Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 28, 1901, Sonntags-Blatt, Image 14

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    fBei-Meter Leben-glitt im
Mathe.
Erzähit don Hermann Ro
bolsty.
Es trar im Frühling des dentwürdi
gen Jahres- ISCEL Deutschland lag in
tiefem Frieden. Wer konnte es auch
ahnen, daß schon nach einigen Mona
ten der Kriegsliirm iiber die gesegneten
Auen dahinziehen würdet —- Eine
Reise in’s Hannoverland hatte mich in
die Nähe des Städtchens Dannenberg
gebracht, und obwohl der friedlich
freundliche Ort am Ende teine großen
Sehenswiirdigteiten aufweist, wollte
ich ihm ein paar Stunden widmen.
Wußte ich doch, daß auf dem dortigen
St.Annen-Kirchhofe die in derSchlacht
an der Göhrde am 16. September 1813
gefallene Heldenjungfrau Eleonora
Prohasta begraben liegt. Jm Herbst
1865 hatte man diesem weiblichen
Liisowsägen dessen Geschlecht erst bei
seiner schweren Berwundung bekannt
geworden war, auf jenem Friedhofe
ein Denkmal gefest. Es dauerte also
etwas lange, ehe man der Tapferen
wenigstens diesen Dank zollte. Fried
tich Wilhelm Ill. erklärte freilich, als
ihm damals Bericht über jenen bluti
gen Kampf erstattet wurde, »es werde
von ihm auf die Erhaltung des ruhm
wiirdigen Angedenkens der fiir König
nnd Vaterland in den Tod gegangenen
Leonora Prohasla Bedacht genommen
werden« Aber wie das so geht in
drangsalbewegter Zeit: andere große
Ereignisse ließen das »kleine Treffen
an der Göhrde« bald in den Hinter
grund treten.
Dannenberg bat fast alljährlich viel
von Ueberschwemmungen der Jeetze
und Elbe zu leiden. Jm vergangenen
grühjahre ging die Aufsehen erregende
otiz durch mehrere Zeitungen: es
würde von zuständiger Seite ernstlich
in Erwägung gezogen, den Ort zu ver
legen! Darob waren die Einwohner
sehr alterirt, denn die Nachricht erwies
sich als schlechter Witz eines Spaßvo
geis. —- Als wenn es auch nur so leicht
wäre, eine ganze Stadt anderswohin
zu verlegen. — Der St. Armen-Fried
hof liegt draußen im Freien. ·—- Schon
hei meinem Eintritt in denselben fiel
mir die etwa elf Fuß hohe Pyramide
von Stein mit den passenden Inschrif
ten in die Augen. Ringsum herrschte
tiefe Ruhe; aber das neu erwachte Le
ben in der Natur ließ die Stätte der
Verhängnis nicht so düster-ernst er
scheinen, wie man dies . B. in Grab
gewdlbesä empfindet Bier im lichten
Sonnenschein, inmitten grünenden
Strauch- und Blumenschmuckes, trug
der Tod das Gepräge des Friedens,
welchen er uns als unausbleiblicher
Bote Gottes bringt. —- Leute sah ich
auf den Wegen nicht. Doch dort zur
Rechten, in der Nähe einer tief herab
hängenden Traueresche, machte sich ein
Mann an einem Grabe zu schaffen.
Er hatte mir den Rücken zugewandt.
Jch schritt langsam auf den Riihri
gen zu. Mit einem Freundlichen »Gu
ten Tag!« blieb ich tehen.
Jetzt sah sich der Mann verwundert
um. Er hatte mich allem Anscheine
nach nicht kommen gehört. »Schönen
Dankt« erwiderte er meinen Gruß,
ohne sich indesz in seiner Thiitigteit stö
ren zu lassen.
( »Der schneereiche Winter hat Man
ches von dem Schmuck vernickxetk«
sprach ich den Alten an.
»Das ist fast alle Jahre sol« nickte
er feundlicher. »Der Herr wohnt nicht
hier?« musterte mich der Einsame.
»Ich kornrne aus der Altmart!« gab
ich Bescheid, »und wollte mir geleaent
lich das Denkmal de: Eleonora Pre
hatkka ansehen!«
»Da-E- thaten schen Vieles« versicherte
der Weißt-art. »Ich hab das wunder
bare Mädchen persönlich gekannt, denn
ich bin auch ein alter Lützower!« sprach
er nicht ohne einen gewissen Stolz.
»Als-) ein FreiheitslriegerZ Das
interessirt mich. Wollen Sie mir nicht
ein paar Minuten gönnen?«
»Setzen Sie sich nur Her zu wirk«
willigte der Alte ein und nakrn auf ei
ner nahen Bank Platz.
