Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 12, 1901, Sonntags-Blatt, Image 13

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    W
seter Micheilosf.
Novellette aus dein Nussischen our
Adolf Burghard.
—
Jwan Petrowitsch hatte soeben et
was Furchtbares. etwas Entsetzliches
mit ansehen müssen. Aus seinem ge
wohnten Mittagsschliifchen erwacht,
trat er anls Fenster und schaute nach
Peter Micheiloff aus, der in den Wald
gefahren war, um einige junge Fichten
zu fällen und aus den Hof zu brin
gen« Schon zum Mittagessen hätte er
zuriicl sein müssen ......
Als Jwan Pet«.otoitsch, ärgerlich
iiber die Saumseligteit des Knechtes,
den Weg hinunter sah, der an dem in
unmittelbarer Nähe des Gutes gelege
nen See entlang führte, erblickte er sei
ne Tochter Nadina Jwanowna, welche
sich mit ihrem Verlobten Konstantin
Kussoff auf der spiegelblanlen Eisdecke
des Sees mit Schlittschuhlaufen ver
gnügte. Mit Windeseile glitt sie da
hin, und plötzlich —— plötzlich . . . . ver
schwand die zierliche Gestalt vor seinen
Augen in einer offenen Stelle des Ei
ses. Er stand sprachlos-, er brachte
teinen Ton aus feiner Kehle, -— er
svollte in sliegender Hast nach dem See
hinunter eilen, blieb aber wie gebannt
am Fenster stehen.
Da sah er, wie Konstantin Russoff
der gefährlichen Stelle im weiten Bo
gen auswich und hastig dem Ufer zu
strebte. Nicht einmal eine Ber
sviinschnng über den Feigling vermochte
Jwan iiber seine blutleeren Lippen zu
dringen.
Jn diesem Augenblick der höchsten
Gefahr lam ein mit jungen Fichten be
ladener Schlitten die Biegung des We
ges herunter gesaust. Peter Micheiloff
lentte den Schlitten und sofort hatte er
das Entsetzliche wahrgenommen· Ohne
Weiteres sprang er von dem Schlitten,
eines der schlanten Fichtenstiimmchen
ergreifen, die Böschuisa « "·rs hin
shzueilem war des- Tugen
blicks.
Jroan Petrowi. mö
gen, wenn ihm die V i gewesen
wäre. Mit dem gis-den Ausgebot sei
ner Willenstraft schob er sich nach der
Thür, durchquerte den geräumigen
Hof, um nach der Landstrase zu tau
meln, die an den See führte. Helfen
wollte er bei der Rettung seines Kin
der-! Alle Heiligen rief er um Hilfe
an, er that Gelübde, er versprach
Opfer zu htingeuz wenn er jetzt
noch einige Schritte vorwärts lam, —
dann tonnte er schon sehen, ol·- es Pe
ter gelungen war . . .
Doch, wag war oast
Als er seine Augen, geblendet von
der schimmernden liissläche, einen Au
genblicl abivandie. sah er da nicht Pe
ter schon mit riistigen Schritten auf
sich zukommen?
Wahrhaftig er war es! Sein gel
bes Haar flatterte im Winde und auf
den Armen trug er eine triefende Last:
sein Kinn, sein-: Naminat Schwer und
leblos hing der jugendliche liörper in
den Armen Wesen-, das lange üppige
Goldhaar hatte sich gelöst und schleifte
iiber den Schnee.
Jtvan Petrnwitsch sant in die Knie,
—- daszi war zu viel siir sein Vater
herz.
»Viiterchen, ich bringe Fräulein Na
dina!« rief ihm der Knecht zu, wäh
rend ein freundliches Grinsen über sein
gutmüthigeg Gesicht glitt-. »Der Him
mel schickte mich gerade zur rechten
Zeit, um das Fräulein aus dem Loch
zu ziehen. Er stampftc mit langen
Schritten an Jtvan Petrowitsch vor
über, in der Absicht, seine kostbare Last
so bald wie möglich der iniitterlichen
Sorgfalt zu übergeben.
Mühselig erhob sich Jtvan Betro
witsch und leuchte hinter Peter her.
Sprechen konnte er nicht. Die Au
gen starr auf den Schnee gerichtet, iiber
welchen das Haar seiner Tochter ge
fchleift war, ein Bild des Jammers,
ging er nach dem herrschaftshause.
