Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 12, 1901, Sonntags-Blatt, Image 16

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    WIWWIWIIW
Yngenieur Dorstmauw
»Roma r von»
gsikhekm Hegekcn
MQMWU
— IIMMMUDQOMMDDx-OLL-h .
IIINMW qI III IN
(20. Fortsetzung)
·Er ist es! Es ist wirklich Gustav!«
dachte sie. »Mein Gott« ist sein Haar
weiß geworden! Hat ihn das Leben
erichtett Und daran bin ich schuld!
M mein Gott, Gott, das bischen
Stück, das ich genossen habe, er hat es
theuer bezahlt!"
Sie ging ihm entgegen, drückte ihm
stumm die Hand und tüyrte ihn nach
der Bant hin. Er nictie ihr zu und
sah sie aus seinen von dicken Thränen
iicken umränderten Augen an, die noch
diesen eigenthümlich schwermiithigen
Ausdruck wie früher hatten.
Sie setzten sich auf die steinerne
Bank. Zu ihren Füßen zitterten gelde
Ringe auf der schattigen Erde. Unter
dein Baum gegenüber tanzte ein Flie
genschwarm. Jrgendwo in der Nähe
gutrten Lachtauren. Aus der Ferne,
aber doch deutlich hörbar, drang das
Geschrei der Jrren aus den Tobhöscn
zu ihnen.
»Hast Du mir verziehen, Anna?"
Sie fuhr aus·
»Was? . . . . Ja, ja, ich halfs längst.
Ich, sprich doch nicht davont«
»Hast Du teinen Groll mehr gegen
mich?« .
»Nein, nein!« Wirklich nicht! . . . .
Denk doch nicht daran! Das alles
ist doch längst vergeben und verges
m «
»Ich hab’ immer daran denken mits
sen,« erwiderte er sinster. »Jeden Tag
hab’ ich’s vorgehalten. Und das war
gut, denn es hat mich beruhigt.«
Er« starrte in finsterent Brüten vor
hin.
uIch habe viel durchgemacht . . .
sagte er nach einer Weile.
Sie ergriff seine Hand, die in ihrer
nnförmlichen Größe ausgebreitet aus
seinem Knie lag, und drückte sie leise.
«Armer Gustav!'«
»Warum bist Du nicht friiher ge
ismmen?"
»Ich durfte ja nicht. Die Aerzte
verboten den Besi!ch.«
»Und Du hast ihnen gehorcht3«
fragte er bitter.
»Ich that es doch in Deinem Inter
ess:,«damit Du wieder gesund wär
»vie.
»Hättest Du lieber mir geglaubh
Anna, was ich Dir schrieb. Tag wäre
besser gewesen. Die Tierzte beben wag
Rechtes gewußt, was mir out ins-!
und was nicht. Die haben aus Ins-h
gehört, so wenig, als wenn ihnen ein
hund was vorbellte «
»Du mußt nicht so sprechen, Gu
stav. Wir haben doch alle nur Dein
Besies im Auge gehabt.«
»Ja . . . . auch als Jhr mich enis
mündigt habt?«
Eine fahle Rdtlxe flog iifser fein-:
tiefgefurchte Haut. Seine zitternye
Hand ballie sich zur Faust unter A .
na s Hand.
»Daß Ihr das aethan habt!. ·Jch
könnte alles bemessen Aber due .....
Verflucht-L ..«
Er rang ruii sich, während die abge
rissenen Worte in dumpfes Stöhnen
uberginaen Anna wurde von namen
loser Angst ergriffen. Sie blickte sich
nach dem Wärter um. Sie wollte et
was erwidern, aber die Plxraien blie
ben ihr ini Halse steck.en l)lllm-:i«c,·l: ci)
ing sein stöhnender Athem la ngsa1n-·cr
wischte sich den cckrveiß von Der
Stirn und versank in Scknveiqen Ge
brochen saß er da das Feuer, Das noch
einmal aufgeqlühi war war erlosch-en.
Qualvoll langsam schlich-en die Augen
blicke hin. Anna starrte aeradeau«.«, ins
Leere, um dies aramvolle Gesicht nick
sehen.
Wie entschlich ist das!« dachte se.
Jxo quält man ein Thier nicht, tm e
ich ihn gequält habe! Warum bin ich
nur gekommen? Jch werde immer des
Stöhnen hören Das wird mich nun
verfolgen, heute Nacht, morgen, alle
.A-ch, waran ich ihn
E eben lasiens Jich wollte glücklich
U. Das bischen Glück! Du lieber
’ mel! . war ja nicht einmal
ich! Was ist denn ei entlirh
Reif Frieden haben —- das i wohl
M Beste! Wenn ich doch nur etwas
We, nnd ich ihm zum Gefallen thun
M,! ern gutes Wort, irgend etwa-«
Wnkann hatte den Stock, der vor
zur each-e gefallen war ergriffen. l
XIV Du denn die Zeit iilser «
. . . . Ich war lange lrant das
« W ich Dir ja geschrieben Und dann
...- dann haben wir ganz still gelebt! «
»Wer — wir?«
Eis-um und.
