Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 31, 1901, Sonntags-Blatt, Image 16

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    Yag Bild im cAuge
Roman von F. Arnefeldt.
T- ÆWM - ----
(3. Fortsetzung)
Das junge Mädchen, defsen frisches
Gesicht sehr bleich aus den schwarzen
Kleidern hervorsah und dessen Augen
vom Weinen dick verschwollen waren.
riß sie weit auf und schrie dann: »Das .
ift ja der Herr, der öfter zu HerrnAhr
weiter gekommen ist.«
«Also Du erkennst ihn auch; ja, ja. I
das ist der Herr, den ich erst noch vor
vierzehn Tagen bei Herrn Ahrweilerl
Wehen habe,« stimmte Frau Köhne
i. «Woher haben Sie das Bild,
Herr Doktor?« fragte sie zum zweiten
ate.
Der Doktor Beutler antwortete wie
der nicht, sondern forfchte lebhaft:
»Wer ift es? Wie heißt er?«'
»Das weiß ich. nicht, Herr Doktor-·
»Er war ein Freund vom Herrn und
im letzten Jahre beinahe der Einzige,
»der zu ihm gekommen ist; aber wie er
beißt, was er ift und wo er wohnt,
MS habe ich nie erfahren.«
»Und das eben muß man wissen, es
ift von höchster Wichtigkeit,« rief Beut
ler und fügte im Vollbewußtsein der
von ihm gemachten, hochbedeutsamen
Entdeckung recht unvorsichtig hinzu:
»Er und kein Anderer ist der Mörder
des armen Ahrweiler.«
»Der?« Ipu Köhne schlug die
Hände zusamtnem »Wer hätte denn
das denken sollen?«
»Ich, Mutter, ich,« fiel ihr Marie
in's Wort. .Hab’ mir gleich gedacht,
daß es der fr·ernde Herr fein muß.'«
Des Mädchens hatte sich Plötzlich
eine seltene Lebhaftigekit bemächtigt.
die Augen schienen Glanz, die Wangen
Farbe zu bekommen.
Vater und Bruder betrachteten sie
mit Verwunderung, und der Letztere
jagte: »Was haft Du denn, Marie?«
Es sieht ja beinahe aus, als freutest
VII-Dicht
»Yag ryue ich auch," erwiderte ne
mit altgewohnter Keckheit, »daß der
Mörder gefunden ist und dafz nicht
etwa noch Andere, unschuldige Men
schen, in Verdacht tomrnen.«
»Soweit sind wir noch nicht,« sagte
der Vater hüstelnd, und Wilhelm
mahnte eindringlich: »Man muß da
doch sehr vorsichtig fein. Der Herr
Doktor ——«
Erbrach mitten im Satz ab, denn
Bettler, an den er das Wort richtete,
hatte sich schnell entfernt, soeben schlug
die Hausthür hinter Ihm zu.
»Es ist die höchste Zeit, daß wir
nns auf den Weg machen,« sagte Wil
helm zu den Seinigen; »alles Andere
wird sich später finden, aber ich rathe
Euch, seid vorsichtig.« —
Dottor Beutler lief, so schnell ihn
seine Füße trugen, von der Uhland
.strasze nach der Berlinerftraße zu Dot
tor Mllller; er war dem alten Herrn
doch zunächst einen Bericht über das
Ergebniß der Untersuchung schuldig.
Der Kreisphysitus stand im Bei
griff, in den vor der Thür harrenden
Wagen zu steigen, der ihn nach dem
Kirchhof zum Begräbnis bringen soll
te. Er forderte Doktor Beutler auf·
mit ihm zu fahren, wozu dieser sich
auch sogleich bereit erklärte. Unterwegs
Veigte er dem Collegen die Photogra
phie, die dessen höchstes Staunen er
regte, und die Herren beriethen, ob sie i
dem Gericht von der seltsamen Ent
deckung Mittheilung machen sollten.
Beutler verlangte es stürmisch, der
Mhtzsikus war bedenklich, sagte aber
endlich: »Es sei. Ich habe mir zwar
einen Uebergriff erlaubt und muß die
Strafe dafür auf mich nehmen, aber
ich sehe ein, verschweigen darf man die
Sache nicht.«
Als die beiden Aerzte auf dem neuen
Duisenkirchhof am Fürstenbrunner
Leg in Charlottenburg eintrasen, war
dort eine große Menschenmenge ver
sammelt, doch waren es in der Mehr
l Reugierige, die sich eingefunden
tim, um dem Begräbnis des unter
!- riithselhaften Umständen Ermorde
n zuzuschauen; von eigentlich Leid
iragenden, selbst im weitesten Sinne
muten, war nur ein mäßiges
’"nslein zur Stelle.
