Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 22, 1901, Sonntags-Blatt, Image 17

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    Lin nächtlicher Dreier.
...... .. .-.... —-..- .-.
LonArthur Handel-Damen
-—-,. ... »
John Btovm war der einzige Sohn
eines Lancashire Farnrers. Er war
ein stiimmiger Bursche, sechs Fuß hoch
mit breitem, tothem Gesicht, das nicht
eben viel haarschmuck auszuweisen
hatte. Seine großen, blauen Augen
blickten sehr harmlos in die Welt. Er
hätte sich gern nach einer eigenen Farm
umgesehen. aber erst mußte er eine
Frau haben, und am Abend, wenn er
in aller Beschaulichkeit, an die Mauer,
die das väterliche Gehöst umgab, ge
lehnt seine Pfeife tauchte. dachte er:
»Warum denn nicht?' Das dachte er, »
seitdem er Dreißig geworden, und nun
zählte er Dreiunddreißig. -
Und noch zwei andere Menschen »
dachten dasselbe. ;
Diese zwei anderen Menschen waren
Brei Frauen, die eine war John’s
utter. die andere Betsy Gee. Aber
diese Beiden dachten es etwas ungedul
diger, dieses: Warum denn nicht? »
Betsy Gee war die einzige Tochter »
von Thimotheus Gee, Pächter und z
nächster Nachbar der Blooms. i
Betsy war ein gutes Mädchen, hübsch s
i
nnd triistig gebaut. Sie hatte runde, ’
feste Arme und war breit um die Hilf
ten. hr Gesicht war länglich, die
Stirne reit und niedrig, ihre Haare
und die scharf gezeichneten Augen
brauen Kandigzucker, ihre Augen wa
ren hell und tlug, ihre Haut weiß wie
der Nebel, der im Thalgrunde liegt«
und rosig, wie ein Gänseblümchen, mit
einem leichten goldigen Schimmer, wie
das Ei von einem ihrer Hühner. Jhre
Zähne glichen Perlen und ihr Lächeln
nahm das Herz gefangen. Es war ne
ckisch und gutmüthig zugleich. Wenn
Jemand ihre Gedanken errathen hätte,
sie wäre gestorben vor Scham. Trotz
dem sagte sie sich ost genug: Warum
macht er denn seinen großen Mund
man aus, der ernsamge Mensche
Endlich jedoch, an einem Sonntag
abend im Juni, als die wilden Ro- ·
sen mit dem Weißdorn um die Wette
dliithen, that John, ohne selber recht
zu wissen. warum, einen wichtigen ;
Schritt. Er paßte Betsh, als sie von
der Kirche heimtam, aus dem Heim
wege ab. Als sie ihm mit seinem
schwarzen Rock, der etwas zu lang, mit
seinen schwarzen Beintleidern, die et
was zu kurz, und seinem rothbaitigen
Gesicht, das durch den breitrandigen
Hut, den er in den Nacken geschoben,
wie von einem schwarzen Rahmen ein
gesaszt war, auf der Straße stehen sah,
da hüpfte ihr Herz. —-- Dann scharrte sie
weg und wartete, bis einige ihrer
Freundinnen sie eingeholt hatten. Aus »
dem schmalen Pfade, der zur Kirche ·
führte, blieb die Schaar stehen, je
dermann im Wege, und schwatzte, mehr
als zehn Minuten lang.
John wartete unterdessen. Er war ,
nicht der Mann, der wieder Kehrt t
machte, wenn er die Hand ’mal am
Psluge hatte. Und das Warten ver
stand er, das war seine starte Seite.
Jetzt fing die Gruppe an, Zeichen
der Auflösung zu geben. Sie öffnete
sich, schloß sich wieder, tlappte auf und
zu, mehrere Male hinter einander, wie
Fisch im Gelt-se. Dann tlappte sie von
Neuem, bis schließlich sich einzelne
Stücke loslöstem von denen der eine
Theil in jener, der andere in dieser.
Richtung von dannen ging. Der eine
von diesen Theilen bestand aus Betsy
mit zwei anderen Mädchen. Sie mar
schirten direkt aus John zu. Als sie
an ihm vorübertamem lächelte er. Das
Trio lächelte ebenfalls und ging wei
- ter. John folgte in einiger Entfer
nung. Das rief vorne eine halblaute,
ziemlich lebhaste Debatte hervor und
war ohne Zweifel der Grund, weßhalb
BetsW Begleiterinnen sich weigerten,
noch weiter mit ihr zu gehen, wie sie
dal- sonst an schönen Sonntagen zu
thun pflegten. An dem Punkte, wo
ihre. Wege sich trennten, blieben sie
stehen und John tam aus sie zu.
»Es ist schön«, sagte er, und meinte
das Wetter damit.
