Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 03, 1901, Sonntags-Blatt, Image 17

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    Or.—j:. .«—... . J
Ein Charfreitag unter-der
Saftrukeuryrrrtchasi.
v —
Ei war im Jahre 1794, das zweite
Jahr der einigen, unzeriheilbaren Re
publit. Der Charfreitag fiel auf den
18. April, oder, wie man damals sagte,
auf den 29ften Tag im Kleinmonat
oder GerininaL Die Sonne war an die
sem Tage leuchtend aufgegangen und
hatte ganz Paris mit ihren Strahlen
überfluthet. Ein strenger Winter hatte
dieses Jahr geherrscht, als sei er ein
Berbiindeter der Schreckensherrschaft
gewesen. Durchdringende Kälte, eisi
gen Regen, Schnee inUnrnassen hatte er
gebracht, um die arme Bevölkerung noch
elender zu machen. Nun hätten die Pa
riser wohl freudig den Frühling be
grüßt, der sich warm und sonnig mel
dete, wenn ihre täglichen Sorgen ihnen
nicht den Muth dazu geraubt hätten
Aber wie konnten ihre armen Herzen
sich wieder neuen Hoffnungen hinge
ben, wenn von allen Theilen des Lan
des täglich neue Ungliicksbotfchaften
eintrafen? Der Himmel war blau, aber
die Stadt war dem Elend und Schrecken
preisgegeben. Jn den Champs-Elnsi«-rs,
in den Tuillerien, im Luxemburg
schmückten schon die ersten Blüthen und
Blätter die kahlen Bäume. Aber dieses
frühzeitige Blühen genügte durchaus
nicht« um in den herzen der Menschen
wieder Vertrauen zu erwecken. Ebenso
zagend sahen sie der Zutunft entgegen,
wie sie die schreckliche Vergangenheit
duLchlebt hatten
»
Jou- urqrunene Juur War Zeuge ge
wesen vom Dahinrnorden des Königs,
der Königin, der Girondisten und tau
sender von unglücklichen Opfern. Lhon
war nach einer heldenmiithigen Verthei
dtgung durch die Konvention gefallen.
Jn dieser unseligen Stadt waren den
stegreichen Generälen rächende Henter
in Gestalt oon Foucher und Collot
d’herbois gesol . Um die Schrecken
herrschast in der endfse einzuführen,
batte die Konvention Carrier nach
Nantes entsandt. Nil-ert, Danton, La
eroix, Camille Desmoulins, Hfsraut de
Schelles, Chaumette, alle diese, welche
ncch vor Kurzem die Eifersucht Rohr-J
pierre’s erregt hatten,waren nicht mehr.
Er hatte sich des Gesetzes, das sie sich
selbst geschaffen, bedient, um sich ihrer
zu entledigen.
Jetzt war er der alleinige Herrscher.
Zwei Scheusale standen ihm als Hel
fershelser zur Seite. Es waren:
Saint - Just und Couthon, sowie zwei
mächtige Institutionen, das Tribunal
der Republit und die Guillotine. Die
Gefängnisse waren mit Gefangenen
überfällt. Auf dem Place de Grdsoe
war die Guillotine fast ununterbrochen
in Tbätigteit. Die Straße gehörte dem
Pöbel und besonders den entmenschten
Weibern, den sogenannten Strickerin
nen. Die öffentliche Macht, welche durch
die Nationalgarde repräsentirt wurde,
gehorchte nur dem Kommittee und die
ses wurde seinerseits wieder von der
Krmmune beherrscht.
Die Paläste der ehemaligen Mitta
lrcten (Les Ci-devants) waren verödet,
Klöster lagen in Ruinen, die meisten
Kirchen geschlossen, an den Mauern
hingen AnschlagezetteL welche den Ver
taus des Eigenthums der Geslohenen
oder Geächteten anzeigten. Jn den
Schaufenstern der Trädler sah man den
Raub aus den verwüsteten Kirchen und
Wohnungen; teine Equipage fuhr mehr
aus den Verlehrsstraßem nur Drosch
ten. Der Luxus war verbannt; die
Soldaten suchten überall nach Verdach
tigen und Verbannten; die Reihen der
Verhungerten oor den Thüren der
Bäcker und Fleischer wuchsen täglich:
rer Kampf um's Dasein wogte nach ai
len Seiten. Kurzun1, es war die Zeit
der Schreckensherrschaft.
Man befand sich in der Charwoche.
Aber wer dachte wohl in dieser Zeit der
seelischen und körperlichen Angst und
Aufregung daran, Kirchenfeste und
Kirchenseiern inne zu halten? Wer
würde gewagt haben, den Todestag des
Getreuzigten zu s»ei«ern·?a Es war höchs
, , ts oft-·
Ilclls clllc guuz uculc unqu wruuuts
ger, die bereit waren, als Märtyrer da
hinzuicheiden, welche dem Verbot trotz-—
ten und im Geheimen ihren Gottes
dienst abhielten.
