Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 19, 1901, Sonntags-Blatt, Image 15

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    Ohre xieieigesusichir.
....-..
an G. R e n u e w. Deutsch von
M. h ii t t i g.
.,-.--...-«.»
»So, nun werde ich Dir meine Lie
besgeschichte erzählen, gerade heute bin
ich hierzu in der rechten Stimmun ,'·
sagte sie und seste sich an seine Se te
aus dem Felsenvorsprung, wo das
Moos sommergriin sproßte. hinter
ihnen raunte der Wind in den Baum
wipseln und vor ihnen glänzte der
stille Bergsee, der sich drüben zwischen «
bewaldeten Usern wie schmaies, blau-« »
schimmerndes Band in der Ferne ver- i
r.
»Und was hat denn mein Mädchen
auf dem herzen i« fragte er innig.
»Ja, siehst Du« —- sie sentte das
blonde Köpfchen und die seelenvollen H
grauen Augen weilten voll tiefen Ern
stes auf dem glitzernden Wasser, mit
dem die Sonne spielte —— »meine Lie
besgefchichte möchte ich Dir erzählen.
Sie ist sehr lang und besteht aus drei
Theilen. Zu Niemandem sprach ich je
davon. Du aber« —- und sie nahm seine
Find und drückte sie zärtlich an ihre
ange — »Du, Geliebter, wohnst in
meiner Seele und vni ts darf Dir ver
borgen sein. Siehst u, ich bin schon
lange keine Siebzehnjährige mehr, denn
Dein »Mädelchen'· ist alt, eigentlich
unverantwortlich —- nein, wirklich zu
alt !" schloß sie mit schelmisch lachen
Bgn Blick- in sein männlich schönes Ge
t
· ,«,S——o, Du hast also — —- ?«
»Aber nein, unterbrechen darfst Du .
mich nun nicht« nur hören darfst Du,
bis ich zu Ende bin, und dann tannst
Du fragen, was und soviel Du nur im
mer magst.
»Als ich fünfzehn Jahre zählte, fing
meine Geschichte an. Jch muß noch
furchtbar dumm gewesen sein zu jener
Zeit, ein rechtes Kind noch und meinen
Altersgenossinnen gar nicht ähnlich.
Das lag wohl zum Theil auch daran,
daß ich nie eine Schule besucht hatte, I
wo man meiner Ansicht nach sehr viel !
lernen kann. Jch war immer nur von i
meinem Vater unterrichtet worden und ;
ein Hündchen, das mir auf Schritt und I
Tritt folgte, war mein treuefter Spiel
tamerad, das heißt, wenn ich einmal S
seit zum Spielen hatte. Jch war sehr I
rüh zur Arbeit angehalten worden, i
was ja wohl auch sein Gutes mit sich t
brachte, und Geschwister hatte ich keine.
Doch nicht weit Von meines Vaters Be
sitzung wohnten Jngenieur Holmgrens,
die Du ja auch kennst, und mit ihnen
durfte ich hin und wieder spielen. Thor
sten, den ältesten Jungen, mochte ich am
liebsten. Wie freute ich mich auf seine
Ferienzeit, wo er aus der Pension nach
ause tam ! Wir angelten, liefen
· chlittschuh, durchlebten viele gemein
same, fröhliche Stunden. Als ich funf
sehn Jahre alt war, hatte er zu Weih
nachten seine Schulzeit beendet. Er
war nie so recht vorwärts gekommen
—- ich glaube, er war ebenso faul wie
dumm, nur damals fand ich das nicht,
bewahre, damals war er in meinen
tlugen der Herrlichste von allen ! Seine
Ferien in jedem Jahre dehnten sich auf «
volle zwei Monate aus, die wir beide I
euch genügsam ausnutztew Welche I
wunderschöne Zeit brach nun siir mich ;
an! Fast täglich kamen wir Zusam-«
men, immer hatte er »eine nctte Sache«, i
wozu er mich abholte. Meine Eltern i
zwar waren sehr gegen diesen Verkehr,
sie nannten Thorsten einen Taugenichts
und ich fand sie herzlos und verthei
digte ihn nach Leibesträften.
«
Doch der Tag, an dem er fort muß
te, rückte immer näher —- er sollte näm
lich in das Geschäft feines Onkels als
Volontiir eintreten — und eines Ta
ges, turz vor feiner Abreise, brachte
mir feine Schwester einen Brief von
ihm. Einen heimlichen Brief von ihm!
Jch fcheute mich faft, ihn zu lesen, und
verbrannte ihn darauf sofort. Es
stand aber nichts Berfängliches darin,
nicht ein Heirathöantrag, den er mir
nicht stellen tonnie noch durfte, aber
eine Liebegertliirung war es doch wohl,
und zum Schlusse bat er mich urn eine
goldene Haarloete zur Erinnerung.
