Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, February 08, 1901, Sonntags-Blatt, Image 14

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    WWUMHIIIIIHWI I
Hugenieur CLsorstmanw Z
...Esoman von»
gsikhekm Hegekesx z
IMIWWWNU .
tO Foreses-new
Die Alte schwieg, und während sie
mit ihren dünnen ingern das grau
melierte Fell des undes streichelte,
dessen triibe, hervorquellende Augen
schläfrig blinzeltem sah sie zu, wie ige
ochter hut Und Jacket ablegte. a
in dem Zimmer keine Siiihle vorhan
den waren, holte Anna einen Puss
vom Bett weg und setzte sich neben ihre
Mutter. Frau Düsbach zapfte an ils
rem Kleid.
»We) hast Du denn das arbeiten
lassen? Das sitzt ja abscheulich!«
,, tra»e es schon im drittenJcklIn
AchKnanu wüßtest, Mama, mä
geh« sehr schlecht!«
Und dann erzählte Anna die anze
Misere des letzten Jahres. Frau ils
bach richtete die großen, unbeweglich-en
Au en auf sie und fuhr fort, denHund
szu reicheln. Aber wie Anna nun auf
Hotftrnann’s Geist zu sprechen tam,
daß sich in seinem Geldschrank die ein
lausenden Zinsen anhiiusten, wurde
ihr Gesicht lebhafter und bekam einen
- ierigen Ausdruck Die Tochter be
schrieb schluchzend das Ereigniß von
vorhin. Sie bedie vor Schmerz und
Scham bei dieser Erinnerung und
schrie:
»Ich hat« nicht länger bei diesem
Scheusal aus! Gieb mir einen Raid,
Mama! Hilf mitt«
Die Alte beschaute lächelnd ihren
Brillantring, den sie aus- und nieder
schob.
»Sol! ich Dir etwas erzählen, wass
Dich vielleicht freut? Herr Holleder
war bei mitt«
«Bett war bei Dir? Mein thuoas
hat er gesagt?«
»Er ist wohl zwei Stunden bei mir
ewesen. . Ich rechne ihm den Besuch
mit an Mie- bnbsm iibsk nlleä Miso
is , niit einander geplaudert. Er hat
in Paris großartig anriisirt, wie
et sag-te, aber fein ganzes Geld durch-—
gebracht Jch glaube, erift nur zu
sagetornmem um sich hier zu verlo
n.«
Anncks Herz bekam einen tödtlichen
Stoß. Sie wurde blaß und fragte
tonlos:
« at er sieh nicht nach mir erinn
tigt?« ·
»O doch! Er wußte ganz genau,
wie es mit Dir steht. Jch habe von
ihm schon fast alles gehdrt, was Du
mir erzählt haft. Glaub’ mir, Kind,
Dein trauriges Lros wärt in der
Fängen Stadt beklagt. Ueber Deinen
ann herrscht nur eine Meinung.«
«Warmn hat Bert sich nicht bei mir
sehen lassen?«
«Deswegen war er bei mir! Er hat
mich gefragt, wie sich ein Wiedersehen
arrangiren ließe. Dein Mann läßt ja
Niemanden zu Dir, deshalb hat er
Dir auch nicht Adieu sagen können!«
«Jmmetineiu Mann! Wenn Du
mich lieb haft, Marna, hilf mir, daß
ich ihn los werde! Jch gehe fonft zu
Grunde." .
Frau Düsbach die allmählich
freundlicher geworden war, ergriff
Anncks ««nde.
»Du bist noch jung, Kinde-heu! Tie
Ju end handelt nach Gefühlen und
verirrt den Kopf. Aber das Alter
hält die Augen offen. Dein z ehler
war, daß Du Angft vor Deinem an
ne hattest. Deshalb t er Dich ge
kna et. Du hättest ge örig aufsnucken
" TellerM
» stDu vergessen, was fiir ein
Fu · icher Mensch er ist?«
» all iehDir fagen, was er ist? Ein
Bettücktet. Das sage ich, und das sa
gen alle Leute!«
Anna lächelte traurig.
» »Was die Leute sagen, das find fo
Redensarten Damit ift mir nicht ge
spika .· . . .
