Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 12, 1901, Sonntags-Blatt, Image 14

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    New-W
W pie nnrelnte Zeit-it
—
hnrnoreslkoon Beethold
A. Baer.
—-.
1.
Dr. John Wenttoorth war seit Jah
ren der einzige Arzt in Haywood, ei
nein kleinen Landstädtchen in der Nähe
von San Leandro. Selbst die bekann
teften »öltesten Leute« konnten sich nicht
erinnern, daß Dr. Wentworth je: nat
jung gewesen sei; er hieß einfach »der
alte Dottor« und gehöxte quasi als Fa
mikieninöbel zu jedem Hang-halte War
die Mutter trank oder hatte der Vater
Streit mit dem Nachbar, hatte die Kuh
Magenschrnerzen oder fehlte ein Mann
zum ,,Pinoehle«; wollte der Sohn nicht
pariren oder hatte die Tochter Liebes
gram —-- der alte Doktor wußte für
Alles und Jedes ein »Re:nedy« nnd ge
gen seine Verordnungen gab es keinen
Widerspruch: die Medizin mußte ge
schluckt werden« ob sie auch noch so bit
ter schmeckte.
So war es seit Jahren gewesen.
Doch der alte Doktor hatte vor vier
Wochen das Zeitliche gesegnet und ein
Anderer war an seiner Statt gekom
men, Dr. Allen Bristol, »der junge
« Doktor«.
Er hatte seine Mutter mitgebracht.
ses: Sie fährte ihm das Haus.
. « Die Bewohner von Haywood betrach
teten den neuen Doktor erst mit miß
trauischen Augen: das wird so ein Al
leswisser sein, ein Neuererl Und dann
ist er viel zu jung! Wie kann man
dem Vertrauen? Soll man statt eines
Großvaters auf einmal einen Sohn in
der Familie haben? Jeder hatte eine
anldere Frage, jede einen anderen Skru
Dr. Bristol machte seine Antrittsvi
seien. Er vergaß Keinem er besuchte
sogar den armen Blossorn, der ihn je
doch gar nicht bezahlen konnte, denn er
war arm wie ein Prairiehündchen, und
auch die »bissige Marianne«, die auf
den und Alles schalt. Wie die nach
r den jungen Doktor lobtel Das sei
der beste Doktor, den Hayroood je ge
habt; der sollte in San Leandro
,praxipiren«, ja sogar in Frisco würde
man keinen besseren finden. Das sei
einspDottorl —
So kams, oas Ver Junge oaio oen
Platz des »alten Doktors« ausfüllte
und mit all’ den kleinen und tleinlichen
Familienangelegenheiten betraut wur
de, deren sich sein Vorgänger so an
theilvoll angenommen.
Bristol hatte in Sau Francisco stu
dirt, Medizin studirt und nicht Base
ball, Football oder anderen Sport ge
trieben, wie dies ein gut Theil der heu
tigen akademischen anteriianischen Ju
gend zunieist thut. Er nahm seinen
Beruf ernst und legte seine ganze Seele
in sein Studium. Nach bestandenein
Exatnen sagte er seiner Mutter —- sein
Vater war seit Jahren todt — daß es
sein Lieblingötvunsch wäre, seine Stu
dien in Deutschland zu beenden, und
obwohl die Zinsen und ein Theil des
kleinen Kapitals dazu dienen mußten,
gewährte die alte Frau den Wunsch ih
res einzigen Kindes-. Dr. Bristol ver
brachte zwei Jahre als Assistenzarzt
am Armen-Hospital in Hannoder und
als er nach Ablauf dieser Periode um
feinen Abschied nachsuchte, war das
Bedauern bei Kollegen und Patienten
ein gleiches. Bristol war nicht nur be
liebt, er war geliebt und es gab keinen
bescheideneren und dabei tüchtigeren
Arzt irn Hospital. —
Die Freude der alten Mutter über
den heimgekehrten Sohn war eine
tiefe, innige und auch Allen war froh,
wieder in Mutters Armen und au
amerikanischem Boden zu sein.
Dr. Wentworth der ein Freund von
Betst-IRS Vater gewesen, hatte seinen
jungen Kollegen eingeladen, ihn zu he
suchen.