Run, die bekam er nicht, wie ich es
überhaupt fehr dumm von ihm fand
daß er geschrieben hatte, wo wir uns
doch fo häufig sahen; was er da dem
Papier anvertraute, hätte er mir ja
viel leichter fagen können.
So dachte ich tiihl und verstandes
gemiiß; als er aber dann einige Tage
später in den Nachmittagsstundei- vor
fprach, um uns Lebewohl zu fagen, da
aß mir das Weinen den ganzen Abend
ber im halte —-· so schwer wurde mir
der Abschied von ihm. Er ging —
eine fliichtige Kußhand, das war das
lebte, was ich noch von ihm fah, als
ich betrübt und niedergefchlagen hinter
den Scheiben der Fausthiir stand. Jch
fürchte, hätte er ch noch einmal um«
gefchaut, wäre er noch einmal zu mir
zurückgelommem ich fürchte, da hätte
ich mir fiir ihn doch einige Haare aus
gerissen.
Im Laufe des Frühlings schrieb er
mir noch einmal, aber ein unglückli
cher Zufall spielte den Brief meiner
Mutter in die Hände, die fehr biife
wurde und meinte, es fchicle sich nicht
fiir Mädchen aus den besseren Stän
den, mit jungen Herren zu torrespon
diren. Sie verbot mir jeden Brief
wechfel mit Thorften und ich mußte ge
forchery wenn auch zuerst nur mit
chwerenr Herzen.
Nach langen zwei Zähren fahen wir
uns endlich wieder. ie fehr hatte ich
mich auf fein Kommen gefreuti Und
als er dann tam und ich ihn begrüßen
durfte, da war die Freude dahin, die
Sehnsucht verstummt. Er war so
groß, so stämmig geworden, hatte ei
nen Schnurrbart und sah aus wie ein
err —- das war mir gar nicht recht.
ch siihlte mich etwas eingeschiichtert
und wußte absolut nicht, was ich mit
ihm reden sollte. Mein so gänzlich
oerändertes Wesen siel ihm auch so
fort aus und ich mertte bald.genug,
daß er sich über mich ärgerte, und end- «
lich machte er es mir zum Vorwurf, -
daß ich ihn betrogen hätte, da er mich
stets geliebt. Selber sagte er mir das
nicht, o nein, er schickte seine Schwester .
in’s Treffen, denn er war doch wohl
beschränkt und ein feiger Charakter.
Es that mir ja nun leid, daß ich ihn ?
tränkte — aber was half es? Jchs
vermochte darum doch nicht, ein Gefühl «
zum Leben zu erwecken, das schon
längst in mir erio chen war. Wie es »
kam, weiß ich sel er taum, ich weiß,
nur, daß er bald wieder abreiste und E
daß ich seine Schwester bat, ihm zu
schreiben, es gäbe tausendmal bessere
Mädchen aus der Welt als ich und daß
er mich vergessen möchte. Jch glaube,
das hat er denn auch bald genug ge
than« s ·I-. ·..-».-- »so-·
..-- —....-» -,.
Dr eg in also oer erste scheu meiner
Liebesgeschichte Der lieat so weit in
meiner Erinnerung, weht mich so kalt
und verblaßt an, wenn er einmal vor
meiner Seele emportaucht. Jch war
ja damals noch ein vollstandiges,
harmloses Kind.
Dann starben meine Eltern rasch
hintereinander, unsere Brsitzung wurde
verkauft und ich lernte den Schmerz
kennen, der den Charakter bildet. Ich
kam hierher, achtzehn Jahre alt. Die
sen Herbst werden es acht Jahre, daß
ich nun schon hier bin. Acht Jahre
lang bekomme ich hier nun Kost, Lo
gis, Gehalt ——- »alles, was ich zum Le
ben brauche", wie mir mein Onkel er
klärte, als er mich einführt-. Jhm
hatte ich meine Stellung zu verdanken.
Aber wir Menschen leben nicht vom
Brod allein, Liebe brauchen wir, ein
kleines Fünkchen nur, wenn wir nicht
verkümmern sollen.
