Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 22, 1901, Sonntags-Blatt, Image 17
Lin nächtlicher Dreier. ...... .. .-.... —-..- .-. LonArthur Handel-Damen -—-,. ... » John Btovm war der einzige Sohn eines Lancashire Farnrers. Er war ein stiimmiger Bursche, sechs Fuß hoch mit breitem, tothem Gesicht, das nicht eben viel haarschmuck auszuweisen hatte. Seine großen, blauen Augen blickten sehr harmlos in die Welt. Er hätte sich gern nach einer eigenen Farm umgesehen. aber erst mußte er eine Frau haben, und am Abend, wenn er in aller Beschaulichkeit, an die Mauer, die das väterliche Gehöst umgab, ge lehnt seine Pfeife tauchte. dachte er: »Warum denn nicht?' Das dachte er, » seitdem er Dreißig geworden, und nun zählte er Dreiunddreißig. - Und noch zwei andere Menschen » dachten dasselbe. ; Diese zwei anderen Menschen waren Brei Frauen, die eine war John’s utter. die andere Betsy Gee. Aber diese Beiden dachten es etwas ungedul diger, dieses: Warum denn nicht? » Betsy Gee war die einzige Tochter » von Thimotheus Gee, Pächter und z nächster Nachbar der Blooms. i Betsy war ein gutes Mädchen, hübsch s i nnd triistig gebaut. Sie hatte runde, ’ feste Arme und war breit um die Hilf ten. hr Gesicht war länglich, die Stirne reit und niedrig, ihre Haare und die scharf gezeichneten Augen brauen Kandigzucker, ihre Augen wa ren hell und tlug, ihre Haut weiß wie der Nebel, der im Thalgrunde liegt« und rosig, wie ein Gänseblümchen, mit einem leichten goldigen Schimmer, wie das Ei von einem ihrer Hühner. Jhre Zähne glichen Perlen und ihr Lächeln nahm das Herz gefangen. Es war ne ckisch und gutmüthig zugleich. Wenn Jemand ihre Gedanken errathen hätte, sie wäre gestorben vor Scham. Trotz dem sagte sie sich ost genug: Warum macht er denn seinen großen Mund man aus, der ernsamge Mensche Endlich jedoch, an einem Sonntag abend im Juni, als die wilden Ro- · sen mit dem Weißdorn um die Wette dliithen, that John, ohne selber recht zu wissen. warum, einen wichtigen ; Schritt. Er paßte Betsh, als sie von der Kirche heimtam, aus dem Heim wege ab. Als sie ihm mit seinem schwarzen Rock, der etwas zu lang, mit seinen schwarzen Beintleidern, die et was zu kurz, und seinem rothbaitigen Gesicht, das durch den breitrandigen Hut, den er in den Nacken geschoben, wie von einem schwarzen Rahmen ein gesaszt war, auf der Straße stehen sah, da hüpfte ihr Herz. —-- Dann scharrte sie weg und wartete, bis einige ihrer Freundinnen sie eingeholt hatten. Aus » dem schmalen Pfade, der zur Kirche · führte, blieb die Schaar stehen, je dermann im Wege, und schwatzte, mehr als zehn Minuten lang. John wartete unterdessen. Er war , nicht der Mann, der wieder Kehrt t machte, wenn er die Hand ’mal am Psluge hatte. Und das Warten ver stand er, das war seine starte Seite. Jetzt fing die Gruppe an, Zeichen der Auflösung zu geben. Sie öffnete sich, schloß sich wieder, tlappte auf und zu, mehrere Male hinter einander, wie Fisch im Gelt-se. Dann tlappte sie von Neuem, bis schließlich sich einzelne Stücke loslöstem von denen der eine Theil in jener, der andere in dieser. Richtung von dannen ging. Der eine von diesen Theilen bestand aus Betsy mit zwei anderen Mädchen. Sie mar schirten direkt aus John zu. Als sie an ihm vorübertamem lächelte er. Das Trio lächelte ebenfalls und ging wei - ter. John folgte in einiger Entfer nung. Das rief vorne eine halblaute, ziemlich lebhaste Debatte hervor und war ohne Zweifel der Grund, weßhalb BetsW Begleiterinnen sich weigerten, noch weiter mit ihr zu gehen, wie sie dal- sonst an schönen Sonntagen zu thun pflegten. An dem Punkte, wo ihre. Wege sich trennten, blieben sie stehen und John tam aus sie zu. »Es ist schön«, sagte er, und meinte das Wetter damit. »Ja wohl, ganz schön, zum Karessi ren«« gab die Eine, die witzig sein woll te, ur Antwort. » as hat's fiir ’nen Werth, wenn man Reinen hat« der Einen taressirt?