Deine Mutter lebt also noch?«
die nieste und fuhr rasch fort:
Und Lottc Das Kind hängt so an
M Mr us hat sie mir auch einer
sehf an with-geben«
- das Schreiben. das ihm
IIIW in die Tasche
Bat-Tit visit-n später leteu. .Alip
so an mie! Und ich habe mich
Mut-nett Ganz wie ihre
Uutten New hing auchs o an mie. «
schnies nachdenklich
Wer viel Gefellsckpften gege
pvtmsswa s»
»Nein, gar leine!«
»Aber Du hast Deine alten Be
kinnten wiedergesehen?«
»Ganz wenige nur« Jch sagte ja,
wir haben sehr still gelebt.«
» st denn Holleder noch in Düssel
dors?«
sEinen Augenblick war es Anna, als
wenn ihr Herzschlag aussetzte, als
müßte sie ausspringen und fliehen.
Dann antwortete sie:
»Ich weiß nicht!«
» st Du ihn nicht gesehen?«
» ie letzte Zeit nicht« Nur sriiher
manchmal aus der Straße!«
»Was? Sonst nicht?«
Sie merkte, wie die Aufregung in
ihm wucls Seine Hände, die den
Stock umklammerten und in die Erde
bohrten, zitterten. Die Augen, die
nett ausgerissen waren, flogen hin
und her. Seine Fragen und ihreAnt
l warten ·solgten hastig auseinander.
s Sie wußten beide, um was es sich
: handelte. «
I »Sonst nicht; nur aus der StraßePf
»Hm er Dich nicht besucht?«
»Nein. Das heißt, ja, einmal.
Dann nicht mehr. Jch habe alle Be
suche abgewiesen.«
»Wenn das wahr ist?«
»Das ist wahrt«
Ghin wenn Ich Dir glauben könn
te
»Du kannst mir glauben, Gustav!«
Er stöhnte und sagte in dumpser
Verzweiflung:
»Wie soll ich Dir glauben, Anna?a
Da esgriss sie seine Hand und ah
in ein gramverzerrtes Gesicht. ie
xre te ihre von heißen Thränen nassen
Augen an seine Stirn nnd stammelte:
»Es ist wahr, Gustav, glaub« mir
dreht Bitte, glaub« mir, es ist wahrt
Ich liige nicht! Ich habe ihn wahr
hastig nicht twieder esehen!«
Nie hatte sie tra er lo en, als in
diesem Augenblick· A r re log viel
mehr aus Barmherzigkeit und Mit
leid, als um ihrer selbst willen. Mit
te: anzen Inbrunst ihre-s Herzens
wünschte sie, es möchte wahr sein, was
sie sagte. Und sie flehte nur um eins:
daß er ihre Liiae nie ersühre!
Sie fuhr mit ihrer sicheran Hand
ists-er seine Hände. Sie strich ihm
ukier die Bauen und durch sein weißes
Haar. Sie lächelte, und immer neue
Thränen quollen aus ihren Augen,
und immer wieder stammelte sie:
»Nicht wahr· Du glaubst mir? Lie
ber Gustav, sag’, daß Du mir
glaubst! Damals in der Wuth habe
ich gesagt, ich betnge Dich. Aber ich
that’s nur, weil ich Dich in dem Au
genbtick haßtr. Hätte ich's wohl ge
sagt, wenn es wirklich wahr wäre? . . .
Sag doch, das-, Du mir glaubst!«
Ein tiefer Seufzer rang sich aus
rein Allerinnersten Einer Brust los.
»Ja, ich glaube s ir!«
Eine lange Weile verging. Direc
tor HäußeL der durch einen Seiten
weg durch die Allee gekommen war,
lehrte behutsam wieder um, als er
tie beiden in dieser tiefen Versunten
heit sitzen sah.