»Er ist verruett,« erwiderte dieMut
ter heftig. »und gehört dahin, wo alle
Berka sind: ins Narrenhaus. Und
bas- er dahin kommt, dafür laß mich
fprw Ich habe mir fchvn manches
PRIM ansaeheckt. Eines ist vor
s, .
allen Dingen nöthig, ich muß wieder
bei Dir wohnen.«
»Aber da ist nicht dran zu denken!«
»So genau ich wußte, daß Du eines
Tages zu Deiner Mutter iämst, so ges
nau weiß ich, daß ich wieder zu Dir
ziehe. Jn dieser Hundehütte will ich
nicht sterben ..... Aber höre jeyt ge
nau zu, was ich Dir sage. Jch muß
bei Dir wohnen, damit Du Jemanden
hast, der Dir mit Rath und Hilfe zur
Seite steht. Und von dein Tage an,
roo ich bei Dir bin, trittst Du mit al
ter Energie gegen den Lümme! auf,
gellft die Ansprüche, auf die Du ein
echt , fi. Vor allen Dingen Most
Du wieder elegant an. nn
die Welt s fiir Dein Los interessiren
ksich mußt n hübsch sein und den
heut-u gefallen, sonst ruihi rkin Hahn
nach Dir! Wenn Dem Mann Dir kein
Tosilettengeld giebt, bestellst Du desto
mehr Kle der auf Rechnung, er wird
dann schon bezahlen Au erdem mark-ist
Du wieder Besuche. G erch am nach
xn Sonnta geh-L Du — zum Pa or
erland in ie Kirche· « Er hat et
Mo Anhang und ift immer bereit,
» Frauen zu helfen. Mit dein Pa
stor siin si Du an, die Gemeinde
kommt interhek.'«
Anna mußte liicheln und wars ein:
, »Aber Mewes hat strengen Mxeht,
jeden Besuch, der zu mir will, a zu
weisen.«
»Wer ist denn Mewes?« erwiderte
die Mutter geringschäßi ’
,,Mewes isi mein gröster Feind und
Horstmann blind ergeben!«
»Sprich dkch nicht so dumm! Mit
ein paar Zehnmaristiicken hättest Du
Dir diesen Menschen ium Freunde ge
macht. Als ich noch sei Euch wohnte,
habe ich gesehen daß er Deines Man
nes Cigarren tauchte. Wer schon aus
derlei aus ist, den kann man leicht
herumkriegeni Sage ihm, daß, wenn
Du u rommandiren hattY er dop
pelt so viel Lohn bekäme ann wirst
Du ehen, wie schnell der Wind sich
dreht! Die Hauptsache ist daß Du ein
neues Leben anfiin st. Du mußt Dei
nem Manne widersprechen in jedem
Punkt Hsrst Du, Kindel in jedem!
Blos weil er sagt, thue das, mußt Du
das Ge gentheil thun. Dann wirst Du
ihn bald so tlein haben daß er ins
Mauseloch kriecht. .Aber das kommt
alles später. Vor allem muß ich wie
der zu Dir ziehen. Ehet läßt sich
nichts machen.«
»Wie willsi Du das anfangen?«
Frau Diisbach sann eineWeile nach.
»Uebermoraen reisi Beisin nach
Wiesbaden. Er will dort den Wein
händler besuchen, siir den er Geschäfte
macht. Jeh werde Aliceszureden daß
sie mitgeht. Wenn sie erfährt, daß ich
zu Dir ziehe thut sie's aleich. Nacky
niittags oder arn nächsten Morgen
schicke ich dann das Mädchen zu Dir,
daß ich krank wäre. Dein Mann
wird Dich schon gehen lassen. Wenn
Du dann wieder nach Hause tomrnsi,
sagst Du, es Dinge mir sehr schlecht
ich liige im Ster n, Du lii gsi damit
nicht mal, denn lange mache ich's nicht
mehr, Und Du wolltest mich nicht hier
allein ohne Pflege lassen, sondern mich
Zu Dir nehmen«
»Wenn er’s mir nun aber doch Ver
bietet?« sagte Anna noch immer zag
haft.
Die Falten um den Mund der Al
ten giuben sich noch tiefer. Mit zorni
gen — ugen sah sie ihre Tochter an
,.Weun Du das nicht mal durchfeyen
lannft,da Du Deine todttranle Mut
ter zu «ir nimmst, dann bist Du so
dumm und nichtan ig, daß Du kein
besseres Los verdien t!'«
Anna verließ ihre Mutter voll Re
frert vor deren Rücksichtlosi keit unsd
Schlauheit und voll « un immter
Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Nach zwei Tagen, während rau
horftmann mit ihrem Mann und totte
gerade bei Tisch fass-» kam das Dienst
mädchen mit der Botschaft, Frau Re
gierungsrath lage schwer trank allein
nn Haufe, der Hauptmann und feine
Frau seien verreist. Anna sprang mit
einem Schreckens-ruf in die Höhe und
sagte-, sie müßte sofort hinüber. Vorst
mann ließ sich von der Magd, die die
Kranke ganz verwirrt gemacht hatte,
den Bericht noch einmal wiederholen.