« sagte die Andere, die praktischer ange legt war. »Ich möchte auch Jemand haben, der mich taressirt,« meinte Joha. »Laß' ej in d'«—8etstnugN sehen« »Mit-ei tiinnt' man nett ’reinsallen,« , LI—C-. Dem-tue Jus-a- · »Das kann man auch, wenn man her tatth « nd wenn man ledig bleibt-« «Ra, auf Nachtt« . Betsy and Jahn blieben allein und wandeeten dem Moor entlang, Betscys hetmath zu. - John hatte Betst-'s and gefaßt. Er schaute nach dem pees aebigen Schim mer, den die Sonne t ihrem Unter gange zurückgelassen, ee schaute nach dem Abendstern, et schaute aus Betsy, und ein wunderliches Gefühl kam über Ihn. Als sie sich dem hause näherten, sag te et: »Ich möcht’ ganz gern ’nenSchtna von Deiner Mutter Hausbiee.« Kannst haben," versetzte Betsy et was trocken. Sie traten ein und fanden dte Mut ter in einiger Entfernung des Herb seueks sitzen. »Mit Gott,« sagte Mes. Gee, und machte ch iin Zimmer zu schaff-ü thm doch Mast Bis- ein seltener M-—-J Gast.« John ließ sich auf einen der Holesessel am Fenster nieder, wo Ge ran en und Fuchsien in voller Blüthe standen. Trotz der Jahreszeit siei das Feuer nicht lästig in dem großen Raum mit seinen Steinfliesen. Die Schin ien, die rings von den Sparren herun terhingen, nehmen sich bei dem flackern den Schein wie mächtige Birnen aus. Mrs. Gee hatte viel Aehnlichkeit mit Betsy, doch war sie breiter, dunkler und stämmiger· Mutter und Tochter wa ren wie zwei Pflanzen derselben Gat tung, die eine zarter, grüner, die an dere, weil älter, derber und holziger. »Ist Vater zu Bett?" sagte Betsy. »Ja,« antwortete die Mutter. »Er möcht’ ern von Deinem Bier,« kagte Betsy. er »Er« soll John hei en. »Warum nicht Z« sagte Mrs· Gee. «N———ein,« stotterte Joha, der mit einem Mal den Wunsch empsand, sich nnsichtbar machen zu können, »ich — l —- — «Was ichW rief Betsh. »Ich mein’, Du weißt nicht, was Du willst,« fuhr sie heftig fort. Dann tam’S ihr plötz lich, daß diese Bemerkung, bei den mo rnentanen Verhältnissen, sehr doppel sinnig klang, und ftob mit brennend ro then Backen aus dem Zimmer. John starrte ihr offenen Mundes nach. Da schien irgend etwas nicht zu stimmen —- aber was? Mes. Gee war'ö auch nicht ganz ge keuen sie machte sich mit dem Bier zu chaffen. Jhr Bier war berühmt weit und breit, und wer zu ihr kam, that gut. sich welches geben zu lassen John fühlte wieder festeren Boden unter den Füßen, als das Bier vor ihm stand. So oft er aus etrunten, so oft fiillte Mrs. Gee den rug wieder aut. Sc oft sie nachfiillte, fo oft trani er ihn wieder leer. Die Sache wurde allgemach bedenk lich. Er trank, um nicht sprechen zu müssen, aber ewig konnte das doch nicht weiter· gehen. »Du wirst durstig sein«, bemerkte Mrs· Gee, als sie zum sechsten Male einschenite. »Ja«, meinte Joha. »aber ’5 ist nim mer so schlimm fetzt«, setzte er hinzu. Nach diesem Gedankenaustaufch kam Beides in’s Stocken, das Trinken und das Sprechen. Mrs. Gee hatte ihren Verrath an den üblichen, freundnach barlichen Eriundigungen bald erschöpft. Sie hielt es rathsam, Betfn wieder zu ritiren, und ging an die Thür hin, durch welche dieselbe verschwunden war. «Betsy! Betsh!