So sah es in Paris an jenem Char
sreitagrnorgen aus« als die Sonne so
herrlich auf die Stadt in dem jungen
Grün und den frühzeitigen Blüthen
niederschien Gegen neun Uhr sahen
die Bittfteller oder Neugierigen, die sich
vor dem Eingange des Justizgebäudes
eingefunden hatten, um der Eröffnung
der Verhandlungen beizuwohnen, eine
Persönlichkeit in den großen Hof ein
treten, deren Anlunft eine Bewegung
respektvoller Furcht unter ihnen hervor
ries. Die Gruppen zerstreuten sich.
Diejenigen, die fürchten mußten, alg
Urheber dieser Gruppenbildungen von
dem Reuangekomnrenen angesehen zu
werden, verschwanden schleunigst inr
Gerichtsgebiiude. Andere wieder, die
seine Blicke aus sich lenken wollten, stell
ten sich breit aus die Stufen der Treppe
und entblößten das haupt, da er vor
heifchritt. Doch er schien sie gar nicht
Zu sehen und schritt ohne zu grüßen an
hnen vorüber, in das Gebäude hinein.
Er war ein noch ziemlich junger
Mann von mittelgroßer Figur, ganz in
schwarz gekleidet. Unter dem großen
ute, den er trug, wurde braunes haar
cchtbar, das eine gerade, bleiche Stirn
umrahnite. Die kleinen grauen Rasen
augen verliehen dein-großem poekennar
sen Gesicht einen grausamen und
heuchlerischen Ausdruck. Irgend Je
mand sprach seinen Namen ans, einen
N
. furchtbaren Namen, den Namen des öf
! fentlichen Antlägers. — Fouquier
Tinvillr. So ging es jeden Morgen.
Er kam, um sich während der langen
l Stunden mit nichts anderem zu be
I fchiiftigen, als dem Henker neue Arbeit
Z zuzuführen
! Als er am Ende der Gallerie, wo sich
; fein Arbeitszirnmer befand, ankam, be
« eilte sich ein Portier, ihm dienfteifria
die Thiir zu öffnen. Er trat in das
geräumige Gemach und wurde fofort
von vier Setretären umringt, die fei
ner Befehle harrten.
,,Zeigen Sie mir die für heute be
ftimknten Atten,« befahl er, sich in einen
Lehnstuhl vor dem Arbeitstifch sehend
Ein umfangreiches Bündel wurde
ihm überreicht. Er zählte. Es waren
achtzehn. Ein Lächeln der Genug
thuuna breitete sich über fein Gesicht.
Achtzehn Angeklagte! Das gab ein
schönes Schauspiel Unter ihnen be
! fanden sich fechs Frauen, eine davon
; nur einundzwanzig Jahre alt; sodann
· zwölf Männer, von denen der älteste,
Mesnard de Choufy, der früher bevoll
mächtigter Minister gewesen, vier
undsiebzig, während der jüngste, ein
Banquier, Genefte mit Namen, nur
siebenundzwanzig Jahre zählte.
Jetzt durchblätterte er den dicken At
tenfioß. Alle diese Unglücklichen sind
des nämlichen Verbrechens angetlagt
worden: Beftechlichkeit, Verrath nnd
Verfchwörung, um den Bürgertrieg
hervor-zurufen, das Volt auszuhun
« gern, die öffentliche Wohlfahrt zu zer
stören, die Patrioten zu ermorden und
den Bund des Volkes aufzulösen.
Nachdem er die Durchsicht beendet,
legt er die Akten vor sich auf den
Schreibtisch und sagt zu einem Sekte
s tät:
s »Alle diese Leute verdienen die To
t desstrase. Sie sollen heute Morgen noch
; verurtheilt und heute Abend hingerich
; tet werden. Der schuldigste von allen
s ist dieser Banquier Gen-ste, welcher set
' ner nach Brüssel verzogenen Frau un
gemünztes Silber zuschickte. Beide
wollten den Zahlungstverth erschöpfen
und so die Staatspapiere in Mißtrenit
t bringen. Schade, daß der Mann nur
! allein eingelertert wurde. Aber die
I Frau wird auch noch an die Reihe kom
t men. Man ist ihr auf der Spur. Dem
I Schwert des Gesetzes wird sie nicht so
I leicht entschlüper. Vor der Hand wol
: len wir nur erst diese Elenden bestrafen,
die wir in Gewahrfam haben.«
Nun zog er ein Blatt Papier hervor
und schrieb unter das Datum des Ta
l
E ges
i »Mitbiirger!
