Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 14, 1901, Sonntags-Blatt, Image 11

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    Sonntags Blatt
l Beilage des, Mehraska Staats- Anzcigcr und Herold«
I. P. Windvlph, Herausgehen
·..—
Grund Island, Nebr.,« den 14. Juni 1901
Jahrgang 21.. Ro. 41
WW
»Die Meerwasser-S
Eine wahre Episdde aus dem Seernannss
leben. erzahlt von Carl Koehler.
«Jm Matroserrheim zu Boston saß
eine Gruppe sonnverbrannter, weiter
sester Gestalten, kurze Tshonpfeisen
rauchend, beisammen und gaben der
Reihe nach ihre Erlebnisse zum Besten·
Darunter auch ein alter, graulöpfiger
siegen welcher, nachdem er eine Zeit
lang sit-gehört hatte, sein »Priemchen«
von einer Seite feines schwülstigen
Mundes au die andere rollend, gleich
falls das ort ergriff.
»Ihr Jungens," begann er, »wißt
ja eigentlich noch gar nicht, was wirt
liche Lebensgesahr bedeutet: das« bis
chen Obenherumtrabbeln, wenn eine
Boe die Maste biegt, und das Schiff
auf die Seite le t oder ein paar
Sturzwellen darü er schlagen, ist so
gut wie gar nichts! Und wenn Jhr
dann wieder glücklich unten seid, habt
Jhr doch wenigstens feste Planken
unter den Füßen; aber in einem alten,
verrotteten Sieb zu segeln, ist etwas
ganz anderes. Und etwas andere als
ein Sieb konnte der lecke, antedidu
vianische Kasten nicht genannt werden,
auf dem ich dazumal für die Reise von
Valparaiso nach Hongiong heuerte.
Es war die 7Meerjungfer«, nach
Baltimore gehörig. DieVer«sicherungs
gesellschaften atten sie zwar beriets
tondemrtirt, a r auf ein paarDutzend
Menschenleben kommt es ja den reichen
Rhedern bekanntlich nicht an. Sie
leckte schon ganz gehörig, als wir ab
fuhren, und obgleich das Wetter län
gere Zeit günstig blieb, mußte doch
fast ununterbrochen gepumpt werden«
Das machte aber nichts aus-; der Ka
piiän W »Schindet - Norten« hieß die
Kanaille an der ganzen Küste-—-—tonnte
ja indessen auf dem Achterdect spazie
ren gehen oder nach Seemöven schie
ßen, wie er es mit Vorliebe zu thun
pflegte.
Das that er indessen nur, bis der
erste Sturm lam; dann hatte er
Wichtigeres zu thun. Ihr kennt ja
wohl alle den blaitsbärtigen Heuchler,
den irgend ein Jdiot den ,,Stillen
Ozean« taufte: wenn der anfängt zu
rasen, sind alle übrigen Meere, damit
verglichen, Mühlteiche. So machte er
eg auch diesmal, und er hatte noch
teine zwei Stunden rutnoet, da rap
portirte schon der Zimmermann vier
Fuss Wasser im Schiffe-rannte Und
dann trotz allem Verzweifetten Pum
pen jede halbe Stunde einen Fuß
mehr.
Zum Gliiel hatten wir größten-i
theils Faßdauben geladen, so dasz die
alte Meerjungfer nicht gleich wie ein
Stein untersank und wenigstens so
lange schwamm, bis wir aus Masten,
Raaen und Planken ein ziemlich dau
erhafkeö Floß zinimern konnten. Doch
kaum war dasselbe über Bord, und
wir daraus, als sie einen letzten gra
ziösen Knix machte und sich lopfiiber
zu ihren Schwestern auf dem Meere
baden versammelte.
Eine größere Quantität Lebensmit
tel oder Wasser zu bergen, war nicht
mehr möglich gewesen, da das Wasser
bereits zu hoch im Schiffgrauin stand;
wir hatten also nur die geringen Vor
riitbe, die sich zum sofortigen Gebrauch
auf Deck befanden, sowie ein bereit-«
angebrochenes Faß Wasser, das gleich
dort lagerte. Bettzseug und Kleider
konnten wir glücklicherweise noch aus
dein Borderkastell retten.
Als ob das gebrachte Opfer den
Sturm besänftigt hätte, beruhigte er
sich bald darauf, so dasz wir im
Stande waren, ein überziihliges Segel
als Sonnenzelt iiber unsere gebrech
liche Arche auszufpannen und uns
einigermaßen konisortabel zu machen.