« Es tam teine Antwort. »Sie scheints nicht zu hören«, sagte John, zum ersten Male die Initiative beim Gespräch ergreifend. »Ich will sie holen«, antwortete die Mutter und ging hinaus· John war allein. Er athmete aus. Nun war’s ihm wohl. Er setzte sich be haglich zurecht, tocterte sich den Hemd tragen, streckte erst das eine Bein, dann . fdas- andere und fing an, unter-nehmend um sich zu blicken. Er trornmelte mit den Fingern auf seinem Stuhle herum und pfiff vergnüglich vor sich hin. Zehn Minuten vergingen. Noch im mer war nichts von Mrs. Gee und Betsh zu sehen. Sein Rücken begann nachgerade zu schmerzen. Er wechselte die Stellung, aber eö nähte nicht für Es war Alles so ruhig! Zwei Heim chen fingen an, sich zirbend Antwort zu geben. Wenn ein Holzscheit zusammen siel, suhr er aus. Wo blieb denn BetsyZ Was würde sie wohl sagen, wenn sie lam? Und wag würde er sagen? Das wußte er ebenso wenig. Wenn er Reißaus nähme? -— tam’s plöflich verlockend über ihn. Es wäre so eicht, setzt fort zugehen. Wenn die Beiden erst wieder da waren, wurde es viel schwerer. Er erhob sich, össnete die Thüre, setzte seinen Hut aus und blickte, die Hände in den Taschen, um sich. Es war Niemand zu sehen, die Lust war rein. Er schaute nach Links, wo der Weg nach Hause, in den sichern Hasen führte. Vorsichtig that er einige Schritte, es störte ihn Kei ner bei seinem männlichen Vorhaben und sein zögernder Gang wurde rascher und energischer. Eben hatte er den Tunghausen hinter sich, der die ganze Front des auses entlang lies, da lam Betsn um d e Ecke gerannt. geradewegs aus ihn zu, Bets , die nicht ahnte, baß ilsre Mutter ni ts davon wußte, sand nichts Aussallendes dabei, dasz John sortgehen wollte. John dagegen glaubte, er sei ertappt. Er versuchte, sich den An schein zu geben, als treibe er sich nur um Vergnügen aus dem hos umher· tsn, sei es, weil sie derduht darüber war, sei es aus Berstirnmung oder aus lindischem Eigensinn oder aus all’ die sen drei Gründen zusarnrnen« ging ohne ein Wort zu sagen, an ihm vorüber und verschwand im hause. John sah ihr nach, wurde roth, nahm seinen Hut ab, segte ihn wieder aus« machte wieder ei nige Schritte dem heimathlichen Psade zu, tam bis an den Hoszaum blieb von Neuem stehen. schließlich lies; er sich hier nieder, um iibet sein serneres Verhalten nachzudenlen Jm Hause tras Betsy die Mutter-. »Hast Du ihn heimgeschictt?« sragte diese, in der Meinung, die Beiden hät ten scch draußen ausgesprochen »Nein«, sagte die Tochter. »Hast Du ihn nicht gcfchen ?« fragte - die Mutter erstaunt. »Doch.« »Was hast Du denn mit ihm ange-« han ?'« « ichtil.« Mes. Gee ging zur Thüre hin und W blickte in die helle Juninacht hinaus. »Dort sitzt er ja auf dem Zaun 2"' rief sie. »Und ich geh’ zu Bett,« sagte Beisp »Da5 läßt Du gefälligft bleiben l« eiferte die Mutter. »Meinft’ vielleicht, ich bleib' allein hier und guck’ dem dummen Bengel zu, wie er die halbe Nacht da drüben hockt ?« »Dann hol’ ihn doch ’rein t« »Das fehlte noch ! Du hast ihn her gebracht, nun sieh’ selber zu, was aus ihm wird." Aber Betsy wollte natiirlich nicht hin ausgehen. Die Sache war zu einem Stillstand gekommen. Die beiden Frauen saßen drinnen im Haus, John draußen auf dem Zaun. Je länger er dort saß, um so verzwickter wurde seine Lage. Wenn die im Hause die Thüre zugemacht hätten, dann hätte es auch ihm frei gestanden, sich zurückzuziehen Das thaten sie aber nicht, denn das vertrug sich nicht mit i ren Begriffen von Anstand und guter ttte. —- —— — Alles war still, nur ein ruheloser Kiebitz hupfte mit tla endeni Wen-mit ! Wen-mit ! auf dem Felde hinter ihm, hin und her. Schläfrig stieg der Mond empor und als er John erblickte, verzog er sein pausbackiges Gesicht zu einem verächt lichen Grinsen. Die Haustatze schlich sich zu ihm hin, mit hocherhobenem Schwanz und fchnurrte, sich an seinen Beinen reibend: Kommt sie wohl bald ? Jm Hause drin gähnte man. »Ich möcht’ in’·g Bett,« sagte Mrs. Gee. »Ich auch,« sagte Betsy. »So hol’ ihn doch !