Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 23, 1901, Sonntags-Blatt, Image 17

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    W
Var Hagel-nah
Nobellette von M. Koss a t.
Er liebte zum ersten Male, abgerech
net natürlich eine oder die andere
Schwärmerei ür Schauspielerinnen
oder Damen reiferen Alters, denen er
eine ritterliche Verehrung gewidmet.
Der Gegenstand dieser Liebe war ein
hubfches, schlantes Mädchen mit merk
wurdig nachdenklichen Augen, turzge
fchnittenem blondern Kraushaar und
einen festgeschlossenen blossen Mund.
Er hatte sie im hause ihres Vaters,
eines geschätzten Gelehrten und Pro
fessors der Jurisprudenz, der an dem
fleißigen Studenten Gefallen gefunden
hatte und ihn häufig zu sich lud, kennen
gelernt. Anfänglich achteten die der
den jungen Leute wenig auf einander.
Erich Hauser wurde von demProfessor,
der sich gern doziren hörte, durch juri
stische Auseinandersesungen in An
fpruch genommen und Dora Tollinger
saß schweigfam und iheilnabmslos, mit
einem Buche oder einer feinen Sticterei
beschäftigt, daneben. Sie gehörte
überhaupt nicht zu den redsamen Per
sonen, so daß Erich sie zuerst mit dem
rasch fertigen Urtheil seiner Jahre fiir
dumm hielt. Als er dann geleaentlich
ein paar Bemerkungen von ihr hörte,
die von scharfem Verstande und unge
wöhnlicher literarischer Bildung zeug
ten, richtete er öfter und öfter das Wort
an fie. Allmählich bildete sich eine Art
Freundschaft zwischen ihnen aus, die
aus seiner Seite bald in Liebe über
ging.
Ob sie sein Gefühl erwiderte, wußte
er zwar nicht genau, doch bildete er
sich's ein. Er war der einzige von den
Studenten, welche das Haus des Pro
sessors besuchten, mit dem sie sich ein
gehend unterhielt, ja, dessen Gesellschaft
sie sich sogar stundenlang gefallen ließ;
er durfte sie aus ihren Radsabrten in
der Umgegend der kleinen Universitäts
stadt begleiten, sast täglich forderte sie
ihn auf, ihr vorzulesen. indess sie in ih
rem großen schattigen Garten unthätig
in der höngematte lag, Gründe genug
für ihn, um ihn in seiner Annahme zu
bestärten. Meist sprachen sie über Bü
cher, ohne sich jedoch je in ihrem Urtheil
über dieselben einigen zu tönnen. Er
stand ganz in tlassischen Anschauungen,
schwärmte für Schiller, Freytag, Gott
fried Keller, sie dagegen bevorzugte
hauptsächlich neuere Autoten, und zwar
solche, welche das Grausige, Mhsiische
zu ihrem Spezialgebiet gemacht.
»Es geht Jhnen zu gut im Leben,
das ist die Ursache, warum Sie Jhre
Phantasie so gern mit dem unheim
lichen Zeug ersiillen,« sagte er ihr eines
Tages, als sie ihm eine Novelle rühmte,
die von einem mit Kleviomanie behaf
teten Mädchen handelte. »Wenn Sie
Sorgen oder Kummer hätten, so wür
den Sie lieber Heiteres und Anmuthi
gesslesem So aber reizt sie der Kon
tra t."
,,Woher wissen Sie denn, daß ich tei
ne Sorgen habe?« fragte sie mit ae
zwangenem Lächeln. »Was wissen
Sie überhaupt von mir, außer daß ich
die einzige Tochter des Professor-z
Tollinger bin und in einer hübschen
Ban inmitten eines großen, schattigen
Gartens wohne? Jch tünnte ein ge
heimes Verbrechen aus der Seele haben,
ohne daß Sie es auch nur ahnten.«
Erich Hauser sah sie verblüfft an.
