Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 14, 1901, Sonntags-Blatt, Image 16

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(5. Fortsetzung)
,Mach keine Witze, Heinrich« bat
seine Gattin, »ich sehe es Willibald an,
die Sache ist ernst.«
»Seht, sehr ernst,« stöhnte der Bru
- . »Der Vater ist verhaftet unter
dem Verdacht, den Rentier Ahrweiler
ermordet zu haben.«
Ein allgemeines Stillschweigen er
folgte. Die Nachricht war so unerhört,
so überwältigend, daß unter ihrem
Eindruck die Zuhörer zunächst sich wie
gelähmt und der Sprache beraubt
fühlten. Ehe sie sich davon erholt hat
ten, wurde ihre Aufmerksamkeit nach
einer anderen Seite in Anspruch ge
nommen.
Mit einem kurzen Schrei hatteFrau
Clisabeth nach dem Herzen gegriffen,
und war todtenbleich, mit geschlossenen
Augen und zuckenden Lippen in ihren
Stuhl zuriickgesunkem
« Die Töchter sprangen zu ihr hin,
die Schwiegersöhne eilten nach der
Thür, Um Beistand herbeizurufen,aber
die willens-starke Frau richtete sich
schon wieder empor und sagte mit lei
ser, bebender Stimme, aber entschie
den: »Laszt, laßt, Kinder, macht kein
Aufsehen, es geht schon vorüber. Setzt
Euch Alle, und Du, Willibald,berichte,
wie man zu diesem unerhörten, wahn
sinnigen Verdacht gekommen ift·«
Willibald gehorchte und erzählte der
gespannt zuhörenden Familie, was- sich
in Berlin zugetragen, vom Ausf« den
des in seinem Blute todtliegenden ht
weiler bis zu der gegen den Vater, auf
Grund der aus dem Auge des Todten
aufgenommenen Photographie, erho
benen Beschuldigung.
kAber das ist ja Humbug!« rief der
Amtrnann Herzog, und Fabritbesitzer
Berggold, der vor seinem Eintritt in
das Geschäft feines Vaters mehrere
Semester Jura studirt hatte, siigte
hinzu: »Das ist ein Uebergrifs, dar
aufhin durfte der Untersuchunggrichter
eine Verhastung nicht verfügen.'
»Hast Du die Photographie gese
hen, Gleicht sie dem Vater,« fragte sei
ne Schwester Anna.
»Ich habe mir einen Abzug ver
schafft und ihn Euch mitgebracht,«
antwortete Willibald, in die Tasche
greifend, und ließ das Pappstiick, auf
das die Photographie gezogen war. im
Kreise herumgehen. Wieder erfolgte
ein drückendes Schweigen. Wenn auch
das Bild verschwommen war, wenn es
auch nur Kopf, Hals und einen kleinen
Theil der Schultern wiedergab, Kei
ner vermochte in Abrede zu stellen, daß
diese Photographie Karl Dornedden
dar-stellte.
»Es ist der Vatert« seufzte Frau
Etisabeth, »aber ———«
»Man tann nicht wissen, durch wel
che Teufelei sein Bild auf die Platte
des Pflasterschmierers gelangt ist, der
auch gescheidter thate, sich um seine
Patienten u kümmern, als solche
gilt-sen xperimente zu machen!«
te der Amtmann Herzog, und sein
Schtvager Berggold fügte kopfschüt
telnd hinzu: »Ich bleibe dabei, es ist
mir unbegreiflich, daß der Untersuch
mirtchter darauf die Berhaftung
ers-ordnen konnte; wir werden uns be
schweren; er wird sie nicht aufrecht er
halkntiinnenI
»Er wurde sie auch kaum verfügt
haben, wenn nicht andere Verdachte
gründe dazu gekommen wären,« er
widerte Willibald sehr bedrückt. Er
konnte nicht weiter reden, die Schwe
stern und Schwäger fuhren gleichzeitig
aus ihn ein, daß dies ganz undentbar
sei, und nahmen gegen ihn, der so
etwas auszusprechen vermochte, belei
digte Mienen an.
Nur die Mutter sagte matt: »So
falls doch Willibald nicht in die Rede.