»Ja wohl, ganz schön, zum Karessi
ren«« gab die Eine, die witzig sein woll
te, ur Antwort.
» as hat's fiir ’nen Werth, wenn
man Reinen hat« der Einen taressirt?«
sagte die Andere, die praktischer ange
legt war.
»Ich möchte auch Jemand haben, der
mich taressirt,« meinte Joha.
»Laß' ej in d'«—8etstnugN sehen«
»Mit-ei tiinnt' man nett ’reinsallen,«
, LI—C-.
Dem-tue Jus-a- ·
»Das kann man auch, wenn man her
tatth
« nd wenn man ledig bleibt-«
«Ra, auf Nachtt«
. Betsy and Jahn blieben allein und
wandeeten dem Moor entlang, Betscys
hetmath zu. -
John hatte Betst-'s and gefaßt. Er
schaute nach dem pees aebigen Schim
mer, den die Sonne t ihrem Unter
gange zurückgelassen, ee schaute nach
dem Abendstern, et schaute aus Betsy,
und ein wunderliches Gefühl kam über
Ihn.
Als sie sich dem hause näherten, sag
te et: »Ich möcht’ ganz gern ’nenSchtna
von Deiner Mutter Hausbiee.«
Kannst haben," versetzte Betsy et
was trocken.
Sie traten ein und fanden dte Mut
ter in einiger Entfernung des Herb
seueks sitzen.
»Mit Gott,« sagte Mes. Gee, und
machte ch iin Zimmer zu schaff-ü
thm doch Mast Bis- ein seltener
M-—-J
Gast.« John ließ sich auf einen der
Holesessel am Fenster nieder, wo Ge
ran en und Fuchsien in voller Blüthe
standen. Trotz der Jahreszeit siei das
Feuer nicht lästig in dem großen Raum
mit seinen Steinfliesen. Die Schin
ien, die rings von den Sparren herun
terhingen, nehmen sich bei dem flackern
den Schein wie mächtige Birnen aus.
Mrs. Gee hatte viel Aehnlichkeit mit
Betsy, doch war sie breiter, dunkler und
stämmiger· Mutter und Tochter wa
ren wie zwei Pflanzen derselben Gat
tung, die eine zarter, grüner, die an
dere, weil älter, derber und holziger.
»Ist Vater zu Bett?" sagte Betsy.
»Ja,« antwortete die Mutter.
»Er möcht’ ern von Deinem Bier,«
kagte Betsy. er »Er« soll John hei
en.
»Warum nicht Z« sagte Mrs· Gee.
«N———ein,« stotterte Joha, der mit
einem Mal den Wunsch empsand, sich
nnsichtbar machen zu können, »ich —
l —- —
«Was ichW rief Betsh. »Ich mein’,
Du weißt nicht, was Du willst,« fuhr
sie heftig fort. Dann tam’S ihr plötz
lich, daß diese Bemerkung, bei den mo
rnentanen Verhältnissen, sehr doppel
sinnig klang, und ftob mit brennend ro
then Backen aus dem Zimmer.
John starrte ihr offenen Mundes
nach. Da schien irgend etwas nicht zu
stimmen —- aber was?
Mes. Gee war'ö auch nicht ganz ge
keuen sie machte sich mit dem Bier zu
chaffen. Jhr Bier war berühmt weit
und breit, und wer zu ihr kam, that
gut. sich welches geben zu lassen
John fühlte wieder festeren Boden
unter den Füßen, als das Bier vor ihm
stand. So oft er aus etrunten, so oft
fiillte Mrs. Gee den rug wieder aut.
Sc oft sie nachfiillte, fo oft trani er ihn
wieder leer.
Die Sache wurde allgemach bedenk
lich. Er trank, um nicht sprechen zu
müssen, aber ewig konnte das doch nicht
weiter· gehen.
»Du wirst durstig sein«, bemerkte
Mrs· Gee, als sie zum sechsten Male
einschenite.
»Ja«, meinte Joha. »aber ’5 ist nim
mer so schlimm fetzt«, setzte er hinzu.
Nach diesem Gedankenaustaufch kam
Beides in’s Stocken, das Trinken und
das Sprechen. Mrs. Gee hatte ihren
Verrath an den üblichen, freundnach
barlichen Eriundigungen bald erschöpft.
Sie hielt es rathsam, Betfn wieder zu
ritiren, und ging an die Thür hin,
durch welche dieselbe verschwunden war.
«Betsy! Betsh!«
Es tam teine Antwort.
»Sie scheints nicht zu hören«, sagte
John, zum ersten Male die Initiative
beim Gespräch ergreifend. »Ich will sie
holen«, antwortete die Mutter und ging
hinaus·
John war allein. Er athmete aus.