Fast ganz vergraben unter schwar
sen Wollensioff und Krepp, die Gesich
ter mit dichten Schleiern verhüllt, wa
Mdie Schwestern des Verstorbenen,
die Frau Major Deppner und die
grau Regierungsrath Kanze, letztere
Begleitung ihrer ebenfalls tiefe
Itauer tragenden Tochter Charlotte
sind ihres Sohnes, eines Assefsors, er
Mem dessen flottes Wesen selbst
die ernk Mifelrlie schien, die an
Mmen er nte «·r angemessen er
M hatte.
" · Hauf-rann lgener mit seinen bei
, Des Söhne-, ietor und EmiL gleich
" Muster-Um und seiner Tochter
sit
Ide, einein fchlanten Mädchen
ich-braunem Haar und beru
« · Ungern waren ebenfalls
« " . den cber ein wenig abgesondert
— den W Verwandten und be
’theiligten sich nicht an der zwischen
diesen leise, aber recht angelegentlich
gesührten Unterhaltung.
Fast gleichzeitig mit den beiden
Aerzten trat die Familie Köhne in die
Halle. Die Portiersrau sandte den
Damen einen Gruß, in dem etwas
Aengstliches, Fragendes lag und der
von ihnen in gönnerhafter, herablas
sendet Weise erwidert ward; wer sich
aber Zeit zur Beobachtung genommen,
der würde bemerkt haben, daß auch
zwischen Wilhelm Kiihne und Mathil
de Jlgener Blicke gewechselt wurden,
die daraus schließen ließen, daß die
jungen Leute sich hier nicht zum ersten
Male begegneten.
Jetzt erschien der bestellte Sänger
chor, die Leichentriiger brachten den ge
schlossenen, reich mit Blumen ge
schmückten Sarg in die Halle und
gleichzeitig damit traten noch zwei
Herren ein, nach denen sich wie aus
Verabredung alle Köpse wandten. Ein
Rauschen und Flüstern ging durch die
Versammlung und obwohl der Ge
sang einsetzte, konnte man doch ver
nehmen daß Marie Köhne ihrer Mut
ter zurief:
»Da ist er! Da ist er!"
Aber nicht das junge Mädchen al
lein war von ihrer Aufregung hinge
rissen, auch Dr. Beutler vermochte sich
schwer zu bemeistern. Einmal über
das andere stieß er den Physikus an
und sliisterte ihm zu: »Sehen Sie doch
nur den länglichen Kopf, den spitzzik
geschnittenen Bart, das müde Auge.
Das ist unser Mann. College.«
»Still! still!« suchte ihn Dr. Müller
zu beschwichtigen »Stören Sie doch
die Cercmonie nicht.«
»Ich muß iyn ini Auge oeyairrnz
sliisterte Beutler, schwieg aber doch
denn der Gesang war verstummt, und
der Prediger vorgetreten, der, bevor er
die Leiche einsegnete, eine kurze, ergrei
sende Rede hielt, die sich freilich mehr
mit dem an dein Todten verübten Ver
brechen als mit seiner Person beschäf
tigte, denn wer batte Ahrweiler ge
kannt? Wer wußte etwas besonderes
aus seinem Leben zu sagen?
Als der Geistliche mit dem Schluß
gebet den Wunsch und die Zuversicht
aus-sprach, daß auch diese in Dunkel
gehüllte That an’s Licht kommen und
ihre Sühne finden würde, ging eine
eigenthiimliche Bewegung durch die sich
dein Sarge zunächst besindlichenGrup
pen; die Schwestern stießen einander
an und sprachen leise mit der Borsier
srau, die sich zu ihnen geschlichen hatte.
die Aerzte sliisterten miteinander, und
alle Blicke richteten sich aus den herrn
mit dem Spitzbarn der ganz fassungsx
los neben dein Sarge stand, hörbar
schluchzte und sich schwer aus den Arm
seines jüngeren Begleiters stütztr.