Wir mtissen zunächst hören, was er
Uns mitzutheilen hat.« —
Das Gebot der sanften Frau wirkte
beruhigend aus die aufgeregten Gemü
ther, und Willibald erzählte nun. wie
der Mord nur von einer rnit den Ver
hältnissen sehr vertrauten Person aus
esiihrt sein könne. Ahrweiler müsse
feinem Mörder selbst die Thüre geöff
net haben, es war keine Spur von Ge
walt an Thüren, Fenstern, Schiebe
W zu bemerken. Der tödtlicheStoß
var durch den neben dem Verstorbenen
liegenden Dolch desselben ausgeführt
Der eiserne Schrank hatte durch einen
Schlosset geöffnet werden müssen,fein
halt stimmte enau mit dem dem
httpeilensTen estament beigefü ten
Verzeichnis «berein,selbft das vor an
- derer baare Geld deckte sich mit der
» recht sorgfältig geführtenAufzeichnung
feiner Ausgaben.
»Ein Raubmord ist ausgefchlossen,«
stehe Willibnld fort.
» Miso ein SelbstmotdW unterbrach
IMM- »
»Ist nach dem Ausspruch ·be1der
Ietzt- dutch die Beschaffenheit der
M ebenfalls ausgeschlossen,« ent
Wkllibald h
Man "tte noch eine Autorität in
Æa« Bisenk murmelte Bergs-old
, · beiden Wer-n riefen: »Un
, - -sz.- v--VW-Vvv--· -----------
terbrecht doch Willibald nicht immer.
Weiter, weiter!«
Der junge Mann seufzte: »Muß ich
Euch das Alles noch auseinanderse
tzen ?« Der Vater ist gekommen, hat die
Eröffnung des Testamentes, von des
sen Vorhandensein er allein unterrich
tet war. verlangt, und es hat sich er
geben, daß er zum Universalerben ein
gesetzt war. Er ist der einzige Mensch,
der zu Ahiweiler gekommen ist, und
er ist am Tage der Unthat in Berlin
gewesen«
»Aber er ist nicht nach Charlotten
burg gekommen; er hatte teine Zeit
dazu, das hat er rnir selbst gesa t. und
Du mußt es auch wissen, mein ohn,«
sagte Frau Elisabeth.
»Ja, Mutter,« erwiderte Willibald
sehr gepreßt, »aber wer will ihm das
glauben? Du kannst Dir die Gehäfsig
leit der Ahrweiler’schen Verwandten
gegen uns vorstellen, und sie haben
fchnell enug heraus ebracht —«
»Das der Vater sigch in Bedriingnih
gefunden hat und nach Berlin gereift
; ist, um Geld zu beschaffen und daß
ihm das nicht gelungen ist !'· fiel Frau -
Elifabeth ein. »O, nun verstehe ich
! Alles! Es ift eine Kette, die sich um
j Euren armen Vater gebildet hat!«
; Die Töchter und Schwiegerföhne
! hatten es gewußt, daß der Vater in
letzter Zeit nicht auf Rosen gebettet
gewesen war; wie schlimm die Dinge
standen, erfuhren sie erst jetzt. Dor
nedden hatte streng darüber gemacht,
daß ihnen nichts mitgetheilt ward, er
wollte ihre Hülfe nicht in Anspruch
nehmen.
Herzog und Vergolt machten jetzt
der Schwiegermutter und dem Schwa
ger Vorwürfe: sie befaßen zwar keine
i Reichthümer, hätten aber doch zugrei
; fen können
! «Ach, ich fürchte. es hätte nichts ge
holfen« Jhr hättet nur das Eure mit
; aufs Spiel gefesti« seufzte Frau Eli
- fabeth.
» »Das werden wir erst noch einmal
sehen,« erklärte Berggold.
Herzog sagte dagegen: »Das- wollen
s wir, doch kommt das augenblicklich erst
i in zweister Linie. Zunächst handelt es
I sich darum, dieHastentlassung des Ba
ters zu erwirken, wenn nicht anders,
gegen hohe Caution, die ich zu stellen
bereit bin. Morgen früh fahre ich
nach Berlin-«
»Ich begleite Dich,« erklärte Berg
gold, ihm die Hand schüttelnd, und
Willibald äußerte, daß auch er »nur sür
kurze Zeit gekommen sei.
die Thür, und eins der Dienstmädchen
rief ins Zimmer, die Kinder wären
nicht länger ruhig zu halten, sie ver
langten nach der Christbescheerung.