So schwammen wir denn, neun
zelin Mann hoch, aus der unendlichen
Wasserwiiste, halbwegs zwischen
Amerika und Asien, weitab von allen
häufiger befahreneii Handelgftrasiem
und hatten-Kinn wenig Aussicht, von
einein des l eges kommenden Fabr
zeug aufgenommen zu werden. Die
Hitze war drückend, und dabei das
Wasser so warm, daß don Durstlö
schen teine Rede sein konnte, selbst
wenn die winzige Nation dazu hinges
reicht hätte. «
Während der ersten paar Tage gab
es zweimal täglich einen Zwiebacl so
wie ein finger roßes Stückchen Pö
lelsleiich, wel ·' leptereg jedoch die
Meisten nicht einma zu essen wa ten.
aus Furcht, noch schlimmer Durt zu
leiden. Dann erhielt Jeder nur einen
halben Zwiebaek, nebst einein Stück
chen Codsisch, der gleichfalls von Salz
starrte und erst in Seewasser einge
weicht swerden mußte. Bald daruas
9 gab ei nur no zwei Mal täglich eine
Babytasse vo Wasser, einen halben
Zwiebaek und eine Unze) gemahlenen
affees, den wir als elitatesse der
sdeistem weil er nicht getocht werden
konnte. Am sechsten Tage waren ei
nige der Leute lchon nicht mehr ganz
richtin im Kopf und inaen an zu
han asiren, weil sie Oeewasser ge
chluckt hatten. «
Wie sehnsüchtig wir unter diesen
Umständen nach einem Segel aus
schau-ten, könnt Ihr Euch denken; ain
sehnsüchtiqsten a er meine Wenigten
und ,,Schinder - Norton’ö'« Steward,
gleichfalls ein Schwarzen oder tor
retter gesagt, »Kasseebrauner«· Denn
wir wiegten gansvgenain daß init der
letzten . ation asser und Zwieback
auch unser Schicksal besiegelt its ds
F die Uebrigen nicht eher loseii wurden.
wer tm's all ineine Wahl geopfert
werden solän o lange wir zwei »Ma
a « da waren vie man ohne beton
- « Ewigkqu verspeisen konnte,
. l
wenn sie gleich ein wenia zaher als die
Weißen waren. Ja, ja, Jhr Schmier
tasgesichter, leugnet’s nur nich-. Jhr
seid nun einmal so!
Es war vielleicht nur ein ovtische
Täuschung, aber da wir wußten, daß
die ganze Bande einln Wolfshunger
hatte, kam es uns vor, als ob ver Eine
o er Andere un-: bereits mi: gieri en,
ocrlangenden Blicken messe, und tel
ten deshalb keins-Ich Krieg-Juw, wie
wir uns am esten unserer Haut weh
ten könnten, wenn die Noth an den
Mann käme.
Als erste Präventivmaßregel be
schlosfsen wir, sämmtliche vorhandenen
char en oder sonstwie gefährlichen
, nstrumente bei weite zu schaffen. Als
wir deshalb während der nächsten
Nacht unsere zwei Stunden »Aus
guck« hatten, prallizirten wir jedem
der todesmatten Schläfer, der noch ein
Messer besaß, dasselbe aus der Schei
de, warfen alles, was etwa als Waffe
hätte dienen können, über Bord, und
schließlich gelang es dem Steward,
auch noch seinem Herrn Und Meister
den Revolver zu stibitzen, den er selber
in dessen Handtasche gepackt hatte. "
Letzterer-, sowie ein Handbeih wur
deii unserem Operationsplan gemäß
im Vordertheil des Ging dem einzi
gen der verlotterten Boote, die der
Sturm unbeschädigt gelassen, ver
borgen, desgleichen etwas Zwieback,
sowie eine Kanne Wasser, und dann
warteten wir, einigermaßen beruhigt,
der Dinge, die da kommen sollten.
Sie ließen auch gar nicht lange aus
sich warten: als am nächsten Morgen
die Sonne ausging und bald der
Eine, bald der Andere sein Messer
dermiszte und »Schinder-Norton« auf
der Suche nach seinen Toilettenarti
telu sogar sein geliebtes SchießeiseiH
roch man sofort Lunte, da wir beiden!
»Niggers« turz nacheinander aus!