f Jch theile Dir hierdurch mit. daß
s heuteAbend um halb sechs Uhr einehiw
; richtung stattfinden wird, zu welcher
eine größere Anzahl Militär als ge
! wöhncich nöthig sein wird. Jch him,
l die nöthigen Vorkehrungen zu treffen.
t Mit hkiidektichem Gruß
A. Q. Fouauier.
Nachdem der Brief gesaltet und ge
siegelt, wurde er mit folgender Adresse
I versehen:
I »An den Bürger Hanriot,
« Komrnandeur der Nationalgarde.«
) Sofort wurde das Schreiben an Ort
und Stelle befördert.
Obgleich die Angeklagten noch nicht
s öffentlich verurtheilt waren, so konnte
k er sie doch schon seht dem wartenden
s Henker überliefern, ohne irgendwelche
Gefahr dabei zu laufen, denn alle Ur
E theile waren schon im Voraus bestimmt
l
und die eigentliche Gerichtsverhandluug
; nur eine leere Form·
Um fünf Uhr fuhren zwei starren,
worauf die am Morgen Verurtheilten
saßen, nachder Place de Grc’-ve, wo
selbst sieh-zehn von ihnen hingerichtet
werden sollten· Zu beiden Seiten mac
fchirten Schutzleute und Militär;
ringsherum jedoch johlten und heult-n
heteuntene Weiber, und ganze Truva
roher Scheusale in Männergestalt he
leiteten die Un lüctlichen aus ihier
. ehten Fahrt. uf dem ersten Karten
s saßen die Frauen, der alte Mesnard de
) Choush. sein Sohn, »Generaltommissar
, der Capetinger«, und Geneste, der
s junge Bankier, dessen Name einen Au
genblict die Aufmerksamkeit von Fou
auier - Tinville gefesselt, welcher ihn
als den schlimmsten der Verbrecher
hingestellt hatte.
Die drei Männer saßen mit gebun
denen Händen aus der vordersten Bant
und zeigten dem Gebrüll und den Be
leidigungen des Pöbel-H gegenüber ein
ruhiges Gesicht. Mesnard de Chousy
betete mit lauter Stimme und unter
brach sich nur« um seine Kameraden
aufzufordern, in seine Gebete mit ein
l zustimmen, oder um sich gegen die
Frauen zu wenden, die, obwohl in ihr
Schicksal ergeben, doch zitternd und
ganz gebrochen dasaßen
»Muth, Schwestern. Heute ist Char
freitag. Dentt daran, daß es vor acht
zehnhundert Jahren einen gleichen Tag
Lab, an welchem Jesus Christus für
uns am Kreuze ftarb·"
Und die Ungliietlichen begannen nun
mit ihm aus tiefstem Herzen mit kla
gender Stimme das Miserere zu sin
gen, denn feine Worte hatten sie etwa-:
aufgerichtet.
Da plöhlich hörte man einen gelten
den Schrei der Verzweiflung aus der
Menge, die die Straßen besetzt hielt,
um den traurigen Zug zu sehen. Bei
diesem Schrei erhob sich Geneste. Er
hatte jene Stimme wohl ertannt und
suchte mit den Augen« in denen sich
eine ohnmächti e Angst ausdrückte,
siebrisch in den ruppen der Umstehen
den« Endlich fand er, was er sucht-.
Er Inh, wie man eine ohnmiichtige
Frau davontrag. Es war die seinige.
srie gekommen, um ihin ein letztes Lebe
wohl zuzuwinken deren Kräfte jedoch
. dem Muth nicht Stand gehalten hatten
- Ganz überwältigt snnl er auf die
- Banl zurück
! ,,Ungliickliche!« seufzte er »Wenn
- ein Geheimpolizist sich in ihrer Nähe
. befunden hat, so ist sie de rloren."
Die Karren rollten dem Schassot zu
1
Zu später Abendstunde desselben Ta
ges befanden sich etwa zwanzig Perso
nen, Männer sowohl als Frauen, in
dein Erdgeschosz eines in einem großen
Garten abseits gelegenen Hauses des
Faubourg de Charenton. Das ziemlich
I große Gemach war in eine Art Kapelle
" umgewandelt, wo die Andächtigen be-:
stend niedertnieten Ein mit einem-.
Altar. Ein Kruzifix stand darauf. an
alter Priester, ein Verbannter, weil er
messe.
