Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, January 11, 1901, Sonntags-Blatt, Image 12

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    Lin-mer Schi.
«---«.-..—
s Von Franz Herczeg
Auf dxr Terraffe saßen drei Fra: xcn
Mtb ein Mann. Sie waren nach tun
Coupeu Zwei der Damen waren rosig
Und lebhaft, eine dagegen blaß und
still. Dur den Tropfen Champagner-.
den sie bei isch getrunken hatten, wa
ten die zwei ersten muthwillig, die drit
te, die ohnedies kränklich schien, melan
cholisch geworden. Diese Letztere zählt
hier überhaupt nicht mit, man betrach
tete sie mehr als »Garde-Dame«.
Ueber den blühenden Gebüschen des
Gartean wölhte sich der Himmel voll
beläet mit sunlelnden Sternen, wäh
rend die Frühlingsluft ganz unge
wöhnlich milde schien. Von rückwärts,
aus dem Fond der beleuchteten Zim
merreihe hörte man das Lörmen der
Männer, die Karten spielten.
Die beiden hübscheren Frauen quäl
ten ihren Kavalier-, den einzigen Mann,
der sie höher geschätzt hatte, als die
Karten. Sie bestürmten ihn mit tol
len nnd kühnen Fragen. Sie waren
beide junge Frauen, an die sich kein
Vorwurf heranwagte, doch im Wesen
dieses-! siets ruhigen Mannes mit dem
mühen Gesichte lag etwas-, was ihre
Neugierde reizte. Aus diesem Gesichte
lasen sie. daß in seinetBrust einst große
Leidenschaften getobt haben mochten;
sie hatten ihn im Verdacht, daß seine
Schweiaiamleit das Wissen des Bösen
verhehle-; seine weiche und doch männ
lich sonoee Stimme aber kitzelte ange
nehm ihre Nerven. Einzeln hätten sie
sich nicht recht an ihn herangewagt, doch
ihrer Mehrere fühlten sie sich muthig
und leck, wie Schulmädchen.
Der Mann vertheidigte sich gegen
eine spisige Frage, als er sagte:
»Sie sind entweder schl echte Men
schenlenner, oder ich weiß nicht, was
Liebe ist«
Die beiden« grauen schrieen auf.
»Das wagen Sie zu sagen? Uns zu
lagenk·»
- -- A-« .
»Es in aver fo. Ue Liede, oreie
gewisse große Liebe, kenne ich sozusagen
nur von der Bühne her und ans den
Büchern. Jch hatte niemals Leiden
chafien, eine einzige ausgenommen,
«e des Samnielns. Der Sammelin
sinkt, die Amateurleidenschaft pfiegi
ch bei den meisten alternden Jungge
sellen zu entwickeln, welche —- wie ich
s- iiber viel freie Zeit und genügende
Geldmittel verfügen . . .'·
»Und was pflegen Sie zu sam
meln?'« spottete die eine Frau. »Da
«menschuhe?«
»Oder HaarlockenZ Utn damit Ih
ren häuslichen Herd vollzuhiingen wie
die Jndianerhiiuptlinge es mit den
Stalpen thun?«
»Weder das Eine, noch das Andere
Jchöammle Lügen!«'
« ügen? Nun, die könnten Sie oft
genug finden.«
»Nicht fo viele, als Sie denken mö
gen. Die gewöhnliche, rohe Lüge in
teressirt mich nicht, so wie auch den Ge
rnsldesammler die Kleckserei des Schä
dermalers nicht interessirt . . .«
»Alle Sie interessirt blos die voll
tommene, die künstlerisch schöne Lüge.«
»So ist es. Es giebt unzählige
Grade der Lüge von jener des Schul
kindes bis zur Lüge der Frau, die mit
Mänenfeuchten Augen flüstert: Jch
liebe Dich!«
»Da find wir also schon wieder bei
den Frauen. Natürlich sind diese die
kapbaele und Tiziane der klassischen
Lüge«
.Je nachdem Jch meine dies
weder spöttisch, noch dorwurfsvolL Jch
passe die Lüge nicht. Nur Jene tön
nen sie mit unsmniger Verstocktheit
verachten, welche die Begriffe in Weiß
und Schwarz eintheilen, wie die Wür
fel eines Schachbretts. Das Schwarz
ist die Sünde, die Lüge, das Häßliche
—- das Weiße die Tugend, die Wahr
heit, die Schönheit Und das
Uebrige! Ich habe jedoch keinerlei
Miyeil hinsichtlich der Farben.«
Yleiben wir bei der Sache! Sie
sammeln die Lügen Jst Ihre
Sagnelurngereitz grojz?« «
Jmche ieyr. Man rinver so seyn-er
ein wirklich schönes Exemplar. Und
findet man es auch, so wird es Einem
von Anderen, die geschickter sind, vor
der Nase weggeschnappt. Bis jetzt habe
U im Ganzen elf in meiner Samm
hast«
«Alles selten werthvolle.«
»Nicht doch. Die Bezeichnung klas
sisch verdient blos eine; die Nummer
Jch nummerire nämlich meine ;
sunstgegenstiindh wie jeder Sammler.
