Joseph ging ganz ruhig und unbe-’
« kümmert, er tante dieses neugierige
Herzudriingen, das sich an jedem
Renntaae wiedrholte, aber Marie war
verwirrt, und diese Verwirrung aab
dem sonst so ruhigen Mädchen einen
seltsamen Liebreiz. ,
Fürstlichleiten, Generale, Großmüt
dentriiger des Kaiserlichen Hofes pro
menifien mit ihren Damen, die in
großen Pariser Toiletten erschienen
waren, über den weiten Rennplatz,;
ohne daß die Menge bei dieser Ueber- !
siille von Unisormen und Schönheiteni
die einzelnen besonders beachtet hätt-,
nur um Joseph Heidenstamm nn) sei
ne junge Braut standen die Menschen
wie um ein Königspaar.
Sie verschwanden in der Richtung
aus die große Tribiine, unsd Ali-recht
stand wieder allein.
Jn den zehn Tagen, seit Marie in»
Berlin war, hatte er sie nur ein einzi- ;
ges Mal flüchtig gesehen, als er ihrs
im ause der Verwandten seinen tut-s
zen oemellen Besuch abstattete. Man;
hatte ihm Einiadungen zukommen«
lassen zu allen Aussliigen, Diners und
sonstigen Festlichkeiten, mit denen die
David und die übri e Verwandtschaft (
den kurzen Ausent att der jungen
Schönheit feierten, aber er hatte seine
Arbeiten voraeschiitzt und war allen
diesen Veranstaltungen sern geblieben.
Niemand bemertte das; man war
dieses düstere, abweisende, unsrohe
Wesen an ihm gewohnt, seit Jahren
schon. Er war ein Sonderling gewor
den, um den sich die Gesellschaft kaum
- noch iiirnmerte.
«Marie!«
Er hatte den Namen halblaut aus
gesprochen.
Dann raffte er sich zusammen, als
wollte er alle Gedanken mit dieser ha
stigen Bewegung von sich schütteln,
und verließ seinen einsamen Platz. Er
ging zwischen den Rennpserden durch,
die siir das nächste Jocteyslachrennen
gesattelt wurden, grüßte hie und da
einen Bekannten, unterhielt sich eine
Zeitlang mit dem Landstallineisier
von Tralehnen über den Stand der
Remonten und war dann wieder al
lein. —- »Wartet«
Ja, alles, alles gehörte Joseph: das
Glück, der Rubin, die Jugend und
Marie.
Und Marie! ·
(
i
Es war zwei Jahre her —- iniherbst 4
zwei Jahre —- alö Albrecht nach Han
nover gereist war und —- und — uni
Marie angehalten hatte. Eine heiße
Röthe stieg noch jetzt in sein blasses
Gesicht, wenn er an jenen Abend
dachte. « ·
Damals stand er noch iin Zenith
seines Ruhms, aber was aingen das
junge Ding Reiterruhin und Flauzvolle
Zukunft an! Sie hatte woh ·schon zu
jener Zeit den Jun en geliebt, der,
launi der Kadetten chule entwachsen,
noch die Fähnrichöunisorni trug.
Wie ein abgewiesrner Bettler hatte
er die letzte Bitte an sie gestellt, daß
seine Werbung vergessen und niit Nie
man je darüber sprechen solle.
Vielleicht hatte sie ihr Versprechen
gehalten, vielleicht nicht. Auch ·ein
Weib erinnert sich gern seiner Siege
und erzählt davon.
»Wenn sie es Joseph gesagt »hat —«
Er ballte sdie Hande in ohnniachtigeni
Grimm.
Seit ienem Abend war Albrecht von
heidenstanini ein einsamer Mensch ge
worden. Ein Sonderling war er ie
derzeit gewesen-, vielleicht hätte et an
der Seiter Marie’s sein Wesen geän
dert. ietzt zog er sich ganz in sieh selbst
zurück.