RGO lange-( Sei-meinen sagte-Hom
mann:
»Ich glaube, ich balde mich manchmal
um nichts arg-parall«
»Da-Z hast Tu!«' erwiderte sie leise
und innig, in tiefern Wunsch, der
sknrter als alles andere war, seinen
Gram zu lindern«
»Von nun ab soll das anders wer
den. Jchbin hier auch ein anderer
Mensch artvorren . . .. Wir wollen
unser Leben neu anfangen.«
Nachdem der Director noch eine
Viertelstunde gewartet hatte, tam er
entlich
»Nun, Herr anenieur. sind Sie
ietzt mit uns zu riedenss Glauben Sie
endlich, daß wir Aerzte auch Wort
halten?«·
»Lange genug hat’s gedauertt«
»Wie sind Sie mit dem Aussehen
Jhreö heern Gemahls zufrieden, gnä
dige Frau?«
Aber ehe Anna noch mit einer Lii e
antworten konnte, kam Horstmann i
zuvor, indem er ungeduldig fragte,
rrann er entlassen würde.
»Sie werden schon noch mal entlas
sen-l Nur dürfen Sie nicht ungeduldig
ern-"
»Ich möchte wissen, wann?'«
» s weiß ich selbst nicht. Einst
weilen freuen Sie sieh doch an dem
Besuch Ihrer Frau Gemahlin!«
»Meine Frau will schon gleich wie
der sort."
»Das haben Sie doch vorher Fe
. was-il Der Besuch war auf eine ha be
; Stunde berechnet, und jettk be ich
J ishr-en schon über eine Stun gelas
en «
i Fsdas nächste Mai oon ich nin et
III sagte Anna mit schwach-m ä
n.
»Dann lomm’ nur bald. Sonst be
get-» ich eines Tages unversehens
Da Frau horstmann vorgegeben
tre, daß sie in Romcnnshausen den
reiuhr - Zu denußen wollte, war
ei- Feit zum - fhruckr. horftmann
beg ’tete seine Frau bis an’s Thor
Er wollte sie gar nicht fortlassen. Sie
mußte sich von ihm losreißern Eine
AJ
dichte Statebwolke hatte sich schon «n
ter tetn sortrollenden Wagen erho n
lsie sie unsichtbar machte. während ei
noch immer aus der Landstraße stant
und ihr nachstatrte
Als Anna in dem romannlyausenei
Gasthaus ankam, snnd sie Bett schon
in einem Extrazimmer vor dem ge
tieckten Mitta stisch auf sie warten.
»Hast Du Sich aber lange ausge
halten!« sagte er. »Ich bin derweil
ror Hunger bald gestorben.«
Während sie stumm dieSnppe nßen
betrachtete er sie.
»Na, wie war’s denn eigentlich? Es
hat Dich wohl ein bischen alterirt«s.s'«
Sie schüttelte sich und sagte finster:
»Vert, wir find beide Schuhe-»
Er schlürfte behaglich den Lbssel
leer und erwiderte:
»Das hab’ ich schen längst gewußt!«
Um vier Uhr bestiean die beiden
den Dampfet, mit dein sie nach Bonn
fahren wollten.
Nach dem Mittagessen machte
Hatstmann mit seinen beiden Wärtern
einen Spaziergang nach Lahmersdors·
Zwischen den Anstalimanern war es
i m eng. Er nahm in dem kleinen
« irt garten der Landungsbruete ge
seeniiber Platz und bestellte eine Flasche
s iidesheimer. Der Wein sollte sein
fieberhaft wallendes Blut kühlen. Die
beiden Wärter saßen ihm gegenüber
Mewes tauchte aus einer langen Spitze
eine Cigarre und unterhielt sich gön
nerhast mit seinem Kollegen« der wie
ein armseliger Kirchendiener aussah.
Nur wenig Gäste saßen im Schatten
ter Kasianien Hühner scharrten im
Sande, ein hahn halte sich ans einen
Tisch geschwunaen nnd reckt-« laut krä
hend den Hals aus. Aus einem vor
Anker liegenden Schiff trugenArbeiter
schwere Kornsäcke über schwanke Bret
ter znm Ufer bin. Am Chausseerand
saß ein« Steintlovser mit blauer Bril
e, zwei andere Arbeiter besserten den
Weg aus.
Horfimann ließ sich Papier und
Schreibzeug geben und richtete fol
gende Zeilen an seine Frau:
Jnniggeliebte Anna!
Du sißt sent schon im Zuge und
wenn ich in meine Gefangenschaft
zurückgekehrt bin, wirst Du bald zu
Hause sein. Mir kommt es als pu
rer Unsinn vor. daß ich noch wo
chenlang von Dir getrennt fein soll,
wo ich doch weder jetzt lrant bin,
noch jemals derartig lrant war,
daß ein Aufenthalt in einem solchem
Hause angebracht war. Was das
heißt, als Gesunder unter Verkün
ten eingesperrt zu sein, kann nur
der begreifen, der es wirklich erlebt
bat. Doch icli will nicht klagen. Jch
will aern all meine Leiden vergessen
da ich weiß, daß mich zu Haufe ein-:
treue Frau erwartet, mit der ich von
nun ab Freud und Leid theilen
werde.
