Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 07, 1901, Sonntags-Blatt, Image 18

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    zYach Fari- i«
Roman von Heinrich Lee.
(2. FortfesungJ
Dann kehrte man wieder in fein
Coudee zurück. Als man eintrat, war
der fremde herr nicht da. Er stand
draußen auf der Platform und befah
sich die Gegend. Schon vorhin bei der
Gepäckrevision hatte Däurnchen be
merkt, daß an dem Handtoffer des
Stunden eines der bekannten, kleinen
amensfchildchen hing. Schiennigst
nahm er die Gelegenheit jetzt wahr und
tuckite das Schildchen hervor.
»;5egt haben wir’s!« rief er.
»Nun?« fragten die Damen.
»Ein Professor ifi es. Hier steht5:
Professor Morel.«
Ein Professor! Allerdings-, das
hatte Niemand vermuthet. Allerdings,
»das war von dem eleganten jungen
Mann überraschend.
»Wenn der ein Professor ist,« fagie
Brösicke trocken. »dann bin icb ein
Seiltiinzet !'«
Alle weiteren Erörterungen darüber
mußten jetzt aber verfturnmen, denn
eben kam der junge Mann wieder zu
rück und lehnte sich wieder in feine
Erz-wie zuvor.» «
D-« -
L
LUIUUWUHT lllll Iclllcll ffcslllllgsmaus 7
ern« St. Quentin mit seinen Fabrik
schornsteinen und Compiegne mit sei
nem alten, großen, partumgebenen,
berühmten Schloß, dem Lieblingsaus
enthalt Napoleons des Dritten, flogen
vorüber; am Bahndamm entlang,
schöne Wälder und reicheDörser durch
ziehend, wurde ein Canal sichtbar, aus
dem in einem unabsehbaren Korso
Lastschiff hinter Lastschiff hinunter
glitt, und dann kam man an dem rei
senden Schlossgarten von Chantillh
vorbei, in dem oben von einer grünum
schlossenen Terrasse zwischen ehernen
Hirschen und Hunden das Reiterstantv
bild des ehemaligen Schloßherrn, ei
nes Montmorench, heruntergriißte.
Nur noch eine Stunde, und man war
am Ziel. Es war unter unserem-Freun
sden merkwürdig still geworden —- wie
vor einer großen Erwartung. Altdor
ser sah- zum Fenster hinaus, in der
Richtung der Locomvtive. Paris war
ihm natürlich längst bekannt, er wollte
Ausschau halten, ob der Eifelthurm
nicht bald in Sicht kam. Die Damen
machten sich bereits mit ihrem Gepäck
Nu schaffen, und Däumchen versenkte
sich noch einmal in sein kleines, brau
nes Buch. Dann stürzte alles im Zuge
an die aus der linken Seite liegenden
Coupeesenster.
»Der Eisfelthurm!«
Mit zarten, seingeschwungenen Li
nien, und doch voll Majestät, stieg er,
seine Spihe in den blauen Aether re
«ckend, am Horizont jetzt hervor — im
mer höher und höher. Ein Wunder
wert, das schon jetzt aus der Entset
nung Jeden, der es zum ersten Male
sieht, zum Staunen hinriß. Selbst
Brösicke mußte sich gestehen — das
gab’s nicht in Berlin! Jn dem Herzen
Altdvrsers aber regte der Anblick des
Thurmes ganz andere Gefühle an.
denn unter diesem Thurme lag die
«Stadt, aus der sein Glück, sein Leid
gekommen war.
Die einzelnen, in dem grünen, an
muthigen Hügelland ver-streuten
Häuschen mit den schmucken Gärtchen
davor schlossen sich immer dichter zu
sammen. Das Grün verschwand;
ziemlich unsaubere Straßenreihen, an
denen sich ein von steinernen Quais
emgeschlossener Wasserlaus vorbei-zog
mit niedrigen, schmucklvsen Häusern
wurden sichtbar; die Häuser wurden
immer höher, bis sie sechs und sieben
Stock hoch wurden. Eins glich ganz
genau dem anderen. An den Fronten
liesen durchgehends schmale, . langge
streckie Ballons entlang, die Dächer,
in Pultsorm, bestanden aus dunkel
grauein,· im Sonnenlicht blinkenden
Schieser, und obwohl von einer Ver
zierung der Fronten sast nichts zu se
hen war, so machten diese Häuser, wie
fee jeht hoch oben —- denn der Zug lies
ins unten in der Sohle —- in geschlos
sener Linie dicht an die Straßenbrü
stung traten, doch einen sehr harmoni
schen, ja vornehmen Eindruck. Weni
ges dagegen thaten das die unzähligen,
vomKohlenstaub angeschmutzten geeh
bnnien Wie-late, die unten aus dem
Geländer nnd den Pfählen, eins neben
dem anderen, angebracht waren . . . . .