Nun war’s ihm wohl. Er setzte sich be
haglich zurecht, tocterte sich den Hemd
tragen, streckte erst das eine Bein, dann .
fdas- andere und fing an, unter-nehmend
um sich zu blicken. Er trornmelte mit
den Fingern auf seinem Stuhle herum
und pfiff vergnüglich vor sich hin.
Zehn Minuten vergingen. Noch im
mer war nichts von Mrs. Gee und
Betsh zu sehen. Sein Rücken begann
nachgerade zu schmerzen. Er wechselte
die Stellung, aber eö nähte nicht für
Es war Alles so ruhig! Zwei Heim
chen fingen an, sich zirbend Antwort zu
geben. Wenn ein Holzscheit zusammen
siel, suhr er aus. Wo blieb denn BetsyZ
Was würde sie wohl sagen, wenn sie
lam?
Und wag würde er sagen? Das wußte
er ebenso wenig. Wenn er Reißaus
nähme? -— tam’s plöflich verlockend
über ihn. Es wäre so eicht, setzt fort
zugehen. Wenn die Beiden erst wieder
da waren, wurde es viel schwerer.
Er erhob sich, össnete die Thüre, setzte
seinen Hut aus und blickte, die Hände in
den Taschen, um sich. Es war Niemand
zu sehen, die Lust war rein. Er schaute
nach Links, wo der Weg nach Hause, in
den sichern Hasen führte. Vorsichtig
that er einige Schritte, es störte ihn Kei
ner bei seinem männlichen Vorhaben
und sein zögernder Gang wurde rascher
und energischer. Eben hatte er den
Tunghausen hinter sich, der die ganze
Front des auses entlang lies, da lam
Betsn um d e Ecke gerannt. geradewegs
aus ihn zu, Bets , die nicht ahnte, baß
ilsre Mutter ni ts davon wußte, sand
nichts Aussallendes dabei, dasz John
sortgehen wollte. John dagegen glaubte,
er sei ertappt. Er versuchte, sich den An
schein zu geben, als treibe er sich nur
um Vergnügen aus dem hos umher·
tsn, sei es, weil sie derduht darüber
war, sei es aus Berstirnmung oder aus
lindischem Eigensinn oder aus all’ die
sen drei Gründen zusarnrnen« ging ohne
ein Wort zu sagen, an ihm vorüber und
verschwand im hause. John sah ihr
nach, wurde roth, nahm seinen Hut ab,
segte ihn wieder aus« machte wieder ei
nige Schritte dem heimathlichen Psade
zu, tam bis an den Hoszaum blieb von
Neuem stehen. schließlich lies; er sich hier
nieder, um iibet sein serneres Verhalten
nachzudenlen
Jm Hause tras Betsy die Mutter-.
»Hast Du ihn heimgeschictt?« sragte
diese, in der Meinung, die Beiden hät
ten scch draußen ausgesprochen
»Nein«, sagte die Tochter.
»Hast Du ihn nicht gcfchen ?« fragte -
die Mutter erstaunt.
»Doch.«
»Was hast Du denn mit ihm ange-«
han ?'«
« ichtil.«
Mes. Gee ging zur Thüre hin und
W
blickte in die helle Juninacht hinaus.
»Dort sitzt er ja auf dem Zaun 2"'
rief sie.
»Und ich geh’ zu Bett,« sagte Beisp
»Da5 läßt Du gefälligft bleiben l«
eiferte die Mutter. »Meinft’ vielleicht,
ich bleib' allein hier und guck’ dem
dummen Bengel zu, wie er die halbe
Nacht da drüben hockt ?«
»Dann hol’ ihn doch ’rein t«
»Das fehlte noch ! Du hast ihn her
gebracht, nun sieh’ selber zu, was aus
ihm wird."
Aber Betsy wollte natiirlich nicht hin
ausgehen. Die Sache war zu einem
Stillstand gekommen. Die beiden
Frauen saßen drinnen im Haus, John
draußen auf dem Zaun. Je länger er
dort saß, um so verzwickter wurde seine
Lage. Wenn die im Hause die Thüre
zugemacht hätten, dann hätte es auch
ihm frei gestanden, sich zurückzuziehen
Das thaten sie aber nicht, denn das
vertrug sich nicht mit i ren Begriffen
von Anstand und guter ttte.
—- —— — Alles war still, nur ein
ruheloser Kiebitz hupfte mit tla endeni
Wen-mit ! Wen-mit ! auf dem
Felde hinter ihm, hin und her.
Schläfrig stieg der Mond empor und
als er John erblickte, verzog er sein
pausbackiges Gesicht zu einem verächt
lichen Grinsen.
Die Haustatze schlich sich zu ihm hin,
mit hocherhobenem Schwanz und
fchnurrte, sich an seinen Beinen reibend:
Kommt sie wohl bald ?