Erst als Mutter Wanmara, ah
nungslos die Thiir össnend, den Verm
iten empfing, gewann er seine Sprache
wieder· Während Nadina unter den
Bemühungen ihrer Mutter und der
helfend eingreisenden Mägde des Hau
ses bald ihre Augen aufschlug, tobte
Jwan Petrowitfch im Wohnzimmer
umher, schreckliche Verwünschungen
immer gegen diesen Feigling von Ver
lobten ausstoßend, der sein eigenes
Kind hatte untergehen sehen, ohne ihm
die rettende Hand entgegen zu strecken.
Sollte dieser erbärmliche Wicht sich
noch einmal auf seinem hose blicken
lassen, so liesz er ihn mit den Hunden
hinunter hehen und dann brannte er
ihm eine Ladung Schrot ganz sicher
aus das elende Fell!
Was hatte er iiir schreckliche Augen
blicke soeben durchmachen müssen, und
sollte er hundert Jahre alt werden, die
würde er auch dann nicht vergessen.
H M li
Viiterchen Petrowitsch hatte sich end
lich etwas beruhigt. Zwar wanderte er
noch ruhelos im Wohnzimmer aus und
ab. Nur an einem kleinen Schrank
chen blieb er von Zeit zu Zeit stehen,
um ein Gläschen Wuttti zu genießen,
der seinen vor Schreck erstarrten Kör
per bald wieder belebte. Radina steck
te in einem Berge von Betten und wur
de mit Fliederthee gefüllt. Sie hatte
ihre Mutter wegen den Schrecken, den
ihre Unvorsichtigteit ihr verursacht hat
te, um Verzeihung cui-tm Konstan
tin habe ihr. io erp« einen Wett
MJ — I
lan auf dem Eise vorgeschlagen und
da sei sie im Eifer gerade in die offe
ne Stelle des Sees gerathen. An- :
fangs habe sie sich an der Eisdecke fest- .
gehalten, aber mit Entsetzen bemerkt, I
daß Konstantin davongelaufen fei. ;
Dann müsse ihr die Angst die Besin- s
nung geraubt haben,——auf welche Wei- s
se Peter Micheiloff sie gerettet habe,
wisse sie nicht mehr s
Als Nadina ihren Bräutigam Kon- s
stantin erwähnte, zitterte ihre Stim
me, und die Röthe der Verlegenheit
färbte ihr blasses Gesicht. Die Eltern
fühlten es wohl: sie schämte sich der
seigen Handlungsweise ihres Verlob
ten.
Jwan Petrowitsch sagte kein Wort,
aber er ballte die Faust in der Tasche.
Sein Entschluß war gefaßt : Konstan
tin Kussofs betrat sein Haus nie wie
der ! .
Nun erwartete er Peter Micheilosf,
den er nach seiner Kammer geschickt hak
te, um sich umzutleiden. Dann sollte er
wieder kommen, hatte ihm sein Herr be
fohlen. Peter mußte aus seine Toilette
ganz besondere Sorgfalt verwenden,
denn er hätte schon längst wieder da sein
können, um feinen Dank in Empfang zu
nehmen. Ungeduldig trat Jwan an’5
Fenster —- es war noch tein Peter Mi
cheiloff zu sehen. Aber halt... Jwan
traute seinen Augen taurn . . .. drückte
sich da nicht Konstantin Kufsosf zwi
schen den Scheunen umher ? Väter
chens Gesicht wurde tirschroth vor
Wirth, er hob drohend den Arm und
hätte in seiner Aufregung im nächsten
Augenblick die Fensterscheibe zerschlagen,
wenn nicht Jemand hinter seinem
Rücken plötzlich zwei Mal herzhast ac
nießt hiitte . . ..
Peter Micheilosf hatte sich offenbar
bei seinem Rettungswert einen tüchtigen
Schnupsen geholt.
Blihschnell wandte sich Väterchen um.
Wahrhaftig, da stand der so heiß er
sehnte Lebenötetter mitten im Zimmer
in der Pracht seines Sonntagsstaates,
das runde Gesicht glänzte vor Sanher
teit. Die strohgelbe Mähne war kunst
gerecht gefcheitelt und mit Hilfe einer
Prrtion Wasser auf dem Schädel sest
getlebt. Jn den rothen Händen drehte
Peter verlegen die Pelzmiitze hin und
her.
»Komm’ an mein Herz«, rief Jwan
Petrowitich und warf seinen wohlge
niibrten Körper gegen die breite Brust
Peters, der in seiner Verlegenheit über
die sonderbare Situation ein freundli
ches Lächeln aussteckte.
»An mein Herz«, rirs der Gutsherr
ncch einmal und schüttelte Peter hin
und her, um ihm so recht seine Freude
tlar zu machen." Weißt Du, was Du
bist, Du Gliiclspilz? —— Der Lebens
retter meiner Tochter ! Und weißt Du,
trag das bedeutet ?«
Peter grinste vor Verlegenheit und
zerrte an seiner Pelzmiihe, daß sie In
allen Nähten trachte.