Wache gewesen waren. Wir leugne
ten zwar, doch nach kurzer Konten-;
verse drang die ganze Rotte, der die’
Angelegenheit ein willkommener Prä
text zu sein schien, um uns den Gar
aus zu machen, unter Anführung
Nutan aus uns ein.
Das war nicht mehr, als wir er
wartet hatten. Wir waren aber beide -
noch stre, junge Kerle, rztirirten nach H
Wlll Wiss ou, ppsuugku syst-du« sen-tu
Kamerad ergriff den Revolsver, rief,
aus sie anlegend: »Hände hochl« und
während die hungrige Meute verdutzt !
wie ein Mann Folge leistete, tapptef
ich mit dem Beil die Leine, siiesz ab, l
und im nächsten Augenblick hatten wir
die Ruder eingelegt und schaffen da
von.
Das Wuthgeheul hättet Jhr dann:
hören sollen, nnd »Schinderleiorton«
springen sehen! Denn der pflegte
schon bei weit geringeren Llnliissen in
Raserei zu verfallen.
Das Gig war natürlich nur eine ’
Nußschale und auch nicht allzu was
serdicht, aber wir hatten nun wenig
stens den Vortheil, unseren eigenen
Kurs steuern zu können, während das ;
unbeholfene Floß nur mit der Strö-«
mung oder dem Winde getrieben war.
Wir ruderten also, wenn immer es
unsere Kräfte gefiattetcn, Süd-West..
in der Hoffnung, einem von San:
Francich nach den Sandwich-Jn
seln, oder umgelehrt, bestimmten
Schiffe in den Weg zu gerathen. -
ilm den Proviant war ecz schlecht:
bestellt, weil wir den anderen armen;
Teufeln nicht das Letzte hatten weg-s
nehmen wollen, Von dem bischenj
Wasser nahmen wir nur tropfenweisel
ein, wie Medizin, und um es zu spa- i
ren, nahmen wir Abends ein Bad, i
l
wag uns einigermaßen erfrischte, nur ’
hatten wir dabei immer ein Gefühl,
als ob uns ein Hat an den Beinen »
tnabbere, da die Todtengriiber der;
Tiefe in jenen Breiten sehr häufig
sind. I
Als am darauffolgenden Morgen;
die sogenannte liebe Sonne —- die i
uns, neben-bei gesagt, Blasen auf den ;
Rücken brannte » ausging, war dasi
Floß außer Sicht, aber immer nochi
auch tein Segel zu gewahren, und der ;
zweite aualvolle Tag oerfloß wie der!
erste. Eben-so der dritte. Am vierten
verzehrten wir den letzten Zwieback,
tranken das letzte Wasser, hatten aber i
nicht mehr Energie genug zu rudern,;
Ausguck zu halten over das Boot aus- I
zu schöpfen und lagen in lethargifchem
Halbschlummer am Boden, umspiilt
svon eindringendem Seewafser. -
Gegen Abend jedoch nahte die Ret
tung, und zwar in einer Gestalt, daß
wir erst recht glaubten, unser letztes
Stündlein sei gekommen. Genau von
Süd-West her fegte eine schwarze
Wetterwolte« durchzuctt von Blitzen,
auf uns zu. Jhr zu entrinnen, war
keine hossnungzsalleen was wir thun
konnten, war, den Kopf des Bootes
gegen den Wind zu halten, damit die
artig-wühlten Wogen uns nicht von
der Seit-e her fassen würden. Es muß
spasig gewesen fein, und su beobach
ten, als das Unwetter hereinbrach:
Von der feucht-kühlen Brise neubelebt,
sprangen wir wie auf Kommando auf
begannen aus Leibeslräften gegen den
Wind zu rudern, gleichzeitig dieMüm
ler weit aufsperrend, um uns hinein
regnen zu la en und möglichst viel
von dem erse ten Göttertranl zu er
haschen- .
Glucllicherwetse enthielt auch die
Böe mehr Wasser als Wind; soviel
des ersteren, daß, als sie zehn Minu
ten spater vorübergerauscht war, wir
Mühe hatten, das Boot slott u er
shalten und es eiligst mit den «troh
hüten ausschöpsen mußten. Jhr könnt
Euch denken, mit welchen Gefühlen
wir uns von dem edlen, aber durch
die Beimischung des Seewassers un
genießbar gewordene Naß trennten!
