Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 22, 1901, Sonntags-Blatt, Image 13
Wbadmer Erinnert-agen. VonErnst Otto dopp. l. Bier Kinder von acht bis fünfzehn Jahren, Eins immer hagerer und blasses» als das Andere, dazu ein lan ger, dünner, alter Bedienter und die aneidige Frau,·die auch beinahe wie ein Ausruiungozetchen aussah. Aber sehr vornehm, von sehr hohem Adel, aus sehr guter Familie. Auf den Kossern fand sich ein großartiges Wappen, auch auf den- Ledertaschen nnd in den Taschentüchern Wappen, und das alte Jndentar von Diener als Wappenherold. Die fast gespenster halte Familie fiel unwillkürlich aus. Der Badetommissiir ilüsterte einem Fremden zru »Die derwitttvete Frei irau o. X» eine sehr distinauirte Fa miliel« Freilich, das war fre, ihr Adel war mirs-lich sehr alt und berühmt. Trii er dieses Namens hatten die bis en Stellen im heere und bei der Verwaltung innegebabt. Sie mar ichirten immer terzengerade, in tadel loser Haltung die alte Kaitanienallee binab und hinauf. Die Kinder, es war-en ibter dreistnaben und ein Mäd chen, mußten toirtlich eine ausgezeich nete Dressur genossen haben: so jung sie waren, man hörte und sah oon ig nen nichts Unpassendes oder Mut tvilliaes. « Sie wohnten in einem desr besten Hotels der Badestadt, in der ich rrn lehten Sommer ein«s paar Tage ver weilte. Jn der Iremdenliste pranate ibr berühmter Name natürlich oben an. Aber ich iab sie nie an der Table d’l;ot"e, auch beim Abendessen auf der Veranda nicht. Jch frug den Wirth, der mit seiner tadellos exauistten Wä sche und seinem rosigen Plumpuddina gesicht, eine banale Phrase im Munde, aus mich zusteuerte. »Die Freifrau o. X. wohnt auch hier« here Müller?« «Jatvobl, eine sehr distinguirbe Fa milie, eine Nichte des Maioratsberrn Grafen X. und Couiine des Herrn Re aierunasprösidenten.« »Aber man sieht sie nie beim Diner oder SoMr?" »Nein, sie speisen privatim,« be merkte Herr Müller und wandte sich mit einer zweiten, wo möalich noch bansaleren Phrase meinem Nachbar tu, der Seit trank. Der Selttrinter mußte des auten Beispiels halber ani mirt u. noch zuvortommender als an sdere Gäste behandelt werden. Herr Müller ward ganz Achtung und lchmunzelnde Ergebenheit und trümm te sich beinahe wie ein Pseopfenzie r Als wir bald darsan beim Täßchen Malta in der Loaaia saßen, kam die Familie wieder anmarschirt und begab sich aus ibre Zimmer· Die Frau bat te eine wahrhaft dersteinerte Miene und trua sich lehr eins-ach immer in schwarzer Seide. Natürlich, ste trau erte wobl noch. Das kleine Mädchen und die drei Knaben hatten leichte ichwarimollene Anziiae und helle Sproiybiitsex aber obne Handschuhe erin aen sie auch am beißen Sommertage nicht« Wie feine, aristotratisckpe Züae hatte doch die aniidige Frau; sie mußte ein mal schön gewesen sein. Nur toar ih snen ein tiefes Leid ausgeprägt dane ben asber auch eine unniabbare Küble und Vornebmheit. Nach einer Weile tam der Diener mit einem kleinen Packet und iolate ihnen. Die Familie interessirte mich. Die süns Personen sahen wie schwarzeMw rionetten aus, so aanz obne Frische ittikk.Lebenslr-st; aber tadellos tot-»s re . Gegen Abend stellte ich den Ober kjllner und befrug ihn über die Fami re. . - - »Ach die,'« sagte er weckweriend und geringschänia »Ja, Herr Müller bölt sie des Namens halber, der para dirt so hübsch aiii der Fremdenliste Sie bewohnen hoch oben, unter deni Sinkt-ach zwei erbärmliche Zimmer chen, in dein einen schlafen die Knaben nebst dein Bedienten, in dem anderen die gnädiae Frau und das tleine Frei iräulein.« »Sie sind also arni2« «Bitter arm, schauderbast amt« »Ja, warum geben sie dann aber in die tbeiire Stadt, gerade nach Wiesba den?