Jurist
" Ja einer dunkler-, riesigen, von
Rauch und Menschen erfüllten halte
· it der Zug mit einem Ruck, daß
siestehen schwer aus ihren Sitz zurück
»«scsuc Uegurxcug susyuc Quant- »
chen. Aber gleich schlug er sich auf den
Mund —- ein Beamter kam in Sicht.
Aus dem Perron verabschiedete Alt
dorser sich. Er hatte sich schon ein Zim
mer bestellt, im Grund Hotel Auch
Brösickes und Däumchens hatten na
türlich schon ihre Quartiere, gleichfalls
in einem Hoteh das Däumchen durch
ein Zeitungsinserat in Erfahrung ge
bracht —- dies Hotel stand, wie das
Inserat besagte, unter deutscher Lei
tung, und es verhieß ,,civile Preise«·
Noch einmal schüttelte man sich die
san-d, Altdotfer versprach, morgen
Nachricht von sich zu geben, dann
trennie man sich.
«Wagdeer! Wagdeer!« schrieDiium
chen aus allen Leibeskrästen. Dies-Men
schen um ihn sahen ihn verwundert
au
«Faeteur! Gepäckträger!« rief Brö
Sogleich stürzten einige dieser Leute
auf ihn zu und bemächtigte-i sich der
IeMii
»Was das fiir Menschen blos sind,«
sagte Bäumchen, «warum sie einen
nicht verstehen!«
Der Zug der Passagiere wälzte sich
am Ende des Perrons durch eine kleine
Pforte, an der, ganz wie in Deutsch
land, Beamte standen und die Fahr
scheine abnahmen oder durchlöcherten
—- an dem nahen Ausgangsportal
standen abermals Beamte, die noch
einmal einen Blick in die Gepäcksiiicke
warfen, was wegen desStadtzolles ge
schah, dann kam man gleich auf den
Droschkenplad. Bei dem schönen Wet
ter wollte man sich natürlich einen of
fenen Wagen nehmen. Däumchen sah
in fein braunes Buch, dann rief er:
»Uehn Foadiir, usert!«
Wieder sahen ihn alle Menschen mit
Verwunderung an, von den Kutschern
beachtete ihn Niemand.
»Mir scheint,« sagte er ungeduldig,
»hier verstehen sie überhaupt kein
französisch!«
»Aber, lieber Schwager,« warfWil
helmine ein, »Ihr französifch kann
auch Niemand verstehen. Es heißt:
Uehn Woatiir uwert."
»Wie hab’ ich’s denn andersch ge
sagt?'« gab Däumchen gereizt zurück.
»Uehn Woatiir uwert!« rief Brö
sicke über den Platz. Sogleich kam ein
hübscher, offener Wagen herangerollt.
Weil er aber für fünf Personen und
das Gedäcl zu klein war, so rief Brö
sicke gleich noch einen zweiten heran.
Dann, während die Damen bei den
Wagen warteten, begaben sich die bei
den Männer mit den Gepackträaerm
getreu nach den Rathfchlägen Bade
ckers, wieder nach dem Bahnhofsge
bäude in den Zollsaal, wo ihnen das
Passagiergut ausgefolgt wurde, und
dann, nachdem man den Kutschern
noch die Adresse genannt hatte, fuhren —
Ul( OUHTU lUI« H
Eine urächiiae, breite, von einem
unqeheuren Leben erfüllte, an den bei
den Trottoirg mit schönen, schattiaen
Bäumen bepslanzte Straße nahm sie
auf. Die Wagen rollten über angeneh
meg Holzpflaster. Ein über das an
dere Mal stießen Wilhelmine und Mil:
chen Schreckensruse aus, denn die
Kutscher schienen manchmal in die
zahllosen anderenWagenreihen — ele
aante Equipagen mit noch viel eleaans
teren Damen, hochbeladene, mit drei
oder vier Pferden bespannte Omni
busse, Taxameter, deren Kutscher die
aleichen weißen Hüte hatten, wie in
Berlin, Droschken aus Gummirädern,
deren Pferde kleine, an ihrem Geschirr
anaebrachte Glöckchen erklingen lie
ßen, sausende Auiomobilen — oder in
die durch das dichte-sie Gewühl hin
durchschießenden Fahrräder oder die
Fußaünaer, die sich unter offenbarer
Todeåaesahr durch dieses Chaos wan
oen, direct hineinzufahren. Aber nir
aendå geschah ein Unfall. Plötzlich
hielt die Wagentette an; vorn Trottoir
her war ein Mann in Unisorm mit ei
nem kurzen Mäntelchen, ein Stadt
seraeant, dazwischen getreten, und
hielt einen kleinen, weißen Stock hoch,
worauf durch die Lücke in der Kette
von einem Trottoir zum andern sich
ein Strom von Passanten ergoß.
