Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, February 08, 1901, Sonntags-Blatt, Image 15

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    Ionradiesttsens Itassisitfe Liebes
gefchichte. -
Dummste von Käthe van Beeker.
-. .. ,....-. ..-.- —
skonradine war sie getauft, doch fett
dem irgendein wißiger Onkel diesem
Namen die Veränderung »Konradies
eben« gegeben hatte, blieb diese fest an
ihr hängen. Selbst als sie in die Rei
hen der jungen Damen trat, blieb ihr
der Spitzname; er paßte gar zu niedlich
fiir die appetitliche, rosige Kleine, die
nie etwas von Bleichsucht, Nervosität,
Appetitlofigkeih Weltschmerz, Ellen
taille und ungliicklichex Liebe gewußt
hatte. Konradieschen war in allem ein
so total unmodernes Mädchen, daß sie
sich infolge ihrer beinahe ausgestorbenen
Eigenschaften fast zu dem Modell einer
Zukunftsromanheldin geeignet hätte;
denn nachdem so lange Zeit hindurch in
der Literatur die unverstandenen, kran
ken Weiber mit den fchmerzdurchwühk
ten, zartbesaiteten Seelen und den frei
lnitsgliihendem himmelstürmenden Ge
danken die Hauptrolle gespielt habet-,
wäre es doch eigentlich in der Ordnung,
dcfi endlich einmal die gesunden, zufrie
denen Frauen mit dem kräftigen Appe
tit, den guten Kochkenntnissen und dem
ausgiebigen Talent zu einem festen
Schlaf wieder an die Reihe kämen.
Krnradieschen tru weite Korsette und
große Schuhe, sie Prifirte sich mit glat
ten Scheiteln und einem einfach aufge
steckten Zopf, sie haßte alle Gelehrsam
keit und hielt von der Frauenbewegunsx
nut in soweit etwas, als sich diese auf
Spaziergänge und Schlittschuhlauf er-v
streckte.
Von der Liebe wußte sie nichts. Die
erste Backfifcbschwärmerei. der für sol
chen Fall privilegirte junge Literatur
lehrer, dessen bestrickendem Augen- und
Schnurrbartzauber unsere ganze Klasse
rettungslos erlag, war ihr stets
,,schiiuppe« gewesen, und alle späteren
Vertreter der männlichen Rasse, die nach
und nach unseren Jungendamenwcg
lreuzten, waren gleichfalls nicht iiii
Stande, in Kontadieschens Herzen je
nes heilige Feuer zu entzünden.
Sie find mir alle nicht poctisch genug,
behauptete sie mertwiirdiger Weile.
Was sie darunter verstand, blieb rath
selhast, denn Poesie war sonst gerade
der Punkt, der ihr am allerfernsten lag.
Aber ents ieden verband sie mit Poesie
ihre ganz estimmten Ansichten, die eng
mit der Liebe zusammenhingen und, wie
die Folge zeigte, sich auch als richtig be
währten» Denn auch fiir Konrad-its
chen lam einstmals der Tag, dem, nach
lieblicher Tradition, teine von uns
Frauen entgehen soll, der Tag« an dem
re die Ergänzung ihrer Seele fand.
Wir betamen an unser Amtsgericht ei-f
nen neuen Afseffor. Lang und diinn
war er wie ein Zwirnssaden und grau
blond bis in die höchste Potenz. Grau
blonder Teint, graublonder, dürftiger
Schnurrbart und graublonde, kurzsich
tige Augen. Er sieht aus wie ein bleich
siichtiger Regens-ou m! meinte die hüb
sche, motante echtsanwaltstochter.
Konradieschen war bei diesem bösen «
Ausspruch nicht zugeget Glücklicher z
Weise nicht, denn ihre Ansicht ging
schnurrstraets der allgemeinen entgegen.
Als sie den dünnen, graublonden Asses
sor zum ersten Male sah. brach sie in die
dentwiirdigen Worte aus: O Gott« sieht
der poetisch aus!
Jch behielt meine Meinung iiber den
bleichsiichtigen Regenwurm tliiglich zu
riiel und hauchte nur ein schwaches Ach!
das ebenso gut fiir Zustimmung wie fiir
stille Verwunderung gelten tonnte. Jch
laube doch, daß ich es hauptsächlich die
Fee zarten Zurückhaltung zu bauten
habe, dasz ich späterhin die einzige Ver
traute von Konradieschens tlassischer
Liebesgeschichte wurde.
Persönlich cernten sie sich tennen auf
einer Landbartie der »Harmonie« aus
der alles vereint war, was unser
Städtchen an Honoratioren, Liebreiz
und stolzer Männlichteit aufzuweiseii
hatte. Die neueste Bereicherung dieser
letztern, der Assessor, schlug sich bald
nach der allgemeinen Vorstellung zu
Konradieschein die im Rosatleide, ap
petitlich, rund und frisch, ihrem Vor
bilde ohne »Kon« ähnlicher sah als je.
