Gerichten ——O——— Erzählung von Oslga Steiner. ,,,,, ... , Ein einfaches Zimmer. Einige Stücke darin erinnern an frühere, »bes fere Tage«, ieht sind sie verschofsen, be -««·— Aar-ist und nicht wieder reparirt. Am enster sitt eine blasse Frau unb malt aus Fächer Amoretten, Blumen, Vö feiz tleine Kunstwerke. Jn einer Ecke ptelen zwei Knaben von sieben und vier Jahren. »Hu-ign, Mama!« ruft bet Kleine. »Warte, bis ich fertig bin,« sagte bie Mutter. »Hunger!« schreit er lauter, dringli er. »Störe die Mama nicht,« sagte ber Ueltere, »wenn sie nicht arbeiten kann, h aben wir its-is zu essen, das weiß ich chon!'« Die blafse Mutter lächelt. »Johan neö hat recht.« Aber der kleine Pausbiickige giebt nicht nach, und seufzend erhebt sich die Mutter, um Brot zu schneiden. »’s ist nichts brauf,« erwidert ber Kleine. ,,Frißchen will was drauf.« »Es giebt heut nichts-« ertvibert die Mutter streng, »sei jetzt fiill." Kleine Pause. »Weißt du, Mama, früher da war’s doch schöner,'« sagt·Johannes-, »wie der Papa noch manchmal kam, der hat uns immer zum Konditor gefiihrt.« »Zum Konliier,« echot Fritz. .»Unb ganz viel früher,« fährt Jo hannes fort, »da hat er doch bei uns gewohnt, nicht wahr, Mutter ?« C s »Was du für ein Gebächtniß hasti« »Warum itt er eigentlich fort? Die nberen Jungens in der Schule haben lle ihren Papa zu Haus« »Weil er sehr weit verreist ist, mein Junge, ich hab« dir’s schon oft gesagt.« »Ab« einmal muß er doch wieder kommenk · » »Wer weiß-— : Jn Johannes Augen steigen Ihrs »Jawohl, Mama, einmal muß er wiederkommen ich hin ihm doch so gut. Er hat alles so schön verstanden viel besser wie du —- mit dein Waschen — und mit dem Anziehen —- iomint er such gewiß wieder, Mama?· »Ja, ja, er wird schon.' «Wann denn2« JJch weiß noch nicht. " »Er soll mich wieder ausheben und Fritzchen auch, beide aus einmal, er ist ia so stark, und wieder bis an die Decke, ja, der Papa ist groß! —- Weißt du noch, wie er dich mal in die Höhe geho ben hat, vom Sosa hat er dich genom men. Du shast ganz laut geschrieen, und da hab’ ich so gelacht, weil du so Angst hattest. Aber der Papa hat dich nicht fallen lassen, und dann hast du auch gelacht und ihm einen Kuß gege ben. Wie das komisch war. Muttern iiissen doch sonst nur die Kinder —« »Plappere nicht so viel, hist du mit deinen Schularbeiten fertig?" »Ja — und der Papa ——« »Lies doch noch ein bischen« .Gleich —- dann —- der Papa ——« »Die: hast du auch ein Butterbrot.« Das läßt Johannessich nicht zwei mal sagen; mit vollen Backen beißt er hinein und schweigt endlich. Beide Knaben kauen und die Frau seßt sich wieder an ihre Arbeit. Aber . es will nicht recht von der Stelle aehen » — ja wenn die Gedanken nicht wären, sie kommen, ohne daß sie es will, mäch tig, unaufhaltsam, und lähmen die sonst schassenssreudige Hand. Sie sieht sich an Rudolfs Seite in ihrem Heim Die Liebe hat es gebaut. Dieser große, aristokratisch aussehende Mann hat sie lieb, sie, die Kleine, Un scheinbare, Feine, mit dem vollen Her zen, das sich doch nie in kleinen Planke leien zersplittert hat und das sie nun als unberührteg Ganzes ihrem Gatten entaeaeiibringt. Sie teiiiit seine Er Klge bei Frauen, sie sieht die bewun rnden Blicke, die ihm solaem auch jetzt noch« wenn er an ihrer Seite geht, und sie ist stolz aus ihn und stolz, daß er gerade sie gewählt hat. War es iiin iiit Vermögen? --— Nicht doch, andere be ißen viel mehr, also sie ist’5, ihre Per on ganz allein. Von ihren Maltiin sten hat er ja kaum etwas gewußt, auch nicht« daß sie, als praitisches Mädchen dieselben zu verwertheii weiß und e.