Es war etwas in ihrer Stimme, das
ihn bsunruhigte, aufregte. Und wie
er sie näher betrachtete, fielen ihm die
dunklen Schatten unter ihren Augen
und der verlnissene Zug um ihren
Mund aus. Sollte es in dem Leben
dieses Mädchens, dessen gesammte Ber
hältnisse anscheinend so tlur vor ihm
dalagen, doch etwas geben, das sie zu
jenen Worten berechtigte? . »
Diese Frage ließ ihn nicht las und
noch während der nächstenTage beschäf
tigte sie ihn. Nachdem sein Denken
aber einmal diese Richtung genommen,
kamen ihm allerhand Seltsamkeiten in
Dreck-H Wesen. die er früher nie beach
iet, zum Bewußtsein. Ost verschwand
sie Abends, um lange, einsame Prome
naden im Garten zu machen, und wenn
sie dann wiedertehrte, strahlten ihre
Augen m siebethastem Glanz und ihre
Wangen brannten. Auch lonnte sie
höufi in trübes Sinnen verfallen, aus
dem Zie, wenn man sie ansprach, wie
aus einem tiesen Traum aussuhr. Ach,
und wie sorgenvoll ihres Vaters Blirle
manchmal aus ihr ruhten! Wenn man
das alles zusammennahm, so - — ja was
denn? Was- in aller Welt ging daraus ’
hervor? Eigentlich doch nichts, abso- i
lut nichts. (
Tro dem Erich sich das selbst zuge- »
stand, esehlo er, sie sortan schärfer zu s
beobachten. ine untlare Regung der- ;
anlaszte ihn, sie das nächste Mal aml
Vormittage auszusuchen. Er war um
diese Zeit noch niemals im hause seines
Gastsreundes gewesen« Dora hatte ihm
gesagt, daß der Vater es nicht liebe,
vor dem Essen in seinen Arbeiten ge
stört zu werden und daß sie selbst die
Vormittagsstnnden mit häuslicherThä
tigteit aussiilltr. Als er die Villa he
trat, gab ihm das Dienstmädchen, wel
ches ihm geössnet, denn auch den Be
scheid, daß der Professor nicht zu spre
chen sei, daß Fräulein Dom sich im
Garten besinde, um Salat siir den
Frühstückstisch zu pflücken.
Erich wußte. wo die Gemüsebeete la
en, und lenlte daher seinen Schritt zu
ihnen. Sie war ’edoch nicht dort. Ver
zstirnrnt wollte er schon in die Van zu
riicktehrem als ihm einsiei. daß er sie
vielleicht aus ihrem Lieblingsplah sin
den könnte. Es war das eine Banl mit
einem Tis davor, die, von vier Lin
den übern-· lbt, einen Ausblick au· ein
malerisch auf grünbewaldetem erge
gelegenes, burgartig ausschauendes
Vergnügungzlotal gewährte. Wenn er
am Nachmittage lam, pflegte et sie
meist hier zu suchen und sich dann zu
ihr zu seyen und zu sehen, wie sie mit
ihren geschickten hönden Blumen nach
der Natur malte oder wohl auch die
»Schnupsenburg«, wie jenes Etablisse
ment scherzweise von den Studenten
genannt wurde, slizzirtr. Sie hatte
verschiedeneAufnahmen davon gemacht,
von denen eine das Gebäude, einem
phantastischen Einfall zu Folge, bren
nend, von rothen, bis zum Himmel zün
gelnden Flammen umloht, zeigte.
»Ich liebe das Feuer,« hatte sie ge
sagt, als er seine Verwunderung über
das Bild ausgesprochen. »Ich habe in
meiner Kindheit, als wir noch in Dor
Pat wohnten, ein Haus brennen sehen,
das neben dem unserigen lag, und die
sen Anblick nie vergessen können. Es
Fvar ein herrliches, großartiges Schau
piel.«
Heute aber war der Platz unter den
Linden leer, indessen verriethen aller
hand umherliegende Schreibutensilien«
sowie ein Buch in Quattsormat, daß
sie noch vor Kurzem hier gewesen sein
mußte. Unwilltiirlich trat er näher
und betrachtete das Letztere. Es war
in Safsian gebunden, auf dem Deckel
Yade in Goldlettern gedruckt: »Tage
U .«
Erich Haus er stieg das Blut in’s Ge
sicht und sein Herz fing ihm heftig an
zu klopfen. Wenn er nun Einsicht
d’rin nahm? Freilich, es wäre eine
Jndistretion gewesen, die Dora ihm
nie verzeihen könnte. Aber sie würde
ja niemals davon erfahren . . .. Einen
lurzen Augenblick kämpfte er noch mit
seinem AnstandsgesiihL dann aber
siegte die Neugier. Er war eben noch
sehr jung und unreif, nicht viel mehr
als ein Kind seinem innersten Wesen
nach. Nachdem er sich mit hastig um
sich spähenden Blicken versichert hatte,
daß Niemand sich in der Nähe befand,
griff er nach dem Buch und tlappte den
Deckel aus.
Zuerst fand er hauptsachlich Verfe,
dazwischen eingestreut Schilderungen
von Vorkommnissen aus dem täglichen
«Leben, aphoristische Bemerkungen kind
lichster Art; wie die beigefügten Daten
bewiesen hatte Dora das Alles vor
einigen Jahren schon niedergeschrieben.