« »Das will ich Ihnen sagen. Um vierzehn Tage tornint vielleicht der al te Graf, ibr Dniel, derMajoratgben Der ist aber auch ein alter Knauier. Er giebt ihnen einen Zehrpfennig und dann verschwinden sie. Sie sind denn doch «iin Bade« gewesen und renam rnireir den aanzen Winter über mit der hie Villeggiatiin aisit den schönen Au meet-en und init dein sonnigen Leben am schönen Rheinf« Der aalglatte und tetbstbewußte, gefiiblsrvbe Mensch lachte verächtlich und ironisch Natiirlich arme Leute waren ilnn vsllin unausiteblich ein wahrer Greuel. »Die armen Kinders« siel ich ein. Dkk Obertellnrr zuckte die Achseln. »du-en Sie den Bedienten gesehen, das alte Jud-MAY das hinter ihnen herlanii Der tragt täglich ein stei nes Packetchsen pinaus,-niie ein kleines Päckchem Einige Stücke Wir und ein paar Brövchem das ist das nag, zum De ert ein Stück Chotolade aus dein Aas er. Die Leute hungern. Se hen Ae sich ’mal die Jungen genauer mi. die bekommen nicht Mk zu essen—.« Der regierende »Ober." wurde ab .ieriiien. - , Als ich mich am nächsten Abend ei nen Augenblick in dein Hoiel ·rten er ging, bdrie ich hinter dem mesilchkn Pavillon ein- Geslüsten Da standen die drei Knaben, die mich nicht bessq merkt hatten. « »Aer Eberbard,« sagte der jüngste —- die Kinder waren, slvie es schien, « daran gewöhnt, immer zwei Nsanien«: zu verwenden, einer, das wäre zu ple- « beiisch gewesen —- .,ich weiß etwas.« i »Was weißt Du, Friedrich Hein- S richt« trug der Zweite. : »Ich bebe dort hinten, hinter dem « Wassergraben, ein Feld mit Rüben l entdeckt, und Erbsen sind auch da. « Kommst Du msit,WilhelmAlexander?« · Er wandte sich an den mittleren. »Ich möchte schon,« murmelte Wil- : belm Alexander, »wenn die Frau Ma- « ma es nicht merkte.'« »Nein, da weiß ich ’was Besseres.« « sagte Aer Eberbard. ,,Einer der-Kell- . ner hat mir gesagt, wir tönnten durch den Speisesaal gehen, im nächstensims ’ mer stehen immer noch die abgelegten Teller, oft sind noch große Stücke Fleisch und Fisch darauf und leckere Bratensauce —- er will mir ein Zei chen geben Da wintt er schont« Die drei Knaben verschwanden — eine mitleidige Seele hatte sich ihrer Noth erbarmt. Ich werde nie die aierigen und bungrigen Gesichter vergessen, mit de nen sie an mir vorüber siiirzten — zurn Abhub «« Der Herr von Lottinghaus kam schon seit einer Reihe von Jahren in . der Saison nach Wiesbaden mit sei nem Kammerdiener und einem Groom Letzterer wäre unnöthig gewesen, denn er hielt sich im Bade keine eigenelFan-s page: aber mit dem Groom sah es sor scher aus. Der Junge wurde zu al lerhand kleinen Dienstleistungen ver- » wandt und verlumpte während dieser « Zeit völlia. Aber das war dem gnä diaen Herrn völlig egal; es war ihm ( auch eaal, dasr der Kainrmerdiener eine » immer auffälliger leuchtende Nase be kam. Dieser trank nämlich nie ein Glas Wasser, sondern viel Rothwein, « und dazwischen durch noch, um sich zu starlen, einige Cognacs. Aus der Rechnung pranaten die Genüsse der « Dienerschaft unter der allgemeinen Rubrik »Für die Bedienung« und lie- F sen im Laufe der-Wochen zu einer be- ; denllichen Höhe an. Aber das war · dem deren von Lottinahaus eben falls gleichailtiax er wußte, es lonnte nicht aanz vermieden wer-den, daß man ihn aus der jährlichen Badereise wie eine Zitrone ausauetschte und be schummelte, er war letzteres aus sei ner russischM Heimath gewöhnt und hatte siir Wiesbaden seinen ansehn lichen sesten Etat-v Von Zeit zu Zeit « sagte er dann die Lumpen sort und nahm sich neue. Er war schwer reich und hatte in Livland unberührte Fonds von mächtigen Urwöldern. " Herr v. Loitinahaus war nicht mehr jung; er aab sich siir einen an.