Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 07, 1901, Sonntags-Blatt, Image 18
zYach Fari- i« Roman von Heinrich Lee. (2. FortfesungJ Dann kehrte man wieder in fein Coudee zurück. Als man eintrat, war der fremde herr nicht da. Er stand draußen auf der Platform und befah sich die Gegend. Schon vorhin bei der Gepäckrevision hatte Däurnchen be merkt, daß an dem Handtoffer des Stunden eines der bekannten, kleinen amensfchildchen hing. Schiennigst nahm er die Gelegenheit jetzt wahr und tuckite das Schildchen hervor. »;5egt haben wir’s!« rief er. »Nun?« fragten die Damen. »Ein Professor ifi es. Hier steht5: Professor Morel.« Ein Professor! Allerdings-, das hatte Niemand vermuthet. Allerdings, »das war von dem eleganten jungen Mann überraschend. »Wenn der ein Professor ist,« fagie Brösicke trocken. »dann bin icb ein Seiltiinzet !'« Alle weiteren Erörterungen darüber mußten jetzt aber verfturnmen, denn eben kam der junge Mann wieder zu rück und lehnte sich wieder in feine Erz-wie zuvor.» « D-« - L LUIUUWUHT lllll Iclllcll ffcslllllgsmaus 7 ern« St. Quentin mit seinen Fabrik schornsteinen und Compiegne mit sei nem alten, großen, partumgebenen, berühmten Schloß, dem Lieblingsaus enthalt Napoleons des Dritten, flogen vorüber; am Bahndamm entlang, schöne Wälder und reicheDörser durch ziehend, wurde ein Canal sichtbar, aus dem in einem unabsehbaren Korso Lastschiff hinter Lastschiff hinunter glitt, und dann kam man an dem rei senden Schlossgarten von Chantillh vorbei, in dem oben von einer grünum schlossenen Terrasse zwischen ehernen Hirschen und Hunden das Reiterstantv bild des ehemaligen Schloßherrn, ei nes Montmorench, heruntergriißte. Nur noch eine Stunde, und man war am Ziel. Es war unter unserem-Freun sden merkwürdig still geworden —- wie vor einer großen Erwartung. Altdor ser sah- zum Fenster hinaus, in der Richtung der Locomvtive. Paris war ihm natürlich längst bekannt, er wollte Ausschau halten, ob der Eifelthurm nicht bald in Sicht kam. Die Damen machten sich bereits mit ihrem Gepäck Nu schaffen, und Däumchen versenkte sich noch einmal in sein kleines, brau nes Buch. Dann stürzte alles im Zuge an die aus der linken Seite liegenden Coupeesenster. »Der Eisfelthurm!« Mit zarten, seingeschwungenen Li nien, und doch voll Majestät, stieg er, seine Spihe in den blauen Aether re «ckend, am Horizont jetzt hervor — im mer höher und höher. Ein Wunder wert, das schon jetzt aus der Entset nung Jeden, der es zum ersten Male sieht, zum Staunen hinriß. Selbst Brösicke mußte sich gestehen — das gab’s nicht in Berlin! Jn dem Herzen Altdvrsers aber regte der Anblick des Thurmes ganz andere Gefühle an. denn unter diesem Thurme lag die «Stadt, aus der sein Glück, sein Leid gekommen war. Die einzelnen, in dem grünen, an muthigen Hügelland ver-streuten Häuschen mit den schmucken Gärtchen davor schlossen sich immer dichter zu sammen. Das Grün verschwand; ziemlich unsaubere Straßenreihen, an denen sich ein von steinernen Quais emgeschlossener Wasserlaus vorbei-zog mit niedrigen, schmucklvsen Häusern wurden sichtbar; die Häuser wurden immer höher, bis sie sechs und sieben Stock hoch wurden. Eins glich ganz genau dem anderen. An den Fronten liesen durchgehends schmale, . langge streckie Ballons entlang, die Dächer, in Pultsorm, bestanden aus dunkel grauein,· im Sonnenlicht blinkenden Schieser, und obwohl von einer Ver zierung der Fronten sast nichts zu se hen war, so machten diese Häuser, wie fee jeht hoch oben —- denn der Zug lies ins unten in der Sohle —- in geschlos sener Linie dicht an die Straßenbrü stung traten, doch einen sehr harmoni schen, ja vornehmen Eindruck. Weni ges dagegen thaten das die unzähligen, vomKohlenstaub angeschmutzten