Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 03, 1901, Sonntags-Blatt, Image 16

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    . ———;
? Hugenieur Horstmanw
...Roman von...
Yikhekm Hegeketx
------------------------fl.—j
W
-«-.ktt. Fortsetzung nnd Schluß-)
Jn Diesem Augenblick trat Bert ein.
Er hatte einen schwarzen Rock an, ei
ne große dunkle Arabatte, aber weder
einen Fez anf, noch sonst ein Masken
zeichen. Er blickte sich hochmüthig um
und nickte dann Anna zu, oie ange
etelt von der übermiitlzigen Lustigleit,
blaß un Sosa saß. tllH ein Herr ihn
heranwintte ging er auf oiesen zu unz)
unterhielt sich mit ihm.
Einen Augenblick schloß Anna die
Augen oor unerträglichem Schmerz.
Jn ver Secunor. wo sie Bett in der
offenen Thiir gesehen, hatte sie ge
fühlt, daß ibre Angst recht hatte. Er
betrat dies Haus wie ein Fremder, der
innerlich alle Beziehungen abgebrochen
hat. . .. Sie schämte sich der Maske
rade, sie hätte alle diese Leute hinaus
tret-sen nnd sich selbst dies schreien-z
beleidigende Eostiim vom Leibe reißen
mögen.
Als einige Minuten vergangen wa
ren, ohne daß Beet die Unterhaltung
abbtach, ging sie ihm entgegen. Am
Spiegel vorbeitommend, glaubte sie zu
sehen,wie ihr Gesicht ihr blaß und ver
zetrt entgegenstarrtr. Sie zwang sich
ein Lächeln ab und streckte Bsrt die
Hand kin, die er an die Lippen führte.
»Wenn der Berg nicht zi-. Madam
neev kommt« muß Muhammed zum
Berge tomnien!«
Der Offizier, mit dem Holleder tsch
knterhalten Ha te, wer guigestan sen
und sagte:
»Denten Sie, gnädige Frau, unser
Freund läßt sicb nicht bereden, mit auf
ten Schwoof zu gehen. Dieser Mensch
trirrs edlsrch unheimlich solide!«
»Das sinke ich ehr richtig!« sagst
Anna. s
»D. 4—.1 HI- !c.,.- s» L» r- -
le thut Its-«- lligtl UI pcll ULIZZ
Im Sahn war nieder Ruhe herste
itellt. Der Strrlch stand mit einem
Pensionfräulein vor einem Bild, oas
sie. von ihren Malerinftintten plötzlich
fortgerissen, eifrig kritsirten. Der Vo
iizeihiittel hatte einen Kreis von DO
men Um sich, denen er Steckhrieie ent
werf. Tie alten Römer rückten ihre
kahlen Glatzen zurecht, leaten die Toqa
in ernstere Falten, da gleich die Er
mrrdung Caesars, wie es hieß, zum
fiebentenund letzten Mal, getreu nass
Mommfens Geschichte, vor sich gehe-i
srlltr. Nur Frau Düsbach irrte um
her. Sie hatte ihren Pompadout ser
lrren, der wichtige Papiere enthielt.
»Ist was Besonderes passir«?« ing
te Bett zu Anna.
»Nichts. Warum?«
»Ich dachte, weil Du mir schriebst,
ich sollte tommen.'«
»Ich hatte Sehnsucht nach Dir, Tu
hast Dich ja eine Ewigkeit nicht sehen
lassen!«
»Du weißt auch, warum! Die Leute
klatfchen . .. Uebrigens können wir
hier Unmöglich lange stehen. Das
fällt auf.« —
«Laß heb die Leute! Komm heut-.
Abend! Ich sehne mich nach einem
vernünftiaen Gespräch-F
»Unmöalich. Jch lann nicht. Jch
tritt heute Abend auf den —.«"
»Auf den Ball in die Tonhalle,woll
test Du sagen?«
»Nein. Aber ich habe eine Einla
dung·«
»Ein wem?«
»Z« Frau Oswald!«
«So!« sagte Anna, und sie fühlte,
wie ihre Augen zu tanzen anfingen,
und wie eine tödtliche Schwäche fie
nieder-H
» aßt Dir das etwa nicht?«
» ech« ja...geh’ nur hin, Du
hist ja mit ihr verlobt.«
EINIGE IIIYIUJFEtsst
»Hu vak- Iv sama-ums male ne
schwach. »Je«cenfallk gratulire ich
Tit!"
Er wandte sich um, im Begriff, die
Stuer hinunter zu gehen. Sie hielt
ihn am Arm fest.
«Sag’ mir ein Wett, Beet! Ob es
wahr ist oder nicht? Jch will Klarheit!