»Wir müssen sie vertrösten,« sagte
Frau Herzog, sich erhebend, »darau3
kann heute nichte- werden«
Aber die Mutter rief laut: »Wir
kommen sogleich!'« Jn gedämpftem
Tone fügte sie hinzu: »Den Kindern
und Dienstboten darf ihre Bescheerung
nicht fehlen, und später gehen wir auch
hinüber nach der Fabrik, wUür die
Arbeiter aufgebaut ist. Wir müssen
uns muthig und gefaßt beweisen; da
durch geben wir am besten zu erken
nen, daß wir fest von der Schuldlosig
keit des Theuren überzeugt sind-«
Berggold, der ihr zunächst stand.
küßte der tapferen Frau ehrfurchtsvoll
die Hand und reichte ihr den Arm, um
sie hinaus-zuführen
Eine Viertelstunde später flammte
im großen Familiensaale der Christ
baum auf. Die Kinder jauchzten bei
den darunter ausgebreiteten Spielh
chen, und der kleine Willibald sagte
ohne Stocken sein auswendig gelern
tes Weihnachtsgedicht auf. DieDienst
boten empfingen die für sie bestimmten
Geschenke, und auch die Erwachsenen
geleiteten sich gegenseitig an die berei
teten Gabentische.
Eine Weihnachtsstimmung 1onnte
freilich nicht aufkommen; wie ein Ge
spenst starrte der unberührte Platz des
hausherrn Frau und Kinder an, und
bald wurden die Lichter wieder ge
löscht und die Kleinen zu Bett ge
schickt.
Auch bei der Bescheerung der Arbei
ter verweilte die Familie nur kurze
Zeit, und sie verlies stiller und kürzer
als sonst. Wußten die Leute auch noch
nicht, was ihrem Arbeitgeber geschehen
war. so war ihnen seine Abwesenheit
und die ernste haltuna der Seinigen
doch ein Zeichen, daß ihm etwas Be
s denktiches zugestoßen sei.
Später am Abend, als die Töchter
und Söhne sich zurückgezogen hatten,
saßen Frau Dornedden und ihr Sohn
noch in dem neben ihrem Schlaf im
nrer belegenen kleinen Cabinet heil-am
men Sie hatte ihn durch ein ihm zu
gefltistertes Wort dahinbeschieden und
agie, als er eintrat, aus ein kleines
Sopha deutend: «Se Di hier zu
um« Millibaltz und prieh ich aut;
ich habe es Dir angesehen, daß Du
uns nicht Alles gesagt hasti«
dsgl-lieb san g- itehetn schätzt-todte
« ver s und l te
entf: »O Matten Mitten M soll ich
Jn diesem Augenblick klopfte es an :
l
Dir Alles sa en; wie soll ich das
Gtiißliche in orte fassen!«
»Was? Was, mein Sohns« skam
· es wie ein Hauch von ihren Lippen.
i »Der schwerste Antliiger des armen
tVams ist ek sen-fix fuhk Wiuioqtv
fort, sank dor der Mutter nieder, um
tlammerte mit beiden Armen ihren
Leib. senkte seinen Kopf auf ihren
Schooß und berichtete ihr von dem
seltsamen Betragen des Vaters-, wie er
seine Schuld zwar nicht zugebe, sie
aber auch nicht in Abrede stelle, und
wie er ihm verboten habe, von den
Millionen Ahrweiler’s auch nur einen
Pfennig anzurühren.
Frau Dornedden beugte sich tief zu
ihrem Sohne herab, um ihm in die
Augen zu" sehen, und fragte mit beben
der Stimme: »Willibald, wäre es
» möglich, Du könntest —T«
»O Mutter. Mutter, ich wehte mich
ja dagegen wie ein Verzweifelter!« ge
stand er und rang die Hände. »Aber
der entsenliche Gedanke kommt immer
wieder! Wenn der unglückliche Vater,
durch seine Angst und Sorge bis zum
Wahnsinn etrieben, Hiilse bei seinem
Freunde gesucht, wenn dieser sie ihm
verweigert hätt, wenn sie in Verwech
fel Rrathen wären und er —«
,, icht weiter!« gebot Frau Dor
nedden. sich erhebend. »Beschimpfe
nicht Deinen Vater und Dich, indem
Du· einen so entehrendenVerdacht aus
fpttchst!« »
»Mutter!« rief er, beide Arme zu
ihr erhebend.
