Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 02, 1901, Sonntags-Blatt, Image 16

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    Meidenstamm
WW
Roman von mitbelm meyekisörsten
A . - . - . — . — . - -,- . » -,-..-x-,«-,..-A-A.--x.-.--A.--4-k—-sp-.-.- . «. - - . - . -
(1. Fortsetzung)
Aber einen hatte er doch, der ihn er
zog. das war die kleine Marie. Oft
wenn die andern Jungen draußen noch
spielten und Niemand ihn gezwungen
hätte, heimzulommen, ging er aus
freien Stücken nach Haufe, weil er
wußte, daß das kleine Ding allein war.
Er paßte"mit den fünf Jahren Alters
unterschied absolut nicht zu dern Mäd
aber er besaß eine merkwürdige
« gleit, auf ihre kleinen Wünsche
und den Jdeengang des Kindes einzu
gehen. Er ließ ihre Puppen marschi
ten und baute ihr aus den Holzllößen
und alten Spieltarten Häuser-. Er
war ihr Pferd, ihr Jagdhund, der auf
allen vieren lief und bellte, er aß als
Löwe in einem Käfig von Otiihlem
aber als ein guter Löwe, der sich strei
cheln ließ und die feierliche Versiche
rung gab, et werde nie beißen
Sie wollte immer Geschick-ten hören,
mit einer unermüdlichen Passion; aber
die Martia lehnte in dem Trauetlleide,
das sie nie mehr ablegte, am Fenster
ten-d starrte hinaus. Bis-weilen fah sie
wohl nach dem Kinde und sagte:
»Spiele, Mariechen, oder geh zu Anna
in die Küche«; dann schaute sie wieder
Mit einem theilnahmlosen Blick in die
Weite
»Sie schaut immer noch nach der
M, um die das Regirnent verschwand,
« als fie ’70 fortmarfchirten; sie denkt
Hoseieht immer noch, ihr Mann kommt
-- » wieder.«
Und vielleicht gab es wirklich eine
solche vaqe Jdee in dem milden Kopfe
der einsamen Frau.
Quälte das Kind gar zu sehr:
,Manmchen, erzähle mir eine Geschich
te,·' so gab sie sich wohl ein-en Ruck,
raffte sich auf und nahm die Kleine
aus den Schoß.
Mit einer weichen, leeren Stimme
erzählte sie dann, was Marie wollte:
»Schneewittchen« oder »Dornröschen«,
aber sie larn selten mit einer Geschich
te zu Ende. Jshre Worte wurden
langsam-en stockten, schliefen ein·
»Und was kam dann, Mamachen?«
»Dann —?«
Was war denn? Was hatte sie denn
erzählt? Sie wußte es nicht mehr.
Ihre Gedanken waren beim Sprechen
se fern gewesen, in Frankreich, bei
ihm, auf dem kleinen Kirchhofe von
St. Marie.
»Geh, Kind, spiel.«
Und Marie spielte wieder. Sie
trat noch zu klein« um nach der Uhr
zu sehen oder die dumpfen Töne der
Stundenschläge zu zählen, aber wenn
es zwölf Uhr Mittags war, wurde sie
omuhig, weil sie instinktiv wußte,daß
der lang-, einsame Vormittag ohne
Joseph nun zu Ende sei.
Ost kam et erst spät, vielleicht weil
er hatte nachsiden müssen oder sich Uni
heegetrieben hatte. aber Mittags tam
er wenigstens pünktlichee als Rach
stittagö, wo sie bisweilen stundenlang
aus ihn warten mußte. Einmal war
er Abends um lb neun noch nicht
Hause, und die unerbittliche Anna
sdie Kleine ins Bett. Da ge
riesp sie ineineJV furchtbare-Glasre
gung, oakz me Mama aus roter ne
thargsie erwacht-e und —- bas einzige
Mal in den sieben Jahren —- den eno
lich heimkehrenben Joseph mit zwei
wvhloetbienten Ohrfeigen empfing.
Der Junge war darüber mehr er- H
siaunt als erschreckt, denn erstens war
er an dergleichen von der Schule her !
gewöhnt, und zweitens hatten diese
Ohrfeigen keine besondere Kraft; die
Kleine aber gerieth außer sich.
Diese Schläge halte er um ihrem-il
len erhalten, nur weil sie so geweint
used die Mama aufgeschreckt hatte!
