Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, December 21, 1900, Sonntags-Blatt, Image 15

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    - »Am-WIN
W .-...»-...—..
BkkiilmitlIeiL
Novelle von Fulvia.
W
1
Settala, der berühmte Arzt und
Operateue, hatte von vier bis siinf
Uhr Sprechstunde. Jn dem einfachen
ein wenig dunklen Wartezimmer sp
szen schon viele Personen, zumeist Da
men der Aristotratie, deren eleSCMte
Eauivagen vor dem Hause hielten
Von Zeit zu Zeit öffnete sich die
Thiir im Hintergrund des Zimmers;
ein kurzeö. trockenes ,,Adieu« begleitete
den Weggehendenz dann trat eine an
dere Person ein und die Thin schloß
sich wieder.
Auf dem dunkelgrünen Kanapee
ruhte halt-liegend die Contessa Nar
Ziucei und piauderte mit einer Freun
n.
»Ich will Settaln fragen, ob er
mich diesen Sommer nach Levico eder
nach Recoaro sendet. Wenn er nicht
so eigen wäre, würde ich ihm direlt
sagen, mich nach Recoaro zu senden ..
die Faviani geben hin, die Sang
lauter nette Leute; aber mit Settala
ist nicht zu spaßen.«
»Versuch; es nur gar nicht; wenn
Du wüßteft, wie er mich vorgestern
angeblickt hat, als ich ihm erklärte,
nichts von Salsomaggiore wissen zu
wollen! . . . . Jch konnte den Blick nicht
aushalten Er ist ein Bär, dieser
Männ, aber wie könnten wir armen,
leidenden Frauen ohne ihn lebeni«
Die Coniessa sliisterte ihr leise et
wiis zu. Die andere verzog das Mäul
T »Vah! . . » Ich glaube, er hat gar
kein Herz, sondern einen Stein an
dessen Stelle. Uebrigens, als er jung
war, wird et auch nicht anders gewe
sen sein, als die anderen .. . .«
»Aber er ist noch nicht alt, Liebste,
höchstens vierzig.... und ein schöner
Wann «
An die saden Schmeicheleien der
Herren ihrer Kreise gewöhnt, gefiel
es diesen Damen, sich von dem Manne
mit der gedantenvollen Stirn, dem
nie ein Lächeln abzulocken war, rauh,
fast mit Härte behandeln zu lassen.
Das Wartezimmer leerte sich schnell;
Setiala war immer turz angebunden,
denn seine Zeit war kostbar.
Als die Contessa mit triumpl)iren
der Miene das Sprechzimmer verließ,
tam die Reihe an ein blasses, mageres
Mädchen, welches bisher still in einer
Ecke gesessen hatte.
Sie stand vor dem berühmten Arzt
in dem bescheidenen, schwarzen Kleid,
mit dem selbstgesertigten Hütchen, und
spielte mechanisch mit den Schleifen
ihres Sonnenschirmes, ohne sich ent
schließen zu tbnnen, zu sprechen.
»Nun?«
Schlecht verbehlte Ungeduld lag in
dieser lnappen Frage.
Sie zuclte zusammen, das blasse
Antliß särbte sich purpurn und die
blauen Augen iorschten ängstlich in
seinen unbeiveglichen Zügen.
»Ich bin nicht meinetwegen gekom
men sondern siir meine Mutter."
,,Bedaure, ich musz die Kranlen sel
ber sehen.« .
Die zarte. behende Stimme, das
öngsiliche und doch so graziöse Ge
schöpf machten gar keinen Eindruck
aus ihn. Er hatte zu viel gesehen und
zu viel gelitten im Leben, um nicht ge
gen dergleichen getoappnet zu sein« Er
erhob sich brüst. Das war eine Ver
abschieduna.
Sie verstand es, und der verwun
dete Stolz, der einen Moment in ihren
Augen ausblitzte, gab ihr die Fesiig
keit wieder.
»Ich weis; das. Aber meine Mut
ter liegt seit Langeni an einem Tumar
darnieder und die Aerzte halten die
Operation für unerläßlich Sie
. haben mir gesagt, daß nur Sie diesel
be mit einiger Aus-ficht auf Erfolg vor
nehmen iönnen . . . .
Setiaia zudte nicht mit der Wim
per. Was war dies schiichternc Lob
ihm, den die ganze Welt pries-?
»Ich kann sür nichts garaniiren,
und ehe ich entscheiden iann, ob die
Operation zulässig ist, muß ich die
Kranke sehen.« Er hatte sich wieder
niedergelassen und sein Blick ruhte
gleichgiliig aus dem Mädchen, welches
von ihm das Leben seiner Mutter er
slehte.