geeh bnnien Wie-late, die unten aus dem Geländer nnd den Pfählen, eins neben dem anderen, angebracht waren . . . . . Jurist " Ja einer dunkler-, riesigen, von Rauch und Menschen erfüllten halte · it der Zug mit einem Ruck, daß siestehen schwer aus ihren Sitz zurück »«scsuc Uegurxcug susyuc Quant- » chen. Aber gleich schlug er sich auf den Mund —- ein Beamter kam in Sicht. Aus dem Perron verabschiedete Alt dorser sich. Er hatte sich schon ein Zim mer bestellt, im Grund Hotel Auch Brösickes und Däumchens hatten na türlich schon ihre Quartiere, gleichfalls in einem Hoteh das Däumchen durch ein Zeitungsinserat in Erfahrung ge bracht —- dies Hotel stand, wie das Inserat besagte, unter deutscher Lei tung, und es verhieß ,,civile Preise«· Noch einmal schüttelte man sich die san-d, Altdotfer versprach, morgen Nachricht von sich zu geben, dann trennie man sich. «Wagdeer! Wagdeer!« schrieDiium chen aus allen Leibeskrästen. Dies-Men schen um ihn sahen ihn verwundert au «Faeteur! Gepäckträger!« rief Brö Sogleich stürzten einige dieser Leute auf ihn zu und bemächtigte-i sich der IeMii »Was das fiir Menschen blos sind,« sagte Bäumchen, «warum sie einen nicht verstehen!« Der Zug der Passagiere wälzte sich am Ende des Perrons durch eine kleine Pforte, an der, ganz wie in Deutsch land, Beamte standen und die Fahr scheine abnahmen oder durchlöcherten —- an dem nahen Ausgangsportal standen abermals Beamte, die noch einmal einen Blick in die Gepäcksiiicke warfen, was wegen desStadtzolles ge schah, dann kam man gleich auf den Droschkenplad. Bei dem schönen Wet ter wollte man sich natürlich einen of fenen Wagen nehmen. Däumchen sah in fein braunes Buch, dann rief er: »Uehn Foadiir, usert!« Wieder sahen ihn alle Menschen mit Verwunderung an, von den Kutschern beachtete ihn Niemand. »Mir scheint,« sagte er ungeduldig, »hier verstehen sie überhaupt kein französisch!« »Aber, lieber Schwager,« warfWil helmine ein, »Ihr französifch kann auch Niemand verstehen. Es heißt: Uehn Woatiir uwert." »Wie hab’ ich’s denn andersch ge sagt?'« gab Däumchen gereizt zurück. »Uehn Woatiir uwert!« rief Brö sicke über den Platz. Sogleich kam ein hübscher, offener Wagen herangerollt. Weil er aber für fünf Personen und das Gedäcl zu klein war, so rief Brö sicke gleich noch einen zweiten heran. Dann, während die Damen bei den Wagen warteten, begaben sich die bei den Männer mit den Gepackträaerm getreu nach den Rathfchlägen Bade ckers, wieder nach dem Bahnhofsge bäude in den Zollsaal, wo ihnen das Passagiergut ausgefolgt wurde, und dann, nachdem man den Kutschern noch die Adresse genannt hatte, fuhren — Ul( OUHTU lUI« H Eine urächiiae, breite, von einem unqeheuren Leben erfüllte, an den bei den Trottoirg mit schönen, schattiaen Bäumen bepslanzte Straße nahm sie auf. Die Wagen rollten über angeneh meg Holzpflaster. Ein über das an dere Mal stießen Wilhelmine und Mil: chen Schreckensruse aus, denn die Kutscher schienen manchmal in die zahllosen anderenWagenreihen — ele aante Equipagen mit noch viel eleaans teren Damen, hochbeladene, mit drei oder vier Pferden bespannte Omni busse, Taxameter, deren Kutscher die aleichen weißen Hüte hatten, wie in Berlin, Droschken aus Gummirädern, deren Pferde kleine, an ihrem Geschirr anaebrachte Glöckchen erklingen lie ßen, sausende Auiomobilen — oder in die durch das dichte-sie Gewühl hin durchschießenden Fahrräder oder die Fußaünaer, die sich unter offenbarer Todeåaesahr durch dieses Chaos wan oen, direct hineinzufahren. Aber nir aendå geschah ein Unfall. Plötzlich hielt die Wagentette an; vorn Trottoir her war ein Mann in Unisorm mit ei nem kurzen Mäntelchen, ein Stadt seraeant, dazwischen getreten, und hielt einen kleinen, weißen Stock