Zuerst lebte ich nur in der Erinne
rung alles dessen, was ich besessen hat
te. Ich lebte in der heiligen Trauer
um die theuren Heimgegangenem Doch
je mehr Zeit darüber verging, je mehr
versiegte in mir auch der Schmerz. Ich
war doch jung — zu jung noch, um
ewig trauern zu können. So regte sich
in mir die Sehnsucht nach Freude und
Glück. Und das kam dann auch, doch
nicht allein —- neben den sonnenhellen
Tagen krochen leise die Schatten her
vor. Mein Leben lenkte in andere
Bahnen ein und er weckte in mir neue
Gedanken und Empfindungen.'«
»Wer'i«
»Laß nur Liebster, der Name thut ja
nichts zur Sache! Ein Hauslehrer,
cand. phil» der die Knaben hier er
ziehen sollte. Wir lernten uns hier ken
nen, athmeten dieselbe Luft, aßen eines
nnd desselben Herrn Brot. Er war sehr
begabt, hatte einen klaren, scharfen Ver
stand. Er trat meinem Herzen näher;
ich streifte alles Kindische ab und ver
anderte mich dermaßen, daß ich mich
selber kaum noch kannte. Er war die
Ursache dieser Veränderung Er gab
mir Bücher zu lesen und wir besprachen
den Inhalt; er erklärte mir, was ich
nicht begriff. Ach, und wie vieles war
mir bis jedt nicht klar gewesen! Er
c--.-.4- —:.i. -.. — m ji«-t-- titu- t«
blau-sc sIIIW oulsl JIIWW IIIIII uvds l»
manches, was ich überhaupt nie beachtet.
Er wurde mein Lehrmeister auf mei
nem Lebenswege und ich merite wohl,
welche Freude es ihm machte, meine
Seele, die noch so ganz vom Traume
ter Kindheit Umfangen war. zu wecken.
Und mit der Zeit spann er unsichtbar
ein feines, kunstvollendeies Netz um
mich und zog mich Tag fiir Tag immer
mehr in seinen Bannkreis.
Ich glaube, er war ein trotziger«
selbstherrlicher Charakter, der die De-;
muth nicht kannte; er vermochte nicht!
zu bitten, fand wohl auch, daß er es I
nicht nöthig hatte. Doch die Einsicht j
kam mir erst lange nachher. Damals
lebte ich nur in ihm, fiir ihn. Jch liebte
ihn, alle meine Gedanken gehörten ihm. .
Seine Ansicht wurde die meine, ich war
aus dem besten Wege, mein eigenes Ich
an ihm zu verlieren. Was dankte ich
itsm aber auch! Noch nie vorher in mei
nem Leben hatte jemand so wie er zu
mir gesprochen, so wahr, so offen und
voller Vertrauen.
Es fiel mir ja nicht ein, daß er in
demselben Maße nahm, wie er gab, daß
vielleicht sein Gewinn höher anzuschla
gen wiire, denn was ich gab, das hatte
vor ihm noch niemand von mir erhalten,
während er sein geistig Gut wohl schon
oft verliehen haben mochte.
Weißt Du, Schatz —- ihre süße
Stimme sant zu einem Flüstern herab,
während ihre Lippen vor innerer Er
regung bebten —-— noch nie zuvor in mei
nem Leben hatte ich auch nur geahnt,
taß es Leidenschaften gab, und nun be
greife ich nicht, wie ich dessen so lange
unbewußt geblieben war. Es wäre sür
mich besser gewesen« wenn mein Ver
stand von einem solchen Empfinden ge
wußt hätte, ehe mein Herz es von jenem
Manne lernen mußte, ehe ich mein
ideales haus so hoch gebaut. Und ich
verstand mich selber nicht. Sein Weib
hätte ich nimmer werden mögen, hei
rathen wollte ich überhaupt nicht, und
doch liebte ich ihn namenlos und tonnte
den Gedanken an eine Trennung von
ihm weder fassen noch ertragen. Er,
nun er war mir allei, Leben und Selig
keit. Einmal sprachen wir von der
Jeeuuvschase, vie ich sp unendlich hoch I
stellte — woran wir glauben, das stellen i
wir doch am höchsten. Er aber verglich ,
dieselbe mit einer schimmernden Sei- H
fenblase, die wohl unnatürlich hoch und »
schnell emporwächst, aber doch vor dem ,
leisesten Windhauch zer eht; und zwi- ;
schen Mann und Weib ei die Freund- J
schaft überhaupt unmö lich. Mir war, i
1
als hätte ich einen Sch ag in’s Gesicht
erhalten bei dieser Erklärung, und ich
brauste aus. Nun behauptete ich erst
recht, daß ich an die Freundschaft
glaube, daß ich nichts mehr wünschte-,
als einen treuen Freund, dem ich mein
Leben lang vertrauen könnte.