Jm Hause drin gähnte man.
»Ich möcht’ in’·g Bett,« sagte Mrs.
Gee.
»Ich auch,« sagte Betsy.
»So hol’ ihn doch !«
f »Ich tann ihm doch nicht nachlaus
en.«
Allgemach begann Mts. Gee, sich auf
einen Ausweg aug ihrer stolzen Neutra
lität zu besinnen. Sie lonnte zu tei
nem Entfchluffe kommen. John, der
einzige Sohn eines wohlhabenden
Mannes-, war eine gute Partie. Aber
der ganze Hochmuth ihrer Kafte em
pörte sich dagegen, auch nur einen Fin
ger zu rühren, um ihn fiir ihre Betsy
zu sichern.
Aug der Ferne tönte ein Pfiff und
das Klappern von Holzfchuhen unter
brach das Schweigen der Nacht. Betsy
wußte sofort, was diese Töne zu bedeu
ten hatten. Man kam, um John zu
holen· Oder wenigstens, um bei ihnen
zu fragen, ob sie nicht wüßten, was aus
ihm geworden.
Sie huschte ans dem Hause und über
den Hof zu Jvhn hinüber.
»Du einfältiger Mensch« raunte sie
ihm zu, »hörft denn gar nichts ? Man
sucht Dich, gleich werden sie da fein!
Hast vielleicht Luft, hier getroffen zu
werden ?«
John stand auf.
»Ich brauch’ nicht fortzugehen, eh
ich nicht mit Dir im Reinen bin. Willst
meine Frau werden ?«
,,4sa,'« fliifterte es lauin hörbar erst,
dann energischer : »Ja, wen D’machft,
daß D’forttommft !«
Und John ging.
Dienstmaun Beine
..-. —
Es ist mir gerade, als sähe ich ihn
noch vor mir, unseren alten Dienstmann
Heinz. Jch habe ihn ja auch viele Jahre
gekannt, schon als ich noch ein Kind
war und er mich zuweilen von der
Schule abholte.
Wie bedeutsam tlang mir damals
seine grobe Stimme in den Ohren,
wenn ich, muthwillig und leichtsmnig
wie ich war, die Erinahnuna betamz
»Junger Herr! Betragen Sie sich an
ständig, sonst. .« Dieses «sonst«ent
hielt so viel, wurde in so bestinnntem
Tone geäußert, daß ich mit einem
scheuen Blicke auf meinen Begleiter so
fort wieder auf den Pfad der Tugend
zurückkehrte.
Ueberhaupt hatte ich eine gewisse
Achtung vor ihm, denn schon in meiner
frühesten Jugend war es der Dienst
mann Heinz, welcher geholt werden
sollte, um mich zur Vernunft zu brin- !
gen, wenn ich es meiner Mutter zu bunt
machte. Jch hatte Todesangst vor der
schrecklichen Drohung, daß er mich in
feiner Keuerwohnung einschließen wür- »
de und ich mich allein bei seinem Schub- z
tarren, seinen Stricken und anderen I
Dingen aufhalten müßte. Das Aus- ;
hiingeschild: s
Dienstmann Heinz (
i
klopft Teppiche aus und bringt Decken
nach der Wallmiihle,
welches über seiner Thüre hing, schien
mir in den Jahren, wo ich der Kunst
des Lesens noch nicht mächti war,
wirklich wie das Aushiingefchi d einer
Besserungsanstalt fiir unartige Kinder.
heinz war der echte Typus eines Am
sterdamer Dienstmannes
Hätte man ihn auch in den feinsten
Tuchanzug gesteckt, fein poctennarbigesz
Gesicht, sowie das rothe Haar — wel
ches, in zwei steifen Locken an die
Schläfe gelegt, mit dem turzgeschnitte
nen Backenbarte eine stumpfe Ecke bil
dete -—- waren so tennzeichnend, daß sie s
jedermann sofort verriethen, daß sie s
dem Dienstmann Heinz angehörte-u
So sehe ich ihn wieder vor mir, aufhors «
chend und mit den kleinen, klugen,
grauen Augen zwinlernd, wenn ich ihm »
in späteren Jahren eine Besorguna aus- T
trug.
»Hast du mich verstanden, Heimk«
fragte ich gewöhnlich am Schlqu
»Vollkocnmen. mein Herrl« war i
dann ebenso regelmäßig seine Antwort, !
während er seinen Kautabai den er in l
seiner linken Wange zu verbergen
W
pflegte, hin und her schob und das
Hanfseih welches unzertrennlich von
seinem weißleinenen Kittel war, mit ei
neåtSchulterbewegung in die Höhe
ru e.