Joseph selbst mußte sie beruhigen und
ihr hundert Mal versicheru, daß es
reicht weh gethan hätte; erst dann
schlief sie endlich ein, seine magere
Jungenhand im Schlafe noch kampf
haft fest-haltend
Seitdem kam er nie mehr so un
piinltlich, er nahm sogar in der Schu
le — wenn auch nur für kurze Zeit —
einen energischen und alle Lehrer in
maßloses Er unen versetzenden An
lauf zur Be erung.
’ Sie war wirklich seine Erzieherin,
die kleine Col-sure seine einzige.
Unemädli erzählte er ihr Ge
n. aber e hatte ein gutes Ge
däch nis nnd liebte es nicht, wenn ein
Märchen das sie schon kannte, wieder
holt mer-be.
sse hatte da allerlei Kniffe, alte
Gefäss-isten in ein wenns Gewand zu
kleiden. vielleicht nur durch Verände
rung der Rat-den« oder indem er aus
— Des W eine Niesin machte. Im
mäu mußte et dabei vorsichtig zu
ehe- mil sie andernfalls die
Wie
RU- «Mt:äg ein- Geschichte
, —- « Waschtfossa —
««-IGU M He Kuzu
Es war schwer, diesen kolossalen
Anforderungen, die sich jahraus jahr
ein, Tag für Tag wiederholten, zu ge
nügen. Sie kannte alles: Grimms
Märchen, Bechsteins Märchen, Hausss
Märchen, den Robinson, Gulliver, die
Erzählungen aus Tausend und einer
Nacht; so mußte Joseph seinen eignen
Kon anstrengen und selbst Geschich
tcn ersinden. —
Merkwürdig: das wurden die schön
sten. Man konnte sie beliebig ausdeh
nen und ins ungewisse erweitern, in
dem man den helden in immer neue
und immer tollere Abenteuer verwi
aelte, und so saßen die beiden osj im
Kinderzimmer zusammen« erzählend
und horchend, bis es draußen dunkel
nurdr.
Aber die Anforderungen welche das
Gymnasiutn in Quinta und Quarta
an seine Besucher stellt, litten unter
alledem so intensiv, daß der Zusam
menbtuch über kurz oder lang staglos
erfolgen mußte. Er kam Ostern 1877,
als Joseph zum zweiten Male in sei
nem jungen Leben sitzen blieb.
»Der Junge verlomrntshier.« sagte
sein Bruder-, »e: muß lernen Ordre
oariren und arbeiten. Er tax-Ist zur
Cadettenschule, da wird man ihn an
ders her-annehmen«
Und so geschah es.
Der General von Den-itz, Excellenz,
Joseph-s Vormund war dagegen, er
liebte die Csadettenschulen nicht, aber
Albrecht Irr-it seiner kühlen Energie
fest-. Ins-Saph- piizssdi ·
«;;a; am selbst kunk Jahre imuorpg
gewesen, ich verdanke meiner Cadekten
zeit alles. Für Joseph ist das Corps
das einzige und letzte Mittel«
Was Joseph selbst bekrissi, er wi
dersprach nichi. Die bunte Unisorm
hat noch jeden Jungen verlockt, und
wie die kleine Marie die Trennung
ertragen würde, daran dachte er nicht
in der Hast, mit der die ganze Frage
hals iiber Kopf erledigt wurde.
Uebrigens, sie war ja auch nicht
mehr die »kleine« Marie. Sie war ein
roßes Mädchen geworden von sieben
Jahren, das in die Schule ging.
Freundinnen hatte, Stickereien anfer
iigke und durchaus nicht mehr auf ihn
als einzigen Spielgefiihrten angewie
sen war.
So trennten sie sich.
. . . . Ob er noch an den Tag dachtet
Noch jegl. wo diese fürchterliche
Zeit längst hinter ihm lag, geschah es
ihm, da er nach einein durchzechten
Abend ans schwerem Traume Nachts
auffuhr. .Jrn Schlafe kamen die ver
fluchten Erinnerungen inirner wieder.