Die Nummer Acht ist der Stolz mei
det Sammlung.
»Der Autor isi natürlich eine
Jesui«
»Nicht natürlich, sondern zusällig."
den Sie sie geliebt?«
« F Gott! Jch wollte sie heira
, aber vielleicht nicht aus Liebe,·
sondern aus Selbstsucht wie der Im
M. der sich das vielversprechende
- sin immer verpflichten will. Jch
sollte, daß sie stets nur mir lügen mö
s, immer nur mir allein . . . .«
Die beiden jüngeren Frauen wurden
s ernst. Aas der Stimme ihres
» s tlang eine schneidende Bit
mes ..... Bestemdet schan
. »- He einander an, wie die Tauben,
ii —- Ie ans dem smenbeschienen
Midas over-en Schatten ver Da
« Mk
» ell- MW »
M stellt schön. Ich könnte sie
M bät-seh nennen«
W
« .uuv des-noch —i«
.Sie war nicht schön. aber sie war
eine wirkliche Frau. Die wirklichste
Frau, die ich im Leben kennen ge
, lernt . . . .«
s »Eine wirkliche Frau? Die wirk
å lichste Frau?'·
s »Sie war weder jung, noch blühend;
i sie war diinn, kränklich und bleich, aber
i voll schmachtenden Reizes und wehmü
,thiger Süßigkeit. Auf rnich machte
sie stets den Eindruck, als oh das Le
ben ihrer Seele eine geheime, tödtliche
Wunde beigebracht hätte, und als ob
ihre Seele, die einst fliegen gekannt,
sich nur mehr miide fortschleppen wür
de. Doch in dieser Mattigkeit lag ein
sanfter, harmonischen einschmeicheln
der, anfchmiegender Zauber. Sie nä
- herte sich mir, wie ein kleines, krankes
- Thier: still, scheu, bittend urn einen
freundlichen Blick flehend. Sie war
Z unwiderstehlich. Sie können dies nicht
j verstehen, denn Sie können niemals
? die Wirkung der wirklichen. weiblichen
L Jnnigleit fühlen, Sie können sie höch
; siens Andere fiihlen machen.«
»Gut, gehen wir miterl« sagte eine
. der jungen Frauen.
I Sie wußten nicht, oh dieser Herr
; ernst rede, oder sie blos zum Besten
i
habe.
»Ich gehe nicht weiter. eh ich nicht ge
sagt habe, was ich sagen wollte . . . Sie
blieb auch in der Hingabe die wirkliche
Frau. Sie war weder pathetisch groß
miithig, noch cynisch philosophirend,
’ noch züchtig sentimental, sondern die
wirkliche Frau. Die Frau. welche fühlt,
· daß sre ohne den Mann nichts und Nie
j mand ist« Der Mann giebt ihrem Leben
den Inhalt und den Werth . . ·«
I »Der Mann ist die stolze Eiche und
; die Frau der Epheu. Als oh wir dies
; schon gehört hätten?«
«- »Reden Sie doch endlich von ihrer
Läg-.
I..-»t. -.-!k1-—I:-c IFL--— «l-«·
»vcc IUIIIIIC utklslksllq Csscsls akus
sisch. Mit einer gewissen tünsilerischen
Andacht Man konnte es ihr ansehen,
daß ihr die Lüge aus der Tiese der
Seele herauzwuchs; st: war allerdings
ihre Wasse, welche sie im Kampf ums
Dasein benützte, aber eine so blinkende
Waffe, deren Handhabung ihrEntziiclen
verursachte. Jch wußte stets, wann sie
log, denn dann verschönerte sich ihr gan
zes Wesen und sie war wirklich unwi
derstehlich. Jhre Augenpupillen zogen
sich dann ein wenig zusammen, ihr Ge
sicht, dieses kluge, traurige Gesicht, er
heiterie sich und nahm etwas Ueberzeu
gendes an. Wenn sie log, dann beweg
ten sich nerviis ihre Finger —- wohl mit
den Spitzen ihres Kleides oder mit
ihrem Taschentuch spielend und sagte:
»Du bist meine erste Liebe. Du hasi
mich lieben gelehnt Mein Gatte . . .