Ich werde Dir keine Vorwürfe ma
chen. Du bist ja frei!«
»Das meine ich Vcch auch,« mur
tnriie er.
Anna fah ihn an und wurde th
tenblaß. Sie setzte sich auf die Bank
und fiel zusammen in Dem banfchigen
Costüm« V-- - Is«
·Mach' keine Scene, Anna! Sie-M
aqu Ums Himmelsteillem cie Leute
sehen ja schon het!«
»Ah es ist wirklich cus!« murmel
te sie.
Im Salt-n war man im Begriff
die Etmvtdung Cäsars auszuführen
Dieser war schotd ven einigen Ge
treuen auf die Schulter get-oben und
hie-ff eine Pathseiische. mit düsseldorser
Netzt-rücken gespickteRede an scinVolk,
Um Messer wetzten
Yes Lächeln nnd machte Haut-bewe
xesngeey als wenn et mit ihr in der
-.Mehmsten Unierhnltunq wanderte
« s »Nun-. matt-« keine SceneS Du hast
M busi- immee mit Deiner Selbst
H ahlt Nimm Dich
ani E est ja alles niche wabe
- . grau Dis-le- uud mir ist
. zei. seit-site Muth
sswiihtend die Vetschworenen heimlich
Oe sue-r uxcht sein liebenswürdi- «
»Ich-W doch rie Leute ferti« bat
sie, immer schwächer werdend.
»Zum Kuckuck nochmal, steh’ auf!'«
sicgte et rauh.
»Einen Augenblick! Es ist ja ai
leH nichtv. .. Es ist aus- ja, geh
nur, ich halte Dich nicht . . . .«
Sie preßte die Hand gegen ihre mit
lcltem Schweiß bedeckte Stirn und
fuhr iiber die straffe Seide, die von
ihren langen Nägeln knirschte.
Bett zuckte die Achseln und wollte
schon hinunter-gehen, aber er blieb ite
ben. da er sah, daß im Solon etwas
Besonderes vorgefallen sein mußte.i
Cäsar hatte piiitlich aufgehört zu ges
itituliren und starrte nach Jemandern
bin, den Bett nicht erkennen konnte.
Hauptmann von Dehrvitz hatte das
BrwlengiaT das er erade angesetzt
hatte, sinken lassen, sßeine stieren Au
gen traten unnatürlich aus seinem
dunkeln-then Gesicht hervor-.
Horftmann war eingetreten. Eine
Weile hatte er vor seinem hans ge
ftcnden, an dessen hell erleuchteten
Fenstern bunte Eoftiime und trotzen
hatte Gesichter mustauchten Dann
hatte er nefchellt und war. ohne sich
um das öffnende Mädchen zu Hirn
nierrn eingetreten Nun ging er lang
sam in feiner greiicntxaften Haltung,
mechanisch den Hut abnehmend, durch
Den Satan nnd ließ die Augen umher
schweifen Jn der furchtbaren Aufre
ezunq dieses Augenblicks that er alles
wie unter einem fremden Zwang. Er
sah die Leute und sah sie nicht. Die,
nselche er suchte, hatte er noch nickt
entdeckt Die übrigen türnmerten ibn
Ieicht
»Was itt denn das s« l
»J,der ist doch mastirt!« meinte der
Lrgelsvieler.
»Das wäre ein schlechter Witz.«
»Wenn im Terr! Weiter!« rief
Frau von Dehtritz, die nichts merkte
Dabei tlatschte sie in die Hände.
»Aber stehen Sie doch aus!« flüster
te eine Dorne ihr zu. »Ist das nicht
Herr Horstmann?«
»Sind Sie auch echt, Qntelchers?«
fragte im Diskant ein als- Pensionii
tin mastirter Atademiter, indem er
an Horstmann’s Haaren zapfte.
Dieser erwiderte nichts, sondern
gina weiter.
»Was ist denn das-? Das ist ja tei
ne Mastet·« murmelte der Akademi
te: in seiner natürlichen Stimme er
schrocken zurücksadrend
»Alter herr, was wollen Sie?"
schrie Jemand
»Kiterrti!' machte ein Anderer.
»Brosit! Prosit!« riesen welche und
hielten die Gläser drein
Plöylich stand Horftmann Nase ge
gen Nase vor Frau Düsbach Diese
stieß einen unter-drückten Schrei aus
untr- fuhr zusammen, daß ihr der
Pkrnpadovr wieder ans der Hand
siel. Horitrnann ging hastig weiter
zum Fenster hin. Vor dem Erter
blieb er stehen und schob die schweren
Seidenaardinen zurück. Jn diesem
Augenblick stand er vor den beiden.