Er würdigte es denn auch kaum eines
Blickes, sondern schlug die Blätter
rasch weiter um. Eine ganze Reihe
davon erschien jungfräulich weiß, schon
wollte er das Buch enttauscht aus der
Hand legen, als die Aufzeichnungen
abermals begannen. Ein Datum tru
« gen sie nicht, aber dafür war die
f Schrift anders als vordem klein, zier
) lich, aber doch fest und charaktervolL
fund er las in angehaltenem Athem
Eund stets sich fteigernder Spannung
? wie folgt:
s »Es will Nacht werden. Jhre
J Schatten senken sich auf die Erde her
« ab, ihre geheimniszvollen Stimmen
klingen aus Büschen und Bäumen, sie
flüstern mir Dinge zu. von denen nur
ich weiß, die ich nie vergessen kann.
Oben am dunklen Himmel ballen sich
.schwarze Wolken zu ungeheuerlichen
Pia assen zusammen, beständig wechseln
te ihre Gestalt, sie lösen sich von ein
ander, umschlingen sich in wilder Um
iarmung und lösen sich wieder Ein
kleiner, gelber Streifen vom Voll
smond blickt durch, wie er leuchtet
heller immer heller, schweflichte Strah
lengarben scheint er zu sprühen, über
Baume und Rasen, Wege und Wasser.
i Und jetzt plötzlich glüht s auf, dort hin
Fter dem verschnörielten Giebel der
l Villa, flammenroth, wie hollisches
Feuer. Hinter den Fenstern fängt’ s an
zu leuchten, auch roth, roth! Flämm
T chen zucken auf und nieder, sie lecken
an den Wänden, schlängeln sich bis
I zur Decke hinauf und er, er. der dort
ruhig schlummert, weiß nichts von der
Gefahr« die ihn umgiebt. Er träumt,
träumt vielleicht von mir, indeß er in
» die Ewigkeit hinüberschläft. Ach, wenn
J er wüßte, wessen hand . . .· Doch still,
. Niemand ahnt es und mein Mund
« verräth nichts.
: Aber norchl War das nicht ein
s Schrei, der Angstschrei eines Sterben
! den? Riefs nicht Dara? Schnell
) Leitern herbei, löscht, um Gotte-Zwil
len, Robert, Du sollst nicht sterben,
nicht durch mich!
Durch mich? Bin ich’s denn, der
ihn gemordei? Nein! Meine Hand
legte das Feuer an, aber doch bin ch
unschuldig an der That. Nie wär’s
mir in den Sinn gekommen, meinen
Geliebten zu tödten, meiner Seele Ab
gottl Jch konnte nicht anders, eine
fremde Macht lenkte meine Hand und
diese Macht war der Wahnsinn. Py
romanie nennt man das Leiden, dem
ich verfallen bin seit meiner Geburt.
Ach, mein armer Vater, Du weiszt
nicht« wer damals die Gardinen in
Deinem Schlaszimmer in Brand ge
steckt, wer die glimmenden Streichhiil
zer ein Jahr später in Deine brennen
den Atten warst Wenn Du es wüß
test, dann, ach nein, auch dann würdest
Du mich noch lieben, mich, Dein unse
ligeit Kind. Ehedem sperrte man
Menschen wie mich in’s Gefängniß,
heute verbannt man sie in’s Jrrenhaus
und bedauert sie, statt ihnen zu flu
chen.
Wie seltsam, daß ich so trank bin
und mich doch so gesund siiblet So
tlar ist mein Denken« jede Einzelheit
l . H
weiß ich von jener Katastrophe, bei der
Robert. . . . Robert! Ewig hallt mir
der Name im Ohr, ewig. . .«
Ein trällernder Ton, nicht weit
von ihm entfernt, ließ Erich aussah
ren. Entsetzt blickte er um sich und
sah das Küchenmädchen, ein heiteres
Liedchen auf den Lippen, aus einem der
Seitenwege in die zur Villa führende
Hauptallee biegen. Um Himmelswib
len, nur jetzt von Niemand erblickt wer
den! Rasch das Buch auf den Tisch
werfend, drückte er sich hinter eine
Linde, wo er zitternd wartete, bis
jene im Hause verschwunden war.
Dann erst wagte er, sein Versteck zu
verlassen. Sein Plan war, durch die
hintere Gartenthiir zu entfliehen, die
dirett auf die Straße hinausging.
Schon hatte er sie fast erreicht, als er,
o Schrecken, des Professors Stimme
seinen Namen rufen hörte. Als er sich
scheu umschaute, sah er den alten Herrn
im Schlafrock, mit der Pfeife im Mun
de, vor sich stehen«
»Aber bester Hauser, was machen
Sie denn hier ganz allein?« fragte er
lachend.
; Etich stammelte etwas von Nichtstö
; renwollen, das Mädchen hätte ihm ge
sagt, daß der Herr Professor bei der
Arbeit wäre u. s. w. Dabei warf er
s verlangende Blicke nach der Garten
thür.
