Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 31, 1901, Sonntags-Blatt, Image 16
Yag Bild im cAuge Roman von F. Arnefeldt. T- ÆWM - ---- (3. Fortsetzung) Das junge Mädchen, defsen frisches Gesicht sehr bleich aus den schwarzen Kleidern hervorsah und dessen Augen vom Weinen dick verschwollen waren. riß sie weit auf und schrie dann: »Das . ift ja der Herr, der öfter zu HerrnAhr weiter gekommen ist.« «Also Du erkennst ihn auch; ja, ja. I das ist der Herr, den ich erst noch vor vierzehn Tagen bei Herrn Ahrweilerl Wehen habe,« stimmte Frau Köhne i. «Woher haben Sie das Bild, Herr Doktor?« fragte sie zum zweiten ate. Der Doktor Beutler antwortete wie der nicht, sondern forfchte lebhaft: »Wer ift es? Wie heißt er?«' »Das weiß ich. nicht, Herr Doktor-· »Er war ein Freund vom Herrn und im letzten Jahre beinahe der Einzige, »der zu ihm gekommen ist; aber wie er beißt, was er ift und wo er wohnt, MS habe ich nie erfahren.« »Und das eben muß man wissen, es ift von höchster Wichtigkeit,« rief Beut ler und fügte im Vollbewußtsein der von ihm gemachten, hochbedeutsamen Entdeckung recht unvorsichtig hinzu: »Er und kein Anderer ist der Mörder des armen Ahrweiler.« »Der?« Ipu Köhne schlug die Hände zusamtnem »Wer hätte denn das denken sollen?« »Ich, Mutter, ich,« fiel ihr Marie in's Wort. .Hab’ mir gleich gedacht, daß es der fr·ernde Herr fein muß.'« Des Mädchens hatte sich Plötzlich eine seltene Lebhaftigekit bemächtigt. die Augen schienen Glanz, die Wangen Farbe zu bekommen. Vater und Bruder betrachteten sie mit Verwunderung, und der Letztere jagte: »Was haft Du denn, Marie?« Es sieht ja beinahe aus, als freutest VII-Dicht »Yag ryue ich auch," erwiderte ne mit altgewohnter Keckheit, »daß der Mörder gefunden ist und dafz nicht etwa noch Andere, unschuldige Men schen, in Verdacht tomrnen.« »Soweit sind wir noch nicht,« sagte der Vater hüstelnd, und Wilhelm mahnte eindringlich: »Man muß da doch sehr vorsichtig fein. Der Herr Doktor ——« Erbrach mitten im Satz ab, denn Bettler, an den er das Wort richtete, hatte sich schnell entfernt, soeben schlug die Hausthür hinter Ihm zu. »Es ist die höchste Zeit, daß wir nns auf den Weg machen,« sagte Wil helm zu den Seinigen; »alles Andere wird sich später finden, aber ich rathe Euch, seid vorsichtig.« — Dottor Beutler lief, so schnell ihn seine Füße trugen, von der Uhland .strasze nach der Berlinerftraße zu Dot tor Mllller; er war dem alten Herrn doch zunächst einen Bericht über das Ergebniß der Untersuchung schuldig. Der Kreisphysitus stand im Bei griff, in den vor der Thür harrenden Wagen zu steigen, der ihn nach dem Kirchhof zum Begräbnis bringen soll te. Er forderte Doktor Beutler auf· mit ihm zu fahren, wozu dieser sich auch sogleich bereit erklärte. Unterwegs Veigte er dem Collegen die Photogra phie, die dessen höchstes Staunen er regte, und die Herren beriethen, ob sie i dem Gericht von der seltsamen Ent deckung Mittheilung machen sollten. Beutler verlangte es stürmisch, der Mhtzsikus war bedenklich, sagte aber endlich: »Es sei. Ich habe mir zwar einen Uebergriff erlaubt und muß die Strafe dafür auf mich nehmen, aber ich sehe ein, verschweigen darf man die Sache nicht.« Als die beiden Aerzte auf dem neuen Duisenkirchhof am Fürstenbrunner Leg in Charlottenburg eintrasen, war dort eine große Menschenmenge ver sammelt, doch waren es in der Mehr l Reugierige, die sich eingefunden tim, um dem Begräbnis des unter !