Jch folgte der Aufforderung. Ver
her sah ich mir aber meinen neuen Be
kannten noch mal genau an. Der
Mann war bestimmt so gegen siebzig
Jahre alt. Krps- und Barthaar er
glänzten silberne-iß; das Antlitz wies
zahllose Falten auf; indeß die Augen
bückten noch klar in die Welt. Dazu
trug der Greis einen verschossenen
Förskerrock und eine alte grüne Mütze
»Ich war zugegen, als Elecnora
stell« hul- der Alte von Neuem an. »Die
LK wer sollten eine französische Bat
e nehmen. Unser Tarni-our fiel
Ieise Sturm. Da ergriff August Renz
is-— so nannte sich die anerkannte Jung
. im Bataillon — das Schlögelin
eut nnd schritt uns Allen voran.
Kanonen wurden erobert: aber der
etende Tanebour blieb, zum
WILL ans halber höhe des
WI Wes-P
m Laie-roth zu Dannenberg ist
selbi- sestorben?« verseste ich im
O b site l;r.iegssmfemn nickäch »Es
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— . Itzt-te ich m der traurigen
·· — W « « epi- jeee am Weic
«M I bringen Sie denn da it
W site-ungene- mich ein-ach
« « " —W zweit« antworten
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»so- -—---- --- »s- ——-..——.
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Sie derblich schen früh?«
IBor ziemlich vierzig Jahren ist s e
s gestorben, —- nnd zwar keines natür
! lichen Todess«
i Diese unerwartete Antwort über
Z rafchte mich derart, daß ich nicht gleich
T wußte, was ich entgegnen sollte. »Ein
I Unglück, nicht nicht«-«
I »Ja, ein Unglück war äl« sagte der
Alte mit der flachen Hand iiber die
Augen fahrend »Ich will Ihnen die
Begebenheit kurz erzählen:
Jch bin gelernter Förstcr und trat
wie Alles zu den Wafan gegen den
Erbfeind griff, in daLLiitzow sche Frei
torps ein!
Nach dem Friedensfchluß bekleidete
ich verschiedene Stellen als Forstschutz
beamter und erhielt endlich einen ems
mäßigen Försterpoften im Göhrde
walde.
Während meiner Militätzeit hatte
ich in Bremen ein junges Mädchen len
nen gelernt —- die Tochter einer Beam
tenwittwe Wir waren einander gut
und gelobten uns Liebe und Treue.
Marie Tennis wartete auch geduldig,
bis ich im Stande wur, eine Frau zu
Dann heirathete ich meine Braut.
Unsere Ehe konnte gar keine glücklichere
sein. Stellen Sie sich nur mitten im
grünen Wald so ein idyllisches Forst
eiablissernent vor. An das einstiickige
Häuschen mit dem Hirschgeweih am
Gebiet stieß ein Schmuck- und Gewisse
gärtchen. Etwas abseits stand ein klei
nes Wirthschastsgebiiude mit Stallung,
und an stillen Sommerabenden. noch
mehr aber im schneereichen Winter, la
men die Hirsche oft bis an die Einsrie
- digung der Försterei. Eine Baumschule
vollendete das Gewese. »
Groß war ja mein Gehalt nicht, aber
wir konnten damit austommem und
was will man denn weiter, wenn dazu
häusliches Glück unterm Dache wohnt!
Meine Frau, die von den Schönhei- .
ten eines Waldes nicht viel kannte, hät- ;
te schon nach dem Verlauf des ersten v
Jahres die allerliebste Försterwohnung
mit dem schönsten geräumigen Stadt- "
logis nicht vertauscht. Abends zur E
- Sommerzeit, wenn ich vom Dienst be
i freit war. saßen wir oft Hand in Hand
; in der Wildweinlaube des GärtchensI
« und plauderten miteinander-. Ost —
brachte auch der alte Wildwart, der als
; Jun Ieselle ein Dachtiimmerchen unse- i
« rer Försterei bewohnte, ein Päclchenz
, Nummern des »Hamburger Korrespon- ;
denten«, der damals sast einzigen Zei- ?
; tung der großen Handelsstadt, aus dem
l nahen Oertchen mit, woraus mir dann k
J meine Frau bei-n Scheine der Astralsi
« lampe etwas vorlas.
! Zwei Jahre nach unserer Verheira
; thung kehrte der Storch in der Fürste
. rei ein. Er gab einen drallen Jungen
? ab, der gleich ein ganz anderes Leben
; in die stille Einsamkeit brachte, wenn
I er auch sein Dasein nur durch lautes
; Schreien von der Wiege aus iundgab.
s Der Knabe gedieh vortrefflich, und
i als er noch nicht zwei Jahre alt war,
I
i
-«...-.-..