»Nun, Du weißt es nicht ?« treischte
Jwan Petrowitfch wieder, »aber Du
jrllst es erfahren, mein Sohn, ich weiß,
was es heißt, danlbar zu sein! Hier,
störte Dich erst ein wenig,« — er goß »
Peter ein Gläschen Wuttti ein, --—.
,,nachher können wir ja ein Verlobung-s
mahl halten,« —- nun lomm’ mit zu den
Damen, Nadina und mein Miitterchen
wollen Dir persönlich danken !«
Peter schüttelte sich, mit Gewalt
mußte ihn sein Herr irr-; anstoßende»
Zimmer ziehen.
Miitterchen stand am Bett Nadina’s. :
»Du hast mein Kind gerettet«, sagte sie
bewegt zu Peter und reichte ihm diej
Hand. »Wie toll ich Dir danken?«
Ohne Dich wäre ich jetzt die unglück
lickste Mutter der Welt.«
»Oh, oh, Mütterchen,« stamnielte Pe
ter, und eine glühende Nöthe zog sich
iiber fein Gesicht bis unter sein stroh
getbes Haar.
»Neich’ auch mir die Hand, die mich
gerettet hat,« flüsterte jetzt auch Nadina
mit ihrer melodischen Stimme und
streckte Peter ihr zartes Patschelchen ent
gegen.
Verlegen trat Peter einen Schritt zu
riicl.
0-I- Ist-. —...- .«.f.!— k-- L-— WILL-l
»Es-la Ulc IIUC but-IV UUll UZIII JACOB-II
die Hand drücken,« ermunterte ihn Vä
terchen Petrowitfch. der die Wuttli
ftafche geholt hatte und Peter zur wei
teren Stärkung ein Gläschen einschenk
te. »Nadina ift danlbar, sie weiß, was
sie Dir fchuldig ift."
»Ja, ich weer es,« bestätigte Nadina,
indem fie beheth die Rechte Peteks er
;,riff. »Ohne Deine Hilfe läge ich jetzt
starr und fteif in dem grausigen Waf
ter, vielleicht Monate lang, bis die
Frühlingöfonne das Eis fchmilzt...«
Nadina fchlo bei diefem Gedanken an
! las grausige ild die Augen«
»Oh, oh, Fräulein Nadina,«' lachte
Peter, »fo fchlimm wäre es denn doch
nicht geworden. Väterchen hätte den
ganzen See aufhauen lassen, und dann
hätten wir Sie ja bald gefunden."
Nadina blickte ihn verftändnißlos an.
Mütterchen unterbrach die Stille.
»Wenn Du einen Wunsch haft, Peter,
. fis sprich ihn aus,« meinte die alte Da
me, »ich möchte Dir gerne an dem Tage,
an welchem Du uns vor einem furchtba
; ren Unglück bewahrt haft, eine Freude
H bereiten.«
f »Oh, oh, Mütterchen,« lehnte Peter
s diese Freudentundgebung ab, »so
fchlimm war die Sache gar nicht· Jch
sah Fräulein Nadinas Haar« — er
zeigte auf eine goldschimmernde Strähi
ne, die auf der Decke lag, —- durch das
dünne Eis schimmern, mit der ein Theil
tes offenen Wassers überzogen war.
Jch fchlug das Eis durch, erfaßte das
- Fräulein, dann war alles erledigt; es
—q— —-— l
war gar nicht so schwer !«
Bei diesen Worten hatte Peter seine
Mühe zu einem dicken Knoten zufam
i::engedreht. Eine weitere Drehung
war nicht mehr möglich, deshalb fing
Peter an, den Knoten wieder zu entwir
ren.
»hast Du auch den sauberen Herrn
Konstantin Kussoff gesehen ?« fragte
Jwan Petrowitsch verächtlich.
»Er lief davon, um Leute zu holen,
Väterchen,« erklärte Peter.
»Ja, ja, er lief davon, wir haben ei
gesehen,« schrie Jwan Petrowitsch wis
thend.
»Auf Konstanting Gute ist kein See,
kaum ein kleiner Teich ; Fräulein Na
tina wird dort nie in Gefahr kommen
zu ertrinten,« erklärte Peter mit seinem
freundlichsten Lächeln.
Nadincks Augen fiillten sich mitThrä
nen. »Du hast Recht, Peter, dort werde
ich nie in einer Gefahr schweben,« sagte
sie leise.
Peter Micheilosf hatte sich mehr und
mehr der Thitr zugeschoben, er wollte
offenbar das Freie gewinnen. Nadina
mußte über seine Tölpelhaftigteit la
ci)en.