; Ach! ich war damals sehr unglücklich,
als . . .«
»Und Sie glaubten ihr?« sragte die
eine schöne Frau.«
»Ich glaubte ihr gar nichts. Jch
wußte, daß sie log, da ich aber, wie ich
die Ehre hatte, erwähnen zu dürfen,
ein leidenschaftlicher Amateur bin, so
betete ich sie eben deshalb an:
»Warum haben Sie sie dann nicht
geheirathet?"
»Weil ich eines Tages die Erfahrung
machen mußte, daß auch ihre Kunst
nicht vollkommen ist. Kann sein« daß
es auf diesem Erdball keine Vollkom
menheit giebt, selbst auf dem Gebiete
der Lüge nicht. Jch entdeckte aus mei
ner Nummer Acht einen solchen Fehler-,
der den Kunstwerih plöhlich ftarl her
abdriickte.«
«Wieso?«
»Nun-anei- Achr sagte namuch eines
Tages die Wahrheit und damit war
Alles zu Ende.«
»Und was sagte sie?«
»Jn einer schwachen Stunde hörte sie
auf irgend eine dämonische Einfliifte
rung und redete die Wahrheit: Sie er
zählte mir, daß sie schon vor mir einen
Geliebten gehabt habe . . .'«
Die beiden schönen Frauen schauten
eine zeitlang bestürzt ihren Kavalier an,
dann brachen sie in ein lautes Lachen
aus.
»Sie sind närrisch, lieber Herrs«
Der Mann schüttelte traurig das
Haupt.
»Für einen leidenschaftlichen Kunst- i
freund ist es etwas sehr trauriges,
wenn er plöslich entdeckt, daß sein
theuerster Schatz eine Fälschung ist . . ."
Die beiden Frauen lachten noch im
mer·
Die Dritte nahm an ihrer guten
Laune nicht Theil, sondern schaute un
verwandt nach dem Monde, der über
dem Gebüsch des Gartens emporstieg.
Dabei rann über ihr verweiltes Gesicht
eine Thränr.
» ------—-—s.--——..———
Erbauung.
Von R. B.
Der Begriff der Erlältung wird im
gewöhnlichen Leben für eine so aug
gedehnte Reihe von Erlranlungen als
Ursache angegeben, und es herrschen
über diesen Gegenstand so verschiedene,
bisweilen auch widersinnige Ansichten,
dasz es sich der Mühe verlohnt, über
dieses Thema einige Worte zu sagen,
um wenigstens anzudeuten, was die
Wissenschaft unter Erkiiltungsstanb
fetten versteht und wie sie sich die Er
iheinnngem die dabei austreten, er
l set.
Obwohl nun schon seit langer Zelt
über diese Frage wissenschaftlich gear
beitet und gefotscht wied, ist es doch
Mhtr noch nicht gelungen, einen ein
« seien set-seit zu erbringen.
Ieicht Umstan und welcher M
derselben eine Criältung veranla en
müßten. Diese Untlarhett erklärt ch
wiederum daraus, daß es ungeheuer
schwer ist. bei der Verschiedenheit der
hiebei in Frage kommenden Verhält
nisse ein einbeitliches, für jeden Orga
z nismus giliiges Gesetz auszustellen.
s Lebrt doch die tägliche Erfahrung, daß
dieselben Schädlichkeiten bei dem Einen
verhängnisvolle Wirkungen hervorru
fen, während sie an einem Anderen
spurlos vorübergehen.
’ Um nun der Lösung dieser interes
santen und praktisch sehr wichtigen
Frage näher zu kommen, bediente man
J sich zunächst des Thierdersuches. Man
läßt die Schädlichkeiten, deren Einfluß
« geprüft werden soll, aus Thiere ein
? wirten und versucht, die so gewonne
nen Ergebnisse auf die Verhältnisse des
menschlichen Organismus zu übertra
gen. Zu diesem Zwecke schloß Lassar
» rasirte Kaninchen einen Tag in einen
; Apparat ein« in welchem sie einer ton
z stanten Temperatur von 95 bis 98 ZXZ
s Grad Fahrenheit ausgesth waren.
t Hieraus wurden sie unmittelbar in eis
ialtes Wasser getaucht. Die Körper
Temperatur der so behandetten Ka
» ninchen siei um 18 Grad, und es siellte
; sich eine allerdings vorübergehende Nie
s renentziindung ein. Andere Forscher,
( die diese Versuche wiederholten und
« auch modifizirten, indem sie die Zeit
7 dauer der einzelnenVersuchspbasen än
? derten, beobachteten bei den Versuchs
" thieren Entzündungen der Lunge und
s anderer »Brng während merkwürdi
j gerweise bei e· · enGelehrten dieThiere
E vollkommen ge ndblieden.
) Nun darf man freilich diese waru
’ chen Erfahrungen nicht ohne Weiteres
s auch für den Menschen gelten lassen.