Sie achtete nicht darauf und sprach:
»So wenig Ahrweiler durch meine
Hand gefallen ist, so wenig ist er es
durch die Deineg Vaters. Würde er
selbst mir gestehen, er habe die schwar
ze That aethan, so würde ich es ihm
doch nicht glauben und überzeugt sein,
er wäre das Opfer oon Sinnestiiusche
ungen geworden. Siehst Du denn
nicht, dem Testamente liegt irgend ein
Geheimniß zu Grunde? Das ist es,
was Deinen Vater zu seinem seltsa
men Betragen veranlaßt.« »
»O Mutter, Mutter, Dein« Glaube
kann Berge versetzen!« rief Milli
bald, ausspringend und die Mutter »
umschlin end. -
»Es it nicht der Glaube, der aus
mir spricht, sondern die Liebe,« erwi
derte Frau Dotnedden mit einem Lä- -
cheln, das wie vertiärend über ihr
bleiche-? Gecht ging, »ohne Glaube· -
ohne Vertrauen aber auch keine Liebe. r
Willibald, ich, Deine Mutter-, bürgei
für Deinen Vater.«« s
»Und ich nehme diese Bürgschaft :
an!« sagte er mit Inbrunst und tiißte i
ihre Hände. »Geliebte Mutter. Dul
weißt nicht, was Du mir giebst! An j
i
l
l
Deiner Liebe richtet sich auch mein
tief erschütterter Glaube an Frauen
werth wieder auf.« Er vertraute ihr, «
was ihm durch Charlotte Kunze ge- ;
fchehen war. i
Mitleidig ftreichelte sie ihm die !
.Wangen. »Mein armer Junge! Und (
Du hast fie geliebt i« »
»Ich glaubte es; aber die Liebe s
starb in jenem grauenvollen Augen
blick, ich fühle nichts als eine grenzen
lose Qede und Leere, wenn ich an sie
denke.«
·-« « --. es st
»Die war 5 main ver v gen-zum
citirte Frau Elisabeth: «oder vielmehr
die was-Z nicht, der’s geschehen konn
te· Du wirst diesen Schmerz über
winden, und ein reicheres Glüet wird
: Dir die Zukunft bringen.«
; »Ach, Mutter, was habe-sich von
I der DZukunft zu hoffen!" seufzte er.
» iel! Viell« antwortete Frau Eli
sabeth, sich aufrichtend. »Muth,Muth,
mein Sohn, in unseren hönden ruht
viel, wir haben Vieles zu vollbringen.
Wir miissen daran arbeiten, daß die
böse Anklage bald von Deinem Vater
genommen und seine Schuldlosigteit
anerkannt werde. Wir müssen aber
auch bemüht sein, ihm und uns Haus
und hof und Geschäft zu erhalten
»Ja, Mutter, ja, das wollen wirk«
rief er tief ergriffen. »Ich habe schon
bedacht, daß ich heimkehren und wäh
rend des Vaters Abwesenheit die Lei
tung der Geschäfte übernehmen will.«
»Gott se ne Dich fiir dieses Vorha
ben. mein sehnt«
»Jch fahre morgen mit den Schwä
gern nach Berlin und komme sehr bald
wieder.«
.Und dann find wir nicht nurMut
ter und Sohn, sondern treue Arbeits
gefährten und Berbiindete,« sagte sie,
ihm die Stirn tiissend. «Gute Nacht,
mein Sohn! Schlafe ruhig im Ver
trauen auf unsere gerechte Sache.«
Am nächsten Morgen mit demFriih
Fuge fuhren herzug, Berggold und
Wrllibald Dornedden nach Berlin.
Die beiden Frauen blieben in Landes
hut zurück, urn dort zu erwarten, was
ihre Gatten in Sachen ihres Vaters
ausrichten würden.
Es war beinahe vier Wochen nach
Reukth Der Winter hatte mit gan
zer Schärfe eingesetzt. Jm Vorderzim
mer einer recht behaglichen Hort-par
terrewohnung in der Nettelbectstraße
in Berlin waren die Fensterläden ge
schlossen, und zwei Flammen der von
der Decke herabhängenden Gaste-me
an eziindet; im Kamin brannte ein
he es Feuer.
In einem Lehnstuhl saß eine nicht
me r junge, schlanke Frau mit leicht
er rautem Haar-, einnehmendem Ge
r t und einem Leidenszu um den
hin efchnittenen bin-sen « und. Das
u , in dein sie ele en hatte, war ihr
in dn Schooß ge unten; ihre Mienen
trugen einen gespannten, lauschend-en
Ausdruck, als ob sie etwas erwarte.
j —
1
Jetzt inarrte draußen in der Flur
thiir der Schlüssel; das Hündchen,
welches schlummernd neben seiner
Herrin auf dem Teppich gelegen hatte,
fuhr arg-und sprang mit lautem, freu
digem edell der Thiir zu.
Ein junges Mädchen, das die Stu
benthür geöffnet hatte, trat, einen
Stoß frischer, kalter Luft mit sich
dringend, mit heftigen Scheitten ein.