« f »Ich tann ihm doch nicht nachlaus en.« Allgemach begann Mts. Gee, sich auf einen Ausweg aug ihrer stolzen Neutra lität zu besinnen. Sie lonnte zu tei nem Entfchluffe kommen. John, der einzige Sohn eines wohlhabenden Mannes-, war eine gute Partie. Aber der ganze Hochmuth ihrer Kafte em pörte sich dagegen, auch nur einen Fin ger zu rühren, um ihn fiir ihre Betsy zu sichern. Aug der Ferne tönte ein Pfiff und das Klappern von Holzfchuhen unter brach das Schweigen der Nacht. Betsy wußte sofort, was diese Töne zu bedeu ten hatten. Man kam, um John zu holen· Oder wenigstens, um bei ihnen zu fragen, ob sie nicht wüßten, was aus ihm geworden. Sie huschte ans dem Hause und über den Hof zu Jvhn hinüber. »Du einfältiger Mensch« raunte sie ihm zu, »hörft denn gar nichts ? Man sucht Dich, gleich werden sie da fein! Hast vielleicht Luft, hier getroffen zu werden ?« John stand auf. »Ich brauch’ nicht fortzugehen, eh ich nicht mit Dir im Reinen bin. Willst meine Frau werden ?« ,,4sa,'« fliifterte es lauin hörbar erst, dann energischer : »Ja, wen D’machft, daß D’forttommft !« Und John ging. Dienstmaun Beine ..-. — Es ist mir gerade, als sähe ich ihn noch vor mir, unseren alten Dienstmann Heinz. Jch habe ihn ja auch viele Jahre gekannt, schon als ich noch ein Kind war und er mich zuweilen von der Schule abholte. Wie bedeutsam tlang mir damals seine grobe Stimme in den Ohren, wenn ich, muthwillig und leichtsmnig wie ich war, die Erinahnuna betamz »Junger Herr! Betragen Sie sich an ständig, sonst. .« Dieses «sonst«ent hielt so viel, wurde in so bestinnntem Tone geäußert, daß ich mit einem scheuen Blicke auf meinen Begleiter so fort wieder auf den Pfad der Tugend zurückkehrte. Ueberhaupt hatte ich eine gewisse Achtung vor ihm, denn schon in meiner frühesten Jugend war es der Dienst mann Heinz, welcher geholt werden sollte, um mich zur Vernunft zu brin- ! gen, wenn ich es meiner Mutter zu bunt machte. Jch hatte Todesangst vor der schrecklichen Drohung, daß er mich in feiner Keuerwohnung einschließen wür- » de und ich mich allein bei seinem Schub- z tarren, seinen Stricken und anderen I Dingen aufhalten müßte. Das Aus- ; hiingeschild: s Dienstmann Heinz ( i klopft Teppiche aus und bringt Decken nach der Wallmiihle, welches über seiner Thüre hing, schien mir in den Jahren, wo ich der Kunst des Lesens noch nicht mächti war, wirklich wie das Aushiingefchi d einer Besserungsanstalt fiir unartige Kinder. heinz war der echte Typus eines Am sterdamer Dienstmannes Hätte man ihn auch in den feinsten Tuchanzug gesteckt, fein poctennarbigesz Gesicht, sowie das rothe Haar — wel ches, in zwei steifen Locken an die Schläfe gelegt, mit dem turzgeschnitte nen Backenbarte eine stumpfe Ecke bil dete -—- waren so tennzeichnend, daß sie s jedermann sofort verriethen, daß sie s dem Dienstmann Heinz angehörte-u So sehe ich ihn wieder vor mir, aufhors « chend und mit den kleinen, klugen, grauen Augen zwinlernd, wenn ich ihm » in späteren Jahren eine Besorguna aus- T trug. »Hast du mich verstanden, Heimk« fragte ich gewöhnlich am Schlqu »Vollkocnmen. mein Herrl« war i dann ebenso regelmäßig seine Antwort, ! während er seinen Kautabai den er in l seiner linken Wange zu verbergen W pflegte, hin und her schob und das Hanfseih welches unzertrennlich von seinem weißleinenen Kittel war, mit ei neåtSchulterbewegung in die Höhe ru e. Herrl« sagte, war es sicher, daß der Auftrag, den man ihm gegeben, richtig besorgt wurde. Viel Worte machte er nie; dazu hatte der Mann auch wirklich keine Zeit, denn vom Morgen bis zum Abend war er beschäftigt, und Plaudern war seine schwache Seite nicht Ein einziges Mal erinnere ich mich, sdasz er