Z- W
Im Frühlin darauf entriFüZoseph
ihm aus der ennbahn die rende
Stellung, und im nächstfolgendens
herbst eroberte Joseph Marie. i
Dem lückte alles. »
»Mar e!'«
Ein großer, Eimer Fuchs wurde
nahe an i rn vor igesiihrt, und irgend
Jemand agte den St·alljungen, der
das Pferd ritt:
»Wer ist dasi Wie heißt der?«
Der Junae wandte träge den Kopf
zur Seite« spuckte aus und sagte mit
der mißmuthiaen Miene Jemands,der
diese neugierige ofrage im Laufe des·
Nachmittags sehr oft deantweuten
muß: »
«Frangipani.«
Albrecht horchte aus und musterte
den Hengst. »
»Frangipani.« Er erkannte das
Pferd, das er seit einem Jahre nicht
gesehen hatte, wieder. Der Hengst
hatte sich ausgezeichnet entwickelt, er
präsentirte sich glänzend im Haar, mit
Mustdn depactt, vielleicht etwas zu
schwer, abex in allen andern Points
das Bild eines Steeplers.
»Ja, wer Muth hat, gewinni.« Er
sagte es leise vor sich hin.Er, Al
brecht, hatte das nie ristirt, eigene
Rennpserde zu halten« die ihn hätten
Geld tosten tönneni Jmmer vorsichtig.
kühl, abwäaentei Leute tvie Joseph ha
ben das Glück, die Spieler undDrauf
geher, die über alle tleinlichen Beden
ken sich fortsetzen und das Leben wie
eine binderniszdahn betrachten, wo der
am ehesten Erfola hat, der ohne Be
denken über· Gräben und Mauern
[ fliegt.
s Das sind die Leute, die bei den
i Weibern alle andern ausstechen, wäh
I rend die ernst-bedächtigen Verderber
ausgelacht werden.
» Er sah seine Qutunik ein Hagestolz,
der ein am seinen Weg weiter gehen
wird, chon jetzt fast zu alt, um sich
noch um ein Weib zu bewerben. Er
wird alles werden, was innerhalb sec
ner Carriere jemand erstehen kann:
Oberst, General, schließlich eine der
troanete Excellenz, die in ihrem Lehn
stuhl stirbt.
»Ulbkecht"f"
Er wandte sich um: Joseph stand
vor ihm und Marie.
»Wie geht’s?«
»Dante.«
Beide reichten ihm die Hand wie
einem Bekannten, den man zufällU
trifft. Er hatte physische Mühe, Ma
rie anzuschauen und einiqe gleichgül
tige Fragen an sie zu stellen:
»Hast du dich in Berlin gut unter
halten?«
»Seht gut.«
»W3nn reisest du wieder nach Han
nover?«
»Wahrscheinlich schon morgen·«
»Ah, morgen.«
»Da geht Frangipani,« sagte Jo
; spr- ,,wie gefällt er dir?«
»Gut."
»Du reitest, höre ich, auch in der
,,Arrnee«?«
»F as«
»Wen?«
»Madagastar.«
»Ja, richtig, ich habe davon gehört.
Er hat teine besonderen Chancen.«
»Nein.«
»Pardon, Marie, einen Moment.«
Joseph ließ sie neben Albrecht stehen
und eilte einige Schritte nach rechts,
wo sein alter Gönner, der General von
Bernstorff, stand, der ihn mit einem
Lächeln herübergewintt hatte. Der
Generat, der zu den Proponenten dec«
Armeerennens gehörte und an diesen-.