Denn wenn auch in den Versuchen die
Thiere rasirt wurden, so hat die Natur
doch Säugethiere und Vögel gegen den
Verlust ihrer Körperwärrne dadurch ge
schützt, daß sie ihnen Pelze, haare oder
Federn gegeben hat« während sie den
Menschen vollständig schutzlos dem
Wechsel atmosphärischerEinsliisse über
lassen hat. Dazu kommt noch ein wich
tiger Umstand: Jede Zone des Erd
balles hat ihre eigene Thierwelt, die
für das Klima ihrer Heimath ihrer
ganzen Organisation nach ausgestattet
ist. Nur den Menschen hat sie schutzlos
den Elementen preisgegeben und ihn
dadurch gezwungen, durch seine Klei
dung, ja seine ganze Lebensweise sich
für jedes Klirna, für jede Zone, sogar
für jede Temperaturschwantung seines
Wohnsitzes eigens auszuriisten Er
muß also durch seine Kultur demMan
gel der Nttur nachhelfen, um seine Ei
genwärrne trotz des wechselnden Ver
lustes zu erhalten.
Die Kälte bringt nun zweierlei
Krankheitserscheinungen beim Men
schen hervor: Die Erfrierung und die
; eigentliche Ertältung Die erstere wird
s hervorgerufen durch länger dauernde
s Einwirkung sehr niedriger Tempera
sturern während die Ertältungen ein
i ungeheueres Gebiet der wechseloollsten
; Erlranlungen in sich schließen, denen
i als Ursache die Einwirkung minder
niedriger Wärmegrade gemeinsam ist«
Wie schon angedeutet, ist die Ertäl
tung gleichbedeutend mit dem Verlust
des Körpers an Eigenwärme. Und da
ergiebt sich zunächst die Frage nach dem
l.:sprunge dieser Eigenwärrnr. Der
ganze Lebensbrozeß stellt sich bekannt
lich als ein Verbrennungsprozesz dar;
und wie bei jeder Art von Verbren
nung. entwickelt sich auch hierbei eine
gewisse höhere Temperatur-. Es ist nun
nachgewiesen, daß ohne jede Wärme
Abgabe an die Außenwelt die Innen
Ternperatur des Körpers in jeder hal
ben Stunde urn ungefähr 2 Grad Fah
renheit steigen wiirdr. Deshalb ist der
lebende Organismus daran angewie
sen, Wärme abzugeben, während er nur
einen gewssen Theil derselben zurück
behält, llnbetleidet fühlt sich der
Mensch oei di Grad Lusttemperatur
oder 95 Wassertemperatur behaglich;
das heißt. Wärmeproduttion und Elb
gabe halten sich bei diesen Außentempe
raturen die Wage. Sinkt letztere, dann
hat auch die Körperwörme die Ten
denz, zu sinken. Wenn sie nun thatsiich
lich nicht immer herabgeht, so liegt der
Grund hiersiihr in Reaktion-s- Bestre
bungen, die zum Theile dem Organis
mus innen-ahnen zum Theil aber auch
willkürlich von uns hervorgerusen wer
den. Dieser Wärme-Regulator funk
tionirt natürlich nur bis zu einem ge
wissen Grade, denn sehr langer Aufent- ;
halt in einem kalten Medium führt im- I
mer zu bedeutenden Temperatur- Ah- x
fällen und allen weiterhin zu bespre- i
chenden Folgen Dies ist umsomehr der «T
Fall, je wärmet der Körper ursprüng- I
lich war, sei es in Folge des Aufenthalts s
in überhitzten Räumen sei es durch
starke Bewegungen und lörperliche An
strengungen. Zu diesen Schädlichkei«n,
welche die Wärmebildung des Körpers
beeinträchtigen, gehört ferner langes
Verweilen oder gar Schlaer in durch
näßten Kleidern, in nassen Schuhen,
das hinauseilen in leichter Toilette
während einer kalten Winternacht nach
einem animirten Tanze. und noch man
che andere Dinge, die ein Jeder aus ei
« gner Erfahrung kennt.
« Wenn also das umgebende Medium s
einen Temperatur-grad besitzt, der be-!
deutend niedriger ist als die natürliche -
Körpern-arme, so musz der menschliche
Organismus an seine Umgebung Wär
me abgeben, wie ja jeder Körper das
Bestreben hat, seine Temperatur der del
umgebeuden Mediums anzupa en.
Beitr iebenden Organiuruz g die
ge hiervon zunächst eine teigerung
des herbeennungsprozesses, die
durch eine Vermehrung der Ko len
säure-Ausscheidung ausspricht. nd
lich gebt aber die Eigenwärme des Kör
pers herab und das darauf eintretende
Reaktions - Bestreben geht so weit,
daß der Körper nicht nur seine
Normal - Wärme wieder erreicht, son
dern daß die Temperatur noch weiter
steigt und eine bee erreicht, die wir
mit Fieber bezeichnen. Von ganz be
sonderer Bedeutung wird dieser Tem
peratur-Abfall fiir die Schleimhäute,
welche in einem unmittelbaren Zusam
menhange mit der Auszenluft stehen.