Auf dem Trottoir war ein Case ne
ben dem anderen zu sehen, unter roth
und arau gestreisten Leinwandzelten
waren die ganz von Gästen besetzten
Tische und Stühle bis an die Bord
schwelle gerückt. Zeitungen und eine
Masse vieler anderer Dinge wurden
ausgerusem auch Spielzeua,-darunter,
wie man ietzt aus dem noch stillstehen
den Waan bemerkte, ein kleines, aus
einer Schweinsblase bestehende-«
Schwein — der Berläufer blies es
aus, stellte es vor die amüsirten Gäste
mit seinen vier Beinen aus den Bo
den, es fing furchtbar an zu auieten,
sein Leib fiel ein, immer mehr und
mehr, und endlich sant es, seinen letz
ten Seuszer aushauchend, in sich zu
sammen. So lustig, wie das kleine
Sch"iveinchen, sah die ganze Straße
aus — alles athmete, trotz des unhe
heuren Trubels, eine anheimelnde Hei
terteii. Selbst die Bäume arünten und
blühten so frisch, als ständen sie im
Wald — wie verstaubt und griesgrä
mig sahen dagegen die Berliner Lin
den auål Ueberall in denCases, an den
breiten, freundlichen Schaufenstern
glänzten Spiegel, und über dem allen
leuchtete golden die Sonne! Als
schwamm die ganze Straße in ihrem
goldenenGlanz Nur eins nahm sich in
dem heiteren Bilde für unsere Lands
leute absonderlöich aus. Die langen
Balkonreihen, ie auch hier überall an
den Häusern entlang liefen, waren
ohne jeden Blumenschmuck.
Jedenfalls, so dachte sich Brösicke,
war das eine Hauptstraße, wie es auch
in Berlin zwei solcher Straßen aah,
die Friedrichtkeekhe und die Leipziger
— wenn auch, « ie er sich gestehen
mußte, MÆ Glanz nnd Leben
hier diese « aße es den beiden in
Berlin zuvorthat. Aber bald mußte
Brösicle gewahren, nazdem derStadt
sergeant sein Stückchen hatte sinken
lassen und die Wagenlette sich wieder
in Bewegung setzte, das auch die an
deren Straßen durch die sie jetzt fuh
ren, ganz dasselbe Aussehen hatten.
Dann kam man durch die großen Bon
levards, und hier schien sich das wun
derbare, wundervolle Leben zu verdop
peln, zu verzehnfachen. Der herrliche
Säulen-rang der Madeleine-Kirche
glitt vorbei und nun gelangte man auf
einen Platz dak Bäumchen laut
schrie: «Dpnner itttche ", während
Bessicle nur immer schweigsamer
wurde. Ei war ein Platz so ungeheuer
gros, wie Br« e noch nie einen ge
ehenhatte —- oHundseschZn
der cMeana , s der Witzeötiin
einem au« www-nur« i
M Wart-sen umringt, erhob
W
sich eine riesige, spitze, braune Säule,
der Obelist Zur Linken, hinter einem
den ganzen Platz abschließenden Git
ter mit vergoldeten Spißen dehnte
! sich ein herrlicher, un eheurer Gatten
’ mit dichten Baumwipfelw blinkenden
Bassins und Springbrunnen und
schimmernden Marmorbildern, der
. Tuileriengarten —- geradeaus gesehen
floß der von Brücken überwölbte, von
gin- und hersahrenden Dam schif
n belebte Strom, das war die ine,
an deren jenseitigem Ufer si wieder
ein von Siiulen getragenes auwerl
erhob, die Deputierlammer. Zur Rech
ten aber — was war das?
»Die Aussiellung!« «
Aber vor dem bunten, xltsam ge
formten monumentalen hor, aus
dem hoch oben in moderner Ge
wandung die Figur einer Dame stand,
die mit einladender Geberde die An
kommenden willkommen hieß, und
über das hinweg man in die weißglän- s
zende ungeheuere Ausstellungsstadt »
sah, aus der sich, jetzt ganz nahe, das
gelbe schlanke Gigantengeriist des Eis
selthurmes reckte —- unmittelbar vor
diesem Thor bogen die beiden Wagen
ab, nach rechts, in eine Allee, die un
serer Reisegesellschast neue Ausrufe
der Ueberraschung und Bewunderung
entlockte. Die Allee schien vielleicht
ein halbes Dutzend mal so breit und
auch ebenso lang wie die Berliner Lin
den —— die ganze Aller, so breit und
lang sie war, von wimmelnden Wa
genreihen bedeckt, von Spaziergängern.