»Du willst uns schon verlassen, Pe
ter Z« fragte Miitterchen. »Nun gut,
aber stelle Dich zum Abendbrod wieder
ein. Aber ich möchte Dich schon jetzt
nicht mit leeren Händen gehen lassen.
Was soll ich Dir schenken, sagte mir,
was möchtest Du gerne haben ?«
Peter lächelte glückselig vor sich hin.
»Welchen Wunsch Du auch immer
t,ast,« bestätigte Jwan Petrowitsch, »er
wird Dir erfüllt werden. Forderst Du
das Liebste, das Beste von uns . . . es ist
Dein t«
Peters Brust hob und senkte sich, er
rang nach Athem, dann ftammelte er :
»Nun, wenn Kaninka mir durchaus eine
Gunst gewähren will,« —- er zerrte
trampfhaft an der wieder aufgebrehten
Pelzmiitze, — »und weil heute gerade
mein Geburtstag ist, . .. und weil im
Herbst die Bienen so gut eingetragen
haben, so bitte ich aber gehorsamst uni
ein —- —— Weißbrödchen mit Honig be
strichen !«
- - «——- -—.0.-—— —--—
Im schneeitnrni.
.»...—.....——.—
Erzählungvon Eduard Stilge
bauer.
k- « - « - - k- -
lecucllz Isl öll HOUIL PUI), lUlc
mir der Wind so eisig um die Nase
pfeift, und der verdammte dreckigeMan
tel, mit dem schmierigen Kragen. Es
krabbelt mich schon. Wie ich das Ge
wehr blos halte, es frieren mir die Fin
ger im Handschuh ab . . . . Wie der
Schnee so fein hernieder rieselt, so kry
stallen spitz, bluterstarrend. Auf und
’ ab, hundertmal Dieselbe kleine Strecke,
ron einem Schilderhaug zum anderen,
» in der eisigen Nacht.
Exeellenz ist zu Hause. Was sie
wohl macht, die dicke, wohlgepslegte Ex
cellenz?
Droben brennt noch Licht. Sein
Schein schimmert zu meinen Fiiften auf
dem Schnee. Er knistert unter meinem
Tritt, monoton, langsam.
Excellenz ist zu Hause.
Jch habe Hunger, aber kein Geld, was
zu kaufen.
Was die Excellenz wohl zu Abend
gegessen hat. Rehriicken aßen die Her:
ren bei uns im Dorfe immer, wenn sie
zur Jagd waren. Ach, Rehriicken, wie
das wohl schmecken mag?
Ja, draußen in unserem Dorfe. Dort
liegt jeht auch der Schnee vor des Ba
ters Hütte, und drinnen slackert das
Feuer in dem eisernen Ofen, in dem
Mutter die Aepsel bratet. Wie die rie
chen, so winterlich wohlig. Gebratene
Aepsel aus Mutters Ofen.
Puh, der Wind. Wie die elektrischen
Lichter die Schneeslocken beleuchten. Wie
Mücken tanzen die um das Licht.
Was man nicht alles denkt in den
zwei Stunden und wie der Magen
knurrt. .
Gebratene Aepsel aus Mutters Ofen.
Pserdegetrappel auf dem Schnee.
Kommt noch Jemand zu ExcellenzPs
Excellenz ist zu Hause. .
Am rechten Schilderhaus wird prä- :
sentirt. Der Wagen biegt in den Thor
weg, er hält.
Meine Finger sind erstarrt, ich kann
nicht präsentiren und doch muß ich.
Halt, nein, weiterpatrouillitt·
Eine Dame entsteigt dem Wagen.
Excellenz ist zu hause.
Muß der warm sein, der weiche, weiße
Pelz, den die um die Schultern hat. Die
geht jetzt zu Excellenz. Deshalb brennt
das Licht noch. Ha, ha, Excellenz macht
es genau so, wie wir aus dem Dorfe.
Ach, Grethel, hieltest du mich warm.
Jch will mich ins Schilderhaus stellen,
der Wind ist zu kalt. Grethel, bei dir
ist’s warm. Und die Milchsuppe am
Abend draußen im Dorfe, die du mir
aushobst von Mutters Abendbrod.
Ach, Milchsuppe und die Grethel.
Excellenz wird sehr aufgeräumt sein,
in guter Laune.
Wie mich’s iiberkommt, ich gähne.
Tie Uhr schlägt zitternd, kalt. Eine
Viertelstunde, die zweite. Als ob die
Stunden nicht mehr vergehen könnten.