- riithselhaften Umständen Ermorde n zuzuschauen; von eigentlich Leid iragenden, selbst im weitesten Sinne muten, war nur ein mäßiges ’"nslein zur Stelle. Fast ganz vergraben unter schwar sen Wollensioff und Krepp, die Gesich ter mit dichten Schleiern verhüllt, wa Mdie Schwestern des Verstorbenen, die Frau Major Deppner und die grau Regierungsrath Kanze, letztere Begleitung ihrer ebenfalls tiefe Itauer tragenden Tochter Charlotte sind ihres Sohnes, eines Assefsors, er Mem dessen flottes Wesen selbst die ernk Mifelrlie schien, die an Mmen er nte «·r angemessen er M hatte. " · Hauf-rann lgener mit seinen bei , Des Söhne-, ietor und EmiL gleich " Muster-Um und seiner Tochter sit Ide, einein fchlanten Mädchen ich-braunem Haar und beru « · Ungern waren ebenfalls « " . den cber ein wenig abgesondert — den W Verwandten und be ’theiligten sich nicht an der zwischen diesen leise, aber recht angelegentlich gesührten Unterhaltung. Fast gleichzeitig mit den beiden Aerzten trat die Familie Köhne in die Halle. Die Portiersrau sandte den Damen einen Gruß, in dem etwas Aengstliches, Fragendes lag und der von ihnen in gönnerhafter, herablas sendet Weise erwidert ward; wer sich aber Zeit zur Beobachtung genommen, der würde bemerkt haben, daß auch zwischen Wilhelm Kiihne und Mathil de Jlgener Blicke gewechselt wurden, die daraus schließen ließen, daß die jungen Leute sich hier nicht zum ersten Male begegneten. Jetzt erschien der bestellte Sänger chor, die Leichentriiger brachten den ge schlossenen, reich mit Blumen ge schmückten Sarg in die Halle und gleichzeitig damit traten noch zwei Herren ein, nach denen sich wie aus Verabredung alle Köpse wandten. Ein Rauschen und Flüstern ging durch die Versammlung und obwohl der Ge sang einsetzte, konnte man doch ver nehmen daß Marie Köhne ihrer Mut ter zurief: »Da ist er! Da ist er!" Aber nicht das junge Mädchen al lein war von ihrer Aufregung hinge rissen, auch Dr. Beutler vermochte sich schwer zu bemeistern. Einmal über das andere stieß er den Physikus an und sliisterte ihm zu: »Sehen Sie doch nur den länglichen Kopf, den spitzzik geschnittenen Bart, das müde Auge. Das ist unser Mann. College.« »Still! still!« suchte ihn Dr. Müller zu beschwichtigen »Stören Sie doch die Cercmonie nicht.« »Ich muß iyn ini Auge oeyairrnz sliisterte Beutler, schwieg aber doch denn der Gesang war verstummt, und der Prediger vorgetreten, der, bevor er die Leiche einsegnete, eine kurze, ergrei sende Rede hielt, die sich freilich mehr mit dem an dein Todten verübten Ver brechen als mit seiner Person beschäf tigte, denn wer batte Ahrweiler ge kannt? Wer wußte etwas besonderes aus seinem Leben zu sagen? Als der Geistliche mit dem Schluß gebet den Wunsch und die Zuversicht aus-sprach, daß auch diese in Dunkel gehüllte That an’s Licht kommen und ihre Sühne finden würde, ging eine eigenthiimliche Bewegung durch die sich dein Sarge zunächst besindlichenGrup pen; die Schwestern stießen einander an und sprachen leise mit der Borsier srau, die sich zu ihnen geschlichen hatte. die Aerzte sliisterten miteinander, und alle Blicke richteten sich aus den herrn mit dem Spitzbarn der ganz fassungsx los neben dein Sarge stand, hörbar schluchzte und sich schwer aus den Arm seines jüngeren Begleiters stütztr. »Es ist ein Jugendsreund, der Fa britbesitzer Dorn-wen aus Landeshut, der junge Mann ist dessen Sohn,« er zählte man sich, und Beutler, zu dessen Ohr die Erklärung auch gedrungen gar-, sügte hinzu: »Er ist der Mör r.« Dr. Müller drückte ihm erschrocken die Hand. »Um Gotteswillen, Col lege, lassen Sie dergleichen nicht laut werden, Sie können sich arg täuschen!