Herrl« sagte, war es sicher, daß der
Auftrag, den man ihm gegeben, richtig
besorgt wurde. Viel Worte machte er
nie; dazu hatte der Mann auch wirklich
keine Zeit, denn vom Morgen bis zum
Abend war er beschäftigt, und Plaudern
war seine schwache Seite nicht
Ein einziges Mal erinnere ich mich,
sdasz er denRednerstuhl besti-» das heißt
c aus der Deichsel seines Kartens sitzend,
l während er aus die Wäsche wartete, die
I er wegbringen sollte.
»Wissen Sie wohl, mein Herr,« sagte
Heknz Da- »daß Sie aus meiner- Eigar
renspitze Jhre erste Cigarre geraucht
haben? Ach, Sie waren damals auch
kaum zehn Jahre alt und ein unoezoge
ner Schlingel. Als Sie die Cigarre
bis zur Hälfte getaucht hatten, da hat
ten Sie genug bavon, und da habe ich
sie weiter getaucht; denn es wäre Sün
de gewesen, das Stück fortzuwersen «
Jeh lachte bei dieser Erinnerung an
meine Kindheit und dachte bei mir daß
; ich seither doch etwas wählerischer ge
; worden sei; ja, ein leichter Schauder
; fuhr mir durch die Glieder, als ich
« Heinzens breitenMund und in denEcten
desselben die Spuren seines Leckerbis
sens bemerkte. Eines ist gewiß: i
habe in späteren Jahren nie mehr so
vertraulich mit meinem Dienstmanne
verkehrt wie damals als Rind. Jch
habe ihn aber öfter nöthig gehabt und
Beweise von feiner eprobten Treue er
hatten.
i
II
Ehrlich war Heinz zweifellos, wenig- Z
stens was Geld betraf. Man konnte ·
ihm ruhig jede Summe zum Einkassi
ren anvertrauen und es war sein Stolz,
von sich zu sagen, daß er ,,wie das
Dankt-aus« sei.
Wenn er eine Quittuna in sein gro
ßes schwarzledernes Taschenbuch mit
dem breiten tupfernen Schlosse gelegt
und die vom langen Gebrauch fettig
und glänzend gewordene Schnur drei
mal herumgewickelt hatte, wurde alles
zwischen seinen Kittel und seine wollene
Unterjaeie gesteckt und war dort so sicher
aufgehoben, wie im eigenen Geldschrant
seines Austraggebers. Es hätte nie bei
ihm vorkommen können, daß er ein
wichtiges Schriftstiici abgegeben hatte,
bevor er nicht das Geld dafür vorher
» nachgezählt und in Empfang genom
: men hatte; denn »gleichzeitig tauschen,
x das ist das einzige Richtige,« pflegte er
Wenn Heinz: ,,Volllommen, mein’
» zu sagen.
Kam er in das Geschäftszimmer »ab
rechnen«, dann nahm er zuerst seine
Mütze ab, legte sie auf das Tischchen,
sein Taschenbuch daneben und holte
dann aus der unsäglichen Tiefe seiner
Hosentaschen die grauen Geldfäckchen
hervor, worin er das Kleingeld trug.
Die Bantnoten legte er alle so auf den
Tisch, daß sie jedesmal, entweder auf
oder nebeneinander, hundert Gulden
ausmachtem dann die Geldstücke dar
unter so geordnet, daß jede Reihe zehn
Gulden betrug. »So zählt es sich be
quem, wissen Sie.« Sagte Heim dann,
! nachdem er mit seinen groben, schwieli
z gen Fingern das Geld noch ein paarmal
J geordnet und befühlt hatte, »in Ord
i nung«, dann fehlte auch kein halber
Cent, und dann setzte er seine Mütze
wieder auf mit dem herkömmlichen:
»Am Samstag mit der Nota? . . . Gu
ten Morgen, mein Herrl«
Heinzens Rechnungen waren ge
wöhnlich keine Musterleistungen 1m
Schönschreiben und lauteten überaus
originell. Jch habe oft heimlich da
rüber gelacht, wenn ich die Hierogly
phen entziffernd. las:
12. Nov. Das junge Fräulein abge
holt und angezogen, sünfundzwanzig
Cents.
Das bedeutete, daß er sich als »Herr«,
das heißt mit einem Hut auf dem Kopf
und einem Tuchrock über seinem Kittel,
angezogen hatte, um meine Schwester
den der einen oder anderen Gesellschaft
abzuholem »Nicht angezogen« kostete
zehn Cents weniger.
War es nach Mitternacht gewesen,
dann fügte er hinzu: ,,Nachtarbeit ge
than« und berechnete den doppelten
Preis. Jch erinnere mich noch einer
rechenlünftlerischen Zusammenstellung
von Heinz, wobei er zu dem Schlusse
lam, daß die Gegenwart einer Dame
zehn Cents mehr werth sei. Die Rech
nuna lautete:
18. Oktober. Das jung-e Fräulein
von einem Theeabend geholt, fünfhund
zwanzig Cents.