Währenddem rang Anna die Hände
und flehte ihren- Mann rnit Thriinen
in den Augen an, er möchte sie ehen
lassen. Der Jngenieur luchte gold
laut und sagte, mit sich selbst uneins:
»Erft wird fertia gegessen. Das
paßt mir nicht« da meine Frau vom
Tisch sortläuft.«
Annn wiirgte mühsam die Bissen
hinunter und wechselte mit Lotte, die
ihre Mutter traurig und voller Mit
leid anfah, aufgeregte und ängstliche
Blicke. Nach einer Viertelstunde lief
sie leichtsiißig aus dem Haus. Der
erfte Schritt war gethan.
Frau Regierungsrath schien wirk
lich tränker zu fern, als vor einigen
Tagen. Sie huftete und klagte über
furchtbare Schmerzen in der Brust·
Als Anna etwas verwundert fragte,
ob es denn wirklich so schlimm fei,
fuhr die Alte wüthend auf:
»Du solltest mal in meiner baut «
stecken. Ach Gott, ach Gott, warum
musz ich so leiden?«
Sie klagte und wimmerte und hu
stete ununterbrochen, bis Doktor Zim
mer larn. Von dem Augenblick an
wurde ihr Stöhnen noch schlimmer
Vor Schmerzen schien sie halb von
Sinnen zu sein.
Nachdem der alte err die Untersu
chung, die durch das orttvährende Zu
sammenzucken der Kranken fast un
möglich war, beendet hatte, begleitete
ihn Anna in s Wohnzimnrer. Auf
ihren sragenden Blick guckte er die
Achseln
,,Drin;- ende Gefahr liegt nicht vor.
Immerhin ist die Sache bei dem Alter
hter Frau Mutter ernst ft Es ist
dumm, daß Ihre Frau wester ge
rade in diesen Tagen verreist isi. «
»Und was das ummste ist, sie hat
keine Adresse hinterlassen; ich habe aus
gut Glück nach Wieshaden telegra
phirt, ohne bis jetzt eine Antwort zu
nirgammsi ll d i fi sl ch
si aerings en ra r er
Leichtsinn«
Der Arzt ann eine Weile na
«Jst das iidchen verläßlich, ask
man ihr die Nachtwache iiberiassen
kanns-«
»Ich glaube taum! Wenn Sie et
i für nöthig halten, werde ich die Nacht
; bei meiner Mutter ichtafen."
T »Das wäre das Beste.«
Er reichte Anna die Hand, sie hiett
sie einen Au enblici fest und sagte:
»Lieber Herr Geheimrath. Sie
miissen mir dann einen Gesallen thun.
Gehen Sie zu meinem Mann und fas
gen Sie ihm, was vorliegt. Er ist in
letzter Zeit noch mißtrautscher gewor
den als frii r.«
»Gewiß. ch werde gleich vorgehen.
Sagen Sie mal, wie geht's ihm ei
gentlich?«
Anna machte ein trauriges Gesicht.
»Ich werde aus ihm nicht klug. Es
ist manchmal recht schwer.«
»Ich kanns mir denken. Leicht ist
das Leben an seiner Seite nicht. Aber
Sie müssen Gott danken, daß er wie
der so weit ist. Als er damals nach
der Geschichte in die Anstalt gebracht
wurde, glaubte ich nicht, daß er sich je
wieder erholen würde. Nun ist er seit
zwei Jahren doch wieder ziemlich nor,
mal.... nun vielleicht nicht normal
in dem Sinne, wie Sie und ich sind.
Aber er verwaltet sein Vermögen rich
tig, thut Niemanden etwas zu leide.
Daß er seine Ei enheiten hat« will ich
gern glauben. an erzählt si ja ge
nug davon. Und daß Sie be anders
darunter leiden, ist ja natürlich«
«Ma:ichmal möchte man verzwei
feln,« sagte Anna mit einem tiefen
Seu zer.
»Die müssen Geduld haben, liebe
Frau Horstmann Sie müssen sich sa
gen, daß Sie es mit einem Verwun
deten, einem seelisch Verwunbelen zu
thun haben, dessen Samariterin Sie
sind. Ja, ja, Sie thun Samariter
dienste.«
D» ni» feste must- unwillkürlich
lächeln über den hoffnungslosen und
entsetzten Ausdruck, der sich bei diesen
Worten auf Anna s Gesicht malte,
und ihr mit seiner dürren, trebsrothen
Hand auf die Wange tlopfend, sagte
er:
»- ch seh’ Sie noch immer vor mir
als iirstin von Cornaro. Sie hat
ten den hübschesten Nacken, den ich je
gesehen habe." «
Anna erinnerte sich auch mit einem i
Mal der alten Zeiten und legte in ihre E
Augen all den holden Glanz, mit dem .
sie ehemals die Männer bethört hatte
Da klang vom Corridor herüber (
das Hatten der Frau Re ireungsrath
nnd der Arzt empfahl si schnell.