Zu beiden Seiten in saftigem Grün
die herrlichstenVaumgänge undPtome
naden, aus denen reizende lolette Re
staurants oder vornehme Palii te her
vorlugten — aus zahllosen tiihlen
und Bänken ein Publikum, das in
Muße dem berauschenden Bilde zusah
— und als Abschluß der Allee weit
noch in der Ferne, ein mächtiges,
pruniendes Thor, der große Triumph
bogen. Man befand sich in den
Champs Elysees. Zur Linien aber
wurde wieder die Ausstellung sichtbar,
diesmal sah man in eine rielxigh zu
beiden Seiten von weißen « aliisten
umrahmie Gartenstraße, dahinter
über eine von weißen Phlonen ge
trönte weiße Brücke —- Das Ende der
Straße bildete ein graues Bauwerk
mit weißer weithin im Sonnenglanze
strahlenden goldenen KuppeL der Jn
validendom. Das war der Theil der
Ansstellung, der die Rue Nicolas hieß.
Schon war man wieder vorüber. Aus
den Anlagen erklang Musit, von den
zu Hunderten vorbeisausenden elegan
ten Motorgesährten tönte langhinge
zogenes Taten, von einer mit sechs
Pferden bespannten und einer lustig
lachenden toilettenpran enden Da
men- und Herrengesells aft besetzten
Mailcoach bties ein ganz in Noth ge
lleideter Diener aus einer langen Po
saune schmetternde Signale dur die
Menge herab, drüben aus dem eit
wege sprengte eine Kavaltade vorbei
und im Galopp. daß dumpf die Huse
aus dem holzpslaster ausschlugen, tam
in breiten Reihen eine Schwadron Kü
rasssere angeritten.
»Großartig! himmlisch! Pracht
voll!« riesen die Damen aus.
Auch Selma hatte ihren Schmerz
total vergessen.
»Kinder, sür Paris laß ich mein
Leben!« rief Bäumchen entzückt.
Nur Brösrcke schwieg. Das hatte er
nicht erwartet —- das hatte er sich nicht
vorgestelltl Fritz hatte Recht gehabt
das gab’s nicht i n Berlin. Und wie
stolz war er gewesen aus sein Berlinl
Die Wagen hielten an, das Hotel
war erreicht. Es lag in einer stillen
Seitenstraße, dicht an der Ausstellung
Eigentlich war es ein Privathaus, ein
Wiener Unternehmer hatte es siir die
Dauer der Ansstellung zu diesem
Zweck gepachtet. Der Poriier, der
Obertellner, die Piccolos. die Gäste,
die im Hausslur herumstanden —- al
les sprach österreichischen Dialekt. Das
ganze, große Haus war vollständig be
setzt, die von unseren Freunden bestell
ten Zimmer aber waren reserviert.
Sie lagen im vierten Stock, und das
Zimmer kostete, wie Däumchen sich so
gleich von dem Oberlellner sagen ließ,
acht Francs pro Tag. Acht Franck«-,
das waren sechs Mart vierzig! Jrn
vierten Stockl Däumchen, der an die
Zimmerpreise des ,,griinen Baum«
denten mußte, sand das kolossal!
»Nu, wie hat Dir Paris bis geeßt
esallen?« sa te er zu Brösicke, in m
re die en reppe hinaugtlommem
»was sag Du denn dazu Meinst
Du, die Pariser liimen noch mit den
Berlinern mitt«
Was sollte Brösicle erwidern? Zum
erstenmal in seinem Leben fehlte es
ihm an der geeigneten Antwort
B.
Es war später Abend geworden.
Auf den Boulevards pulsirte das Le-(
ben wie am Tage. Aus den CaseiH
den Schaufenstern, den reihenweisH
mit kleinen Flämmchen illuminirten1
Fassaden der Theater ergoß sich ein
ichtstrom; hoch oben an den Fronten
der Häuser spielten bald in dieser,
bald in jener Farbe, bald verschwin
dend, bald wieder erscheinend, die aus
elektrischem Licht gebildeten S ilder
der Vatietes, der Zeitungsge äude
und sonstiger « nstitute, und hier und
da standen au den Trottoits mitten
in der Menschenfluih dichte, lachende
Menschenhaufen, die einem gleichfalls
oben an einem Hause angebrachten be
leuchteten Kinemaiographen zusahen,
der in komischen Scenen irgend einer
Retlame dienen mu te. Noch war es
Anfan Juni, noch ab man hier wirk
liche Pariser —- fun e und alte Gle
aanis in iadellosen, schwarzen Ge ell
schaststoilettem sogar im Feach a
M
teuerliche Künstler esialten mit merk
würdigen Hiitem sten, Krawatten
und Daarfrisuren und die Damen
welt mit lan en Seidenschleppen, ge
pudertem Ge icht, blivenden Augen
und blißendem Schmuck. Nirgend
aber war das Gewühl dichter als vor
den Cafes, wo münchener Bier ver
Lchäntt wurde. Es war ein heißer
ag gewesen, noch die Nacht war
warm, und die kleinen, das ga e
Trottoir wie eine wimmelnde Baru
tade versperrenden Marmortischchen
Faren bis auf das legte Plätzchen be
est.