»Und Sie glauben wirklich, daß Sie
den auf Erden finden?« fragte er in ei
nem Tone, der mich reizte, nein, der
mir Physischen Schmerz bereitete. Die
Antwort mußte ich ihm schuldig blei
ben, und berstimmt ging ich von ihm
ort. «
» Er quaite mich, ich lehre in einer
taglichen Unruhe. brachte manche Nacht
schlaslos zu. Was dachte ich, was em- -
pfand ich nicht alles in diesen langen
dunklen Stunden! Jch rüttelte um
sonst an den Ketten, die ich mir doch
selber angelegt, vergebens kämpfte mein
Wille gegen eine Herrschaft av, darun
tet doch mein Herz sich beugte. -
ch litt unsiiglich ich verachtete mich
selt und grollte einem Gott der uns
Zu ilaven unserer Leidenschaften er
chuf. Meine Seele stieg in dunkle
Abgründe hinab und mein Wesen wur
de finster und kalt· Damals erkannte
ich, daß die Seele mehr werth ist denn
der Leib und doch war allein die Seele
nicht mehr rein. Jch war so müde von
all’ dem nutzlosen Kampf, daß ich mich
hätte niederlegen mögen, um nie mehr »
aufzuwachen. Und dann kam der Tag, j
an dem er mich verließ
»Haben Sie Dank für diese herzliche?
Zeit, Dank fiir alles Schöne und Gu
te!« das waren die Worte, die er mir
zum Abschied sagte. Jch ftand am
Fenster, als der Wagen mit ihm vor
überrollte, und in meiner Seele war
alles öde und leer. Und ich vergaß die
dunklen Stunden voll Kampf und
Weh, jetzt wußte ich nur, daß ich ihn
liebte.
Jch war trostlos allein; und immer ;
wieder durchlebte ich die geweihten E
Stunden, die wir gemeinsam verbracht
hatten, und ich hielt es einfach für un
möglich, daß er nicht wiederkehrtr. —
Mußte er denn nicht tommen? Die
Sehnsucht zog und trieb ihn doch.
So verging ein Jahr. Und zwei,
drei. vier, fünf, sechsJahre folgten die-— .
sem ersten nach. Mit jedem neuen
Frühling zog die Hoffnung in meine
Seele ein —- er mußte doch so sicher
lomment Doch der Frühling tam und
ging, nur er blieb fern.
Kennst Du die lyrischenGedichte von
Ellen Lundberg, ja? Jn einem heißt
es:
»Mein Gedanke folgte Dir fo lange,
Daß er endlich müde ward,
Und der Faden meiner stillen Sehn
fucht
Wurde dünn und spröd’ wie Glas.«
Sie schwieg, wandte ihm ihr blasses
Gesichtchen zu, blickte ihn an und las
in seinem warmen Blick aufrichtige,
reine Liebe, die auch ohne Worte zum
Herzen spricht und doch verstanden
wird.
Hand in Hand saßen sie ein Weil
chen stumm nebeneinander und dann
begann sie von Neuem:
»Und dann bist Du gekommen! Es
war Herbst und im Kreise der lieben
Pastorenfamilie habe ich Dich zum er
sten Male gesehen
Wie mir jener Tag in der Erinne
rung lebt! Wir sprachen nicht viel
miteinander, denn Du warst so wori
larg, so ernst und still, so ganz, ganz
anders als jene Herren, welche mir bis
dahin begegnet waren. Danach sah
ich Dich öfter und Du kamst hierher,
da freute ich mich, wenn ich Dich sah.
Mit dem September, diesem meinem
liebsten Monat, mußte ich Dich ver
gleichen, Du bist so klar und ernst und
inhaltsreich wie er. Und auch Du ver
ließest mich, die ich Dir so dankbar war
für jedeStunde, die ich in Deiner Nähe
verleben durfte. Ein langes Jahr
bliebst Du fort und ich dachte, Du
würdest nimmer wiederkehren.
Und dann ——! Weißt Du es nochs
Jn einer Gesellschaft, zu der wir beide
geladen waren, sahen wir uns wieder.
Gemefsenen Schrittes hattest Du den
hell erleuchteten Saal betreten, hattest
die Gastgeber begrüßt und dann lamst
Du direlt auf mich zu. So ruhig ernst
wie stets, doch ohne jene ergreifende
Wehmuth im Blick.
Wie so gerne wollte ich in Deiner
Seele wohnen, ich wollte Dich kennen,
verstehen lernen und nicht wie alle
anderen in der Ferne stehen und Dir
gleichgiltig sein. Als ich Dich dann ei
nes Tages fragte: »Was hat Ihnen das
Dasein angethan?« und eine dunkle
Wolke über Deine Stirn glitt, als Du
Dich wortlos von mir wandtest, da be
griff ich, daß Du das Herzeleid kann
test, daß auch in Deinem Leben einmal
- Sommer war, daß Du das Glück zu
Grabe hattest tragen müssen. Und in
mir wurde es warm und licht und hell
——- wie kam das nur? Jch freute mich
des Lebens; Schmerz, Traurigkeit und
» Unruhe hatten keine Gewalt über mich
; —- ,ich kannte keine dunklen Stunden
mehr. Jch tvar für jeden Tag, den ich
’ erleben durfte, von Dank erfüllt und
» in mir sang und jubelte es. Oft eilte ich
; in den Wald, um allein zu sein mit l
meinem namenlosen Glück, und wenn
tsie Sonnenstrahlen zwischen denStäm
men spielten, dann suchten sie dach nur
mich allein. Jch war so froh, so voll
inneren Reichthums, und die Zeit ent
eilte mir daß ich ihr kaum zu folgen:
vermochte. f
So schnell war es Herbst geworden. l
Wieder mußtest Du verreisen und wir
trafen uns frühmorgens im Wald Die j
Sonne weilte noch am Horizont und
hüllte die Gegend in silbernen Glanz-· .
weißt Du es nach? Wir standen uns
stumm gegenüber —- was hätten auch
armselige Worte in einer solchen Stun
de zu sagen vermocht? Und dann —?