Sie hatte sich nicht die Zeit genom
men, die Uebertleider draußen abzu
legen, und trug noch die blaue, elz
oerbrämte Tuchjacte über dem leid
aus gleichsarbigenc Stoff, das kleine
blaue Barett mit dem Federftutz und
dem Halbschleier auf dem Kopf und
die Schlittschuhe über dem Arm.
»Scheckchen! Mein liebes Scheel
chen!« grüßte sie und wehrte dem an ’
ihr in die Höhe springenden Hunde,
dessen laute kreudenbezeugungen ste«
verhinderten, Ich der Mutter zu nä
hern. An diese herantretend und ihre »
Hand ergreifend, fragte sie: »Du hast
wohl schon lange auf mich gewartet,
liebe Mutters«
»Es ist recht spät geworden, Jose
fine,« antwortete diese und richtete
das Auge auf die auj dem Kamin ste
de uhr. s
»Wirtlich schon halb acht!« ries das
junge Mädchen, dessen Blicke denen der
Mutter aesol t waren, erschrocken
,,Das hätte i nicht gedacht; es war
aber gar zu töstliZkaus dem Eise; die
Stunden sind wie inuten versiong
»Ich habe es nicht gern, wenn Du
I so spät ausbleibst,« sagte die blasse
; Frau mit leisem Vorwurf.
i Die Tochter entgegnete: »Ich habe
s Gesellschaft aus dem Heimwege gehabt
und bin zudem eine Strecke mir der
Pserdebabn gefahren. Schilt nicht,
liebe Mutter-, es war eine gar zu große
Lust, in dem kalten, tlaren Wetter
aus dem spiegelblanten Eise dahinzu
fliegen«
Die von dunklen Brauen und
Wimpern eingesaßten, nicht sehr gro
ßen, aber ausdrurksvollen hellblauen
Augen der Sprechenden sit-Reiten da
bei in heller Lebensfreude. — r kleine
tosige Mund öffnete sich halb, als
sauge er die Luft noch einmal ein, und
das zierliche, sehr ebenrnäßig gebaute
Figürchen vollsiidrte noch einige der
Schwentungen, die sie beim schlin
schublausen gemacht, was den und
veranlaßte. von Neuem laut und röh
lich zu bellen und an ihr emporzu
springen.
Das brachte Josesine auf andere
Gedanken. »Ich will sogleich dafür
sorgen, daß wir Thee bekommen,"
agte sie und wollte aus dem Zimmer
eilen. noch im Gehen das Barett von
dem blonden, bochausgesteckten und tief
in die klare Stirn getämmten Haar
nehmend.
Die Mutter erwiderte lächelnd: »Es
steht s on Alles bereit; henriette bat
den Ti ch gedeckt, lege nur Deine Sa
chen ab und tlingele, dann können wir
unseren Thee einnehmen-«
Zpsesine gehorchte.
» ach Verlauf von wenigen Minu
ten saßen Mutter und Tochter an dem
einfach, aber gut ardertten und appe
titlich besetzten Tisch in dem Hinter
zimmer der Wohnung, dessen Einrich
I tung wie die der beiden Vorderzimmer
I von utem Geschmack und angenehmen
i Verhältnissen der Bewohnerinnen
!
l
Zeugnis gaben.
Frau Sanitätsrath Leonhard, die
Wittwe eines gelchätzten,vielbeschäftigt
gewesenen Arztes-» war nach dem Tode
ihres Gatten mit ihrer einzigen Toch
ter aus Polen, wo er feinen Wohnsitz
gehabt, wieder nach Berlin gezogen.
Sie hatte von ihrem Manne ein Ber
mögen geerbt, das ihr gesiattete, sorg
los und behaglich zu leben; die «roße
Zurückgezogenheit. in der sie ihreJIage
verbrachte, tonnte mithin nicht auf
Sparsamkeitsriicksichten zurückgefiihrt
werden« Das- Wesen der etwa in der
Mitte der Vierzig stehenden Frau oth
mete eine stille Traurigteit; ein gewis
ses, nicht leicht zu befchreibendes Et
was ließ aus trübeErfahrungen schlie
ßen, welche sie vielleicht vor langer
Zeit gemacht, welche aber ihre Spuren
tief in ihren Zügen zurückgelassen hat
ten. Ihr Mann, der viel älter gewesen
war als sie, und zu dem sie in einem E
beinahe töchterlichen Verhältnis ge-«
standen hatte, war stets sehr zart und
riicksichtsvoll mit ihr umgegan en;
ihre Tochter, obwohl sie bei des a
terB Tode noch sehr jung gewesen war,
hatte dieses Verhalten von ihm ange
nommen.