An einem solchen Tische saß auch
Altdorfer. -
Jn der Ausstellung hatte er heute
nichts mehr schaffen tbnnen. Gleich
nach seiner Ankunft hatte er sich hin
» begeben. aber die Hallen, in denen die
J Maschinen standen, waren schon ge
schlossen. Bei der eigenthiimlichen
Stimmung, in der er sich befand, war
ihm in dem sinnoerwirrenden Truhel
nicht wohl, und so entschlosz er sich ite
’ ber, nachdem er in einem Restaurant
ein turzes Diner eingenommen hatte.
noch zu einem Spaziergang durch die
Stadt.
Seit seinem letzten Aufenthalt in
Paris waren etwa fünf Jahre verflos
sen. Auch damals kam er in einem
eschiiftlichen Auftrag. Die herrliche
Stadt hatte es ihm angethan, wie je
dem. Damals war sie ihm noch
fremd — jeg war sie ihm bekannt und
vertraut. amals bedeutete sie ihm
nicht mehr als eine andere Weltstadt,
deren Wunder er zum erstenmal sah.
Und jetzt? Was er für abgethan unds
begraben gehalten hatte —- nun stieg
es wieder hervor. Entschwundenes
Glück! Es sprach zu ihm aus dieser
Lust, aus dem Rauschen dieser Bäu
me, aus jedem Stein in dieser Stadt.
Jn jedem Augenblick konnte es ihm
auf diesem Boden von neuem begeg
nen, in dem Spaziergängerschwarm,
aus« den vorbeifahrenden Wagen, aus
einem Fenster. Wünschte er es oder
wünschte er es nicht?. . .. Er wünschte
CH. III IZÅO
Als entspräche das seiner Stim
msng, so halte er die Richtun nach
Montmartre eingeschlagen Aser von
seinen Fahrtgenossen hatte jetzt in dem
dahinwandelnden Träume-: den aus
geriiumten, gesvrächigen Menschen von
der Reise wohl wiedereriannt? Die
Straßen gingen bergauf, hier lärmte
und wogte das pariser Kleinleben,
aber es zog ihn nach der Stille. Er
kam auf dem Mieter-las. Jn den
dürftigen Anlagen spielten Arbeiter
tinder, auf den Bänken saßen arme
Leute, abgezehrte Gestalten. Droben
auf der Höhe leuchtete, vom Abend
sonnenschein begossen, noch immer
nicht fertig gebaut. in weißem Glanze
die Kirche von Sarre - Coeur, Stufen
gihrgef hinauf, angäan fnføar eine
» ra t erlhahn’ im ri en.
Er stieg hinauf. Zu seiznen Füßen,
von einem grauen Brodem überzogen,
ruhte Paris. Jm Westen hinter dem
grünen Wipfetmeer des Bois de Bon
logne sanl die Sonne hinab.
Unter einem der Dächer, auf die er
jetzt hinuntersah, wohnte auch sie.
Ein süßschmer liches Gefühl durch
strömte ihn. — o nahe war er ihr —
und fte wußte nichts davon. Wenn
sie es wüßte! Rein, es war besser, sie
wußte nichts davon.
Eine Stimme ließ sich neben ihm
vernehmen. Es war der Mann mit
dem Fernrohr.
Altdorser ging weiter. Die Däm
merung stie herauf. Er ging durch
stille, leere ssen, in dem buckligen
Pflaster wucherte Gras und Gänse
traut —- aus dichthuschigen, zwischen
den alten, tiimmerlichen, unregelmä
ßigen, kleinen häusern hingestreuten
Gärten zog herauschender Wohlgeruch,
der Fliederdust, der Jasmin —- bald
stieg der Weg an, bald sanl er sich
wieder —- und so auch die Gärten, die
Dächer. Das war die Stille, die er
gesucht.
Er hielt an. An einer Hausmauer
klebte ein Platat. »Mithiirger!« war
es überschoiebem Es war ein Wahl
ausruf u den bevorstehenden Mani
cipalwa len. Altdorfer las —- der
letdenschaftliche, pathetijche Ton, in
dem der Aufruf abgessaßt war, war
echt französisch. Er tammte von der
artei der »Nationalisten«. Altdorser .
as das Kuriosum weiter. Plöhlich ’
stockte er. Es war der Name des em
pfohlenen Wahlkandidaten, bei dem
er inne«htett. Er lautete: »Kolonel
d’Engremont«.