Wir sehen deshalb die Schleimbiiute
der Nase, der Mundhöble, des Kebltos
pfes, der Luströbre, aber auch die der
Augen vorzüglich oft unter der Wir
kung der Kälte leiden. Die Tempera
turwirtung erstreckt sich dabei nicht blos
auf die Oberfläche, sondern geht auch in
die Tiefe, wo Crtiiltungen der Bauch
organe, des Darmes, der Nieren aus
treten. Viele Ertrantungen der Lun
ge, des Brustfelles, sogar des Rücken
marts erklären sich auf diese Weise.
Die Kälte wirkt aber nicht nur aus
die Temperatur des Körpers ein, sie
nimmt auch einen sehr bedeutenden
Einfluß auf das Blutgesäß- und Ner
i vensystem.
-.- ....- .—· —
z auf die Blutgefäsze. Das in diesen
I befindliche Blut muß daher von jener E
! Stelle, auf welche die Kälte einwirkt,
I gegen das Jnnere des Körpers zurück
Z weichen. Diese zurückgedrängte Blut
; menge feblt dann einerseits der Stelle,
s von welcher sie verdrängt wurde, an
z dererseits steigert dieselbe aber den
E Blutdrucl im Körper. Gesunde Jn
! nengefäße halten diesem Andrange
F leicht Stand. Anders aber bei krank
s baft veränderten blutleitenden Orga
s nen; bei erhöhter Brüchigkeit und Ent
; artungszuständen derselben, bei Herz
J krankbeiten u. s. w. ergiebt sich daraus
eine Reihe aefabrboller Zustände, die
durch die Einwirkung der Kälte her
vor-gerufen werden.
Was die Wirkung der Kälte auf die
Nerven anbelangt, brauchen wir nur
daran zu erinnern, welcher Schmerz
dadurch hervorgerufen wird, wenn ein
kalter Luftstrorn einen in einer Zahn
liikle freiliegenden Nerv trifft; Läh
mungen des Gesichtsnerves nach Ein
wirkung starker Zugluft, das Auftre
ten der gefürchteten Jgchias sind nichts
anderes als Kältewirkungen auf Ner
Ven.
Es eriibrigt uns nun noch, ein wei
tes Gebiet der Temperaturwirkung we
nigstens zu streifen, das ist die reflek
torische Kältewirkung Es wurde nach
gewiesen, daß, wenn sich die Blutgesä
ße des einen Armes durch Kälte zusam
menzieben, die symmetrischen der an
deren Seite in gleicher Weise leiden.
Diese Fernwirkung die wir Reslex be
. zeichnen, erstreckt sich mitunter nicht nur
; aus ein symmetrisch gelegenes Gefäß
T gebiet, sondern kann sich in allen mit
xeinander zusammenhängenden Gefäß
k prodinzen äußern. So wurde beob
s achtet, daß die Blutgefäße der Nase und
J der hitnhäute sich bei Anwendung kal
ter Sitzbäder verengern. Die Gefä
ße der Lungen sollen sich zusammen
; ziehen und Lungenblutungen dadurch
: gestillt werden« daß man beide Vorder
Earrne in kaltes Wasser taucht. Der
J Einfluß der Mille beschränlt sich nicht
» — . Durch diese
« sz « sich der plötzliche
.. . »Hei vielen Men
» · Ue in kaltes Was
ser steigen- « das Besprengen mit
kaltem WaMk tin sehr energisches
c Reizmiltel ist, das zur Wiederbelebung
Ohnmächtiger oftmals angewandt
wird, ist ja allgemein bekannt
l ch Halle Wltlssllsammcllslchclld »
Und nun oa wir gleichsam im Fluge ;
das weite Gebiet der Erlältungslranb l
heiten durchmessen, die Gefahren ten- i
nen gelernt haben, mit denen jene die ,
Gesundheit, ja ost das Leben bedro- j
hen, ist wohl die Frage berechtigt, wie s
wir uns am wirksamsten gegen diesen H
Feind schützen sollen· Die wirksam- s
ste Waffe ist unsere Kleidung. Wir «
umhüllen den Körper mit Stoffen, die (
als schlechte Wärmeleiter den Verlust I
des Körpers an Wärme herabsetzetn ·
Wasser entzieht, wie wir oben gesehen l
haben, viel mehr Wärme als Lust, und l
darum schädigen nasse Kleider den Or- ;
ganismuk dadurch, daß derselbe. von i
diesen umgeben. sehr viel seiner Eigen- ’
wärme verliert und in Folge dessen al
len möglichen Ertältungseinsliissen
unterliegen kann. Schweißbildung