Gleich darauf hatten wir einen
Zweiten Glücksfall: Ein großer,
falmartiger Fisch, der entweder am
Beten-den oder vom Blitz betäubt wor
den war, kam, aus dem Rücken
schwimmend «langseit, und nahm es
uns nur wenige Selundem ihn an
Bord zu spediren. Nun hatten wir
nach dem Himmelstranl auch ein Göt
termahl, aber eine Beschreibung des
selben würde sich nicht hübsch machen;
»ich will nur soviel sagen, das-, wir es
in Ermangelung von Feuer, Messer,
Gabeln und Teller, mit dem Beil als
Tranchirmesser, nicht so genau mit der
Etiquette nahmen.
Leider waren die Ueberreste des
Göttermahles bereits am nächsten
Morgen nicht mehr zu genießen, war
unsere Lage wieder ebenso trostlos
wie vorher. Als Frühstückslassee
saugten wir die widerliche Jauche aus
einem Zipfel unserer noch vom Regen
etwas feuchten Flanellhemden und
saßen dann sast den ganzen Tag,
ohne ein Wort u reden, in der un
barmherzigen » ropensonne bratend
del
Während der Nacht wurde ichi
plötzlich, am Boden liegend, von einem «
leichten Geräusch aufgeweckt und fah-:
beim Licht des prächtig gestirnten
iSüsdfeehimmelg deutlich, wie mein.
FLeidensgesährte mühsam nach vorn«
;troch und behutsam Revolver und
Beil hervor-langte
Jch ahnte sofort, was er beabsich
tige, den-n derselbe Gedanke war auch
mir bereits gekommen. Aber selbst,
wenn ich geglaubt hätte, er wolle mir
an den Kragen, wäre ich vermuthlich
nicht ausgesprungen, um mich zu weh
ren, da ich in dem Stadium war, wo
Einem alles gleichgiltia ist, selbst die
Sein- oder Nichtsein-Fragt
Mit einem Seufzer der Erleichte
rung ließ er beide Waffen über Bord
gleiten und kroch achte auf seinen
früheren Platz zurii . Er that eg,
wie er mir später selbst gestand, theils
dem Selbsterhaltungstrieb folgend,
theils aus Furcht, selber zum Morder
. U--I-4
Jch ließ mir auch ·am nächsten
Morgen nichts merken, obgleich als
bald wenigstens fiir das Beil Ver
wendung gewesen wäre. Wir hatten
nämlich kaum wieder auf unseren
Marter-dünken Platz genommen, um
die Kleider trocknen zu lassen, alH er
plötzlich einen Schrei ausstieß und aus
ein tleineg Fäßchen zuwantte welches
im Hintertheil deg Bootes unter dem
Sitz befestiat war und, wie wir ums-,
ten, eine Laterne, nebst Talaterzen
und Feuerzeug enthielt, woran jedoch
bis dahin noch Keiner von tan gedacht
hatte.
Es aus den morschen Banden zu
zerren, war das Werk eine-J Augen
blicks, doch dann kam die Frage, wie
den Boden einschlagen! Unwillkiirlich
wandte er sich nach vorn, kehrte jedoch
mit verlegeneni Blick auf mich alsbald
wieder um und versuchte es mit der
gitternden, adgemagerten Faust, ohne
indessen dem dauerhaft gearbeiteten,
wasserdichten Fäßchen etwas anhaben
zu können. Erst als ich ihm mit ei
nem eisernen Ruderzapfen zu Hilfe
kam, wurden wir des kleinen Helfers
in der Noth Meister und fielen iiber
den delikaten Jnthalt her. Eine Kerze
stat in der zertrümmerten Laterne
und darunter lagen fünf Stück in
Reserve! Jungens-, etwas Schmuck
hafteres, als eine Tantieer habt Jhr
in Eurem ganzen Leben nicht schna
bulirtl Macht Euch nie wieder iiber
die Kosaken lustig, denn Jhr könnt
nie wissen, wie bald Jhr deren Lieb
lingsaericht dem feinsten Roastbees,
das Jhr nicht kriegen könnt, vorzu
» hen werdet!
? Gleich unser nächste-Z Mittagsmahl
swelches, da es gerade Sonntag war,
saus Schweine-breitem süßen Kartof
lseln und sogenanntem Plumpudding
ohne »plum« bestand, schmeckte uns
nicht halb so gut.