Wär’ ich bei der Grethek, bei der
Grethel, bei der GretheL Was die
Augen machte, wenn ich jetzt käme . . .
Trautes Zimmer im Häuschen, am
Ende des Dorfes. Wo die Scheite im
Ofen flackern und die schwarze Katzei
auf der Bank schnurrt. Die Grethell
strickt wollene Strümpfe, wenn du ·
zum Militiir kommst, sagte sie leise
vor sich hin und wischt die Augen mit
der Schürze.».. Meine Füße find
Eis.
I t
- Der Posten darf sich nicht sehen,
nicht legen . . . Ach was, ich setze mich
doch....
Wie das schneit. Als sei ein weißer
» Vorhang vor dem Schilderhaus, es
glänzt im Licht per Lampen und fällt
" unaufhörlich, verschleiernd, einschlum
mernd zu Boden ..... Ach, Grethel,
draußen vor unserem Fenster schneit’s
Jch bin müde.... Laß mich den
- Kopf an deine Brust legen, Grethel . . .
Wie sind deine Arme so weich und so
warm . . . . Jch friere nicht mehr . . · .
H Und die Lippen so heiß, Grethel, so
; süß und so· heiß ...... Ja, es war
schlimm drinnen in der Stadt bei dem
’ Miniat. Jch bin froh, daß ich das
Gewehr nicht mehr zu halten brauche,
das lehnt gut in der Ecke.
! Ach, mein Grethel ...... Und im
. Frühjahr ist Hochzeit, wenn die
« Schwalben kommen, Grethel, die
- Schwalben.
Doch jeßt laß mich schlafen, schla
fen.... Ich bin ja so matt.... Sie
haben mich gehetzt bei Tage und nicht
schlafen lassen bei Nacht ..... Grethel,
so halte mich fest, ganz fest und laß
mich schlafen. Wie sind die Träume
süß an deiner Brust. Jetzt ist es Som
mer, die Sonne scheint warm und gol
den. Und ich bin frei, Grethel, und
Keiner hat mir mehr etwas zu sagen . .
Und du bist mein Weib, Grethel. Und
das Häuschen ist unser und das Feld
und der Garten mit dem Kohl und mit
dem Salat. Die Eltern wohnen jetzt
bei uns und haben gute Tage. Wie ist
das Wetter, Grethel, daß es die Ernte
nicht zerschlägt. Wenn wir erst Alles
glücklich in der Scheuer hätten.
Ach, ich bin glücklich, Grethel.
Was ftoßest du mich, ist’g schon
Aufstehenszeit? Stoß mich nicht so
rauh, Grethel.
Ja, ja, ich stehe ja schon aus....
Daß du so«·rauh stößest, ja, ja .....
Ach so, ja, ich bin so müde, ach so ja . .
Excellenz ist zu Hause· Ablösung
richtig. Ruft da nicht einer Müller?
Hier aus Posten nichts Neues-, ist’s
schon AblösungszeitZ Hab’ ich denn
geschlafen?
tfrcellenz ist zu Hause.
Das giebt vierzehn Tage Arrest,
Müller, wegen Schlafeng aus Posten!
———-—.i.
Zier Zinnicutklsneidkr.
—-.
Stizze von J. K o r n z.
—-..-—
Wenn Sie zwischen 12 nnd 1 Uhr,
der Stunde, in welcher die vornehme
Welt in den Partanlagen aus- und ab
promenirt, totettirt, medisirt, chitanirt,
unter den vielen langsam sahrenden
Wagen eine besonders elegante Equi
page mit zwei edlen Rappen bespannt,
sehen, in deren blauseidenen Polstern
ein Herr von hocharistotratischem Aeu
ßern und dito Alliiren zurückgelehnt
sitzt, -—— so nehmen Sie den Hut ab,
meine Herren, denn es ist ein berühmter
Mann, es ist ein Monsieur, siir den das
gesammte weibliche und ach ! so schwa
che Geschlecht von der Ladenjungser an
bis zur hochwvhlgeborenen Komtesse
ohne Ausnahme schwärmt.
Er hieß Johann Klein und wollte
ein großer Mann werden.
Mit einem ganz netten Kapital war
er nach Paris gekommen und sann nun
Tag und Nacht darüber nach, wie man
berühmt wird·
Da hatte er eine Jdee, eine großar
tige, eine göttliche Jdee.
Er steckte sein Genie in die Falten
» eines Weiberroctes, und wurde Damen
schneider !
Als er seine Studien in Paris be
endet hatte, siedelte er nach B» einer
» größeren deutschen Provinzialstadt
’ iiber, miethete in der Hauptstraße eine
erste Etage, welche er mit dem rafsinir
testen Luxus einrichtete und ließ dann
ein großes Schild über den Fensterboi
gen anbringen.