Die beiden bildeten in ihrer schroffen
Verschiedenheit ein töstliches Paar, wa
ren aber augenscheinlich volltoinmen
von einander befriedigt, denn sie zeig
ten von Anfang an eine ordentliche Nei
gung, sich von der Gesellschaft abzu
sondern und allein ihrer gegenseitige-i
Unterhaltung zu leben. »Gegenfeitig«
ist falsch ausgedrückt, denn so oft ich
auch l)i-1sah, immer sprach nur der
Graublonde und mein munteres Kon
radieschem das sonst auch gerne sein
rothes Schnödelchen regte, hing jetzt
stumm, mit strahlenden Augen an den
blossen, beredten Lippen ihres Beglei
ters.
« Als es mir einmal gelang, sie flüch
tig zu erwischen, fragte ich schnellt
Konradieschem wie geht's-? Jst er nicht
furchtbar langweilig?
Ihre runden, braunen Augen öffne
ten sich ganz weit vor Entsetzen: Lang
tveilig? Himmlisch ist er! Ach, Mar
tha, ich bin unbeschkeiblich glücklich!
Auf dem Heimwege hing sich auf ein
mal etwa- Schweres an meinen Arm.
Cis war Konradieschen ohne den Grau
lchnnm und mit einem gewissen,«!)e
liinunert sorgenvoll-en Ausdruck.
Eis-o haft Du denn den Affessor?
Engl-ich beunruhigt. Habt Jhr Euch
syst-»aan l
Ach. wo denkst Du hin? Der Lands l
ruft bat ihn mir entführt Marlha,
i.?; muß e-; Dir sagst-. its) liebe ihn, ich
liebe ihn bis zum Sterben!
Jch schluckte das schnöde Wort, das
mir ihrer pathetischen Rede gegenüber
x auf den Lippen geschwebt hatte, tapfer
i herunter —- hier galt es, Ernst zu zei
! gen. Konradieschen hatte ihre Seiten,
; die unberechenbar waren, und ich schien
E hier vor der unberechenbarften dersel
s ben zu stehen. Also’ganz sanft und
; ernsthaft erwiderte ich: Nun, Konra
; dieöchen, Du wirst hoffentlich nichi nö
! thig haben, daran zu sterben, denn an
s scheinend fühlt er ebenso wie Du.
I Sie drückte heftig meinen Arm. Ja,
s Wortha, mein herz giebt sich auch die
s set sühnen hoffnung hin. Aber ehe ich
s seiner würdig werde, muß ich mich noch
2 sehr ändern und das geht mir furcht
; bar- im Kopfe herum. Siehst Du, er
; liebt das Klassische, die hohen, zarten,
j ilassischen Frauen mit den edlen For
x men; Marthe-, ich muß llassisch wer
den .
Die Jdee war zu lomisch, ich mußte
i laut auslachen. Konradieschem Du
i klaisisch?
i Lache nicht, sagte sie bekümmert.
. Das macht mir eben schwere Sorgen,
s denn ich weiß wohl, daß ich wenig An
! lagen dazu habe. Jch habe mir schon
H Alles überlegt. Zuerst werde ich mir
; Schuhe mit ganz hohen Absätzen an
schaffen, das wird mich bedeutend grö
szer machen, und dann werde ich mich
g schnüren, furchtbar schnüren, um we
niger start . ..
Jn diesem Augenblicke erschien der
Graublonde wieder auf der Bildfliiche
; und ich war tattvoll genug, mich bei
s der ersten Gelegenheit zu einer anderen
j Gruppe zu gesellen, denn meine Gegen-—
« wart schien nicht besonders beglückend
- auf den Liebhaber klassischen Alter
s thunis zu wirken·
i Ovid-r fortni- isb bis Nniinirfinnn
F von Konradieschens ilassischer Bil
E dnng nicht so genau und vom ersten
Tage ihrer Arbeit an verfolgen, wie
es eigentlich in diesem Falle nöthig ge
wesen wäre, da ich gleich nach jener
dentwiirdigen Landpariie zum Besuche
zu einer Konsine fuhr nnd erst nach ei
ner Woche, zur Feier der silbernen
Hochzeit unseres Landraths, wieder
lehrte. -
Am Abend vorher, der durch ein
großes Gartensest verherrlicht werden
sollte, tam ich an, fand also keine Zeit
mehr, an diesem Tage zu Konradies:
chen zu gehen. Als ich sie am folgen
den Vormittage aufsuchte, war sie aus
gegangen. Jch sprach nur ihren Vater,
einen munteren, alten Herren, der aber
heute, ganz gegen seine Gewohnheit,
über sein sonst vergöttertes Konradies
chen zu brnmmen und zu tlage·n hatte.