Ach, Du breitetest die Arme aus und
zngst mich an Dein Herz, Du Lieber, -
Guterl ,
Wre selig, ruhig wie ein Feino, lag ich
an Deiner Brust; schon lange gehörte
nur Dir allein all’ mein Denken und
Dir wollte ich mein ganzes Leben wei
hen. Da brach meines Lebens Früh- ;
lingsmorgen für mich an. Das alte,
längst vergangene Leid lag weit hinter -
mir, das glich dem Staub, auf dem wir «
wandeln «- xnuß man denn nicht erst
auf Erden sein, um den Himmel zu e- "
winneni Jch glaube auch«nicht, daß Ich Z
so glücklich hätte werden können, wie ich ,
es jetzt«bin, hätte ich Dich vordem ge- I
tro En. f
» nd morgen wirft Du mein trautes ;
Weib.« i
Er legte den Arm um ihre schlanke «
Gestalt und sie lehnte wie müde das ;
Köpfchen an seineSchulter und sah ver- ;
klärt zu ihm auf. »Ich habe auf diese :
Stunde gewartet, ich sehne mich danach,
völlig Dein zu sein, und was früher .
in mir war und mich quälte, mir den ;
Frieden raubte —- Du, Geliebter, hast ,
es getödtet. Jch weiß es jetzt, daß Du ;
allein meines Daseins heiligstes Glück E
geworden bist!« i
- ,--.- .....-·..—-.— ...... -«
It ei den Kelrrntriu
Der Ball beim Regierungsrath Kö- E
nig ist allerdings vorüber. diese That- ;
sache steht fest. Beweis: Es brummt
mir der Kopf. Wie herrlich, wenn ich
heute dienstfrei wäre und schlafen
könnte, schlafen bis zum Mittag oder
gar bis zum Casmot Aber diesen Ge
fallen thut mir der Staat schon lange
nicht. Gerade weil ich müde und ab
getanzt vor zwei Stunden in die Ka
ferne eingerüctt bin, muß ich mich hier
in der Kälte herstellen und diese unge
lenten Rekruten exerziren. Als ob der
Staat nicht nachgerade eine blasse Ah
nung davon haben könnte, daß der
Schlaf vor und nach Mitternacht der
gesündeste ist!
»Schlaer Sie nicht ein, Richter ll.,
sonst werde ich anen Beine machen!
Auswärts die Fußspißem auswärts!«'
Nächstes Jahr mache ich meine drei
Casinobälle mit und damit basta! Man
muß kaput gehen als Gesellschaftsthier,
wie ich es geworden bin. Jch werde
überhaupt keine Besuche machen näch
stes Jahr. Jch tapsele mich ein sammt
meinen Rettuten, wenn ich wieder wel
che bekomme, und das wird wohl leider
der Fall fein, wenn das alte römische
Reich bis dahin nicht in die Binsen ge
gangen ist. Jch spare dabei mindestens
zwei Paar LackstieseL drei Paar neue
Aufschläge und ein halbes Dutzend wei
Ber Øtaces; oer Schaden ne«r also
durchaus nicht auf meiner Seite. Und «
was noch viel mehr werth ist: ich tanze
mir nicht die Knochen entzwei und ge
winne somit ein paar Jahre an Feld
und Garnisondienstfiihigteit. Drittens
verderbe ich mir nicht den Magen .
Das Essen gestern allerdings war gut.
Es war sogar allererster Klasse! Und
der Wein dito. Jch finde den Einfall
geradezu eines Schiller würdig, das
jetzt neuerdings der Sett gleich mit der
Suppe gereicht wird. Das schafft von
vornherein den nöthigen Elan und löst
die Zunge. Schade, daß ich nicht neben
Dora König gesessen habe. Sie ist
wahrhaftig eine süße Puppe . »
,,Nehmen Sie den Kolben von der
Tasche, Busch! Noch mehr! Jmmer
noch mehr! So.«
Die Cousine ist allerdings ein garsti
ger Schatz. Aber ich glaube, sie hält es
mehr mit der Häuslichteit; das fällt
einem doppelt auf, wenn man nur einen
Pflichttanz mit ihr walzi. Auch die
kleine Senden ist nicht übel. Sie hat
ganz entschieden etwas an sich und zieht
sich außerdem immer famos an. Scha
de, daß sie nicht mehr Füchse bat, sie
ginge sonst noch diesen Winter in die
seierliche Verlobung. Schmettwitz soll
übrigens rasend in sie vernarrt sein.