hoch, worauf durch die Lücke in der Kette von einem Trottoir zum andern sich ein Strom von Passanten ergoß. Auf dem Trottoir war ein Case ne ben dem anderen zu sehen, unter roth und arau gestreisten Leinwandzelten waren die ganz von Gästen besetzten Tische und Stühle bis an die Bord schwelle gerückt. Zeitungen und eine Masse vieler anderer Dinge wurden ausgerusem auch Spielzeua,-darunter, wie man ietzt aus dem noch stillstehen den Waan bemerkte, ein kleines, aus einer Schweinsblase bestehende-« Schwein — der Berläufer blies es aus, stellte es vor die amüsirten Gäste mit seinen vier Beinen aus den Bo den, es fing furchtbar an zu auieten, sein Leib fiel ein, immer mehr und mehr, und endlich sant es, seinen letz ten Seuszer aushauchend, in sich zu sammen. So lustig, wie das kleine Sch"iveinchen, sah die ganze Straße aus — alles athmete, trotz des unhe heuren Trubels, eine anheimelnde Hei terteii. Selbst die Bäume arünten und blühten so frisch, als ständen sie im Wald — wie verstaubt und griesgrä mig sahen dagegen die Berliner Lin den auål Ueberall in denCases, an den breiten, freundlichen Schaufenstern glänzten Spiegel, und über dem allen leuchtete golden die Sonne! Als schwamm die ganze Straße in ihrem goldenenGlanz Nur eins nahm sich in dem heiteren Bilde für unsere Lands leute absonderlöich aus. Die langen Balkonreihen, ie auch hier überall an den Häusern entlang liefen, waren ohne jeden Blumenschmuck. Jedenfalls, so dachte sich Brösicke, war das eine Hauptstraße, wie es auch in Berlin zwei solcher Straßen aah, die Friedrichtkeekhe und die Leipziger — wenn auch, « ie er sich gestehen mußte, MÆ Glanz nnd Leben hier diese « aße es den beiden in Berlin zuvorthat. Aber bald mußte Brösicle gewahren, nazdem derStadt sergeant sein Stückchen hatte sinken lassen und die Wagenlette sich wieder in Bewegung setzte, das auch die an deren Straßen durch die sie jetzt fuh ren, ganz dasselbe Aussehen hatten. Dann kam man durch die großen Bon levards, und hier schien sich das wun derbare, wundervolle Leben zu verdop peln, zu verzehnfachen. Der herrliche Säulen-rang der Madeleine-Kirche glitt vorbei und nun gelangte man auf einen Platz dak Bäumchen laut schrie: «Dpnner itttche ", während Bessicle nur immer schweigsamer wurde. Ei war ein Platz so ungeheuer gros, wie Br« e noch nie einen ge ehenhatte —- oHundseschZn der cMeana , s der Witzeötiin einem au« www-nur« i M Wart-sen umringt, erhob W sich eine riesige, spitze, braune Säule, der Obelist Zur Linken, hinter einem den ganzen Platz abschließenden Git ter mit vergoldeten Spißen dehnte ! sich ein herrlicher, un eheurer Gatten ’ mit dichten Baumwipfelw blinkenden Bassins und Springbrunnen und schimmernden Marmorbildern, der . Tuileriengarten —- geradeaus gesehen floß der von Brücken überwölbte, von gin- und hersahrenden Dam schif n belebte Strom, das war die ine, an deren jenseitigem Ufer si wieder ein von Siiulen getragenes auwerl erhob, die Deputierlammer. Zur Rech ten aber — was war das? »Die Aussiellung!« « Aber vor dem bunten, xltsam ge formten monumentalen hor, aus dem hoch oben in moderner Ge wandung die Figur einer Dame stand, die mit einladender Geberde die An kommenden willkommen hieß, und über das hinweg man in die weißglän- s zende ungeheuere Ausstellungsstadt » sah, aus der sich, jetzt ganz nahe, das gelbe schlanke Gigantengeriist des Eis selthurmes reckte —- unmittelbar vor diesem Thor bogen die beiden Wagen ab, nach rechts, in eine Allee, die un serer Reisegesellschast neue Ausrufe der Ueberraschung und Bewunderung entlockte. Die Allee schien vielleicht ein halbes Dutzend mal so breit und auch ebenso lang wie die Berliner Lin den —— die ganze Aller, so breit und lang sie