Das Kind , ist wie ausgetauscht,
Marthachenz kümmert sich nicht mehr
um die Küche und um nichts-. Jch muß
essen, was-« die Male zusammenbrodelt.
Sie selbst ißt und trinlt wie ein kran
ker Sperling, steckt immer die Nase in
die Bücher, was, Gott sei Dank, sonst
nie ihr Fehler war, und spricht von hö
«heren Zielen· Sie muß reineweg trank
sein! Du verstehst mich nicht, Vater! ?
ist immer ihr zweites Wort. Nun bitt’ I
ich Sie, liebes Marthachen, sängt mein l
gesundes, vernünftiges Konradieschen
auch an, sich als Unverstandene zu
siihlenl Das ist ja ein reines Kreuz
und Elend mit dem Mädchen! I
Jch tröstete den alten Herrn so gut s
ich toutr. Dabei mußte ich immer nach
den von mir geliehenen Büchern schie
len, die alle aufgeschlagen der Reihe
nach auf Konradieschens Nöhtisch la
gen. Wenn sie die alle bunt durchein
ander las, wie ihr allseitiges Geösfnet
sein beinahe annehmen ließ, dann
mußte es freilich in ihrem armen Kopf
etwas verwirrt und bedenklich aus
sehen, und das Wort »unverstanden«
lonnte schon eine Hauptrolle bei ihr
spielen.
Nachmittags trafen wir bei Land
raths in der Garderobe gerade beide al
lein zusammen. Das war ein Glück,
denn wie sah Konradieschen aus !
Jch kam gar nicht dazu, ihren sreudigen
Gruß zu erwidern.
Um’s Himmelswillen, Konradies
chen, Du hast wohl einen Mehlsack iiber
Deinem Gesicht ausgeschüttetså .
01 ,
Vlc erstlile unter un weisen spu
derschicht. Sieht man es sehr ?- Nur
ein bischen Puder-, weil ich fo blauroth
war. Ihr thut es doch Alle! setzte
sie trotzig hinzu.
Jch sah, es war mit ihr nicht gut
Kirschen essen. Aber das half nichts,
so lonnte ich sie nicht unter die Leute
geben lassen.
Aber mit Maß und Verständniß,
antwortete ich würdevoll. Komm
schnell, daß ich Dich abstiiube. So kurz
fichtig Dein Assefsok auch ist, die Kunst
sieht er doch, und nichts ist den Män
nern nnangenehmer als Puderspuren.
Sie feufzte schwer. Aber ich bin so
blaurothx
Natürlich, weil Du zu statt geschnürt
biftt
Man dachte, sie müsse ieden Augen
blicl aus der Taille herausplatzem so
eng schloß der"goldene Gtirtel um die
Mitte. .
Aber Jlir schniirt Euch doch Alle!
Wieder mußte ich antworten: Ja,
aber mit Maß und Versiändnißl
Nein, es ist nur Gewohnheit! Jch
werde es auch schon noch zwingen,
grollte sie vor sich hin und schnappte da
bei nach Luft. Sag’, Martha, findest
Du mich schlanlrr geworden?
Jch lonnte nichts bemerten. Jm
Gegentheil sah sie mit der eingeprefzten
Figur viel dictter aus als sonst.
Sie rang verzweifelt die Hände. Und
feit acht Tagen esse und trinte ich fast
nichts Jch habe manchmal so schreckli
chen Hunger und erhöbe so gern dir
Finger zum lecler bereiteten Mahle!
Hierbei lächelte sie. Was sagst Du zu
meiner tlassischen Bildung, Marthai
Du liebes, dummes,lleinesDing! ch
mußte sie umarmen. Glaube mir, u
quälst Dich um Hirngespinste. Kein
Mann kann so unvernünftig sein« Dich
anders zu wünschen, wie Du gerade
bist.
Nein, nein, er liebt nun einmal das
Klassische Ach, und ich würde ja gern
noch Unmöglicheres leisten! Will- als
: niedere Magd Dir dienen, hoher Stern
der Herrlichkeit
Konradieschen zitirte Verse, die
Weltgeschichte hörte aus! Sie hatte in
; dem Opfermuth ihrer Liebe etwas
? Rührendes, aber es. half nichts ——- aus
? sehen that sie greulich! Der schöne,
schlichte Zops m einen riesigen, griechi
schen Knoten verwandelt, der zu ihrem
tleinen Kopf und den unveränderten
glatten Scheiteln lächerlich und unför
mig aussah. Die Figur steis wie die
einer Holzpuppe aus der Spielzeug
Schachtel, das Gesicht bläulichrosa un
ter dem letzten, mit Energie vertheidig
ten Puderhauch, und dann —- tvas für
» einen sonderbaren, trippelnden Gang
J sie hatte!