»Es ist ein Jugendsreund, der Fa
britbesitzer Dorn-wen aus Landeshut,
der junge Mann ist dessen Sohn,« er
zählte man sich, und Beutler, zu dessen
Ohr die Erklärung auch gedrungen
gar-, sügte hinzu: »Er ist der Mör
r.«
Dr. Müller drückte ihm erschrocken
die Hand. »Um Gotteswillen, Col
lege, lassen Sie dergleichen nicht laut
werden, Sie können sich arg täuschen!«
»Im Gegentheil, ich bin meiner Sa
che selir sicher und halte es siir meine
Pslicht, zu riden.«
»Aber doch nicht hier.«
»Ja eher, je besser. Man dars dem
Schuldigen nicht Zeit lassen, dieFlucht
zu ergreifen.« -
»wenn er vlc Usncyl yalte, wuke et
nicht zum Begräbniß gekommen.«
»Wer weiß, was er darunter sucht;
wir müssen ihkn zuvorlornmen.«
Nach dem Schlußgebet des Geist
lichen wurde der Sara aufgehoben,
der Zug ordnete sich, die Gruft war
bald erreicht, und nach ganz kurzer
Zeit hatte der Schoosz der Erde aus
« genommen, was sterblich an Kurt
Ahrweiler ewesen war; dumpf pol- !
terten die chollen nach. !
Willibald Dornedden näherte sich«
jeht der Frau Regierungsrath Kunze,
um ihr sein Beileid auszusprechen,
fand aber bei der Dame, die ihn sonst
gern in ihrem Hause gesehen hatte,
eine frostige Ausnahme; Charlotte,
deren Blick er suchte, wandte sich ge
flissentlich ab. und auch der Assessor
verhielt sich steif und kalt.
Was hatten diese Leute nur? Was
bedeuteten die forschenden, seindseligen
Blicke, die seinen Vater und ihn streif
ten? Es hatte den Anschein, als wä
ren sie zwei Geächtete.
Wußte man in Berlin bereits, tvie
es um seinen Vater stand? Wußte
man, da? der srgkmmenbruch des
einfi so set und i r stehenden Hau
ses fast unvermeidlich war? Und gab
die Welt dem Sinkenden bereits ihre
Mi achtuna zu erkennenT »
s war jedoch keine Zeit, sieh diesen
Gedanken weiter hinzugeben. Karl
Dornedden hielt sich nur mit Mühe
noch aufrecht und rannte dein Sohne
u: »Dein-ge mich fort, Willibald,» so
schnell wie möglich, ich ertrag ej nicht
mebr! Wär ich erst daheim! Und ich
habe morgen noch so Schweres zu der
richten!«
Willibald athmete aus, all sie den
Ausgang des Kirchhoses erreicht t
ten, wo die Wagen warteten. Er ls
dem Vater einsteigen, der sie beide zu
riick nach Berlin und nach dem dotel
in der Königgräserstraße brachte. too
lSgornedden Wohnung genommen
tte.
Jhnen solgte ein geschlossener Wa
gen, in dem zwei ties oerschteierte Da
men saßen, die dem Begräbnis nur
aus der Ferne zugeschaut hatten und
von Niemand bemertt worden waren;
auch er suhr der Hauptstadt zu.
Dagegen schlug ein anderer Wagen
den Weg nach dem Amtsgerichte ein.
Jn ihm befanden sich die beiden Aerzte,
die bei ihrem Eintritt sich hastig er
kundigten, ob Herr Amtsrichter Ki
lian nach anwesend sei. Als die Frage
bejaht ward, seufzte Dr. Beutler aus
tiesstem Herzen: »Gott sei Dant!«
und schlug eilig den Weg nach dem
ihm bezeichneten Amtszimmer des
Richters ein. Langsamer und kopf
schüttelnd folgte ihm der Kreisphysi
tus.
Amtsrichter Kilian, einer der jün
geren Richter, der aber ebenso befähigt
wie strebsam war, hatte heute einmal
wieder lange über seine Geschäfts
stunde gearbeitet und war im Begriff,
die Amtstracht mit der Straßentlei
dung zu vertauschen und sich zu ent
fernen. Er war daher wenig erfreut,
als ihm die beiden Aerzte noch gemel
det wurden, seine Mienen erhellten
sich jedoch, als sie ihm erklärten, daß
sie wichtige Mittheilungen hinsichtlich
der Ahrweilerschen Mordsache zu ma
chen hätten.
»Mittheilungen, Herr Amtsrichter,
die Jhnen den Mörder sosort in die
Hand geben! Sie brauchen nur zuzu
greisen und Sie haben ihn!« siigte der
enthusiastische Beutler hinzu und ließ
sich auch nicht irre machen, als der be
dächtige Müller ihn ermahnte:
»Sachte, sachte, College, so scharf
wollen wir doch nicht ins Zeug gehen«.