»Allen«, sagte der alte Doktor, »ich
rnuß bald meine eigene Medizin schla
cken. Was nühkst Andere mußten dag
selbe thun. Haywood ist ein kleines
Plättchen, aber die Bewohner sind gute
Menschen und Jeder ist ein Stück von
mir selbst: sie athrnen Alle meinen Geist,
leben in meinen Ideen. Jch möchte tie
am liebsten Dir vermuthen Ich weiß,
Dir-ist der Beruf ernst. Du bist kein
Neues-er, iein Waltenstiirtner und Du
hast das Herz am rechten Fleck· Wenn
meinLebenOfaden abgeschnitten ist, dann
komm hierher und beziehe mein Haus-.
Alles, waj drin und dran ist, vermache »
ich Dir —- sonst habe ich keine Erben. »
Ich verdanke mein Fortkommen mei- «
nein-Freunde BriltoL Deinem Vater.
Er Ob mit einst fünf Dollars, als ich
· das Geld sehr nöthig brauchte —- er
bunte et kaum selbst entbehren, gab es
seit aber dacht Er wollte niemals daran
erinnert sein, ich hab’ es aber nicht
Mein Das Geld hat Zinsen getra
«G nnd has-ital und insen gehören
·, Pesß mir Deine utter, Allen,
ihrsedewohl von mir, und bleib
- — selber tren! Geh, mein Junge, geh
Ind nimm gut Acht auf Dicht« —
Co kam es; daß Dr. Allen Bristvl sieh
galt Jetzt in hat-wand niederließ.
« ! 2·
«6isd Zettel da, Mutters« fragte
M du eben mit seinem Gefährte von
»eines Besuch bei fanget hill zurück
HM woselbst et ast den ganzen Tag
Eis-WE- .
»si- immer«, entgegnete die Mut
.iet. « Du mußt hungrig sein, Al
W Mittagsbrot-»ich habe
XII-am gehalten. Die Zettel
. »——-—.———-..-—-—
s
»Was Wichtigei darunteri«
»Die Wittwe File schreibt, sie möchte
Dich sofort sehen«, erwiderte die Ge
sragte, ihren Sohn von der Seite be
trachtend.
»Die dentt wohl, ic, hätte nichts zu
thun, als ihren Launen zu stöhnen und
EhrtGesellschaft zu leisten. Jhre Krank
heit beruht nur aus Einhildungx Zer
reiße den Zettel. Was sonsti«
»Der alte Blossom dittet Dich, nach
ihm zu sehen; er habe wieder einen An
- sall gehabt.«
»Der arme Kerl; es geht mit ihm zu
Ende. Jch werde ihn sofort besuchen.
- Stecke ein-e Flasche von dem Rothen in
" meine Tasche, Mutter, der Wein wird
T Fest· unbedingt
ihm gut thun.«
»Gewiß, Allen.«
»Weiter.'·
»Mr. Shutsman schreibt, Du müß
heute Abend zu ihm
« kommen; Hart Faron habe in die Stadt
müssen und er habe Rheumatismus.«
»Er hat Rheumatismus bekommen,
weil Faxon in die Stadt mußte. Da soll
ick wieder heim Pinocle aushelsem soll
« sich ein anderesterd suchen. Sonst noch
etwas?«
.Mrs. Locke schreibt ihre Stiestochier
— sei aus ihrer Stellung in Frisco weg
Z gelaufen; sie käme heute um vier Uhr
I
l
I
z
on. Du möchtest doch lomrnen und ihr
tüchtig den Kops waschen, damit sie
wieder zurückgehe und Ahbitte leistet.«
»Können denn die Leute ihre Fami
lienwiische nicht ohne mich waschen?
Mis. Locke soll selbst mit ihrer Tochter
reden oder zum Magistrat gehen.«
»Du solltest doch gehen, Allen. Es
fällt der alten Frau schwer genug, siir
ihre drei Kinder zu s orgen; soll sie sich
auch noch mit dem Unkraut der ersten
Frau ahgebeni Rede dem Mädchen
ins Gewissen. weißt Ia schon wie viel
leicht geht sie zurück und Alles ist wie
der gut. « s
»Wenn Du denkst, Mutter, all right,
dann will ich gehen.«
So machte er sich aus und befand sich
i nach wenigen Minuten vor Mrs.
i Locke’ B Häuschen.
I »Halloh, Katie,« rief er das neun
i jährige Töchterchen an, »ist Mutter zu
Hause?«
I ,,.No Sir sie ist eben um die Ecke ge
verblieben ?«
! te dies, trotz der anbrechenden Däm
« merung. l
e
gangcn.