-gehenden Vierziaer aus. Wenn er ehrlich war s- aber nur aeaen sich selber —- ar stand er seine siebenundvierzig zu. Er war ganz gut aus den Beinen unsd war ( immer noch ein halbwegs stattlicher Mann. Das Haar wurde ihm aller dings schon dünn, und Nunzeln zeig ten sich an der Schläfe: was aber das ; Schlimmste war, er war so theilnahnr los geworden, ihm war Alles »eaal«· Es schmeckte ihm nichts mehr so recht; seine Gleichailtialeit war mit denJah ren zu einer wahren Krankheit ausge wachsen. Friiher war er noch nach 7 Petersburg zurButterwoche und mehr mals nach Paris gefahren: ietzt be- « schränlle er sich aus das deutsche Bad und einen lurzen Berliner Aufenthalt Er dachte vist darüber nach, was nun · weiter werden solle. Jünger wurde er nicht, das stand fest, und lebenslustiaer auch nicht mehr — oder vielleicht doch, Jwenn die Nichtiae karn? l ( i An oie Locheer des Laner teiner « engeren Heimath wagte er sich nicht ; heran. Manche hätte den reichen Protzen und Sonderlina ioohl gern eingefanaen, aber er wußte, was sei ner da harrte. Ein Leben der Kon vention, eine Kette von Etilette, lästi aern Zwang und sehr-, sehr geringem Behagen. Die Familien hielten iii seiner Heimath seit zusammen: auf Meilen war Alles veosrppt und ver lchwägert, und das Einerlei des dorti gen Lebens widerte ihn an. Er witt de mit seiner Frau, das wußte er, zu gleich nach einige Dutzend Tauten, Schwäger. Vettern bis in den fünften Grad hinein: heirathen. Dann würde sein prachtvolles einsames Waldschloß eine Unterhaltungsanitalt für nothlei dende Verwandte, ein Reitaiirant iiir die gesannmte Familie werden. Das sollte nicht lein, das konnte er nicht aushalten. Lieber hätte er den gan ;,en Krempel losgeschlagen und wäre in eine ferne Gegend ausgewandert, wo Niemand ihn kannte. Jrn Vorfah re hatte er in Wiesbaden zwei Damen kennen gelernt, von denen die jüngere, die Tochter, einen tieferen Eindruck ans ihn gemacht hatte. Sie hießen Willnrann; er nannte fie höflicherweise immer Frau und Fräulein von Will mann, obwohl es wußte, daß sie nicht adelig seien. Das war ihm aber auch ganz egal. Lucie war «gros; und lchlant und blond; ihre Zuge waren etwas in's Grabe a sgemeißelt, aber sie war eine iinpo ante Erscheint nnd schien itill und friedfertig. Für ihn hatte das starke blonde Mädchen etwas Sympa»thisches. es hatte etwas darmloses, Unassettirtes, Beschauli clies. Jshte Vergangenheit tannte er nicht nnd wolltesie auch nicht kennen, sie wir-ihm völlig egal. Er hatte ja auch seine Vergangenheit und dachte recht philosophiich über die Sünden Anderen Die Mutter freilich, die paßte ihm nicht; aber die konnte er ia til-wimmeln S,ie hatte doch wohl ir -.-.,-- --.- --.«.- --.- -.-« -. -..-—. —- — .-.---— —-.-. — iend eine Heimath, eine Familienh ·-anntschast. Dort wollte er sie inPen ion geben« auf ein paar tausend Rubel ias Jahr iiber tani es ihm nicht an, ind mehr brauchte sie ja nicht. Lot inghaus hatte eine gen-i Schärfe )er Beobachtungsgabe; trage ie Damen n seinen Augen ,,nichts« saßen, war klar, da machte ihm Niemand ein X siir ein U vor. Er wußte auch, daß Fucie nicht mehr so ganz jung war, sie tand seh-r in der Fülle der Zwanxzigerz zder das war ihm ganz recht, die Bart ische haßte er, unid eine reisere Frau Jaszte besser zu seinen Jahren und Er ahrunaen , Er hatte den Winter über das Al es nachaedacht unsd sich seine Zukunft kurechtgelegt Er wollte sie gar nicht chlecht behandeln, seine zukünftige Frau· Nein, er hatt-e sogar im ver chwiegenstenKiimmerchen seiner Brust stach einen ganz kleinen Rest Liebe fiir ein«- Zutiinstigex aber er sah ein und .