. Der Professor schüttelte erstaunt den
! Kopf. »Und da wollten Sie, ohne Je
j manden von uns gesehen zu haben, wie
E ein Dieb in der Nacht fortschleichenk
L Wenn mich nicht die Lust angewandelt
I hätte, ein wenig zu promeniren, so
f wäre es Jhnen ja auch gelungen. Aber
s da ich Sie nun einmal erwischt, so
E kommen Sie und frühstiicken Sie mit
» uns. Nachher können Sie mir ein
« paar Stellen im Strafgesetzbuch, die ich
s gerade brauche, nachschlagen.«
Wäre Erich weniger faffungsws in
diesem Augenblick gewesen, so würde er
vielleicht dennoch einen Vormund gefun
den haben. um sich dem Verlangen des
Vrofessors zu entziehen, aber völlig nie
dergedrückt durch die Wucht des Ent
fetzlichem das er eben erfahren, ver
wirrt und keines klaren Gedankens
fähig, vermochte er nichts zu thun, als
sich willenlos von ihm mitfchleppen zu
lassen.
Dora erwartete den Vater bereits am
Frühstückstisch Als sie Erich’s ansich
tig wurde, reichte sie ihm freundlich wie
fcnst die Hand, doch mußte er sich Ge
walt anthun, um die seine hineinzule
gen. »Wie sehen Sie nur aus?" fragte
sie, ihn besorgt anblickend. »Sind Sie
traan«
Er schüttelte nur den Kopf, antwor
ten konnte er nicht.
Es war eine entsetzliche Stunde, die
nun fiir ihn folgte. Glücklicherweife
docirte der Professor wie gewöhnlich,
wodurch Erich des Sprechens überhoben
wurde. Von Zeit zu Zeit warf er einen
scheuen Blick aus Dota. Wie zart und
hold das Mädchen aussah! Und den
noch, großer Gott, wie war es möglich,
wie konnte es möglich sein, daß sie,nein,
er wollte es auch nicht glauben, es
mußte eine andere Erklärung fiir das
Unbegreifliche geben, das er gelesen.
Und nun beichloß er, sie zu fondiren,
jetzt gleich, denn länger noch in diesem
gräßlichenZweifel zu verharren, däuchte
ihm unerträglich.
Der Hausherr war gerade in die
Auseinandersetzung eines interessanten
Prozesses vertieft, bei dem allerhand
Sinnestäuschungen des Angeklagten
eine wichtige Rolle spielten.
»Verzeihen Sie, Herr Professor«·
sagte Erich, hieran anlnüpfend, »wenn
ich mir eine Gegenbemerkung erlaube.
Es kommt thatfiichlich Vor, daß die
Phantasie einem Menschen bei helllich
tem Tage solche Trugbilder vorgautelt.
Mir selbst ist vorhin Aehnliches pas
iri.«
s ,,Wa——a--as?« Der Professor legte
Messer und Gabel hin und staunte ihn
verwundert an.
»Ja«, log Erich, »es war gerade im
Moment. bevor Sie mich trafen. Jch
fah nämlich plötzlich aus dem Rinden
häuschen hinten am Zaun einen brünets
ten jungen Mann treten, und —« hie:
blickte er Dora scharf an —— »was das
Merkwürdigste, ich wußte sogar seinen
Namen. Er hieß Robert isnd ——-« er
vollendete nicht, denn Dora hatte ihn
unter dem Tisch so heftig angestofzen,
daß er unwillkürlich abbrach. Jhr Ge
sicht war todtenblaß geworden, Und ihre
Augen blitzten ihn zornig nn.
»Das war niederträchtig«, rannte
sie ihm zu.
»Nun, und weiter?« forschte der Pro
fessor, und »schweigen Sie«, flüsterte
Dota.
»Ja weiter, weiter war nichts«, stam
melte Erich hilflos von einem zum an
dern blickend.
Wie das Frühstück von da an vertief,
nimmermehr hätte er’s sagen können
Er wußte nur« daß der Professor sich
noch eine Weile in Scherzen über seine
wundersame Vision erging, und das;
Dora in finsterem Schweigen vor sich
hinbrütetr.
Glücklicherweise wurde es ihm erlas
sen, heute die besprochenen Aus-füge
aus dem Strafgesetzbuch zu machen,
kenn am Ende war auch dem alten
Herrn sein verstörtes Wesen, das er
selbst mit Unwohlsein erklärte, aufge
sallen. Mit der Mahnung, wiederzu
tommen, sowie er sich wohler fühle,
verabschiedete ihn jener.