Anna blieb die Nacht über bei ihrer
Mutter. Nachdem das Dienstmädchen
u Bett gegangen war, legte si·e sich
ins Bett ihrer Schwester und schlief
friedlich bis zum nächften Morgen
Darau näcfriihftiiäten die beiden Frauen
und ii rlegten das Weitere. Frau
Düsbach wollte noch vor dem Essen zu
ihrer Tochter übersiedeln
Als Horstmann vorn Spaziergang i
zurückkam fand er seine Frau mit I
dem Dienstmädchen im Fremdenzim- :
mer damit beschäftigt einzuheizen und ;
das Bett zu überziehen.
»Was hast Du denn da vor?« s
fragte er erstaunt.
»Meine Mutter zieht zu uns. Sie
ist leider Gottes shre trant.«
»Zum Teufel, Du weißt doch, daß
ichllDeine Mutter nicht bei mir haben
wi .«
Anna wars einen Seitenblick auf
das Dienstmädchen und erwiderte:
»Wir tönnten das wohl später er
örtern. Meine Mutter liegt im Ster
ben-. Jch glaube. da hören die tleinen
Gehässigteiten doch auf.«
»Wenn Deine Mutter tranl ist«
iann sie ja in ein Krankenhaus eben.
Wir haben hier tein Aitweiberspittel.«
Ueber diese Worte schien sich selbst
die Dienstman u empören, denn sie
ergriff ein Plumeau und schieuderte es
mit Gewalt ins Bett. Anna-S Wan
gen hatten sich verstirbt
»Gustav, laß mich meinetwegen da
für büßen, aber erfüll’ mir diese ein
ziae Bitte. Meine Mutter ist tränter,
als Du ahnst. Sie liegt im Sterben.
Ich weiß ja, daß sie Dir zuwider ist.
Wenn es für lange wäre, würde ich
Dir nie zumuthen, sie aufzunehmen.
Aber es handelt sich um vier, fünf,
böchitenä aebt Tat-e dann iit sie von
ihrem Leiden erlöst.«
Horitniann lies; sich von der angst
vollen Unterwürfigleit seiner Frau
verwirren. Er ahnte, daß es böse
Folgen haben würde, wenn die Alte
sein Haus wieder betrat. Aber im
Augenblick wußte er nichts zu erwi
dern. Er ging aus sein Zimmer, in
dem er weder ja. noch nein sagte.
Während er überlegend am Jckisler .
stand, sah er einen Mieihwagen vor
dem Hause halten. Der Kutscher
schellte. Gleich daraus kam Anna aus
dem Haus mit dem Dienstmädchen
und Mewes, der einen Korbstuhl iru . »
Der Kutscher isssnete das Verdeck; a
konnte Herstmann einen Augenblick-;
lana Frau Diisbach sehen. J
Ein Schein der bleichen Morgen- H
sonne zitterte über dem mit haut be- -
hangenen TodtenschiideL der sich in
seiner arauenvollen Häszlichteit von
dem weißen Kissen abheb. Die Kranke
versuchte den Arm zu erheben, aber
er fiel lrasilos herunter-. Fest schien
iie etwas sagen zn wollen, nna muß
te das Ohr an ihren Mund legen, um
diesen Hauch einer Sterbenden zu ver
nehmen. horsimann trat mit verächt
lichem Lächeln vom Fenster zurück.
Diese Frau konnte ihm nichl mehr ge
fährlich werden.
Aber der Tod wollte offenbar mit
seinem Ebenbild nur lvkettirerr.
Frau Düsbach lag seit acht Tagen
W
im Sterben, bald ging es etwa-s bef
ser, bald schlimmer. Obgleich herst
mann die Kranke nur die eine Minute
aesehen batte,- wurde ihm i re Ge en
wart fast in jedem Augen lieke s bl
bar gemacht. Anna sprach mit ihrer
Tochter nur von ihrer tranken Groß
mutter. Bei Tisch ließ sie die Thür
soffen, was der Ingenieur nicht leiden -
konnte. aber sie sagte, es sei nöthig.’
damit sie das Schellen der Kranken :
hören könne. Zu essen ab es stets
die fadesien Speisen, äussersupph
Reisbrei, abgerochte Hühner, so daß
Horitmanm der eine kräftige Küche
aewiihnt war, taum satt wurde. Am
schlimmsten aber waren die Nächte.