»Ich möchte noch fragen Sie
entschuldigen . aber ich kann nicht
anders. Unsere Verhältnisse gestat
ten keine großen Opfer . . . . Jch möchte
Sie bitten, mir zu sagen . . . . ungefähr
. . . .« Die Worte fallen hart, geqniilt
von den erblaßten Lippen des Mäd
chens, man hört aus ihnen den
Schmerz einer stolzen Seele, die sich
demüthigen muß.
Er unterbricht sie mit einer Hand
bewegungx »Bringen Sie Jhre Mut
ter in's hospitah ich werde die Opera
tion unenigeltlich vornehmen.«
Es sollte keine Beleidigung sein; er
hatte gesprochen, wie. schon hundert
mal, seit er berühmt war. Er erin
nerte sich sehr gut, daß auch er arm
gewesen war und die Welt grausam
gesunden hatte.
Sie aber guckte zusammen, wie un
er einem Schlag, um sich dann um so
energischer auszurichten Es lag eine
eigene Würde in dem blassen Antlitz,
als sie nun in festem Tone sprach:
»Meine Mutter wird nicht in das
Hospital geben. Man kann arm sein
nnd doch auf Almosen verzichten. Sie
stellen Jhre Forderung und wir wes
p»,-·- .
il
W IT, ,« -».,
«- den bezahlen. Wann können Sie kom
nien?'«
Settala zögerte einen Moment, ein
I Ausdruck von Ueberraschung zeigte
s sich auf seinem dunklen Gesicht. Dann
streckte er langsam die Hand nach.
einem Blatt Papier aus:
»Ihr Name?«
s ,,Silvia Foligno.«
; »Die Adresse?«
. Sie gab sie ihm; dann wiederholte «
I sie ihre Frage: »Wann glauben Sie I
i kommen zu können?« !
l
I
i
! »Das lann ich nicht genau angeben. ·
Jch habe zu viel zu thun; in zwei Ta- «
gen spätestens.« I
i Sie gab nicht nach: »Ich muß es ;
» bestimmt wissen; ich bin Lehrerin an I
E dre Voltsfchule und will mir den Tag, .E
H an dem Sie kommen, freigeben i
z las sen « ;
I Er erhob den Kon und sah ihr in ·
die Augen. Jede Spur von Furcht
zwar bei ihr verschwunden; sie sprach
» mit erhobener und fester Stimme. Die
? Beleidigung hatte den Altar zerstört,
Iden sie ihm in ihrer Seele errichtet
hatte das Ideal war gefallen und nur
Ider Mensch geblieben, den sie jetzt wie
i andere Menschen behandelte
? »Ich werde morgen Mittag korn
1 men!
»Ich danke Jhnenf sagte das
Mädchen an der Thür, welche er ihr
geöffnet hatte.
»Guten Taa."
Jm Wartezimmer saßen noch einige
Personen; die Fürstin Lugo hatte
schon ihre Karte hineingesandt, aber
obwohl noch zehn Minuten auf fünf
Uhr fehlten, lief Settala sagen, er
lönne Niemand mehr empfangen.
2.
Settala hatte nach einer kurzen
Untersuchung die Operation fiir drin
gend erklärt und nun, zwei Tage nach
Silvtas Besuch, befand er sich mit
seinen beiden Assiftenten im Zimmer
der Patientin, während Silvia ohne
Thränen, fast ohne Athem, die Hände
fest auf das angstvoll pochende Herz
gepreßt, in dem kleinen, peinlich sau
beren Wohnzimmer faß.
Frau Eleonore, eine Wittwe, welche
die gleiche Etage bewohnte, leistete ihr
Gesellschaft. Sie faß auf dem be
quemsten FauteuiL die fein beschuh
ten Füße auf das gestickte Fußbänl
chen gestemmt. von Zeit zu Zeit an den
loketten Löckchen von einem verdächti
gen Blond zupfend.
,,Beruhigen Sie sich« —- sagte sie
zum zehnten Male zu Silvia — »Sie
werden sehen. es geht Alles gut. Jch
habe schon einer ähnlichen Operation
beigewohnt, bei einer meiner Konsinen,
die ein paar Stunden später in diesen
meinen Armen starb. Aber sie war
schon viel älter als Ihre Mutter.«
Die Thiir des Krankenzimmer-z
öffnete sich und Settala erschien auf
der Schwelle. Frau Eleonore eilte
ihm entgegen, die Arme in tragischer
Pose erhoben.
»Oh, Herr Professor! Welche Angst!