äuschte sich selber darüber nicht, Jdasz Dieser Rest mit den Jahren immer rsiwziger wurde. Die Haushalteriw ren, die er sich halten mußte, widerten th an. Ein-e wie Alle. Sie schnap »ten, stahlen und betrogen sämmtlich; Pie jüngeren hatten es in anderer Wei e aus ihn abgesehen. Das Alles war hm äußerst fatal, weil er nichts hieran tu ändern im Stande war. Er konnte Irr Menschen nicht verbessern und hatte iuch zu einem Versuch gar keine Lust, Der Baron v. Lottinghaus war tein Reformator. Seine Argumente wa ren hart und nackt, er war gegen sich selber in manchem Punkte unerbittlich streng. Aber warum sollte er nicht Joch ein paar Jahre Sonnenschein ge 1ieszen?- War es denn nicht möglich, Iasr sie ihn erträglich fand und sich an hn gewöhnte? Vielleicht keitte da auch roch bei ihr etwas Neigung hervor, mit ver Zeit, ganz langsam Sie hatte et vas Zuthunliches, gerade das, was einem Leben fehlte. Bis jetzt war nichts Bindendes ge "agt worden. Er wußte aber, daß die Damen sich schon an seine Begleitung, In seine tteinen Aufmerksamkeiten ge svöhnt hatten. Sie hatten« angefangen, km als guten Bekannten zu betrach »en. und er mußte gestehen, die ruhige Freundlichkeit, die unauffällige kleine Bevorzugung die sie ihm zutheil wer Ien ließen, gesiet ihm. Er war doch kigentlich ein recht einsamer Mensch indnicht schlechter als viele Andere. Er that nichts Böses oder Ungehöri res. Er as-, und trank wie sie Alle, Tiesz die Konzerte über sich ergehen, sing oder fuhr spazieren, bezahlte, das recht war, gab auch an Arme, venn ihn Jemand darum ersuchte, Eurfz er war ein reiner Musterbnde ia t. Unter solchen Gedanken ging er an einem Spätsommertag in’g Neu-that hinein. Er hatte den Wagen hatten lassen und wollte sich eine Motion ma chen, um Appetit siir das Diner zu be kommen. Fast ohne auszusehen, schritt er dahin, an dein Kiost vorbei. Dicht inter demselben stand im Gebüsch eine Rasenbant und auf ihr saß Fräulein Lucie, ohne ihre Mutter und doch nicht 1lIein. Neben ihr fand sich ein junger Mann mit einem etwas tnöchernen, zarten Gesicht, der sehr ungenirt that. Er hatte Lucies Hände erfaßt, und tun legte er gar seinen Arm um ihre Dolle Gestatt. Sie war anscheinend iar nicht erschrocken und sah gleichsmiii bia wie immer aus. Er hätte fortgehen sollen, es ziemte hm nicht« den Spion und Lauscher zu "pielen. Aber andererseits, da er so Eurz vor einer Entscheidung stand, Ionnte man es ihm nicht verdenken, Jasz er neugierig war, zu erfahren. vas fiir ein Verhältnis; Lucie habe. Zie hatte keinerlei Andeutungen ge nacht, im Gegentheil, beide Damen miten immer eifrig behauptet, das-, sie iurchaus teinen Anhang in Wiesbas den hätten, nur die obersliichlichenBa :ebeianntschaften. Dies sah aber doch iach mehr aus« er wußte, die Damen riaren in ihren Lebensgewohnheiten Ind Aeußerungen recht vorsichtig var da doch noch ein Verwandter oder kar ein Liebhaber ausgetaucht? Den Baron störte« nichts in seiner Pfuspasserei Der Wind fuhr zeitweise durch das Gezweig, daß es tnisterte ind rauschte; die beiden unter ihm Zinenden hätten ausstehen müssen, um hn sehen zu können; er war völlig redectt und konnte jede Silbe ihrer Jnterhaltung deutiich vernehmen. »Und wo willst Du nun hin« Wit h?«« sagte sie, »Du hast mir noch tiisltts von Deinen Zukunftsplänen er .a .'« Poet iunae Mann lachte tchnetdend in ,,Zutunftspläne?« wiederholte er konisch. »Lautet dummes Reui« Lu ie. Wenn ich viel Geld hätte würde ch nach England und Amerika gehen tm noch ein bischen zu lernen und sann noch weit mehr Geld zu verdie ien. Das Jngenieurfach ist in meiner Brauche Nichts — oder Alles-. Bei nir ist es nichts, denn mir fehlt es am ,«monen, und unterdeß werden wir ilt und kalt, und jede Aussicht schwin -et Willst Du mit nach Btiissel kom nen und mit mir dumman Aber keine Mutter will nicht« das thut sie i e.