Spät Abends an demselben Tage
wurden wir nämlich, wie zwei nasse
Säcke, hilflos an Bord des amerika
nische-n Walfischfahrers »Na-ils Star«
gehißt» der uns beinahe noch zu guter
-
letzt in den Grund gebohrt hätte, da
wir uns bereits zum Schlafen nieder
gelegt hatten, und man unser Boot
erst im letzten Augenblick gewahrte.
Es war vielleicht nicht ganz korrekt
gehandelt, aber da wir eine Anklage
wegen Meuterei auf hoher See zu ge
wärtigen hatten, erwähnten wir vor
erst nichts von dem Untergang der
,,Mermaid«, sondern erzählten nur,
seien schlechter Behandlung wegen de
sertirt.
Doch die ewige Gerechtigkeit schläft
nimmer: Als wir drei Wochen spä
ter im Hafen von Honolulu ankerten,
war der erste Mensch der an Bord
tam, der li·)afen-.7kapitän, und der
weite kein Anderer als —«—— »Schin·der
orton«, der bereits acht Tage vorher
von einem anderen Schiffe gelandet
worden war, und nun jedes neu an
langende Schiff revidirte, das uns
möglicherweise gerettet haben konnte.
Das Wiedersehen war nichts weni
ger als rührend, wie Jshr Euch denken
könnt, und eine Viertelstunde später
lagen wir in doppelten Eisen im Ver
ließ der amerikanischen Fregatte
Santre«, auf welcher wir dann spä
terhin eine Vergnügungsstour nach
San Francislo machten, um prozes
sirt zu werden. ,,Schinder-Norton«,
sowie zwei der Steuerleute kamen ei
gens mit, um gegen uns zu zeugen;
doch nachdem der uns zugewiesene
Anwalt die Sache ins richtige Licht
gesetzt und mildernde Umstände gel
tend gemacht hatte, sprach uns die
Jury frei. Unser Glück war’"5, das-,
man uns im Norden und nicht im
Siiden vrozessirte, sonst hätten wir
sicherlich d’ran glauben müssen.
Uebrigens,« schlos; der Alte seine Er
zählung, ,,wiirde ich unter ähnlichen
Umständen genau wieder so handeln:
Jeder ist sich schließlich selbst der Näch
ste und wehrt sich seiner Haut, ob sie
Hnun schwarz oder weisz ist!«
«,,.—.....- ....... »—.-— —
Der Zukunftokünitler in London und fein
recht eintritgliches Geweer
Auch die Weltstadt London hat ihre
Wahrsager und Schicksals - Deuter,
nur daß diese sich den dort billigen Ti
tel ,,Prosessor« oder »Professorin« zu
legen. Das sashionable Westend
weicht von dem Osten nur dadurch ab,
daß hier der ,,Zuknnst5tiinstler« oft in
einer ärmlichen Stube, dort jedoch in
Salons und förmlichen Palästen seine
Mitmenschen ,,beglüclt«. Man trieb es
schließlich darin so arg, daß die Poli
zei sich der Sache annahm und den
Begliictern und Beglückerinnen einen
nicht miszzuverstehendenWink ertheilte.
Seitdem hat man eine anoere Politik
« befolgt: Man bietet den Kunden und
Kundinnen ,,Unterricht5stunden im
Wahrsagen« an.
Eine Dame, die kürzlich bei einem
» solchen »Professor«, der ihr von be
sreundeter Seite empfohlen war, vor
sprach, erhielt den Bescheid, daß nach
dem heutigen Stande der Dinge das
Schicksaldeuten aus der Hand nicht
mehr erlaubt sei, aber er würde eben
so gern erbötig sein, ihr ,,eine Unter
richtsstuude für eine Guinea zu ge
- ben.« Doch die Dame verstand ihn
anfänglich nicht. Sie war nicht zum
Leruen gekommen und war im Be
griffe, wieder von dannen zu gehen,
als sich der Herr »Professor« beeilte,
ihr die Angelegenheit etwas näher zu
erläutern. Sie verstand endlich, zahlte
lächelnd das Geiorderte und erhielt
den Gegenwerth in Gestalt der Ver
kündigung ihres Schicksals. Auch in
England also scheinen die Gesetze nur
zu dem Zwecke zu existiren, damit —
man sie umgeht.
Bemerkenswerth hierzu ist ein Ar
titel, den wir den Spalten der Free
Lance« entnehmen. Der Verfasser des
selben giebt vor, eine Unterredung mit
einem Westend - Professor gehabt zu
haben, der ein recht einträgliches Ge
werbe aus der Chiromatie machte. Der
Herr hat sich kürzlich von »dem Ge
schäfte zurückgezogen«, nicht aber, ohne
daß er lange Zeit hindurch ,,pro Sai
; son«, wie er sich ausdrückte, 5000 Pfd.