Die großen, düsteren Schlafsäle im
Kadettenhaus, das kleine Arrestloial,
in das er immer und immer wieder
gesperrt wurde, die brutale Kraft der
alteren Kameraden, die ihn nie
der-schlugen, maltraitirten verheh
ten, ihn fälschlich anzeigtern
Dann i Weilswhtssesy wo
alle zwei underi Kadetten Urlaub
erhielten, nur er nicht! Wie er Nachts
über die Mauer kletterte. zwanzig
Kuß hoch herabsprang und in sie
acht hinan-lief nach der Rheinebene,
nur von dein einen Gedanken getrie
ben: -.6eim!«
Natürlich holten sie ihn wieder-,
schon am nächsten Morgen, natürlich
natürlich. Sie holten ihn immer wie
der. Er war wie ein wildes Thier,
das mit heißen Eisen gebrannt wer
ben muß, ehe es ruhig wirb.
Aber wie sein Bruder richtig pro
phezeit hatte: er lernte Ordre bariren.
Er wurde Schablone wie die an
bern.
Das Beste, die Energie, hatten sie
zu drei Viertheilen in ihm getödtet.
llVon nun an bekam er Urlaub wie
a e.
. Niemand, auch Marie nicht, erzähl
J te er in den Ferienwochen von seinen
:Leiden, die zum größten Theil nun
; ja auch aufgehört hatten.
s Ob er noch an jenen Tag dachtet !
O VI f
»An was denkst du, Joseph?«
»An nicht«
Er fuhr sich hastig mit der Hand
iiber die Stirn; es war ja unsinnig,
immer noch an diese liin vergangene
Zeit sich zu erinnern. . est, da alles
in Erfüllung gegangen war, was er
einst als uwge erträumt hattet Er
trug den s ·zierssiibel an der Seite,
die kleine arie war seine große.
schöne, geliebte Braut geworden, und
was ihm seine einstigen Freunde pro
phezeit hatten —- die je t beiahrtse
Rittrneister aber Stabzos iziere wa
ren nnd sich seiner wohl kaum noch
recht erinnerten —, war in Erfüllung
gegangen: der be Weiter der Armee.
zum wenigsten der besten! Be
rühmt im ganzen M, der M
Mmse besser belaust alt all-OR
und Male smmwueit
Ei lohnte wirkli nicht, umdie
Es stam. sue-n hu der Ka
ieszert noch sachte C N ev er
.«s?øses Dir sung-, Josephk
»Me- M Mr bis herun
i
use-n Woran-ges t da du L
Eilet «uu-p n vix Lust Ieicht-keifig
a . —
Rede nicht so feierlich!«
Tit lachte. und Marie lachte an .
»Wenn wir jett nur den Schti ten
spZMTo k oe is s
m ar von rren nen, der
von dem Königs chlosse aus sich im
Stile von Berg-: IF weit hinzieht mit
Rasenflächem n einen nnd glatt e
schnittenen Bauenheckem waren sie ie I
einzigen Spaziergänger. Alles lag
weiß beschneit, und nur ganz vorn am
Schloß hatten die Gartnerburschen
Weste gelehrt.
arie schüttelte den Schnee von
den Kleidern und stellte einen Fuß
nach dein andern aus den Sand-stein
soclel einer Juno, um sich mit dem
Taschentuch den Schnee von den
Strümpfen zu schlagen; aber als sie
damit fertig war und eben Miene
machte, den Arm ihres Bräutigams
zu nehmen, um mit ihm sittsam am
Schloß vorbei in das Dorf zu«gehen
und von dort aus mit der Pserdebahn
Zeimzusahrem überlam sie plöslich
eim Anblick der weiten, glatten
Schneeslächef eine unbezwingliche Luft:
»Zum wich- Joseph!'
Und mit einem Satz war sie von
dem sauber gelehrten Wege wieder
mitten drin im Schnee, der bei ihrem
hastigen Laufe um sie her wirbelte.
»Aber Marie!«
Er zögerte ein paar Augenblicke.
»Fang mich!« und schon war sie
eine Strecke weit sort, lief mitten iiber
die erhöhte Rasenbläche und war im
Nu hinter der ersten Heile verschwun
den. Sie flog wie ein Reh. Joseph
hatte Mühe, so rasch er sich auch an
; die Verfolgung machte, sie nicht aus
I dem Auge zu verlieren. Sie bog im
s Lauf hinter eine immer andere Hecke,
f und plötzlich sah er sie überhaupt nicht
) mehr.
Sie hatte sich versteckt, natürlich,
mit ihrer lustigen sarmlosigieit hin
ter einer Anrinous atue.