war, von wimmelnden Wa genreihen bedeckt, von Spaziergängern. Zu beiden Seiten in saftigem Grün die herrlichstenVaumgänge undPtome naden, aus denen reizende lolette Re staurants oder vornehme Palii te her vorlugten — aus zahllosen tiihlen und Bänken ein Publikum, das in Muße dem berauschenden Bilde zusah — und als Abschluß der Allee weit noch in der Ferne, ein mächtiges, pruniendes Thor, der große Triumph bogen. Man befand sich in den Champs Elysees. Zur Linien aber wurde wieder die Ausstellung sichtbar, diesmal sah man in eine rielxigh zu beiden Seiten von weißen « aliisten umrahmie Gartenstraße, dahinter über eine von weißen Phlonen ge trönte weiße Brücke —- Das Ende der Straße bildete ein graues Bauwerk mit weißer weithin im Sonnenglanze strahlenden goldenen KuppeL der Jn validendom. Das war der Theil der Ansstellung, der die Rue Nicolas hieß. Schon war man wieder vorüber. Aus den Anlagen erklang Musit, von den zu Hunderten vorbeisausenden elegan ten Motorgesährten tönte langhinge zogenes Taten, von einer mit sechs Pferden bespannten und einer lustig lachenden toilettenpran enden Da men- und Herrengesells aft besetzten Mailcoach bties ein ganz in Noth ge lleideter Diener aus einer langen Po saune schmetternde Signale dur die Menge herab, drüben aus dem eit wege sprengte eine Kavaltade vorbei und im Galopp. daß dumpf die Huse aus dem holzpslaster ausschlugen, tam in breiten Reihen eine Schwadron Kü rasssere angeritten. »Großartig! himmlisch! Pracht voll!« riesen die Damen aus. Auch Selma hatte ihren Schmerz total vergessen. »Kinder, sür Paris laß ich mein Leben!« rief Bäumchen entzückt. Nur Brösrcke schwieg. Das hatte er nicht erwartet —- das hatte er sich nicht vorgestelltl Fritz hatte Recht gehabt das gab’s nicht i n Berlin. Und wie stolz war er gewesen aus sein Berlinl Die Wagen hielten an, das Hotel war erreicht. Es lag in einer stillen Seitenstraße, dicht an der Ausstellung Eigentlich war es ein Privathaus, ein Wiener Unternehmer hatte es siir die Dauer der Ansstellung zu diesem Zweck gepachtet. Der Poriier, der Obertellner, die Piccolos. die Gäste, die im Hausslur herumstanden —- al les sprach österreichischen Dialekt. Das ganze, große Haus war vollständig be setzt, die von unseren Freunden bestell ten Zimmer aber waren reserviert. Sie lagen im vierten Stock, und das Zimmer kostete, wie Däumchen sich so gleich von dem Oberlellner sagen ließ, acht Francs pro Tag. Acht Franck«-, das waren sechs Mart vierzig! Jrn vierten Stockl Däumchen, der an die Zimmerpreise des ,,griinen Baum« denten mußte, sand das kolossal! »Nu, wie hat Dir Paris bis geeßt esallen?« sa te er zu Brösicke, in m re die en reppe hinaugtlommem »was sag Du denn dazu Meinst Du, die Pariser liimen noch mit den Berlinern mitt« Was sollte Brösicle erwidern? Zum erstenmal in seinem Leben fehlte es ihm an der geeigneten Antwort B. Es war später Abend geworden. Auf den Boulevards pulsirte das Le-( ben wie am Tage. Aus den CaseiH den Schaufenstern, den reihenweisH mit kleinen Flämmchen illuminirten1 Fassaden der Theater ergoß sich ein ichtstrom; hoch oben an den Fronten der Häuser spielten bald in dieser, bald in jener Farbe, bald verschwin dend, bald wieder erscheinend, die aus elektrischem Licht gebildeten S ilder der Vatietes, der Zeitungsge äude und sonstiger « nstitute, und hier und da standen au den Trottoits mitten in der Menschenfluih dichte, lachende Menschenhaufen, die einem gleichfalls oben an einem Hause angebrachten be leuchteten Kinemaiographen zusahen, der in komischen Scenen irgend einer Retlame dienen mu te. Noch war es Anfan Juni, noch ab man hier wirk liche Pariser —- fun e und alte Gle aanis in iadellosen, schwarzen Ge ell schaststoilettem