Da kommt die ,,Loreley« schon.
Eine liebliche Hoffnung gaulelt mir
vor, Du sößeft im Schiffe und ich
könnte Dir die letzten Abschieds
grüße zuwiniem Ich thue es im
Geist. Seit viel tausendmal gelüßt
von Deinem Dich sehnlichft erwar
tenden Gustav.
Nachdem Horftniann den Brief ge
schlossen hatte, reichte er ihn Mut-ro
»Stecte ihn in den Schiffe-brief
lastan
»Wenn er per Bahn gehi, kommt er
schneller an,« erwiderte Meroes, der
du träge war, in diesem Augenblick
aufzustehen
»Dann werde ich ihn selbst ein
stecken-«
horftmann erhob sich. während ihm
Mondes jetzt nothgedrungen folgte und
ging zu der Landungsbriicke hinunter,
an die der Dampfer antrieb.
An Bord des Dampfers saß Anna,
neben ihr, von ihrem Sonnenfchirnr
mit geschützt, Bert. Anna hatte den
Kon aufgestützt und starrte mit schwe
ren Gedanken in’5 Wasser. Auf der
Landungsbriicke stand ein Herr, der
einen kleinen Jungen mit einer Bots
nisirtrommel an der hand hatte. Die
beiden wollten einfteigen. hinter ihnen
ftand Horstnianin Die Matrofen hat
ten daz Tau um die Pfosten gen-un
den, das schwankende Schiff lag schon
an die Brücke gepreßt.
Plöhlich sal) Anna, wie Bett zu
sammenfulir.
»Doonerioetter!«
Jni selben Augenblick rief eine
LIMI- sssås . - «
ȊRclt]cc), Vcl Uccllfch In Wohl Dek
ru .«
Als Anna aussah, fiand kaum fiinf
Schritte von ihr entfernt ihr Mann.
Er hatte dieArrne ausgestreckt und den
Mund zum Schreien geöffnet, aber
kein Ton takn aus feinerKehle· Merves
hielt ihn an der Schulter fest und
suchte ihn zurückzuzerren horstrnann
drängte nach dem Schiff hin, wurde
aber von den Matrosen heifeite ge
fehoben. Da ftiefz er einen lrarnpfhaf
ten Schrei aug, packte mit einem Griff
in’3 Gesicht. Nun entstand ein unge
heuerer Tumult. Vorn Ufer her kamen
die Sacktriiger und Chauffeegräher
herbeigeeilL Ein dichter Knäuel um
driinzite den Wüthenden, der von der
Brü e gefchleift wurde. Auf dem
Schiff war alles nach dem Back
bord gestürzt. Schon neigte sich der
Dompfer, von den Tauen nur noch
lofe gehalten, bedrohlich dem Ufer zu,
als die Matrofen zurück rannten und
die Tone lösten. Der Kapitän schrie
feine Befehle in’siSprachrohr. Schwer
fiillig feste fich die Mafchine in Be
wegung, während die Passagiere von
dem Stemrd und den Matrofen ver
drängt auf Tische und Stühle spran
gen, um doö Ufer übersehen zu tön
— "'««’i—« J
—
nen. Das Rad wars erst langsam,
dann schneller die Wassermassen hoch.
Während ich das User mit der Brücke
reißend s nell entfernte, schien das
Schiff still zu liegen. Bald aber hatte
es dieStriimung gewonnen und tan te
leicht auf den Wellen dahin. Necki ch
tauchte am Bug der nackte Leib der
Loreley, von Wasserperlen überrieselt,
auf und nieder.
Aber noch immer starrte Anna mit
entsetzten Augen auf den dichten,
durcheinander wogenden Hausen nackt
armiger Männer, die ihren Mann
über die Chaussee hinschleiften.
Wenige Tage, nachdem Anna aus
Romannshausen zurückgekehrt war.
erhielt sie den Besuch des Geheimrathg
Zimmer.
Das, was sie schon wußte, schilderte
er ihr so, wie es sich nach der Auffas
sung der Anstaltsärzte abgespieli
hatte. Jhr Mann, aufgeregt durch
ihren Besuch, war wieder in seine
Hallucinationen verfallen und hatte
auf dem Dampset seine Frau zu ent
decken ge laubt. Da der Wärter ihn
am Besteigen des Schisses verhinderte,
hatte er einen Tobsuchtsansall be
iommen. Man hatte ihn mit Gewalt
nach der Anstalt zuriick transportiren
müssen. Leider war dem Wärter iibel
dabei mitgespielt worden. Was aber
noch schlimmer war, am nächsten Tage
hatte der Kranke einen unbewachten
Augenblick zu einem Selbsimordver
such benutzt und si mit einem Tisch
messer den Hals au geschnitten.