« »Ich will auch nicht," sagte sie nach -entlich, »netn, es bat teinen Sinn, Villn, Du kannst mich bei Deinen-. Behalt nicht erhalten, es soll nun ein nat nicht fein. Ach, ich bin es so mü de, mit Mutter durch die Bäoer zu its-weisen und zu schauspieletn damit ch verschachert werden tann; denn veiter ist es doch nichts-, und jedesJayr oird es unwahrscheinltcher Jch bin nch der Armuth so mude —- Willy, ch werde den Rassen heitathen.f' — »Weib,« sagte er schroff, »es ist un möglich, Du kannst nur Einen lieben, nnd das bin ich.« Sie nickte. »Ich weiß es, Willv,« versetzte ste, »aber wag willst Du hin dernd vor mein bischen« Zukunft tre ten, da Du mir doch keine Aussicht bie ten kannst?« ,,"findest Du denn den alten Mann, den Rassen, erträglich?« Sie lachte auf. »Erspare mir die Antwort, Willt). Aber ich will herrschen und in Glanz und Pracht leben. Im nächsten Jahre tommsst Du —— Du kannst ja als mein Stiesbruder erscheinen, das klingt ganz nnvetfänglich, ich will das schon ein siideln und Dich mit Geld versehen — und der Russe soll niach meiner Pfeife tanzen vielleicht kommt dann noch efnmal ein Tag der Erlösung von den Ketten, so oder so Fräulein Lucie Willmann sah in diesem Augenblick keineswegs mehr lammsfronrm aus«-, eher gefährlich, unt Willv blickte sie bewundernd und ent zückt an. Oben lnarlte ein Zweig. Beide blickten hinauf. Aber der Russe war schon verschwunden, als Willv auf: stand. »Es ist nichts,« sagte er, ,,dock, ismm’, wir wollen geben« »Wir werden einen andern Weg einschl-agen," versetzte Fräulein Lurie ,,m-anschmal tsrseibt der Teufel sein Spiel, der Russe könnte uns zusam men sehen und Verdacht schöpfen — nur heute nicht, Du tamst gerade zur unrechten Zeit.« »Ich gehe direkt auf den Bahsnbof und bin bente Abend noch in Köln,« sagte er. Als Lucie nach einer Stunde heim kehrte, fand sie die Mutter in nesrvöi fern Weinen auf dem Sofa liegend. »Was ist Dir?" frug sie erschrocken. »Da lies — vor ein paar Minuten brachte es der Groom.« Ein-e Karte, auf der die lakonifchen Worte standen: »Dringende Geschäf te haben mich plötzlich abberufen. Jsch halte mich den Damen empfohlen. Freiherr Ottomar v. Lottingssbaus.« Der Russe hatte sich mit möglichster Beschleunigung, zerknirscht und wit thend, entfernt und saß bereits in ei nein Coupe erster Klasse nach Frank furt. Er Wird sich wohl als- menschen fcheuer Sonderling und Weiberseint in seine Wälder verkrochen haben Nach Wiesbaden lehrte er nie wieder zurück. Und Willv und die Willmannsi Verschollen Der Wind treibt die welken Blätter zu Thal, unterweilen aber auch die ariinen. Vie- Uhr. Von Stean Szomahazy. Eines Abends-, vor einigen Jahren· war Lajos Molnar, ein junger Bank Beamten im Begriff, seine Stamm knezllpe zu verlassen. ls er durch das schon menschenlecre Lokal schritt, traf heftisger Wortwerlzsel sein Ohr. Er sah sich um und erblickte vor dem Buffet einen alten Mann, der sich mit den Kellnern in lebhaftem We spräch befand. Esn wurde neue-gierig und begann die Gruppe zu beobachten Der alte Mann trug einen faden seh-einigen Salonrock. Zwischen seinen Händen drehte er Verlegen einen abge tragenen Hut. I Der Butten-er drullte ihn an: »Qho! die Sache tennen wir schon!« Der alte, aufgeregte Mann sprach neit zitternder Stimme: »Auf mein (:·«hrentoort, heute Abend habe ich den Gulden noch besessen. Ich habe ihn hierher isn meine Westentasche qesteckL Entweder habe ich ihn verloren ode: man hat ihn mir gestohlen. Aber, bei Giott! ich wollte Sie nicht betrugan Ein roth-haariger Kellner schrie ihn an: ,,Lirum larumt etwas Neues, Alter, die-fes Märchen haben Sie wohl lschon hergesagt, so oft Sie freier vAbendhrot eEen wollten? Wir werden Ihren Rock hier behalten-" Der Pietola lief dienfteifrig her-bei und grinstet »er ich, Ontelcheis, Ihnen bei dem Ablegen der Ganserobe behülflich sein?