« »Im Gegentheil, ich bin meiner Sa che selir sicher und halte es siir meine Pslicht, zu riden.« »Aber doch nicht hier.« »Ja eher, je besser. Man dars dem Schuldigen nicht Zeit lassen, dieFlucht zu ergreifen.« - »wenn er vlc Usncyl yalte, wuke et nicht zum Begräbniß gekommen.« »Wer weiß, was er darunter sucht; wir müssen ihkn zuvorlornmen.« Nach dem Schlußgebet des Geist lichen wurde der Sara aufgehoben, der Zug ordnete sich, die Gruft war bald erreicht, und nach ganz kurzer Zeit hatte der Schoosz der Erde aus « genommen, was sterblich an Kurt Ahrweiler ewesen war; dumpf pol- ! terten die chollen nach. ! Willibald Dornedden näherte sich« jeht der Frau Regierungsrath Kunze, um ihr sein Beileid auszusprechen, fand aber bei der Dame, die ihn sonst gern in ihrem Hause gesehen hatte, eine frostige Ausnahme; Charlotte, deren Blick er suchte, wandte sich ge flissentlich ab. und auch der Assessor verhielt sich steif und kalt. Was hatten diese Leute nur? Was bedeuteten die forschenden, seindseligen Blicke, die seinen Vater und ihn streif ten? Es hatte den Anschein, als wä ren sie zwei Geächtete. Wußte man in Berlin bereits, tvie es um seinen Vater stand? Wußte man, da? der srgkmmenbruch des einfi so set und i r stehenden Hau ses fast unvermeidlich war? Und gab die Welt dem Sinkenden bereits ihre Mi achtuna zu erkennenT » s war jedoch keine Zeit, sieh diesen Gedanken weiter hinzugeben. Karl Dornedden hielt sich nur mit Mühe noch aufrecht und rannte dein Sohne u: »Dein-ge mich fort, Willibald,» so schnell wie möglich, ich ertrag ej nicht mebr! Wär ich erst daheim! Und ich habe morgen noch so Schweres zu der richten!« Willibald athmete aus, all sie den Ausgang des Kirchhoses erreicht t ten, wo die Wagen warteten. Er ls dem Vater einsteigen, der sie beide zu riick nach Berlin und nach dem dotel in der Königgräserstraße brachte. too lSgornedden Wohnung genommen tte. Jhnen solgte ein geschlossener Wa gen, in dem zwei ties oerschteierte Da men saßen, die dem Begräbnis nur aus der Ferne zugeschaut hatten und von Niemand bemertt worden waren; auch er suhr der Hauptstadt zu. Dagegen schlug ein anderer Wagen den Weg nach dem Amtsgerichte ein. Jn ihm befanden sich die beiden Aerzte, die bei ihrem Eintritt sich hastig er kundigten, ob Herr Amtsrichter Ki lian nach anwesend sei. Als die Frage bejaht ward, seufzte Dr. Beutler aus tiesstem Herzen: »Gott sei Dant!« und schlug eilig den Weg nach dem ihm bezeichneten Amtszimmer des Richters ein. Langsamer und kopf schüttelnd folgte ihm der Kreisphysi tus. Amtsrichter Kilian, einer der jün geren Richter, der aber ebenso befähigt wie strebsam war, hatte heute einmal wieder lange über seine Geschäfts stunde gearbeitet und war im Begriff, die Amtstracht mit der Straßentlei dung zu vertauschen und sich zu ent fernen. Er war daher wenig erfreut, als ihm die beiden Aerzte noch gemel det wurden, seine Mienen erhellten sich jedoch, als sie ihm erklärten, daß sie wichtige Mittheilungen hinsichtlich der Ahrweilerschen Mordsache zu ma chen hätten. »Mittheilungen, Herr Amtsrichter, die Jhnen den Mörder sosort in die Hand geben! Sie brauchen nur zuzu greisen und Sie haben ihn!« siigte der enthusiastische Beutler hinzu und ließ sich auch nicht irre machen, als der be dächtige Müller ihn ermahnte: »Sachte, sachte, College, so scharf wollen wir doch nicht ins Zeug gehen«. Sich aus einen der Stiihle, die der Amtsrichter den Herren angeboten« niederlatsend, fuhr er mit seinem Lächeln fort: «3unächst habe ich Ih nen in uns Beiden zwei, ich will nicht Inn-n Nov-vorkos- tekgk das-b NOT-Osts ubertreter vorzustellenc »O, o, das wird so schlimm nicht sein!