Frau horsimann hatte schweigend«
zugehöri. Bei den legienWorten wurde ’
sie noch sahler.
»Ist die Wunde gefährlich?«
Der Geheitnrath .nickte.
»Ich mu Ihnen leider..sagen, daß
Lebens efagr vorhanden ist. Der Di
reitor sxchrieh mir, daß« nicht alle hoff
nung von der Hand zu weisen wäre,
aber eine bestimmte Versicherung iann
en mir nicht geben.«
Anna blickte unbeweglich aus dem
Fenster. Warum wiinsche ich mir
nicht, daß Gustav stirbt? dachte sie.
Warum bin ich so scktvach, dasz ich vor
diesem Gedanken erschrecke? Vielleicht
wenn er todt ist« wenn eine Zeit hin
gegan en ist« werd-e ich es als Erlö
sung etrachten .. . Aber es müßte
viel Zeit hingeben. Mir scheint der
Augenblick, wo ich wieder ruhig aus
athme, liegt in unendlicher Ferne
»Wir wollen das Beste hoffen, gnä
dige Frau,« sagte der Arzt. »Ihr Ge
k mahl ist doch eine gesunde Natur. Aber
; was ich gesagt habet Jchg versprach mir
Jvon diesem Besuch von Anfang an
nichts Gutes. Und leider hat sich meine
« Ahnung schlimmer bestätigt, als ich
edackst habe. Nach meiner Meinung
iißt man ietzt den Kranken zu viel
Freiheit« Man will sie möglichst scho
nend behandeln und vergißt dabei die
» nöthigsten Vorsichtstnaizregeln.«
! Er seufzte und fügte hinzu:
« »Aber ich will an anderen nicht ta
dein, worin ich selbst zuerst gefehlt
: habe Jedenfalls diirste ein Br
E such oder ein Ausgang des Kranken in
; Zuirznst auf das strengste zu vermei
—
den iein.
Eis-nie Wochen nach diefem Besuch
meldete Mewez sich. Er hatte ein bdse
verstiimmeltes Gesicht. Sein Nasenbein
war exebrachnh außerdem waren ihm
sechs Zähne einaetreten. Er verlante
fünftausend Mart Schmerzen-ne d.
Damit wollte er in Düsseldorf eine
Sämntwirthsavaft eröffnen und sich
Verheirailmr Frau Dligbach mit der
er verhandelte, versuchte anfanggs, feine
Forderuna auf rie Hälfte zu rersuszii
ren, aker Mervee im Bewußtsein d.if3
er seine Leute ir. der Hand habe, zeicite
sich halsftcirria und erlanate schließlich
das ganze Geld·
Dtr Winter kam. und die Gesell
fchaften begannen. Frau Horftrnann
machte viel rnit, aber sie hatte an rein
ganzen Trieben die rechte Lust verlo
ren. Es tam ihr plötzlich vor, als- eb
das alles, was sie in dieser Saifon fah
und hörte, schon einmal daaewesen fei,
t
e
i
·
l
I
und zwar besser, frischer und schöner-. ;
Die Gesichten die Gespräche, die Tei- .
leiten der anderen Frauen, die Schmei
cheleien« die man ihr sagte, alles er
schien ihr langweilia und abgestanden,
ebenso wie die ewigen Rehziemen Pon
larden und Pater. Jhr Ehrgeiz war
eingeschlafen Es dünlte ihr so gleickp
giltia, ob Frau Oswald oder sie mehr
gefeiert wurde, ob sie. oder ihre Rina
lin, oder iraend eine neu auftauchenae
Erscheinung die hauptrolle auf rein
Maltastensest oder auf anderm Bällen
spielte.
Sie fühlte sich abgesponnt und un
lrrstig zu allem. An manchem Worein-»
wenn sie erwachte, blieb sie träge im
Bett liegen und dachte: Wie bringe ich
diesen Tag nur hin? Und dann begann
sie an ihrer Unterlippe zu nagen uns
spann sieh eigensinnia in ihre Grübe
leien ein. Noch öfter kam ihr Abends-«
m Augenblick, wo sie sich ins Bett legte,
der Gedanke: Jetzt wird's schwarz, und
ich tann nicht einfchlafenl Sie starrte
in die ruhiaeKerjientlamme und wagte
nicht, sie auszuliifehem Einen Arm un
ter ihren Kopf legend, fiarrte sie nn
betvealich gean die Decke, bei jedem
leinen Geräusch usammenfchreckend.