24. Oktober. Das junge Fräulein
von einem dito geholt, aber sie nicht mit
gegangen, fünfzehn Cent5. .
ut Erklärung diene, daß das be
wu te Fräulein den Dienstmann fort
geschickt hatte, weil sie von einem der
here-en nach Hause begleitet wurde.
Wie oft ich auf seiner Rechnung gele
sen habe:
»Für Ew. Hochwohlgeboren zwei
Stunden lang getlopft zu haben, vier
zig Cents«, weiß ich nicht mehr, denn im
Winter war es Heinz, der unseren Koks
kleinllopfte, und niemand that eg bes
ser, als er.
Abgesehen von seiner geringen Kennt- ;
niß der Schreibtunft und der Gramma- z
tik war der ,,Dienstinann« m manchen .
Fällen der Rathgelser, denn was ilnn an I
Bildung selilte, das erfetzte er durch sein
scharfe-Z Gedächtniß hundertfach. Nie
mand konnte so gut wie er über die Zu
verlässigkeit des einen oder anderen
Kunden, mit dem man zu thun hatte,
unterrichten; darin suchte er seines
Gleichen. Antwortete er aus die Frage:
»Heinz, wie steht es bei dem oder jenem
mit dem Bezahlen?« mit einem saueren
Gesicht und einem leisen Pfeifen zwi
schen den gespitzten Lippen, dann bedeu
tete das soviel wie: Vorsicht ist anzum
piehlenl Zog er seine stumpfeNase schief,
wahrend er den Kon bedenklich schüt
telte, dann stand es mit dem Kunden ei
nen Grad schlimmer; gebrauchte Heinz
aber das Wort ,,Davon bleiben«, beglei
tet von einer abwehrenden Bewegung
der linken Hand, dann würde es unver
antwortlich gewesen sein, der betreffen
den Person Kredit zu geben.
Schob er hingegen seine Lippen nach
vorn, während er, seinen Leckerbissen
verschiebend, rnit den Augen zwinkerte,
rnd ein paarmal nickte, dann bedeutete
das: Der Mann ist ziemlich gut. Seine
mimische Geschicklichkeit erreichte aber
den Gipfel, wenn er andeuten wollte:
Sehr gut im Bezahlen. Jn dem Falle
zog er seine rothen Augenbrauen in die
Höhe, lachte verschmitzt und ahmte mit
der rechten Hand die Bewegung des
Geldzählens nach, während er zwischen
den Lippen: ,,Prrr!« machte. Die Ant
wort: Durchaus zuverlässig, verdol
nietschte er einfach durch seinen Lieb
lmgsausdrueb »Wie das Banlhaus.«
Von der Nachbarschaft wußte Heinz
alles· Um wieviel Uhr bei Frau von
Spankeren der Storch gekommen, wann
der Doktor geholt worden, um welche
Stunde der alte Herr Blommers das
Zeitliche gesegnet, an welchem Tage und
zu welcher Stunde Fräulein Phl heira
then würde, wann die Familie van Ui
jen aufs Land ging — niemand konnte
es besser sagen, als er. Bei all diesen
Ereignissen bekam er nämlich etwas zu
thun, oder hatte er eths zu thun ge
habt. Andererseits verdankte manche
Familie dem Umstande, daß Dienst- ;
mann Heinz, wenn es darauf ankam,
die Verschwiegenheit selbst war, daß ihre ?
anrüchigen Geschichten nicht bekannt ;
wurden. Heinz war wirklichein Mann, !
dem man vertrauen konnte. Er sah al- «
les, ohne zu sehen, hörte alles, ohne zu
hören, und obschon er einen Mund
hatte für zwei, so war er doch stumm,
wenn es geboten schien. Mit dem Sie
ael der Verschwiegenheit auf den Lippen
übekhkachte er die vertraulichsten Auf- I
träge. Die zärtlichsten Bestellungen s
wurden von ihm mit stoischer Ruhe aus- ·
gerichtet. s
i
I
I
1
!
!
1
Wenn er gewollt hätte, würde er viel
haben erzählen können, aber — »Nichts
davon«, sagte Heinz, ,,es kümmert mich
nicht, was ein anderer thut. Ob Herr
Soundso für sich heimlich etwas auf die
Seite nimmt, ist feine Sache; daß ich
nseine Aufträge gut für ihn ausführe,
iit meine Sache, und wenn seine Frau
mit ihm nachher Streit darüber be
kommt, so ist das ihre Sache.«
Am Sankt - Nikolaus-abend wurde
des Dienstmanneg Heinz’ Verschwiegen
heit auf eine harte Probe gestellt, denn
durch seine Hände gingen unzählige
Packetchen, die er alle, ohne die Namen
der Absender zu verrathen, besorgen
mußte. Stets lautete dann seine Ant
wort, wenn ihn die eine oder andere
Dienstmagd, die ihn kannte. neugierig
frugt »Heinz, nun mach’ teine Ge
fchichten und sage, woher das kommt?«
— »Mein Kompliment, und die andere
Hälfte ist gerade fo.« Was das heißen
sollte? Wir haben uns lange damit ge
auält, einen Sinn hineinzubringen, es
ist uns aber nicht gelungen.