durchseuchtet auch die Kleider und geht
durch legtere eine bedeutende Wärme
menge dem Organismus verloren. Je
mehr Feuchtigleit die Kleidungsstosse
auszunehmen im Stande sind und
sgleichzeitig für die Lust durchgängig
s bleiben. desto gesiinder sind dieselben
Wie oft hört der Arzt die Klage einer
sorgsamen Mutter, sie degreise nicht,
wie ihr Kind sich habe deriiihlen tön
nen, da es doch immer so warm gehal
ten und vor jedem bösen Lusthauche ge
schüht werde. Das Kind trägt aus
dem Kopfe eine warme Mütze, den
hals schildt ein Wolltiichlein, unter
das hemd erhält es ein Tricotleibchem
dazu kommen noch ein warmer Anzug
und der Winterrock. Aehnlich sind dann
auch noch die Beine und Füße vers-act
Ueberdies wird es noch mit warmem
Wasser gewaschen, lurzum es geschieht
Alles, den Körper zu oertveichlichen,
mit anderen Worten, gegen Witte
rungseinsliisse noch empfindlicher zu
machen. Das ist eine schlecht use
hrochte Sorge, denn gerade in der b
hiirtung in der Gewöhnung des Mir
ders an die Kälte bestgen wir ein
weiteres ausgezeichnetes Mittel, diesen
gegen Verkühlung widerstandsfähig zu
machen. Eine Waschung mit kaltem
s Wasser-, sriih Morgens vorgenommen,
; erfrischt und belebt nicht nur, sie erhält
; auch gesund. Auch hierin bestätigt sich
der alte Ersahrungssatz, daß die Ge
wöhnung an die unvermeidlichen
sSchädlichkeiten unseres Daseins uns
« dauernd gegen dieselben schütt.
——-——-. so-——-—--- —
I
E Zieimmeln
jaine Doksgeschichte von L. Gruß.
Oktober war’s, Lesezeit : Arbeit,
Fröhlichkeit, Waldhornblasen und Ra
tetenwersen. Das Wachholdermarie
chen aber, das überall aushilst und
sonst allezeit fröhlich ist, läßt den Kopf
hängen und weiß nur halb, warum
Sie nannten sie die Waisenmarie,
denn sie war bei fremden Leuten auf
gewachsen und hatte nur einen Pflege
bruder übrig behalten: den Waither
Franz, den besten Burschen im Land,
den gescheidtesten Kopf, und ihr Lieb
ster war er auch —- wenn er nur nicht
so phantastische Zukunftspliine ge
macht hätte!
Da kam er, um sie abzuholem im
hellen Laus nahm er die Weinberg-;
treppchen und schon von ferne rief et
ihr zu: »Juchbe, Mädel! Jetzt tommt
das Glück! Jetzt tönnen wir heira
then !'«
Sie setzte sich aus die Steinbank, so
zitterten ihre Knie. Das Glück? Hei
rathen? Das war ja gut. Da konnte
die Muhme, die ihnen aus Freund
schaft haushielt, wieder aufs Dorf.
»Freilich sieht das Glück anders aus«
als wir«s uns träumen, das ist nun so
—- das Leben giebt uns nur das rohe
Eisen, schmieden miissen wir’s uns
schon selber.« Und dann erzählte er,
daß ihm in New York eine Stelle an
geboten sei, von einem Vaterbetannten,
der drüben sein Glück gemacht hatte
»Wir sind jung, Jugend muß tapfer
sein.«
---.· .- —- -»
Martrchen pay uver oie medenaugel
bin Iund sagte mühsam: »Nach Ame
rila.«
Jhm wurde unbehaglich tu Muthe.
Ja, freute sie sich denn gar nicht0 —
Auf einmal sagte sie: »Wenn Du noch
wartetesi, betänist Du gewifz hier eine
ebenso gute Stelle.«
»Nein« so eine trieg’ ich hier nicht,
hier kommen wir nie auf einen grünen
Zweig, dort brauchen wir einfach hin
aufzufliegen. Wenn Du mich lieb hast,
freust Du Dich, daß wir endlich fo weit
sind. Und denkst an nichts, als daß
wir da drüben glücklich sein werden«
»Da drüben,« sagte sie wehmiithig,
streichelte ihm aber dabei die Hand, als
wollte sie etwas abbitten.
Wie sie nachher durch die Stadt gin
gen, an den alten Kirchen vorbei mit
dem gothischen Zierrath, an den Deut
mälern, deren Marmorleiber leuchteten,
durch trauliche Gassen und stolzePrunt
straßen, da sagte sie: »Das soll ich nie
tviedersehen!'« . . . .