; doch um so inbrüstiger waren die Ge
s bete der Anwesenden. Sie hatten sich
heute die Freude machen wollen, zusam
de jeder Glaubenstultus als ein Ver
men zu beten, denn in dieser Zeit wur- ;
brechen betrachtet. Aehnliche Szenen «
trugen sich zur selben Stunde in allen E
weißen Tuche bedeckter Tisch diente als :
jeder Seite eine brennende Kerze. Ein Z
nicht in der vorgeschriebenen Weise ge- T
predigt hatte, celebritte die Todten
Artnselig war der Tempel des Herrn, I
EStadttheilen zu. Das Kommitteef
Strenge vermochte nicht den Glauben
fand Gelegenheit zn heimlichen Zu
sammenliinften.
n» -- « s s »
zu unterdrücken, und man suchte und :
konnte nichts dagegen ausrichten Die ;
; Jll VIII Ulllllccsccll chlcjcll Ulcscl Uc
i treuen, die sich in diesem abgelegenen
l Hause eingefunden, wo die Spione so
leicht nicht eindringen konnten, befand
sich eine junge Frau in tiefer Trauer.
s Es war die Wittwe des Bankiers Ge
- neste, dessen Kon einige Stunden vor
her unter dem Henkersbeil gefallen war.
Nachdem sie nutzlose Anstrengungen
gemacht, um ihren Gatten zu retten,
zufammengebrochen, als sie ihres Gat
ten auf dem Karten ansichtig wurde.
Einige Freundinnen waren bei ihr, hat
ten sie emporgehoben und in dieses
sichere Ashl gebracht. Sie waren gera
tagmesse begehen wollte. «
Nun, da man ihr mitleidige Sorg
falt hatte angedeihen lassen, kniete sie
nieder, und weinend betete sie fiir die
Seelenruhe ihres geliebten Todten. Sie
war auch bereit, zu sterben und hoffte,
in einem besseren Leben wieder mit ihm
vereint zu werden·
Jn der Stille der Kapelle war nur
die Stimme des Geistlichen vernehm
bar, welcher Psalmen sang. Als er ge
» Anwesenden, um ihnen von der Lei:
densgeschichte Jesu Christi zu predigen.
Gerade im Begriff, den Mund zum
Sprechen zu öffnen, bemerkte er, wie
ein Mann, der ihm unbekannt war,
durch die angelehnte Thiir schlüpste
und sich geräuschlos niederließ. nach
dem er das Zeichen des Kreuzes ge
schlagen. Diese Bewegung beruhigte
den Priester, denn er glaubte, es sei ein
Andachtiger, der nur durch den Wunsch,
mit seinen Glaubensbriidern zu beteu,
hierher gekommen sei.
Indessen tonnte man in dieser Zeit
des Schreckens nicht vorsichtig genug
sein« und er fragte daher den Neuangeg
totnmenen:
»Wer sind Sie, mein Herr Z«
»Ein guter Katholih der sich glücklich
schätzt, seine Gebete mit den Eurigen
zu vereinen.«
W . -
war sie bewußtlos in dem Gedränge ,
de angekommen als nian die Charfrei- «
endet hatte, wendete er sich gegen die :
Oel chscll Wuclcll Iplllclg Pllllzlcclst
ein robuster Mensch, der an der Seite i
des Sprecherg gesessen, ans und rief"
mit slammenden Blicken: .
»Dieser Mann lügt. Er befand sich .
noch vor Kurzem im Gedränge, wo die f
Verurtheilten vorüberfuhren. Wenn :
er uns bis hierher gefolgt ist, sa geschah ;
es nur, Um Madame Geneste im Auge
zu behalten, über die, wie Sie wissen, i
ein Verhastsbesehl erlassen ist. Auch :
uns wird er dann anzeigen. Er ist «
ein Geheimpolizist des Comitcss.« ;
Die Anschuldigung war so plötzlich ·
und so bestimmt, daß der Beamte, an-- l
statt zu verneinen, die Sache bejahtez
und in Zorn gerieth. s
,,Allerdings bin ich das, ries er. ;
»Der Aristotrat, der mich da anklagt, s
hat die Wahrheit gesagt. Jch wollte «
selbst sehen nnd mich überzeugen. Jch ;
weiß jetzt genug. Jhr werdet baldi
weitere Nachrichten hören.« i
Ganz stolz ob seiner Kühnheit, war l
er im Begriff, fortzugehen. Er lam I
aber nicht dazu. Sein Antlaiiger hatte «
einen unter dem Mantel verborgenen
Dolch hervorgezogen, wars sich auf ihn .
und bohrte ihm die Waffe in die Brust,
während die Anwesenden laute
Schreckens-rufe ausstießem .
Der Mann sanl todt nieder. s
»Was hast Du gethan, mein Sohn!«
jammerte der Geistliche
»Ich mußte uns retten«« antwortete
der Mörder. »Wenn es ein Verbrechen .
ist, Vater, to werden Sie mir Absolu
tion geben."