« Der Alte stotterte verlegen: »Sie werden mir doch nicht meinen Rock we nehmen . . olnarr sder bis jetzt der Scenc wortlos zugesehen hatte, trat an die Griäope hevan. »Was ist denn hier los « Der rothe Rellner verbeugte sich höf lich. »Nichts, Ew. Gnaden! Dieser alte Lump will sein Abendessen nicht bezahlen. Er hat einen Braten und istäse bestellt, nnd jetzt behauptet er. er hätt-e seinen Gulden verloren. Solche Auswde ist ja sehr billia.« »Was macht die Zeche aus?« Miuwdsiebzig Kreuzers« olnar —- es war am Ende des Monats —- grisf wach einigem Zögern in die Tasche »Hier, das Geld. und den Alten lassen Sie nun zufrieden« Darnit klappte er seinen Rockkragen in die Höhe und entfernte sich. An der Straßenecke hat-te ihn der alte Mann eingeholt und sprach ihn mit leuchender Stimme an: »Gnär-«E Her Herr! Sie sind der Erste, der mir in meinem Leben Gutes erwiesen trat. Man hat mich bis-« jetzt wie einen Hund hin und her qestoßen . .. Aber davon will ich jetzt nicht reden. Sie haben sich in mir nicht geirrt ich bin ein ehr licher Mensch. Gott ist mein Zeuge, daß ich heute Abend den Gulden noch besaß.« »Gut, aut,« versetzte ungeduldig der ,gutherzige Molniar, «di-e Sache iit nun ifur mich erledigt.« ·,,Nie werde ich Ihnen vergessen, was iSie für mich gethan! War-en Sie nicht dort gewesen« so hätte ich mich gewiß ohne meinen Rock aus dem Lokale ent fernen miissen, untd diese Schande hätte ich nicht überleben können. « »Aber, ich bitte Sie, « sprach Mol nar, ihn beruhigend. »Es war ja eine Lapvalsir. Wie oft giebt man in mer-— neni Alter einen Gulden fiir eine weiße Nelke und für noch überflüssig-etc Sa chen aus« Der Alte schlenderte weiter an seiner Seite wie ein zTitternder Hund« den ein gutmüthiger Thierfreund aus den Häntden böser Gassen-jungen erlöst hat. Als sie bei dem Thore des von Mol nar bewohnten Hauses angelangt wa ren, begann der alte Mann: »Wie a üclliich wäre ich könnte ich Jhnen ei nen Gegend-ienst erweisen. Ein Oe schenk kann ich Jhnen nicht geben, denn leider bin ich lein verkleideter Priikz Aber ich habe etwas siir Sie, das Ih nen im Leben noch viel Nutzen bringen dürfte. « »Was denn?!« ,,Einen Rath Einen merkwürdigen Rath, den Sie »viellseicht gar für dumm halten werden« «de das wäret-m ,,Hören Sie mich an und vergessen Sie nicht, was ich Jshnen jetzt sagen wer-de. Während meines langen Le bens habe ich viel erfahren und viel gesehen. Könnte ich noch einmal so jung sein, wie Sie es sind, ich konnte, denke ich, Alles, was ich wojte, errei chen» · Nun ist es sür mich zu spät, ich habe mit dein Leben abgeschlossen. sum Tausch siir Jshre Güte werde ich «;l;nen eine Idee mittheilen, eine Idee, mit welcher Sie Carriere machen tön nen.« Molnar blickte neu-gierig auf den alten Mann. ,,Worin besteht diese i Jdee?!« »Vielleicht werden Sie mich ausla chen, aber folgen Sie meinem Rath, wenn Sie ihr Glück machen wollen. Schieben Sie den kleinen Zeiger Ih res Chrvnoineters um eine volle Stun de vor.« Molnar sah ihn verduyt an. »Meine Taschenuhr um eine Stun »J de?" »Ja! um sechzig Minuten Derl Zeiger soll stets um eine röniische ,ahl voran sein. Un Punkt acht Uhr muß er bereits aus der TO stehen. Und von dieser Stunde ab müssen Sie so han geln und Alles so einrichten, als wenn Jhre Uhr die richtige Zeit zeigte.« »Und das wäre das Geheimnifz des Glückes?