Sie iiihrte ihn nach dem Friedhof.
Ver würde nun die Gräber der Eltern
pflegen?
»Mir tragen’S dem Todtengriiber auf
—- an die Todten deuten ist mehr, als
Rosen für sie pflanzen.«
Er hatte ja recht, und doch machte
sie’s weinen. daß hier der Todtengräber
hantiren sollte, dem alle Gräber nur
eine Nummer waren. —- Von den Ber
gen stiegen Rateien aus, irgendwo san
gen sie: Morgen muß ich fort von hier.
Da schluchzte Mariechen hell auf:
»Ich lann nicht, ich lann nicht.«
Fronzen’s gutes Gesicht wurde blasr
,«Komm’ heim,'« sagte er freundlich.
»Du besinnst Dich noch.«
Sie besann sich, ach Gott« »so oiel«.
Sie bedachte sich am Tag und bedachte
sich bei Nacht, aber sie tam zu leinem
andern Schluß: Ich tann nicht. -— Ob
sie an künftigen Reichthum dachte oder
an den gesegneten Eheftand, das Heim
weh verdunlelte Alles: Jch tann nicht«
Er sagte ihr, daß er nicht mehr zu
riiel tönne —- das verschärste ihr herz
weh, aber half ihr nicht«
Die Muhme dankte ihrem herr
gottle, daß sie wieder aufs Dorf durfte
—- ein Tag tam, da fuhr der Franz
früh davon und die Muhme am Mit
tag· «Behiit’ Dich Gott,« sagte er,
»wenn Dir'z leid wird, tomm’ nach.«'
—- Sie aber schüttelte den Kon und
bat mit matter Stimme: »Komm'
wie-den«
« . . - «« -
Die guten Leute uno Nachbarn san
den es recht verständig, daß er erst mai
; auf bie Probe hinüberginge. Marie
’ chen aber saß im leeren Haus und
sehnte sich zwiefach: mit ihren lebendi
gen Wirttichteitsgedantem nach dem
Franz und mit ihren Phantasiegedan
ien in seiner Seele nach der alten Hei
math.
Er schrieb ihr, dasz er’s reichlich ge
sunden sehe, wie man’s ihm versprochen
gehabt. und dasz auch über New Yort
bie Sonne ausgehe und der Mond sich
runde nnd dahin schwinde in ewigem
Wechsel, wie daheim.
Sie weinte, als seine Stimme so
vernehmlich aus den sesten Buchstaben
zu ihr redete, aber die Kette, vie sie an
die heimatb schmiedete, schien mit je
dem Tage sester zu werden« Das
Antworten-wurde ihr biutsauer; da
ianr ein zweiter Brief: »Bist Du trank?
Warum schreibst Du nichts Das ist
unrecht von Ditt«
Nichts von der Schönheit und dem
guten Leben dart, wie das erstemal. —
l
M
Es geht ihm schlecht, da te sie, Vater
im himmel, was soll i thun?!.—
Sein froher Brief hatte sie nicht irre
gemacht, seht, wo er bange schrieb,
wurde sie unsicher. .
Sie schickte gleich eine Karte: sie sei
gesund, aber wie’s ihm gehe? Und zu
leht: Die Gräber sind noch alle grün.—
Dann trug sie Kränze hinaus und
kämpfte mit ihrer Sehnsucht. »
Wie sie so dasasz in ihrer Rathloscgs
leit, kam der Propst gegangen, der»die
Waisentinder eingefegnet. Der gruszte
sie freundlich und sagte: »Wann geht«
dcnnnun nach Amerika, Mariechen?«
Sie sah ihn verwirrt an. Gar nicht
Tzweifelhaft war’s ihm. dasz sie nach
: Amerika ginge? Rechnete er denn frir
: nichts, was sie hier festhielt? — Und da
. strömte es der Schüchternen plötzlich
I
)
uber die Lippen: von den Bergen rings
um und dem Neckar und der Heimathss
erde nnd den Gräbern, die sonst Keiner
lieb hatte.
»So, so?" — Der Probsi sah Ma
riechen nachdenklich an. und sie schaute
ihm flehend in die Augen· —- Ach, daß.
er doch sagen möchte: Du haft recht,
mein Kind, Du bist eine Heldim Dein
Leiden wird Dir im himmel vergelten
werden. .
Er aber fragte: Hast Du ihm denn
gesagt, daß Du ihn nicht mehr liebst
und freigiebst?« — »Nein«. antwortete
sie erschrocken. »Ich lieb’ ihn doch noch!
Komm’ wieder. habe ich gesagt.«
Der alte Herr schüttelte den Kopf:
»Das ist mir eine wunderliche Liebe.