»Ist Daish angeko:-s.men?«
»Yes, Sir, Miß Daisy ist drinnen
« im Hause-«
Ohne Weiteres ging Allen in’5
Haus. Jn dem sauber gehaltenen
Wohnzimmer saß ein Mädchen, etwa
zwanzig Jahre alt. eine schlanke Ge
stalt, in einfachem, anschließenden
Kleide. Jn dem reichen haar stat ei
ne rosasarbene Schleife.
»Jst da —- hm —- ist das Daish,«
fragte Dr. Bristol, der nicht recht wuß
te, toie zu beginnen.
»Das ist mein Name.«
»Weil, ich bin gekommen, mit Ihnen
zu sprechen,« sagte der Doktor, indem
er versuchte, möglichst viel Strenge in
seinen Ton zu legen. »Sie kennen
mich wohl nicht?«
»Habe nicht das Vergnügen« ant
wortete der Ueberraschte.
»Ich bin Dr. Allen Bristoh der Arzt
dieses Platzes.«
»Freut mich, Jhre Bekanntschaft zu
machen, Dottor,« sagte die junge Da
me, die noch immer nicht wußte, was sie
aus dem seltsamen Menschen machen
sollte.
Dr. Bristol übersah die dargebotene
Hand. Er hatte ganz Anderes erwar
tet; die Situation brachte ihn etwas
außer Fassung.
»All right, all right,« murmelte er.
»Was ich sagen wollte: toie kommt es,
daß Sie so unverhosst und schnell
wieder nach hause kamen?« T
»Nach Haywood, meinen Stet« I
»Was sollte ich sonst meinen? Wa- s
rum sind Sie nicht in Ihrer Stellung j
Daisy erröthete; Dr. Bristol bemerk
»Di Stellung paßte mir nicht
mehr.«
· »Sie hätte Ihnen aber passen müs
ens
] »Sie kennen die näheren Umstände
nicht, Doktor.«
»Alle-Z kenn ich, Alles. Jch weiß,
daß Eitelkeit die Wurzel des Uebels
ist und daß .....
»Eitelkeit?« fragte die immer mehr
Ueberraschte.
»Bitte, unterbrechen Sie mich nicht!
Ja, Eitelkeit! Jhr schönes Gesicht ist
häßlich ohne eine schöne Seele im Kör
per! Bänder im Haare und hochnasi
ge Manieren an Stelle von Bescheiden
heit und Einfachheit! Nehmen Sie
meinen Rath . . . .
»Ich habe Jhren Rath nicht erbe
ten ——«
»Erbeten oder nicht —- Andere haben
ihn erbeten und Sie scheinen ihn sehr·
nothwendig zu gebrauchen! Gehen Sie
zurück in Jhre Stellung, leisten Sie
; Abbitte ..... " «
I «Jch Abbitte — -—— —?«
,, ..... Und sehen Sie zu, daß man
Sie wieder aufnimmt. Nehmen Sie
die rothen Bänder aus den haarem
den Firlefanz von den Kleidern und
I den hochmuthsteufel aus der Brust!
; FI- fchickt sich für Sie am Allem-mig
en . . . . . .«
l Hier ward der Doktor plöhlich durch
Mrs. Locke unterbrochen, welche die
Thjire öffnend, ein hochaufgeschossenes
Madchen in unordentlicher Kleidung
vor sich herschob.
»Hier ist sie, Doktor,« rief sie, Eier
ist sie. Ein Ihn-nichts ut, ein ausge
blasenes Geschöpf, gut iir nichts. als
I mir Gram und Schande zu bereiten !
Komm nur herein, Dr. Bristol will mit
Dir sprechen ! Hier ist sie, Doktor, das
ist Daish.«
Dem Doktor wirbelte es vor den
Augen«
s »Das ift Daisy ?« fragte er voll Er
staunen.
- »Das ift Daish,« wiederholte Mrs.
Locke, »der Nichtsnutz der Lauge
-nichts..
« »Und wer ist diese —- -—- —- Dame
« hier ?'·
7 »Das ist meine Nichte Sid war als
Stenographin in San Francisco enga
j xfzig und kam heute Nachmittag zu Be
u «
I »Aber man sagte mir, das seiDaish,'«
entgegnete Bristol der sich vergebens
! nach einer Versenkung umfah, in der er
E hätte verschwinden können.