Sie evnsultirte octor Zimmer, der
ihr Ruhe, ein ganz reaelmäßiges Le
ben und frühez usbettaehen verriet-trete
Aber wie sollte nna um zehn zu Bett
gehen, wenn sie noch um.zwei schlaf
lot lag? Sie zog einen anderen, jungen
Yauenarzt zu Rath. von dem sie ksch
orphium verschreiben ließ. Er nahm
ihr das Versprechen ab, das Mittel
nur im äußersten Nothfall anzuwen
den, indem er ihr die verderblichenffob
aen auseinanderletitr. Sie versprach es
4
ihm. Aber mit der Zeit qetoiihnte sie
sich so daran, daß tie alle m« lich-n
Kniffe anwenden mußte, um ich die
Medicin nur oit aenua in der Apotheke
erneuern zu lasset-« An die Folaen
dachte sie nicht, wollte sie nicht denken.
Seitdem ihr Mann fort war, hatte sie
verlernt, mit der Zukunft zu rechnen.
Sie hatte sich an den Gedanken ac
wöhnt, daß ibr ganzes Glück aerade in
dem gegenwärtigen Auaenblirt laa:
was kommen würde, lonnte nur dunkel
und schrecklich sein. Diese Sorge um
das Wohl tommendek Taae, die den
Menschen dahin briuat, daß er siiet,
pflanzt, arbeitet, sckfaiii. die fiir ihn
der nothwendiae Scelenballait ist, daß
er sich nich-i gänzlich verliert, war in
rem Leben abbanden aekommen. Des
halb war sie von dieser eiaentlsiiinkk
chen Unruhe befallen, von diesem half
losen Schwanken aus übermütbiqcr
Ausaelassenbeit zu rettungslosetn
Trübsinn. Deshalb trieb sie Raubbau
mit ihrem Leben, mit ibrer Gesund
heit, mit ihrem Vermöaen, mit allem.
Es war ein seltsames Leben der drei
Frauen in diesem arosien, Tururiösen
Hause, worin»die Feuerspr machen
lUlUclc, IUUV III lUUulL Xcllc Ulcl gut
igen ihren eigenen Weg und lebten
fremd nebeneinander ber. Manchmal
nahmen sie nicht einmal die Mahlzei
« ten miteinander ein. Frau Düsbach
« hatte sich dauernd in Horstmanii’s
Zimmer einauartirt und trieb dort
ihre dunklen Geschäfte Sie führte noch
das Oberreaiment imHausr. aiber ganz
den Blick auf das Große richtend. auf
ihre Spekulationen bei denen Tau
sende auf dem Spiel standen, hatte sie
den Sinn für die Kleiniateiten des
Hausbalts verloren. Es herrschte eine
beillole Unordnuna. An allen Ecken
und Enden ivurde sie betrogen. Eine
Unmenge Rechnunaen waren noch zu
bezahlen, und manchmal sehlte es on
dem nothwendiaen Geld iiir die tägli
chen Aus-Faden Oel-miß ließ sich selte
ner als früher leben. Wenn er lam,
fuhrlrsertte er newös im hause been-m
schnautte die Dienstboten an, machte
-einen furchtbaren Lärm weqen einer
Kleinigkeit indem er aus dies Weiber
regiment schinwfte, aus diese Lotter
trirthselsaft, wo alles drunter und drü
ber aina. In der letzten Zeit ries er
auch öfter seine. Schwieaermutter nnd ;
seine Schwaaerin zu einer Verteidng "
zulammerh weil ilnn vom Gericht aus
Schwierialeiien treuen leiner Vermö
gensverwaltung aemackft wurden
Dann rechnete er im Schweiß seines I
Angesichts und konnte doch nicht ange
ben. auf welche Weise diese nnd jene
Posten verschwunden waren. Alice laß j
nsitibretn ironisch-en Lächeln dabei
und sagte:
»Du verstehst eben nichts von Ge
schäften, mein Liederl«
Die einziar. die dann Rath wußte,
war Frau Regierunasrath Sie nah-n
die ganzen Papiere mit auf ihr.Zi1n
mer und richtete bei aller sclfeinbnren
Mark-it eine solche Coniusson nn, das-,
auch der Richter nicht mehr klug dar
ans rrerden konnte. Da in dieser Zeit
die Vormundlclnitsacken von stellver
tretenden Izlisessoren aeiührt wurden,
Fiesjch alle-Vierteljahr thyechselten
iu icrkuie um sei-er, der criwe iiesrk
auf den Grund in aehkn in der Hoff-s 3
nimm daf; der Nacksiolaer wohl mehr
Klarheit in die Aiiieleaeuiseii drin-im
würde. ScherDetzivik der noch niaii die
Ilaltäliiiialeit seiner Schwieaeriniziter
hatte, wurde oft ans-ist und bange vor
deren Mackeiiichafiem Nur in einein
Punc waren sie untereinander einia.