Taae In Hoppeaarten gewissermaßen
die leitende Rolle spielte, stellte Joseph
seinem Begleite-, dem herzog von
Bayern, vor:
»Gestatten Königliche Hoheit: Her:
Lieutenant Baron von Heidenstnmni,
unter den jungen Reiterofsizieren der
preußischen Armee seit einigen Jahren
der erfolgreichsie.«
»wer nno ore perreni" rragke zuta
rie, und Albrecht nannte ihr die Na
men: »Der Herzog Luvwia von Ban—
ern und der General von Bernstorsi.«
Sie sab Joseph im( Gespräch mi:
Seiner Königlichen hoheit ,über den
Platz geben, vor Frangipani eine Mi
nute stehen bleiben und dann immer
noch nebn dem Herzog, in dem Gewühl
der Menschen verschwinden.
Dann athmete sie tief auf und iab
Albrecht an, sie hatte fast vergessen,
daß er neben ihr stand.
»Wollen wir weiter geben?«
»J«
Nur um etwas zu sagen, nannte er
ibr einige Personen, denen sie begeg
neten:
»Das ist der Gras Lehndorfi, der
’ Oberlandstallzneisten Leiter ponGrao
bit-, der neben ihm der Erbprinz von
Fürstenberg, da drüben der Kleineift
der Baron Oppenbeim aus Köln, oa
T Euer Nachbar-, Herr Manste aus
Lehrte bei hannopetz da rechts Den
’ den-Linden —«
! »Den kenne ich.«
i Es gab viele hannoverische Be
s kannte auf dem Nennplatz alle Augen-·
7 blicke wurde Marie gegrüßt die halbe
s Reitschule und fast alle Königsulanen
» schienen herübergetommen zu sein, um
! dem arößten Offizierrennen des Jabi
E res beizuwohnm
[ Seit langer Zeit hatten die beiden
i sich nicht mehr allein zusammen esuns
den und so andauernd unter-Falten
Sie gaben sich Mitbe, unbefangen zu
erscheinen, und Marie, bie sonst ihr-r
gegenüber schweigst-m war, suchte k;«.
der nervösen, sieberhaften Spannung
ist-mostt bei diesm Begleiter eine Art von.
ro
»Albrecht!«
»Was?«
»Glaubst du, daß Joseph gewinnt·i«
Er sah sie erstaunt an. G war
eine natürliche Frage, aber zwischen
ihm und Marie ab es seit Jahren
solche natürliche ragen nicht mehr.
Das wenige, was sie bei ihrem selte
nen Zusammentreffen miteinander
sprachen, war kalt, abgemefsen, immer
nur das thhwendigste
» »F, das glaube ich.«
» irtlich?'« Sie blickte ihm mit
« so großen, fürchte-idem hoffenden Au
; gen ins Gesicht, daß er stutzig Lag
’ Joseph so viel an idiesem Stege?
T »Er hat das beste Pferd und ist
« ohne Frage auch der beste Reiter. Pas
sirt ihm unterwegs kein Malheur, Io
wird er gewinnen, selbstverständlich.«
Marie athmete tief auf, es lag et
was wie Dankbarkeit in dem Blick, den .
sie ihm einen Moment schenkte.
"Sie sprachen noch allerlei Gleich
gültiqu, bis sie ihre Loge gesunden
hatte, wo Franziska und die anderen
Damen sie erwarteten.
Dort trennten sie sich, und Albrecht
ging wieder die Treppen hinunter
zum Sattelplatz.
Etwas Warmes war aus dieser Un
terhaltung mit Marie in ihm haften
geblieben, als ob nach langer Einsam
leit eine weiche Mädchenhand über
seine Stirn gestreift hätte. Vielleicht
gab es tdoch noch einen modus pivendi.
der ihn zu seinem Bruder und Marie
zurückführen konnte. Er mußte ver
gessen lernen. Er gehörte zu diesen
beiden Menschen, sie waren seine näch
sten Verwandten, sie meinten es viel
leicht beide gut mit ihm, Joseph
meinte es ganz sicher gut mit ihm
Sein schroffes B ormunden hatte den
Bruder ihm ent remdet, ganz natür
lich, Joseph hätte in einer milderen
und liebevolleren Führung des älteren
Bruders vielleicht manchen dummen
Streich weniger begangen.