»Das stimmt auch: Daish Newton
Zheiszt meine Nichte«
! »Dann muß ich Sie tausendmal um
Entschuldigung bitten, meine Fräu
;lein.« sagte der Doktor in hochster Ver- «
wirrung »Alle-Z war ein Mißverständ
nifz und ich bedauere von tiefstem Her
zen, wenn ich Sie etwa beleidigt hätte
, oder
Z »Es bedarf keiner Entschuldigung. I
s Doktor, entgegnete Miß Newton. ihm
lachend die hand reichend. »Aber das
muß ich sagen, so energisch ward mir ’
noch nie die Meinung gesagt. i Jch be- ;
wundere Jbre Aufrichtigkeit l Mir
würde bangen, Sie zum Feinde zu ha- I
ben !« j
i
»So lassen Sie uns als Freunde
scheiden, Mifz Newtonf
»Als Freunde scheiden ? Sie brau
chen meinethalben nicht zu gehen, Dok-i »
tor , ich mochte Sie nun auch von der l
.anderen Seite kennen lernen.« ;
Doch Dr Briftol hatte es auf einmal
sehr eilig und er entfernte sich, so schnell
ihn seine Füße tragen konnten.
Zu Haus e angekommen, warf sich Dr.
«; Bristol in einenSchautelstuhl und über
i dachte nochmals sein Erlebniß.
s Plötzlich brach er in lautes Lachen
i aus : das Komische der Situation kam
i ihm nun so recht zu Bewußtsein.
»Was ist geschehen, Allen dear Z«
Z fragte die Mutter-, in’5 Zimmer tre
I tend.
[ Und als ihr Sohn das Erlebnisz be
«- richtet hatte, stimmte auch sie in das
fröhliche Lachen ein.
Miß Daish Newton fühlte sich des
anderen Morgens etwas erschöpft ; sie
hatte eine rastlose Nacht verbracht. Ob
i die Eisenbahnfahrt sie so angestrengt,
ob des Doktors Strafrede sie so ange
griffen ? Das Letztere war eher mög
lich, denn des Doktors Züge sah sie in
ihren Träumen immer vor sich.
, Sinnend saß sie am Fenster. Als sie
f zufällig hinausschaute, sah sie Dr. Bri
; stol vorübergehen. Jhren freundlichen
; Gruß erwiderte er aufs herzlichste.
I Sechs Monate später feierte man in
; Haywood eine hochzeit : Miß Daisy
s Newton ward Frau Dr. BristoL
; »Aber Eines bitte ich mir aus, mein
Liebster,« sagte die junge Frau zum
. Ehegatten, als sie allein waren,
«Strafreden darfst Du mir keine mehr
halten« ·
»Aber, mein Schatz, die war ja da
mals an die Unrechte getoninien.«
»Wa: es wirklich die Unrechte ?«
»Nein, es war die Rechte !«'
Ein inniges Umschlingen besiegelte
das Argument
» - —--—-—0-———-————
Sie tioniite schweigen
---.
Erzählung von James Griffit.
Der große Eßsaal in holborns Ne
staurant war mit Gästen besetzt. Das
elettrische Licht, welches die Marmor
säulen und die vergoldeten Kapitäle
bestrahlte und von den Spiegelwän
den, dem blanten Messing, den fun
telnden Juwelen auf die weißen
Nacken und hände zurückgeworfen
wurde, das Leben, welches in dein
Ton der Musik herrschte —- Alles schuf
eine berauschende Wirkung.
So wenigstens schien die Wirkung
aus eine der Anwesenden zu sein«
Es war ein stattliches junges Mäd
chen, mit prächtig geformten Armen
und großen, unschuldigen Augen, in
denen sich die tindliche Freude über
diese siir sie augenscheinlich neue Welt
spiegelte.
Es war nicht schwer zu errathen« in
welchem Verhältnis sie zu den beiden
anderen Personen stand, die an dem
selben Tische saßen. Die große Aehn
lichteit zwischen ihr und der freund
lichen Dame mittleren Alters, die ihr
gegenüber saß, zeigte, daß es Mutter
und Tochter war, und der Ausdruck
in dem Antlitz des jungen Mannes,
der zwischen ihnen Platz genommen
hatte, war beredt genug, wenn sein
dunkles Auge dem des jungen Mäd
chens begegnete.
Franl Westall hatte sein Glück in
einer kleinen Provinzialstadt gesun
den, gerade als er glaubte, das Recht
dazu schon vor langer Zeit verloren
zu haben. Jm Lichte der unschuldigen
Augen« welche ihm aus dem Kirchen
stuhl der Predigersamilie benennetem
erkannte er zum ersten Male sein frü
heres Leben und empfand Abscheu vor
demselben.
Sie waren bereits einen Monat
W
I verlobi und dies war Mauds erste
i Reise nach London.