Anna hatte ihm gesagt, sie wallte im
Zimmer neben ihrer Mutter schlafen,
doch hatte er es verboten. Nun rächte
sie sich daiiir« indem sie mit der Kran
ten verabredete, daß diese Nachts,
oder wenn es zum Morgen ging, zu
schellen begann.
Horsimann war immer der erste,
der in die höhe fuhr. Seine Frau
stellte sich schlafend, während die
fchrillen Töne der Klingel durch die
tieffchwarze Nachtstille schrieen.
Aber trotz seines Grimmes ließ er
sich nichts merken. Er dachte. Anna
würde ebenso leiden wie er, doch diese
hatte sich an die Unruhe ganz gewöhnt.
Sie lag scheinbar im tiefsten Schlaf,
bis ihr Mann sie aufwecktr. Dann
esste sie die Treppe hinunter, kroch in
ein leeres Bett, das im Zimmer stand,
und schlief bis zum Morgen wie ein
Murmeltbier.
Eines Nachmittags, während Vorsi
mann seinen Grillen nacht-Singend im
Arbeitzimmer saß, klopfte ein Herr
bei ibm an, der sich als Pavstor Eier
land vorstellte. Ehe der irgenieur
sich’s versah, hatte der Pator seine
Rechte . ergriffen und preßte diese
I Yanernjausn die noch immer hartwie J
i
I tenbett!« sagte er mit bewegter Stim
auemem sour, rnrr veroen Palmen, n
als wenn er seine ganze Kraft bewei
sen wollte.
»Ich komme soeben von dem Kran
me. »Jhre Frau Schwiegermutter hat
aebeichtet und das Abendmahl ge
nommen. Ich glaube der Tod saß
unter uns. Aber es war eine tröst
liche Engelsgeftalt. welche die arme
Seele aufwärts zum einigen Frieden
führen wird!«
Horstmann hatte die Nacht beson
ders unter der Klinael gelitten, er
haßte die Alte, die nicht sterben wollte,
mehr als je.
«Womit tann ich Jhnen dienen?«
fragte er barsch.
»Es war der Wunsch Ihrer Frau
Gemahlin . · .«
»Wenn Sie etwa wegen des Be
ariibnitses kommen, so . . . so . . .
mir ift es ganz egal, ioie und wo sie
bearaben wird. Aber wegen der Ko
sten wenden Sie sich gefälligst anFrau
Hauptmann von Debin. Jch will
mit der ganzen Geschichte nichts zu
thun baben.«
Der Pastor saltete seine wohlge
pflegten Hände und erwiderte mit
leichtem Stirnrunzelm
»Jhre Frau Schwiegermutter hat
noch nicht ausgeiitten. Noch lebt sie.«
»Sie lebt noch! Nun, was zum
Kuckuck wollen Sie denn?« -
Ehre Frau Gemahlin bat mich,
mit Ihnen zu sprech-en. Sie sagte
mir, es hätte zwischen Jhnen und
Frau Diisbach Differenzen gegeben.
Wollen Sie nicht im Angesicht des
Todes den alten Streit vergessen und
der Kranken die Hand drücken?«
Aber Horstmann fuhr mit den Hän
den in die Hoseniaschen. -
»Der die Hand drücken! Schlimm
genug, daß sie in meinem Haus ist.
Und hoffentlich . . . hoffentlich . . .«
»Die Kranke selbst hat den drin
aenden Wunsch. Alles was Sie etwa
an ihr gefehlt haben, soll vergessen
ern.«
»Was ich an ihr gefehlt?!«
Horstmann fuhr wild auf.
«Lieber Herr, dies,Weib ist mir
zwanzigtausend Mart "schuldig. Vor
drei Jahren, als ich um ihre Tochter
anbielt, stand fte vor dem Banlerott.
sts obersts Zu ist-' DnIOZnhizs Ists-Z- .
lie bineinznaerathem statt dessen bin
ich an Leute gelomcnen, denen von
Rechtswegen nicht mehr das hemde
auf dem Leibe gehörte. Davon hat
Jhnen dcr lichte Engel wohl nichts
verrathen?"
Der Pastor stand einen Augenblick
erschüttert, ohne eine Antwort zu sin
den. Aus diese Roheit war er nicht
qesaßt gewesen. Er reichte dem Jngr
nieur die Hand, und als dieser sich
umt«rehte, verließ er stumm das Zim
mer.