Wenn Frau Horitmann Geld ver-·
leiiaie von ihrer Mutter oder von ih
rem Schimmer-, so fielen sie gemeinsam
ii«l·-er sie lxer nnd redeten von Spar
samkeit. Anna kiirninerte sitt-« nicht um
das Geschirkitr, sondern liefz einfach
tie Tinar auf Rechnung setzen.
Die aanie Zeit über hatte sie ver
fucht, sich wieder ihrer Tochter iii nö
hern. und iveniasiens war seit Lotte’g
Riicktehr ein äußerliches Einvernehinen
hergestellt Das iunae Mädchen beglei
tete ihre Mutter auf den Spaziergän
gen und las ihr Abends manchmal vor.
Ader in Geaentvart der Mutter fühlte
sich Lotte immer gedrückt. Ihre heften
Stunden waren, wenn sie allein auf
ihrem Zimmer saft. oder wenn sie zu
Fernow auf's Atelier aina. Dort hatte
sxe ein daarMalerinnen lennen gelernt,
ältliche Mädchen, die daz junge, hilf
los dein Nest entfallene Geschöpf unter
ihre Fittiche nahmen und beinutterten.
Lotte hatte sich noch immer nicht
» ganz damit abgefundem das-, sie in dem
» Hause geblieben war. Ader ihre aanie
Jugend, ihre Lehenosehnsucht bäum
: ten sich dagegen auf, sich wieder in der
Krankensiuhe ihrer Großmutter zu he
graben. Und mit der Zeit wurden die
nagenden Geroiffenhhisie abgestumpft.
Sie verzieh ihrer Mutter nicht: dies
Verhältnis widerstrebte ihrem Gefühl.
Aber ihr Verstand, vielleicht auch ihre
Nachgiehigteit, hatte allerhand Milde
ruisasariinde ersonnen. Ihr Vater war’
eisieötrant, er war todt, wenigstens
o gut wie todt, und ihre Mutter
tonnte sich als Wittwe fühlen. So
lange er im Hause gewesen war. hatte
Lotte nie etwasUnrechteS bemerkt. Das
Verhältniß mit Holleder hatte erst he
nrsnnen, alkz er in die Anstalt getorri
inen war. Auf diese Weise fand sie sich
ab. »Aber die Sorge um ihren Vater
blieb doch immer wach. Von Zeit zu
Seit ergriff sie eine wahre Angst uin
fein Schicksal, sie nahm sich vor, hinzu
reisen und sieh dersiinlich von seinem
Wohlergehen zu überzeugen. Alber sie
tani nie da?u, ihren Entschluß auszu
führen. S e begn« te sich. bei jedem
Brief, der aus der nftalt kam, ihre
Mutter nach ieinem Befinden zu fra
gen. Diese aah stets die alei Ant
warte-in Es ging nicht be er, nicht
schlechter. Er lebte zufrieden in Rei
chenherg und hatte das Interesse für
J
L
die Außenwelt verle Die Folgen
ihres Besuches hatte Anna ihm Toch
ter verschwie-en. Sie hatte the unt
gleichqilttge Dinge erzähh die eignet
waren, das junge Mädchen zu ruhi
gen.
Eines Nachmittags im Januar
kehrte Anna von dir-km Intzen Spa
ziergang zurück Es etc-: ein mgagbat
trauriger Log qewcfesz ohne « anne,
Fostiq und doch nicht winteekalr. Als
te nach Hause aine·. leih-fette der
Whenvwind den ruzxsien Wassetfpi:gel
der Laut-steure, ein paar spärliche
Schneeslocken schwebten vekhren in des
Luft, alles war qkau und stumpf —
ein wahres Grab der Fröhlichkeit.
Zu Haus traf Akt-e Bett an. Eine
Eiqatette rauchend, gqu e( im Zim
mer auf und ab. Er hatte ekn gutes
Pmek mitgemacht inv vers-hoffte sich
je t Bewequm. Rock-ten sie unter dem
T ekcssel die Sprijitamme entzündet
hatte, tückfe sie deu Sesse: an denOfen
und blickte in die langgeschliyten Glut
augen.
»Allo, was aieWs Neu-IV fragje
Bett.
»Ich habe bessere Nachrichten bekom
mens»
is »s
»Meine
«Nun, es geht ihrn besser. Er ist Fuss
gestanden und war auch schen einige
stunden im Freien.«
Bett sah sie spöttisch an nnd mur
nrelte:
»Das nennst Du bessere Nachrichten?