,,Monsieur Jean Klein —- Couturier
pour Dames.«
Und die goldenen französischen Let
tern stachen den Damen in die Augen,
wie wohl der sascinirende Blick der
Schlange das arme zitternde Vöglein
sestbannt.
its-s . , rn.«s- «."
Jll, Ucll Jus-tu Wut ritt wein-, kr»
wußte wie kein Anderer, die fchwachei
Stelle der holden Geschöpfe herauszu- i
finden, welche ihn um Rath und Bei
stand baten, und er zog aus diefer Wif- i
senfchaft Nutzen, -—— nach ein paari
Jährchen war er ein gemachter Mann, !
ein berühmter Mann, der unbeftrittene
König der Mode, der Schiedsrichter des
Geschmacks.
Nur Diejenige, welche bei ihm arbei- i
ten läßt, darf auf das Diplom der
höchsten Eleganz Anspruch erheben ; »
zwar muß der Gemahl der betreffenden i
Dame für eine solche Robe sünfzehnmal s
mehr zahlen, als sie werth ift undl
zwanzigmal mehr als sie bei der frühe- »
ren Näherin gekostet hätte, — doch was !
will das fagen !
Aber fuchen Sie selber den berühmten
Mann auf und überreichen Sie ihm
durch den goldbetreßten Diener Jhrc4
Ratte. (
Monsieur drückt mit unnachahmlicher
Eleganz das Monocle in’5 Auge, ,,pah,
ein unbekannter Name!« Doch er ist i
heute guter Laune und läßt Sie vor. l
»Madame!" tagt er in gebrochenem i
Deutsch- ehe Sie noch Jhren Wunsch f
geäußert haben, Sie kommen ohneZwei- ;
fel, um eine Schöpfung von mir zu ers
bitten, — oh, das ift umsonst, ich kann
absolut keine neuen Filienten mehr an:
nehmen«
Weil Sie hübsch ift., setzt er hinzu: .
L A
i »Ich bedaure es!« Anderen gegenübe
hätte er kurz gesagt: »Ich kleide nur be
kennte Damen!«—denn Monsieur llei
det nur Namen.
Aber lassen Sie deshalb Ihr Köpf
«chen nicht so traurig hängen, mein
" Gniidigste, bedauern Sie nicht, si
schmerzlich abgewiesen worden zu sein
Glauben Sie mir, seine Klientinnei
, müssen dieses Vorrecht theuer bezah
i len.
l
Jch nehme an, Sie sagen zu ihm
. »M. Klein, ich wünsche ein Miedertleii
i niit Aermeln Louis X1V.«
I Er wird in maßlosem Staunen di
- Stirne in die Höhe ziehen und dani
- ziemlich briin erwidern: »Madame, id
s bin gewohnt, nur Rathschliige zu erthe
len, nicht aber solche entgegenznnehmen
! — Jch werde Jhnen eine Prinzeßrob
I machen mit Mieder Henri lV. und Aer
L meln Louis Xlll.«
F Wagen Sie nicht, maisgelbeg Tuch 31
l
i
, einem Jacket zu verlangen!
« Er wird sagen: ,,Madame, ich geb
; Jhnen russisch Grün und mache Jhnei
davon eine Cape!«
Er ist ein berühmterManm er komm
aus Paris, mithin hat er das Recht un
s rerschämt zu sein, oder »originell«, wi
l seine nachsichtigen Klientinnen es nen
nen.
s Begleiten wir die Gräfin S. zu ihre
i Anprobe. Sie müssen den großen Mei
j s«e.r im Feuer der Komposition sehen
I wie er Toiletten erdichtet tombinirt.
Die Gräfin ist eine bewunderungs
I würdige Märtyrerin, sie steht stunden
s lang unbeweglich da, die Schultern mi
E schweren Stoffen behangen, Monsieu«
E vor ihr, er heftet Falten, geht, tomm
I wieder her, bezeichnet, schneidet, änder
und betrachtet das Machwerk wieder voi
Neuem. Die Geduld diese-« Mannes is
wahrhaft erhaben.
Endlich schlägt er sich verzweifelt vor
die Stirne und ruft schmerzlich: »Ja
sehe nichts mehr! ich bin zu erschöpft
. Warten Sie, Madame, bis die anspi
l ration kommt!«
Die Portieren fallen hinter ihm zu
Gräfin S. stützt sich ermattet auf dis
Lehne eines Sesselg, sie darf sicy nich
scheu.