Das sind die neuen Schuhe, erklärte
sie, ihren Rocksaum hebend. Stöckel
absätze, die höchsten, die ich finden
konnte! Aber die Schuhe sind ein bis
chen eng, das Gehen wird mir schrecklich
- sauer-!
Martha, sehe ich wirklich so scheuß
lich aus? fragte sie ängstlich auf der
letzten Treppenstufe, ehe wir in den
Garten traten.
Das ist Geschmackgsache, antwortete
ich diplomatisch. Vielleicht sindet er
Dich entzückt-nd Aber dnä schien nicht
so recht der Fall zu sein. Wenigstens
stürzte er sich nicht mit derselben Ge
schwindigkeit wie neulich auf den Ge
genstand seiner-Anbetung, sondern KI
sah, wie er, gleich den anderen, etwas
erstaunte Augen machte über die Ber
änderungen in Konradieschens Muße
rem; und erst nachdem er eine ganze
Zeit lang wie die Katze um den heißen
Brei um die junge Klassikerin herumge
gangen war, landete er endlich doch bei
ihr. Damit schien mir nun die Sache
in Ordnung zu sein und ich tonnte mich
mit gutem Gewissen meinem eigenen
Vergnügen hingeben. Mitten in mei
nem besten Amiisement zupste mich Je
mand am Rock, und als ich mich unwil
lig umsah, blickte ich in Konradieschens
oerstörtes Gesicht. in ihre braunen, fle
henden Augen, die nur mühsam die
Thriinen zurückhielten. Da war etwas
passirt. »
Jch sah, daß ich meinen hübschen,
flotten Verehrer opfern mußte, um den
Pflichten der Freundschaft nachzukom
men. Also verabschiedete ich mich un
ter den feierlichsten Versprechungen bal
diger Rückkehr und stürzte Konradies
chen nach, die ich langsam und schwer
fällig dem Hause zuhumpeln sah.
Was gieth Was ist geschehen?
fragte ich hastig, als ich sie eingeholt
hatte.
Zwei schwere Thränen lzogen deutli
che Spuren auf dem noch immer zu
start gepuderten Gesichtchen. Hilflos
und verzweifelt sah sie mich an. Erst
muß ich meine Schuhe ausziehen, dann
sollst Du alles erfahren.
Dem Kummer war schnell abgehol
fen. Das zweite Paar Tanzschuhe von
Landrach Jüngster paßte vortrefflich,
aber danach ging es mit der Verzweif
lung erst los.
Er liebt mich nicht« Martha! Sitzen
hat er mich lassen, mitten in der schön
sten Unterhaltung ist er aufgesprungen
und fortgegangen· Und ich hatte noch
gar nicht einmal angebracht, daß So
photles im Jahre 495 vor Christus im
Gebiete von Kolonos in Attila geboren
ist und sieben Tragödien geschrieben
hat, was mir so furchtbar schwer ge
worden ist, zu behalten! .
Nein, tlng war mein armes Konra
dieschen nie gewesen, aber für so furcht
bar dumm hütte ich ein Mädchen, das
so energisch lieben konnte, doch nicht
gehalten. Oder hatte erst die Liebe sie
so dumm gemacht? ;
Sie that mir unendlich leib, und die- !
sem verrückten Assessor, der mit seinem "
tlassischen Unsinn erst die Sappe einge- ·
rührt hatte und sie nun nicht ausessen
wollte, dachte ich von herzen ein Paar
tüchtige Ohrfeigen zu. ·
Konradieschen schluchzte herzbre- l
chend, und zwischendurch schnappte sie .
nach Lust wie ein Fisch auf dem Sande. !
l
I
Das kam natürlich vom Schnüren.