- i tien eisernen Fonds angelegt hat siir -—schlechte Tage werden ja nie koni men, aber für die werdende Generation die kanii'g gewiß brauchen, o sie ists praktisch und tüchtig. Fast demiithig steht sie vor ihm, als sie es ihm sagt, und er ist gar nicht stolz und läßt sie gewähren. t ( i i i Johannes wird geboren und erhöht the Glück. Dei Abends sitzt sie stun denlang an seinem Bettchen und bewacht das holde Wunder —- Rudols blieb im mer so lange aus —- im Geschäft natür lich. Eines Tages erzählt er ihr, daß er sein Geschäft auslöse, sie staunt — warum? »Es ist eine große lhousse in meinen Attileln,'« sagt er, »ich lann bei der Li quioation noch verdienen, und dann hat man mit eine vorzügliche Stelle ange boten. man kennt meine Föhigteiten, ja, ja, man reißt sich um mich, Kleine,« nnd dabei tijßt er sie aus den Mund. Wie tüchtig er Doch ist, wie geschätzt! Welches Glück, iixn zu besitzen! Einmal —- tttusolf ist gerade nicht an wesend —- Ptäsentikt ihr ein Kassenbote einen Wechsel zur Zahlung. Sie hat ; von Geschäften teine Ahnung. »Mein Mann tst nicht zu hause,« sa t ste. j« Jeut Mittag stottls Uhr tft der leite w- .-.. Termin,« erwidett der Mann gleichgiltig und geht. Jn Unruhe erwartet sie ihren Gatten. »Was ist das mit dem Wechsel?« fragt sie nach dem ersten Kuß. Auf Rudolfs Gesicht malt sich Erstaunen. »Von mir sind keine Wechsel in Umlauf, ; Kleine, da muß ein Jrrtbum vorliegen. Jch werde sofort nachfragen.« Abends lommt er mit dem beitetsten Gesicht von der Welt. »Natürlich war’ö ein Irr » thum und da habe ich auch Variåiejsbili letö fiir den Abend mitgebracht —- auf den Schreck, Aennchen.« Ein andermal. Ein Mann mit einer blauen Milde erscheint, es ist der Ge richtsvollzieher, er fordert eine große Zahlung, widrigenfallö er in kurzer Frist pfänden müsse. Sondetbar, sie weiß » von nichts, sie kennt auch nicht den Na ’ men des Gläubigers. Als sie Rudolf " Mittags von dem seltsamen Gast er » zählt, lacht er hell auf. »Das hat man von dem Namen Müller. Müllers giebt’s Hunderte in der Stadt, der Ver : wechslungen sind kein Ende.« Und da ; lacht sie mit, so herzlich, so sorglos, wie I sicher ist sie im Schuhe dieses Mannes. ! Aber der Vorfall wiederholt sich- MI » mal, zweimal — Rudolf ist entriistet, am liebsten möchte er um Namensande rung einkommen, wenn es nicht eben»der alte, ehrliche Name seines Vaters ware I Man muß es sich gefallen lassen und von der komischen Seite nehmen. Das bis chen Aerger wird eine Flasche Wein hin unterspiilen. I »Komm, Aennchenl«' und es wird noch der heiterste Abend. l Rudolf muß plöylich verreisen, er fährt in der Nacht, und weil sein Kopf von vieler Arbeit angestrengt ist, im Schlafcoupä zweiter Klasse. Sie«be gleitet ihn zur Bahn, und als sie nach Haus geht, allein, weint sie vor Ban gigkeit — wie ein Kind! Als er zurücklommt, ist er zerstreut und vergißt sie zu litssen —- zum ersten Mal. Sein Leibgericht schmeckt ihm nicht, er muß gleich