Wie ist es gegangen? . . . Wenn
Sie wüßten, was ich gelitten habe.«
Er trat einen Schritt zurück und
maß sie vom Kopf bis zu den Füßen,
dann suchte sein Blick das schmerzvers
zerrte Gesicht Silvias. Er näherte
sich ihr rasch, und sich zu ihr herab
beugend, als ob er mit einem Kinde
spräche, sagte er im Tone ruhiger
Sicherheit« durch den unbewußt ein
wenig Triumph zitterte: ,,Alles geht
aut«.
Sie preßt-: irampshast die Hände
ineinander. um den Aufschrei der
Freude, der leidenschaftlichen Dani
barleit zu ersticken, der sich aus ihrem
Herzen aus die Lippen drängte. Wo
zu weinen, ihm danken, ihm huldigen
wie einein Gott, da das Herz dieses
Mannes von Stein war?
Seitalawandte das Antlitz ab, eine
finstere Wolke beschattete plötzlich
seine Stirn. Es war das erste Mal,
daß man ihm den Weihrauch verwei
gerie·
s IV », M
Die Gefahr war- iiberwundem aber
es blieb immer-noch eine schwere Re
ionvaleszenz voll plötzlicher, unvor
hergesehener Rückfällr. Silvia ging
wesenheit kam Frau Eleonore von
Zeit zu Zeit, um nach der Kranken zu
. sehen.
»Viel schlechter als gestern,« sagte
eines Tages der Professor, als ihn die
: trie
ihtem Munde entschlüpft.
»Warum? Was giebi’si Hatte
die Kranle vielleicht irgend eine Be
wegung? Sprechen Sie, der Arzt soll
Alles wissen.«
»Mein Gott, Sie bringen mich in
schreckliche Verlegenheit. Jch mußte
Was wollen Sie . . . gewisse Dinge . ."
Geheimniß bewahren«.
Mit vielen Seufzern und schmach
tenden Blicken erzählte nun Frau
Eleonore:
»Sie wissen es wohl nicht, daß die
« arme Frau Foligno noch einen Sohn
that, der schlimmer als ein Vampyr
der armen Frau das Blut auszu
I saugen versteht. Fräulein Silvia ist
)ein Engels sie quält sich tagsiiber in
. der Schule und am Abend arbeitet iic
noch fiir verschiedene Stickercigp
schäste« aber sie kann auch keine Wun
wieder zur Schule und in ihrer Ab- t
interessante Wittwe zur Thiir beglei-;
»Ta; glaube ich!« unwillkürlich «
waren die Worte, die sie sofort bereute, I
Silvia versprechen, nichts zu sagenJ
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«Sprechen Sie ruhig ; ich werde das l
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der thun und der ganze Haushalt liegt
doch auf ihren Schultern!.... Und
dann die Krankheit, die Dot .....
kurz, Sie werden mich begreifen. Nun
gut, gestern Abend erschien jener
Mensch, der sich eine Zeitlang nicht
hatte sehen lassen, plötzlich wieder. Es
gab eine der gewöhnlichen Szenen,
welche die Mutter furchtbar ausregteJ
und um ein Ende zu machen, gab ihms
Fräulein Silvia eine kleine Summe,
welche sie wie einen Schatz gehütet, i
sich selbst vom Munde abgespart hatteJ
die Aermste..
»Ich empfehle mich. « Und Settala
sprang, ihr das Wort im Munde ab
schneidend, die Treppe hinunter, den;
Hut tief In die Stirn gezogen
»Welch’ sonderbarer Menschl« mur
rnelte Frau Eleonore, die wie zur
Salzsäule erstarrt stehen geblieben
war. —-- »Ich hätte ihm das nicht er
zählen sollen, aber es schien ihn doch
zu interessiren. Ja, die gelehrten
Männer haben eben alle ihre Eigen
heiten . . . . und dann . . .. er ist nicht
der Erste, der mir gegenüber den Kopf
verliert.«
s.
O
Settala, in seinem Wagen sitzend,
dachte : »Ich gehe nicht mehr hin, es
ist unnöthig jetzt.«
Aber dann rief er dem Kutscher zu :
»N. - Straße, Nummer . . .,« und der
Wagen hielt vor Silvias Wohnung.
So ging es seit zwei Monaten.
Die Ferien hatten jetzt begonnen und -
Silvia war immer zu Hause. Eines ;
Tages sagte Settala plötzlich zu ihr:
»Es wäre nöthig, Jhre Mutter auf ;
das Land zu bringen , die reine Luft i
wäre das beste Heilmittel. «
Sie antwortete nicht.
,,Haben Sie verstanden ?« fragte der "
Professor.