. mußten wir unaemein Obacht auf ihn
' geben« denn der lleine Knirps huldigte
: der sonderbaren Gewohnheit, in unbe
. wachten Augenblicken cuszuriicken
! Schon mehrere Male hatten wir ihn
; Abends noch aus dem Walde holen
i» müssen. Passiren konnte dem Jungen ;
s da draußen Nichts; wenn er sich aberi
s mal arg verlies, so daß er hätte die
z Nacht im Freien bleiben müssen —- das
wiirc am Ende schrecklich sür uns ge- «
k--k
«.«- .....--« .. ...—..»... .
lUZHLIIa
»Ich will m:l sei-en, daß ich drin ;
Kleinen ein junges Reh mitbringe!'· ;
meinte der treue Forstwart »Wenn er
solch ein munteres Geschöpfchen zur
Gesellschaft bekommt, läuft er nicht
mehr davonl«
»Ach ja, Heinrich! Thus-. Sie das.'«
bat die Mutter, -—— und auch ich hatte
nichts gegen den Vorschlag einzuwen
den.
Schon nach Verlauf einer Woche
brachte der Wildlyiiter ein lleineLHirsch
tälbchen mit, von dein die Alte einge
gangen war. Das Thierchen gewöhnte
sich sehr bald ern das Haus und ließ sich
rn dem dar Freude jaxichzenden Kna
ben alle Zudringlichkeiten gefallen.
Doch der Hirsch —- ein männliches
Thier — wuchs schneller heran, als sein
Spielgenesse. Als sich die ersten Spu- «
ren des Geweikes bei ihm zeigten, wur
de »Peter« wechenlang in einen um
zäurnten Platz gesprrrt.
Später ließ man ihn wieder hinaus.
Er betrug sich ja auch nicht unartig.
So verging abermals ein Jahr. Es
nahte die Zeit der Erregun des Wil
des. »Herr Förster«, sagte eines Tages
der Wildwart zu mir: »Es wird doch
besser sein« dein Peter die Freiheit zu
geben. Neulich hat er sich rnir gegen
über zur Wehr gesetzt, und die Hunde
aWirt er ohne allen Anlaß!«
.,Sperr ihn nieder einl« gab ich zu
rück. »Das Tbier ist ja sonst gutmü
tlzisu stecken läßt es sich natürlich nicht
me e.«·
Der Alte schüttelte den Kopf. »Die
Tkiir zu dem Abschlag ist gar nicht ein
mal is Orkan-Isl« brummte er vor sich
hin. »Ich will den Gabler nur einst
weilen anbinden!« -
»Auch gut!« stimmte ich bei. »Sorg
aber dann nur bald dafür, daß er ein
gesperrt tkerden kanni«
Ein Hirsch-der nngesiiirten Wildniß
pflegt dein Menschen, wenn er irgend
Laun. selbst zur Vrnnsiseit aus dem
We zu gehen. Nicht so der zahme.
Die er fiir tet den Menschen nicht mehr
end i hu, wenn er saisch wird,
ohne ists-de au.
Im nächster nnd auch an den folgen
ten Tagen war anderweitige Arbeit zu
. verrichten, und die Tuiir wurde ni
repariri. Peter behielt alfo nach we
L bar seine Freiheit, denn von dem Strick
; befreite er sich jedesmal selber wieder.
» Oft wurde er auch gar nicht einmal an
s gebunden.
» An einem Sonnabend - Nachmittag »
; waren wir Männer bis zur Dämme
; rung irn Walde beschäftigt. ch begab
mich etwas früher in die För ierej zu- «
rück. Der Abend war wunderschön.
Die weicheren Laubarten hatten schon
hier und da herbstlich-: Färbung ange
nommen. Eine unendliche Rube lag
über den Winseln Alles neigte zur
Rüste. Rotb und gelb leuchtete es in
den hoben Laubgängen auf, als blicke
farbendämmernd das Licht durch bunte
Kirchenfenfterscheiben In hoher Tanne
girrte eine Ringeltaube nach der ent
swgenen Gefährtin, und einRabe strebte
lautlos dem fernen Neste zu. —- Der
Wechsel der Jahreszeiten gehört un
streitbar zu den poetisch - ergreifend
sten Erscheinungen der gemäßigten
Zone; der ernsttiihrenden Symbolil
des Herbstes entziebt sich so leicht kein
M--.’:Af
Wust-um .
Ab und zu blieb ich stehen und schaute
auf dies langsame Hinsterben der Na
tur. Jch hatte dies Alles schon so oit
gesehen. und immer war’s mir wieder
neu. Heute stimmte mich das Herbstbild
—- ich wußte selber nicht, wie es kam-—
tast webmiitbig. Schon erblickte ich das
Dach meines Heims, das aus bunten -
Laubmassen bervorluatr. Jn fünf Mi
nuten war ich bei meiner Marie und «
meinem Sohne. Doch was fiir Laute
werden da mit einem Male hörbar?