Er sah sie in diesem verrätherifchen
Halbduntel in einer Stellung, die the
Jntimität verrietd. Aber ietzt, wo
nichts ihn hinderte, sich auf sie zu stür
;en, fühlte er nicht diesen Wuihfchouer
triie damals-, als er sie aus dem Schiff
zusammen gesehen hatte. Er schien
Bert zu übersehen und nickte sinster
seiner Frau zu.
Sie starrte ihn an, mit blutlosem
Gesicht, und erwiderte tein Wort.
Heller-en den der erste Schreck ieitaek
nagrlt hatte, wollte den Jngenieur jetzt
äriseite schieben, um sich davon zu ma
"cn.
Jm selben Augenblick aber zoa die
ser den Revolvm Doch ehe der Schuß
ioåknallle, hatte Beet ihm einenFaust
schlag versetzt, sodaß die Kugel in den
Laden qinq. Dann riß er ihm rnit
eine-m Ruck die Waffe aus de: Hand
und stieß ihn herunter.
Ein wilder Tumult entstand. Jn
Nu drängten alle Masken auf borst
rncnn, so daß r wie von einer Mauer
umgeben war. Deliin der aus dem
Häntergrund nicht herankommen konn
te, schrie:
Zum Teufel, haltet
»Festhallen!
ihn! Er ist verrückt!«
Aliee schrie, Frau Diisbach lreischte,
die Diener schrieen:
»Feiibalten! Er ist verrückt! Haltet
den Verriickten!«
Hotftmann wurde von Entsetzen ge
packt bei diesem Wori. Er vergaß al
les andere und suchte zu fliehen. Die
welche unmittelbar vor ihm standen, -
wichen zurück, und hinderlen so vie
Uebrigen. Immer lauter schrie Deb
witzt »Haltei ihn! Er ist verrückt!« in
dem er sich mit Faustflößen Platz zu
machen suchte.
Schon wollte Bett Hand an den
Jmenieur legen, als Frau Hahn-ZU
: aufschrie:
»Beste-Hen! Rühr« ihn nicht an!«
! In ihre acsenden Rufe milchte sich
» das- Gelchrei der anderen. Die Mai
l len, die zunächst standen,wußien nicht,
« mas thun; wenn Jemand den Juge
" nieue ergreifen wollte, fchlu ein an
derer ihm den Arm zurück. r avze
, Keil drängte naöch der Thier-« Ast
c
i
mann mitsrlyiebend. xlö lich stand
dieser ans dem Flur. r iirzte hin
aus. Aber das Geschrei: »Haliet den
Verriickten!' tobte hinter ihm her. Der
ganze Schwarm der Maslirten wälzte
s«ch aus die Straße, während Herst
mann, qeiagt von dem Entsesen ver
teuer Gefangenschaft, in wilder hast
Reißaus nahm. Er wußte nicht, wo
hin er im Dunkel lief, hörte nur die
Rufe, das Klappern der Stiefel aus
sunen Fersen. Auch fett nrch wollten
die einen seine Flucht begünstiaen und
lJelten die Versolger zurück. Aber das
Geschrei wurde immer lauter. Vom
»O·orneliusplatz tam jetzt die Menge
s beibeigerannt, in der Hoffnung, daß
, es was zu sehen gebe. Jn wilden
s Sprüngen jagten Maslirte und Un
) nxaslirte an Horstmann vorbei, daß
ihnen derSchmutz um die Köpfe spritz
» ge. Alles schrie jetzt wirr durcheinan
« cr:
,.Oaltet inn! Den Dieb! O ist-! ;
Schlaat ihn todt! Hurra! Feuer!
Feuers«
Dazwischen gemenPfisse,Schtk-eins
blasen nnd Pritschen lnallten. Jun
een sprangen hoch in die Luft. Die
heitere Parteien waren argeneinander
»als-rauh einen Knäuel bildend. Deb
wiß, der seinen Schwager nicht mehr
fab, wurde hin und her genoßem
Plönlich wurde er von dem Hausen ge
gen des Gitter einer Häuser-eck- ge
drängt. Dort sah er den Jngenieur
zusammenaebrochen auf der Erde lie
oen. Zwei Polizeibeamte,die von ver
schiedenen Seiten aufeinander zusta
bind. mit schnellen Schritten lftrbeis
marschirt waren, schesften sich ietzt mit
Rippenstöszen Platz und drängten auch
»in dem am Boden Liegenden. Ded
wiiz richtete mit Hilfe der Prnsionmuts
ter, die im tiefster- Baß fluchte. Herst
rnann aus und trua ihn in eineDrosch
te, die vom Corneliusplatz beransuhr.