« lächelte der Amtsrichter artig, und der Kreiåphysitus erwiderte: «Dariibre mögen Sie selbst urtheilen, wenn Sie gehört, was wir Jhnen zu gestehen haben«. Auch Kilian und Dr. Beutler hat ten Platz genommen, und beide Aerzte erzählten nun abwechselnd dem immer erstaunter aushorchenden Amtsrichter, was sich begeben hatte, seit Dr. Mül ler die Leiche des unglccklichen Abr weiler unter dem Messer qehabt »Sie haben aus der Leiche ein Auge entfernt, ohne daß ich etwas davon bemerkt hätte!" ries Kilian. «Sie hatten die Blicke abgewendet!" erklärte Dr. Müller-. Der Amtsrichter s lug die Augen nieder und estand: »- a. ja, es wird mir recht s wer, dergleichen usu schauen, aber es soll mir eine tehre sein, ich werde künftig tein Auge da don verwenden. Doch bitte, erzählen Sie weiter«. Dr. Beutler hatte damit gewisser maßen sein Stichwort empfangen. Er setzte sich förmlich in Positur und hielt einen Vortrag, zunächst über die Bedeutung der Photographie im Atl gerneinen, sodann über die Wichtigkeit, die sie siir die Krirninalistit bereits besitze und noch erhalten könne, wenn man sie, wie es in seiner Absicht liege, weiter ausbilde, daran anschließend seste er alsdann die Gesetze auseinani der, aus denen sein Experiment mit dern Auge beruhe, wie er dies schon bei dem Physitus get-han II—1-—:«f-A-— Q:l:-- c--A4- —-k--—-—lis UUILVIIWOIL CBIIIUII Hulsk llthlllluls versucht, seinen Bedenken und Ein wänden Ausdruck zu geben« Dr. Beut ler hatte sich aber nicht unterbrechen lassen, und endlich hatte er darein ge sunden und hörte schweigend zu. Die sehr dramatische · S tlderuna des Experiment-«- nahm eine Ausmerti samteit und sein Interesse im vollsten Maße in Ansprn . »Und Sie haben wirklich ein Bild erlangt?« fragte er endlich. , »Mehr als das, ich habe auch schon das Original zu diesem Bilde gesun den!" antwortete Beutler, sich In die Brust werfend, und reichte ihm einen Abzug des aus dem Au e gewonne nen opses hin. »Der ann, den diese Photographie darstellt, ist soeben aus dem Kirchhofe gewesen«. Kilian sprang aus. »Das ist nicht möglich! Sie täuschen sich, meine Her ren.« rief er, abwechselnd die Photo graphie und die Aerzte betrachtend. »Nein, nein!« entgegnete Beutler mit der größten Bestimmtheit »Frau Löhne, die Portierösrau in der Uh landstraße, und ihre Tochter haben die Photographie schon vorher ais die des herrn erkannt, der einzig und allein » von Zeit zu Zeit zu Herrn Ahrweiler gekommen ist«. »Und auch Sie haben ihn aus dem Kirchhof gesehen?« wandte sich der Amtsrichter noch immer zweifelnd an Dr. Müller Dieser neigte be’ahend das Haupt. »Das hat mich betimmt, herzt-kom men und Zeuatni abzulegen«, sagte er mit einem Seu zer. »Aber wer ist der Manni« »Der Fabritbesißer Dornedden aus » Landeshut«, berichtete Beutler. »Er-— »Dornedden! Dornedden aus Lan deshut sagen Stet« unterbrach ihn der Amtjrichter aussahrend, und beide Amte sra ten wie aus ienem Munde: »Herr-ten ie den Mann?