Während der nächsten Tage fühlte er
sich außer Stande, der erhaltenen Wei
sung zu folgen. Er war wirklich krank,
tein Wunder nach der Aufregung jene
—
- entsetzlichen Vormittags. Denn nun
egte er keinen Zweifel mehr über
ora’s Verbrechen. Jhr Schrecken, als
er den Namen des von ihr gemordeten
Geliebten nannte, der Zorn, mit dem sie
ihm schweigen geheißen, verriethen sie
nur zu deutlich. Allmiilig wurde er
dann wieder ruhiger, seine Liebe für
das Mädchen war todt, seit er von ihrer
That wußte, und wenn er sie auch mit
ihrem traurigen Geisteszuftande ent- ’
schuldigte, so erweckte dieser doch kaum
treniger Grauen in ihm als das Ver
brechen selbst.
Endlich, nahezu eine Woche mochte
verflossen sein seit seinem letzten Besuch
in der Billa, machte er sich auf, um fei
nen Lehrer auszuflicken. Nachdem er
lange mit sich zu Rathe gegangen, war
der Entschluß in ihm gereift, denselben
in schonender Weise auf das Leiden sei
ner Tochter aufmerksam zu machen. So
schwer ihm der Schritt wurde, so hielt
er es doch für seine Pflicht, ihn auszu
führen. Denn wer konnte wissen, was
Dorn nicht wieder anrichtete, wenn die
Versuchung über sie kam.
Das Dienstmädchen, dem er anbe
fahl, ihn dem Hausherrn zu melden,
führte ihn, nachdem sie sich ihres Auf
trages entledigt, dessen ungeachtet in’s
Wohnzimmer. Fröhliches Lachen tönte
ihm bei seinem Eintritt entgegen. Es
lam von den-Lippen Dora’s und eines
brünetten Mannes mit vornehm ge
schnittenen Zügen, die, sich umschlungen
haltend, zusammen in einem Buche la
sen, das Erich sofort als jenes entsetz
liche ,,Tagebuch« erkannte· Doch wur
de ihm nicht lange Zeit, sich über all
diese Seltsamteiten zu wundern, denn
Dora sprang bei seinem Anblick auf
und sagte, ohne den Gruß ihres Besu
chers abzuwarten, auf den fremden
Herrn weisend: »MeinBräutigam, Ba
ron Robert Kühle.« Dann sich zu die
sem wendend, fügte sie hinzu, »Das ist
der junge Herr, von dem ich Dir vor
hin erzählte, Du weißt, der uns an Pa
va verrathen wollte.«
Der Fremde machte auch seine Ver
beugung, und Erich mußte sich setzen.
. Er wünschte, daß die Erde ihn ver
z schlingen möchte, aber was half’s, jetzt
j hieß es ftandhaltcn.
E »Sie werden sich wundern, meinen
; Bräutigam hierzu sehen,« begann Do
; ra das Gespräch. »Ja, Gott sei Dani,
T die Schwierigkeiten, welche sich unserer
[ Verbindung entgegensetzten, sind nun
; besiegt und damit auch die Heimlichkei
F ten zu Ende. Aber sagen Sie doch nur,
! woher wußten Sie von der Sache?«
E Zum Glück fiir ihn überhob ihn der
Eintritt des Professors der Antwort.
Während er mit dem alten Herrn re
dete, vertieften die Liebenden sich wieder
in den Inhalt des Tagebuches.
»Was meinst Du,« sagte einmal der
Baron, in der Lettüre innehaltend,
,,wollen wir Deinen ersten und auch
hoffentlich letzten literarischen Versuch
nicht den Flammen übergeben? Es ist
doch gar zu abscheulich, daß Du mich
hast verbrennen lassen. Was?«
Dora lachte, und dann zündeten die
beiden trotz der sommerlichen Wärme
ein lustiges Feuer irn Kamin an und
warfen das Buch hinein. Erich sah
das Autodafis noch mit an, mit welchen
Gefühlen? Darauf empfahl er sich un
ter einem schicklichen Vorwand.
»Ich Esel!« murmelte er, als er die
Van verließ, mit dem festen Vorsatz,
sie nie wieder zu betreten. Einen Ort,
wo man sich gründlich blamirt, wenn
auch vornehmlich nur in der eigenen
Meinung, sucht man doch ohne Noth
nicht gerne wieder auf.
' Wenige Tage später schnürte er fein
l Bündel und siedelte nach einer anderen
Universität über, wohin, wie er hoffte,
ier Schatten des schmählich gemordeten
und wieder auferstandenen Rosberts ihn
nicht begleiten würde.
tskine tolle Fahrt.
Stizze aus dem Leben von Fr anz
F a l t s o n.