» est müssen wir wohl gehen, Mrs.
For yth,« sagte er, indem er aus seine
Uhr sah.
Er rief einen Zahllellner herbei, be
kam auf eine Banknote wieder heraus
und gab ein reiches Trinkgeld.
»Lasz mich das Pfundstück. sehen,
Franl,« sagte das junge Mädchen, als
ihr Verlobter langsam das Geld, wel
ches er zurückerhalten hatte, in sein
Portemonnaie legte. »Nein, wie merk
würdig! Das muß einst als Broche
benutzt worden sein, denn man sieht die
Merkmale einer Nadel —- und da sehe
ich sogar einige Worte eingravirt.
»Für ewig« steht da wirklich! Das
muß eine Erinnerung dargestellt haben.
O, wie schmerzlich muß es doch sein,
durch die Noth gezwungen zu werden,
sich von derselben zu trennen!« «
Das junge Mädchen war nahe da
ran, in Thränen auszubrechen.
»Wir müssen schnell gehen«, sagte
Frank da in einem merkwürdig harten
Tone. »O, verzeih’,« fügte er erröthend
hinzu, »aber wir müssen uns wirklich
beeilen, wenn wir nicht zu spät in’s
Theater kommen wollen«
»Darf ich das Geldstück behalteni«'
flüsterte Maud.
»Bitte, diese Art sieht man sehr häu
fig. Wir treffen uns am Ausgange,«
sagte er« indem er schnell vom Tische sich
entfernte.
»Was ging mit Frank vori« fragte
Mrs. Forsyth »ich habe ihn früher nie
so gesehen.«
Franc ging an’s Buffet und ließ sich
einen Cognac reichen, um das alte
Gleichgewicht wieder zu erlangen.
Während derTheatervorstellung folg
te seine Braut dem Spiele mit Interesse,
aber sie schien ihm merkwürdig schweig
sam während der Zwischenaktr. Als lie
vor dem Hotel einander «Gute Nach-«
wünschten, legte Maud ihre hand leicht
auf Franks Schulter und sah ihm ängst
lich in die Augen.
»Was fehlt Dir?« fragte Frank mit s
fast erstickter Stimme. i
.Lieber Frank. verzeih meine Thor- l
beit heute Abend. Jch muß immer wic- ,
der an das arme Weib denken, dem die
Broche gehört hat. Denke nur, wenn
ich genöthigt sein sollte, mich von etwas ;
zu trennen, daß Du mir gegeben hast —- ;
z. B. diesen Ring, es würde mein Tod .
sein!« l
i e- i· I
Jn jener Nacht gab’s einen jungen s
Mann, der nicht vor vier Uhr einschlief s
und dessen Träume dann gerade nicht !
sehr angenehm waren.
i i i
Während dreier Tage war Meint-i
merkwürdig fchweigsam und niederge-!
schlagen und auch Franl Weftall war F
nicht spumnch wohl zu Muthe. ums
vierten Tage erhielt er ein Billet von »
ihr folgenden Inhalts: i
»Komm’ um zwei Uhr zu mir! Jch ;
habe gute Neuigkeiten, aber ich fage kein s
Wort, bevor Du kommst. Deine
Maud.«
Leichter virus Herz, als er sich fett
mehreren Tagen gefühlt hatte, fand
Frant sich im Hotel ein.
Maud stand am Fenster, als er ein
trat, und eilte ihm mit glückfrrohlen
dem Antlitz, einen Brief in ihrer vorge
streckten Hand haltend, entgegen.
»Jetzt, meinFreund«, fagte sie, ,,wirft
Du einräumen müssen, daß Deine tleine
Freundin nicht fo dumm ist. Jch wollte
gern der armen Person, welche die
Broche verkauft hat, helfen und kam
schließlich auf die Jdee, eine Annonce
in die Zeitung einriicken zu lassen, und
heute Morgen bekam ich diefe Antwort.
Tu kannst sie lefen: —- »E. T» wird
die Dame, welche so freundlich war, sich
für sie zu interesiiren, Donnerstag um
2 Uhr Mittags befuchen.«
Es klopfte an die Thür.
»Da ift sie wahrscheinlich bereits.«
Frant Westall war blaß geworden
und vermochte taurn zu athmen. Aber
Maud bemerkte es nicht, da sie nach der
Thür eilte. um dieselbe zu öffnen.
Die Eintretende war ein fchlantes
Mädchen in einem schwarzen Kleide.