sogar im Feach a M teuerliche Künstler esialten mit merk würdigen Hiitem sten, Krawatten und Daarfrisuren und die Damen welt mit lan en Seidenschleppen, ge pudertem Ge icht, blivenden Augen und blißendem Schmuck. Nirgend aber war das Gewühl dichter als vor den Cafes, wo münchener Bier ver Lchäntt wurde. Es war ein heißer ag gewesen, noch die Nacht war warm, und die kleinen, das ga e Trottoir wie eine wimmelnde Baru tade versperrenden Marmortischchen Faren bis auf das legte Plätzchen be est. An einem solchen Tische saß auch Altdorfer. - Jn der Ausstellung hatte er heute nichts mehr schaffen tbnnen. Gleich nach seiner Ankunft hatte er sich hin » begeben. aber die Hallen, in denen die J Maschinen standen, waren schon ge schlossen. Bei der eigenthiimlichen Stimmung, in der er sich befand, war ihm in dem sinnoerwirrenden Truhel nicht wohl, und so entschlosz er sich ite ’ ber, nachdem er in einem Restaurant ein turzes Diner eingenommen hatte. noch zu einem Spaziergang durch die Stadt. Seit seinem letzten Aufenthalt in Paris waren etwa fünf Jahre verflos sen. Auch damals kam er in einem eschiiftlichen Auftrag. Die herrliche Stadt hatte es ihm angethan, wie je dem. Damals war sie ihm noch fremd — jeg war sie ihm bekannt und vertraut. amals bedeutete sie ihm nicht mehr als eine andere Weltstadt, deren Wunder er zum erstenmal sah. Und jetzt? Was er für abgethan unds begraben gehalten hatte —- nun stieg es wieder hervor. Entschwundenes Glück! Es sprach zu ihm aus dieser Lust, aus dem Rauschen dieser Bäu me, aus jedem Stein in dieser Stadt. Jn jedem Augenblick konnte es ihm auf diesem Boden von neuem begeg nen, in dem Spaziergängerschwarm, aus« den vorbeifahrenden Wagen, aus einem Fenster. Wünschte er es oder wünschte er es nicht?. . .. Er wünschte CH. III IZÅO Als entspräche das seiner Stim msng, so halte er die Richtun nach Montmartre eingeschlagen Aser von seinen Fahrtgenossen hatte jetzt in dem dahinwandelnden Träume-: den aus geriiumten, gesvrächigen Menschen von der Reise wohl wiedereriannt? Die Straßen gingen bergauf, hier lärmte und wogte das pariser Kleinleben, aber es zog ihn nach der Stille. Er kam auf dem Mieter-las. Jn den dürftigen Anlagen spielten Arbeiter tinder, auf den Bänken saßen arme Leute, abgezehrte Gestalten. Droben auf der Höhe leuchtete, vom Abend sonnenschein begossen, noch immer nicht fertig gebaut. in weißem Glanze die Kirche von Sarre - Coeur, Stufen gihrgef hinauf, angäan fnføar eine » ra t erlhahn’ im ri en. Er stieg hinauf. Zu seiznen Füßen, von einem grauen Brodem überzogen, ruhte Paris. Jm Westen hinter dem grünen Wipfetmeer des Bois de Bon logne sanl die Sonne hinab. Unter einem der Dächer, auf die er jetzt hinuntersah, wohnte auch sie. Ein süßschmer liches Gefühl durch strömte ihn. — o nahe war er ihr — und fte wußte nichts davon. Wenn sie es wüßte! Rein, es war besser, sie wußte nichts davon. Eine Stimme ließ sich neben ihm vernehmen. Es war der Mann mit dem Fernrohr. Altdorser ging weiter. Die Däm merung stie herauf. Er ging durch stille, leere ssen, in dem buckligen Pflaster wucherte Gras und Gänse traut —- aus dichthuschigen, zwischen den alten, tiimmerlichen, unregelmä ßigen, kleinen häusern hingestreuten Gärten zog herauschender Wohlgeruch, der Fliederdust, der Jasmin —- bald stieg der Weg an, bald sanl er sich wieder —- und so auch die Gärten, die Dächer. Das war die Stille, die er gesucht. Er hielt an. An einer Hausmauer klebte ein Platat. »Mithiirger!