Ich blieb stehen und horchte. —- Es
schrie da ein Kind —- wobl gar das
meine? —- Jn schnellen Sätzen sprang
ich vorwärts-. Als ich um den Zaun
der Baumschule bog. tam mir wirklich
unser Fränzchen mit offenen Armen «
nnd laut lamentirend entgegen.
»Junae, was ist denn mit Dir?w
sagte ich und nahm das Kind auf den
Arm. »Hm Dir Jemand was zu Leide -
gethan?«
Jekt fing der Knabe erst recht an zu
weinen. Endlich, nachdem ich ibn mit
Mühe beruhigt, stammelte er die Worte: I
»Peter wollte mich stoßen. Da hat :
ihn die Mutter geschlagen. Und nun
lkat der böse Peter die Mutter umgeris
ten. Sie liegt an der Erde und blutet
schon!«
Und noch viel heftiger weinte jetzt das
Kind. Jn mir aber stieg eine fürchter
liche Ahnung auf. lene weiter auf das —
Gellage des Knaben zu hören, setzte ich
ihn Im Ztnn in das Gras und stürzte
nach Hause. ·
Vor dem Eingang zur Försterei bot
sich mir ein Anblick dar, der mir satt
das Blut in der-Adern erstarren machte.
Mein armes Weib lag blutiiberströrnt
an- Boden; ihre beiden Hände aber bat
ten das Geweib des Hirsches stampf
baft umpacki. Vergeblich machte das
Thier tiefgebeugten Hauptes allerlei
Bewegungen, den fest hängenden Kör
ter abzuschiitteln; indeß die Finger lie
ßen nicht los. und so schleppte das wü
trende Thier meine unglückliche Frau
am Boden mit sich fert.
Meiner Sinne kaum noch mächtig,
riß ich den Hirschfänger aus«-z der Schei
de nnd stieß ihn dem Geschöpfe bis ans
Heft in die Brust. Aechzend brach das
Thier zusammen und verendete.
Mit Miike und Noth löste ich nun
die Hände der Armen von dem Geweih.
Ich wusch ibk Antlitz mit frischem
Wasser und rief in unsäglichemSchmerz
il-ren Namen. Sie schlug aber die Au
gen nicht wieder auf. An zwei Stellen
ihres Halse-Z quoll dunkles Blut bervor
Wabescheinlich hatte der Hirsch die Be
tlagensweribe dort mit seinen Angen
sprossen tödtlich verwundet Jch trug
tie Tit-eure in das Zimmer und legte sie,
wie ein Kind weinend, auf das Bett —
ich küßte ihren bleichen Mund. All
meine Mühe, sie zu erwecken, erwies sich
als vergeblich. Wie glücklich und zu
frieden war ich am Mittag in den Wald
gegangen — als Wittwer kehrte ich
traurig zurück.
m-L -— t-ss«--- Uc--h I-:-l- LI- scsssn
-l-«v«; ihn Ists-hu can-sus- sssss su, -«--«
Waan aus« der mich und mein unver
geßliches Weib nach der Stadt fuhr.
Der Arzt tonstatirte, daß der Tod schon
rot einigen Stunden in Folge Verblie
tung eingetreten sei. — Hier liegt meine
Marie begraben!« schloß der alte Mann
seine Erzählung und seine feuchten Au
gen schauten nach dem Hügel hinüber.
»Alle Jabre mache ich das Grab selber
wieder zurecht. bis man mich zur lan
gen Rube bettet.'«
,.Gaben Sie Jbre Stelle nach dem
Tode Jhrer Frau aus?« sragte ich er
schüttert.
»Nein! An jenem entsetzlichen Tag
: dritte ich den Hirschen den Tod geschwo
; ren. Jch habe viele über den vorschrifts
Tmiißigen Etat weggeschossen. Das
Geld für das Wildpret vertechnete ich
gewissenbast zu Gunsten der im Win
ter abgebaltenenHolzauttionen.Schließ
lich wurde ich aber doch wegen des vie
ler: Abschießens denuniitt und tam in
Disziplinen - Untersuchung. Die Sache
ging bis Dann-weh und ich wurde dort-«
hin zitirt. Ossen und srei erzählte ich
den hoben Vorgesetzten mein tragisches
Geschick. Man ließ mich ruhi wiede- ;
meines Weges ziehen. Vierze n Tage
später empfing ich indeß meine Pensio
nirung — mit vollem Gehaltes —- Wie
ich erfuhr, war das lesteee aus besonde
ren Beseht des Königs Ernst August
geschehen-« -·-— —
Eine Weile haben wir unt noch Bie
lerlei über Wild und Wald erzählt
Dann schieden wir von einander wie
longjiihtige Freunde.