Sterl. einstrich und sich einen hübschen
Betrag in jedem Jahre bei Seite legte.
s Der »Künstler«, der mit seiner Mei
nung über sein »Geschäft« nicht zurück
hielt, sagte u. A.: »Meine Laufbahn
: begann mit der untersten Stufe. Jch
habe sowohl dem Milchmiidchen von
Devonshire, als auch der Herzogin von
N. die Zukunft verkündet. Wer, .lau
ben Sie wohl, ist die Leichtgläu igste
von Beiden? Nun, die Herzogin.
Das Landmädchen oder das ausge
weclte Londoner Stadtkind betrachtet
Alles nur als Spaß und lacht darüber.
Anders dagegen die nervöse, fashio
nable Laby! Angenommen, Sie las
sen sich eine lan eKünstlermähne wach
sen und sie verziehen mit echt theatra
lischer Gebärde auf sie einzusprechen,
unter tausend Damen, wette ich, glau
ben nen neunhundertneunundneun
zig es, rein Alles, was Sie ihnen
sagen. Und wenn Sie ein Diplomat
in gewissem Sinne sind und sich die
Kundschast zu halten verstehen, so
kommen diese Damen in regelmäßigen
Zeitabschnitten immer wieder zu Ih
nen. Meine Kundschaft bestand aus
weiblichen und männlichen Mitglie
dern der höchsten englischen Gesell
schaft. Was die letzteren anbetrifst,
so kann ich nur mit Abscheu von ihnen
sprechen. Jch nahm das Gold dieser
Männer, aber ihnen in das verlebte
; Gesicht zu schauen und die schlafer
Hände zu ergreifen, vermied ich so gut
es ging. Jn Fällen, wo ich es nicht
unterlassen konnte, machte es mich re
gelmäßig krank und ein unwidersteh
liches Gefühl von Ekel und Widerwil
len gegen diese. Leute beschlich mich.«
——»- s— -—.— -————
Die »Musterlehrprobe« eines Gemeinde
« rathsmitgliedo in der Volksschulr.
; Ueber eine »Musterlehrprobe« des
’Gemeinderaths Senges in Flinsbach
bei Sinsheim, gehalten bei der-Schluß
priisung der Bolksschule 1901, wird
ider »Volks-Ztg.« Folgendes mitge
theilt: Als die weltlichen Fächer vor
»genommen werden sollten, da tritt
s plötzlich das jüngste Mitglied des Ge
tmeinderaths Herr Senges, Leibdra
J goner a. D. und Landwirth, vor die
» erstaunte Classe.
! ,,Kinner,« sagt er, kennt ihr ah des
; Gedicht vun der Bergschaft?«
t ,,«a,« war die Antwort.
»so ,« wendet er sich an den Leh
, rer, ,,jetz weg a mol, Herr Lehrer, lasse
s Se grad a mol mich mache!«
,,Kinner,« fährt nun der neue
Schulvisitator und Musiklehrer fort,
; ,,baßt a mol ufs, ma wella jetztundert
sdie Bergschast vernemma; jedes Von
ich. sagt sei Versch- un nord erkläre
mar’5. Also, Jaiöble, fang a mol an:
Zu Dionis, dem Dhrannen fchlichl«
’S Jatöble läßt nun los, wird aber
sofort von dein aus Verständnis-, drin
genden gemeinderäthlichen »Muster
gabagogeM mit der Frage unterbro
en:
»Halt! Wißt ihr ah, was an Dy
rann is?«
S Friederle streckt den Finger:
»Ein Thrann ist ein Fürscht.«
’S Michele behauptet, ein Tyrann
sei einer, der die Leute mißhandelt.