Ei selbst nnd einer der Schutzleme
stsseaen mit in den Wagen. Als text
Schutzmann staate. wohin, erwiderte
der Hauptmann:
»Aus die Wache! Der muß einge
srerrt merden8«
Olc IVCllc Wskcll soll. Allk Vlc pel
den als Dienstmänner maslirien Ma
ler kamen zurück i-.«.d holten ihre
Mordgeschichte ab. Anna, ihres-dene
ster und ihre Mutter saßen allein in
dem Salt-m in welchem noch alles
ivirr data-einander stand. Alice nnd
Frau Düsbcch besprachen ausgereat
den Vorfall nnd die eventuellen Fol
aen. Etwa nach einer Stunde lan:
Ichin wieder. Er hatte seinen
Schwager im Polizeigewabrsam ge
iassen und mit einem Revierbeamten
alles geordnet Es war nach Grafen
berg ielegrapbirt worden, ob dortPlatz
sei. Jedenfalls wiirde Horstmann
need diesen Abend dorthin transpor
titt werden. Es war nur ein Arrest
des Geheiinraih Zimmer nöthig, daß
Horstmann ein gemeingesiibrlicherGei-«
sieskranler sei. Debwitz war schon bei
dem Geheimraih gewesen, der aber erst
in einer halben Stunde nach hause
kommen würde. Dann wollte er ihn
nack- einrnal aussuchen·
Anna sagte, sie sühle sich nmvobl
und wollte zu Bett gehen. Sie stand
auf und ging hinaus, ohne den ande
ren die Hand zu geben. Jbr Zimmer
verriegelie sie und setzte sich ans Fen
ster. Von der Straße llang noch im
mer das Schlaaen der Pritschen ber
aus. Manchmal psiss Jemand Stell,
nnd eineStirnme aröhltet »O MI, wat
bannner Freud!" Anna hatte den-Topf
ausgestith und starrte an der buntge
bliiinten Seide ihres Costüms hinun
ter. Ihr Lächeln war bitter, ein un
saabar rniider Ausdruck lag Um ihre
Augen«
Nach lurzem Ueberleaen steckte sie
die Lampe an. Dann sehee sie sich an
den Schreibtisch und legte den Revol
ver ihres Mannes, den sie in die Ta
sche gesteckt hatte. neben sich. Ohne
nachzudenlem wars sie solgende Zeilen
arrs’ä Naniow j
»Herr Geheimraihi Mein Mann ist
nicht verrückt· Wir haben Sie alle bei
lege-. ich am schlimmsten Seine Be
rsbachiunaen, die Sie für Wahn-Linn
hielten, sind alle richtig. Es ist mein
letzter Wunsch, Daß er freiaelassen
wird. Ich sterbe jetzt. Ich setze lernen
anderen Aus-trea. Erfüllen Sie mei
nen Wunsch! Größen Sie meiner-.
Mann, sagen Sie ihm, daß ich nicht
gliicklich war.
Jhre Anna Herstrnann.«
Sie klinaelte und qab den Brief der
Jungfer, rnit dem Auftrag, ihn dem
Geheimratb selbst zu geben.
»Es-sich gnädige Frau nicht erst
isirziehen?«
»Nicht nöthia!«
. Sie drückte dem Mädchen, das sie
gern gehabt hatte, die Hand, und be
fabl ihr, den Auftrag qenau auszu
führen.
Sie blieb lauschend auf dem Bor
saal stehen, bis sie die Hausthür ge
len hörte Dann verschloß sie das
Zimmer und feste sich auf ihren ge
wöhnlichen Plat. Den Kopf leicht
aufgestützt, in derselben sinnenden unr
eleganten Haltun , wie sie in mancher 1
Diammersiunde Zier gesessen Hatte-, i
blickte sie in den runden Spiegel an
; der Aussenseite ihres Ienfters, in dein
f·.ch die fernen Lichter des Corneliutsp »
rlatzes spiegelt-en. Neul- einiaen Au
genblicken eReriss sie rnit gelchlossenen
Augen den volverz und während sie
tie Zähmkzulamrnenbiß urv den-Topf
krampshaf ge n das Stuhlsissen
pr te, f te sich in die rechte
S löse. U rnan yon unten herauf
geeilt war und die Tlnir gelptenqi
hatte, lag sie schon in den leßten Zie
nen. Der Geheimrath Zimmer, der
rot dem Haus mit Lotte und den«
i
A«
Wörter zusammengesioßen war, sand
sie- todt bor. -
If s O
Es war gegen drei Uhr morgens.