W
Schon das Jahr darauf bin ich wie
der nach Dannenber getommen; aber
den alten Fbrsier tra ich nicht mehr an.
Er ruhte neben seiner unvergeßlichen
Marie.
Was aus dem Sohn geworden ist,
hab’ ich nicht erfahren.
.- --..—-...--- - «.—
Such nu sinnt-.
—·—-....-..——- «
Novellette von Siguard.
Nach dem Schwedischen von E.
V i l m a r.
«. ,.. .— «
Es waren zwei schöne, junge Men
schentinder, denen die Lenzsonne des
Lebens wolkenlos gelacht. Es gab nnr
noch eine Sorge für sie in der Welt,
die Frage, ob sie einander immer ange
hören würden.
Doch seit jenem unbergeßlichen Ball
Abende, als sie, noch warm vom Co
tillon, in ihren Pelzmantel gehüllt, im
Vestibule gestanden. und er. stolz und
strahlend, übermitthige Lebensluft in
den dunklen Augen, die Boa um ihren
schönen Hals gelegt mit den Worten:
»Noch einmal gute Nacht, Fräulein
Ame-lie!«. als er sie zum Wagen gelei
tet und sich dann lange und tief iiber
ihre Hand geneigt. seit jenem Abend
war dieses Erdendasein fiir Beide ei- .
ne ununterbrochene Kette von Glück
und Freude gewesen.
Und warum auch nicht?
Sie, so jung, taum neunzehn, so
schön und lebensfrisch, der verwöhnte
Liebling des Elternhauses, wo man-;
zwar nicht gerade reich war, doch dant
des Bürgermeistergehalts ihres-Vaters
ein angenehmes, sorgenloses Dasein
fristete. Friede, Sonnenschein und ge
genseitige Liebe und Anhänglichkeit ver- «
lieben dem häuslichen Kreise den Stem
pel wohligen Behagens.
Und er, ein kluger, stattlicher Mann,
in der Blüthe des Lebens, ein tüchtiger ;
Kaufmann und Kompagnon seines ;
Vaters. Alles in Allem ein Mann,s
den jede Mutter mit Stolz ihren Sohn ;
nennen tcnnte und an dessen Brust
Hunderte don jungen Mädchen gerns
das Köpfchen geschmiegt und geflüstert ;
hätten: »Mein Herzallerliebster!«
Der eigentliche Heirath-E- - Antrag «
erfolgte erst eine Woche später, in Bitt
germeisters »gute: Stube«, woselbst
Gustav von dem Vater seiner Liebsten
dahin bedeutet wurde, daß Amälie ein
unbemitteltes Mädchen sei und bon»l
Hause aus nichts zu erwarten habe und ?
natürlich erwiderte, daß er sich dessen «
ungeachtet in ihrem Besitz als der reich- «
ste Mann der Welt fühlen würde.
Tie Sache wickelte sich also dolltom
men glatt ab. Doch mit der Hochzeit
mußte man bis nach Amöliens zwan
zigstem Geburtstag warten. Früher
wollte die Frau Bürgermeisterin ihre
einzigeTochter nicht aus dem elterlichen
Hause lassen; auch tonnte die Aus-stat
tung nicht eher fertig werden, und eben
so das neue Haus, das Herr Hallberg
sen. seinem Sohne bauen ließ.
Doch während dieser Monde lebten
die jungen Leute im Geiste bereits in
der Zukunft. in ihrem schönen, neuen
Heim. Natürlich würde Gustav dann
wie bisher auf dem Komptor thiitig
fein, doch nicht unausgesetzt und über
trieben wie ein Sllave des Mammon-L
Man mußte sein junges Leben doch ge
nießen. Und was tam es im Grunde
darauf an, ob die ersten «hunderttau
send« ein paar Jahre früher oder erst
ein paar Jahre später zusammen wa
ren !
Und sie —- sie würde der Sonnen
strahl des Hauses sein und dafür Sorge
tragen, das-. ihr Restchen stets schön und
behaglich war, wenn ihr Täuber von
Zeit zu Zeit heimgeflogen iam. um un
ter ihren Liebtosungen die Aergernisse
des Komvtorlehens, seine Unannehm
lichteiten mit Lieferanten und Kunden
zu vergessen. Sie würde auch stets Acht
darauf geben, daß seine Lieblinasweiw
sorte auf dem Tische stand, daß seine
Pantoffeln bereit standen und die Ein
ladunaen für seine verschiedenen
Freunde nicht mit einander tollidirten.