Am folgenden Morgen las man in
den Polizeiberichten, welche dem Co
mitss zugingen :
Jn dieser Nacht wurde an der Seine
in Charenton die Leiche des Geheim
polizisten Joleaud gesunden. Er war
durch einen Dolchstoß getödtet. Jo
leaud war ein guter Patriot und mit
leidölos gegen die Aristotraten. Man
vermuthet, daß er das Opfer eines fol
chen geworden.«
i
f
Zwei Drüben
Von Svend Leopold.
—.—.—.—
Sie kam aus dem Krankenzimmer
und ging in die Laube hinüber; dort
setzte sie sich nieder, um in Einsamkeit
zu weinen. Ganz in eine Ecke kauerte
sie sich, denn nun mußte sie sich einmal
auf-weinen.
Der alte Garten draußen lag in
schimmernder Nachmittagssonne, die
Blüthen auf den Terrassen waren so
seltsam roth in dem starken Licht, ein
heißer Hauch kam von der Rosenhecte
herüber; und dann der Bogelgesang!——
Gerade jetzt wollte sie weinen, da alles
so schön Und fröhlich war. Sie drückte
den feinen Kopf ganz in das Geißblatt
hinein, verbarg ihn in seinen Blättern
und Blüthen.
Die unablässigeSpannung, die stän
dige Ungewißheit eines langen halben
Jahres, und nun, hoffnungslos-, keine
Rettung mehr! Sie hatte es beim er
sten Blicke gestern früh gesehen, als er
ankam. Wie er da langsam aus der
Reiselalesche herausfchwankte, sah sie,
wie in einem Lichtschein, der Wahrheit
in’s Auge: ihr Bräutigam, der da auf
sie zukam, war ein dem Tode geweihter.
Eine fo weite und theuere Reife, und
dann so heimkehren. Sie hatten ja alle
auf Besserung gehofft. und er selbst
auch. Warum sonst so heitere Reise
briefe schreiben? Oder hatte er sie da
durch täuschen wollen? Die Bergblu
men, von denen ganze Schachteln anta
men, Edelweiß und wie sie alle hießen,
und was die Aerzte an den Kurorten
dort unten alles gesagt und versprochen
hatten. Es war gar nicht hübsch, seine
Oraur zum Narren zu haben, 1re, ore
in Angst und Bangen tagaus, tagein
umhergegangen war, auf Hochzeit itn
Frühling gehofst und an der Aussteuer
genäht hatte, als gelte es ihr Leben.
Na, Maja«und Ernestine würden recht
schadenfroh aussehen, wenn sie von all
der Hoffnungslosigkeit hier im Hause
hörten.
Sie saß da und dachte sich ganz in
Wirth und Grimm hinein, und dann
konnte sie nicht weinen.
Die Nachmittagssonne war so warm
und mild, so bezaubernd schön, wenn
das Leben so diister war; und dann all’
die Laute« die Hähne, die dort nebenan
trähten, und die weißen Kühe von
Kotisistorialraths, die unten auf der
Strandwiese brüllten. Niemals wur
den die Thieres zur rechten Zeit gewol
ien. Und die Mücken. hu, die einen in
den Nacken stachen. Nein, weinen konnte
sie nicht.
Nun begannen alle Reseden zu daf
ten; was fiir ein wehmütbiger Duft,
dachte sie, so recht zum Traurigsein,
und da waren mit einem Mal die
Thränen da« sie lamen so behaglich
sacht, eine und dann wieder eine, nun
zwei; sie rannen an der Wange herab,
so lind und mild und still.
Sie hörte nicht, wie draußen in dein
sonnenhellen Gang Jemand kam.
Ein langer, dunkler Schlagschatten
fiel über das Gebüsch, dann fühlte sie
eine große, weiche Hand über ihr Haar
streichen. Sie wußte sogleich, daß es
Henning war. der aus derKanzlei kam-,
aber sie wollte nicht aufblicten.
Sie waren beide ganz still, dachten
beide an dasselbe. Er drückte sein Ta
schentuch wortlog auf ihre bethränten
Augen und setzte sich neben sie auf die
Bank.
»Weinst Du iiber Gerhard, Bolette?«
fragte er nach einem Weilchen ernst.
»Bist Du eg, Henning?« murmelte
sie, ohne aufzublicken
,,Du wirst sehen, er erholt sich doch
noch, die Reise hat ihn nur sehr ange
griffen; aber er ist ja start — -——— —-——
Nu seht In »I« Schnitt-«- « Ins-Is- fis
«
sanft und ergriff seine Hand, »so gut
bist Du, denn Du willst mich trösten;
aber Du solltest mir lieber die Wahr
heit sagen, gerade heraus-. Sage mir
nun, glaubst Du das, glaubst Du es
selbst-s«
»Was denn, Bolette?« fragte er et
wag unsicher.