denRednerstuhl besti-» das heißt c aus der Deichsel seines Kartens sitzend, l während er aus die Wäsche wartete, die I er wegbringen sollte. »Wissen Sie wohl, mein Herr,« sagte Heknz Da- »daß Sie aus meiner- Eigar renspitze Jhre erste Cigarre geraucht haben? Ach, Sie waren damals auch kaum zehn Jahre alt und ein unoezoge ner Schlingel. Als Sie die Cigarre bis zur Hälfte getaucht hatten, da hat ten Sie genug bavon, und da habe ich sie weiter getaucht; denn es wäre Sün de gewesen, das Stück fortzuwersen « Jeh lachte bei dieser Erinnerung an meine Kindheit und dachte bei mir daß ; ich seither doch etwas wählerischer ge ; worden sei; ja, ein leichter Schauder ; fuhr mir durch die Glieder, als ich « Heinzens breitenMund und in denEcten desselben die Spuren seines Leckerbis sens bemerkte. Eines ist gewiß: i habe in späteren Jahren nie mehr so vertraulich mit meinem Dienstmanne verkehrt wie damals als Rind. Jch habe ihn aber öfter nöthig gehabt und Beweise von feiner eprobten Treue er hatten. i II Ehrlich war Heinz zweifellos, wenig- Z stens was Geld betraf. Man konnte · ihm ruhig jede Summe zum Einkassi ren anvertrauen und es war sein Stolz, von sich zu sagen, daß er ,,wie das Dankt-aus« sei. Wenn er eine Quittuna in sein gro ßes schwarzledernes Taschenbuch mit dem breiten tupfernen Schlosse gelegt und die vom langen Gebrauch fettig und glänzend gewordene Schnur drei mal herumgewickelt hatte, wurde alles zwischen seinen Kittel und seine wollene Unterjaeie gesteckt und war dort so sicher aufgehoben, wie im eigenen Geldschrant seines Austraggebers. Es hätte nie bei ihm vorkommen können, daß er ein wichtiges Schriftstiici abgegeben hatte, bevor er nicht das Geld dafür vorher » nachgezählt und in Empfang genom : men hatte; denn »gleichzeitig tauschen, x das ist das einzige Richtige,« pflegte er Wenn Heinz: ,,Volllommen, mein’ » zu sagen. Kam er in das Geschäftszimmer »ab rechnen«, dann nahm er zuerst seine Mütze ab, legte sie auf das Tischchen, sein Taschenbuch daneben und holte dann aus der unsäglichen Tiefe seiner Hosentaschen die grauen Geldfäckchen hervor, worin er das Kleingeld trug. Die Bantnoten legte er alle so auf den Tisch, daß sie jedesmal, entweder auf oder nebeneinander, hundert Gulden ausmachtem dann die Geldstücke dar unter so geordnet, daß jede Reihe zehn Gulden betrug. »So zählt es sich be quem, wissen Sie.« Sagte Heim dann, ! nachdem er mit seinen groben, schwieli z gen Fingern das Geld noch ein paarmal J geordnet und befühlt hatte, »in Ord i nung«, dann fehlte auch kein halber Cent, und dann setzte er seine Mütze wieder auf mit dem herkömmlichen: »Am Samstag mit der Nota? . . . Gu ten Morgen, mein Herrl« Heinzens Rechnungen waren ge wöhnlich keine Musterleistungen 1m Schönschreiben und lauteten überaus originell. Jch habe oft heimlich da rüber gelacht, wenn ich die Hierogly phen entziffernd. las: 12. Nov. Das junge Fräulein abge holt und angezogen, sünfundzwanzig Cents. Das bedeutete, daß er sich als »Herr«, das heißt mit einem Hut auf dem Kopf und einem Tuchrock über seinem Kittel, angezogen hatte, um meine Schwester den der einen oder anderen Gesellschaft abzuholem »Nicht angezogen« kostete zehn Cents weniger. War es nach Mitternacht gewesen, dann fügte er hinzu: ,,Nachtarbeit ge than« und berechnete den doppelten Preis. Jch erinnere mich noch einer rechenlünftlerischen Zusammenstellung von Heinz, wobei er zu dem Schlusse lam, daß die Gegenwart einer Dame zehn Cents mehr werth sei. Die Rech nuna lautete: 18. Oktober. Das jung-e Fräulein von einem Theeabend geholt, fünfhund zwanzig Cents. 