« »Pers3nttch nicht«, entgegnete Ki lian, »ez ift rnir aber, da ich mit der Untersuchung des Falles betraut bin« angezeigt worden, es sei heute Bor mrttag an Gerichtöstelle ein Fabrikhe siher Dornedden aus Landeshut in Schlesien·erschienen, der sich im Besitze des Einlieferungsscheines eines von dem Rentier Kurt Ahrweiler errichte ten und beim Amtsgericht Charlotten burg niedergelegten Testamenteö be findet. Er hat die Eröffnung und Publizirung des Testamentes ver langt, und diese foll morgen Vormit tag in Gegenwart der Verwandten des Verstorbenen stattfinden. Dornedden. der mit dem Inhalt des Testamentes genau bekannt zu fein scheint, hat angegeben, daß sie fämmtlich darin bedacht sind, also zu dessen Eröffnung ein uladen sind«. . - ie drei Herren sahen sich betroffen an. »Sie werden der Eröffnung bei wohnen. Herr Amtsrichter«« fragte der Kreisphysitus. »Das werde ich in meiner Eigen schaft als Untersuchungsrichteh ich werde sogar den Kriminaltommissiir Müseler auffotdern, sich unter einem Vorwande ebenfalls einzufindem er ift bei der ersten Besichtigung am Thatorte gegenwärtig gewesen und ein tüchtiger und sehr befonnener Mann«. »Wo wird die Eröffnung des Testa mentes stattfinden?« erkundigte sich Dr. Buteler. »Hier auf dem Amtsgericht«, war die ntwort. l,.l,1nd ist die Wohnung noch versie ge t-« »Ja, obwohl die Geschwister schon einen Höllenlärm deswegen geschlagen haben. Sie konnte nicht eher entsiei gelt werden, bis sich herausgestellt hatte, ob ein Testament des Verstor benen vorhanden sei· Nun wird dies morgen sogleich nach der Eröffnung des Testamentes geschehen. Sie stel len mir den Abzug der Photographie zur Verfügung?« schloß er und legte das Blatt in fein Taschenbuch »Ich werde mich bemühen, Ihnen noch einen tlareren Abzug zu machen«, entgegnete Beutler, dann empfohlen sich die beiden Herren. · Amtsrichter Kilian folgte ihnen sehr nachdenklich. In dem Amtszimmer des Amtsge- « richtsraths Dr. Frohberg war ein Theil der Trauergefellfchaft, die am Tage zuvor auf demLuisenlirchhof am Fürstenbrunnerweg der Beisetzung Ahrweiler’s beigewohnt hatte, ver samelt. Die Schwestern, Nichten und Neffen des Verstorbenen und sein Schwager Jlgener waren der an sie er gangenen Aufforderung gefolgt, fer ner hatten sich Karl Dornedden und dessen Sohn Willihald eingefunden. Sie umgaben sitzend und stehend den Tisch, an detn der Richter und sein Schreiber Platz genommen hatten. Amtsrichter Kilian und Kriminal lomrnissiir Müseler waren ebenfalls anwesend, hatten sich jedoch etwas ab seits von den Uebrigen niedergelassen. Die zwar fliifternd geführte, aber sehr lebhafte Unterhaltung verstumm te und machte einem tiefen, erwar tungsvollen Schweigen Platz, als Amtsgerichtsrath Dr. Frohberg die Siegel des großen Couverts, auf dem die Aufschrift: »Let3ter Wille von Kurt Ahrtveiler« in großen Zügen zu lefen war, zuerst auf ihre Unverfehrtheit prüfte und alsdann aufschnitt. Er entfaltete den darin enthaltenen Bo gen, machte eine kurze Paufe und las dann den Jnhalt laut vor. Allgemeines Staunen bemächtigte sich der ganzensuhörerfchaft, als Kurt Ahrtveiler nach kurzen einleitenden Worten erklärte, das Glück habe ihn bei feinen Unternehmungen in Süd amerita hervorragend begünstigt, und er fei im Besih eines Vermögens von eirea sieben Millionen Mart nach Europa zurückgekehrt, das in seinem eisernen Schrank in sicheren Papieren. hypotheten und anderen Besitztiteln aufbewahrt sei und unmittelbar nach der Publicirung des Teftamentes den Erben ausgeliefert werden tönne. Ein Ferseichnifz der Werthftiicke fei beige iigt. IIMCI«-o;X-OLI«4II CI- Ivnsfsskes - »....-,,....,.-....., .». »-»,---,, hielt dieses Verzeichniß in die Höhe und las weiter: »Hu meinem Univer salerben ernenne ich meinen Jugend sreund, den Fabrilbesitzer Karl Dor nedden in Landeshut, jedoch —« Er konnte nicht weiter lesen, ein lauter, schriller Zornesschrei ais verschiedenen männlichen und weiblichen Kehlen un terbrach ihn. . Man vernahm ganz deutlich die Worte:- »Jnfamie!