Sie saß lange, ohne »etwas hervor
bringen zu können.
»Ach,« stöhnte sie dann, »das-Schreck
lichste, das Schrecklichste, wag mir im
Leben tssiderfahren lann » Du glaubst
eg, denn Du antwortest mir ja nicht,
und nun sehe ich es Dir an, ganz deut
lich, versuche nicht, mich zu belügen,
das ist böse und häßlich von Dir, dafz
Du mich trösten willst, wenn ich hier
sitze und nicht aus noch ein weißt«
»Aber ich habe ja nichts gesagt; tönt
me doch zu Dir!«
Sie fuhr mit einem Ruck in dieHöhe,
trachtete eilig ihre Augen ab und wollte
gehen.
Er ergriff ihre Hand, hielt sie lange
fest, küßte sie sogar, und sie zog sie nicht
zurück, sondern seufzte nur tief!
»,,Henning —-— Henning,« es tlang
wie ein Vorwurf.
Die ganze Laube strahlte jetzt ini
goldenen Licht, das durch den schmalen
Eingang hineinströmte; das Spinnge
webe tviegte sich wie ein dünner Silber
schleier davor, hie und da schwebte
plötzlich eine ganz kleine, gelbe Spinne
durch die leuchtende Luft hernieder, ihr
langer Faden blinkte und schimmerte,
bis er auf der tupserrothen Mahagoni
platte des Tisches haften blieb.
«Bin ich Dir denn in all’ dieser Zeit
gar nichts gewesen, da wir beide hier
herumgegangen sind und aus ihn ge
wartet haben?«
D,,.Henning, ja, aber nicht jetzt, hörst
u.«
bange bist — Du weißt doch . . .«
,,Henning, Henning, er ist doch Dein
Bruder,« unterbrach sie ihn heftig.
,, . . . Du weißt doch . . . daß Du
; mich has ,« sliistette er heiser vor Er
; regung.
» »Ja, aber nicht jetzt, nur nicht jetzt!«
I jammerte sie.
I ,,Liebst Du mich, Bolette, liebst Du
, mich noch?«
; »Nein, nun muß ich wirklich gehen!«
l
,,Gehen! So gehst Du von mir?«
»Wenn das geschähe, vor dem Du so
,,Henning, er ist doch Dein Bruder, .
« Henning«, schrie sie fast, »und erholt er
sich, sündigen wir an ihm -—— er ist
T doch so gut, und wir haben ihn so lieb, ’
nicht wahr? Er hat uns doch nichts
j Böses gethan, nicht . . . .«
Er stand auf und ergriff ihre beiden
Hände; sein Gesicht war bleich.
« »Ach, sag mir nichts-, Du mußt
nicht«, bat sie schmerzlich.
,,Doch, ich muß, Bolette, und nun
mußt Du es auch hören, Du bist weder
E schwach noch überspannt Dr.
iAhrens sagte uns heute früh Alles,
Mama weiß Alles, Du bist die einzige,
der wir nicht gewagt haben, es zu sa
; gen. Gerhard erholt sich niemals mehr E
; . . . . wir müssen in diesem Herbst auf
? Alles vorbereitet sein aber meinst
Du etwa, das schmerzt mich nicht
auch?«
Seine Augen standen voll Thränen,
- und seine Stimme versagte.
über Bolettes Gesicht hin, sie stand da
gerade im Eingang und sah ihn for
schend mit ihren großen, blauen Kin
deraugen an, die durch die Thränen
unnatürlich klar geworden waren.
Sjnninn « fis-»h- Tm non-) bis- ifk
EH war, als glitte ein Schimmer :
s sah es gleich heute Morgen, als er an
s kam. Jch wagte nur nicht daran zu
i glauben.«
. Dann ging sie langsam fort, hinaus
i in den alten Garten, wo die farbigen
H Blumen des Spätsommers auf den
lauen Terrassen glühten.
Er ging ihr langsam nach.
Ein Weilchen später standen sie auf
der obersten Terrasse.
Sie dachten beide an dasselbe, und
als sie ihr Selbstgespräch abgeschlos
- sen hatten, ergriffen sie fast unwill
kürlich ihre Hände und drückten sie
leicht.
Hier oben konnte man so weit um
herblicken, und gerade heute Abend war
der schönste Sonnenuntergang Die
stillen Strandwiesen mit den braunen
Rohrpflanzen, die Bündel weißer
i Schornsteine mit dem schläfrig treiben
I den Rauch, der blaue Sund mit den
« breit ausgespannten Segeln der Schif
fe, die grüne Wildniß der Glacis und .
l Gärten, es war, alH strahlte das alles
E und flammte in Licht. Ueber alle
i Scheiben am Giebel und Dach strömten
j rothgoldige Wogen, und da waren gro
s ße, stumme Vögel, die in der rothen
s Luft stiegen und stiegen, bis sie ganz
j in flammenden Höhen verschwanden.