Nur sehr selten ließ Jolefine, wie
dies soeben geschehen war, in Gegen
wart der Mutter ihrer natürlichen
Lebhastigleit die Zügel schießen. Und
hatte sie es gethan, lo suchte sie durch
besonders stilles, gesestes Wesen den
dadurch hervorgerufenen Eindruck zu
verwischen. Während sie den T be
reitete. die Tassen füllte und f· r die
Mutter leckere Brödchen zurecht mach
te, erzählte sie vom Nachmittag, an
welchem sie sich dein Vergnügen des
Elssportö auf dem neuen See hinge
geben. Sie schilderte aber mehr die
anmuthige Scrnerie der schneebelastes
ten Bäume und der lonnenbe chienenen
Eissläche, als die fröhliche enge, die
bei den Klängen der Musik sich dort
geturnmelt hatte.
»Du sagtest, Du habest Gesellschaft
auf dem heimwege gehabt l« fragte die
Sanitätsräathim die Tochter unter
brechendx wer ging mit Wie's«
Ueber Josefine’z chmalei und sehr
weiße-, artes Gesi tflo ein höheres
Roth· i r Auge ha tete flüchtig auf
dem Teller, dann chaute sie aus und
folgte: »Form) itr er und Mathilde
J ener ingen mit mir.«
ie tirn der alten Dazne zog sich
W
in Falten; ihre Dand spielte nervbs
mit der Gabel, und sie sagte mit einem
leisen Kopfschiittelm »Du weißt, daß
ickf diesen Verkehr nicht gern sehe, Jo
se ine!"
»Das weifh ich, liebe Mutter, und
ich suche ihn o viel wie möglich zu ver
meiden,« erwiderte die Tochter. »heute
ionnte ich aber nicht anders. Mathilde
kam so freundlich aus mich zu und
sra te, ob wir nicht zusammengehen
wo ten; sie ist wirllich ein gutes, lie
bes Mädchen.«
»Mag sein« aber ——-«
»Und sie ist doch unsereVerwandte,«
siigte Josesine hinzu, da die Mutter
den Sa unvollendet ließ.
Die Frau Sanitiitöriithin lachte
aber leise aus. »Verwandte!« wieder
holte sie, sehr, sehr weitläufig; meine
Mutter und die der Frau Ahrweiler
sind Cousinen gewesen, und ihr Ver
halten gegen mich war nichts weniger
als verwandtschastlich.«
Die letzteren Worte verloren sich in
ein undeutliches Murmeln; sie waren
nicht siir das Ohr der Tochter be
immt· Der Frau Sanitiitsrath
chien bei der Unterhaltun der Appe
tit vergangen zu sein; Ie setzte die
Tasse aus den Tisch zuriick und legte
Messer und Gabel aus den Te,er.
»Bist Du schon fertig, Mütterchen?«
fragte Josesine. Frau Leonhard he
jahte, iugte aber hinzui Eos Dich
nicht stören; Du wirst beim -chlitt
schuhlausen Appetit geholt haben-«
Josesine versicherte jedoch, sie esse
auch nicht mehr, und drückte aus den
elektrischen Knopf, um die Dienerin
zum Abräumen herbeizurusem Dann
lehrte sie mit der Mutter in’tt Vorder
zimmer zurück; hier legte sie ihren Arm
um sie und sagte halblaut: »Ich habe
Dich durch meine Erinnerung an Ahi
tveilers nun wieder um Stimmung
und Appetit gebracht; verzeihe mir, es
war so ungeschickt von mir."
Frau Leonhard ergriff das Schär
eisen und störte damit die sinkende
Gluth des Kamins aus« so daß sie
wieder hoch ausspriihte. »Es ist meine
Schuld,« entgegnete sie, »warum tann
ich nach so vielen Jahren nicht verges
sen. Und ietzt besonders nach dem
Tode des unglücklichen Mannes ist Al
les, Alles- wieder lebendig in mir ge
worden«
«Er hat so sehr gewünscht, Dich
wiederzusehen,« sagte die Tochter, die
der Mutter gegenüber am Fiamin
Platz genommen hatte·
Letztere suhr aus und streckte abweh
rend die sände aus: »Es wäre mein
Tod gewe en!'« murmelte sie.
.Und doch fuhren wir in Wind und
Wetter nach dem Luiseniirchhos in
Charlottenburg hinaus und wohnten
Pein Begräbnis bei,« suhr Josesine
ort.