Kolpnel h’Engremont!
Wenn es nicht zwei Kolonels d'En
gremont in Paris gab. so war das
»ide« Vater. Kein Zweifel. Ganz
bestimmt war es ihr Vater. Au mit
der Politik, auch mit dieser artet
stimmte es.
Wie wunderlich! Jbrem Namen
glelch in dieser ersten Stunde zu be
aegnen...· Es wurde dunkler und
dunkler, bis der Name in der Dunkel
heit verschwand.
»Im-user lehrte nach der Stadt zu
ru .
Das Bier, bei dem er saß, schmeckte
so vorzüglich und frisch, ganz so wie
in Deutschland selbst, daß er noch eine
gute Weile sitzen blieb. Die Erinne
rung sollte fortan leine Macht mehr
« über ihn haben. Hatte ihm Hortense
nicht selbst das Beispiel gegeben, wie
.man seiner Gefühle here wurde —
und wenn man noch so verliebt gewe
xen war? Er hatte sie eben aus seine
entsche, sie i n aus ihre stanziisische
Axt lieb geha t —- und sie war wohl
die Mitgeee gewesen. Sie hatte eben
nur coerect gehangelt. Correctt Das
war das Wort, nach dem et so lan e
gesucht hatte. Und nun dem allen Po
M
war, so wollte er fi einreden, sie
lebte nicht in dieser tadt. Von
neuem filhlte er den Rausch, den Zau
ber, der von der wunderbaren Stadt
ausging. Jhn wollte er toften, ihm
sich hingeben.
Er warf den Stummel seiner Ci
arre fort. Ein verlumpter, alter
ann tam vorbei und suchte den
Stummel mit einem anscheinend be
sonders dazu gemachten Dra t unter
dem Stuhl roorzuholen. ltdorfer
trat daran und schentte dem Alten
aus seinem Etui eine neue. Er
fiihlte sich wieder froh und leicht.
Dann, nachdem er gezahlt hatte, ging
er die lleine Strecke in sein Hotel zu
rück.
Jm hotel iiberreichte ihm der Por
tier einen am späten Abend noch für
ihn angelommenen Brief.
Der Brief war von feiner Direc
tion. Gleichzeitig enthielt er ein bei
elegtes gedrucktes Blatt, in dem mit
Zlauftift etwas angestrichen war. Das »
Blatt entstammte einer französischen s
Fachschrift, und die angeftricheneStelle
handelte oon der pariser Stadtver
waltung; fiir die pariser Wasserwerte
wurde eine neue Maschine gebraucht,
eine Antriebsmaschine für einen Com
prefsor. Die Lieferung war noch iir
den laufenden Sommer bestimmt. f
ferten nahm eine näher in dem Blatt
bezeichnete Commission entgegen
Maschinen von der Art, wie sie hier
! verlangt wurde, gehörten zu den Spe
» cialitäten von Altdorfers Fabrik. Auch
aus die Ausftellung waren einige ge
sandt worden. Altdorfer sollte des
halb zusehen, mit der betreffenden
Commission in Verbindung zu treten.
Etwas an dem Auftrag gefiel Alt
dorfer nicht. Die deutschen Maschinen
bauer hatten nicht deshalb ihre Ma
schinen auf die Ausstellung geschickt.
um damit Geld n verdienen, denn
das schlossen schon ie ungeheuren, mit
der Beschickung verundenen Kosten
aus, sondern weil sie der Welt zeigen
wollten, wag deutsche Hände, deutscher
Geist heute leisteten, und das war ih
nen länzend gelungen. Gleich nach
den -—,röffnungstagen war durch die
Fesammte ausländische Presse, selbst
ie englische, ein Ausi i der Bewun
derung darüber erqang . Deutschland
hatte mit seinen Maschinen unter al
len Ländern den Vogel abgeschossen,
und an diesem Ruhm nahm in gleicher
Weise der einfache Arbeiter wie der ge
lehrte Jngenieur theil. Wenn die
Pariser Stadtoerwaltung eine deutsche
Maschine haben wollte, so lönnte sie,
meinte Altdorfer, von ihrer Seite aus
den nöthigen Schritt dazu thun. Nun
sollte ihm der überlassen bleiben. Aber
Geschäft war Geschäft! Wozu hatte
man ihn sonst hergeschickt.