Das Gesicht war noch ganz anziehend,
aber der Ausdruck in den Augen sprach
von harten Kämpfen. Jn dem lichten
sagt sah man einige graue Strähnr.
angfarn richtete sie den Blick zu der
freundlichen, jungen Dame empor, die
sie willkommen hieß, und war im Be
griff, näher zu treten« als sie den Mann
am Fenster bemerkte.
Sie frhral zurück. ftarrte, als ob sie
ein Gespenst sahe, und die Lippen träu
felten sich zu einein harten Lächeln.
Franks Augen waren auf sie mit einein
Ausdruck wilder Verzweiflun gerichtet.
In diesem Augenblick las sie eine ganze
Geschichte und begriff. daß sie fein
Schicksal in ihrer band habe.
»Wie — lennen Sie Frankf« ftots
terte Mund.
»Nein —- nein!« entgegnete die Frem
de. »Der here erinnert mich nur fehr
an einen lieben Freund, den ich vor meh
reren Jahren verloren habe. Gestatten
Sie mir, mit Jhnen allein zu sprechen,
Fräuleinl«
«Sie tdnnen sich nicht denken«, fagte
Mand, als sie in dem Nebenzimmer als «
lein waren, «wie erfreut ich war, daß !
eine Antwort auf meine Annonee ein- i
ging. Da- hare ich diesem Goldstück zu i
verdanken. Jch hege den Wunsch, Jh- l
Inn zu helfen, wenn Sie ei mir gestat- l
en.« .
Die Fremde bedeckte einen Augenblick :
ihr Ges t mit den händen und drückte «
dann e nen Kuß auf die Stirn des inn- »
gen Mädchens. l
W
i .Lielsei, theores Fräulein« Sie ver
s mögen mir nicht zu helfen. Jch tam
hierher, um das Goldstiick noch einmal
zu sehen, um es vielleicht zurückzuerhal
ten. Das ist Allei, was Sie fiir mich
: thun können-«
uEli-er der Mann, mit dem ich mich
I verheirathen werde, ist so gut und auch
; reich. Es würde fiir ihn ein Leichtes
; fein, in Ihrem Interesse zu wirken.«
, Die Fremde guckte zufammen.
» .Gestatten Sie mir, Sie noch ein
« mal zu küssen, Sie sind ein Engelt«
sagte sie mit Thränen in den Augen —
Die Thür schloß sich leise hinter ihr
»Marie!« sagte er.
» Die Fremde wandte sich emporsehend
; ihm zu. ;
« »Wie soll ich Dir sür Deine Güte ge
i gen mich danken?" begann er.
s Die Fremde richtete ihre Gestalt em- «
s por. f
F »Du warst es nicht an den ich dach- «
te!" —- antwortete sie und ging stolz an l
l ihm vorüber .....
—-—-.s.--———-—
Ins Theateririud.
i
!
I Franl traf sie am Ausgangr.
Aus dem Leben von Reinhoto
Ortmann.
»Wie reizend war diese kleine Che
. riette! Wie tindlich naiv! Und wie
; töftlich sie aussah! Wirklich aller
liebst!«
; So ging es während des Zwischen
« altes im Foyer von Mund zu Mund,
und alle Welt sprach zehn Minuten
lang von nichts Anderem als von der
kleinen Cheriettr.
Und in der That, sie war so anmu
thig und lieblich gewesen, als man es
von einer Elfenprinzessim wie sie sie
darzuftellen hatte, nur immer erwarten
durfte! Wie sie in ihrem Wolkenwagen
hoch oben aus den Sofitten herabge
schwebt war, mit einem kurzen, gliherm
den Röckchen aus Silberpapier ange
than, in fleischfarbenen Tritotstriimi
pfen und mit nackten, gepuderten Ar
men, da war es wie eine leichte Bewe
gung der Ueberraschung durch das gan
ze haus gegangen, und die schönen, un
schuldsvollen Kinderaugem die erstaunt
und vielleicht auch etwas ängstlich in
das dichtgefiillte Parterre ftarrten, hat
ten sich alle Herzen gewonnen, noch ehe
der feine, rosige Mund sein erstes Wort
gesprochen
Leichtfiiszig ihr lustiges Gefährt ver
lassend, war sie ganz unerschrocten dicht
an die Rampe herangetreten und eine
erwartungsvolle Stille hatte sich über
denZuschauerraum gelagert, als sie mit
ihrer hellen gloclenreines Kinderftim
me die auswendig gelernten Verse her
zusagen begann.