Sich aus einen der Stiihle, die der
Amtsrichter den Herren angeboten«
niederlatsend, fuhr er mit seinem
Lächeln fort: «3unächst habe ich Ih
nen in uns Beiden zwei, ich will nicht
Inn-n Nov-vorkos- tekgk das-b NOT-Osts
ubertreter vorzustellenc
»O, o, das wird so schlimm nicht
sein!« lächelte der Amtsrichter artig,
und der Kreiåphysitus erwiderte:
«Dariibre mögen Sie selbst urtheilen,
wenn Sie gehört, was wir Jhnen zu
gestehen haben«.
Auch Kilian und Dr. Beutler hat
ten Platz genommen, und beide Aerzte
erzählten nun abwechselnd dem immer
erstaunter aushorchenden Amtsrichter,
was sich begeben hatte, seit Dr. Mül
ler die Leiche des unglccklichen Abr
weiler unter dem Messer qehabt
»Sie haben aus der Leiche ein Auge
entfernt, ohne daß ich etwas davon
bemerkt hätte!" ries Kilian.
«Sie hatten die Blicke abgewendet!"
erklärte Dr. Müller-.
Der Amtsrichter s lug die Augen
nieder und estand: »- a. ja, es wird
mir recht s wer, dergleichen usu
schauen, aber es soll mir eine tehre
sein, ich werde künftig tein Auge da
don verwenden. Doch bitte, erzählen
Sie weiter«.
Dr. Beutler hatte damit gewisser
maßen sein Stichwort empfangen.
Er setzte sich förmlich in Positur und
hielt einen Vortrag, zunächst über die
Bedeutung der Photographie im Atl
gerneinen, sodann über die Wichtigkeit,
die sie siir die Krirninalistit bereits
besitze und noch erhalten könne, wenn
man sie, wie es in seiner Absicht liege,
weiter ausbilde, daran anschließend
seste er alsdann die Gesetze auseinani
der, aus denen sein Experiment mit
dern Auge beruhe, wie er dies schon
bei dem Physitus get-han
II—1-—:«f-A-— Q:l:-- c--A4- —-k--—-—lis
UUILVIIWOIL CBIIIUII Hulsk llthlllluls
versucht, seinen Bedenken und Ein
wänden Ausdruck zu geben« Dr. Beut
ler hatte sich aber nicht unterbrechen
lassen, und endlich hatte er darein ge
sunden und hörte schweigend zu. Die
sehr dramatische · S tlderuna des
Experiment-«- nahm eine Ausmerti
samteit und sein Interesse im vollsten
Maße in Ansprn . »Und Sie haben
wirklich ein Bild erlangt?« fragte er
endlich. ,
»Mehr als das, ich habe auch schon
das Original zu diesem Bilde gesun
den!" antwortete Beutler, sich In die
Brust werfend, und reichte ihm einen
Abzug des aus dem Au e gewonne
nen opses hin. »Der ann, den
diese Photographie darstellt, ist soeben
aus dem Kirchhofe gewesen«.
Kilian sprang aus. »Das ist nicht
möglich! Sie täuschen sich, meine Her
ren.« rief er, abwechselnd die Photo
graphie und die Aerzte betrachtend.
»Nein, nein!« entgegnete Beutler
mit der größten Bestimmtheit »Frau
Löhne, die Portierösrau in der Uh
landstraße, und ihre Tochter haben die
Photographie schon vorher ais die des
herrn erkannt, der einzig und allein
» von Zeit zu Zeit zu Herrn Ahrweiler
gekommen ist«.
»Und auch Sie haben ihn aus dem
Kirchhof gesehen?« wandte sich der
Amtsrichter noch immer zweifelnd an
Dr. Müller
Dieser neigte be’ahend das Haupt.
»Das hat mich betimmt, herzt-kom
men und Zeuatni abzulegen«, sagte
er mit einem Seu zer.
»Aber wer ist der Manni«
»Der Fabritbesißer Dornedden aus
» Landeshut«, berichtete Beutler. »Er-—
»Dornedden! Dornedden aus Lan
deshut sagen Stet« unterbrach ihn der
Amtjrichter aussahrend, und beide
Amte sra ten wie aus ienem Munde:
»Herr-ten ie den Mann?«
»Pers3nttch nicht«, entgegnete Ki
lian, »ez ift rnir aber, da ich mit der
Untersuchung des Falles betraut bin«
angezeigt worden, es sei heute Bor
mrttag an Gerichtöstelle ein Fabrikhe
siher Dornedden aus Landeshut in
Schlesien·erschienen, der sich im Besitze
des Einlieferungsscheines eines von
dem Rentier Kurt Ahrweiler errichte
ten und beim Amtsgericht Charlotten
burg niedergelegten Testamenteö be
findet. Er hat die Eröffnung und
Publizirung des Testamentes ver
langt, und diese foll morgen Vormit
tag in Gegenwart der Verwandten des
Verstorbenen stattfinden. Dornedden.
der mit dem Inhalt des Testamentes
genau bekannt zu fein scheint, hat
angegeben, daß sie fämmtlich darin
bedacht sind, also zu dessen Eröffnung
ein uladen sind«. .