Nach einer endlosen Viertelstunde er
scheint er wieder. Er betrachtet seit
Opfer von allen Seiten, drückt die Au
gen zu und ruft triumphirend: »Ja
habe est«
Die Inspiration ist iiber ihn aekom
men, er hat die Toilette gesehen. «
Und nun müssen wir auch Dei de1
letzten und feierlichsten Cercnronie zu
gegen sein, bei der letzten Anmon zi
welcher Gräsin S. um 6 Uhr Abends
befohlen ist.
Der kleine persrsche Salon schwimm
in einem wahren Lichtmcer, -— dre
elegante Damen haben der liebender
Gräfin in die Robe geholfen nnd Mon
sieur legt nun die letzte Hand an, un
der Toilette die Seele zu neben, wie e«
sagt.
Nun ist die letzte Falte gelegt, di:
letzte Schleise arrangirtz der groß«
Mann wirst sich auf die Ottomane unt
drückt auf einen elektrischen Knopf —
ihm zur Seite. Nach einigen Augen
blicken theilen sich die Falten der Por
tiere und ein blasser, äußerst chic aus
sehender Herr tritt mit einer eleganter
Verbeugung ein und setzt sich an’s
Piano.
»Madame,« sagt Monsieur, »gehe1
Sie, bitte, langsam ans und ab, unl
Sie, Herr Kapolgtt), spielen Sie »l
dtksik!«
Madame gehorcht, die seidene, meer
grüne Schleppe windet sich wie ein«
. zischende Schlange durch das Gemach
das silbergestickte Depant glitzert unt
flitnmert im Lichte und der Pianis
spielt mit Hingebung und tiefem Ge.
siihl. Monsieur betrachtet Madanu
und stützt mit tiefem Sinnen das
: Haupt in die Hand. Bei der Repeti
« tion des ersten Theile-H ruft er ,,Genug
es ist nicht das Richtigel Madame
wollen Sie sich gütigst von Neuem be
mühen, und Sie, Herr Kapolsti. spie
len mir die Polka ,,Colibri!«
Er betrachtet Madame wieder, sinnt
und denkt und ruft endlich triumphi
rend: ,,Colibri, ja Madame, das ist de
Charatter der Toilette. Colibrit Si
sind fertig. Jch habe die Ehre, mick
Jhnen zu empfehlen!«
——-- —-·0--—
Eine seltsame Seite. —
Russische Blätter melden: Jn Esthlani
hat das Sektirerwesen wieder überhant
genommen. Ganz besondersv merkwür
dig ist die Seite der ,,Glauben5briider«
Die Mitglieder dieser Seite versam
meln sich jeden Abend ini Hause irgent
eines Gläubigen, um abwechselnd ihre
Geläufigkeit im Vorlesen von Gebeten
zu zeigen, während die übrigen, ans
dem Bauche liegend, zum Herzbrechen
heulen und schlnchzen. Die Gläubigen
gewähren einen traurigen Anblick; bei
den meisten, besonders bei den Weibern
sind die Augen von den vielen und star
ken Thränenergüssen angegriffen unt
geröthet, sodaß ärztliche Hilfe gegen die
Gefahr des Erblindeng dringend noth
wendig ist. Die »Glaubengbrijder« fint
wie lebende Leichen und sprechen wenig
am wenigsten mit den Ungläubigen
Durch die starke Nervenanspannunp
sind manche Weiber geradezu schwach
sinnig geworden; sie haben das Arbei
ten aufgegeben nnd beten ohne Unter
laß.
Eine liebe Freundin.
Alte Jungfer : »Als ich gestern mn
meinem Bräutigam im Wintergarteis
unter den Palmen spazierte-, tonnte ni«
mir nicht helfen und gab ihm einer
Kuß!«
»Da siehst Du wieder. daf, Niemant
ungestraft unter Palmen wandelt!«
..—.-- W
Trost. ,»
. Von Frida Schanz.
—·...—
»Ich wollte kein Wort dir sagen,
Es schmerzt so sehr,
Und tann’s doch allein nicht tragen,
Ich kanns nicht mehr-!
Die sahest mein Glück, ob es nimmer
Ein Wort verrieth.
Nun, Mutter, ist’s aus siir immer-,
Verhallt das Lied.«
,,»Mein Kind, was dein Herzchen et
stritten
So stumm allein,
Jsch hab’ eg mit dir gelitten
Jn tiefer Pein.
Nun lerne, mein Liebling, dich sassenz
Der Schmerz, verzehrt. -——
Der Falsche, der dich verlassen,
War dein nicht werth!«"
»Mutter« ach könntest du’s fühlen,
Wie weh das thut!
Willst du die Wunde mir kühlen,
Sei still —- sei gut!