Aber die Schneespuren waren deut
liche Verräther, so baß Joseph leichte
! Mühe hatte. sie hinter dem Antinous
I hervorzuziehen.
Sie war noch so außer Atyenn pag
sie feine ersten zwei Küsse eben noch
duldete. aber gegen die anderen sich
verzweifelt wehrte:
»Ich ersticke, ich ersticke!«
»Hei-IN du auch. Jeh mache es mit
dir ebenso, wie du heute Morgen mit
mir.« Sie hatte so heftiges Herz
tlopfen, daß Joseph erschrak, aber
das verging baid und dann war sie
wieder ganz außer Rand und Band.
»Je2i stellen wir uns vor: du bist
der König nnd ich die Königin. Wir
gehen gnn allein in unserm Pat!
pnzieren, " iernand darf herein. Die
Hofdainen stehen draußen hinter dem
Gitter und brennen ordeniiich vor
Neugier: ach, wenn sie das doch sehen
könnten, wie der König und vie Köni
gin im Parle sich iiisseni Küsse mich,
Königs«
Jn dein Ampbithester, wo vor hun
dert ahren der bannoversche hof mii
been ringen von Watte und allen
englischen Vettern die lustigen Som
nierfefie Hefeiett hatten, wo die Da
rnen im eifrock neben ben epuderten
beeren auf den Sieinstufe Las nah
men, um das Schar-f iel auf der ge
genüberliegenden Bii ne u betrach
ten, setzte sich Marie au eine der
chneiien Sieinbänin Joseph pro
t irte: »Du wei t, was der Arzt
sagt: Du sollst di in Acht nehmen!«,
aber sie la te leicht-sinnig: »Es ist
nicht tatk, wurmt, ich erteilte
mich nicht« durchaus nicht-« —- Aber
Joseph zwang sie an ustehem und
nun schmie te sie sich « i an ihn.
»Es iß o seltsam, J eph, daß wir
beute so lustig sind. nd eineniiichk
nur« weil dieser Abu Becker im Ge
fängniß sitzt und du damit deine
Schulden los wirst. —- Es ist tein
schöner Gedanke.«
»Aber ein angenehmer Gedanke,«
sagte er mit einem schwachenVerjuche·
den Wechsel ihrer Stimmung zu ver
hindern.
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf.
»Geiiingniß ist siir mich vie furcht
barste Vorstellung, die ich kenne. Lie
ber möchte ich sterben, als in ein Ge
fängniß gebracht werden. Wenn man
sich nigt mehr bewegen kann, wenn
man nichts mehr sieht, nicht einmal
die Sonne!«
Joseph zog ein verdrießliches Ge
sicht; er wußte, dasz Marie, wenn sie
einmal einen solchen Gedanken erfaßt
hatte, darauf festbisz und ihn mit
ihrer izarren Gründlichteit nach al
ten Seiten hin erörterte.
Und während sie weiter sprach, ver
fertigte er Schneehallen nnd wars von
dem erhöhten Si ans nach ver ge
genüberliegenden "hne.
Das war ein ungewollt glücklicher
«Einsall, denn als er mit seiner erwei
men Schleudertraft und Treffsicher
heit zweimal dem Bronzesechter an
der rechten ckentalijse einen Ball
mitten in'5 icht appliziet hatte.
wurde Marie aufmerksam unt- vergaß
Aha Beckers Schicksal weiter zu er
Beten-.
»Laß mich auch mal werfen.«
Jose h drehte ihr einen ausgezeich
net s "nen, latten, runden Ballmber
so weit sie auch in der Taille rück
wärts bog and so energtgi fee aus
bvltc- sie brachte ihr Uxäsbkschvd
ntkst einmal bis an den Ra der
M i« —- miaoc net-me ;
M« -2«——«dck ems- made-;
W treten-M sie-T
Fechtee Bas aus Ball aus die Backe
und zwar mit solcher Macht, ali«
miiste der Bronzesigur dee Kopf vom
Rumpfe fliegen.