! Sie standen da noch nebeneinander,
; dem Sunde zugewandt, und fühlten
I sich schmerzhaft glücklich.
I Und sie schwiegen noch immer.
l Wie in einem Traumgesicht sahen sie
! in weiter Ferne die uralten Pappeln
I drüben auf dem Friedhof; diese star
ren Bäume standen da wie eine
I schwarze Mauer mit einigen allzu frü
Z hen Sternen darüber, die in den hohen
I Kronen flimmerten.
· Die strenge Grabeswacht der Bäu
i me zeichnete sich düster gegen den lich-—
l ten Himmelsrand ab, und ein großer «
Strandvogel verschwand, in unruhi
gem Bogen der Stadt zusliegend, im
dunklen Laub.
»Sahst Du, wie der Vogel sich dort
niedersetzte?« slüsterte sie ergriffen.
»Glaubst Du an Wahrzeichen, Bolet
te?« fragte er ärgerlich »Komm, ge
hen wirt«
Dann gingen sie zu dem weißen
Hause hinauf, das still und verschlos
sen mit seinen vielen schläfrigen Fen
stern der sinkenden Sonne zugewandt
stand. ————————————
Der Kranke lag auf einem Lehnstuhl
am Fenster; er wollte auch den Son
nenuntergang sehen.
Die hellen Fenstervorhänge waren
seitwärts aufgesteckt, damit das Licht
ordentlich hineinfallen könnte. Die
nnd dumpf, das Feuer im Kamin
brannte-· Briefe, Blumen, Kästen und
Papiere lagen durcheinander auf al
len Tischen, dazwischen standen Medi
zinflaschen.
Eine Uhr in der Ecke tickte mit dem
lustigsten Glockenspiel bei jedem Vier-—
telstundenschlag, und in einem Bauer
pfiff ein Vogel.
»Na, da seid Jhr ja!« sagte er lä
« chelnd, ohne sein Gesicht vom Fenster
« sortzuwenden
l Es waren Henning und Bolette, die
? sich aus den Zehen hineinschlichen. Sie
kamen jeder durch eine Thür, einer ein
paar Minuten nach dem andern
i »Nein, wie strahlend Du aussiehst,
i mein langer Junge,« sagte Bolette; sie
s flog zum Lehnstuhl hin und küßte ihn
j auf die eingefallene Wange; aber sie
; zog sogleich den Mund zurück, denn die
; Wange war so kalt und feucht, als hät
k te sie einen Todten geküßt.
I »Aber Du sihest da auch recht im
Sonnenschein«, fügte sie ein Weilchen
später mit ihrer hellen Stimme in
ihrem alten heiteren Ton hinzu.
»Es ist so seltsam mit der Abend
röthe,« sagte der Kranke —- »genau
dieselben rothen Farben in langen
Streifen sah ich dort unten bei Como,
Luft im Zimmer war drückend warm.
l— . . .. .. W. —..I
im Serbelloni-Garten. Die Wolken
lagen, gerade wie jetzt hier, so langge
streckt, ich sehnte mich so schrecklich nach
Dir, Bolette.«
»Ach —- Du Armer!«
Henning stand am Fenster und be
schrieb mit nervösen Fingern Figuren
aus der Scheibe.
»Nun sollt Jhr hören,« sagte der
Kranke munter und richtete sich in den
Kissen aus; aber er konnte nicht zu
Ende erzählen, der Husten war wieder
da und knickte ihn zusammen.
»Es ist schlimm mit dem Huften,«
fuhr er hernach gleichsam entschuldigcnd
fort, »die Reise hat mich angegriffen;
es werden sicher ein bis zwei Wochen
vergehen, bis ich mich wieder ganz er
hole; aber sehe ich nicht weit besser aus,
als bei meiner Abreise?«
Und er hielt einen großen Handwe
gel in die Höhe und betrachtete sich mit
großer Freude.
»Ja, Du strahlst förmlich,« sagte Bo
lette lebhaft. Sie meinte wirklich einen
Augenblick, er sähe in dem rothen
Abendscheine ganz gut aug, und sie
fühlte sich fast ein wenig verlegen und
bedrückt, weil Henning nun da so dicht
bei seinem tranken Bruder stand und sie
mit verzehrenden Blicken ansah
»Ja, ich bin gewiß dick und rothwans
gig geworden. Aber warum seht Jhr
beiden so ernst aus? Jst denn etwas
vorgefallen? Setzt Euch doch!«
Sie setzten sich still, jeder auf einer
Seite des Lehnstul)les, und sie began
nen beide mit fast denselben matten und
gewundenen Worten das Aussehen des
Kranken zu rühmen.