Er hatte das Hotel erreicht. Jn
dem großen, noch taghell erleuchteten
Ehrenhof, in den man von der-Straße
aus durch eine Durchfahrt trat, saßen
noch viele Gäste. Altdorfer erblickte
unter ihnen ein bekanntes Gesicht. Es
war der »Profefsor", der Herr, mit
dem man zusammen im Kondee geses
sen hatte. Und Altdorfer dachte nun
auch an seine anderen Reisegefährten
und das Versprechen, das er ihnen ge
Zleben hatte. Er mußte dabei lächeln.
l bkr es waren seine guten Lands
eu e.
4
Aus dem Tuileriengarten klang
schmetternde Musik« Es war eine Mi
liiärtabelle, die hier an jedem Dienstag
und Donnerstag Nachmittag spielte.
Ueber die alten Bäume· die riesigen,
wie Smaragd so grünen Rasenflächen,
die herrlichen Blumenbosauetts, die
plätschernden Wasser, die im Grün
verstreuten Marmorbilder, die elben
Aieswege, die goldenen Gitter pitzen
und die wimmelnde Menschenmenge
funkelte vom blauen Himmel heller
Sonnenschein. Auf dem großen Was
serbassin, dicht am Eingangsgitter,
schwammen unter dem Jubel der Kin
derschaar, am Bindfaden gehalten,
tleine Schiffchen, auf dem Spielplatz
vergnügte sich in Hemdsärleln eine
muntere Schülertlafse am Ballfpiel,
wobei die iiber sie die Aufsicht führen
den zwei jungen Geistlichen trotz ihrer
langen schwarzen Soutane sich nicht
abhalten ließen, elegentlich gleich
falls mit in das piel einzugreifen
und um die Kapelle selbst herum stand
- und saß auf gelben Eisenstiihlen eine
l saft andächtig laufchende Menge. Die
Musik war deutsch, es war die Tann
häuser - Ouoerture. Zwar spielte
die Kapelle übermäsiig schnell, fo dass
das Feierliche des Pilgerchors fast
ganz verloren ging, aber das that der
starkenjllirtung auf die Obrer leinen
Ell-stum
Von dem drüben vom Louvrehose
in den Garten sührenden lleinen
Triumphbogen her lam jetzt ein klei
ner, alter herr. Trotz seines schnee
weißen, aber noch vollen und sorgfäl
tig an den Schlitten herabgetämmten
Haares und seines ebenso schneeweißen
,,Jrnperials«, dem Knebelbart, wie
ihn Kaiser Napoleon getragen, war
sein Gang noch aufrecht, strarnm und
forschf Jn seinem tadellosen schwat
zen Gehn-et, zu dem der suntelnde Ch
linder ein würdiges Pendant bildete,
sah man im obersten Knopsloch ein
schmales, rothes Bändchen, die
Ehrenlegion. Als der alte Herr durch
die Gitterthür trat, machte der dort
stehende unisormirte Aussehen ein
Mann, der gleichfalls am rothen Ban
de, mehrere Kriegsdenlmiinzen aus
der Brust trug, in militiirischer Weise
vor ihm honneur. Natürlich tannte
er den alten Herrn. Es war der
Oberst d’Engremont. Pünitlich. so
of Concert, das heißt eben Militär
concert, im Tuileriengarten angelan
digt war, trat er um diese Stunde
durch die Gitterthür. Würdig, »aber
leutselig seinen but zie nd, erwiderte
er den Gruß dieses annes, der ja
sein Waffenkamerad war, der sich um
Frankreich Verdienste erworben, dann
schritt er, auf seinen Stock gestützt,
in der gleichen, würdigen, strainigen
Weise durch den großen Mittelweg der
Musiltapelle zu. · ,
Vor deni großen Mittelweg ·ini
Tuileriengarten sieht eine herrliche
Marmor ruppe, ein fterbender fran
zösischer oldat, dem eine junge, kraf
tige Bäuerin in der Elsiissertracht sein
Gewehr aus der Hand nimmt, um
; damit weiter zu kämpfen. «Ouand
meine« hat der Künstler dieses sein
Wert genannt —- »Selbst wenn l" Je
desmal blieb Oberst d’Engremont
vor dieser Gruppe stehen. Seit acht
zehn Jahren stand sie da, seit achtzehn
Jahren schritt Oberst d’Engremont
daran vorüber, aber noch hatte er sich
nicht satt daran gesehen. Gewisse
Leute, Federfuchseh schlechte Patria
ten mochten, was derlei Kunstwerke
betraf. manche andere vielleicht fiir
bedeutender halten; fiir Oberst d’En
gremont war diese Gruppe das vor
züglichste der Welt
Die Stuhlvermietherin kannte na
tiirlich gleichfalls ihren Gast.