»Ich habe verstanden , aber wir
ionnen nicht· « Es war die Wahr
heit, aver es fiel ihr unenouch schwer,
sie vor ihm auszusprechen
Er hob zerstreut eine angesangene
Arbeit aus dem aus dem Tische stehen
den Korb :
»Sie sticlen ?.. .« Aber er vollen
dete den Satz nicht ; es siel ihm ein,
was die Wittwe erzählt hatte. Es war
eine ausgezeichnete, künstlerische Jmi-—
tation alterthümlicher Zeichnungen.
»Seht schön !« sagte er überzeu- i
gungsvoll. Dann plötzlich :
»Ich habe ein ganzes Zimmer voll
Stickereien und dergleichen, die mans
mir verehrt hat. Jch mag das Zeug
nicht sehen. Leuchtende Blumen und
Jmmergriin schlingen sich um die un
wahrscheinlichsien S in Gold oder Sil
ber, gelrönt von den emphatischsten
Widmungen. Eine Frau aus dem Ho
spital hat mir eine ganze Rede gestickt:
Dir, o Wohlthäter der Menschheit ——
und darunter ein Sortiment von chi
rurgischen Instrumenten —- ein ent
setzliches Ding !«
Sein verächtlicheg Lachen machte die
Worte scharf, wie Peitschenhiebe.
Silvia hob die traurigen Augen:
«Jene Arbeit hat wahrscheinlich viel
Zeit und Mühe gekostet. Eine liebens
würdige Absicht, schlecht ausgedrückt.«
Er zuckte die Achseln : »O, die gu
ten Absichtenl —— Wissen Sie nicht,
daß die Hölle damit gepflastert ist Z«
»Vielleicht auch das Paradies.«
Wie das Lächeln das zarte Antlitz
kleidet ! —- Aber sie wurde gleich wie
der ernst. Sie mußte sich entschließen,
zu sprechen. Seit langem qyälte sie
dieser Gedanke. Er kam jetzt fett zwei
Monaten und sie fühlte, wie ihre
Schuld sich vergrößerte, ins Ungemes
sene wuchs für ihre bescheidenen Ver
hältnisse. Den Armen ist es nicht ver
gönnt, sich von einem Settala heilen zu
lassen ! . . . .
Aber ehe sie ihren Mund öffnen
konnte, drehte der Professor ihr plötz
lich den Rücken und eilte fort, sie kaum
grüßend.
4
Der Wagen hielt vor dem Thore.
Frau Eleonore lief ans Fenster und
streckte den mit zwei Reihen Locken
toickel derzierten Kon hinaus.
»Du meine Güte, wirklich der Pro
fesfor t« . . . . rief sie, an Siloias Thür
eilend. — »Es ist das erste Mal, daß
er so früh kommt . . .. Wenn ich das
gewußt hätte ! . . .. So kann ich mich
nicht sehen lassen. Silvia, grüßen Sie
ihn bitte von mir."
Der feste Schritt des Professors er- ,
tönte auf der Treppe und nöthigte die
Wittwe zum Rückzug.
»Heute l« murnielte Silvia, sich mit
der etwas behenden Hand leicht über
die Stirn streichend.
»Seht gut. Jch bin endlich zufrie
den mit Jhuen,« sagte Settala scher
zend zu dsr Kranken»
Diese lickte ihn mit unendlicher
Dankbarkeit an, aber sie gab Silvia
einen Wint.
Silvia verstand, sie erblaßte noch
mehr und das Beben wurde immer hef
ti er. Um anzufangen, entledigte sie
siå erst ihres Auftrages
«Frau Eteonore hat mir gesagt, Sie
zu grüßen.«
« »Wer ist Frau Eleonore?«
Die Dame, welche Sie öfter hier
sa en."
»Sind Sie ihre Freundin?« fragte
der Professor lebhaft, sie mit forschen
dem Blick betrachtend.
Aufrichtig wie immer antwortete
Silvia: »Freundin nicht. Aber ich
schulde ihr sehr viel Dantbarteitz sie ist
herzlich, aufmerisam ...«
»Nun, dann sage ich Ihnen, daß ich
—:: —
sie nicht leiden iann."
Der Kontrast zwischen dieser brüs
ten Erklärung und den Jllusionen der
Wittwe zwang Silvia unwillkürlich ein
Lächeln ab.