»Ich träume als Kind mich zurücke
und schüttle mein greises Hauptt« Das
ist nun nicht ganz richtig, denn einmal
ist derVorsall, den ich hier erzählen will,
erst vor zirta 20 Jahren passirt, und
s da war ich schon lange tein Kind mehr,
und dann — ein Mummelgreis bin ich
gerade auch noch nicht. Sonst stimmt
aber alles, also los:
Zu jener Zeit amtirte ich in der Pro
vinz. die durch das bevorstehende Kai
sermanöoer jetzt wieder vor die Augen
der Welt gerückt wird. Mein Domicil
war ein kleines Städtchen zwischen
Nogat und Weichsel. So klein das
Nest aber auch war, es barg eine nicht
ganz geringe Quantität Intelligenz
hinter seinen Mäuerchen, darunter vor
allem meinen alten lieben Freund S.,
Direktor einer großen Fabrik. Wer
ihn kannte, den kleinen beweglichen
Mann mit dem in Güte und Menschen
liebe strahlenden Gesichte, mußte ihm
gut sein, und so war er denn mit der
Zeit mein bester Freund geworden.
Jetzt ruht er unter dem kühlen Rasen.
Möge ihm die Erde leicht sein!
Uns beide einte noch besonders der
Umstand, daß wir beide als Reserve
Ossiziere dem Landwehr-Bataillons
bezirt Marienburg angehörten und
beide durch das Vertrauen unserer Ka
meraden Mitglieder des Ehrenrathexz
des betreffenden Ossiziertoxps waren.
Dieses Ehrenamt führte uns nun ös
ters nach Marienburg, wohin wir je
nach der Jahreszeit mit Wagen oder
Schlitten uhren, denn eine Eisenbahn
verband damals-noch nicht unser ver
,- — H
träumtes Städtchen mit der übrigen
Kultur-welt.
Marienburg an der anderen Seite
der Nogat, eines ziemlich großen, aber
bis aus die Zeit des Eisganges, d. h.
des Berstens der Eisdecke, harmlosen
Flusses-) wurde mit dem sogenannten
Werder, in welchem unser Städtchen
lag, durch eine Eisenbahn- und eine
Pontonbrücke verbunden. Erstere konnte
damals von Fuhrwerk nur benutzt wer
den, wenn keine Eifenbahnzüge sie pas
sirten oder in Sieht waren. Die Pon
tonbriicke wurde im Winter abgebro
chen. Die Passage für Wagen, Schlit
ten und Fußgänger ging dann über die
Eisdecke der Negat.
Es war an einem hellen, kalten
Märztage, als Freund S. und ich uns
zu einer Schlittenfahrt nach Marien
burg rüfteien. Dort sollte eine Ehren
gerichtgsitzung und im Atti-»J- daran
ein gemeinsames Mahl stattfinden.
Den Schuppenpelz über der Uniform,
die Füße in Fußsäclen, in Pelzdecken
gehüllt, fuhren wir bei zirta 18 Grad
Kälte ab. Die Fahrt währte zirta drei
Stunden, da mußte man sub gut gegen
die Kälte schützen. Endlich raaten die
Thürme der alten Ordensstadt, der
Remterthurm des Schlosses, die Kirch
thürme der Stadt vor uns- auf, da
schimmerte die eisbedeckte Nogat, auf
welcher sich Schlittschuhläufer fröhlich
bewegten, über welche schwerbeladene
Schlitten mit buntem Schellengeläut
schnell dahinglitien, dazu die hohen
fchneebedeclten Ufer der Deiche die be
rühmte Nogatbrücke, welche in zierlicher
Spannung Ufer mit Ufer verbindet.
Lustig tlingelten wir über die Brücke,
kein Zug störte die Ueberfahrt, und der
Tag nahm seinen programmmäszigen
Verlauf.
Doch mit Des wefcymeg Machlen m
kein ewiger Bund zu flechten. Bei ei
nein solchen Mahle — man nennt es be
kanntlich ,,Liebesmahl« — perlt der
Wein in nicht zu kleinen Quantitäten,
mit der zunehmenden Weinauffrischung
erwachen Erinnerungen, und darin
war Freund S. groß. Hatte er ein ge
wisses Quantum in sich aufgenommen,
dann kamen die ,,Gedenktage«, wie wir
es nannten. S. hatt zwei Feldziige,
1866 und 1870X71, mitgemacht und
viel erlebt, bei einigem guten Willen
konnte er also fast jeden Tag im Jahre
zu einem Gedenttage stempeln. Dieser
gute Wille trat stets zu bestimmten Zei
ten in Funktion, und dann mußte der
Gedenktag gefeiert werden Und zwar in
Sect.
Also geschah es denn auch an diesem
Tage, respektive Abend. Es war über
zehn Uhr, der Schlitten stand vor der
Thür, kopfschüttelnd sah ich S. an.