Marie vero olgte jeden Mag mit
einer sörmli Aufregun. ie be
. obachtete oseph, tote er si rückwärts
lehnte, zie ete und mit einer etgenthiitw
linchen blt ltzjchnellen Armdewegun
chleudette. utlenl
hin stra ie sich, da war nichts von
fängqu Jahr-rügen lässigen Haltung.
thep «
a
»Wenn du fest zwölfmal trisssi, Jo
seph, der Reihe nach, dann — dann-«
dannlk
»Dann soll dai fin uns eine Vor
bedeutung sein, ein Zeichen, daß uns
alles gelingen wird, was wir uns mitn
schen, daß wir zusammen glücklich wer
den.«
WDummeg Zeug,« sagte er und warf i
dem Fechter egen die Rase, daß der
Schnee driie en nach allen Seiten
stiebte.
»Rumero eins.«
»Mit so was muß man nicht spie
len," sagte er und traf von neuem.
»Numeto zwei.«
»Das ist doch nicht dein Ernst,
Mieze?« Er lnetete einen neuen Ball
und blickte sie erstaunt an. «Lieber
höre ich aus.«
»Es-its weiten«
»Du bist doch nicht abergliiubisch?"
»Ja ich bin abergläubisch. «
»Komm her, Marie, wir gehen jeht.
Außerdem, es wird bald dunkel. Wahr
haftig, es ist bald vier Uhr."
Sie trat nahe an ihn heran Jnit ei
nem ängstlichen Ausdruck im Gesicht:
»Ich bitte dich, Joseph, wies weiter,
und schnell, ehe es Dämmerung wird,
so lange du noch gut sehen tannst."
Zchmeigend blickte er sie an, in ih
ren Zügen war etwas Fremdes , Stat
res. lieber die Sonne am Himmel
hatte der sinkende Tag graue Winter
wallen gebreitet, durch die langen
Heckengänge psiss ein kalter Wind, die
ganze Scenerie ringsum hatte plötzlich
Einen blassen, unheimlichen Zug von
sede.
l
U
Er zielte sorgfältiger als sonst und "
traf. Sie sprachen beide nicht und
zählten leise. Sie schauten sich nicht
an, sondern blickten nur nach dem Fech
ter drüben, der vor der dunkeln hecken
tulisse in seiner s warsen Erzsarbe
immer unveutlicher tch abhob.
,,Els.« Sie sagten es beide gleich
zeitig nnd blickten sich gleichzeitig an.
»Nun der zwiilste."
,,Nein, ich werse nicht weiter. Komm,
Marie. Wenn es auch nur Unsinn ist,
man soll es doch nicht thun. Jch kann
fehlen, ich sehe nicht mehr ordentlich,
und mein Arm ist müde. Und wenn
ich nicht treffe, dann bist du irn stande,
die aldevne Geschichte ernst zu nehmen.
Jch renne dich. Sei gut, Liebchen,
tomm.«
Er legte den Arm um ihre Taille,
aber sie machte stch stei.
«Wirs!«
Sie war sehr blan, nnd die sahle
Dämmerung zeichnete auf beide Gesich
ter graue Schatten.
Joseph beugte sich nieder und kne
tete aus seinem Knie den SchneebalL
Dann nahm er ihn, um die hände
frei zu bekommen, zwischen Oberarm
nnd Mantel nnd streifte die ledernen
handschuhe ad.
Zweimal beugte er sich rückwärts
und zielte lange, aber jedesmal behielt
er den Ball in der band und richtete
sich wieder empor, um seine Fußsta
lun zu ändern
nn b er sich ties aus das rechte
Knie, so dgg seine Hand fast den Bo
den berührte, und dann, nach einer
Ietundenlangen Pause, schnellte er mit
einer vebenrenten Bewegung den gan
zen Körper vorwärts.
Wo war der snllk
Einen Moment sahen sie ihn beide
nicht« es flimmerte ihnen vor den Au
gen.
Jetzt sahen sie ian
Da slog er! Drüben schon —
Und jetzt —
»Brot) !!«
Mitte dem Fechter ins Gesicht! !
Joseph athmete ties aus und lächel
te, und einen Augenblick subr er sich
mit der schneeseuchten and über die
«:Stirn, aus der Schwei tropsen prel
en.
»J-zieph!«
Sturmtsch umschlang sie ihn, den
Kopf an finer Brust in dem Pelz des
Mantels vergrabend. Er fühlte, wie
sie zitterte, aber er zerbrach die feier
liche Stimmun mit einem Scherz:
»Du bist un bleibst ein albernes
Mädel. Das wäre eine nette Art, sich
mit Schneeballtoersen über dasSchich
sal zu oergetvissern.' .
Sie lachte nun auch. aber sie zitterte
immer noch.