« »Gemeine Erb schleichereil« »Er muß bei Abfassung dieses Testamentes nicht bei gesunden Sinnen gewesen seini« »Wir werden uns das nicht gefallen lassen!« »Wir greifen das Testament anl« Auf Karl Dornedden, der in dem allgemeinen Sturm auffallend ruhig neben seinem gleichfalls hocherregten Sohne saß, richtete sich jetzt mancher Blick mit dem Ausdruck des Zornes, der Verachtung und des Neides· Auch der Untersuchungsrichter Ki lian und der Kriminallommissiir sa hen einander mit Augen an, in denen sich nicht gerade Wohlwollen sitt den bevorzugten Erben ausdrückte. Der Amtsgerichtsrath bat sich in sehr energischer Weise Ruhe aus und fuhr, nachdem diese endlich eingetreten, fort: »Jetzt-ich liegt es nicht in meiner Absicht, daß meine Schwestern und deren Kinder, die sich schon lange Rech nung auf meine Erbschaft gemacht, leer ausgehen sollen. Jch will indeß nicht, daß etwas von meinen Sachen an sie kommen soll und untersage mei nem Universalerben ausdrücklich, ihnen auch nur ein Stiict davon zu scheuten; dagegen sind von meiner Hinterlassenschast zwei Millionen Mart abzuzweigen. Davon fällt eine Million meinem Schwager. dem Kaus mann Jlgener und dessen drei Kin detn Viktor, Ernil unb Mathilbe zu, in die andere Million haben sich meine beiden Schwes - »n, Frau MajorDepp net und Frau Regierungsrath Kanze. sowie die beiden Kinder der Letzte-ten zu ganz gleichen Summen zu theilen." Wieder wollte Unruhe ausbrechen, aber ein Blick des Amtsgerichtsraths hielt die Störenfriede im Zaum, und er konnte seine Vorlesung des- nur noch wenige Zeilen enthaltenden Schriftstiickes beenden. ,,Legate,« so lauiete es, »vermache ich nicht, mein Universalerbe wird, darauf kenne ich ihn, schon mit frei gebiger Hand Jedem austheilen, was ihm zutommtz auf eins will ich ihn aber ausmertsam machen: Frau Köhne und ihre Tochter Marie braucht er nicht zu bedenken. Sie haben mich zwar gut bedient, das junge Mädchen hat es aber stets mit sichtlichem Wider willen gethan, und die Mutter hat sich reichlich bezahlt zu machen gewußt. Jch habe mich nie darüber bellagt. weil ich in meiner Ruhe und Beha - lichteit nicht gestört sein wollte, sehe aber teine Veranlassung, die Leute noch nach meinem Tode zu belohnen.« Ueber Dorneddews bleiches Gesicht flog eine flüchtige Rothe, er schien be schämt über die Kleinlichteit seines Freundes. — Die Uebrigen lächelten theils spöt tisch, theils mißbilligend; Ahrweiler’s nachträglicher Rachealt hatte einen schlechten Eindruck gemacht, und die Majorin sliisterte ihrer Schwester zu: »Das ist wieder der ganze Kurt, der die Faust in der Tasche macht, —'« »Sich nichts getraute, wenn die Leute ihm gegenüber standen, und sich los riß, wenn er weit vom Schusse war,« so verdollstiindigte die Mithin die Charakteristik ihres verstorbenen Bruders-. »So hat er es mit uns auch gemacht; hätte er beim Vorlesen seines Testamenteö zugegen sein müssen, so würde er uns nicht samitgespielt ha den-« »Diesem Erbschleicher das ganze Vermögen in den Rachen zu wersen und uns mit einem Bettel abzuspei sen!« zischte die Majorin wüthend hervor, »aber ich lasse mir’s nicht ge fallen, ich greife das Testarmnt an.