Auch vorspielen würde sie ihm. Sie
tcnnte vier Walzer und zwei Volks
und eine ganze Sonate.
O, sie würde riesia viel zu thun ha
ben, seine arme, kleine Frau !
Viel mehr war von einer feinerzoge-«
nen jungen Dame doch auch nicht zu
verlangen ? Wie amüsirten sie sich rft
über die lächerlichen Emanzipationk
Jdeen verschiedener ihrer weiblichen Be
iannten, über die Unabhängigkeit-TAN
strehungen der modernen z· rauen und
die immer wieder betonte Nothwendig
teit eines Berufes für die Unvermählte.
Wie belustigten fee sich oft über Cousine
Ellen, die seit dem Tode ihrer Eltern
irn Hause des Bürgermeisters lebte
Wie unweit-lich schluckte sie ihr Früh
stück hinunter, die letzte Butterschnitte
stehend, während des Anlegens ihres
Mantels. verzehrend, um doch nur ja
nicht zu spät in ihren »Kursuö für
Buchführung« zu kommen, der ihr vie
Mittel zum Brodertverb gewähren uno
sie der Nothwendigteit entheben sollte,
ihrem Oheim stetig zur Last zu fallen. !
Ja, dort standen sie wieder wie ges s
wöhnlich, Gustav, den Arm um Amt-«- «
liens Taille gelegt, und schauten ihr la- »
chend nach. Einmal sah sie sogar deut
lich, wie Amålie mit dem Finger nach
ihr wies. Da glitt ein tleiner verschaf
sener handschuh schnell über die brau
. nen Au en, die Füße hefchleuniaten th
: ren ritt und aufmerksamer denn je
s lauschte Ellen dem Vortrage des alten
I Buchhalters.
I Ostrnals wenn Ellen in Amslieni
« ---- ——»-—M—- -....-.— .
ahgedanlten Stieseln und ihrem drei
Moden alten Mantel durch die Straße
sturmte, geschah es wohl, dasz sie
den kleinen Kopf mit dem lurzgeschore
nen, braunen Gelock der Wippnase und
dem häßlichen grauen Baretthiitchen
noch einmal zurückwandte und die leb
hasten braunen Augen ein bestimmtes
Fenster des Wohnzimmers suchten.
O, wenn sie doch nur nicht mehr lan
ge das Gnadenhrod zu essen brauchte!
Aber war es denn im Grunde so arg,
daß sie über Cousine Ellen lachten? Sie
war wirtlich spaßig mit ihren Schul
mädel-Manieren, obwohl sie bereits
zweiundzwanzig Jahre zählte, mit dem
lurzgeschorenen dunklen Haar und ih- H
rer absonderlichen Toilette. J
Arme Ellen! Jhr Vater war Ge- «
richts-Selretär mit einem Gehalt von
zweitausend Kronen gewesen und so
wohl die »Jnngcn« als Ellen hatten im
mer gesunde Magen gehabt, so daß der «
Garderoben-Etat stets sehr schmal he
messen gewesen. «
Langsam wandte Hallherg den Blick j
von der Straße ab und mit einem T
Ausdruck inniger Liebe und Bewunde- I
rung aus die schöne Gestalt an seiner H
Seite, das seingesormte griechische -
Antlitz mit den sanften Blauaugen und j
dem prächtigen lichthlonden Haar. Z
»Ihr beiden Cousinen gleicht Euch «
doch nicht im mindesten, AmölieP l
»Das will ich hoffe-w usug es stöh- «
lich und übermüthig von den Lippen der
glücklichen Amölie zurück. ;
Dann tam der Sturm. z
Drei Monate vor der hochzeit ward «
die Firma hallberg F- Sohn durch das ,
Fallissernent eines eng liirten Handels- s
hauses derart in Mitleidenschast gezo
gen, daß auch sie sich zur Einstellung ih
rer Zahlungen gezwungen sah.
Welch herber Schlag siir Gustav!
Bei wem sollte er wohl nun Trost su
chen, wenn nicht bei seiner Braut?
Und sie verließ ihn auch nicht in die
sen Stunden schwerer Sorge.
Er war nun arm. Gui, so würden
sie die Armuth mit einander theilen.