wieder fortgehen — Geschäfte. Am Nachmittag lommt die Hauswirthin und frtigt in bescheidener ) Weise, ob Frau Müller wohl wisse, daß ; die Miethe seit einem halben Jahr nicht f bezahlt sei! Herrgott, wie das alles » noch deutlich vor ihr steht! Sie starrt die Frau an — schuldig —- Miethe — und auf einmal fällt die Binde von ih ren Augen, die Rudolf so geschickt dar um geschlungen, sie stottert etwas von einem eisernen Fonds, und daß sie nichts gewußt habe, daß aber bis Nachmittag » —- da kommt Rudolf. Mit einem Blick . hat er die Situation erkannt. »Sie T haben gesprochen?!« —- ,,Ja«, sagt die Wirthin einfach, »meine Hypotheken gläubiger warten auch nicht; bis Nach » mittag, herr Müller, sonst muß ich mein » Recht auf Jhre Möbel geltend machen.« s Sie sind allein. Hilfesuchenv fliegt ; sie an seine Brust. ’ «Ruvoxf, was ist geschenkt« Und da erklärt er sich: alles ist fort —- alles, es fehlt sogar noch Geld s-— in der Kasse des Hauses, das et verwaltet, deswegen hat er die Reise gemacht (im Schlafcouvö zweiter Klasse, treuzc es ihren Kopf) —- einen kleinen Aufschub j hat man mir gewährt, aber was nagt « das, er hat nichts mehr. «Doch«, jubelt sie, «mein eiserner Fonds.« »Nein«, sagt er leise, »der —- ist — schon —- fortl« . s I Herrgott, wenn sie an die folgenden Tage denkt, wie der Schleier ruckweife fiel von ihrem Götzenbild, wie es besudelt war, und auch nicht mit ihren Thränen reinzuwaschen· Dieser Wust von Lüge und Betrug, eine Hochftapternatur, her vorgegangen aus Faulheit und Genus-, sucht. sAber sie hielt zu ihm, denn si war sein Weib- Sie begann zu arbeiten, unablässig, angefpannt für ihn, fiir sich, fiir das Kind. Frei sollte er werIen von Schuld und Schulden. Frischen ward geboren. Halb gene sen, saß sie schon wieder am Arbeitstifch denn sie braucht Geld, vie Krankheit hat alles aufgezehrt. Zum Glück hat sie größere Konten bei dein Kunsthändler, der ihre Malereien abnimml. Der Mann zahlt sonst piinttlich, und gerade diesmal —- Rudolf hat sie immer zu rückgehalten, wenn sie bescheiden mahnen will. »Du verstehst das nicht,« sagt er, «man darf einen Kaufmann nicht drän gen, es tönnte die Geschäftsverbindung gefährden.« Zur Miethe wird es noch gerade reichen, sie öffnet ihre kleine Kas settc -— sie ist leerlt Von einem furcht baren Verdacht gepackt, eilt sie zu dem; Kunsthändlen Er giebt ihr die Quit tungen von der Hand ihres Mannes itber die längst entnommenen Beträge. Schla auf Schlag. Sie tommt in Ru dolfs ureau, um zu hören, daß er seit l Monaten entlassen ist« weil er abfoiut nichts mehr leistete, ja daß neue Unre gelmäßigkeiten vorliegen, wie sie bei der genauen Kontrolle nur ein fpiszbiibifcher Kon ersinnen kann. Dieb! gellt es ihr von allen Seiten in die Ohren, Dieb — und da —- hat sie sich von ihm getrennt, l «ihr Schicksal, wie das ihrer Kinder auf ihre eignen Schultern nehmend. Ab und u kam er, um die Kinder zu sehen und fis spazieren zu führen, sie sträubt sich nicht dagegen, sie will den Kindern den Vater nicht ganz entziehen. Er bringt Kuchen mit, aber kein Geld. Die Zeit - vergeht, nichts ändert sich. Frihchen er tranlt, und Johanan kommt zur Schu le, die pekuniiiren Sorgen wachsen. Sie bittet Rudolf, die Dottorrechnung zu be zahlen — er hat ja doch eine