hör mal, Konradieschem willst Du
meinem Rath folgen ? Geh jetzt flink
nach Hause, — es sind ja nur fünf
Schritte wasche Dich, frisire Dich
wie gewöhnlich, zieh Dein altes Corset
und Dein rosa Kleidchen von neulich an
und dann tomme wieder. Jch nehme
mittlerweile den klafsischen Assessor vor
und fühle ihm auf den Zahn. Glaube
mir, wenn Du wieder bist wie damals-,
wird er auch so sein« Und keine klaf
sifchen Citate, ich beschiviire Dich i Den
ganzen Kummer hast Du nur mit Dei
nen opfermuthigen klassis chen Jdeen
herausbeschworen, und alles wird gut,
wenn Du wieder aus denen heraus
schlüptst
Vielleicht sah sie die Richtigkeit mei
ner Behauptungen ein, vielleicht auch
drückte sie nur das Ziorset zu sehr;
was es auch war, sie gab nach, gelobte
all meinen Anweisungen zu folgen, und
zog ab
Jch kehrte zurück in den Garten und
nach löngereni Umherirren fand ich den
Assessor in einer einsamen Laube vor
einer Flasche Wein, neben der glückli
cherweise noch einige reine Gläser stan
den. So konnte ich annähernd mein
Eindringen begründen, indem ich er
klärte, grenzenlos durstig und hocher
freut zu sein, hier ein wenig ausru n
und etwas trinien zu können. Er ah
mich ziemlich seindselig und miß
trauisch an, war aber höflich genug,
mir einen Stuhl heranzuriicken und
Wein einzuschenten. Und was thun
Sie hier so einsam ? Jch meine Sie
doch eben noch in Gesellschaft meiner
Freundin Konradine, —- die Unnatür
lichieit des Namens ging mir schwer
iiber die Zunge —- gesehen zu haben.
Er lächelte grimmig. Also heute
heißt die junge Dame Konradine ! Da
her wohl auch zu der Veränderung des
Namens die vollständige Veränderung
der Natur !
Sie haben recht, Konradieschen paßt
besser zu der reizenden Eigenart meiner
Freundin, aber es schien mir dem
Fremden gegenüber nicht angebracht,
den niedlichen Spitznamen zu gebrau
chen. Aber was meinen Sie mit der,
Veränderung der Natur ?
Er lächelte noch grimmiger, man sah,
seine gereizte Stimmung bedurfte einer
Aussprache.
Neulich glaubte ich in dem ungetiin
stelten, lieblichen Mädchen das Jdeal
eines deutschen Weibes, wie es sein soll,
zu finden, einfach, anspruchslos, den
s Geist nicht von unverdautem Wissen be
schwert, Körper und Seele so frisch und
nnentstellt, wie sie der liebe Gott schuf
—- und heute! Aber verzeihen Sie,
gnädiges Fräulein, ich lasse mich da
! hinreißen, Dinge zn reden, die man
! nicht so der ersten besten anvertraut !
Das war nicht höflich gesagt, aber
trotzdem gefiel er mir in seinem Zorn
i sehr gut. Konradieschen hatte wirklich
Arn-I Is;n-n ro Ists-» sU-s-Is·»««ss m«k-v
o» » ..».... »H-, ...... .». »
sagte ich sehr sanft und freundlich : Jch
bin auch nicht die erste beste, sondern
Konradieschens aufrichtige Freundin
und kann daher nur bestätigen, daß Sie
mit Jshrer ersten Annahme vollkommen
recht haben.
Aber, mein gnädiges Fräulein, ich
bitte Sie, gepudert, Stöckelschnhe an
den Füßen und gräßlich verstümmelte,
klassische Citate auf den Lippen ! Wie
soll ich mir diesen Wechsel gegen neu
lich nur erklären ?
Herr Assessor, vielleicht könnte ich
Jhnen dazu behilflich sein. Aber frei
lich, Sie müßten dann auch vollkomme
nes Vertrauen zu mir haben und mir
eine Frage ganz wahrheitsgetreu be
antworten.
tir sah mich unsicher an. Was mei
nen Sie ? Jch habe Ihnen eben schon
sehr viel Vertrauen bewiesen und
. würde das auch noch mehr thun. Sie
sehen so ehrlich aus !
Dante ! lachte ich. Also die Frage :
Haben Sie ein ernsthaftes Jnteresse für
i Konradieschen ?
Aber sehr! fuhr er mich wild an.
Natürlich — gehabt. Nein, das ist
nicht wahr, ich habe es noch, sonst wäre
ich nicht so enttäuscht und gekränkt. Auf
der Stelle hätte ich sie neulich heirathen
mögen, wie sie so lieb und rosig und so
voll stillem Verständniß neben mir her
! ging.
Dann will ich Ihnen ein Geheiinniß
anvertrauen, nämlich, daß Sie selbst
der Anstifter all dieser mißfälligenVer
s änderungen sind. Jawohl ! Den gan
T zen Nachmittag lang haben Sie neulich
l dem armen Konradieschen vom klassi
schen Alterthuin und von Ihrer
« Schwärmerei für llassische Frauen vor
gepredigt, und als das kleine Ding sich
dann abmüht und quält, um einem ge
wissen Jemand zuliebe auch in die Un
tiefen klassischer Weisheit einzudringen
da wird dieser Jemand wüthend !