Er beugte sich leicht zu ihr. ,,Wes
halb lachen Sie?« fragte er sanft. Und
als sie nicht antwortete: »Nein, sagen
Sie nichts; es ist unnütz. Ich weiß es «
Konnte denn nichts diesen Mann
überraschenZ
Gewaltsam die schmerzliche Bewe
gung, die ihr die Kehle zuschniirte, un
zerdrückend sprach Silvia jeht lang
am:
»Wir müssen Ihnen danken, für al
les, was» Sie gethan haben . . . . Jetzt ist
die Mama gesund . . . . nun können wir
allein die Behandlung fortsetzen . . . .'«
Wie an jenem Tage —- im Zimmer
des berühmten Professors —- wurde
Jemand verabschiedet — die Rache war
gelungen.
Settala stand mit auf dem Rücken
gekreuzten Händen und gesenktem
Kopfe regungslos da. Silbia fuhr,
nachdem sie sich zu ihrer Ermuthigung
noch einmal alles das ins Gedächtnis-,
gerusen hatte, was man ihr über seine
große Geldgier erzählt, fort:
»Ich bitte Sie mir sagen zu
wollen was wie viel .·..«
Nein sie konnte nicht weiter. Die Worte
brannten sie, sie fielen wie Tropfen ge
schmolzenen Bleies auf ihr Herz.
Jhn schwindelte. Es drängte ihn,
die Arme zu öffnen, jenes zierliche,
starke Mädchen an seine Brust zu zie
hen und zu sagen: »Zahle mir, indem
Du mich glücklich machst! Gieb
mir den Glauben, der mir fehlt, fache
die erloschene Gluth dieses Herzens an,
schenke Deine reine Liebe dem Manne,
der bisher nichts geliebt hat als den
Ruhm.
tAber er widerstand; er war zu groß
muthtg, um die reine Begeisterung ty
rer Jugend mit dem unheilbaren Pes
simismus seines kalten Gemüthes zu
vergiften.. . . . um diesen lieblichen En
gel seinem Egoismus zu opfern ....«
»Gut; ich werde es Ihnen mitthei
len. — Leben Sie wohl ——« fügte er
mit rauher Stimme bei, und ohne sie
anzusehen, ging er —- fiir immer
Il- sls sit
Der Wagen Settalas durcheilt rast
los die Straßen der großen Stadi. Die
eleganten Kavaliere, die schönen Da
men, die nachlässig m ihren Equipagen
ruhen, beugen sich vor, um ihn lächelnd
zu grüßen. Er aber antwortet kaum.
Aber manchmal begegnet dem Profes
sor Jemand, vor dem er tief den Hut
zieht, ein einfaches, zierliches Mädchen,
das betet und arbeitet, das den harten
Kampf ums Dasein kämpft mit hocher
hobener Stirn.
Und wenn übelwollende Menschen
Settalas Namen anzutasten versuchen,
wenn sie sagen, daß er neben seinem
außerordentlichen Geist ein sehr ge
wöhnliches Gemüth besitze, dann möchte
Silvia wohl ein Stückchen Papier zei
gen, das er ihr am Abend jenes letzten
Besuches gesandt hat und auf welches
seine nervöse Hand geschrieben hatte:
,,Fiinfzig Lite«.
Und sie möchte sagen, dafz jenes
zartverhiillte Almosen ihre stolze Seele
nicht gekränkt habe.
Aber dies ist ihr Geheimnißi
-—«s.--—- ——-—. —
Illidrr illiltctk
Eine Strassenszene von K la u is
R r t t l a n d
» . «
Die Kronen der alten Aaftanienbiiu
me an der Esplalude funkeln farben
freudig im Lichte der warmen, goldi
gen Herbfonne, roth, gelb, grün und
bronzefarben, ein leuchtendes Chaos.
Viel Laub ist freilich schon herunterge
fallen auf die sauber gehaltenen Wege.
Und die Kinder rascheln lustig darin
umher und thiirmen hohe Berge auf von
den dürren, braunen Blättern.
Eine Anzahl fchtvatzender Kinder
miidchen sitzt auf den Bänken am Ran
de der Anlagen und mustert die Equi
vagen, Reiter und Radfahrer, die da in
raschem Wechsel auf dem Fahrdamm
der einseitigen, vornehmen Villenstraße
vorüberziehen Ein abgezehrtes Weib
sitzt ganz allein fern von den lustigen
Ammen und Bonnen auf einer Bank
und hält in einem durchlöcherten grauen
Shatvl ihr lletnes Kind an sich gepreßt,
ein ekelt-des Geschöpfchen mit schlaffer,
wachzgelber Haut und einem häßlichen
Ausschlag auf dem Kopfe. Leise wim
mert es vor sich hin. Hunger? Ja,
Hung er.