24. Oktober. Das junge Fräulein von einem dito geholt, aber sie nicht mit gegangen, fünfzehn Cent5. . ut Erklärung diene, daß das be wu te Fräulein den Dienstmann fort geschickt hatte, weil sie von einem der here-en nach Hause begleitet wurde. Wie oft ich auf seiner Rechnung gele sen habe: »Für Ew. Hochwohlgeboren zwei Stunden lang getlopft zu haben, vier zig Cents«, weiß ich nicht mehr, denn im Winter war es Heinz, der unseren Koks kleinllopfte, und niemand that eg bes ser, als er. Abgesehen von seiner geringen Kennt- ; niß der Schreibtunft und der Gramma- z tik war der ,,Dienstinann« m manchen . Fällen der Rathgelser, denn was ilnn an I Bildung selilte, das erfetzte er durch sein scharfe-Z Gedächtniß hundertfach. Nie mand konnte so gut wie er über die Zu verlässigkeit des einen oder anderen Kunden, mit dem man zu thun hatte, unterrichten; darin suchte er seines Gleichen. Antwortete er aus die Frage: »Heinz, wie steht es bei dem oder jenem mit dem Bezahlen?« mit einem saueren Gesicht und einem leisen Pfeifen zwi schen den gespitzten Lippen, dann bedeu tete das soviel wie: Vorsicht ist anzum piehlenl Zog er seine stumpfeNase schief, wahrend er den Kon bedenklich schüt telte, dann stand es mit dem Kunden ei nen Grad schlimmer; gebrauchte Heinz aber das Wort ,,Davon bleiben«, beglei tet von einer abwehrenden Bewegung der linken Hand, dann würde es unver antwortlich gewesen sein, der betreffen den Person Kredit zu geben. Schob er hingegen seine Lippen nach vorn, während er, seinen Leckerbissen verschiebend, rnit den Augen zwinkerte, rnd ein paarmal nickte, dann bedeutete das: Der Mann ist ziemlich gut. Seine mimische Geschicklichkeit erreichte aber den Gipfel, wenn er andeuten wollte: Sehr gut im Bezahlen. Jn dem Falle zog er seine rothen Augenbrauen in die Höhe, lachte verschmitzt und ahmte mit der rechten Hand die Bewegung des Geldzählens nach, während er zwischen den Lippen: ,,Prrr!« machte. Die Ant wort: Durchaus zuverlässig, verdol nietschte er einfach durch seinen Lieb lmgsausdrueb »Wie das Banlhaus.« Von der Nachbarschaft wußte Heinz alles· Um wieviel Uhr bei Frau von Spankeren der Storch gekommen, wann der Doktor geholt worden, um welche Stunde der alte Herr Blommers das Zeitliche gesegnet, an welchem Tage und zu welcher Stunde Fräulein Phl heira then würde, wann die Familie van Ui jen aufs Land ging — niemand konnte es besser sagen, als er. Bei all diesen Ereignissen bekam er nämlich etwas zu thun, oder hatte er eths zu thun ge habt. Andererseits verdankte manche Familie dem Umstande, daß Dienst- ; mann Heinz, wenn es darauf ankam, die Verschwiegenheit selbst war, daß ihre ? anrüchigen Geschichten nicht bekannt ; wurden. Heinz war wirklichein Mann, ! dem man vertrauen konnte. Er sah al- « les, ohne zu sehen, hörte alles, ohne zu hören, und obschon er einen Mund hatte für zwei, so war er doch stumm, wenn es geboten schien. Mit dem Sie ael der Verschwiegenheit auf den Lippen übekhkachte er die vertraulichsten Auf- I träge. Die zärtlichsten Bestellungen s wurden von ihm mit stoischer Ruhe aus- · gerichtet. s i I I 1 ! ! 1 Wenn er gewollt hätte, würde er viel haben erzählen können, aber — »Nichts davon«, sagte Heinz, ,,es kümmert mich nicht, was ein anderer thut. Ob Herr Soundso für sich heimlich etwas auf die Seite nimmt, ist feine Sache; daß ich nseine Aufträge gut für ihn ausführe, iit meine Sache, und wenn seine Frau mit ihm nachher Streit darüber be kommt, so ist das ihre Sache.« Am Sankt - Nikolaus-abend wurde des Dienstmanneg Heinz’ Verschwiegen heit auf eine harte Probe gestellt, denn durch seine Hände gingen unzählige Packetchen, die er alle, ohne die Namen der Absender zu verrathen, besorgen mußte. Stets lautete dann seine Ant wort, wenn ihn die eine oder andere Dienstmagd, die ihn kannte. neugierig frugt »Heinz, nun mach’ teine Ge fchichten und sage, woher das kommt?