Bis Mitternacht hatte große Aus
regung im Hause geherrscht. sEine
Menge Leute waren ein und aus ge
gangen. Nun war man endlich zu Ruh
gekommen. Nach langen Aus- und Ab
rvandern hatte Frau von Delikt-M die
bei der Verstorbenen wachte, sieh auss
; Bett gelegt und versuchte in einem
: Buch zu lesen. Der Hauptmann lag
Hirn Zimmer nebenan. Er hatte vor
Schreck, Kummer und Angst soviel
Rothwein getrunken. daß er in einen
bewu tlosen Schlaf gesallen war·
Auch ie« Dienstboten waren in ihre
Betten geltochen, nachdem sie den Fall
ein langes und breites besprochen hat
ten.
Die einzige, die noch vollständig
munter war. war Frau Regierungs
rath. Jn allem Hing und her-rennen
und Reden hattesie die llarste Em
Pfindung behalten. Nachdem der Ge
heimrath ihr Anna-ei Brief gezeigt hat
te, und er dann mit Fräulein Vorsi
mann aus das Polizeibureau gegangen
war, sab sie mit unheimlicher Deut
lichkeit die Folgen der Assaire voraus.
Der tollen Fastnacht würde ein iibler
Aschermittwoch folgen.
Ebenso ruhig und nüchtern, wie ihr
Schwiegersohn betrunken war, sann
sie nach. was zu machen iei. Und als
sie das Richtige erlannt hatte, tras sie
ihre Maßregeln Sie schlich die
Treppe hinunter in horstmanns Ar
beits-Zimmer und verbrannte einige
tompromittierende Briefe. Dann
entnahm sie dem Geldschranl alles,
wag an baarem Geld darin lag und
that es in eine Kuriertasche, die sie fest
mit einem Stück Wachstuch das sie
früher zu Priesznitzschen Umschlägen
benutzt hatte, umwickeltr. Darauf ver
lieiz sie das Haus
Ganz vorn am Eingang, wo die
Tüsfel unterirdisrb tveiterilieszt, um
dann in die Land-Strom zu münden,
befand sich ein dichtes Gebüsch. Sie
duckte sich scheu, blickte sich noch einmal
nach allen Seiten um und lrocb dann
dinein. Mitten in dem Gedulcd ftand
ein Faulbaum der im Frühjahr weit
hin duftete. ein mächtiger Baum mit
neiundem Stamm, der hier wohl noch
eine Reihe von Jahren aushalten
würde. An einer Stelle bildeten feine
Wurzeln eine Knorpel die aus der
Erde ltervorragtr. Genau drei Hand
breit von dieser dicken Knorvel ents
fernt, fing Frau Regierungsratd an
zu graben. Sie legte ihr Paaet hin
ein und füllte das Loch zu. Vier tiefe
Glockenlchläge klangen durch die Nacht,
denen noch dröhnender fiinf andere
folgten, al-; sie endlich nach Haufe eilte.
18·
Da der Geheimrath gutmüthig ge
nug gewesen war, ein Atteft auszustel
len, daß Frau Horftmann in einem
Anfall von Geistesftörung Hand an
sich gelegt habe, wurde ihr ern kirch
liches Begräbnis gewährt. Ein langer
Zug von Leidtragenden folgte den
Verwandten auf den Kirchhof. Diese
zeigten sich am Grade etwas nernötzf
und warfen mit ziemlicher Haft dem
Sarge die übliche Hand voll Erde nach.
Noch am Tage der Beerdigung wurden
hauvtrnann von Dehwiy und Frau
Regierungsrath in Untersuchungs-haft
genommen. Es stellte fich heraus, daß
zwei Drittel von horftmanns Ver
mögen nicht mehr vorhanden waren.
Auf Veranlassung des Gerichts begab
sich der Jngenieur in die Klinil eines
Bonner Professors. Nach fechswös
chentlichem Aufenthalt dort ftellte der
Professor ein Gutachten dahin lautend
aus, daß, wenn Horftmann nach fei
ner ersten akuten Crtranlung über
haupt wieder äriftestrant aewefen fei,
er fest jedenfa H gesund fei· Vor allem
tönne an feiner Dispositionsfähigteit
nich-t» gezweifelt werden«-»
sha
Uqc IJUllllliullllV Cllllllllllslgullg f
von Gerichtowegen beschlossen werden
tonnte, mußte das Urtheil im Prozeß
von DebioitziDiisbach abgemattet wer
den. Dieser Prozeß verbreitete, bevor
er noch an die Oessentlichleit lam. ein
großes Gerede in Ditsseldors. Auch
Bett holleder hatte seit einigenWochen
ein unangenehmeo Bewußtsein.