Aber die Lene Schreiber so ein
Stolz ist mir überhaupt noch nicht da
gewesen! Und warum nur? Weil der
Alte Oberstleutnant ist? Die wird
schauen, wenn nach dem Manöver Ha
lali geblasen wird und der alte Herr so
’ne kleine Portion »Kaltgestelltes« ein
nimmt. Da will ich mal fragen, ob sie
dann auch nur noch mit Hauptleuten
tanzt oder vielmehr nicht im mindesten
beleidigt wäre, wenn sie von so einem
winzigen Leutnant um die Ehre eines
Tänzchen-s gebeten wird. An der Dora
König ist das gerade das Hübsche, dasz
sie mit Jedem tanzt, ohne Wahl, mit
dem Fähnrich wie mit dem Maior.
Und dabei ist sie die vertörperte Ger
mania. Jch werde es mir merken; das
nächste Mal werde ich ihr sagen . . .
» umHenter,Lehmann! Wie oft habe
ich hnen das nun schon gesagt! Sie
sollen die Nase geradeaus nehmen.
Siehe Sie still, wenn ich mit Ihnen
rede. . . . So! Sie stehen überhaupt da
wie ein Häuschen Unglück. Nehmen
Sie sich des Mannes an, Sergeant, der
hat noch keine Ahnung von militiirischer
Haltung . . . Unglaublich!«
I -
Was sagte sie nur gestern noch zu
mit? Ah, richtig! Der Ausdruck hat
mir mächtig gefallen: einen Globetrot
ter nannte sie mich, als ich ihr von mei
ner Urlaubsreise erzählte. Sie ist im
mer, mit Respekt zu sagen, gut zu Fuße
unter der Nase. So gar nicht wie die
anderen Mädels. Die sind eigentlich
theilweise noch rechte Gänschen . . . von
den zweimeterlangen Tellbergs zu
schweigen; wenn wir eine Frauengarde «
hätten, wären die sicher zu den Grena- :
bieten gekommen. Und beschlagen in z
der Quartierlifte sind sie wie ein Pen- T
sionist. Sieht dem alten Tellberg ganz
ähnlich, daß er bei Tische nichts ande- «
res zu erzählen weiß, als was im Ver
ordnungsblatt gestanden hat. Außer
dem wollen sie nächstens Reitstunden
nehmen. Bei der Länge auch noch hoch
zu Rosfel .. . Das wäre etwas für die
Dora König. Jch will es ihr vorschla
gen, Schneid hat sie dazu
»Ich höre nichts, Müller! Das ift
schlapp! Jch will es hören, wenn Sie
Jhre Knarre anfassen Eins. .Zwei!
’" Zurück! Wie oft ist Ihnen schon
gesagt worden, wo der Kammerstengel ·
stehen foll!« «
In der Höhe des ersten Waffenrock- ·
knopfes, Herr Leutnant.«
»Sie wissen’s, aber Sie machen’s
nicht! Nehmen Sie Jhre paar Gedan
ken gefälligst zusammenl«
Jch glaube gar, es fängt an zu
schneien. Das hat gerade noch gefehlt.
Jst man unten glücklich naß bis auf die ,
Knochen, geht der Spettatel oben los. z
Und das alles für zwei Mart fünfzig
Pfennige! So viel giebt die schöne
Dora täglich für Ansichtskarten aus. .
Der alte Herr muß thatsächlich ein
schweres Geld besitzen. Jch glaube, um
Doras willen könnte ich mich sogar da
zu entschließen, auch im nächsten Win
ter wieder einige Feten mitzumachen.
Es brauchen ja nicht viel zu sein, blos s
so ab und zu. Es ließe sich ja erfahren,
wann Königs ausgehen werden. Aber ;
die gehen natürlich überall hin. Es hat «
schließlich auch fein Gutes; man ist doch
für so einen Abend gut aufgehoben
,,Edle Frauen bilden«, hat Goethe ge
sagt. Und dann spart man das Abend- H
brod. In der Stadt würde man nur
in eine langweilige Gesellschaft gera
then. Und was die Hauptsache ist,I
man bleibt immer hübsch im Training «
und ein junger Leutenant muß immer
im Training bleiben Tanzen mußi
doch schließlich auch gesund sein, sonst !
ließe man es doch, wie man das s
Opiumrauchen läßt oder das Glas- I
essen . . .
»Wenn Sie das Kniebeuge nennen,
Kirstem lassen Sie sich einpacken
Tiefer, Kirstem noch tiefer!«
Meine Kopfschmerzen sind ganz weg.