Nichts befriedigt den Visitator, und so
giebt er selbst die Erklärung:
»An Dyrann isch einer, wu da Leit
nett gibt, was fa wella!«
Sengps: ,,Wißt ihr ah, was a Mör
der isch? Wir wella a mol seha! Jsch
Möros a Mörder, weil er den wiischda
Dhrann hott umbringa wella?«
Fritz-: »Ja!«
Senge5: »Ha, net so ganz! Warum
isch ’r tei Mörder?«
Andreas: »Weil er den Thrann hat
todtstechen wollen.«
Senges: »Jo, jo, des isch recht:
Sell kennt als nix schade!«
Seliger-: «Häwe die Freind den
Dhrann als dritte in ihrem Bund
usfgenumme?«
Schüler: »Weiß nicht!« Ein ande
rer: ,,Ja!«
Zeug-Is: »Nei! Ma weiß zwar net
gewieß, ob se ehm da Wille gedau
hawe. Jch glab awer, sie hinweg net
gedau, weil er so wüscht geweßt tsch,
un do hawe se numme recht g’hatt.
Denn ich het’s ah net gedau!«
Senges: »So, Minnen Von wen:
isch denn das Gedicht?«
Schüler: »Das Gedicht ist von
Schiller.«
Senge5: »Des »Gedicht isch vun
Schiller. Wer isch denn Schiller ge
weßt?«
t Fehülen »Schiller war ein Dich
er.« «
Senges: »Allemol! Schiller war a
großer Dichder!«
Damit die «geeignet scheinende Be
merkung« nicht fehlte, schloß der bie
dere Landwirth seine Lection mit den
Worten:
»Gell, Kinneri Wamrner so ’s Ge
dicht erklärt kriegt, nort versteht niar’s
un was ma versteht, lernt rna ah leich
ter. Sou g’hört’s ewa allemol ge
macht.«
Allerlei Merkwiirdiqfeiten aus Kaiser
Napoleotss «Bagngc« in den Tuilcrieu.
Am 12. Februar 1871 bemerkte
man, daß in den Tuilerien gestohlen
worden war; Kisten und Koffer wa
ren heimlich lveaqeholt und zu Belin,
dem Kammerdiener Napoleons, ge
bracht worden. Der Polizeipräfect
liesz die ganze »Ba·qage« in Beschlaa
nehmen, und man fand in den Kossern
zu allererst Napoleon5 Hairgkmltunas
buch, d. h. eine direcie Buchführung
über seine Ausgaben nnd Einnahmen.
Das erste Register datirte aus der Zeit
seiner Gesanqenschast zu Ham; der
Prinz scheint damals nicht aerade
reich aewesen zu sein, denn er sah sich
fortwährend genöthigt, bei seinem
Kammerdiener Geld zu leihen.
Ferner enthielten die in Beschlag ge
nommenen Kosser eine Menge yon
Gegenständen, welche die kaiserliche
Familie eingepackt hatte, als sie sich
—
aus die Flucht vorbereitete. Darunter
befand sich das erste Hemd des Königs
von Rom und das des Prinzen »Lu
lu«, Mühe, Unisorm und Leinenzeug»
das Napoleon bei Solserino getragen
hatte, und die Federn, mit denen die
tKaiser nach der Schlacht den Frie
dens-vertrag unterzeichnet hatten; ser
ner Orden, Ringe, Schnupstabatsdo
sen u. s. w., die der Kaiser zum Ge
schenk hatte geben wollen, und bei je
dem Gegenstand lag die Quiitung, da
der Kaiser den Preis seiner Geschenke
gern genau wußte. Zwei Merkwür
digkeiten, nämlich ein gewöhnliches
kupfernes Reliquienkästchen und eine
einfache Uhr, zogen besonders die Aus
merksamkeit aus sich. Das Kästchen
enthielt ein Stück vom Arme Karls
des Großen: an der Uhr hing ein kup
sernes Plättchen mit der Ausschrist:
»Wecker Friedrichs des Großen von
Napoleon den Ersten zu Potsdam er
beutet.« Man wollte die zuletzt ge
nannten Gegenstände dem Louvre
museum zum Geschenk geben, aber der
Präsect widersetzte sich dieser Zu
rnuthung: die Preußen hätten ja sonst
sagen können, daß die französischen
Kaiser Uhren gestohlen hätten. Die
Kisten und-Koffer Napoleons wurden
nach dieser Untersuchung wieder zuge
schlossen und versiegelt. Später wurde
alles —— Papiere und Register, Wecker
und Reliquie — der Kaiserin Eugenie
gesandt.
- ,
Zwiegespräch zwischen einem Bur nnd ei
nem Engländer über ,,Fair Play«s.