Doch ließ er sich nichts merken, zeigte
sich überall da, wo er seither verkehrt
batte und sprach von FrauHorstmanns
Tode mit Ausdriicten ausrichtigen Be
dauern-. Aber je mebr von den srlOe
ren Ereignissen ruchbar wurde, eine
delto stärkere Antipathie machte sich
gegen ihn geltend. Selbst die Leute,
die sonst nicht gerade beilel waren,
·ingen ihm aus dein Weg· Eines
Tages, als er Frau Oswald besuchen
wollte, wurde ihm mitgetheilt, die
gnädige Frau sei abgereist. Adresse
unbelannt. Nachdem Bett sich noch
einige Wochen in Düsseldors still her
umgedriiclt hatte, nur von Zeit zu Zeit
vom Staatsanwalt und von seinen
Gläubigern ins Gespräch gezogen, er
grisf ihn ein gewisser Unmuth, und er
sehnte sich nach Lustveriinderung. Er
ließ einen Trödler kommen. verlauste,
was zu oertausen war, schloß dann
seine Wohnung ab und schries an die
Thür: »Sie itnr ad astra!« Darauf
reiste er nach Paris ab.
Nachdem Horstmann aus der An
stalt zuriictgetebrt war, bewohnte er
« mit seiner Tochter zusammen wieder
das haus in der Hosgartenstraszr.
Lotte theilte ihrem Vater mit, baß sie
sich verlobt habe, er billigte die Wahl.
Klaus Fernow lam jeden Tag, und
das junge Paar suchte dem alten
-—s
Mann das Leben so leicht trle möglich«
zu gestalten
Ader am Tage der öffentlichen Ver
handlung warhorstrnnnn plötzlich ver
schwanden.
Jm les-ten Augenblick hatte ihn ein
Grauen gepackt, vor den Richtern zu
erscheinen und in langem Hin- und
Herreden vor den Ohren der neugieri
gen Menge das auseinander-zusehen
was das Unglück seines Lebens aus
gemacht hatte. Er sand keinen Haß
rnehr gegen seine Feinde.
Nachdem Horstmann einiges Geld
zu sich gesteckt hatte, ging er am Mor
gen, ohne seiner Tochter Adieu gesagt
zu haben, aus die Bahn und löste ein
Billet nach Elderseld. Dort angekom
men, schlug er den Weg nach Luringen
ein. Es war ein weiter Weg. Er
tam durch viele Ortschaften Manch-·
mal ruhte er sich aus. Dann wanderte
er weiter, dem Lauf der Wut-per sol
gend; er sah schwarze Rauchsäulen aus
den Schloten steigen, er hörte das
Zischen der Wasserdkimpie, das
Schnur-ten der-Rädern Er begegnete
Fabritarbeitern, die in dichten Trupp-K
an ihm vorübergingen Allmählich
wurde das Wasser des Fiusses heller,
zu beiden Seiten der aus und abstei
genden Chaussee erhoben sich mächtige
Buchen und Eichen irn ersten Grün
Aber ihn lockte nicht der Goldglanz in
den jungen Blätter-ji« nicht das
Schmettern des Buchsian. nicht der
Judelrus der ans den fernen Aeckern
aufsteigenden Lerchen. Sein Blick
war vorwärts gerichtet, in die Ferne.
Er tannte ganz genau die Stelle, wo
man die Briicke zum ersten Mal rskn
der Chaniiee ans erblicken konnte. Als-—
er sich ihr nahme, sing sein Herz an zu
schlagen sein Sei-ritt beschleunigte Fiel-«
ein Lächeln der Erwartung umspielte
seinen neiizrchten Mund- stlber als er
dann an die Schieleq tan: -- eine Steäns
dunl irr-nd hier unter einem Wall-run
baum tsni iiber dem Fluß, der in drr
engen Tiefe rauschte — -- blieb er ent
tiiuscht sieben. lcr spöite zur-«- —— er
sah iie nicht« Jn seit-ein Inneren sing
der Groll noch ein-not .::r zu rumorern «
kum aner arm-i seiner maden Augen «
spähte er in die Ferne. Und dann er
tannte er iie endlich: aanz schwach,
ganz dünn tvölbte sich der eiserne Bo
aen darch die sonnizie Lust ioie ein der
dichteter Nebelitreit, ateich dem Ge
bilde eines- Traiinig. tfr stand lange
in Betrachtnna versunken So hatte
sie ihm vorgeichiveht in ihrem ersten,
undeutiichen Bild, ais er zuerst den
Gedanken erwogen hatte, das waldige
Thal mit einem einzigen Bogen zu
überipannen, und jetzt schien es ihm.
als hätte sie ihm immer io vorge
fanvelm schon in feinen Kinderjadrery
schon in den Jahren seiner Knecht
ichait, als wäre dirs biaue Phantom
das Bitt-. dein er nachgejagt war, sein
ganzes Leben lang. Lan sam schritt
er weiter. Bei jeder iegung der
Eli-ausser tauchte das Bild deutlicher
aus« Jrn Geist machte er alle Phasen
ihrer Entwicklung noch einmal durch.