Sie wollte Alles muthig tragen, selbst
das Achselzurlen ihrer Freunde und die
vielleicht noch schwerer zu ertragenden
mitleidigen Bemerkungen der Bekann
ten. Sie war trotz Allem überzeugt,
daß ihr Gustav ein anständiger, ehren
hafter Mensch war. Das galt ihr mehr
als Alles. Und sollte sie auch lange,
sehr lange warten müssen, bis es ihm
möglich sein würde, aus den Ruinen
seines früheren Vermögens ein Nest
chen für sie beide zu erbauen, so wollte ;
sie doch geduldig dieses Tages harren. I
Jnnige Umarmung. Großes häus
liches Tal-learn —
Einen Monat später sandte sie ihm
seinen Ring zurück. Es geschah, so
schried sie, mit zerrissenem herzen und
unter strömenden Thränem aber ihre
Eltern hatten sie gebeten und beschwo
ren, ihnen die Sorge um ihre Zukunft
durch ihre hartnäckigteit nicht zu er
schweren. Sie wisse nur allzu gut, daß
es ohne ihn teine Zukunft, tein Glück,
keinen Frieden auf Erden siir sie gäbe;
allein ihr bliebe teine Wahl.
Jm ersten Moment vermochte Hall
berg es nicht zu fassen. War es denn
möglich? War es nicht mehr, als ein
Mensch zu ertragen vermochte? Nichts«
nichts war ihm geblieben, seit der
Sturm über ihn hereingebrochen. Al
les zugleich hatte er ihm geraubt: Geld,
Zukunft Glück —- seine Braut.
Rast- und ruaelos irrte er bis zur s
sintenden Nacht in stillen entlegenen
Vorstädten umher, angstvoll ein Vergeg
nen mit Freunden und Bekannten mei
dend, was ihm Seitens der Letzteren
allerdings sehr erleichtert wurde.
Eines Abends saß er auf einer ein
fachen Bank im Stadt-Part, als der
Klang seines Naman ihn aus seinem
düsteren Sinnen emporschrecktr.
»Wie —- cch, Ellen —- Pardon,
Fräulein Holit —--«
»Pfui, Gustav, seien Sie doch nicht
fo garstig! Es bat mir so schrecklich
leid gethan um Sie und Amölie —— ich
habe fo bitterlich geweint deswegen.«
»Und —-— —- hat Amölie — — hat
sie wohl auch ein paar Thränen um
mich vergossen?«'
»Viele — sehr viele, Gustav. Aber
so schwer es ihr fiel, was sollte sie ma
chen, die Arme? Ontel und Tante ha
ben ihr keine Ruhe gelassen, bis sie
ihnen den Willen gethan hat.«
Und wieder rollten Thriinen iiber
Ellens Wangen, die sie hastig trocknete.
»Nun Adieu, Gustav. Halten Sie
sich tapfer! Nun werden wir uns wohl
sobald nicht wiedersehen, da ich aus
wärts eine Stelle als Buchhalterin an
genommen habe. Aber ich werde im
mer gern an Sie zurückdenten und bin
auch durchaus nicht böse darüber, daß
Sie und Amölie mich immer ausge
lacht haben. — Meine besten Wünsche
für Ihre Zukunft. Guitavl«
Und aufs Neue entftiirzten Thriinen
ihren Augen.
»Sage-n Sie. Ellen. was hätten Sie
wohl gethan, falls Sie in Amöliens
Stelle gewesen wären?«
» chi«
« a — Sie." ·
»Ach Gott« ich glaube, ich wäre eher T
gestorben, als daß ich mich hätte zwin
gen lassen. Aber Sie dürfen Arnalie i
dieserhalb nicht grollen. Sie ist noch
fo jung und so weichen Gemllthes. Ich
bin beinahe dreiundzwanzig; und se
hen Sie, alte Leute —- —«
»Sie sind eine liebe. kleine Advotas
tin, Ellen. haben Sie Dank filr Jhre
cx IMM. —=«—SI
l freundlichen Worte. Leben Sie wohl."
« .Adieu. Gustav. Wie schrecklich
schade, daß es so gekommen ist!« —
Dariiber herrschte nur eine Stimme :
«es war ein anständiger Lukan-' gewe
sen. Das heißt : es war volltounnen
tlar, daß hallberg tein Vorwurf traf
und daß er nur von dem anscheinend
gutsituirten Geschäftsfreunde. für wel
chen er in hohem Betrage Biiraschaft ge
leistet, mit in’s Verderben gerissen wor
den. Nun war er einen Allord einge
gangen, durch welchen die Gläubiger
nahezu vollan befriedigt worden, ihm
selbst jedoch nichts ais sein ehrlicher
Name geblieben war.
Nun hieß es wieder von vorn begin
nen. Jn einem Vorstadthause stand
der früher so elegante Gustav vallberg
nun selbst hinter dem Ladentische. Nach
ein paar Jahren harter Arbeit war er
soweit gelangt, daß er — sehr beschei
den und anonym —- wegen eines Buch
halters inseriren lonnte.