« — »Mein Kompliment, und die andere Hälfte ist gerade fo.« Was das heißen sollte? Wir haben uns lange damit ge auält, einen Sinn hineinzubringen, es ist uns aber nicht gelungen. Jn unser Haus brachte Heinz mit der größten Regelmäßigteit jeden fünften Dezember zwischen sieben und acht Uhr Abends ein zugelnüpftes, rothbaum wollenes Taschentuch mit den Grüßen von Sankt Nikolaus. Das Taschentuch enthielt ebenso regelmäßig: einen ge räucherten Aal für den Herrn, einen ganz zähen Kuchenmann für das junge Fräulein Und eine dito Kuchenfrau für den jungen Herrn. Die Sachen stamm ten von ihm, und er that es, weil »der Herr« ein so guter Kunde war, als eine Art jährlicher Anerkennung seiner Kundschafi. Es brachte ihm aber auch keine Windeier ein, denn am sechsten De zember kam der Pseudo-Nitolaus re- « gelmäßig das rothe Tafchentuch zurück-— ' holen, das ihm dann mit einem Fünf guldenstück überreicht wurde —- ein Umstand, der ihm jedes Jahr, wenn er das Geld einsteckte, die Worte entlockte: Daß es ihm darum wahrhaftig nicht zu thun sei, daß er aber doch freundlich danke. «-« - . «- · s« A. Im Allgemeinen tout Yes-U um Je dermann gut Freund, alle hatten ihn gern, und er wiederum mochte Jeden gut leiden. Nur aus die Diener der heiligen Hermandad war er nicht gut zu sprechen; die Polizei war ihm oft ein Dorn im Auge. »Sie wissen nicht, was einem Men schen zukommt, und sie handeln immer willkürlich!« Diese Klage äußerte er jedesmal, wenn er fiir den einen oder anderen kleinen Verstoß, wie das Fah ren auf dem Bürgersteig oder das Ste henlassen seines Kartens an dem Ufer rande und dergleichen bestraft wurde. Einmal ging er sogar einen Tag brum men, denn es war in der stillen Zeit und seine Frau konnte den Tag über schon allein fertig werden. ,,Drei Gul den bezahlem weil ich etwas am Seile hetuntetgelassen habe, ohne »Achtuna da unten!« zu rufen . . . . ist das nicht unerhört?« sagte er jedesmal in einem Tone der Entriistuna, wenn er das Brummen dem Bezahlen vorzog Uebri gens kam er wenig mit der Polizei in Berührung: sein Grundsatz war, so wenig wie möglich damit zu thun has ben —- denn es läuft gewöhnlich nicht gut ab«. Zu bestimmten Zeiten trank Heinz« W gern einen Schnaps, aber nie til-ermit ßig. »Das schickt sich nicht,« und: »Mit zu stramm anziehen, sonst reißt die Schnur,« pflegte erzu sagen, aber den » noch war seine Natur fiir einen Schluck empfänglich. Jch erinnere mich, daß ich ihm einst, als bei uns ein Familien tag gefeiert wurde, ein Glas Madeira anbot. Er faßte es mit Daumen und Zeigesinger und goß den Jnhalt mit . unnachahmlicher Gewandtheit in einem Zuge hinunter; alsdann machte er mit vollen Wangen die Bewegun des Kauens und versicherte ernst: da er es wohl lecker fände, aber daß ein ERin chen ihm lieber wäre, als ein ganzer Brunnen voll von dieser flauen Kost. Nur des Sonntags-Nachmittags ver vielfältigte er dies eine Elixierchen mit zwei oder drei im ,,Erften und letzten Heller« an der Ecke, wenn er bei gutem Wetter mit Frau und Kindern spazie ren ging, oder an regnerischen Sonn tagen zu ause, wo er Vogelläfige schnitzte, die er kunstvoll aus Schilf rohr und Cigarrenkistenbreitchen zu verfertigen verstand. Wie erprobt ehrlich Heinz auch sonst war, alte Cigarrenkistchen nnd Schilf rohr schlos; er einfach aus seinem Be griff von Mein und Dein aus. Konnte er die irgendwo ,,erwifchen«, dann wechselten sie sofort den Eigenthümer. Es waren wirklich besonders schöne Vogelkäfige, welche er machte. Ge wöhnlich stellten sie ein Haus mit zwei Stockwerlen vor und