; Noch kein Gedenktag? Da erhob er sich,
H seine blauen Augen strahlten, und end
t lich entströmte seinen Lippen der Name
i einer mir bis dahin —- erröthend sei’s
gestanden —-- völlig unbekannten
» Schlacht, und der Gedenttag war fer
ltig. Aber nur angesichts der alten
Burg konnte dieser historische Tag ge
feiert werden. ,,Also, auf nach Valen
cia!« Ein dem alten Schlosse gegen
iiber liegendes Wein-Restaurant sollte
Ort der Handlung sein« Jm Nu war
der Schlitten besetzt, und mit Peitschen
knallen sanften wir zu der Feststiitte.
Der ruhige Bürger fuhr jäh vom Lager
und faltete die Hände, als die wilde
Jagd vorbeifauste. Aber, was scheert
das den Sommerleutnaut, wenn er die
Löwenhaut anhat.
Die gastlichen Raume nahmen uns
auf, der Sect floß in Strömen. Man
ches Heldenhaupt senkte sich auf die
Brust, der Held des Tages aber, im
Pelz und mit riesigen Pelzftiefeln wur
de nicht müde, staunend lauschten die
Kameraden, soweit sie dazu im Stande
waren, seinen Erläuterungen über jene
Tage und Stunden des Ruhms,
welche wir hier ,,ohne unser Verdienst
und Würdigkeit« mitfeiern durften,
und der Kutscher draußen «an dem
Schlitten trug der Bedeutung des Ta
ges in dunkelbraunem Grog freudig
Rechnung
Aver jedes Ding hat seine Zeit. Auch
wir saßen endlich wieder irn Schlitten
und fuhren unter endlosen Hoch’5 der
Kameraden davon. Unser Held wid
·mete sich mit der ihm eigenen Kunstfer
tigkeit sofort dem wohl verdienten
Schlummer-. An der Nogatbrücke hielt
der Schlitten. »Was ist los?« »Die
Brücke ist gesperrt!« Wir warten 10,
15 Minuten, S. schnarchte. «Brücken
wärter, wann wird die Passage wieder
seei?« ,,Dat weit ecl nich, ’ne Stünn
tünn et schonst noch dure!«
Was thun? «Fritz, wir fahren über
die Nogat!«
»Sell woll. Herr Leitnan!«
Der Schlitten macht kehrt und fährt
zu derStelle, wo sonst die « ontonbriicle
sich in den ruhigen Flut en spiegelt.
Aber, was ist das-? Ein warmer Wind
weht uns von dem Flusse entgegen.
Daß während unsererSitznng, des Lie
besmahles und der Gedenkseier sich das
Wetter völlig geändert hatte, der starre
Frost einem intensiven Thauwetter ge
wichen war, keiner von uns hatte es be
merkt Man sah das helle Wasser aus
dem Eise glänzen.
»Und ringsum lracht’s und lnistert
und dröhnt,
»Die Nogat ist’s, die im Eisgang
stöhnt.«
Fritz dreht sich fragend nach mir um,
in seinen grogglänzendenAeuglcin malt
; sich eine gewisse Besorgniß. »Sull ick,
; Her Leitnan?« Ein Reserve--Osfizier
in Uniform kennt leine Furcht. Mit
heller Kommandostimme tönt’s, wie
auf dem Exerzirplatz: »Marsch!« Be
— H
drriclt seufzt Fritz: ,,Jn Gottesna-men:«
und der Schlitten fährt in das gurgeln
de Wasser. Die Pferde scheuen. dann
rasen sie mit gesträubten Miihnen da
von, sie sind die einzigen, die die Gefahr
in vollem Umfange zu fassen scheinen.
Hell scheint der Vollmond auf die grau
sige Fläche, es lnistert und dröhnt un
ter den Hufen. Jetzt sind wir drüben,
die Pferde jagen den steilen Abhang
herauf, Fritzens bärtigen Lippen ent
schlüpft ein leises »Gott sei Dani«.
Da dröhnt die Uhr vom Remierthurm
zwölf dumpfe Schläge, es ist Mitter
nacht. Droben auf der Chaussee hülle
ich mich behaglich in Pelz und Decke,
ein Blick auf den festschlafenden Ge
fährten, und auch ich entschlummerr.
si- -1· st
,,Die Sonn’ erwacht mit ihrer
Pracht.« Um 10 Uhr Vormittags ers
hebe ich mich seufzend vom Lager. Mir
ist wüst und unbehaglich 2u Muthe.
Ein Sehnen nach etwas — ich weiß
nicht, was, durchzuckt mich. Verächtlich
blicke ich auf die ausgethiirmten Alten
stöße. Heute wird doch nichts aus der
Arbeit. Wie mag es Freund S. gehen?
Der sitzt trübe mit gesträubten Haaren
in seinem Komptoir. Um sich hat er
verschiedeneSelterwasserslaschen. theils
mit, theils ohne Inhalt, malerisch
gruppirt, er begrüßt mich mit gewohn
ter Herzlichkeit, aber matt, ach so matt!