Aus der Treppe traf er mit Ge
heimrath Zimmer zusammen, der ge
rade von der Kranken lam. Er hatte
sie um ersten Mal wieder srisch nnd
entschieden aus«-dem We der Besse
rung gesunden. Pastor Eierland war
noch u erregt über die Unterredung
mit Forstmanm als daß er sich über
den ericht des Arztes in dem Maße
hätte wundern können. wie er es onst
ethan hätte. Er erzählte se nern
reunde den schönen me ang und
war erst beruhigt, als der ehetnrrath
ihm versichert-, Horstmann set nicht
gan normal.
» ie bedauernswerthe Frau!« sa te
er, «»sie hatåvahzshadftilg Gelegenhe t,
im ri rer en zuuen.«
NZJachch vxrzehn Tagen war Frau
Dtisbachwieder so weit, daß sie aus
gehen konnte. Anna hatte ihr einen
. Abstule ins Zimmer stellen lassen,
in dem aß sie meist mit dem Hund
auf dem Schoß und fchauie aus dem
Fenster, das eine schöne Aussicht auf
den Garten hatte. Sie bekam viel
Besuch. Anker dem Geheimrath Zim
mer, ließ ich Pasipr Eier-Tand als
treuer Seelsorger mehrmals die Woche
, bei ihr sehen, auch Alire besuchte ihre
! Mutter und brachte sogar ihren Mann
I mit. So wurde mit der Zeit ihr
Krankenzimmer zu einer Art Geheim
tabinett, worin man über Herstmann
tlatichte und gegen ihn Jntrignen
spann·
Eines Ta es ließ Frau Düsbacb
durch Anna ewes in ihr Zimmer ru
fen. Sie drückte ihm zwei Thaler in »
die wand nnd sagte:
« ,, in kleiner Dank iiir Jhre freund
liche Hilfe, als ich hierher gebracht
wurde. Eigentlich sollte es mehr sein.'« ;
Metves steckte das Geld mit einem
miirrischen Bruinmen in die Tasche.
Er wollte schon gehen, als Frau Re
gierungsrath sagte, sie hätte noch eine
Bitte.
»Was soll’s denn sein?«?
»Das Mädchen lxai morgens immer
zu thun. könnten Sie mir nicht in al
ler äriihe den Ofen anmachen?«?
» sas ließe sich ja schließlich ma
chen«, erwiderte Metves nach einigem
Nachdenken.
Er kam nun alle Momen, ivenn’s
noch dunkel wac, hereingefchtuksk und
machte Feuer. Bei dieser Gelegenheit
merkte die Kranke, daß er ihre Medi
inslasche, die auf dem Nachttifch
stand, umdrehte und betrachtete. Nach
einigem Hin und er brachte sie her
aus-, daß et Jahre ang La rettdiener
gtwesen war und sich einbi dete, etwas
von der Medizin n verstehen. Ein
mal aus dieses - hema gekommen,
legte er seine Stumpfheii ab und er
zählte eine Menge haarsträubender l
Geschichten von Krankheiten, Opera
ticnen und seinen Erlebnissen in der
Jrrenanstalt.» Sie-fragte ihn,·o»b er
llllä Iklllcl Icslgkll Olcullllg sllfklclscll
fei. Er erwiderte:
»Nun ja, wenn man tein Gliiet hat«
muß man fehon zufrieden fein. Ich
hab's mir ja ein bischen anders ge
dacht. Daß ich auf meine alten Ta e
noch den Pferdediener spielen mu ,
l,abe ich mir nicht träumen lassen.«
Mit der Zeit wurden die beiden Al
ten gan vertraulich miteinander Frau
Diisba ging mit der Schlauheit ei
ner Kahe um den heißen Brei herum.
Nur wie von ungefähr fragte ne ein
mal. welcher Art horftmanns Krank
lxit eigentlich gewesen, und ob er jetzt
wieder ganz efund fei
Meives lieg fich die Frage drei Mal
wiederholen. Er blies die brennenden
Holsfpiine an, wiihlte in ten Kohlen
herum und gab teine Antwort. Erft
als er fertig war« tam er ans Bett der
Alten, stellte fein Brnzinliimpchen auf
den Nachttifch und faaiet «
»Das fteht feft, und da mögen die
Professoren drei Mal das Gegentbeil
fegen, ich habe dafür meine Beweise:
wenn einer mal oben was sitzen l)ai,
der wird es auch nicht wieder los. Das
bleibt und frißt weiter. . . wie Kreb3'«.