« »Wer weiß, ob das nöthig ist, oh man's nicht noch aus andere Weise machen tann," ftiisterte mit einem sehr gSehäsfigen Blick aus Dornedden die S.chwester Die beiden Damen hatten während ihres Zwiegespräches nicht aus den weiteren Jnhalt des Testamentes ge achtet. Es enthielt nur noch die eben falls eigenthiimliche Bestimmung, daß derjenige Richter, der das Testament publizire, Testamentsvollstrecker sein solle, und es war ihm eine ganz an sehnliche Gratifikation dasiir ausge setzt. Amtsgerichtsrath Dr. Frohberg er klärte ohne Zögern, daß er das Amt annehme und bestellte sämmtliche Er ben siir eine Nachmittagsstunde nach der Wohnung des Verstorbenen, weil er in ihrer Gegenwart den eisernen Schrank öffnen und die Werthpapiere herausnehmen wolle; er stieß aber aus zweisachen Widerstand. Assessor Kunze ertliirte in seinem Namen und in dem seiner Mutter und Schwester, daß sie das Testament an zugreisen gedachten. umwuin stillem, vck sich aus sel- · ner Ecke erhoben hatte und näher ge treten war, verkündete, er werde sich der Auszahlung des Kapitals wider setzen, so lange die Untersuchung nicht abgeschlossen sei. Dagegen sei er da mit einverstanden, dasz der eiserne Schrant geöffnet und festgestellt wer de, ob die in dem Berzeichniß aufge fiihrten Werthsiiicke sich voll darin be fänden. Dem stimmte auch Assessor Kunze unter nochmaligeixi Proteste gegen das Testament zu, und es ward nun die Stunde verabredet, zu welcher man sich am Nachmittag in der Wohnung des Verstorbenen zusammensiiiden wollte. »Müseler, halten Sie ein wachsanieö Auge auf den älteren Dornedden,« » sagte Amtorichter Kilian zu dein Kri minaltommissiir, dein er den Abzug - der von Dr. Beutler gemachten Pho tographie gezeigt hatte. »Es ist lein Zweifel, die Photographie stellt ihn dar.« « Miiseler toie te bedächtig den Kopf »Das soll gewi geschehen, herrAints richter, aber so ganz sicher dürfen ivir doch nicht sein, maii loniite sich da arg täuschen und andere Fährten aus den Augen lassen.« ,,Haben Sie solche?« fragte Kiliau schnell. »Das grade nicht,'« antwortete der Kommissar ausweichend, «inan muß aber doch annehmen, daß sich solche sinden.« Der Amtorichter uckte die Achseln und sagte dann wo lwollend: »Nein, iii dieser Beziehung sann man sich aus Sie verlassen. Die Photographie ist «etzl nicht mehr der einzige Ver daiåtsgrund gegen Dornedden, das Te ament kommt hinzu; es ertläri, M weshalb nichts geraubt ist; der Mör der konnte ei bequemer haben.« »Das ist schon richtig, aber der Fa brilbesiKr ist doch der Freund des Berstat nen und ein angesehener, vermögender Mann.'« nLetzteres ist er nichi!« fiel Kilian lebhaft ein, »er soll fich in großenZah lungischwierigleiten befinden, ich habe bereits Erlundtgunaen eingezo gen und bitte Sie, diese fortzufesenf Auch hierzu erlliirte Miiseler eine Bereitwilligteit. Der Amtsrichter hatte aber den Eindruck, als ob es dem Criminal commissar an dem rechten Eifer ge dräche, und nahm sich vor, ihm den Fall nicht allein zu überlassen. Während in dies-er Weise iiber Dorneddens Haupt ich das Ungewit ter zusammen-An hatte dieser auf der Fahrt von C arlottenburg nach Ber lin eine ernste Unterredung mit sei nem Sohne, der, sobald er sich mit ihm allein fah, seine Hand ergriff und recht aus tie ster Seele sagte: »Gott sei Dank, Vater, nun haben Sorgen und Noth ein Ende!« Dornedden, der in tiefstes Nachden len oerfunlen gewesen war, fuhr er schrocken auf, ftierte den Sohn mit hohlen, Zanzlosen Augen an und agre: ,, ie meinst Du das?«' »Nun Du soviel geerbt hatst, lösen sich Deine Zahlungsfchwierigleiten wie Nebel vor der Sonne,«' sagte Wil libald lächelnd, aber der Vater machte eine heftige abioehrende Bewegung; diese nach feiner Weise deutend, fügte der Sohn lächelnd hinzu: »Nun. wenn. sich auch die Aitgzahlung verzö glerh es genügt, daß Dir das Geld in usstcht steht, Du wirst unbegrenzten Kredit haben —« »Nein, nein.