O, ich Narr ! unterbrach er mich
und schlug sich vor die Stirn. Das ist
freilich wahr, daran habe ich gar nicht
mehr gedacht ! Jst auch meine Schwär
merei, das Alterthnm und die klassi
schen Frauen! Aber alles nur in der
Theorie. Meine Frau braucht nicht
llassisch zu sein« O, das süße· himm
lische Mädchen ! Sich meinetwegen ihr
Köpfchen mit dem Sophokles zu be
schweren ! Aber, er hielt zweifelnd inne,
lllllgcv Utuutkuy Ucc uukjk U Unun
derung 7 An der bin ich doch unschul
dig.
Auch nicht. « Groß, schlank und zart,
wie die gerühmten llassischen Frauen,
wollte sie ihretwegen sein« .Er drückte
meine Hand so energisch, wie ich es ihm
nie zugetraut hätte. Sie haben mir ei
nen Stein vom Herzen genommen, gnä
diges Fräulein, wie soll ich Jhnen dan
ken ? Aber wo ist nun KonradieschenT
Sich uinziehen gegangen sagte ich.
Jch denke, sie muß gleich wieder erschei
nen. Wollen Sie ihr entgegengehen ?
Eine Stunde später beim Nbendbroh
kamen sie beide verständnißboll und
strahlend mit mir anzustoszen. Kon- ;
radieschen, wieder rund und rosig. wie
es zu ihr paßte, drückte niir glühend die
Hand und flüsterte mir zu: Du, ich
bin Braut und so selig, daß ich gleich
sterben konnte! Aber das Herrlichste
von allem ist doch, daß ich nicht llassisch
zu sein brauche i Auf die Dauer hätte
ich trog meiner guten Natur all die gei
stige und körperliche Qual nicht ausge
halten«
Das ist Konradieschens tlassische
Liebesgeschichte »M
Unvorsichtig
Sie: »Das ist das Bild meiner ver
storbenen Mutter «
Er (siir sich): »Donnerwetter, so
schaut sie auch schlieiilich aus; ich mache
ihr keinen Antr
..—
VonAlfredCapiis(Paris).
—- ..—-.-—
Der Polizei - Präsident fühlte sich
unangenehm berührt, als er, das »Petit
Journal« entfaltend, folgende f chwarzi
umriinderte Notiz bemerkte:
Mit großem Bedauern haben
wir vernommen, daß Herr Du
rand, wohnhaft in Paris Nur
X, No. 15, gestern Abend um 8
Uhr ermordet wurde. Wir ma
chen die betreffende Behörde auf
dieses nichtswürdige Verbrechen
aufmerksam. Herr Durand war
66 Jahre alt und ein Abonnent
des »Petit Journal« feit dessen
Bestehen.
! Sogleich ließ der Präsident den Po
- Ihn-Direktor zu sich entbieten und
? zeigte ihm die Notiz. Dieser überflog
E sie Und tnurmelte :
« »Das ,,Petit Journal« hat recht, wir
haben es mit »,»einem Verbrechen zu
! thun !«
» Noch am gleichen Tage sandte er zwei
seiner geriebensten Geheimpolizisten
nach No. 15 Rue X.
Das ganze Haus war in Aufruhr.
Mehrere Miether waren mit der Haus
meisterin in Durand’s Zimmer einge
drungen und gaben sich da ihren Muth
maßungen über das furchtbare Drama
hin. Die Leiche des Unglücklichen lag
in einer großen Vlutlache.
Einer der Polizisten bemerkte zu sei
nem Kollegen: »Zuerst müßte man
vielleicht feststellen, ob das Verbrechen
mit einem scharfen oder mit einem
stampfen Instrument verübt wurde?«
wird nicht fo einfach fein.«
— —'-«(---L- H k-- W:-4s--.. L.-J
Ins Verbrechen in der Kurz.
,,Hm!« erwiderte der Andere, »das »
s
i
s
zweiten Stockes, Leser des »Temps«,
ein ernster, überlegter Mann: »Ich
glaube im Gegentheil, meine Herren,
daß darüber kein Zweifel herrschen
dürfte. Das Opfer zeigt eine offene
Wunde am Hals und ich habe in einer
Zeitung gelesen, dies sei ein untriig
liches Zeichen dafür, daß der Mord mit
einem scharfen Instrument begangen
wurde.«
Die Detektives dankten dem Leser
des »Temps« auf’s Berbindlichfte und
schrieben diese Angabe in ein Notizbuch,
um sie bei der weiteren Untersuchung
verwenden zu können.
Unterdessen war der Polizei-Kom
inisfär des Stadtviertels herbeigeeilt.