»Das-mußte ich! — Das mußte
ichs« sliisterte Frau Leonhard und be
deckte mit der hand die Augen-» «Du
verstehst mich nicht, —- lannst mich
auch nicht verstehen! —- Ach, dass es so
enden, daß sein bester, nein, sein ein
ziger Freund sein Mörder werden
mußte.«
«Glaubst Du das wirklich, Mut
ter i« stagte Josesine hebhast und er
hob sich halb von ihreinSitz; ich nichts
Die Sanitiitsräthin zuckte matt die
Schultern. »Wer vermag zu sagen,
welche Abgrunde das Menschenherz
L
vtrgt."
»Nein, Herr Dornedden ist es nicht
gewesen!" entgegnete Josesine mit Zu
versicht; man brauchte dem Manne
nur in die Augen zu sehen« um zu wis
sen, daß er kein Verbrecher ist. Und
wie warm. wie innig hat er immer
siir den Freund gesprochen.«
»So warm, daß ich es nicht mehr
hören mochte,« sagte Frau Leonhard
und ihre Stirn zog sich finsterszusaw
men.
»Du hast Dir seine Besuche wieder
holt verbeten; endlich ist er weggeblie
ben, und sein Sohn Willtbald auch!"
sprach Josephine seufzend. Eine hohe
Rothe, die nicht nur von der Wärme
des Kamins herrührte, war in ihr lieh
liches Gesicht gestiegen, mit dem Finger
zerdrüate sie eine Thröne in der Wim
per.
Mehrere Minuten herrschte im Zim
mer ein tiefes Schweigen; «man ver
- nahm nichts alo das leise Summen
I der Gaoslammen und das aediimpst
heraustlingende Getöse des Straßen
vertehrs. . -
Endlich erhob sich Frau Leonhard
aus ihrer halb liegenden Stellung; sie
ergriff die Hand der Tochter und fa -
te: »Josesine, Du bist tein Kind mle
und hast Verstand und Urtheilatrastx
es ist natürlich, daß Du iider mein
Verhalten nachdentit, daß es Dir
wunderlich, widerspruchsvoll vor
tommt.«
»O Mutter!« wehrte das junge
Mädchen, »der Vater ist zwar schon
sechs Jahre todt, aber tch habe von
ihm Eligdelernt —«
« ir sehr viel nachzusehen,« fiel
die Mutter ein. »Er war grenzenlos
gut gegen mich: ich hatte an seiner
Seite vergessen sollen, aber i konnte
nicht; zu tief. zu unheilbar it dieses
arme Herz verwundet worden«
»Durch wen, Mama, durch wen?«
fragte Josefine, sich an die-hoch erregte
Frau schmiegend.
»Du kannst noch fragen? Durch
Kurt Athen-eilen —- durch setneSchtoe
stern!«
»Du hast ihn eliebt!« flüsterte Jo
fesine, und ein üßer Schauer durch
rieselte ste.
»Grenzenlos, mehr als mein Le
ben!" schluchzte Frau Leonhard aus.
»Und er hat mich auch so getiebtl Den
noch, ja vielleicht deswegen hat er den
W
bösen Einsiiisierungen sein Ohr gelie
hen, ist es ihnen gelungen, uns ausein
anderzureihen!«
»Aber wie ist das möglich gewesen?
—Weshalb thaten sie dass« fragte Jo
sesine erstaunt.
»Du sollst es erfa ren!« erwiderte
die Mutter. »Wiei sYn e agt,Du"
bist tein Kind mehr. u sit meine
einzige Freundin und Lebens enoiitn,
—- Du ast ein Recht darau , einen
Blick in meine Vergangenheit zu thun
und Dir danach die egenwart und
Zukunft zu erklären. Sehe Dich hier
zu mir und höre mich an." Sie lehnte
sich in ihren Stuhl zuriiek und stemmte
die Füße gegen das Gitter des Ka
mtns.
Josesine nahm aus einem niedrigen
Stuhl an ihrer Seite Plan.