Die »garstige Emanzipation« hatte
während der leßten Jahre so tolossale
Fortschritte gemacht, daß dreiviertel
der einlaufenden Offerten von Mäd
chen stammten: Mädchen mit und ohne
»Ponies«, mit Flechten und lurzge
fchorenem Haar. elegante junge Damen
und schlichte. fast dürftig gekleidete
Mädchen, die sich mit dem dentbar be
fcheidensten Gehalt begnügen wollten·
sauern wufrav yauverg ichov
ganzen Stapel Briefe nebst Photogra
phien und Zeugnissen bei Seite, um sich
beim Schein der Komptorlampe in ein
Paar treuherzige, blaue Augen zu ver
tiefen, die ihn so lieb und verständig
anschauten.
Lange blieb er mit dem Bilde in der
Hand regungslos sitzen. Wie ost hat
ten dieselben Augen ihn im hause des
Bürgermeisters freundlich angelacht;
wie traurig und voll sanften Borwurfs
hatten sie geblictt, wenn er und Ame-site
sich iiber Kousine Ellen lustig gemacht
hatten! Wie warm und treu hatte diese
tleine Hand an jenem Abend im Pakt
die seine gedrückt!
Für all' die beigefiigten schönen
Zeugnisse hatte er teinen Blick. Jhnt
genügte die Photographie, und im
Banne derselben reiste er am nächsten
Sonntag in das Nachbarstädtchen, wo
selbst Ellen Holst in Merkurg Diensten
thiitig war. —
Ncch heutigen Tages hat die Firma
Gustav Hallberg sich keinen Buchhalter
angeschafft, obwohl das Geschäft lang
sam aber stetig vorwärts geht. Einer
derartigen Kraft bedarf es nicht mehr,
seit Frau Ellen Hallberg dort als
Stütze und Kompagnon ihres Gatten
waltet.
Mitunter kommt die noch immer
sehr hübsche Routine Amfslie an dem
hallberg’schen Geschäft vorüber, doch
pflegt dann gewöhnlich irgend etwas
sehr Jnteressantes auf dem jenseitigen
Trottoir ihren Blick zu fesseln.
Bei solcher Gelegenheit geschieht es
wohl, daß Gustav freudigen Herzens,
wie dereinst im Hause des Bürgermei
sters, ausrust:
»Ihr beiden Koufmen gleicht Euch
doch nicht im Mindesten!"
Und Ellen, die sehr wohl begreift,
in welchem Sinne es gemeint ist, erwi
dert freundlich:
»Gewiß. Amölie sieht allerliebst
au5."
Da die Verhältnisse es noch nicht ge
statten, mehr als ein Dienstmädchen zu
halten, das durch den kleinen Junior
der Firma Hallberg vollaus in An
spruch genommen ist, sieht es in den
Wohnriiumen im Oberstocl mitunter
nicht sehr einladend aus, wenn Gustav
und Ellen nach Schluß des Geschäftes
nach oben kommen.
Doch schnell weist Frau Ellen’s ge
schickte Hand dem Zimmer einen behag
lichen Anstrich zu verleihen. Und
wenn die Lampe angezündet ist, das
Feuer im Kamin fröhlich tnistert lind
der Theetessel aus dem Tische lummt
und brodelt. dann schmiegt sie wohl den
tleinen Kopf an des Gatten Brust und
flüstert:
»Ach, mein Gustav, welch’ anderes
Leben hast Du Dir sriiher erträumt!
Dein armes Weib findet leider ieine
Zeit, um Alles im Hause so nett und
traulich zu gestalten, tvie sie es gern
möchte und von Nechtstvegen müßte·«
Dann aber legt sich ein fester Arm
um ihre Taille und innig tönt es ihr
zurück:
»Dafiir habe ich ein Weib, so fest,
so start und treu und jeder Prüfung
gewachsen; ein Weib, aus das ich sel
sensest bauen kann-auch im Sturm!«
— — äs
Die salsche Diagnose.
Dr. A» praktischer Arzt, Junggeselle
«und sehr kurzsichtig, bemerkt, als er
Abends durch eine belebteStrasze schlen
dert, eine junge, perschteieete Dame vor
sich- die ihn sehr interessirt; er will sich
ihr nähern und wagt eine artsiihlenoe
Anrede. Aber. o Schre n! an der
nächsten Laterne hebt die Dame den
Schleier empor, der Doktor erkennt eine
Patientin, die zu ihm mit reizendesn
Lächeln sagt: »Lieber Heer Doktor,
die-mal war die Diagnose salscht"
N e u e b W o r t .
A: »Was ist Jhnen heute Gutes pas
slrti —- Sie sehen ja sso vergnügt aus.«
B (der seine Schwiegermutter beer
digt hat): »Dabe alle Ursache, bin heute
entschwiegermuttert.«