- ie drei Herren sahen sich betroffen
an.
»Sie werden der Eröffnung bei
wohnen. Herr Amtsrichter«« fragte
der Kreisphysitus.
»Das werde ich in meiner Eigen
schaft als Untersuchungsrichteh ich
werde sogar den Kriminaltommissiir
Müseler auffotdern, sich unter einem
Vorwande ebenfalls einzufindem er
ift bei der ersten Besichtigung am
Thatorte gegenwärtig gewesen und
ein tüchtiger und sehr befonnener
Mann«.
»Wo wird die Eröffnung des Testa
mentes stattfinden?« erkundigte sich
Dr. Buteler.
»Hier auf dem Amtsgericht«, war
die ntwort.
l,.l,1nd ist die Wohnung noch versie
ge t-«
»Ja, obwohl die Geschwister schon
einen Höllenlärm deswegen geschlagen
haben. Sie konnte nicht eher entsiei
gelt werden, bis sich herausgestellt
hatte, ob ein Testament des Verstor
benen vorhanden sei· Nun wird dies
morgen sogleich nach der Eröffnung
des Testamentes geschehen. Sie stel
len mir den Abzug der Photographie
zur Verfügung?« schloß er und legte
das Blatt in fein Taschenbuch
»Ich werde mich bemühen, Ihnen
noch einen tlareren Abzug zu machen«,
entgegnete Beutler, dann empfohlen
sich die beiden Herren. ·
Amtsrichter Kilian folgte ihnen
sehr nachdenklich.
In dem Amtszimmer des Amtsge- «
richtsraths Dr. Frohberg war ein
Theil der Trauergefellfchaft, die am
Tage zuvor auf demLuisenlirchhof am
Fürstenbrunnerweg der Beisetzung
Ahrweiler’s beigewohnt hatte, ver
samelt. Die Schwestern, Nichten und
Neffen des Verstorbenen und sein
Schwager Jlgener waren der an sie er
gangenen Aufforderung gefolgt, fer
ner hatten sich Karl Dornedden und
dessen Sohn Willihald eingefunden.
Sie umgaben sitzend und stehend den
Tisch, an detn der Richter und sein
Schreiber Platz genommen hatten.
Amtsrichter Kilian und Kriminal
lomrnissiir Müseler waren ebenfalls
anwesend, hatten sich jedoch etwas ab
seits von den Uebrigen niedergelassen.
Die zwar fliifternd geführte, aber
sehr lebhafte Unterhaltung verstumm
te und machte einem tiefen, erwar
tungsvollen Schweigen Platz, als
Amtsgerichtsrath Dr. Frohberg die
Siegel des großen Couverts, auf dem
die Aufschrift: »Let3ter Wille von Kurt
Ahrtveiler« in großen Zügen zu lefen
war, zuerst auf ihre Unverfehrtheit
prüfte und alsdann aufschnitt. Er
entfaltete den darin enthaltenen Bo
gen, machte eine kurze Paufe und las
dann den Jnhalt laut vor.
Allgemeines Staunen bemächtigte
sich der ganzensuhörerfchaft, als Kurt
Ahrtveiler nach kurzen einleitenden
Worten erklärte, das Glück habe ihn
bei feinen Unternehmungen in Süd
amerita hervorragend begünstigt, und
er fei im Besih eines Vermögens von
eirea sieben Millionen Mart nach
Europa zurückgekehrt, das in seinem
eisernen Schrank in sicheren Papieren.
hypotheten und anderen Besitztiteln
aufbewahrt sei und unmittelbar nach
der Publicirung des Teftamentes den
Erben ausgeliefert werden tönne. Ein
Ferseichnifz der Werthftiicke fei beige
iigt.
IIMCI«-o;X-OLI«4II CI- Ivnsfsskes
- »....-,,....,.-....., .». »-»,---,,
hielt dieses Verzeichniß in die Höhe
und las weiter: »Hu meinem Univer
salerben ernenne ich meinen Jugend
sreund, den Fabrilbesitzer Karl Dor
nedden in Landeshut, jedoch —« Er
konnte nicht weiter lesen, ein lauter,
schriller Zornesschrei ais verschiedenen
männlichen und weiblichen Kehlen un
terbrach ihn. .