Und Marie? Er liebte sie immer
noch, »aber sie war fiir ihn verloren, un
wiederbringlich. Weshalb sich ihr
ganz entfremsden, die nun seinem Bru
der gehörte?
r war in einer seltsam weichen
Stimmung. Er ging in den Wage
raum, um Joseph zu suchen und ihm
einige freundliche Worte zu sagen, und
als er ihn dort nicht sand, ging er ha
stig weiter und fragte wiederholt be
kannte Herren:
wGaben Sie vielleicht meinen Bru
der gesehen?«
Man wies ihn dahin und dorthin,
bis er ganz plötzlich und unvermuthet
in der Nähe der Totalisatortribiine
mit ihm zusammenstiesz.
,«vaeph!« ·
»Hast du Marie zurückbegleiteti Jn
ihre Loge?«
»Ja.«
»Besten Dank-« «
Er wollte rasch weitergehen, aber
Albrecht hielt ihn zurück:
»Einen Moment, Joseph, ich wollte,
ich . . . Joseph, du hast heute einen
großen Ritt vor dir, ich wünsche dir
tät-ist ganzem hergen, daß du Glück
a t.«
Joseph fand nicht gleich eine Ant
wort. Das war ein so neuer, fremde
Ton, den Albrecht anschlug, daß er
einen Moment stutzte. Dann ergriss
er hastig die dargebotene Hand, und
es war, als ob auch bei ihm die fürch
kersliche Spannung dieses Tages sich
öte:
l·ck;,Jch danke dir, ich danke dir heer
i .«
»Nun komm, Joseph, wir wollen
zur Wage gehen, es wird Zeit, sich zu
recht zu «machen.«
»Ju. Ia·«
Was war das? Was bedeutete das?
Der erste warme Ton aus Albrecht's
Munde! Er ging schweigend neben
dem älteren Bruder, der seinen Arm
genommen hatte und allerlei über den
Kurs der Steeplechasebahn sprach, al
les in einer freundschaftlichem herz
lichen Weise, wie ein älterer Berather,
der die lange Erfahrung aus seiner
Seite hat. «
»Nimm dich in acht am Fließ, der
Boden ist da sehr weich, man muß
«sehr genau Obacht geben.«
..Dante schön.«
Joseph ging dorniibergeneigt, wäh
rend er den ganzen Tag sich strarnm
aufrecht gehalten hatte Seine Rie
senenergie, die in entscheidenden Si
tuationen ihn stets emporrisz, hatte
seit frühem Morgen nach einer schlaf
lofen Nacht ihn wie mit eisernen
Klammern hochgerichtet. Er scherzte
mit Marie, lachte mit den Damen, er
widerte in scheinbar bester Laune die
tausend Fragen, die heute jeder, jeder,
jeder an ihn stellte, und jetzt bei dieser
unerwarteten Anrede Albrecht’s, die
sem unbegreiflich freundschaftlichen
Entargentommen des älteren Bruders
verließ ihn die künstliche Ruhe!
Es war ihm, als ob plötzlich der
Boden unter ihm unsicher werde. Er —
hatte die Empfindung eines Spielers,
dessen eiserne Ruhe im Augenblicke der
größten Gefahr durch einen lange ver
gessenen weichen Ton, der ihm ins
Ohr Man in L Wanlen gerath.
Seit ahren hatte Albrecht nicht
mehr so Zu ihm gesprochen, seit vielen
Jahren, nicht mehr seit der Kinder
zeit, in der Joseph den großen, be
rühmten Bruder vergdttert und der
Große den Kleinen vielleicht aufrichtig
geliebt hatte.
»ein Ankleideraum trennten sie sich,
Joseph gina noch einmal hinaus, um
an dem Biiffett nebenan ein Glas
Seit zu trinken. Dann iindete er
eine Ciaarette an und lie sich noch
ein zweites Glas geben«
Gortsehung folgt)