Jn unser Haus brachte Heinz mit der
größten Regelmäßigteit jeden fünften
Dezember zwischen sieben und acht Uhr
Abends ein zugelnüpftes, rothbaum
wollenes Taschentuch mit den Grüßen
von Sankt Nikolaus. Das Taschentuch
enthielt ebenso regelmäßig: einen ge
räucherten Aal für den Herrn, einen
ganz zähen Kuchenmann für das junge
Fräulein Und eine dito Kuchenfrau für
den jungen Herrn. Die Sachen stamm
ten von ihm, und er that es, weil »der
Herr« ein so guter Kunde war, als eine
Art jährlicher Anerkennung seiner
Kundschafi. Es brachte ihm aber auch
keine Windeier ein, denn am sechsten De
zember kam der Pseudo-Nitolaus re- «
gelmäßig das rothe Tafchentuch zurück-— '
holen, das ihm dann mit einem Fünf
guldenstück überreicht wurde —- ein
Umstand, der ihm jedes Jahr, wenn er
das Geld einsteckte, die Worte entlockte:
Daß es ihm darum wahrhaftig nicht zu
thun sei, daß er aber doch freundlich
danke.
«-« - . «- · s« A.
Im Allgemeinen tout Yes-U um Je
dermann gut Freund, alle hatten ihn
gern, und er wiederum mochte Jeden
gut leiden. Nur aus die Diener der
heiligen Hermandad war er nicht gut zu
sprechen; die Polizei war ihm oft ein
Dorn im Auge.
»Sie wissen nicht, was einem Men
schen zukommt, und sie handeln immer
willkürlich!« Diese Klage äußerte er
jedesmal, wenn er fiir den einen oder
anderen kleinen Verstoß, wie das Fah
ren auf dem Bürgersteig oder das Ste
henlassen seines Kartens an dem Ufer
rande und dergleichen bestraft wurde.
Einmal ging er sogar einen Tag brum
men, denn es war in der stillen Zeit
und seine Frau konnte den Tag über
schon allein fertig werden. ,,Drei Gul
den bezahlem weil ich etwas am Seile
hetuntetgelassen habe, ohne »Achtuna
da unten!« zu rufen . . . . ist das nicht
unerhört?« sagte er jedesmal in einem
Tone der Entriistuna, wenn er das
Brummen dem Bezahlen vorzog Uebri
gens kam er wenig mit der Polizei in
Berührung: sein Grundsatz war, so
wenig wie möglich damit zu thun has
ben —- denn es läuft gewöhnlich nicht
gut ab«.
Zu bestimmten Zeiten trank Heinz«
W
gern einen Schnaps, aber nie til-ermit
ßig. »Das schickt sich nicht,« und: »Mit
zu stramm anziehen, sonst reißt die
Schnur,« pflegte erzu sagen, aber den
» noch war seine Natur fiir einen Schluck
empfänglich. Jch erinnere mich, daß
ich ihm einst, als bei uns ein Familien
tag gefeiert wurde, ein Glas Madeira
anbot. Er faßte es mit Daumen und
Zeigesinger und goß den Jnhalt mit
. unnachahmlicher Gewandtheit in einem
Zuge hinunter; alsdann machte er mit
vollen Wangen die Bewegun des
Kauens und versicherte ernst: da er es
wohl lecker fände, aber daß ein ERin
chen ihm lieber wäre, als ein ganzer
Brunnen voll von dieser flauen Kost.
Nur des Sonntags-Nachmittags ver
vielfältigte er dies eine Elixierchen mit
zwei oder drei im ,,Erften und letzten
Heller« an der Ecke, wenn er bei gutem
Wetter mit Frau und Kindern spazie
ren ging, oder an regnerischen Sonn
tagen zu ause, wo er Vogelläfige
schnitzte, die er kunstvoll aus Schilf
rohr und Cigarrenkistenbreitchen zu
verfertigen verstand.
Wie erprobt ehrlich Heinz auch sonst
war, alte Cigarrenkistchen nnd Schilf
rohr schlos; er einfach aus seinem Be
griff von Mein und Dein aus. Konnte
er die irgendwo ,,erwifchen«, dann
wechselten sie sofort den Eigenthümer.