kleine Stel lung —- und das Schulgeld für Johan nes, da bleibt er fort, ohne ein weiteres Wort, verschwunden, verschollenl M ist nun über ein Jahr her. Auf der Po lizei hat man ihr gesagt, er sei fortge zogen, in seinem neuen Wohnort ist er nicht gemeldet, ein Vagahunbe ntniff, e: ist nicht zu fassen. Sie oentt an Schei dung, aber woher das Geld nehmen« Sie ist zu einem Scheinleben verurtheilt, ort welten, vegetiren, arbeitent Jmmer at deiten, sonst ist sie verloren, sie und ihre Kinder. — Und ährend so die Gedan ten gehen, malt ie ihre Fächerblunien, Amoretten! l Es tlingelt. Sie nimmt die Lampe, geht öffnen —- und prallt zurück. «Du — — Si e«? . Ein roßer, breitschulteriger Mann I dränSgt Fch schnell herein » Sie — leben noch?« »Warum nicht-— ich schiesie mich noch lange nicht todt — ich kämvfe eben.« »Warum dann das Verstecken?« IDaS ewi e An nsebettel hab’ ieh satt. « :gür —- hre inder"« u hast Ia genug. « »Was wollen Sie also hier, das ift meine Wohnung. « »Daß die albernen Romanphrafen. Jch habe ein Recht, hier einzutreten, ich bin dein Mann. Wir sind nicht geschie den. Laß mich ins Zimmer, ich will meine Kinder sehen.«· ,,Davon werden sie nicht satt. « ,,Jmmer dasselbe Gezeter. Jch kann nichts geben, ich muß für mich allein sorgen, wenn ich mal teine Stellung habe oder krank bin.« ,,Dafiir haft du ihnen alles genom men, braver Mustergatte!« ,,Laß deine Moralpredigten, He nutzen nichts. « »Das weiß ich. Du wirft fett bei dei nem Leben.« »Das geht dich nichts an.« »Warum kommst du aw? Doch nicht, um zu sagen, ich habe nichts.« »Es muß noch ein Rock von mir hier sein« ein Winterroct, er war nicht dabei unter den Sachen, die du mir zusam mengepackt haft —- damals, ich tann ihn jetzt brauchen. « »Ich habe teinen." »Sieh nur nach.« »Ich weiß es genau, daß ich keinen habe. Wie kann ich wissen, wo der Rock vor Jahren hingekommen ist!« ,,Witthschaft, dast« »Jetzt geh-« »Ich will erft meine Kinder sehen.« »Sie schlafen, wecke sie nicht« »Aber sehen will ich sie. Es sind mei ne Kinder.« Achielzuckend nimmt sie die Lampe und geht ihm voran in das Schlafzim mer. Er dämpft seinen Schritt nnd folgt ihr. Ein fpähender Blick gilt der Ein richtung, dann beugt er sicb iiber die Bet ten der Kinder. Und die Frau betrachtet ihn. Sein Gesicht ist immer noch schön. Da ift die feine Linie von den Brauen zum Nasen riiclen, wie oft hat sie ihre Lippen auf diese Stelle gedrückt. Der Mann fühlt den Blick. »Laß mich hier bleiben,« sagt er kurz, raub, als schäme er sich einer weicheren Regung. Minutenlange Stille. Jm Herzen des Weibes tobt ein Kam-« Nei gung und Abscheu, Verstand und Gefühl. Nieder, nieder mit euch weicheren Stim men, bleibe fest. Sie richtet sich hoch auf. »hast du Brod fiir uns?« »Nein —- aber dul« »Bei mir ist keine Altersversorgung« ,,Weib!« lreiicht er. Johannes erwacht von dem Schrei, fährt in die Höhe und weiß nicht, ab er wacht oder träumt. »Papa,« jubelt er, »Pap(1!« »Junge!« »Papa, ich habe ein Gedicht aelernt, die Maena weiß gar nichts davon, es steht in meinem Lesebuch, ein Gedicht zu deinem Geburtstag, aber ich sage es dir gleich, sonst bist du wieder fort.« Und sich den Schlaf aus den Augen reibend, nach hastiger Kinderart beginnt s er : « ; »Du Vater hast viel Sora’ und Müh’, Am Abend spät, am Morgen früh, Du giebst mir Brod und forgst siir mich, Drum will ich auch recht lieben dich.