Und die Mutter tann ihm nichts ge
ben. Seit sie selber ihm die natürliche
Nahrung nicht mehr reichen lann, hat
sie es so durchgefiittert mit Brodsuppe
und Kartoffeln. Manchmal hat ihr die
Hauswirthin wohl auch ein bischen
dünne blaue Milch gegeben. Aber das
arme Kleine kann gar nichts mehr von
alledem vertragen — und hat doch im
mer Hunger
Kindermehl müßte es haben, hat der
Arzt vom Borderhause gesagt, den die
Mutter tiirzlich in ihrer Seelenangst
anzusprechen wagte, dann würde es sich
schon wieder heraus-machen Aber Kin
dermehl? Du lieber Gott, woher soll
sie denn das bezahlen? 5Bienn sie nur
Arbeit hättet Aber so elend, schwach
und heruntergetommen, wie sie jetzt ist,
will Niemand sie haben. Und vor al
lem, es giebt da noch einen dunkeln
Punkt .. .
Zwei Damen kommen des Weges
daher. eine alte und eine junge
Geh nur gleich hinüber und mach die
Visite bei der Geheimräthin ab, Tant
chen, sagt das junge Mädchen, ich er
warte dich hier und studire einstweilen
die Litsaßsäule.
Na schön, Clärchen. Die alte Dame
geht in die gegenüberliegende Villa und
Clärchen faßt vor der zettelbeklebten
Säule Posto. Bild sieht sie sich jedoch
nach anderweitiger Unterhaltung um.
Ach Gott, das winzig kleine Würm
chen, sagt sie, auf die arme Frau zu
schlendernd, das sieht aber elend aus!
Warum wimmert es denn so vor sich
hin? Es will vielleicht trinken?
Die Frau nickt. Wenn sie das junge
Mädchen um ein paar Pfennige bäte?
Aber das Betteln, sie bringt es ja nicht
17 fertig. Es würgt sie immer so in der
Kehle, wenn sie betteln will. Und sie
hat doch schon einmal —- viel, viel
Schlimmeres gethan. Woher nimmt sie
denn nur immer noch diesen dummen,
verkehrten Stolz?
Warum geben Sie ihm denn nichts?
» sragt das junge Mädchen.
; Die Frau brummt irgend etwas vor
sich hin. Sie sind wohl in Noth? Und
, haben keine Arbeit? fährt Fräulein
sClärchen nachdenklich fort.
Ein tiefer Seufzer.
Da kehrt die alte Dame über den
; Fahrdamm zurück.
; Du Tante, wendet sich ihr Clärchen
J halb flüsternd zu; die Frau dort scheint
in Noth zu sein. Mama braucht doch
eine neue Auswärterin. Wenn ich ihr
sagte, daß sie· . . .
Aber Kind, so eine wildsremde Per
son! Und die Dame wirst einen miß
trauischen Blick aus das arme Weib,
das sich von seiner Bank erhoben hat.
. Jn demselben Augenblick blitzt es un
« willig in ihrem Gesicht auf. Um Got
4-m-:kk-» Erz-L L-- :k4 z- az
»»»»» pas-u, »Hu-» »u- III zu »u- . « « Wut
zieht sie das mitleidige Clärchen fort.
Und die arme Frau hört nur noch eini
ge abgerissene Laute, unter denen ihr
das ominöse Wort ,,gesessen« hervorzu
klingen scheint. Ach ja. jeßt weiß sie
auch, wer die Dame war.s Eine Freun
din von der Frau Professor-in, bei der
sie damals gewaschen hatte und wo die
Sache passirt war, die böse Geschichte
Warum hatte denn aber auch die Frau
Professorin ihr Portemonnaie im
Wafchhause liegen lassen. Wenn man
so im Elend sitzt und der Mann einen
schlägt, weil er kein ordentliches Essen
mehr kriegt, aber freilich, schlecht ist’s
doch von ihr gewesen, und dumm« Nun
hat er sie mit dem Würmchen im Stich
gelassen, der Lump. Und nun kriegt
sie keine Arbeit mehr. Denn eine Frau,
die schon mal ,,gefess»en« hat, wer will
denn die noch in sein Haus nehmen?
Krampshast gräbt das Kind seine
Nägel in die Hand der Mutter und
fängt heftiger an, zu jammern. Ob
sie es wagt? Dort dar der Litfaßsäule
steht jetzt ein junges Ehepaar.
Du, -Oskar, sieh mal, Barbier von
Sevilla -—— und die Seinbrich als Ro
sma. Da müssen wir hin! jubelt die
junge Frau auf.
Hut, aber die Preise, seufzte der Gat
te; erstes Parquet zehn Mark!
Ach, geh doch, Ossi, als ob das was
i ausmacht! Sie lacht wegwerfend.
J Die armeFrau tritt hervor und wagt
Z mit zitternder Stimme ihre Bitte.