Während Frau Regierungsrath am
Fenster faß, fah sie manchmal mor
g·ns, wenn Horftmann aus war, Me
trses mit einem Sack auf dem Buckel
aus dem Stall schleichen. Er ver
fchtvand im Garten und tam nach ei
ner Weile öbne den Sack zurück. Ei
nes Tages bemerkte sie ihn wieder
Diesmal hatte der Sack ein kleines
Loch, ans dem Hafertiirner auf die
Erde rannen. Die Alte wunderte sich.
Was mochte der Diener mit den
Säcken anfan n? Schließlich fiel ihr
ein, daß die rtenmauer ein Pfört
chen hatte, das nach einem Gäßchen
hinausgin . Wahrfcheinlich wartete
dort der hier, der ihm den Hafer
abnahm. Als Mewes am nächsten
Mergen hereintarn, fragte fie ihn:
»Was kriegen Sie denn fiir den
Hafer?«
Der Marter lie vor Schreck beinahe
feinen Arm vo Holz fallen und
fragte:
»Was??«
»Na, thun Sie doch nicht fo! Sie
rnaufen ja Hafer. Verkauer Sie ihn
nur nich-i zu billig!«
» ch fer verkaufen? Noch nicht
ein orn «
M hob-K In Ast-sm- LUJJCOIU cu-41
»«,.., .,..- - ,.. ,....,.... .,....... ......,
der Sack ein Loch. Die Pferde wer
den schdne Bäuche kriegen, wenn sie
nichts .als Heu fressen«.
»Da hört sich doch alles auf. So
was hat mir noch tein Mensch gesagt!«
»Lafsen Sie’s nur gut sein! Aber
da Sie mein Schwiegersohn nicht er
wt chtL Jch drücke ein Auge zu.
Wenn Jemand nicht nag Verdienst
de ahlt wird. macht er si selbst be
a lt.... na, wir verstehen uns
fchonk
Der Wärier erwiderte nichts-,
brummte nur wüthend vor sich hin,
während er ans seinen mageeenKnieen
die Holzscheite zerbrach.
Vier Wochen war Frau Düsbach
im Hause, und jeden Tag predigte sie
ihrer Tochter dasselbe: Auflehnung
ge en ihren Mann. Anna mußte ihr
a es widerhalen, was Horitmann bei
Ti ch oder bei anderen Gelegenheiten
e agt hatte, und auch i re eigenen
ntworten darauf, mit enen die
Mutter selten zufrieden war. Warum
hatte sie nicht kdies oder jenes erwi
dert? Wenn sie nicht den Muth hatte,
ihm zu tro en, würde es nie anders
werden. te er doch aussahren
und wie ein wil es Thier brüllen. Um
so besser, wenn die Leute aus der
Stra e stehen blieben, dann wiirde
bald tadtbelannt, dasz ein Verriicktet
im hause war.
Anna versprach alles. Ader die
Unterwürfigkeit und Angst vor der
eisernen Faust, die sie zwei Jahre hin
M
durch getnechtet hatte, konnte sie nicht
mit einem- Male abschiitteln. Die
Mutter war unglücklich über diese
tchlasfe Träg it ihrer Tochter, in ver
re gan ver-ge en zu haben schien, was
te frii r gewesen war.
Eines Ta es kam Alice mit der
Nachricht da Bett am nächsten Tage
Anna besuchen wolle. Der Vorsicht
; alber sollte das Wiedersehen in ; ran
- iisbach’s Zimmer stattsinden. nna
; lag die ganze Nacht in nervöser Anf
regnng, zwischen Freude, Hoffnung,
Angst. Sie wußte elbst nicht, wie ihr
war. Am Morgen tonnte sie nicht mit
ihrer Toilette fertig werden, Nachmit
- tags stand sie bald am Spiegel, bald
am Fenster, um ans die Straße zn
sehen. Sie fühlte selbst-das siindische
ihres Benehmen-T
Als Halle-ver kam, benahm er sich
sa. als wenn er höchstens vierzehn
Frage verreist gewesen, nnd als wenn
inzwischen nicht das Geringste passirt
ware. Er war galant gean Mutter
und Tochter, nnd nach tnrzer Zeit
war alle Besanaenheit versiegen
Jn seinem Innern aber wünschte
er, möglichst bald ans diesem Zimmer
heraus zu sein, dessen fade Kranken
lust ihm auPaie Nerven fiel. Von
Anna war er bitter enttäuscht. Die
szwei Jahre halten sie entsetzlich ver
grobert. Sie war kaum noch reiz
voll.... Ueberhaupt, was hatte er
hier Verloren? Jhm saß das Messer
an der Kehle, die Erbschaft war ani
aezehrt, er mußte sich rangiren, sichs
wie rr’s angdriiette —- einen warmen
Stall suchen.