« war es überschoiebem Es war ein Wahl ausruf u den bevorstehenden Mani cipalwa len. Altdorfer las —- der letdenschaftliche, pathetijche Ton, in dem der Aufruf abgessaßt war, war echt französisch. Er tammte von der artei der »Nationalisten«. Altdorser . as das Kuriosum weiter. Plöhlich ’ stockte er. Es war der Name des em pfohlenen Wahlkandidaten, bei dem er inne«htett. Er lautete: »Kolonel d’Engremont«. Kolpnel h’Engremont! Wenn es nicht zwei Kolonels d'En gremont in Paris gab. so war das »ide« Vater. Kein Zweifel. Ganz bestimmt war es ihr Vater. Au mit der Politik, auch mit dieser artet stimmte es. Wie wunderlich! Jbrem Namen glelch in dieser ersten Stunde zu be aegnen...· Es wurde dunkler und dunkler, bis der Name in der Dunkel heit verschwand. »Im-user lehrte nach der Stadt zu ru . Das Bier, bei dem er saß, schmeckte so vorzüglich und frisch, ganz so wie in Deutschland selbst, daß er noch eine gute Weile sitzen blieb. Die Erinne rung sollte fortan leine Macht mehr « über ihn haben. Hatte ihm Hortense nicht selbst das Beispiel gegeben, wie .man seiner Gefühle here wurde — und wenn man noch so verliebt gewe xen war? Er hatte sie eben aus seine entsche, sie i n aus ihre stanziisische Axt lieb geha t —- und sie war wohl die Mitgeee gewesen. Sie hatte eben nur coerect gehangelt. Correctt Das war das Wort, nach dem et so lan e gesucht hatte. Und nun dem allen Po M war, so wollte er fi einreden, sie lebte nicht in dieser tadt. Von neuem filhlte er den Rausch, den Zau ber, der von der wunderbaren Stadt ausging. Jhn wollte er toften, ihm sich hingeben. Er warf den Stummel seiner Ci arre fort. Ein verlumpter, alter ann tam vorbei und suchte den Stummel mit einem anscheinend be sonders dazu gemachten Dra t unter dem Stuhl roorzuholen. ltdorfer trat daran und schentte dem Alten aus seinem Etui eine neue. Er fiihlte sich wieder froh und leicht. Dann, nachdem er gezahlt hatte, ging er die lleine Strecke in sein Hotel zu rück. Jm hotel iiberreichte ihm der Por tier einen am späten Abend noch für ihn angelommenen Brief. Der Brief war von feiner Direc tion. Gleichzeitig enthielt er ein bei elegtes gedrucktes Blatt, in dem mit Zlauftift etwas angestrichen war. Das » Blatt entstammte einer französischen s Fachschrift, und die angeftricheneStelle handelte oon der pariser Stadtver waltung; fiir die pariser Wasserwerte wurde eine neue Maschine gebraucht, eine Antriebsmaschine für einen Com prefsor. Die Lieferung war noch iir den laufenden Sommer bestimmt. f ferten nahm eine näher in dem Blatt bezeichnete Commission entgegen Maschinen von der Art, wie sie hier ! verlangt wurde, gehörten zu den Spe » cialitäten von Altdorfers Fabrik. Auch aus die Ausftellung waren einige ge sandt worden. Altdorfer sollte des halb zusehen, mit der betreffenden Commission in Verbindung zu treten. Etwas an dem Auftrag gefiel Alt dorfer nicht. Die deutschen Maschinen bauer hatten nicht deshalb ihre Ma schinen auf die Ausstellung geschickt. um damit Geld n verdienen, denn das schlossen schon ie ungeheuren, mit der Beschickung verundenen Kosten aus, sondern weil sie der Welt zeigen wollten, wag deutsche Hände, deutscher Geist heute leisteten, und das war ih nen länzend gelungen. Gleich nach den -—,röffnungstagen war durch die Fesammte ausländische Presse, selbst ie englische, ein Ausi i der Bewun derung darüber erqang . Deutschland hatte mit seinen Maschinen unter al len Ländern den Vogel abgeschossen, und an diesem Ruhm nahm in gleicher Weise der einfache Arbeiter wie der ge lehrte Jngenieur theil. Wenn die Pariser Stadtoerwaltung eine deutsche Maschine haben wollte, so lönnte sie, meinte Altdorfer, von ihrer Seite aus den nöthigen Schritt dazu thun. Nun sollte ihm der überlassen bleiben. Aber Geschäft war Geschäft! Wozu hatte man ihn sonst hergeschickt. Er hatte das Hotel erreicht. Jn dem großen, noch taghell erleuchteten Ehrenhof, in den man von der-Straße aus durch eine Durchfahrt trat, saßen noch