H Ossi will in sein Portemonnaie grei
i
!
1
fen, aber die junge Frau hält ihn zu
riict und ruft der Armen zu: Sie soll
ten lieber Jhr Kind nicht so in Schmutz
I herkommen lassen und arbeiten, statt
s die Leute anzube«tteln, liebe Frau!
Gnnn SHnns fis fis-B An Von Ase-In Zins-IS
s l-- l--, s-» » v---» --,
Gatten. ’
Man soll Derartiges nicht noch un
terstiitzen, Ogtan
Sie hat Grundsätze, die hübsche jun
ge Frau.
Tief niedergeschlagen, noch um eine
Schattirnng trostloser als vorher-, kehrt
das arme Weib an seinen Platz zurück.
Dunipf starrt es vor sich hin. Nur ab
und zu, wenn etwa ein Gendarnt oder
sonst ein uniformirtes männliches We
sen naht, springt die arIne Kreatur auf,
weil sie nicht weiß, ob sie auch ein Recht
hat, auf der schönen, griinen Bank zu
sitzen, die doch gewiß nur siir die roth
bäcligen Ammen und ihre vornehmen,
geputzten Psleglinge bestimmt ist. -
So, Tritte, und nun geben Sie recht
hübsch acht auf Evchen. Jn einer Vier
telstunde bin ich wieder ba. Jch gehe
nur ein wenig in den Anlagen spazie
ren, sagt eine vorübergehende seiden
raschelnde Dame zu ihrer Kinderwär
terin, einer straminen Person in bun
ter, reichverzierter, originell plumper
Altnburger Bäuerinnentracht, und sie
giebt dem Blondlöpschen, das da in sei
nem eleganten hellgriinen Korbtviigel
chen sitzt, einen zärtlichen Abschiede-tun
Und sei auch recht artig, Evchen. Sie
entfernt sich langsam, nach wenigen
Schritten schon einen liebevollen Blick
auf Klein-Evchen zurückwersend, das
nun aus seinem Wagen herausgenom
men wird und lustig auf den dicken, un
geschickten Beinchen herumtrappeli.
Ein bilohiibsches Kind, sagt eine
Banne, die aus der benachbarten Bank
sitzt und zu der-sich Trtne, die Alten
)« butgerin,s nun gesellt. Die arme Frau
l
l
)
wirst einenscheelen Blick« nach der
Seite. - Ein hübsches Kind; ja, mit
seinen blonden,-seidigen Härchen und
den runden, rothen, frischen Backen.
Aber ihr eigenes Kind, o das ist doch
noch tausendmal hübscher gewesen, da
mals« alses noch gesundwah Eihr ar
s mes, klagendes Würmchen!
» Ein grimmiges Wuthgesiihl steigt in
; der Seele der unglücklichen Mutter aus.
! Wie sie sie haßt. diese rosigen, fetten,
T satten, spitzenumslatterten Babies,
l diese glücklichen Kinder, die so viel
l trinken können, wie sie nur wollen, von
s der besten, reinsten Milch, die in so
:
schöne, dustende, schneeweiße Wäscht
gekleidet, die von Jedermann bewun
dert, gehätschelt werden und mit so
großen, dummen, hellen Augen in die·
Welt hinauslacheni Jhres Kindes
Augen habenjenen ernsten, frühreifen,
anklagenden Ausdruck, der die Kinder
des Elends so alt und klug erscheinen
läßt. Wie sie- sie haßt, diese Brut der
vornehmen, in Wohlsein sich blähenden
Prasser! Warum müssen sie leben und
gliicklich sein, während ihr Liebstes
jammervoll hinstirbt?
Eine sinnlose Wuth packt das gewar
terte Herz. Wenn sie die Macht hätte,
« Qual und Verderben über all diese
weißgekleideten, schärpengeschmiicktem
T jauchzenden kleinen Wesen zu brin
j gen . . . . keinen Moment würde stc zau
dern! Wahrhaftig, keinen Moment!
Erwürgen möchte sie diese satten Bill
ge, erwürgan
Du, Trine, da kommt Christian!
ruft jetzt eins der Mädchen von der
: Nebenbank.
Ach, Christian! Und wie nobel!
Christian, ist das feine Bouquet für
mich?
Allgemeines Kichern und Augen
ztdinkern empfängt den hübschen,
schlanken Offiziersburschen, der mit
einem riesengroßen, aus duftiger Sei
denpapierhülle hervorguckenden Rosen
. bouquet durch die Anlagen daherschrei
tet und vor der Mädchengruppe Halt
macht.
Darf ichs Jhnen anbieten, Fräu
lein?