Du bleibst daheim im behaglichen
Gleis, er geht in die Welt und arbeitet
siir Euch. Statt ihm ein Stück Heimath
in der Fremde zu pflanzen, wrllft Du
ihn übernommenen Pflichten abspenftig
machen. Kornrn’ wieder, hast Du ge
sagt? Ja. wenn Du mitgegangen wärst,
Dich mit ihm durchgelämpft hättest
durch Leben und Heimweh, und Ihr
hättet’s erreicht. dann dürftest Du bit
ten: Nun lomm’ heim! Nun wollen wir
dem Vaterland bringen. was wir der
Fremde abgerungen haben.'«
Mariechen sah den alten Herrn ent
1 letzt an: Also nicht einmal recht hiitte
sie gethan bei all ihrem Weh und ihrer
Sehnsucht? Sie fing bitterlich an zu
weinen.
« hintibergezogenz
»Mein gutes Kind. vergiß Dich sel
ber und denke nur an den Andern, und
dann sage mir. was Du thun willst. Wo
Du hingehst. da will auch ich hingeben;
wo Du bleibst. bleibe ich auch, nur der
Tod kann Dich und mich scheiden. So
spricht Liebe und Treue.«
Darauf ließ er Mariechen mit ihren
Thränen allein.
Zwei Tage später waren die Gräber
nicht mehr grün, nackter Frost färbte sie
braun; dann kamen schüchterne Schnee
sloclen· die das Land einzuhiillen ver
suchten; aber immer schmolzen sie wie
der, und Mariechen’s Herz that weh,
wenn tie kamen, und weh, wenn sie gin
gen: »Nun ist er allein in der langen
Dunkelheit in der Fremde.«
Aber die Heimath hielt fest und die
Gräber hielten fest.
Die Adventsruhe begann. die Laden
putzten und bauten auf, sogar von Tan
nenbäumen war schon dieRede, und kein
Brief kam von drüben. —- »Er ist trank
—- Keiner pflegt ihn —- er ftirbt."
Jetzt schneite es, die Flocken blie
ben feft und bauten einen Wall auf. der
Mariechen eine Kerkermauer schien, die
sie auf ewig von ihrem Franz trennen
wollte.
Da riß sie ihr Tüchlein vom Nagel,
- lief zum Provst und rief ihm schon in
der Thiir entgegen: »Ach, helfen Sie
mir! Jch muß zu meinem Franz, er
darf doch Weihnachten nicht allein sein.«
Der Provst half-; er redete dem zit
ternden Herzen Muth ein. er übernahm
das Häuschen. er schaffte das Reisegeld,
er besorgte die Papiere, er belehrte fie
über Reise und Seefahrt. —- So kam sie
schnell fort, noch halb im Traum ge
langte sie auf's Schiff ; dann aber hatte
sie eine Woche Zeit zum Denken und
Bangen. —- Sie spürte nichts von Wel
len und Sturm, sie sah immer nur
rückwcths drei verschneiete Hügelund
vorwärts ihren Franz, einsam in win
terlicher Dunkelheit, mit eimweh und
Sehnsucht im Herzen. as gab ihr
Muth —- der Glückliche hätte sie nicht
.- «
An einem frosttlaren Morgen lag
ihr Dampfer im hafen. Franz hatte
Recht. Die Sonne schien hcer wie da
heim, eine fanfte hoffnung drang in
Mariechen’g wundes herz: nun war
sie bei ihm. —- Freilich, ehe sie sein Zim
mer gefunden hatte« verging noch eine
bange Zeit. endlich ftand sie davor und
die Wirthiu verstand sogar Deutsch.
»Herr Franz Walther? Kommt erst
um 6 Uhr aus dem Geschäft.«
Mariechen durfte warten. Die Wir
ihin war gar zu neugierig, was das ge
ben würde; gewöhnlich freuten sich die
hübschen. jungen Männer nicht, wenn
ihnen Eine von zu hause nachgereift
kam. —- Diesmal aber hatte sich die
weltkluge Frau geirrt. Als Franz die
Thür aufriß und des Mädchens ansich
ti wurde. das immer noch in Hut und
Jackchen ganz still am Fenster saß, ftieß
er einen richtigen Weinbergsjuchzer aus,
umfaßte sie und hob sie hoch in die Luft.
» «Mariechen. mein Wachholder-Mai
Zifchenl Gott fei Dant, daß Du da
it.« -
Da fiel das letzte Stück der Kette von
Ehr ab. »Ja, Gott sei Vani, dafz ich da
rn.«
Vier Wochen fpiiter standen fie am
Altar. .
---Is.-- --- «
V e rl hier ist der 1863 zu Löhne
eborene Arbeiter heinrich Bredentats
; er todt ausgefunden worden.