Es waren wirklich besonders schöne
Vogelkäfige, welche er machte. Ge
wöhnlich stellten sie ein Haus mit zwei
Stockwerlen vor und einem spitzen
Dach; letzteres hatte zwei unverhältniß
mäßig große Schornsteine auf jeder
Seite und in der Mitte befand sich eine
Art Zuckerhut mit einer beweglichen
Wetterfahne darauf — gerade diese
Wetterfahne war sein Stolz und sein
Meisterwerk! Eine hohe Stiege vor
dem Hause und zwei im Verhältnifz
riesige Laternen an jeder Seite flößten
einem von seiner architektonischen Ge
schicklichkeit die höchste Meinung ein.
Sobald er einen Käfig fertig hatte,
wurde er verloost, und man konnte sich
fiir den mäßigen Preis von fünfund
zwanzig Cents ein Loos beschaffen.
Lange Jahre habe ich den Dienst
mann Heinz in seiner Kellerwohnung
gekannt, aber die Zeiten änderten sich
und mit ihnen seine Behausung. Ei
nes schönen Tages erzählte er mir,
das-, er in dem Gäßchen ein kleines Ei
genthum gekauft habe.
»Ja, sehen Sie! Ein Herr hat mir
ein bischen nachgeholer; das übrige
habe ich selbs,« sagte Heinz mit einer
gewissen Genugthuung in seiner Mie
ne. »Und ich hoffe des Herrn Kund
schast zu behalten wie früher«, fügte er
hinzu, »und verspreche Jhnen eine
coulante und schnelle Bedienung.«
Heinz war also ,,Eigenthümer«;
seinen oberen Stock hatte er vermiethet,
aber in dem Unterhaus blieb er, was er
war: der Dienstmann, bis er schließ
lich einen Gehilfen nahm und von dem
Augenblicke an »Meister« hieß. Als
seine früheren Nachbarn dies hörten,
sagten sie, es sei wahrlich Zeit, dafz
Heinz nun in seinem Hause auch ein
mal »Meister« würde, da es noch lange
nicht gewiß sei, ob nicht bis jetzt seine
Frau Anspruch auf diesen Titel gehabt
habe.
Noch viele Jahre hat der Meister in
der Gasse gewohnt, und er würde viel
leicht heute noch dort wohnen, wenn er
nicht Glück gehabt hätte. Er verkauf
te nämlich Loose aus der Staatslotte
rie—was er mit folgenden Worten auf
seinen Fensterscheiben angekiindigt hat
te: »Hier versucht man sich in der
Staatslotterie« —- und war schließlich
mit einem vollen Zehntel für alle Klas
sen sitzen geblieben. Es war gerade,
als ob die Vorsehung es so bestimmt
hätte, daß er das Zehntel haben müsse;
denn welche Mühe er sich auch gegeben,
es an den Mann zu bringen, es war
ihm nicht gegliickt. Seufzend hatte er
das Loos vor den spähenden Augen
seiner Ehehälfte versteckt, welche eine
Lotterie gleichbedeutend mit »Geld
wegwerfen« fand, bis er eines Morgens
entdeckte, daß ein Zehntel von 50,000
Gulden darauf gefallen war. Kaum
konnte Heinz seinen Augen trauen, als
er all das Geld beieinander sah, das
ihn in den Stand setzte, von seinen
Zinsen zu leben. Wie? Ja, das war
seine Sache, seine Rechentunst war
eben anders als die unserige
Jn dem Häuschen in der Gasse
wohnt jetzt ein anderer Dienstmann,
welchem er sein Geschäft übergab: Jan,
Piet oder Klaus, der Name thut
nichts zur Sache, denn es ist einer von
der modernen Art, halb Herr, halb
Dienstmann; ein Mann, welcher aus
einer prachtvollen Meerschaumsvitze
raucht, des Sonntags Handschuhe
trägt und dessen Töchter Kleider mit
Schleppen tragen, wodurch sie Damen
vorstellen wollen. Die alte, gediegene
Rasse stirbt allmählich aus; schade
darum! Denn es- war ein braver Men
schenschlag, welcher der Welt brauchba
re Handwerlslente und anständige
Dienstmädchen lieferte!
Zuweilen sehe ich Heinz noch, nnd
wenn ich mit ihm spreche, erklärt er
gerade heraus-. daß das Renntnerspie
len ihm nur halb gefalle nnd das-,
»Aber, die Frau hat eI nun nach ihrem
Sinn, und ich bin schon bei Jahren;
vielleicht ist es Auch gut so,« sagt er
dann mit einem Seufzer und einem
Bist auf seinen Leckerbissen, der ihm
treu geblieben ist. Obschon er aber
jetzt regelmäßig einen Tuchroek und ci
nen Cislinderhut trägt, bleibt Heinz
doch für mich — das·Muster eines
Dienstmannes.