,,Guten Tag, Herr Oberst,« sagte
sie, nachdem er, wie immer, dicht vor
dein Orchester seinen Sessel eingenom
men hatte. Sie reichte ihm das blaue
Papierbillet, Oberst d’Engremont leg
te ihr sein tupfernes Zweisoustiick in
die Hand, dann zog er einen kleinen
Zeitungsausschnit aus der Westenta
sche, auf d m die Musitnummern ver
zeichnet standen, als er aber daraus
ersah, daß dieses Stiick von Richard
Wagner war, runzelte er die Stirn.
Er liebte allerdings Musik, nament
lich einen schönen Marsch, nur mußte
es nicht eben deutsche Musik sein, nicht
welche von diesem Monsieur Wa ner.
Wenn der Kriegsminister seine Pslicht
kannte, so mußte er den Militiirtapel
len deutsche Musik direlt verbieten.
Das hatte ein Patriot von ihm zu for
dern. Aber darin lag das ganze Un
glück: Immer nachgiehiger, immer
schlaffer wurde man gegen den Nach
bar im Osten. Noch indessen gab es
Männer iii Frankreich, welche die dein
Vaterland, der Armee angethane
Schmach nicht ganz vergessen hatten.
Zu einer Parteichatten sie sieh gel,v
melt, und als aus ihrer Mitte vo» ....T"-"
nigen Jahren an Oberst d’Engremont
der Ruf ergina, ihr seine Kraft zu
iveiheii, als ihr Vertreter sich in den
Pariser Gemeinderath wählen zu las
sen, da hätte Oberst d’Engreinont sei
ne heiligstr Pflicht verrathen müssen,
wenn er einein solchen Rufe nicht Fol
ac geleistet. Mochten ihn die Gegner
auch mit Koth hespritzem mochten sie
von ihm in ihre Schandpresse drucken,
daß ihn nur der Miissiggangg ja die
Eitelkeit zu der Ueberriahine desMan
dats veranlaßte, mochten sie ihm so
gar infolge einer von ihm gehaltenen
Nede, bei der er das Unglück gehabt
hatte, stecken zu bleiben — mochten sie
ihn deshalb selbst der Lächerlichleit
preiszugeben versuchen, gleichviel!
Oberst d’Engremant hatte einen Po
sten zu vertheidigm Ein französischer
Soldat vertheidigt ihn oder er stirbt
daraus.
leg war nicht das erstemal, das-,
Oberst d’Engremont den Jntriguen
seiner Gegner Stand zu halten hatte.
Wäre es nach Recht und Gerechtigkeit
gegangen, so war Oberst d’Engremont
heut’ noch im Dienst und er brauchte
nicht diese traurigen, sarblosen Tit-il
tleider zu tra en. Dann war er auch
nicht blos O erst —- man hatte ihm
ohnehin diesen Titel ja nur aus Gna
de und Barmherzi teit gegeben, zum
Trost siir seine erabschiedung —
sondern er war General, er hatte ein
Lords. Aber im Ministerium des
Krieges trat wieder ein neuer Mann
an die Spitze; dieser Mann hatte aus
ihnen eine Pique, wenn auch Niemand
die Ursache davon tannte — Maior
d’Engremont wurde beschuldigt, bei
einem Maniiver einen unentschuldba
ren Fehler gemacht zu haben; es war
der Vormund, unter dem man ihm
den Abschied ertheilte. Daß er vom
deutschen Feldzuge her, wo er noch als
junger Kapitiin vor seiner Schwadron
in acht Schlachten mitgesochten hatte,
unter seinem weißen Haar einen preu
ßischen Säbelhieb zum Andenken be
halten hatte, das hatte man in diesem
Ministerium nicht weiter in Rücksicht
gezogen. Jntriganten, Verrat r
überall! Schon sich selbst gegenii er
hatte Oberst Engremont die heilige
Pflicht, dem Verrath, woher er auch
lam, umgeben von seiner Partei, ent
gegenzutretem
Gortsetzung solgt.)
---.-.—.·
Einen georgraphischen Spielplan
verzeichseten türzlich in einer Woche
die Berliner Theater. Das Schauspiel
haus gab:
»Die Verschwörmig des Fiesko zuGcnua".
Das neue iönigliche Operatheatcr:
»Der Barbier von . S c- v i l l a«.
Tas Deutsche Theater:
»Der Meister von . P T l m I) r a«.
Das Berliner Theater:
» «" -’ . . . . Pariser Nris’«.
. Das Neue Theater
. »Lieferl vom . . . . Schlierfee«.
; Das Belleallianke-Theater:
L »Die Mühte im . Schwur wald«.
Das Schiller-Theater in drei orftelluns
gen hinter einayden
»Die üdin von . . . Toledo«.
»O nagst-:- von Orceanic
»Der nyonVenedi ".
Da mußte sich die Kritik wahrschein
lich ein Rundreifebillet Laufen.