Es war ein leeres, nichtssagendes
Wortgetlingel gewesen« so gut oder so
schlecht, als eben das Textbuch einer
Feerie aufzuweisen pflegt, und oben
drein verstand sie offenbar nicht das
Geringste von alledem, was sie da sagte.
Aber seltsam! Gerade in diesem ge
dantenlosen Geplapver, in diesen sinn
zerstärend falschen Betonungen hatte
das Geheimniß ihres Erfolges, hatte
eine große, riihrende Wirkung gelegen.
Das blondlockige, achtjährige Ge
schöpfchen da oben, welches sich dem
Publitum als der Schutzgeift eines viel
gequälten Liebespaares vorstellte, lie
ferte mit unzweideutigfter Offenherzig
teit den Beweis, daß es fiir die Se
ligkeit getreuer Liebe, deren Preis ihm
der geschmackvolle Textdichter in den
Mund gelegt, auch nicht das leiseste
Verständnis hatte, —- und seine un
schuldige Ahnungslosigteit machte einen
fo tiefen Eindruck auf die Zuschauer
menge, daß dieselbe den ganzen Aus
stattungszauber des Stückes und alle
Leiden des unglücklichen Liebespaares
darüber vergaß.
Lauter drähnender Applaus war der
tleinen Elfe zu Theil geworden und
hatte sie, die sich bis dahin so tapfer
und unerschrocken gehalten, in so hoch
gtadige Verwirrung gesetzt, daß sie den
harrenden Wollenwagen vollständig
vergessen hatte und wie vor einer dro
henden Gefahr zwischen den nächsten
beiden Koutissen hindurch von der Büh
st·I-4.s J
Iic sein-war mu-.
Der Effekt der schönen Szene war
dadurch unwiderbringlich zerstört, und
iebhafte heiterteit begleitete die Auf
fahrt des Wolkenwagens, der ohne sei
nen anmuthigen Passagier in jene ho
hen Regionen zurückkehren mußte, aus
denen er gekommen
So war es begreiflich, daß während
des Zwischenattes hinter dern Vorhang
nicht dieselbe günstige Stimmung fiir
die kleine Cheriette vorhanden war, die
irn Foyer. hatte sie doch noch in jedem
der folgenden Aufziige des Stückes zu
thun, und ftand doch der ganze Erfolg
desselben auf dem Spiele, wenn sich die
unfreiwillig tornifchen Vorkommnisse
des ersten Altes wiederholten! Darum
war es dem vielgeplagten Regisseur
wohl zu verzeihen, wenn er die kleine
Elfenprinzessin heftig angefahren hat
te, und wenn er sich dann, als er zwei
dicke Thriinen iiber die zart gerundeten
Wangen rinnen fah, an eine schön ge
schminkte und sehr kokett kostiimirte
Kante mit den unwilligen Worten wen
te:
»Sehen Sie nur zu, wie Sie Jhrem
Wunderkind diese Ungrzogenheiten
austreiben, wenn Sie nicht wollen,
daß der heutige Abend ihr letzter ist.'«
Der »Onkel« Regisseur hat tm wei
teren Verlauf des Abends keine Ver
anlaffung mehr, sich über ihre »Unge
zogenheit« zu beklagen. Zwar spricht
W
s ihre Verse roch immer mit dersel
n Einfalt und Verftiindnileosigteit7
aber ihr Gesichtchen hat jenen erstaun
ten, iingstlichen Ausdruck verloren,
der ihm vorhin einen so rührendeu
Reiz verliehen. Statt dessen liegt auf
demselben einLächeln, das freilich hold
selig und anmutbig genug ist, dein man
aber doch gegen den Schluß immerhin
anmerten konnte, daß es nur rniihs
sam erzwungen wird.
Auch oor dem Beifallstlatschen
flieht sie nicht mehr! Sie nimmt es
vielmeht rnit einem begehrliihen Auf
leuchten ihrer schönen Augen entgegen,
und am Schluß des vierten Atteg hat
sie es bereits dahin gebracht, den gro
ßen erwachsenen Sikrauspielerinnen
eine Verbeugung nachzumachen, die
freilich lintisch und ungeschickt genug
ausfällt die aber gerade deshalb nicht
verfehlte, große Heiterkeit und lebhaf
ten Beifall hervorzurufen.