Mit wenigen Worten theilte man ihm
den Sachverhalt mit. Er erklärte: »Es
ist von hoher Wichtigkeit, den Schuldi
gen in kürzester Zeit festzunehmen.«
Und im Kreise umherbliciend, fuhr er
fort: »Wer von Jhnen, meine Herren,
besitzt dessen Signalement?«·
»Auf diese Frage zog einer der An:
wesenden die »Libert6«, die soeben er
schienen war, aus der Tasche und last
»Es ist ein Mann von ungefähr
vierzig Jahren, klein, breitsehulterig,
brünett. Er ist einäugig, trägt einen
Chlinder und ein blaugraues Jacket.«
»Ich danke Ihnen, mein Herr,« ver
setzte der Kommissär höflich.
»Ich möchte noch hiiizufiigen,« warf
ein zweiter Zeuge, die ,,Patrie« entfal
tend, ein, »daß er eine Narbe auf der
linken Wange hat und die Aussprache
des Südens ihm eigen ist·«
Am nächsten Tage fuhr man mit der
, Zeugenvernehmung fort.. Die Morgen
blätter waren voll Mittheilungen über
das Verbrechen in der Rue X. Sie ent
hielten auch den Namen des Mörders
und dessen Geburtsortes, einige von ih
nen hatten sich sogar die Photographie
» des Verbrechers verschafft und brach
s ten sie auf der »ersten Seite.
, Der Untersuchungsrichter nahm zu
i
l
l
erst die Hausmeisterin von No. Is- in
der Rue X vor.
,,.Haben Sie um die Zeit der That
- Jemanden die Treppe hinausgehen se
hen? Und haben Sie bemerkt, daß die
ser Gewisse ein verdächtiges Aussehen
hattes«
Da zog die biedere Frau den »Petit
Parisien« heraus Und las: »Der Mör
der schritt rasch an der Pförtner-boh
nung vorüber, ohne von der Hauswi
sterin bemerkt zu werden. Er erftieg
langsam die Treppen und kam eine hal
UU IIIIJLCOO IIW Ukss JJIIOIVIL UCD ’
l
l
be Stunde später wieder herunter, ohne
daß sein Kommen und Gehen von ir
gend Jemandem beobachtet worden
ware."
»Gut! murmelte der Untersuchungs
richter träumerisch vor sich hin.
Drei Tage verflossen. Die Polizei
glaubte mit Gewißheit annehmen zu
können, daß der Mörder ins Ausland
geflohen sei.
Doch siehe, amAbend des vierten Ta
ges bemerkte der Oberkellner eines der
größten Boulevard-Cafes, daß derGast
des Tisches No. 2 einiiugig sei, und so
fort durchzuckte ihn eine furchtbare Ah
nung; er dachte angsterfülltc »Wie,
wenn das der Mörder aus der Rue X
wäre?«
Er theilte seine Beobachtung einem
der Stammgäste, Leser des «"Figaro«,
mit, der am Tische No. 1 saß. Dieser
erinnerte sich, in einer Zeitung gelesen
zu haben, daß dem Mörder das rechte
Auge fehle. Er sah aufmerksam hin:
in der That, der Gast besaß nur ein
Auge, das linke.
Der Leser des ,,Figaro« neigte sich zu
seinent Nachbar, einem Leser des »Gan
lois«, und weihte ihn in seinenVerdacht
ein· »Wenn er es ist,« erwiderte dieser,
»so muß er mit dem siidlichen Accent
sprechen. Jch will ihn um das Feuer
zeug bitten.«
Und sich an ,,Jhn« wendend, bemerkte
er: »Entschuldigen Sie. mein err,
würden Sie mir gütigst die Sünd dlzs
chen herüberreichen?'« «
d »Parfetemin,« verseßte der Ungere
ete.
Kein Zweifel mehr möglich! Es
handelte sich jept nur darum, die Poli
ei zu benachrichtigen. Berstohlen be
sprach man sich hinter dem Busset. Ein
Leser des »Eclair« erbot sich, einen Po
lizisten von der Wache zu holen, weih
rend ein Leser des »Echo de Paris« nach
dem Polizei-Kommissariat stürzte.
Der Leser des »Eclair« ging wohl
eine Viertelstunde aus dem Boulevard
aus und ab, ohne auch nur eines einzi
gen Schutzmannes ansichtig zu werden.
Schließlich, als er noch immer keinen
erblickte, kam ihm der Gedanke, die
» Hilfe eines Lesers des ,,Radical«, des
,,xlx. Siecle« und des »Jntransi
geant« in Anspruch zu nehmen, die, auf
einer Bank sitzend, ihre,betrefsenden
Blätter lasen·
Diese drei muthigen Bürger zögerten
keinen Augenblick und stürmten ent
schlossenen Schrittes in das CafCL
Der Mann saß noch dort und trank
gemiithlich ein Gläschen Liqueur. Der
Leser des ,,Radical« legte ihm kaltbliitig
die Hand aus die Schulter: »Im Namen
der Presse verhafte ich Sie!«
Das Jndividuum gerieth in Verwir
rung und stammelte: »Ich bin es nicht.«
Diese ungeschickte Bemerkung verur
sachte bei allen Umstehenden ein helles
Gelächter.