Aber als Trine zugreisen will, zieht
er den Rosenstrausz lachend zurück.
Wohl für dem Herrn Leutnant seine
Braut? fragt die eine Bonne.
J Evas. Die ist längst verheirathet,
die das Bouquet kriegt. Der machen
wir man so die Cour. Aber wie! Huii
Na, wenn ich reden wollte!
Reden Sie doch, Christian. Bitt-,
bitte. Wir sagens keinem wieder.
Natürlich hat Trine, während sie so
interessant unterhalten wird, ganz ver
gessen, daß ein kleines Evchen existirt.
Das Kind hatte erst aus der Wiese ge
spielt. Jetzt wackelt es an der armen
Frau vorüber, dem Fahrdamm zu.
Eine Droschke biegt um die Ecke und
fährt in bummeligem Tempo die Vil
lenstraße entlang. Der Kutscher stiert
schlaftrunten vor sich hin. Da steckt
Jemand den Kopf aus dem Wagen
fenster. Zum Kuckuck, was ist denn das
für eine Fahrerei? Ich komme ja bis
5 Uhr 40 gar nicht mehr hin! Strasf
richtet sich der Kutscher empor und
haut auf die Pferde ein. -
Und mit brennenden Auan starrt
die zerlunipte Frau auf das kleine,
blonde Evchen, das völlig ahnungslo5,
von der schäkernden Trine nicht beach
tet, mit seinen Lackschiihchen über den
Straßendainm trippelt.
Jetzt, jetzt ist die Droschke ganz nahe
—- noch einmal peitscht der Kutscher
aus die Pferde los — das winzige Et
was dort unten scheint er gar nicht be
merkt zu haben —- schärser ziehen die
Gäule an —— und ein höllisches Freu
dengelächter fährt durch die Seele des
elenden Weibes. Jetzt —— schon wir
belt in nächster Nähe der Straßenstuub
unter den Rädern auf — Klein-Ev
chen stolpert jetzt —
Da kommt etwa-Z- iiber die zerlumpie
Frau, das stärker ist, als ihr Haß, ihre
Verzweiflung ihr wilder, wijthender
Neid —-— — etwas-, das empor-steigt aus
dem tiefsten Grunde ihrer Seele, dem
Unbewuszten Mit rascher Bewegung
legt sie ihr Kind auf die Bank, stürzt
aus das kleine, blonde Evehen zu und
reißt es zurück, im allerletzten Augen
blick.
Edchen, Herrgott, Evchen! kreischt es
von der Bank her, wo die zimderniao1
chen mit Christian schäkerten.
Und »Evchen!« ruft eine andere
Stimme in höchstem Entsetzen. Die
seidenraschelnde Maan stürzt herbei,
von ferne, wie eine Rasende. Und mit
einem jubelnden Aufschrei fällt sie vor
dem armen Weibe nieder, das gerettete
Kind in ihre Arme pressend, fest, fest.
·Und sie küßt die rauhen, schmutzigen
Hände, die ihr das Liebste auf Erden
neu geschenkt haben: Dank, heißen,
heißen Dankt Wie soll ich Ihnen das
jemals vergelten?
Das arme Weib aber starrt wie gei
stesabwescnd auf die Glückselige nie
der. Wie das nur so über sie gekom
men war? Sie hatte es doch nicht ge
wollt. Nein, wahrhaftig nicht. Sie
hatte es thun müssen, gegen ihren Wil
len.
, Und sie wendet sich ab, der Bank zu,
auf der das armselige Vjiensck)en-Pa
cketchen liegt und winselt. Was soll
sie noch bei der glückseligen jungen
Mutter mit den raschelnden Seidenw
cken? Die wird ihr nun ein paar Gro
schen in die Hand drücken, vielleicht so
gar eine Mart . . . . Das arme, verbit
terte Weib hat keinen hohen Begriff
von der Dankbarkeit reicher Leute.
Aber die glückliche junge Frau springt
auf und eilt ihr nach.
Jhr Kindchen? Ach, das liebe, kleine
Ding. Aber es sieht blafi aus und ab
gemagert. Das müssen wir nun recht
schön gesund pflegen, nicht wahr?
Und sie nimmt das elende Ding auf
den Arm. Das lächelt sie an, ganz z!..
traulich, als ob es eine Ahnung hätt-;
daß auch manchmal unter seidene
Straßentoiletten warme, dankbar,
Herzen schlagen.
—- Der Graf de Toulouse Lautree
: wurde in Montreal, Canada, zu fünf
Jahren Zuchthaus verurtheilt, weil er
gestohlene Bonds in seinem Besitz hatte.