»Natürlich war es dumm und al
bern, aber es war doch schön. Daz«
·tte dir keiner nachgemacht, Joseph:
o sicher zu werfen, wenn so viel aus
dem Spiele steht·«
«Gar nichts stund aus dem Spiele-«
»Dort-, d . rede ni t, wir wollen
ar nicht me davon brechen. A ,
Ich bin glücklich. Du wirst immer tre -
n, wenn Noth un Mann tst.· Du
Firchtest dich vor nichts, du bist ein
ganzer Mann. Lerci-' nicht! Das ist
mein beiligster Ernst, Liebster!'«
Sie standen aneinander epreszt und
küßten sich leidens stlitH Einmal
sagte sie: »Komm, w r mit en nun ge
« und dann sagte n einer Pause
syst-: »Komm, wir ssen nun ge
, aber der andre hatte jedesmal
noch eine Ums-mutig und einen Ku?
; bis endlich die hereinbrechende Dante -
i W sie IsssM
W
»Wenn jemand uns hier jeht fändeP
»Ach, weshalb nichi!« .
»Nein, Joseph, das geht nicht. Wir
, müßten längst zu haufse sein. Aber
. wenn wir verheirathet ind, gehen wir
I oft hierher-, dann darf uns niemand
, gehe hineinreden. Es war zu schön
ute.«
Sie gingen die Stufen des Amphi
iheaters hinab, und als sie unten stan
den und durch den Heckengang lisks
zum Schlosse zurück wollten, zögerten
beide, als ob ihnen der Abschied von
i dem kleinen derschneiten Königstheater
; schwer fiel.
Marie sand noch ein ledieö Aus
» lunstsmitieh diesen Abschied zu der
langem
»Wir müssen dem armen Fechier
Adieu sagen.·'
Sie kletterte aus die Bühne, um
um das Opfer ihrer Schneebälle zu be
trachten; er stand in seiner athleiischen
Erzmustulaiur schwarz und dunkel
vor ihnen, aber Kopf und Hals waren
wie von einer weißen Haube über-zogen
Und ege Joseph es verhindern konnte,
hatte ch Marie aus das Steinposta
ment geschwungen, hielt die Brause
sigur umtlamrnert und suhr dem Fech
ter mit ihrem Pelzhandschuh über das
Gesicht, bis die letzten Spuren der
Schneebiille vermischt waren.
»Der arme Kerl, ihm brummt der
Kopf gehörig! —- So, nun sieht er wie
der nett und sauber aust«
Ueberrascht, schweigend sah Joseph
ihr zu. Das Mädchen mit seinen ra
schen Bewegungen neben der toten,
talten äiguh ringsum Winternacht,
beide o n aus dem Postament in tie
setn Schatten, und rechts, links, vorn,
aus allen Seiten andre Erzgestalten,
die durch das Duntel herüberstarrien,
--— die Scene hatte etwas Gespenstisch
Unheimliches·
Als Marie aber wieder neben ihm
ging, ihr warmer Athem in dem sei
nen lag und ihre weiche Gestalt die
seine berührte, war der kurze, selt
same Eindruck verwischi.
Prater vell Decken tauchte das sto- "
nigsschloß aus, stumm und sinster,
etn verlassener Zeuge dergangenee
Frucht Nichts mehr von englischen
önigem die hier in ihrer hnnnoders
schen heimath tnit den Cambridgez
und Cuniberlnnds und Yorts nlteEr
innerungen auffrischtenz nichts mehr
von den dannoverschen Königen selbst,
die vor zwanzig Jahren in die Ver
bannung gingen; nichts mehr von
Garben, Reitern, Eqnipngen, vonDie
nern mit Windlichtern, von schönen
Damen, die durch den Port huschten;
teine fröhlichen Klänge, teine Ball
musii, teine erleuchteten Fenster und
keine Königsstandarte, die Nachts hoch
oben im Winde wehte.
Joseph hatte Mühe, in dem Mitgli
chen Lichte der wenigen Laternen den
Aus-gen zu finden.
Am « hore wandte Marie denKOtIf
über die Schulter und blickte noch ein
mal in den Garten zurück. Sie hatte
ein Gefühl der Dankbarkeit fiir die
schönen Stunden dieses Nachmittags
und sür das Liebesgliich das der stille,
verschtoiegene Pan ihr nnd Joseph ge
schenkt hatte. Asis sie aber die todte
Finsternis hinter sich sah, ging es
durch sie hin wie ein Frösteln.