« »Was ist denn, Papa, ist's nicht schön? Es geht noch weiter: »Du Vater haft gar viel zu thun Und darfst den ganzen Tag nicht ruh’n, Du fchaffft und mühest dich fiir mich-« Das Kind hält ängstlich ein, es sieht seinen Vater weinen, der große Mann steht da —- gerichtet —- von seinem Kinde» Honig ruszt er Den Knaben. . »Sch: schön-Johannes — ich — freu mich — werde nur brav —- Und solge der guten Mama —- ich komme vielleicht - —- nicht —- nicht bald wieder.« ; Dann wendet er sich zu der Frau, die ; an den Thränen würgt, demüthig, ver- i legen, ohne die Augen aufzuschlagen i »Hast du nicht doch —- deu Rock —· er ist warm, ich könnte ihn so gut brau en.« Sie schüttelt nur den Kopf, sprechen lann sie Ficht. »Adieu." Seh-ver und schleppend schallt sein Schritt —- ee ist fort. Johannes weint in seine Kissen. »Schon wieder fort, ich hab’ mein Ge dicht gewiß schlecht ausgesagt —- icks war so niiibe.« Die Mutter beruhigt ihn und mit lei sem Schluchzen schläft er wieder ein. Still ist es. — Die Frau geht an einen Schrank, öff net ihn und, ohne zu suchen, faßt sie( nach einem Eileimcnqsstüch desan Platz I ihr wohlbelannt sein.:nuß. Es ist ein - Herrenroet Sie nimmt ihn heraus, drückt ihr Gesicht hinein und bedeckt ihn rntt Küssen. M Ins Gefängniß illiiheulee undi feine Einrichtungen « Jn der Instruktion an den Kapitän Danila Wlassjew und den Leutnant Lula Tschetin, die den »namenlosen ; Ge angenen« Jvan Antonowitsch, den T ru fischen Kaiser, in Schlüsselburg zu ! bewachen hatten, heißt es in Punlt 6 : »Wenn der Arrestant unruhig ist und die Ordnung nicht einhiilt, musz er in ; Ketten gelegt werden« Den Ver l schwörer Mirowitsch, der 1764 die Be isreiung von Jvan Antonowitsch ver suchte, verlangte Neplujew zu foltern an einem stillen Ort ; «es sollen ihm die Rippen geprüft werden, um zu er : mitteln, mit wem er bei seiner Ver I schwörung in Verbindung getreten.« . Die Thatsachen vorstehender Notiz, die i aus eine recht grausige Justiz schließen i lassen, liegen noch nicht 150 Jahre hin ter uns. Doch wir brauchen nicht so weit zurückzugehen, um gelegentlich auf ähnliche Bilder zu stoßen. Auf einer Reise nach Rom sah ich Ende August 1893 am Bahnhof von Berona acht bis zehn Sträflinge, die mit schweren Eisen zu Paaren geschlossen waren, die einzelnen Paare waren dann wieder durch dicke Ketten verbunden. Schau rig klang deren lautes Gerassel in der Bahnhofshalle. Jeden Zuschauer über lief es kalt beim Anblick dieser Unglück lichen, die in verschiedenstem Lebens alter standen, der gebückte Greis und der Jüngling im Alter von vielleicht 16 Jahren waren vertreten. Es sind sieben Jahre her, und doch überläuft es mich kalt, so oft ich mich jenes Bildes zurückerinnere. Und wenn hier Je mand einwenden wollte, das Wort ,,Seines Mitleids braucht sich Niemand zu schämen« tennt aber Ausnahmen, so würden wir es doch mit Goethes An- - mertung in Wahrheit und Dichtung halten: Ahasverus hat die Art har I ter, verständiger Menschen, die, wenn fie Jemand durch eigene Schuld un glücklich sehen, kein Mitleid fühlen, ja, vielmehr durch unzeitige Gerechtigkeit gedrungen, das Uebel durch Vorwürfe vermehren. Ebensowenig