Man vernahm ganz deutlich die
Worte:- »Jnfamie!« »Gemeine Erb
schleichereil« »Er muß bei Abfassung
dieses Testamentes nicht bei gesunden
Sinnen gewesen seini« »Wir werden
uns das nicht gefallen lassen!« »Wir
greifen das Testament anl«
Auf Karl Dornedden, der in dem
allgemeinen Sturm auffallend ruhig
neben seinem gleichfalls hocherregten
Sohne saß, richtete sich jetzt mancher
Blick mit dem Ausdruck des Zornes,
der Verachtung und des Neides·
Auch der Untersuchungsrichter Ki
lian und der Kriminallommissiir sa
hen einander mit Augen an, in denen
sich nicht gerade Wohlwollen sitt den
bevorzugten Erben ausdrückte.
Der Amtsgerichtsrath bat sich in
sehr energischer Weise Ruhe aus und
fuhr, nachdem diese endlich eingetreten,
fort: »Jetzt-ich liegt es nicht in meiner
Absicht, daß meine Schwestern und
deren Kinder, die sich schon lange Rech
nung auf meine Erbschaft gemacht,
leer ausgehen sollen. Jch will indeß
nicht, daß etwas von meinen Sachen
an sie kommen soll und untersage mei
nem Universalerben ausdrücklich,
ihnen auch nur ein Stiict davon zu
scheuten; dagegen sind von meiner
Hinterlassenschast zwei Millionen
Mart abzuzweigen. Davon fällt eine
Million meinem Schwager. dem Kaus
mann Jlgener und dessen drei Kin
detn Viktor, Ernil unb Mathilbe zu,
in die andere Million haben sich meine
beiden Schwes - »n, Frau MajorDepp
net und Frau Regierungsrath Kanze.
sowie die beiden Kinder der Letzte-ten
zu ganz gleichen Summen zu theilen."
Wieder wollte Unruhe ausbrechen,
aber ein Blick des Amtsgerichtsraths
hielt die Störenfriede im Zaum, und
er konnte seine Vorlesung des- nur
noch wenige Zeilen enthaltenden
Schriftstiickes beenden.
,,Legate,« so lauiete es, »vermache
ich nicht, mein Universalerbe wird,
darauf kenne ich ihn, schon mit frei
gebiger Hand Jedem austheilen, was
ihm zutommtz auf eins will ich ihn
aber ausmertsam machen: Frau Köhne
und ihre Tochter Marie braucht er
nicht zu bedenken. Sie haben mich
zwar gut bedient, das junge Mädchen
hat es aber stets mit sichtlichem Wider
willen gethan, und die Mutter hat sich
reichlich bezahlt zu machen gewußt.
Jch habe mich nie darüber bellagt.
weil ich in meiner Ruhe und Beha -
lichteit nicht gestört sein wollte, sehe
aber teine Veranlassung, die Leute
noch nach meinem Tode zu belohnen.«
Ueber Dorneddews bleiches Gesicht
flog eine flüchtige Rothe, er schien be
schämt über die Kleinlichteit seines
Freundes.
—
Die Uebrigen lächelten theils spöt
tisch, theils mißbilligend; Ahrweiler’s
nachträglicher Rachealt hatte einen
schlechten Eindruck gemacht, und die
Majorin sliisterte ihrer Schwester zu:
»Das ist wieder der ganze Kurt, der
die Faust in der Tasche macht, —'«
»Sich nichts getraute, wenn die
Leute ihm gegenüber standen, und sich
los riß, wenn er weit vom Schusse
war,« so verdollstiindigte die Mithin
die Charakteristik ihres verstorbenen
Bruders-. »So hat er es mit uns auch
gemacht; hätte er beim Vorlesen seines
Testamenteö zugegen sein müssen, so
würde er uns nicht samitgespielt ha
den-«
»Diesem Erbschleicher das ganze
Vermögen in den Rachen zu wersen
und uns mit einem Bettel abzuspei
sen!« zischte die Majorin wüthend
hervor, »aber ich lasse mir’s nicht ge
fallen, ich greife das Testarmnt an.«
»Wer weiß, ob das nöthig ist, oh
man's nicht noch aus andere Weise
machen tann," ftiisterte mit einem sehr
gSehäsfigen Blick aus Dornedden die
S.chwester
Die beiden Damen hatten während
ihres Zwiegespräches nicht aus den
weiteren Jnhalt des Testamentes ge
achtet. Es enthielt nur noch die eben
falls eigenthiimliche Bestimmung, daß
derjenige Richter, der das Testament
publizire, Testamentsvollstrecker sein
solle, und es war ihm eine ganz an
sehnliche Gratifikation dasiir ausge
setzt.