,,Laßt mich ihn ausfragen«, sagte ein
Leser der »Lanterne«, »und bald soll
Licht werden«
Er stellte wirklich derart spitzsindigc
Fragen, daß der Uebelthäter eine mehr
und mehr verzweifelteHaltung annahm,
die einem vollständigen Geständniß
gleichkam.
Währenddessen hatte ein Leser des
,,Matin«, ein ruhig denkender, gründ
licher Mann, den Besitzer des Cafös um
ein Metermaß gebeten und begann den
Anaeschuldiaten auszumessen um die
verschiedenen Maße festzustellen, die
seine Zeitung mitgetheilt und die er
genau behalten hatte. Er maß Füße,
Hände, Nase und Schädel und stellte die
absolute Richtigkeit fest. Nach diesem
neuen Beweis versuchte der Mörder zu
entfliehen· Er versetzte einem Leser des
»Journal des Debats« einen energischen
Faustschlag ins Gesicht und hätte bei
nahe einein Leser der »Petite Re
rublique« das Schienbein gebrochen:
glücklicherweise stellte ihm ein Leser des
,,Gil Blas« ein Bein. So wurde der
Ucbelthäter endlich gebunden.
Jn diesem Augenblick kam der Poli
zei-Kommissär des Stadtviertels hinzu,
den der Leser des -»Echo de Paris« her
geleitet hatte. Er hatte seine Schärpe
angelegt und begann sofort ein Verhör.
Dann begaben sich Alle nach dem Poli
zei - Präsidium, uin der hohen Behörde
die gute Nachricht zu überbringen.
Der Polizei - Präsident und der Po
lizei - Direktor waren hocherfreut. Was
den Untersuchungsrichter anbetraf, so
brauchte er nur den Namen, Vornamen,
Geburtsort, sowie die Beweggründe zur
That niederzuschreiben, wie sie ihm der
Leser des ,,Journal des Debats« dik
tirte.
II- III II·
Wir wollen noch hinzufügen, daß der
Präsident demLeser des ,,Temps« warm
dankte, daß dieser errathen, der Mord
sei mit einem scharfen Instrument aus
geführt worden,denLesern der ,,Libert6«
und der »Patrie«, die der Polizei so
werthvolle Aufklärungen geliefert hat
ten, dem Leser des »Figaro«, der der
Beobachtung des Oberiellners beige
pslichtet, dem Leser des »Gaulois«, der
sich nicht gefürchtet hatte, von einem
Mörder das Feuerzeug zu verlan en,
dem Leser des »Eclair«, der die Pofizei
holen wollte, dem Leser des ,,Echo de
Paris«, der den Kommissär benachrich
tigte, den Lesern des ,,Raöic"äl«, des
,,X1X. Sierle« und des »Jntransi
geant«, die den Schuldigen in Respekt
zu halten gewußt, dem Leser des »M.1- ,
tin«, der die vortreffliche Jdee hatte,
ihn auszumessen, und dem Leser des
»Journal des Debats«, der für das
Wohl der Menschheit einen Faustschlag
empfangen hatte. Sodann drückte er
dem »Petit Journal« sein Beileid aus,
daß dieses einen seiner ältesten Abou
nenten in Herrn Durand verloren habe.
Hieraus liejz er Champagner kommen
und trank aus das Wohl der Presse.
- «..--—-— - s
F a t a l .
Dichterling (dessen eingesandte Ge
dichte immer weder retournirt noch ver
öffentlicht werden): »Ich weiß nicht,
aus meinen Arbeiten wird immer ein
Redaktionsgeheimniß gemacht!"
S t i i g e m ii ß.
A.: »Dein Fräulein Braut scheint
schon ziemlich bejahrt zu sein!«
B.: »Sie paßt vorzüglich zu meinen
antiken Möbeln!«
Z a r t g e s ii h l.
Parvenu (zusehend, wie sein Sohn
die französischen Schularbeiten macht.
Für sich) : »Ein Zartgesithl hat der
Bengel . . . . noch nie hat er mich gebe
ten, ihm zu helfen bei die fremden
Sprachen !««
M o d e r n. Hi
Herr (zu dem Verderber seiner Toch
tek) : ,,Jhre Werbung kommt zu spür,
da meine Tochter seit vier Wochen ver
heirathet ist —- lassen Sie aber allen
falls Jhre Adresse da, man kann nicht
wisse-: !«