Kam sie tvirtlich von dort her? Aus
dieser lichtlosen, unheimlichen Tiefe?
«Jvieph. holt mich fests«
Wie?"
.halt mich seist dein ganzes Lebens
lang. Bei dent ersten schweren Erleb
niß würde ich zsgatnmendrechem das
siihie ich, wenn i nicht dich dabei zum
Schudck hsbm würde.' .
Er lächelte gutmüthig: »Du brichst
nicht zusammen, du großes, starke-i
Mädchen, dn ntn allerlecten..«
zisch am allerersten-«
m 3.. 4. nnd s. Mai 1888 nnd es «
in Hannover eine Afsaire von der be
sonderen Art, die man in der Donau
taiserstadt »a hetz'« nennt. Für die
Reitschule und ihren alten Geschäft-H
sreund Abu war es eine sehr schwüle
»Hes«', sür die Unbetheiligten eine seh:
amiisante «hetz«, alles in allem eine
Sensatiousgeschichte ersten Ringes
Abus Procesz war vielleicht nach
Umfang und Bedeutung nicht zu ver
gleichen mit jenem berühmten »Spiel
proeesz«, der einige Jahre später die
Reitschule, bannt-den ganz Deutsch
land und die Rachbacstaaten in Athern
erhielt, aber er war zum mindesten ein
nettes, kleines Vorspiel, das, wie die
Zeitun en urtheilen. »für gewisse Ver
bältni e. Lebenslreise, Gewohnheiten,
Anschauun en und so weiter als
symptomatrsch zu gelten hatte.«
Aus jene Freude in den Januarta
gen nach Abus Verhastung war für
die Reitschule sehr bald eine außeror
dentliche Erniichterung esolgt.
Eine grausame Ernii eeunat
Arn 23. Januar schrieb die »Kölni
sche Zeitung«:
»Ein Wucherproeeß besonderer Art
wird demnächst in hannover zu. er
warten sein. Ein gewisser John Be
» ckee und so weiter —- beretts verhaftet
— Ossiziere betheiligt —- große Sum
men, unmäßige Procente ——« und der
Artikel schloß mit den milden, gütigen
Worten: »Hossentlich lingt es hier
einen der vielen Krebs chiiden auszu
decken, unter denen junge, allzu ver
trauensselige und unersahrene Offi
ziere so schwer zu leiden haben.«
Die Reitschule liest siir gewöhnlich
keine Zeitungen, Init Ausnahme des
»Militär-Wochenblatts« und irgend
eines Berliner Blättchens, aber - diese
Nummer der Eslnischeiss ging von
Hand zu hand, tout-de bei «Kasten«
wiederholt laut reeitiet und fand all
W
gemeine Billigung. Man liichelte mit
einem A urenlächeln iiber das »ver
trauen-se g" und nannte das »uner
fahren«, einen etwas starken Aus
druck, ließ diesem Worte aber in Ans
detracht der sonst wohlwollenden und
hochanstiindigen Gesinnung des Arti
telz Verzeihung angedeihen
sAher am W. Januar, also nur drei
Tage später, wurde die Reitschule in
eisigen Schnecken verseßt durch den
Leitartitel einer Zeitung, deren noto
rische Absicht es ist, alles Große, Be
stehende, Wohlhabende, Adelige und
so weiter in den Staub zu ziehen.
Name dieser Zeitung und Inhalt senes
Leiiartilels seien hier nicht ermahnt,
nur soviel muß aesagt werden, daß in
den Ausführungen dieses BlattesAbu
Deckel-, verglichen mit seinen Schuld
nern, wie eine Lichtgestalt erschien.
Nicht daß sein schändliches Treiben
nicht als solches gebrandmarlt wurde,
aber es war gleichsam ein unschuldiges
Kinderspiel im Vergleich mit der Fri
dplitiit der jugendlichen Geldnehmer.
Unheimliche Epitheta wurden der
Reitschule an den Kopf geworfen,Aus
drücke so start, doshast und ausgesucht
drutal, daß ihre bloße Andeutung sich
verbietet. «
Auch dieser Artikel wurde bei »Ka
strn" verlesen, nachdem man alle Thü
ren geschlossen und die Kellner hin
ausgeschickt hatte.