Dann erblickte er auch das mächtige
Schild mit den goldenen Buchstaben:
18 Luringer Brücke 81.
Gegen Abend hatte er das auf hal
ber Höhe des Bergriickens gelegene
Waldrettaurant erreicht. Auf der
Terrasie waren noch die Tische gedeckt,
Gäste saßen nicht mehr draußen. Als
horstmann Maß genommen hatte,
tam ein Kellnen
«Wiinschen Sie vielleicht ein Gläs
chen Bierss — — L .
Da Vornnmnn man gieten antwor
tete, sondern unvertoandt die Brtide
anichaute, trat der Kellner hinter ihn
und sagte nach einer Panie:
»Großartig. nicht wahr ?«
Der Jngenieur nicktr.
»Sie sind wohl hergekommen um
sich unsere Brücke anzusehen;" sagte
der Kellnenwieder. »Er-Urteil iit sie
ja, das muß man ihr lassen. · .. Also
ein Gläschen Bier, nicht wahr .'«
»Ja ein Glas Bier und wag zu
essen-'
»Wenn Sie länger bleiben wollen,
aehen Sie doch lieber hinein. Ta
sitzen Sie doch geiniiihlicher.«
horsinrann warf einen Blick auf die
Tbiir —— er kannte sie so aut, er rannte
auch den großen IeiisaaL
»Ich bleibe hier.«
Der Kellner kam wieder mit dem
Bier und der Speiselartr. horitntann
bestellte ein Butterbrot. Aber schon
nach dein ersten Bissen verlor er den
Appetit. Während der Gast aß, fühlte
sich der Kellner veranlaßt, arti der
Terrasse auf und abzugeben nnd sich
seinen spärlichen Kinnbarr zu kratzen,
indem er von eit zu « it nachdenklich
den einiarnen afi an chauir. Als die
ser den Teller beiseit geschoben hatte
und mit auigeitiistent opf in das
Thal hinunterfah, lant er wieder an
seinen Tis heran
..Wenn ie sich mal die Brücke von
unten ansehen wollen« brauchen Sie
nur biegen chrnalen Weg entlang zu
geben« a önnen Sie sieh überzeugen,
wie oeh sie eigentlich ist. Von hier
aus ehi sie ja nach gar-nichts aus.
Aber sie hat doch gut ihre vierhundert
Fuß Höhe, und dreihundert Fuß
Liin e.
,, ch tveiß.« murmelte Horitmann
«" ielleichi nehmen Sie sich eine
Phoiographie mit. Ausgezeichnete
Ausnahmen vom besten Elberfelder
Photographen, lasche —- wenn Ih
nen der Name lanni ist. Jch will
Ihnen mal ein paar zeigen«
»Danle! Ich kenne das alles .....
Bringen Sie mir lieber ein paar
Cigarren.« i
Der Kellner lam wieder Und brachte
zwei Kisten zur Auswahl. Nachdem
Horstmann eine Eigarre angesteckt
hatte, ftühte er den Arm aus und
starrte von neuem die dunkler wer
dende Eisenlonstruktion an.
»Viele Millionen bat sie geioftet,««
sagte der Kellner im Vorübergehen.
Der Jngenieur nickte und tauchte
weiter.
Der Thalgrund lag jekt schon in
grauer Finsternis Die Mühle mit
ihrem verfallenen Moosdach war laum
noch zu sehen. Ueber dem Wasser bil
deten sich Nebelt die sich langsam von
wallenden Flocken zu einem weißen,
langen Schleier verdichteten. Am Ge
länder der Brücke slammten nach und
nach Laternen auf.
»Ja-ei Jahre haben sie daran ge
baut. Ueber vierhundert Arbeiter!
Während der ganzen Zeit ist nicht der
kleinste Unglücksfall passiert.«
»Wer bat denn die Brücke gebaut?"
fragte horstmanm
Einen Augenblick besann sich der
Kellner. Dann erwiderte er:
»Der Staat.'«
Nachdem Horstmann bezahlt hatte,
ging er den vom Kellner bezeichneten
Weg hinunter, der durch tiefen Bu
chenwald führte, bis er ans Ufer der
Wupper lam. Hier setzte er sich nieder,
gegen die eiserne Wand des Brücken
psseilersrv gelehnt. Ueber ihm wülbte sich
der eiserne Bogen. Er athmete tief
auf, in dem Gefühl, daß er an die
Stätte gekommen war« wo fein von
Groll und Haß und Furcht ermüdetes
Herz Frieden sand. Er lebnte den
sion noch fester an. Es war ihm, als
müsse er mit der Hand gegen das Eisen
Eli-bien. wie man einem alten, braven
Freunde auf die Schulter klopft.