Glaiko mir für ihn wie siir uns wäre
ed besser gewesen wenn sie Geschichte
anders verlaufen märes
Einen Augenblick schwieg sie.
»Ich hab' manchmal auch so gedacht
und aewiinschi, er wäre tobt. «
»Das hätte die ganze-c Lage ungeheuer
vereinfacht.«
»Vielleicht.. Jetzt wünsche ith ihm
von mir aus alles Gute. Wenn ich ihn
glücklich machen tönnte ans Kosten
s meines eigenen Glücks —- ich glaube,
J ich thesi s.
» Bett ver sich vor rein Spiegel ge
mustert hatte, gina wieder aus und ab.
Dann blieb er bei Anna stehen und
schüttelte den Kopf
»Ihr Frauen seid lcniische Ge
trinkt-P
Sie zuckte die Achseln.
»Ich wollte, er käme. nähme sein
Haus. sein Geld, alles- znriick . . . . So
weit vin ich schon aelommen.«
»Und was passirt mit mir?«
Sie nat-in seine Hand ant- legte den
Kopf daran.
»Bitte müßte ich kelmlten!"
Bert lächelte befriedigt und ging
wieder ans nnd til-.
Die Dunkelheit wurde immer tiefer,
die beiden waren nur noch als schwarze
Schatten in c. leimen.
»Warst Du ans dem Bureau?«
«Nee. Da aebt’5 besser olme mich!«
Nach einer Welle sraate er:
»Ist Lotte zu Hause-"'
»Ich treiß nicht. Sie ging gleich nach
dem Essen sort.«
Sie sprachen nur hin nnd wieder ein
Wort. Als das Theeioasser tochte
löschte sie die Flamnie aus und hing
das Net- mit gen grünen Blättern in
den Kessel. Dann setzte sie sich aus das
Sata.
»Komm« doch, set3’ Dich zu mir!«
Er nahm in einein Sessel an ihrer
Seite Platz. Sie leate nachdenklich
ihre Pan ..· aus sein-: Selznllen Zo sa
ßen te einr Weite, waäzrend sie ihn
schweigsain ansah
» »Wean ich Dich verlieren müßte!
z Waer bitt Du gestern nicht gekom
; wen-«
» »Ich kenn drcki nicht jeden Taq toms
; men! Das irilli ;xii.«« «
»Da willst til-S met-t! Gutes-n warst
l Dei bei Frau LIMle
Er runzette die Stirn
) »Auf ich nidzt mehr andere Leute
besuchxns Das- ist ja tcnaroeilig, dies
Spioniren.«
»Ich spionire nicht« Fels mir hint«
I sagte sie neiite
Sie erkundigte sich nach dein Vier
brauer, rser seit einiger Zeit wieder an
Wassersucht iitt. Beet meinte. es inne
ihm schied-, e: trürre wohl nä ten
abtreten
«Wenn sie Wurme wird, tönntest
Du sie Ja heirathen-«
»Was Du für Ideen bat I«
»Ich meinte es ja nur im ScherzF
sagte iie mit einem Lächeln.
Tann zoq sie feinen Kopf an sich
und Iriictte einen langen Kuß aus tei
nen Mund.
Es iiopste an der Thür. Bett
sprang hastig qui und that ein paar
lautlose Scheine zum Fenster. Der
Dieneo inm, teuer die brennend-Lampe
herein, und nan dann wieder hinaus.
»Es ist zu Dumm, date man vor je
dem Dienstboten Anait haben mußt«
sagte Holleder mürrisch
»Das brauch Du wirttich nichi.mein
Lieber-. Es tornmt biet Niemand her
ein, ohne anzutionien.«
»Und wenn er vorher walks-Schläf
telloch frei-ji« ,
Anna zuckte vie Achseln.
»Was thkri das? Ich tiinnnere mich
wirklich nicht um die Meinung der
Dunsrboten!«
»Aber ich! Durch deren Mensch er
fahren auch andere Leute. was zwi
schen nns los ist. Es wird so oieso
schon über uns aetiatscht!« -
»Wer klatsckit?«
«Alle»unsere Bekannten! Du witt
deit schon erstaunt tsein. wenn Du
hgrteft was man sich iisber unser Ver
battnrsr trit· Bemerkunaen erlaubt.
Das paßt·mrr niFchti »Das ist auch
liqchst geseheer sur Dicht Deshalb
müssen wer bedeutend vorsichtiger sein
als bisher-P ·
»Sol! das heissen, daß Des noch sel,
tener kommen willst als still-erf«
Gottsttuug koloss) « !