Anna nnd er saßen am Bett der
Alten, die sich niedergelegt hatte. Sie
betrachtete ihn mit brennenden Augen,
sie sand ihn älter geworden. Sein
schwarzes Haar hatte sich gelichtet, ein
Kranz von Kriihensiißen lag nm seine
Augen. Wer ihn unbesangen betrach
tete, hätte ihn vielleicht etwas mitge
nommen gefunden. Namentlich in
diesen Wochen, wo er von einem Ka
enjammet in den anderen verfiel
« in- nbek eklebien » nneb ebenso ver
i
f
-I
iihkekisch wie seither Die Lassignit
einer Handbetvegnngem dies ästhe,
atte Lächeln, der tniide Tonfa sei
ner Stimme, das alles bezauberte tie
ebenso, wie sie früher feine Mantu
teit bezaubert hatte.
Er erzählte von Paris. Das war
ein böses Nest. Wunderhiibsch aber.
Mit einem vielfagenden Seufzer brach
er ab.
Sie fragte ihn, tvie es mit derMa
terei stände.
»Du lieber Gott! Wenn man nicht
ein inalerifches Genie ist, sollte man
nicht nach Paris gehen. hier in
Diifseldorf hätte ich lustig meine Lein
wand mit brauner Sauce vollschtnie
ren können und mir einbitden, ein
Maler zu fein. Aber in Paris gehen
einem die Augen auf! Jch hab' die
Pinfel in die Ecke geworfen, ais ich
vierghn Tage dort tvar.«'
ann werden Sie hier wohl was
Neues anfangen?« ·
»Bielleicht . . . . J " weiß noch nicht
....Vielleicht veriu ichs mal wie
der als Architekt . . . . Aeh, 's lohnt ja
doch nicht die Mühe Fu Deutschland
hat man nicht fiir fiin Pfennige Ge
chtnack.
Die Alte, die diese Unterhaltung
langweilig fand, hatte sich auf dje
Seite gelegt und that so, als wenn sie
schliefe. Bett wollte sich empfehlen.
Aber Anna setzte sich ans « eniter und
rief ihn her. Er setzte ich .u ihr.
Beide starrten in den Schnee ,inaus.
»Ich bin um Sorcen Um Sie,Bert.«
»Um mith«
»Sie nriifsen ietzt etwas anfangen.
Sie dürfen Ihre Talente nicht ver
tommen lassen.«
»Du lieber Augustin!«
»Ich hatte ehoiit, Sie würden mit
den größten litt en aus Paris zu- »
tiicitammen Ich hatte mich to ac
re1t.« «
f »Das Leben ist ein hortender Bish
sir.n!« murrnelte er.
Sie nidte nnd fah ibn traurig an.
»Es tennnt elsen alles anders, als
man sich denkt . Aber Sie haben
ja noch die ganze Zutunft vor sich.«
Sie sahen wieder-hinaus. inM den
melancholttchen cMit-leih Die Baume
itarrten mit ihren schwatzen, la len
Aesten in’g AbenddunteL Der ee
schimmerte fahl. Es war eine trostlose
Stimmung- Bett fühlte, wie ihm be
ilommen zu Muth wurde. Er ver
wünschte seine Sentimentalität. Was
hatte das alles fiir einen Zweck?! Fin
ihn handelte es sich um gan ander-:
Dinge . · . . Und plötzlich fa er noch,
wie Anna weinte. Die Thränen tra
ten ihr ans den geschlossenen Augen
und rannen langsam üsbee ihre
Baden, genau so, toie die Wasser-tro
psen an den Fensterscheiben hinunter-.
rannen. «
»Wir hätten zusammenblciben sol
len, Vett.«
Er schüttelte sleptiich den Kaps.
geber sie wiederholte noch eindringli
te
»Das» DoclJt Wir hätten zufam
menblerben sollen. Das wäre geschri
ter gewesen«
Und während ein sanatischer Glan
in, ihr Ahge trat, sliisterte sie tang
hotbar:
«Viellescht witd’g bald anders. Ich
werde frei . . .. Dann kann das Glück
noch kenn-um«
Entsetzung solgl.)
Die Bayern erwarten anliißli des
so. Geburtstages ihres Prinzsgæ n
ten einen Amicestie-Erlasz. Jsi s
wirklich Alles, was sie erhof en? Wäre
ihnen ·ni t eine Preisherab ehttng des
hcsbtciai ieres euch angenehmi