Von den Hunderten da unten hat
je taurn ein einziger wahrgenommen,
daß irn Verlauf dieses einen Abends
der Blüthenstaub der Unschuld abge
streift worden ist von diesem lilicnhaf
ten Kindergemilth, daß das .Thea
teriind« seinen ersten verhängniszvoilerr
Schritt gethan hat auf dem Wege, der
so verlockend und glänzend scheint und
der, ach, so schliipsrich und gefährlich
ist
Die Feerie erlebt fünfzig Wieder
holungen; aber bei der fünfzigstetr
Vorstellung wiirde keiner von denen
die der ersten beigewohnt haben, in der
kleinen Elfenpriuzessin jene Chri
riette wiedererlennen, die trotz ihrer
schlecht detlamirten Verse allein durch
den unwiderstehlichen Zauber ihrer
kindlichen Unschuld ein ganzes Audt
toriurn hinzureißen vermochte. Sie
weiß ihre kleinen Reden sent beinahe
unheimlich richtig zu betonen, sie be
wegt sich rnit vollendeter Unbefangen
heit und Sicherheit, ihr Geberdenspiel
ist überraschend lebhaft, sie macht die
graziösesten Verbeugungen von der
Welt und sie ahrnt ihre erwachsenen
«Kolleginnen« in allen Aeußerlichteiten
auf das Lustigste noch. Man hat
ihr auch schon wiederholt Blumen
striiuße u. s. to. auf die Bühne gewor
fen, und einige kleine Vorstadtzeituns
gen haben der Welt das Aufleinien ei
nes neuen gewaltigen Talents vertiini
Ucc
Mit ibren kleinen Freundinnen
spielt sie längst nicht mehr. und ihre
Puppe benugt sie nur noch als stumme
Partnerin bei den dramatischen Sze
nen, welche sie daheim unaufhörlich
aufsiihrt. Ihre Mutter, die cku The
ater nur die schlecht bezahlte Stellung
einer Choristin inne hat, schwimmt
sogar in einem Meer von Entzücken.
Mit rastlosem Eifer sedt sie die Er
ziehung ihres Kindes in dem nämli
chen Geiste sort, in dem sie sie begon
nen hat« und Chöriette macht von
Tag zu Tag so gewaltige Fortschritte,
daß sie bald genug im Stande sein
wird, sich selber weiter auszubilden.
Mit hastigen Schritten eilen ihre
schwachen, unsicheren Fäßchen vor
wärts aus dem schliipfrigen Wege; der
gedankenlose Beifall der thörichten
Menge treibt sie weiter und weiter;
Keiner zeigt ihr den Abgrund, der zur
Seite ihrer gefährlichen Laufbahn
gähnt, und wenn sie eines Tages in
demselben verschwunden sein wird, —
nun, so war sie eben ein Theoterlind
—- tein Wunder also, daß sie das ge
wöhnliche Schicksal aller Theaterlin
der theilen mußte .....
—-—-———-Oo.—----——«
Leuchtende Augen.
Von L. Vondersee.
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Fragt’ mich Liebling eines Tages
,,Warum, liebes Mütterlein,
Schaust du gar so oft und lange
Jn die Augen mir hineins«
»Weil ein Licht darinnen leuchtet,«
Gab ich ihm zur Antwort schnell,
»Ainderaugen, mußt du wissen,
Sind wie Sonnenschein so hellt«
Denk nun kommt mein kleiner Junge
Jn der Dämmerung zu mir —
»Miitterchen, das schöne Spielzeug,
Ach, zerbrochen ist es hier. —
,,Möchtesi dirs nicht wieder leimen?«
»Mit tm Finstern? 's wird nicht
geh’n!
Linn soll die Lampe bringen,
Jch kann wirlltch nicht mehr seh’n!«
Wanst nicht seh’n?« Er reckt das
Köpfchen
Ganz, ganz nabe zu mir hin —
«Jch leucht’ dir mit meinen Augen,
Sagtest ja, B wär Licht darini«
Der junge Schnee.
Der junge Schnee will foki und for
hoch oben tanzen und lachen;
Er möchte nimmermehr sein Kleid
Auf Erden schmutzig machen.
Doch einmal muß er niederwärts,
Ihm gehi’s wie allem Andern.
Man iann nicht ewig unschuldsvvll
Jn keinen höhen wandern
Und wie et weinend niedersinli,
Bis nah zur Erde gleitet,
Sieht et ein holdes Frühlingslind,
Das wie im Jubel ichteiiei.
Er liiki sie auf den rothen Mund
Und will sich nimmer trennen,
Und als er glücklich lächelnd stirbt
Fühlt er ein heißes Brennen!
Miihi Hattmanm