Die Engländer in Johannes-barg
wie Privatbriefe, die auf llmwegen
und verspätet eintrasen, melden, ma
chen sich sehr unbeliebt durch ihre häß
lichen Ausdrücke über die jetzige Fecht
weise der Buren, bei der sie den Kür
zeren ziehen. Fortwährend beklagen
sie sich, daß Buren nicht »sair plah«
kämpfen, sondern immer, wenn sie, die
Englander, mit 10,000 Mann und 20
Geschützen angriffen, nur so lange
kämpfen, als sie fiirsich einen Vortheii
sehen, und sofort das Feld räumen,
sobald sie von der Uebermacht be
droht find. Dieser Klagen wegen wer
den die Engländer sehr viel gefoppt.
Jüngst gab es folgendes Zwiegespräch
zwischen einem Bur und einem Eng
länder:
Engländer: »Ja, die sBuren käm
pfen gar nicht mehr ,,fair plah«. Wenn
diese Feiglinge nur einmal eine richtige
Schlacht annehmen wollten, dann
wäre der Krieg bald vorbei; aber so
laufen sie fort, sobald wir mit einer
großen Macht anriicken. Und dann
diese Hinterlistigieiten der Verräther,
die weiter nichts können, als unseren
armen Soldaten Fallen stellen und sie
dann erbarmungslos niederschießen.
Und das nennen die feigen Hunde
»sair play«.
Bur: Da bin ich ganz einverstanden
mit Jhnen, und darum habe ich auch
die Waffen niedergelegt, um nicht
mehr mit diesen gemeinen Buren,
Spitzbuben und Feiglingen zu fechten;
ich nehme kein Gewehr wieder in die
Hand siir diese Verräther.
Engländer: Da sind Sie doch ein
mal ein verständiger Bur, der es ein
sieht, wie gemein es ist, unsere armen
Soldaten so hinzumorden und unsere
Ofsiziere von der Spitze ihrer Com
vagnien wegzufchießen. Aber können
Sie, ein so ehrlicher Mann, der über
so guten und gesunden Menschenver
stand verfiigt, nicht einmal Jhren
Mitbiirgern sagen, daß sie im Unrecht
sind und daß sie viel besser thun, wenn
sie die Waffen niederlegen nnd fried
lich Unter dem Union-Jack leben.
Bur: Meinen Mitbiirgern das zu
sagen, würde nicht viel helfen, denn die
da noch fechten, sind alles dicktöpfige
dumme Buren, die sdas Wort »sair
plan« nicht kennen. Das haben Sie
doch zuletzt bei Otioohoop gesehen. Ha
ben die Buren den englischen Solda
ten hundertmal Fsallen gestellt?
Englander: Ja —-- und unsere armen
Soldaten sind fast immer darauf hin
eingefallen und zu Hunderten von die
sen elenden Buren hingemordet wor
den.
Bur: Run, dag- ist grade der Punkt,
wo ich init Ihnen so sehr überein
stimme. Ihre Soldaten sind jedesmal
in die Falle hineingelaufen Dort
aber bei Ottoglwov auf dem großen
Niickzua der Englander legten die eng
lischen Truppen eine Falle fiir die
Bnren. Denken Sie, daß ein einziger
Bur da hineingegangen wäre? Nein!
lind das ist doch ganz gewiß gemein
nnd sicher nicht »sair play«.
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Mr5. Jessie Varilett Davig, welche
am Shearg Theater in Busfalo ga
stirte, hatte bei einem Musikverlage in
Ghicago zwei neue Lieder bestellt, wel
che sie in Kurzem singen wollte. Ein
Montag war hierzu bestimmt worden;
aber der Sonnabend Nachmittag kam
heran, ohne das; die Lieder in die
Hände der Sänger-in gelangt-en. Mrs.
Davig liesz daher ihr Zimmertelephon
mit dem Musikverlage in Chicago ver
binden Die Sänaerin kam mit dem
Lterleger überein, die neuen Lieder
iiber die 500 Meilen lange Telephon
linie einzuiiben Auf beiden Statio
nen wurde daher ein Claoier ganz
nahe an den Fernsprecher herangeriictt.
Daraus wurden in Chicago die Lieder
borgespielt und vorgesungem nnd
Mrs. Daois spielte und sang diesel
ben so lange in ihrem Zimmer nach,
bis sie Text und Melodie vollkommen
irr-herrschte Die Orchesterbegleiiung
wurde in Bussalo geschrieben und die
Sängerin errang mit dem Vortrage
der Lieder einen großartigen Erfolg.
Für 2zstündige Benutzung der Fern
verbindung mußte sie jedoch nicht we
i niger als 8125 zahlen.