viele Gäste. Altdorfer erblickte unter ihnen ein bekanntes Gesicht. Es war der »Profefsor", der Herr, mit dem man zusammen im Kondee geses sen hatte. Und Altdorfer dachte nun auch an seine anderen Reisegefährten und das Versprechen, das er ihnen ge Zleben hatte. Er mußte dabei lächeln. l bkr es waren seine guten Lands eu e. 4 Aus dem Tuileriengarten klang schmetternde Musik« Es war eine Mi liiärtabelle, die hier an jedem Dienstag und Donnerstag Nachmittag spielte. Ueber die alten Bäume· die riesigen, wie Smaragd so grünen Rasenflächen, die herrlichen Blumenbosauetts, die plätschernden Wasser, die im Grün verstreuten Marmorbilder, die elben Aieswege, die goldenen Gitter pitzen und die wimmelnde Menschenmenge funkelte vom blauen Himmel heller Sonnenschein. Auf dem großen Was serbassin, dicht am Eingangsgitter, schwammen unter dem Jubel der Kin derschaar, am Bindfaden gehalten, tleine Schiffchen, auf dem Spielplatz vergnügte sich in Hemdsärleln eine muntere Schülertlafse am Ballfpiel, wobei die iiber sie die Aufsicht führen den zwei jungen Geistlichen trotz ihrer langen schwarzen Soutane sich nicht abhalten ließen, elegentlich gleich falls mit in das piel einzugreifen und um die Kapelle selbst herum stand - und saß auf gelben Eisenstiihlen eine l saft andächtig laufchende Menge. Die Musik war deutsch, es war die Tann häuser - Ouoerture. Zwar spielte die Kapelle übermäsiig schnell, fo dass das Feierliche des Pilgerchors fast ganz verloren ging, aber das that der starkenjllirtung auf die Obrer leinen Ell-stum Von dem drüben vom Louvrehose in den Garten sührenden lleinen Triumphbogen her lam jetzt ein klei ner, alter herr. Trotz seines schnee weißen, aber noch vollen und sorgfäl tig an den Schlitten herabgetämmten Haares und seines ebenso schneeweißen ,,Jrnperials«, dem Knebelbart, wie ihn Kaiser Napoleon getragen, war sein Gang noch aufrecht, strarnm und forschf Jn seinem tadellosen schwat zen Gehn-et, zu dem der suntelnde Ch linder ein würdiges Pendant bildete, sah man im obersten Knopsloch ein schmales, rothes Bändchen, die Ehrenlegion. Als der alte Herr durch die Gitterthür trat, machte der dort stehende unisormirte Aussehen ein Mann, der gleichfalls am rothen Ban de, mehrere Kriegsdenlmiinzen aus der Brust trug, in militiirischer Weise vor ihm honneur. Natürlich tannte er den alten Herrn. Es war der Oberst d’Engremont. Pünitlich. so of Concert, das heißt eben Militär concert, im Tuileriengarten angelan digt war, trat er um diese Stunde durch die Gitterthür. Würdig, »aber leutselig seinen but zie nd, erwiderte er den Gruß dieses annes, der ja sein Waffenkamerad war, der sich um Frankreich Verdienste erworben, dann schritt er, auf seinen Stock gestützt, in der gleichen, würdigen, strainigen Weise durch den großen Mittelweg der Musiltapelle zu. · , Vor deni großen Mittelweg ·ini Tuileriengarten sieht eine herrliche Marmor ruppe, ein fterbender fran zösischer oldat, dem eine junge, kraf tige Bäuerin in der Elsiissertracht sein Gewehr aus der Hand nimmt, um ; damit weiter zu kämpfen. «Ouand meine« hat der Künstler dieses sein Wert genannt —- »Selbst wenn l" Je desmal blieb Oberst d’Engremont vor dieser Gruppe stehen. Seit acht zehn Jahren stand sie da, seit achtzehn Jahren schritt Oberst d’Engremont daran vorüber, aber noch hatte er sich nicht satt daran gesehen. Gewisse Leute, Federfuchseh schlechte Patria ten mochten, was derlei Kunstwerke betraf. manche andere vielleicht fiir bedeutender halten; fiir Oberst d’En gremont war diese Gruppe das vor züglichste der Welt Die Stuhlvermietherin kannte na tiirlich gleichfalls ihren Gast. ,,Guten Tag, Herr Oberst,« sagte sie, nachdem er, wie immer, dicht vor dein Orchester seinen Sessel