« unterbrach ihn der Vater, dessen ohnehin bleiche-Z Gesicht noch viel tiefer erblaßt war. »Rede mir nicht von diesem Gelde!« »Aber Vater —-" »Schweige! Nicht ein Pfennig darf davon angeruqu wert-en· »Aber Vater, es ist doch Dein Ei genthiini!« »Laß mich! Laß mich!« wehllagte Dornedden und wand sich im Wagen, als ob er törperliche Schmerzen habe. »Und wenn das Geld vor mir läge, ich könnte es nicht nehmen, ich dürfte es nicht!« »Vater, ich verstehe Dich nicht!« rief Willibald »Ich lann Dir jedt nichts ertliiren, später, spiiter,u stiesz der alte Dorned den gequält hervor, »wirst Du viel leicht Alles erfahren.« Der Wagen hielt vor dein HoteL in welchem der Fabritbesitzer abgestiegen war. Willibald mußte den Vater verlas sen, da er sich unbedingt noch fiir ei nige Stunden nach seinem Geschäfts lolal zu begeben hatte; aber der Kopf war ihm wüst und das Ferz zeutnera schwer. Es war ihm ni t entgangen daß man seinen Vater mit Blicken verfolgt hatte, die mehr ausdrückten, als Neid über die Erbschaft; daß man ihnen eiskalt, ja verächtlich begegnet war, itnd er hatte sogar Worte der nominen, die auf einen furchtbaren Verdacht hindeuteten. Was aber das Schlimmste war, das Benehmen sei nes Vaters erfüllte ihn mit einer na menlosen Angst. Er trug sich mit einem Geheimnifz. War es möglich, daß der unglückliche Mann in seiner Verzweiflung sich zu einer grausigen That hatte hinreißen lassen? Weit, weit schleuderte Willibald so Entsehliches von sich und schalt sich einen Elenden, Undantbaren, aber es troch immer wieder heran, umrin elte ihn wie eineSchlan e iind drohte ihn wahnsinnig zu ina en· Jn einer unbeschreiblich traurigen Stimmung begab sich Willibald Dor nedden am Nachmittag nach der Uhlandstraße, wo er seinen Vater schon traf und wo sich recht pünktlich Alle einfanden, die an der Eröffnuna des eisernen Schranteö ein Interesse zu haben glaubten. Es worein tiarer, sonniaer Tag. wie der Dezember solchen nur aus nahmsweise zu bringen pflegt, und in der Wohnung des Verstorbenen glänz ten und gteißten die dort angesammel ten schönen und kostbaren Dinge im Scheine der sich bereits zum frühen Untergange neigenden Sonne. Es war Alles wieder sehr ordentlich hergerichtet, und Frau Löhne, die mit gespannten Mienen und vom Weinen gerötheten Augenlidern einherging, er tliirte den Verwandten des Verstorbe nen recht gaibungsoolh sie werde bis zu Ende i re Schuldigkeii thun, wenn ihr auch recht arg mitgespielt fei und sie die ihr von Herrn Ahrtoeiler zu Theil gewordene Behandlung nicht verdient habe. Sie wisse aber,bei wem sie sich dafiir zu bedanten habe und es sei noch nicht aller Tage Abend. Durch wen sie schon erfahren hatte, daß sie im Testament nicht mit einein Legat bedacht sei und wie Ahrweiler sich über ssie ausgesprochen hatte, blieb ihr Ge heimnis, genug, sie wußte es und war in hohem Grade aufgebracht darüber. Wunderlicherweise richtete sich der Zorn der Portiersfrau aber weniger gegen den Todten, als gegen Daneb den, der ihr auch nicht ein kleines Vermachtnisz ge önnt und seinen Freund zu dean handlungsweise veranlaßt hatte. Gegen« Mann und Kinder hatte sie ihn ganz unverblümt befchuldigt, den herrn ermordet zu ha ben, um sich schleunigst in den Besitz der großen Erbschaft zu sehen, und die Tochter hatte ihr eifrig beigestiinmt. Gortsehung folgt.) M Eine Unze Schmeichelei reicht oft - weiter als ein Pfund von Sympathie.