Jn einer einfachen, großen Linie
wie dir Bogen, der sich über seinem
Haupt-.- wöibte, laa sein Leben vor ibrn
ausgebreitet Jetzt, wo es zum Ab
icbhrsz gekommen war, hatte er keinen
Groll mehr. Von dort, wo aus der
Hist-e ärmtiche Lichter blinlten, war er
ausgezogen zsrr rnübseligen Wander
schait Voller TtIecksseliälle nnd Schick
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wie sein Turms es sich gedacht hatte.
Ader das Bette irae ihm doch beschie
den gen-ein«fl Er hatte wacker die
Hände rieb-en djiriem und die Spuren
seines Wirt-ne vergingen nicht mit sei
nem Tode. Mochte man sich nun sei
nes Namen- erinnern oder nicht.
Unter ihn: rauschte der Fluß, die
Sterne dlintten, ein schwache-z Säu
ieln durchschauern manchmal die zar
ten Blätter-. Er dachte an längs-i der
aangene Zeiten. Kleine Einzelheiten
fielen ihm ein aus feinen Kinderjalp
ren, als er hie: mit der Angelrnihe am
Wasser gesessen hatte und später, als
er ein herumstromender Arbeitsdursche
gewesen war.
Jn diesen Gedanten hätte er die
ganze Nacht sitzen und träumen tön
nen. Aber als der Mond ausgina, fiel
ihm ein« daß es Zeit war, den letzten
Weg anzutreten.
Langsam, da er wußte, daß er" sich
noch Zeit nehmen tönnte, lloenm et den
steilen Bergrücken hinan. Bei jedem
Schritt tatnen ihm Ertnnerungen an
Vater und Mutter, an Kameraden- Er
hatte den Babndantm erreicht und
schritt nun behutsam dem Gleise nach
bis auf die Mitte der Brücke. Dann
setzte er sich nieder.
Plötzlich, bei dem Gedanken an fei
nen Tod. iiel ihm Annas Ende ein«
und er fühlte dies wilden Schmerzen
wieder erwachen. Wieder stand das
Bild Holleders vor seinen Augen. nnd
wenn das Leben itnn einen Wunsch
uneciiillt gelassen hatte, so war eä
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niederaeichlaaen hatte. »Du Schust!
Du Hund!« murrnelte er und ballte die
Hände, in denen die Adern schwollen.
Aber da hörte er plötzlich aus weiter
Ferne einen schwachen Psisi. Gleich
darauf war aller- still. Er richtete sich
aus. Den Hut nahm er ab, der Wind
spielte mit seinem weißen Haar-. Mit
weit ausgerissenen Augen spähte er in
in die Nacht. Ganz sern am Rücken
des Berges sah er zwei glühende
Punttr. Standen sie still? Bewegten
sie sich? War es die erwartete? Da
tönte der Psiss noch einmal voller und
störten Jhn durchriesetten brünstige
Schauer, während er diesen Tönen
lauschte, die ihm süßer und schöner
tlangen, als das hellste Lied einer
Sängerin. Nun hätte er das Rollen
der Räder, das sich weithin iiber die
Schienen sortpflanztr. Er hatte eine
Stelle zwischen zwei Laternen ausge
sucht, wo es am dunkelsten war. Die
beiden Augen lamen näher-, weite
Lichtstreiien aus die Eisenstriinge wer
send. mmer stärker das Brausen in
der Lu t, von fernem Raus en zu be
täubendem Donner an chwellend.
Horstmann hatte sich erhoben und tau
melte vorwärts-, die Arme wie zum
Willtornm ausgebreitet Er wußte
nicht mehr-, was er that. Ein Schauer
hatte ihn über·wältigt, wie damals
vor vielen, vielen Ja ren, als die Ei
sentolosse zum ersten al an ihm vor
bergerast waren. Und nun ein Aus
schrei, der ihm durch Mart und Bein
grau. Ganz nah gleich riesigen Son
nen die blendenden Lichter. Jeht
schnaubte das eiserne Thier heran. Er
wars sich aus die Kniee. Da im letzten
Augenblick schrie es noch einmal aus,
marterschiitternd. brei, vier Schreie
hintereinander-. wie ein lebendiges We
sen. das sich vor Entsehen ausbiiunit.
Aber die Räder nahmen unaufhaltsam
ilnen Laus und zerrnalmten den, der
darunter ina. End-.