Wenn ich mich nun von elf bis zwölf
noch ein bischen auf’s Ohr lege, bin ich
wie ein neugeborenes Kind. Der
Mensch braucht ja so wenig Schlaf!
Manche große Leute schliefen fast nie.
Außerdem verfettet das, wenn man sich
so viel auf die Bärenhaut legt, und
Fräulein König meinte, ich sei ein so
gewandter Walzertänzer. Das ver
danke ich lediglich meiner SchiantheiL
Man sieht’s ja am dicken Schaibler,
wohin das ewige Schlafen führt· Fünf,
zehn Jahre eher felddienstuntauglich
wird der runde Faulpelz . . .
,,Krawutfchte, nehmen Sie Ihren
Bauch ’rein! Sie stehen nicht zum
Spaße hier, merken Sie sich das!«
Jetzt müßte mich Fräulein Dora hier
stehen sehen! Jch glaube sicher, sie wür
de Mitleid mit mir haben. Ich bin be
reits ein halber Siisneeznantxn Ob denn
qu chlzuquuv usw slcc kirr
,,Lassen Sie einmal nachsehen, Vize
seldwebel, ob da drin noch Platz ist,
bitte. «
Ja, beneiden würde mich Fräulein
König schwerlich. Aber sie würde mich
trösten, sie könnte sagen»
»Es ist noch Platz, Herr Leutnant!«
»Danke, Feldwebel Rechts um!
Laufschritt. Marsch, marsch!«
-— -- Iso
Der Likvli ing.
Jahre lang hatte sie in der grünen
Maringotte die Länder des europüi
schen Kontinents durchzogen, überall
in den kleinen Städten und größeren
Dörfern Vorstellungen gebend nnd die
kümmerliche Existenz des fahrenden
Volkes, das Wunderleben voll Gefahr
und Entbehrung theilend.
Ja, reich an Sorgen war jene Zeit
gewesen; aber auch reich an Liebe und
stillem Glück
I Welch ein unendlicher Zauber lag
doch allein schon auf jenen Stunden,
wenn sie an einem Sommerabend durch
I Ermüdung des Gespanns den nächsten
) Ort nicht mehr erreichen konnten und
an einem Waldsaum im Schatten der
mächtigen Baumkronen Rast machen
mußten. Vor ihnen die weite Feldein
samteit. Ruhe und Frieden über dem
Gefilde Nur manchmal der Lockruf
seiner Wachtel fern in dem Saatgeq
breite f
Und dann nahte aus dem Osten
langsam und majestätisch die Nacht.
Droben im tiesblauen Aethergewölbe
f erglomm Stern an Stern. Durch die
) Wipfel ihnen zu Häupten ging ab und
I
I
zu wie ein leises Rauschen der Athem
der Unendlichkeit.
Den Kopf an die Schulter ihres
Gatten gelehnt, saß sie dort stets lange
: auf der Deichsel der Maringotte ganz
im Banne der märchenhaften Umge
bung und der feierlichen Stunde.
Maria war die Tochter eines Sub
alternbeamten in einem Städtchen
Süddeutschlands nahe der schweizeri
schen Grenze. Jhr Vater war früh ge
! storben und ihreMuiter war eine durch
I— —
aus prosaische Natur, zeigte ab olut
kein Verständniß für das von Kin heit
an exzentrifche Wesen ihres Töchter
chens, das sich bei dem heranwachsenden
Mädchen immer mehr steigerte und ge-.
rade durch die nüchterne, jeder Ge
siihlsäußerung abholde Anschauungs
weise der ihr am nächsten Stehenden
angereizt wurde und Kraft gewann.
Das Mädchen lebte in einer Tra
welt, einer Welt buntester Phantasie,
die allmählig ihre Seele ganz gefangen
nahm, einen Schleier vor die Wirklich
keit legte; und da in ihrem von den
größeren Verkehrsstraßen ziemlich seit
ab gelegenen Heimathsorie kein Thea
ter oder irgend eine andere Kunststätte
ihr Empfindungsvermägen hätte in
rechte Bahnen leiten können, so hielt sie
die Vorstellungen jeder wandernden
Artisieniruppe, die die Märkte des
Fleckens besuchte, fiir Kunstoxfenbarum
gen, mit denen sich ihr jugen Hckze Ge
müth noch lange nachher beschaf ig e. !
Und eines Tages war die neunzehn
jährige Maria Weidner,mit einer sol
chen Gesellschaft, die si.»’«einige Zeit in
Molsberg aufgehalten hatteund die
allerdings etwas bessere Leistungen
aufweisen konnte, als man dies dort
sonst gewohnt war, durchgebrannt und
blieb verschwunden.