Laß leise den Kopf mich schmiegen
Jn deinen Schooß,
Ein Weilchen am Herzen dir liegen,
Ein Weilchen bloß!« ·
Und stille ward-Z in der Kammer-.
Die Mutter litt
Des Liedlings unsöglichen Jammer
Verzehnfacht mit.
Sie hat mit zärtlichem Neigen
Sie leis gekost.
So ward ihr Weinen und Schweigen
Des Mägdleins Trost.
Der junge Schnee.
Der junge Schnee will fort und sort
Hoch oben tanzen und lachen;
Er möchte nimmermehr sein Kleid
Auf Erden schmutzig machen.
Doch einmal muß er niederwärts-,
E Ihm geht’5 wie allem Andern.
Man kann nicht ewig unschuldsooll
Jn reinen Höhen wandern.
Und wie er weinend niedersinlt,
Bis nah zur Erde gleitet.
Sieht er ein holdes Frühlings-kind,
Das wie im Jubel schreitet.
Er liißt sie ans den rothen Mund
Und will sich nimmer trennen,
Und als er glücklich lächelnd stirbt,
Fiihlt er ein heißes Brennen!
Käthi Hartmann.
—«—-.s.-- —--—
"! Ein sagenhafter Fisch —
Eine naturhistorische Merkwürdigkeit
. aus alter Zeit befindet sich in der kunst
geschichtlich bedeutsamen, prachtvoll
. z iviederhergestellten St. Godehardi
i Kirche zu Hildesheiim nämlich ein ge
waltiger getrockneter Seefisch, eine so
genannte Meersau (»Squalis galeus
L.), der neben dem Josephs-Altar auf
gehängt ifi. Der Sage nach stammt der
Fisch aus einem Hildesheimer Kloster
teiche, wo ihn der heilige Godehard ge
fangen haben foll. Anlaß zu dieser
Sage gab eine ani Hochaltar der Kirche
befindliche Figur, die den heiligenGode
hard darstellt, wie er mit dein Speer
einen Drachen erstirbt Auch der Jo
fefs Altar weist ein ähnliches Dra
chenbild auf. Der Fisch stammt jedoch
aus der Zeit Kaisers Karl V. an des
sen Dienste stand ein aus der Hilde5
heiiner Gegend gebürtiger Ritter von
Saldern, der für Rettung aus einein
Sturme, den er im Mittelineere zu be
stehen hatte, die Errichtung eines Al
targ in der Godehnrdi - Kirche zu Hil
desheim gelobte, und den Fisch- der
während dek- Sturines in’s Schiff ge
worfen worden war, daneben aufzu
hängen befahl.
Raphaels Echtheit unge
tv i ß . Die Verstcigerung eines angeb
lich von Raphael stammenden Gemät
des hat in Berlin stattgefunden. Der
E Gläubiger, Müller aus Wiesbadem
hatte auf das Gemälde eine Summe
von 50,000 Mark baar geliehen. Da
das Geld von der Wittwe des verstor
benen-Profess·ors«Nieole nichtsbeizutrei
ben war, wurde das Gemälde verpsän
det und zwangsweise versteigeri. Der
Raphael wurde vom Professor Louig
Nicole in Lansanne entdeckt. Der be
kannte Milliardär Vanderbilt soll 1,
200,000 Mart fiir das Gemälde gebo
ten haben. Der Verlauf fand «ohne
Garantie« ans die Echtheit statt. Das
Angebot wurde ans den Reihen der
Händler von 8 aus 200 Mark gesteigert;
der Gläubiger steigerte sich dann selbst
ans 6000 Mart und erhielt den ZU
schlag.
—— Stämme Zch w a r z e r
Z Iv e r g e. --— London hat Nachrichten
erhalten über die Forschungs-reise, die
Sir Harry Johnston im westlichen
Theile von Uganda machte. Johnston
hatte Gelegenheit, einige Vertreter ei
nes ztverghasten Voltgstaitiiiteg, die ein
deutscher (!) Abentenrer geraubt hatte,
um sie nach Parig zur Augstellnng zu
bringen, wieder in ihre Heirnath« in die
siongoivälde:, zurückzuführen und sie
nachher in ihren Heimstiitten zn besu
chen. Jn ihrer Sprache bringen sie
Zwerge sonderbare Gähnlunte an, die
I große Aehnlichkeit mit den lurzen Tö
- nen der Busclnnijnner und Hottentotten
z haben. Auch sprechen sie in einem selt
j samen nnd aufsallenden Singsang.
! Obgleich absehreetend hässlich von Aus
sehen, sind sie doch gewöhnlich von fröh
» , licher Otemiitheartz auch sind ihre Tän
s ze lustig und heiter.