Nach einigen Minuten begann die
alte Dame: «Die Ahrweilers sind eine
wohlhabende Familie, der Vater und
der Großvater sind Kaufleute aewesen
und haben in allen Ehren ein ansehn
liches Stück Geld erworben. Mein
Vater hat es nicht dahin gebracht; er
war Gymnasial-Oberlehrer in der
Provinz und konnte mir nichts geben,
als eine vortreffliche Erziehung, die
es mir ermöglichte, nach feinem und
meiner Mutter friihen Tode mein
Brod als Lehrerin zu erwerben. Kaum
siebzehn Jahre alt, erhielt ich eine An
stellung als Lehrerin in einer Privat
Töchterschule in Beriin,deren Vorstehe
rin meine Eltern gut gekannt hatte;
ich fand in ihrem Hause einige Jahre
hindurch auch Wohnung und Betösti
gung.«
»Ich weiß, ich tveiß,« schaltete Jose
fine ein, »Du hast mir oft davon er
zählt und mir das Haus in der Brei
ienstraße gezeigt, wo Du damals ge
wo nt und gearbeitet hast.«
»Das habe ich,« beträstigte tief
Athem holend die Sanitötsräthirn
»wvvon ich Dir aber nie erzählt habe,
das war nszin Verkehr bei Ahrweilers·
»Ich hatte itcskgieich nach meiner An
tunit in Berlin ausgesucht I d sie hat
ten stch sehr freundlich und zuvor-win
mend gegen mich bewiesen. Berti-ka,
die Aeltere, hatte sich turz zuvor an
den Kaufmann Jigener verheira:hei
und trat mir nicht nai)er, aber Fanny
und Amalie, die im Alter wenig von
mir verschieden waren, schlossen sich
mir an und nannten mich ihre liebste
Freundin. Jm Hause herrschte eine
eeae Geselligteit, auch tiarl Dur-neb
den, der zu seiner taufmiinniichenAus
bildung in Berlin war, verkehrte da,
und ich-Berichte sehr stiihlicheSonntaae
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fiir mich als der einzige Sohn des
hauste-, Kurt der ein Jahr in Lon
don gewesen war, heimlehrte.
Nur wenige Male waren wir zu
sammen gewesen und schon fühlten
wir, daß wir zu einander gehörten,daß
eine heiße, tiefe und reine Lidbe unsere
Herzen verband. Eine Aussprache
folgte bald· Jn der Freude über das
schnell errungene Glück ging Kurt zu
den Eltern um ihnen und den Schwe
stern zu verkünden, daß er sich mit mir
verlobt habe und mich ihnen als seine
Braut vorstellen wolle Er stiesz auf
den heftigften Widerstand: denn der
künftige Chef des Hauses Ahrweiler
sollte eine reiche Partie aus den eben
bürtigen Fiaufmannsfamilien machen,
von denen man schon einige zur Aus
wahl fiir ihn in petto hatte; er durfte
nicht eine arme Lehrerin heirathen
Ein wahrer Sturm der Entriiftung
entfesselte sich. Verflogen war die
Freundschaft, die Amalie und Fanny
mir bis dahin gezeigt hatten. Jn trän
tendster Weise wurde mir vorgezoorfem
ich sei eine Jntrigantin, welche die mir
dewiesene Güte zu eigensiichtigen Zwe
cken gemißdraucht und den jurigen
Menschen in ihre Netze gelockt habe.
Man wies mich aus dem Haufe. Kurt
wurde vom Vater unter harten Tiro
hungen verboten, mich auch nur wie
derzusehen, geschweige denn an eine
Verbindung mit mir zu denken.
Wir hielten trotzdem treu zusam
men. Meine mütterliche Freundin, die
Schuldorfteherin« gestattete, daß wir
uns zuweilen in ihrem hause sehen
konnten. Das wurde jedoch von den
Schwestern bald ausfpionirt und gab
zu neuen ärgerlichen Auftritten mit
den Eltern Anlaß Des aders miide
gab Kurt endlich die T tigleit im
väterlichen Geschäft auf und tehrte’
noch London zur-int, wo er in dein
Bänthause, in dem er schon seither ge
arbeitet, eine Stellung erhielt. Eine
Verbesserun derselben war ihm in
nahe Ausfi t geitelltx sobald dizje ein
getreten sein würde, sollte ich ihm sol
gen; wir wollten iu London unser
Heim gründen, bis die Verhältnisse
uns gestatten würden, nach Deutsch
land zuriizutehretn
saueg ging nary Amt-nah wemqe
Monate noch und wir hofften vereinigt
zu sein. Schon tras ich die ersten Vor
bereitungen zur Uebersiedlung, da er
hielt ich eine mich niederschmetternve
Nachricht: Kurs hatte seine Stellung
plötlich aufgegeben und war nach
Brastlien gegangen. Seine« Schwester
Arnalie zeigte mir das in einem hohn
vallen Briese an; von ihm selbst habe
ich keine Zeile erhalten«
Fortsetzung solgiJ
.....- - .- w
Das reine Eldorado sür Ossiciekei
aspitanten muß die Negerrepublit
Faiti sein. Die dortige Armee be
eht aus 6,500 DivisionssGenerälem
7,000 anderen Ossicieren und 6.500
Gemeinen. » Die Armeeeintheilung
scheint dort ahnlich wie bei den Fili
pinos zu sein.