einem spitzen Dach; letzteres hatte zwei unverhältniß mäßig große Schornsteine auf jeder Seite und in der Mitte befand sich eine Art Zuckerhut mit einer beweglichen Wetterfahne darauf — gerade diese Wetterfahne war sein Stolz und sein Meisterwerk! Eine hohe Stiege vor dem Hause und zwei im Verhältnifz riesige Laternen an jeder Seite flößten einem von seiner architektonischen Ge schicklichkeit die höchste Meinung ein. Sobald er einen Käfig fertig hatte, wurde er verloost, und man konnte sich fiir den mäßigen Preis von fünfund zwanzig Cents ein Loos beschaffen. Lange Jahre habe ich den Dienst mann Heinz in seiner Kellerwohnung gekannt, aber die Zeiten änderten sich und mit ihnen seine Behausung. Ei nes schönen Tages erzählte er mir, das-, er in dem Gäßchen ein kleines Ei genthum gekauft habe. »Ja, sehen Sie! Ein Herr hat mir ein bischen nachgeholer; das übrige habe ich selbs,« sagte Heinz mit einer gewissen Genugthuung in seiner Mie ne. »Und ich hoffe des Herrn Kund schast zu behalten wie früher«, fügte er hinzu, »und verspreche Jhnen eine coulante und schnelle Bedienung.« Heinz war also ,,Eigenthümer«; seinen oberen Stock hatte er vermiethet, aber in dem Unterhaus blieb er, was er war: der Dienstmann, bis er schließ lich einen Gehilfen nahm und von dem Augenblicke an »Meister« hieß. Als seine früheren Nachbarn dies hörten, sagten sie, es sei wahrlich Zeit, dafz Heinz nun in seinem Hause auch ein mal »Meister« würde, da es noch lange nicht gewiß sei, ob nicht bis jetzt seine Frau Anspruch auf diesen Titel gehabt habe. Noch viele Jahre hat der Meister in der Gasse gewohnt, und er würde viel leicht heute noch dort wohnen, wenn er nicht Glück gehabt hätte. Er verkauf te nämlich Loose aus der Staatslotte rie—was er mit folgenden Worten auf seinen Fensterscheiben angekiindigt hat te: »Hier versucht man sich in der Staatslotterie« —- und war schließlich mit einem vollen Zehntel für alle Klas sen sitzen geblieben. Es war gerade, als ob die Vorsehung es so bestimmt hätte, daß er das Zehntel haben müsse; denn welche Mühe er sich auch gegeben, es an den Mann zu bringen, es war ihm nicht gegliickt. Seufzend hatte er das Loos vor den spähenden Augen seiner Ehehälfte versteckt, welche eine Lotterie gleichbedeutend mit »Geld wegwerfen« fand, bis er eines Morgens entdeckte, daß ein Zehntel von 50,000 Gulden darauf gefallen war. Kaum konnte Heinz seinen Augen trauen, als er all das Geld beieinander sah, das ihn in den Stand setzte, von seinen Zinsen zu leben. Wie? Ja, das war seine Sache, seine Rechentunst war eben anders als die unserige Jn dem Häuschen in der Gasse wohnt jetzt ein anderer Dienstmann, welchem er sein Geschäft übergab: Jan, Piet oder Klaus, der Name thut nichts zur Sache, denn es ist einer von der modernen Art, halb Herr, halb Dienstmann; ein Mann, welcher aus einer prachtvollen Meerschaumsvitze raucht, des Sonntags Handschuhe trägt und dessen Töchter Kleider mit Schleppen tragen, wodurch sie Damen vorstellen wollen. Die alte, gediegene Rasse stirbt allmählich aus; schade darum! Denn es- war ein braver Men schenschlag, welcher der Welt brauchba re Handwerlslente und anständige Dienstmädchen lieferte! Zuweilen sehe ich Heinz noch, nnd wenn ich mit ihm spreche, erklärt er gerade heraus-. daß das Renntnerspie len ihm nur halb gefalle nnd das-, »Aber, die Frau hat eI nun nach ihrem Sinn, und ich bin schon bei Jahren; vielleicht ist es Auch gut so,« sagt er dann mit einem Seufzer und einem Bist auf seinen Leckerbissen, der ihm treu geblieben ist. Obschon er aber jetzt regelmäßig einen Tuchroek und ci nen Cislinderhut trägt, bleibt Heinz doch für mich — das·Muster eines Dienstmannes.