Man las mit gedämpster Stimme.
Die Cigarren erloschen, und der
Pommery wurde warm.
Und der Artikel nannte Namen!
Namen!
»Sdorleder —- Keosseck-- Zerbst —
Graf Rohrdeck —"
Blaß drängte man sich um den klei
nen Zestow, der das verdammte Blatt
ir. der Hand hielt. "
»Bin ich auch genannt?«
»Und ich?!«
»Jch?!«
»Am-: Aemz Du ntascz Du num
heidenstamm auch nicht! Nein! Um
Gotteswillem beruhigt euch dedi«
Sporleder sasz wie eine Wachsfigur,
und der immer sidele Nacht-S Rodrbeck
hatte allen humur verloren: »Ich sitze
bei der Geschichte am tiefsten drin,wie
immer, natürlich. Es wird faktisch
unangenehm; es geht mir an die Nie
ren.« -
Ein Trost war der, daß »diese
bundösöttische Zeitung von Ministe
rien. Comrnandeuren, Generalen und
sc weiter nicht gelesen wird, daß sie
siir Cavalierg und Milittirlreise quasi
ttnter Ausschluß der Oessentlichleit er
scheint. Niemand wird diesen Artikel
Zu Gesicht bekommen, Niemand auch
nur davon hören, man braucht sich
wirklich nicht aus-sure en.«
Arme harmlose Reitschule!
Tags daraus stand der insame Aus
san in allen Zettungenl Abgedruckt,
tsachgedruckt, ein wenig gemildert und
zurechtgestutzh aber im übrigen un
versehrt und von entsetzlicher Deutlich
leit
Und dann wurde die Reitschule
nett-ös.
Jeden Tag brachte irgend eine
Zeitung neue Detail-l.
Jeden Tag.
Man war ais einem Selbsterhals
tungstriede heraus enötbigt, stunden
lang alle erreich aren Zeitungen
durchzuslieqem tie Leitartitel, den po
litischen Theil, das Vermischte; man
fand Notizen an den verborgensten
Stellen dieser Blätter, man betam
solche Antlagen zu lesen, daß man
allmählich anfing, an sich selbst zu
zweifeln.
Ganz unmöglich, die Einzelheiten
dieser beständigen An apfungen zu re
serirenz sie waren e eine Ueber
schwentmung. die bis in die kleinsten
Prodinziatbltitter sich ergoß. Väter,
Mütter, Onkel, alle Verwandten lasen
ste; aus den entsetntesten, weltabgeles
aenen Rittergiitem aus die nur ganz
selten ein Wochenblättchen sich verirrt.
wurde die Assrrire bekannt und mit
Bei-reden durch-gesprochen
Väter kamen von Litauen und
weiter her angereift, um persönlich
in Hannover Erlundigungen einzu
ziehen, aber sie erfuhren zu ihrem
Troste, daß-Uhu Bessers Krallen denn
doch nur einen verfchwindend tleinen
Theil der Reitschule erfaßt gehabt
baten. Betheiligt war jeder einzelne in
sofern, als die wenigen Opfer jedes
einzelnen lameradfchaftliches Beileid
fanden, ini übrigen aber stellte es sich
bald heraus, daß wie bei allen Senfai
tionsaffairen das Gerücht ungeheuer
lich übern-leben hatte. »Am s. Mai,«'
to fchrieb der »dann-wasche Courier«,
»wir-d der Proceß John Beter vor
der Straflammer des hiesigen Land
gertchts zur öffentlichen Verhandlung
totnrnen.«
Oeffentlichen Verhandlung.
Dritten Mai.
Zi: drei Wochen.
ffentlichen Verhandlung! Rochuz
Rohrbeck trank keinen Ponnnery mehr
und rauchte nicht mehr. ·
Er kam auch nicht mehr zu Kasten,
sondern perlchrte viel mit Juristen,
deren einige er aus feiner heidelberger
Zeit kannte.
Gortfekung folgt.)
n London beza lt die Re ier
2303 Leierlaftendrehky welche gpatFX
tifche Werfenspielen müssen, um auf
diese Weise die Kriegsscgeifterung qu
zufachen und Rekruten zu etc-innern
Das ilt ein« fchckne Sorte atriotits
neu-, die durch Leiertaften erzeu t
wird. Und die Sorte steter-ten, d e
Mr to gewinnt muß M schöner