Als nach dem Tode der Wittwe
Weidner, der Mutter Marias, die kein
Testament gemacht hatte, die Behörde
von Molsberg in den Zeitungen einen
Ausruf nach der Erbin des nicht gerin
gen Vermögens —— Maria war das ein
zige Kind der Verstorbenen —- erließ,
Peldete sich im Auftrage Marias ihr
Mann, der Mitglied eines «kleinen
Wandercirkus war.
Maria hatte sich bald nach ihrer
Flucht aus der Heimath drüben in der
Schweiz verheirathet.
Mit dem Gelde erstand dieser in ei
nem Städtchen an der Donau von ei
nem zahlungsunfähigen Direktor des
sen Inventar und wurde so Besitzer ei
nes kleinen artistischen Unternehmens.
Direktor Möhring, Marias Gatte,
liebte sein Weib und war ihr dankbar
für die Selbstständigkeit, die er sich
durch sie hatte erringen können, auch
war er ein solider, tüchtiger Mensch.
Aber die Zeit der Blüthe und des Er
folges für die Wandertruppe war
längst vorbei und das Emporbringen
einer solchen fast unmöglich.
So zogen sie jahrelang in der grü
nen Maringotte von Ort zu Ort. Zwei
kleine Gräber ließen sie bereits auf die
sen Wanderfahrten zurück, das eine in
Mähren an den Hängen der Sudeten,
das andere in Godesberg am Rhein.
Da verungliickte auch plötzlich Möh
ring, der in seinem Beruf so Si ere,
in schwerster Weise, und ein Bluts urz
machte kurze Zeit darauf seinem Leben
ein Ende. Zu Lengsseld am rechten
Ufer des Lech rauschen über seiner
Gruft die Kirchhofslinden.
Maria gab nun das Wanderleben
auf; sie entließ ihre Gesellschaft, ver
äußerte das vorhandene Material und
nahm in einer Stadt des Schwarzwal
des ständigen Wohnsitz, sich mit dem
Erlös aus ihrem früheren Besitzthum
ein kleines Geschäft gründend.
Jetzt war sie erst ganz allein, ihr
Gatte und ihre beiden Kinder waren
todt und zu ihrem Aufenthaltsort hatte
sie eine ihr vollständig unbekannte
Stadt gewählt, die allerdings nicht all
zu weit von ihrer alten Heimath ent
fernt gelegen war.
Doch unter den Dornen eines yeroen
Geschickes blühen oft Blumen seltenster
Art. Auch für Maria Möhring hub
ein neues Blühen an. Drei Monate
nach dem Hinscheiden ihres Mannes
ward sie Mutter eines Kindes. Zwar
erklärte die Amme das schwächliche
tKind, ein Mädchen, für nicht lebens
fähig, der Arzt, wenn lebenssähig, für
nicht normal, da die Entwicklung durch
das Entsetzen über den Tod Möhrings
gestört worden sei; aber beiden Aus
sagen zum Trotz gedieh der kleine
Säugling, dem die sorgsamste Pflege
zutheil wurde —- Maria hatte längst
das exzentrische Wesen ihrer Jugend
abgelegt und war eine ernste, tüchtige
Frau geworden —- zusehends und nach
einigen Jahren erfreute das silberne
Lachen und die süße Stimme des Kin
des das Herz der nun nicht mehr ver
einsamten Frau und brachte den Son
nenschein des Glückes zurück in ihr ver
düstertes Leben.
Aber jene Blumen, die unter Dornen
erblüht sind, sind zart und zumeist we
nig widerstandsfähig, leicht bricht sie
der Frosthauch der Zrühlingsnächte
Als im März der vierte Geburtstag
der kleinen Einma nahte, war das Kind
todtkrank, stand an seinem Bettchen
lichtumstrahlt ein Engel im weißen Ge
wande, mit hoch aufgereckten großen,
dunklen Schwingen, bereit, der Wittwe
Liebstes eniporzutragen in die ewige
Heimath da droben über den Gestirnen.
Frau Möhring rang um ihr Kleinod
wie eine Heldim sie wich keine Sekunde
von der Lagerstätte, Schlaf und Ermü
dung kannte sie nicht mehr, ob ihre
Kräfte auch oft zu versagen drohten,
die Willensstärke der Mutterliebe hielt
sie aufrecht.
Und schließlich trug sie den Sieg da
von. Der Engel des Todes schied
allein. Zu den drei Gräbern ihrer
Theuren kam lein neues. Und als
draußen im Hage unter den Hecken des
Schwarzdorns die ersten Veilchen blüh
ten, sah Maria auf dem blassen Antlis
ihres Kindes, das si; im Schatten des
Todes geboren und jetzt dem Tode
mühsam entrissen hatte, allmählig wie
der des Lebens rothe Rosen aufglühen;
Lieffaltete die Hände und dankte Gott
a ur.