Amtsgerichtsrath Dr. Frohberg er
klärte ohne Zögern, daß er das Amt
annehme und bestellte sämmtliche Er
ben siir eine Nachmittagsstunde nach
der Wohnung des Verstorbenen, weil
er in ihrer Gegenwart den eisernen
Schrank öffnen und die Werthpapiere
herausnehmen wolle; er stieß aber aus
zweisachen Widerstand.
Assessor Kunze ertliirte in seinem
Namen und in dem seiner Mutter und
Schwester, daß sie das Testament an
zugreisen gedachten.
umwuin stillem, vck sich aus sel- ·
ner Ecke erhoben hatte und näher ge
treten war, verkündete, er werde sich
der Auszahlung des Kapitals wider
setzen, so lange die Untersuchung nicht
abgeschlossen sei. Dagegen sei er da
mit einverstanden, dasz der eiserne
Schrant geöffnet und festgestellt wer
de, ob die in dem Berzeichniß aufge
fiihrten Werthsiiicke sich voll darin be
fänden.
Dem stimmte auch Assessor Kunze
unter nochmaligeixi Proteste gegen das
Testament zu, und es ward nun die
Stunde verabredet, zu welcher man
sich am Nachmittag in der Wohnung
des Verstorbenen zusammensiiiden
wollte.
»Müseler, halten Sie ein wachsanieö
Auge auf den älteren Dornedden,«
» sagte Amtorichter Kilian zu dein Kri
minaltommissiir, dein er den Abzug
- der von Dr. Beutler gemachten Pho
tographie gezeigt hatte. »Es ist lein
Zweifel, die Photographie stellt ihn
dar.« «
Miiseler toie te bedächtig den Kopf
»Das soll gewi geschehen, herrAints
richter, aber so ganz sicher dürfen ivir
doch nicht sein, maii loniite sich da arg
täuschen und andere Fährten aus den
Augen lassen.«
,,Haben Sie solche?« fragte Kiliau
schnell.
»Das grade nicht,'« antwortete der
Kommissar ausweichend, «inan muß
aber doch annehmen, daß sich solche
sinden.«
Der Amtorichter uckte die Achseln
und sagte dann wo lwollend: »Nein,
iii dieser Beziehung sann man sich
aus Sie verlassen. Die Photographie
ist «etzl nicht mehr der einzige Ver
daiåtsgrund gegen Dornedden, das
Te ament kommt hinzu; es ertläri,
M
weshalb nichts geraubt ist; der Mör
der konnte ei bequemer haben.«
»Das ist schon richtig, aber der Fa
brilbesiKr ist doch der Freund des
Berstat nen und ein angesehener,
vermögender Mann.'«
nLetzteres ist er nichi!« fiel Kilian
lebhaft ein, »er soll fich in großenZah
lungischwierigleiten befinden, ich
habe bereits Erlundtgunaen eingezo
gen und bitte Sie, diese fortzufesenf
Auch hierzu erlliirte Miiseler eine
Bereitwilligteit.
Der Amtsrichter hatte aber den
Eindruck, als ob es dem Criminal
commissar an dem rechten Eifer ge
dräche, und nahm sich vor, ihm den
Fall nicht allein zu überlassen.
Während in dies-er Weise iiber
Dorneddens Haupt ich das Ungewit
ter zusammen-An hatte dieser auf der
Fahrt von C arlottenburg nach Ber
lin eine ernste Unterredung mit sei
nem Sohne, der, sobald er sich mit
ihm allein fah, seine Hand ergriff
und recht aus tie ster Seele sagte:
»Gott sei Dank, Vater, nun haben
Sorgen und Noth ein Ende!«
Dornedden, der in tiefstes Nachden
len oerfunlen gewesen war, fuhr er
schrocken auf, ftierte den Sohn mit
hohlen, Zanzlosen Augen an und
agre: ,, ie meinst Du das?«'
»Nun Du soviel geerbt hatst, lösen
sich Deine Zahlungsfchwierigleiten
wie Nebel vor der Sonne,«' sagte Wil
libald lächelnd, aber der Vater machte
eine heftige abioehrende Bewegung;
diese nach feiner Weise deutend, fügte
der Sohn lächelnd hinzu: »Nun.
wenn. sich auch die Aitgzahlung verzö
glerh es genügt, daß Dir das Geld in
usstcht steht, Du wirst unbegrenzten
Kredit haben —«
»Nein, nein.« unterbrach ihn der
Vater, dessen ohnehin bleiche-Z Gesicht
noch viel tiefer erblaßt war. »Rede
mir nicht von diesem Gelde!«
»Aber Vater —-"
»Schweige! Nicht ein Pfennig
darf davon angeruqu wert-en·
»Aber Vater, es ist doch Dein Ei
genthiini!«
»Laß mich! Laß mich!« wehllagte
Dornedden und wand sich im Wagen,
als ob er törperliche Schmerzen habe.