« fraate lenar verblüfft. i Der Alte nickte ernst mit dein Konså »Ja! Wenn Sie aiifpassem so wer den Sie Alles das was Sie nun wol len, erreichen. Namen, Siellung,Ver-. mögen. Sie sind der Entzng der vons dieser Jdee unterrichtet ist . .. Gute Nachtl« Er schüttelte Molnar kräftig die Hand, nnd im nächsten Moment war er schon in einer Seitengasse ver schwanden Als lenar zu Bett gehen wollte und seine Uhr auf den Nachttisch nie derlegte, wurde er nachdenklich »Ach, Dunimheitenl Der Alte will mich mit seiner Jdee zum Narren halten Doch sollte hinter diesem unscheinba: i ren Rath eine tabbalistische Weisheit? stecken? Meinetwegenl Ein un schuldiger Versuch kann nichts schaden. Sehen wir! Dieses alte Werk zeigt jetzt zwölf Uhr fünfzehn Minuten. Nun stelle ich es aus eineinvierteL wie es der räthselhafte Fremde gewünscht hatte« Er schob die Zeiger vor und schlief auch, ohne über die Angelegenheit wei ter nachzudenken, bald ein. sk II VI ,,Holla!« rief er erschrocken auf· »Es ist bereits acht Uhr, und ich muß um neun Uhr in der Bank sein.« Er schlüpfte schnell in seine Kleider, stürzte den Kassee herunter und rann te in’g Bureau. Als er dort angelangt war, sah er mit Staunen, daß die Diener noch mit Staubwischen und Reinemachen be schäftigt waren. ,,Haben denn die Bureauftunden noch nicht begonnen?« fragte er über rascht. Die Diener sahen ihn verwundert an. »Gewiß nicht, in dem Moment hat ce- drauszen acht Uhr geschlagen.« »Acht llhr!« Da fiel ihm plötzlich der mhstische Alte ein, auf dessen Rath er die Zeiger seiner Uhr um eine Stun de vergestellt hatte. Nun begann er den wahren Sinn dieses Rathes zu erfassen. Um die Zeit bis neun Uhr todtzu schlagen, nahm er die Zeitungen in die Hand. Kaum hatte er den Leitartiiel be gonnen, als ein Diener neugierig in das Zimmer blickte. »Es- trisit sich sehr gut, daß Sie hier sind, der Herr Generaldirettor wünscht dringend ei nen von den Herren.« Molnar eilte zum Direktor-, der, da bald die Generalversammlung abge halten werden sollte, schon seit der frü hen Morgenstunde in seinem Zimmer arbeitete. Er sah freundlich auf den eintretenden Molnar. »Recht brav, daß Sie so fleißig sind —- heute bedarf ich dringend Jemand, dern ich den Vertrag mit der Eisen bahngesellschaft in die Feder diktieren könnte. Trinken Sie zunächst einen Cognac und stecken Sie sich eine Ci garre an. Den ganzen Vormittag hatte er ihn beschäftigt. Und als am Nachmittag sein Sein tär sich meldete, da rief er ihm schon von Weitem zu: »Mir wäre es»·lie ber, wenn ich die Arbeit mit demselben Herrn, den ich bereits am Vormittag beschäftigt hatte, beenden tönnte.« Von diesem Tage ab war Mal-nat der ausgesprochene Liebling des Ge neraldirettors. Tis Als der, Vorsteher des Korrespon denzbureauö zum Chef einer Filiale ernannt wurde, da hatte man« an seine Stelle, auf den Borschiag des General direltors hin, Molnar eingesetzt, und als einer der Prokuristen zum Direk tor gewählt wurde; da erhielt Molnar die Prokura. , , ·. Der neue Prokurist tru nicht mehr » die alte Nicleluhr in der Fliesimtas e. Aber als er sich eine goldene angescha it hatte, da war es seine erste Sache ge wesen, die Zeiger um eine Stunde vor- » zuschieben. Hier und da hatte ihm die absichtlich vorgerückte Uhr auch Unan neliinlichleiten verursacht, aber viewin genehines hatte er dafür in den Tausch genommen. « Als er sich mit der Tochter des stein reichenSieinens verlobt hatte, da sprach sein ·zukünstiger Schwiegervater mit dem größten Respekt von ihm. »Nicht allein durch sein Talent, sonderndnch durch seine gewissenhafte Pünktlichteit imvoniert mir der junge Mann.