»Ich nicht wahr?« sagte er aam be
friedigt; er war ihren Worten mit
leichtem, ermunterndem Nicken gefolgt,
das sie gleichsam bat, fortzusahren, das
mit er selbst in seinem Glauben an diese
gründliche Heilung bestärkt werden
könnte.
Und plötzlich wurde er ganz übermü
thig. Er schlang seine langen, mageren
Arme um Bolettes Leib, als wollte er
sie niemals mehr von sich lassen, lachte
mit seinem kurzen, schwerathmigen La
chen und sah sie mit seinen großen, fie
bersirahlenden Augen an, die schon so
tief drinnen lagen und von dunklen
Schatten umrahmt waren
»Zu Weihnachten, Bolette . . .«
»Zu Weihnachten, Gerhard, was
dann?« fragte sie schnell nnd versuchte
zu lächeln.
,,Küsse mich,« sagte er, ,,dante, Du
Liebe, noch einmal, halt meine Hand,
so auch DU, Henuing —-— ja Du, es
wird natürlich nur eine kleine, gemiith
liche Haushochzeit, hier oben im Saal,
ohne große Feier, und dann reisen wir
sogleich wieder dort hinunter! Na, was
sagst Du dazu?«
Er legte sich ganz in die Kissen zu
rück. ersah blaß und ermüdet aus. .
Draußen am Himmel erloschen alle
Farben —--- eine nach der andern.
Nur ein einziger, großer, mattgelber
Streifen war noch da, mit einem gro
ßen Stern darüber.
,,Sollen wir nicht gehen, Gerhard,«
fragte Henning liebevoll. »bedarfst Du
nicht der Ruhe?«
Er beugte sich ganz iiber den Bruder
hinab, der völlig in sich zusammensank
und gleichsam immer kleiner wurde.
»Nein, nein, bleibt,« kam es ganz un
geduldig oon seinen Lippen, ,,legt Eure
Arme unter meinen Rücken, das stützt
so schön, danke, ach, das ist gut! So,
haltet mich nun so, Jhr könnt Euch bei
den Händen fassen, dann weiß ich, daß
Jhr beide hier seid Jch bin nur so ein
Lä-»c«k» »J- ZM kohlsc- Opt- -«»- c- » » Jst
vsdpq usw-, is- they wus, I» usuDs
Jhr auch hier bleiben! Hörst Du, Bo
lette?«
Es war lange ganz still in dem Ge
inache, das Feuer im Kamin flammte.
Prasselnd um das trockene Holz empor,
das war der einzige Laut.
»Ach, wie schön ist es, heim zu kom
men,« sagte er ganz leise, der Ton kam
gleichsam von weit her —-- »wir drei
werden es nun so gemiithlich miteinan
der haben, nicht wahr, es tann eine ge
miithliche Zeit werden fiir uns
alle?«
Und dann wurde es wieder ganz still.
»So, nun schläft er schon.« flüsterte
Henning. Jhm standen Thränen in
den Augen; er war wirklich gerührt
denn er hatte seinen Bruder sehr lieb.
Welt und ganz erschöpft sank der
Kranke in all seinen Kissen und Decken
völlig zusammen.
Es- tam einer nach dem andern von
der Familie in’S Krankenzimmer ge
schlichen, und sie waren ganz erschrocken,
ihn auf zu sehen; dann setzten sie sich
still ringsum an den Fenstern und
sahen in die beginnende Sternennacht
hinaus-.
Der Mond stand im Aufgehen ge
rade draußen über dein Sunde wie ein
rothes Horn.
Drüben in den Gärten leuchteten
bunte Lichter zwischen den Bäumen
hindurch. Schiffslaternew die angezün
det wurden. Die Dämmerung senkte
sich mehr und mehr herab, wuchs m der
stillen Stube und Niemand sprach.
Die beiden, die da saßen, wachten
Stunde um Stunde.
Als die Dunkelheit sich mehr und
mehr herabsenkte, beugten sie sich lang
sam zu einander hinüber, Wange lag
nun sest an Wange, ihre Blicke irrten
nach dem Himmel hinaus, wo stille
Sterne blintten.
Hinter den weißen Kissen trafen sich
ihre Hände wie in stillem Einverständ
niß —» sitt’s Leben.
Sie trugen fast den Schlafenden, der
sich schwer aus ihre Arme stünte, denn
sie brachten es nicht übe-As Herz, ihn
zu wecken. ——— —- —
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