»Und wenn das Geld vor mir
läge, ich könnte es nicht nehmen, ich
dürfte es nicht!«
»Vater, ich verstehe Dich nicht!«
rief Willibald
»Ich lann Dir jedt nichts ertliiren,
später, spiiter,u stiesz der alte Dorned
den gequält hervor, »wirst Du viel
leicht Alles erfahren.«
Der Wagen hielt vor dein HoteL in
welchem der Fabritbesitzer abgestiegen
war.
Willibald mußte den Vater verlas
sen, da er sich unbedingt noch fiir ei
nige Stunden nach seinem Geschäfts
lolal zu begeben hatte; aber der Kopf
war ihm wüst und das Ferz zeutnera
schwer. Es war ihm ni t entgangen
daß man seinen Vater mit Blicken
verfolgt hatte, die mehr ausdrückten,
als Neid über die Erbschaft; daß man
ihnen eiskalt, ja verächtlich begegnet
war, itnd er hatte sogar Worte der
nominen, die auf einen furchtbaren
Verdacht hindeuteten. Was aber das
Schlimmste war, das Benehmen sei
nes Vaters erfüllte ihn mit einer na
menlosen Angst. Er trug sich mit
einem Geheimnifz. War es möglich,
daß der unglückliche Mann in seiner
Verzweiflung sich zu einer grausigen
That hatte hinreißen lassen?
Weit, weit schleuderte Willibald so
Entsehliches von sich und schalt sich
einen Elenden, Undantbaren, aber es
troch immer wieder heran, umrin
elte ihn wie eineSchlan e iind drohte
ihn wahnsinnig zu ina en·
Jn einer unbeschreiblich traurigen
Stimmung begab sich Willibald Dor
nedden am Nachmittag nach der
Uhlandstraße, wo er seinen Vater
schon traf und wo sich recht pünktlich
Alle einfanden, die an der Eröffnuna
des eisernen Schranteö ein Interesse
zu haben glaubten.
Es worein tiarer, sonniaer Tag.
wie der Dezember solchen nur aus
nahmsweise zu bringen pflegt, und in
der Wohnung des Verstorbenen glänz
ten und gteißten die dort angesammel
ten schönen und kostbaren Dinge im
Scheine der sich bereits zum frühen
Untergange neigenden Sonne.
Es war Alles wieder sehr ordentlich
hergerichtet, und Frau Löhne, die mit
gespannten Mienen und vom Weinen
gerötheten Augenlidern einherging, er
tliirte den Verwandten des Verstorbe
nen recht gaibungsoolh sie werde bis
zu Ende i re Schuldigkeii thun, wenn
ihr auch recht arg mitgespielt fei und
sie die ihr von Herrn Ahrtoeiler zu
Theil gewordene Behandlung nicht
verdient habe. Sie wisse aber,bei wem
sie sich dafiir zu bedanten habe und es
sei noch nicht aller Tage Abend. Durch
wen sie schon erfahren hatte, daß sie
im Testament nicht mit einein Legat
bedacht sei und wie Ahrweiler sich über
ssie ausgesprochen hatte, blieb ihr Ge
heimnis, genug, sie wußte es und war
in hohem Grade aufgebracht darüber.
Wunderlicherweise richtete sich der
Zorn der Portiersfrau aber weniger
gegen den Todten, als gegen Daneb
den, der ihr auch nicht ein kleines
Vermachtnisz ge önnt und seinen
Freund zu dean handlungsweise
veranlaßt hatte. Gegen« Mann und
Kinder hatte sie ihn ganz unverblümt
befchuldigt, den herrn ermordet zu ha
ben, um sich schleunigst in den Besitz
der großen Erbschaft zu sehen, und die
Tochter hatte ihr eifrig beigestiinmt.
Gortsehung folgt.)
M
Eine Unze Schmeichelei reicht oft
- weiter als ein Pfund von Sympathie.