eingenom men hatte. Sie reichte ihm das blaue Papierbillet, Oberst d’Engremont leg te ihr sein tupfernes Zweisoustiick in die Hand, dann zog er einen kleinen Zeitungsausschnit aus der Westenta sche, auf d m die Musitnummern ver zeichnet standen, als er aber daraus ersah, daß dieses Stiick von Richard Wagner war, runzelte er die Stirn. Er liebte allerdings Musik, nament lich einen schönen Marsch, nur mußte es nicht eben deutsche Musik sein, nicht welche von diesem Monsieur Wa ner. Wenn der Kriegsminister seine Pslicht kannte, so mußte er den Militiirtapel len deutsche Musik direlt verbieten. Das hatte ein Patriot von ihm zu for dern. Aber darin lag das ganze Un glück: Immer nachgiehiger, immer schlaffer wurde man gegen den Nach bar im Osten. Noch indessen gab es Männer iii Frankreich, welche die dein Vaterland, der Armee angethane Schmach nicht ganz vergessen hatten. Zu einer Parteichatten sie sieh gel,v melt, und als aus ihrer Mitte vo» ....T"-" nigen Jahren an Oberst d’Engremont der Ruf ergina, ihr seine Kraft zu iveiheii, als ihr Vertreter sich in den Pariser Gemeinderath wählen zu las sen, da hätte Oberst d’Engreinont sei ne heiligstr Pflicht verrathen müssen, wenn er einein solchen Rufe nicht Fol ac geleistet. Mochten ihn die Gegner auch mit Koth hespritzem mochten sie von ihm in ihre Schandpresse drucken, daß ihn nur der Miissiggangg ja die Eitelkeit zu der Ueberriahine desMan dats veranlaßte, mochten sie ihm so gar infolge einer von ihm gehaltenen Nede, bei der er das Unglück gehabt hatte, stecken zu bleiben — mochten sie ihn deshalb selbst der Lächerlichleit preiszugeben versuchen, gleichviel! Oberst d’Engremant hatte einen Po sten zu vertheidigm Ein französischer Soldat vertheidigt ihn oder er stirbt daraus. leg war nicht das erstemal, das-, Oberst d’Engremont den Jntriguen seiner Gegner Stand zu halten hatte. Wäre es nach Recht und Gerechtigkeit gegangen, so war Oberst d’Engremont heut’ noch im Dienst und er brauchte nicht diese traurigen, sarblosen Tit-il tleider zu tra en. Dann war er auch nicht blos O erst —- man hatte ihm ohnehin diesen Titel ja nur aus Gna de und Barmherzi teit gegeben, zum Trost siir seine erabschiedung — sondern er war General, er hatte ein Lords. Aber im Ministerium des Krieges trat wieder ein neuer Mann an die Spitze; dieser Mann hatte aus ihnen eine Pique, wenn auch Niemand die Ursache davon tannte — Maior d’Engremont wurde beschuldigt, bei einem Maniiver einen unentschuldba ren Fehler gemacht zu haben; es war der Vormund, unter dem man ihm den Abschied ertheilte. Daß er vom deutschen Feldzuge her, wo er noch als junger Kapitiin vor seiner Schwadron in acht Schlachten mitgesochten hatte, unter seinem weißen Haar einen preu ßischen Säbelhieb zum Andenken be halten hatte, das hatte man in diesem Ministerium nicht weiter in Rücksicht gezogen. Jntriganten, Verrat r überall! Schon sich selbst gegenii er hatte Oberst Engremont die heilige Pflicht, dem Verrath, woher er auch lam, umgeben von seiner Partei, ent gegenzutretem Gortsetzung solgt.) ---.-.—.· Einen georgraphischen Spielplan verzeichseten türzlich in einer Woche die Berliner Theater. Das Schauspiel haus gab: »Die Verschwörmig des Fiesko zuGcnua". Das neue iönigliche Operatheatcr: »Der Barbier von . S c- v i l l a«. Tas Deutsche Theater: »Der Meister von . P T l m I) r a«. Das Berliner Theater: » «" -’ . . . . Pariser Nris’«. . Das Neue Theater . »Lieferl vom . . . . Schlierfee«. ; Das Belleallianke-Theater: L »Die Mühte im . Schwur wald«. Das Schiller-Theater in drei orftelluns gen hinter einayden »Die üdin von . . . Toledo«. »O nagst-:- von Orceanic »Der nyonVenedi ". Da mußte sich die Kritik wahrschein lich ein Rundreifebillet Laufen.