Dann beginnt ein schleppendes Ge
spräch: »Wie sind wir denn über die
Nogatbrücke gekommen?« »Garnicht,
wir fuhren über das Eis!« »Wann?
Was war etwa die Uhr?« »Als wir
drüben waren, schlug es vom Remter
thurm zwölf!«
S. springt auf, seine Augen sprühen
Blitze, die Haare richten sich beiingsti
gend in die Höhe. Er greift nach einer
Zeitung: »Da liest« Dann sinkt er
stöhnend in seinen Stuhl zurück. Jch
lese: »Zehn Minuten nach Mitternacht
begann auf der Nogat bei Marienburg
der Eisgang.«
Todtenstille. Meine Kniee knickten,
ich falle auf einen Stuhl, meinen blei
chen Lippen entringen sich tonlos die
Worte: »Der Reiter aus. dem Boden
see!«
Weiße oder Wasserrüben
— Man schält und wäscht dieselben,
schneidet sie in Scheiben, wirft sie in
; siedendes Salzwasser, läßt sie auf dem
Siebe wieder abtropfen und auskuhlem
l dann dünstet man sie In Butter mit et
I was Fleischbriihe und Zucker. Zuletzt
bindet man sie durch eine Mehlschwiye.
Gebackene Kürbisse. —
Einen geschälten Kürbis schneidet man
der Länge nach in stark messerriicken
dicke Spalten, salzt diese und läßt sie
10 Minuten zugedeckt stehen, worauf
man sie mit Mehl bestäubt und so in
heißer Butter oder in Oel lichtgelb
bäckt. Zum Backen muß man Kürbisse
von kleiner, länglicher Form wählen.
— Die Kürbisse müssen sofort, wenn
sie gebacken sind, aufgegeben werden, da
sie durch das längere Stehen zu weich
werden
Champignongemüse.—
Man putzt die Pilze, schneidet und
wäscht sie, dann werden sie auf einem «
Siebe getrocknet, in eine Kasserolle ge
schüttet und mit einem Theelöfsel voll
Salz nebst einer kleinen ganzen Zwie
bel unter öfterem Umschwenken eine
Weile gedämpft. Sobald sie ziemlich
weich sind, fügt man 3 Unzen Butter,
eine Messerspitze voll gestoßenen Pfef
fer hinzu, läßt die Champignons darin
s Stunde vollends weich werden« gießt
einige Löffel kräftige Fleischbriihe nach,
kocht sie einmal damit auf, nimmt die
Zwiebel heraus und richtet sie an, in
dem man sie mit kleinen Klößchen von
Fleischfarae, Kalbskoteletten oder
Schinken garnirt.
Gedämpfte Morcheln. —
Die Morcheln muß man sehr sorgfältig
sutzen, indem man den Stiel unten ab
sd;neidet, sie mehrmals waschen, weil sie
immer auf sandigem Boden wachsen.
dann setzt man sie mit reichlichem Was
ser zu, rührt sie nach dem Heißwerdeu
tüchtig um, nimmt sie mit demSchaum
löfsel heraus, legt sie auf ein Sieb, wel
ches man in kaltes Wasser stellt, wäscht
die Morcheln noch einmal gehörig mit
den Händen, worauf man das Er
hitzen in reinem Wasser und das Ab
spiilen in kaltem wiederholt, bis das
Wasser rein ist. So reinigt man alle
Morcheln, ehe man sie verwendet. Man
zerläßt in einer Kasserolle zs Pfund
Butter, schwenlt die Morcheln darin,
deckt sie zu, dämpft sie z Stunde bei
mäßigem Feuer, stäubt etwas Mehl an.
gießt kräftige Fleischbriihe daran und
läßt sie weich dünsten.
Gelde Erbsen. —- Die Erbsen
werden verlesen, gewaschen. in kaltem
Wasser eingeweicht, kalt ausgestellt, gar
gekocht U. durch einen Durchschlag oder
ein Sieb gestrichen. Dann verdünnt
man sie etwas mit Pökelsleischbrühe,
riibrt sie mit Butter und Salz aus dem
Feuer heiß und giebt gebratenen Speck,
Zwiebeln, sowie gekochtes Pökelsleisch
oder niageren Speck dazu.
Grüne Erbsen mit Mohr
r ü be n. -- Man kocht die Erbsen
weich, aber so, daß sie noch ganz bleiben,
und schöpft die an die Oebrsläche stei
genden Hülsen ab. Mohrrüben kocht
man in Rindsleischbrühe, würzt sie mit
etwas Zucker, dem nothwendigen Salz
Und gehadter Petersilie und vermischt
sie mit den grünen Erbsen, nachdem
man sie mit einer Mehsschwitze (bon
Rindstalg und Mehl) gebunden hat.
Als Beilage: Rindsleisch und geräucher
tes Schweinesleisch.