« Molnar stieg von Stufe sei-Stufe und in diesem Jahre iourde er Gene- « raldirektor der Centralbant. Jetzt der siigt er über Tausende Gulden jährli cher Einnahmen « uncd hat dsie schönsie « Frau in Budapesi ziir Gattin. Wenn rr gefragt wird, wer seine Proiekto ren waren, dann nimmt er nicht ohne Rührung seine Taschenulir vor und weist aus den kleinen Zeiger hin. Nach dm räibselhasten armen· Mann sucht er noch heute vergeblich. Der ist gewiß im Gewühl der Großstadt elend iiniergegangen. — De Pers-kritisch Ol Mutter Pia-til ioenr ganz verzagt. Er Uhr ioiill niich mselir ganz De leiip ii«ii iiieisi all fostxig Jalir, Mit eeii iiisal bleev se st«a-ii. Die osle Perprniell linan Ganz still iinsd stif lieu-dal, Uii stostt sie ein ol tseiiiiniatl an, ’T iveur alles ganz egal, « Denn sä he heugsteng »tick« und ,,i«acl« As eenier de iosdll «ioill, Dei aber nich vollbringen kann, Un endlich stunii lyse still. De Olsch de schüttet nisit’n Kopp Un sä gianz argerlichz ,,Miit dorli ii:a’ii Ulircsninaker bei-» Jel selber krieg eiii nich Jn’n Gan-g, iin elir ick san de Klock Mi ioat verdarben do, Gef ick den illireiisinialer en Paar Süslbergrosschen to.« Gesegi, gedan, bald weiir se da lind sä: »Miri beste Mann-, Miin scheu-ne Uhr ioill nich inesht glan Wie geit dast ernsmsal san? Sehn S’ liter, diiss’ Perpenstilesl harigt Ganz still dal an de Wem-d" Un drückt den Perpentiisel den Uhr’iiiater in de Hand. Dat ole Dings dat ioill dorschut Nich hen un her iii·ar"scl)ti.r’n, Jcl innig Se bitten, dsat Se ini Dsat Dinge- iiiaxl renarir’n·« De Uhreiiiiiaker niesen: »Ja-wohl Madam dat s all geschehn, Den-n aber lateii Se iiii de Ol Kloci iiiian erst mail sehn.« »De Klocl"?! O, joncich«, seggt de Olsrij, »Die liasnigi noch aii de Wand, Von de da lioll icl del to del, Jck gsef s’ nich iii de Hand, . Ne jonich«, seggt se, ,,l)alpen S’ nii Man so rut ut de Noth, Dse Perpentiiel steit blos still, De Uhr gseit siinst ganz g-ot.« Gesund vorr die Lungen. Einen anmutmgen Zwinchenfau wer-; der Berliner Plaudern der »Hambar ger Nachmicljten« von dem Wohlthätig teitssest zu erzählen, welches jüngst im Wintergarten zum Besten der Lungen lyeilstätten stattfand. Der gute Ton will es bekanntlich, daß der Besuch-er bei derlei Gelegenheiten eine Scheibe Lachis oder Rehriicken mindestens- mit einem Goldstück bezahlt, weil die Grä fin B. oder die Geheimräthin M. dsie Spenberin ist. An einem der Biiffetssz tourde mir —- so schreibt dser betreffende Feuilletonist --—- im Vorübergehen ein Ieizenldes Bild. Da stand eine blu junge, blonde Offizierssrau, die Gräfin S» und reichte soeben einem Herrn von etwas exotifschem Typus ein-en Teller mit Kadiar. Er legte mit dan kender Verbeugung einen zusammen-ge falteten Hundertmsartfchein in die schöne Hand deer Geberin. »Ich tann aber nicht her-auggesben.« sagte die kleine Gräfin, die wohl zum erste-n Male ei nem solchen Feste des Wohlthiuns bei wohnte, und erröthete hold. Der ero-— tische Herr machte ein sehr verwitwet teå Gesicht. ,,tltsk-rrausgebbe?« schnarru er, »n«on —-- behalte ——— vorr die Lun gen« . . . Nun wurde die kleine Grasin duntelroth unsd der exotilschse Herr strich sich schmunzeilnd den schwarzen Schnur-wart Den zweiten Hundert niarlfchein nahm die Grasen aber seit-on mit erhöhter Tapferkeit des Wioshltlsuuö ist: Empfang und miist gleichgültiger Miene. Man gewöhnt sich eben an Alles, auch an die Hundertmartscheiur. ——-— Höchste Heuchelei Erst-er Stu dent: »Das heißt, Du liegst jetzt aber auch den ganzen Tag in der Kneipe.« —Zweiter Student: »Na ja, was soll man denn machen. Bei mir zu Hause ist Poch die —-» Wasserleitunig eingefro ren.« --— Gnddigsu »Da finde ich eben durch Zufall in Ihrem Koffer eins oon meinen Hemden, wie kommt denn das da hinein?« —- Miidchem »Ne, det is doch· nich zu globen, jetzt darf man noch nicht mal seinen Koffer mehr ufflasfen« gleich werd-en- eenem fremde Sachen neingelegt, no ick soll blos Eenen dabei erwisckxen.«