bricht Car ler den Stab über Diejenigen, die im wilden Lebenskampf zu Fall gekommen sind, sondern macht es ihnen zur Pflicht, sich unter Thränen und Reue wieder aufzuraffen und von Neuem zu beginnen. So ist es denn zu verstehen, daß mit den Fortschritten der Gefü tung die Bestrafung Derjenigen, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, eine immer humanere geworden ist. Unsere moderne Justiz sieht ihre Aufgabe nicht mehr darin, die Qual und Marter des Sträslings nach Mög lichkeit zu steigern, sondern die bürger liche4Gesellschaft ist nur darauf be dacht, die ihrer Ordnung widerstreben den Elemente zu beseitigen und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit zur Besse rung zu bieten. Unter allen Strafanstalten, die die sem Zweck dienen, nimmt wohl das Gefängniß in Plätzensee eine·der ersten Stellen ein. Dasselbe befindet sich im Nordwesten von Berlin in ziemlich freier Lage am Berlin - Spandauer Schiffsahrtstanal und umfaßt ein Areal von insgesammt 27 Hektar, die Gebäude allein 2j Hektar. Es ist mit einer ziemlichen Opulenz aus dem Mil liardenfegen erbaut worden, die Bau kosten allein betrügen ohne Grund und Boden sechs Millionen Mart. Jetzt werden die Gefängnisse nicht mehr in « dieser splendiden Weise gebaut, es feh- « zu Tegel, welches seiner Vollendung entgegengeht, liegt alles viel enger bei ! sammen. Um den vorhin angegebenen i höheren Strafzweck möglichst zu errei chen, ist in Plötzensee neben der Ge meinschaståhast das System der Ein I zelhaft in auggedehntem Maße zur An ; wendung gekommen, und zwar wird i hier unterschieden zwischen strenger f Einzelhaft und modifizirter Einzel » haft. Für beide dient der sogenannte Maskenfliigel, im Volksmunde Ber lins auch wohl als IJtastengalerie be zeichnet. Jn diesem nach ,,panopti fchem« System eingerichteten Zellenge fängniß gehen von einer Centrale mit wachthabenden Aussehern in allen Eta gen strahlenförmig Gänge aus, an wel chen rechts und links die nummerirten Zellen liegen. Aus diese Weise können i len die Mittel dazu; im Gefängniß viele Hunderte von Gefangenen durch eine ganz geringe Anzahl von Beamten aufs Schärfste überwacht werden. Da die gemeinsame Haft von jeher die eigentliche Hochschule der Verbrechen welt gewesen ist, so kommen in die strenge Einzelhaft besonders Diejeni gen, die noch Besserung erhoffen las sen, also namentlich die Jugendlichen bis zum 18. oder 21. Jahr, dann aber auch alle Diejenigen, die zum ersten Mal bestraft sind ; ferner die Gefan genen aus den besseren Ständen. Für diese ist die Einzelhaft eine wahre Wohlthat, da sie so ihre Strafe uner kannt absitzen und hier auch besser an gemessen beschäftigt werden können. Jn strenger Einzelhaft werden endlich auch die schlechtesten Elemente isolirt, und diese empfinden es als harte Strafe. Jn jeder Zelle find die Personalien des Jnsassen an der Wand aufgehängt, die namentlich auch über Ursache nnd Dauer seiner Strafe Aufschluß geben. Bis zu drei Jahren lann Jeder in Ein zelhaft gehalten werden, Manche aber bleiben freiwillig noch länger darin, nnd wird in diesem Falle der Arzt dac tider befragt, weil angeblich in Zellen gesäugnissen viele Erlranlnngen an Wahnsinn und Blödsrnn vorkommen - sollen. Soweit wirklich größere Zah l ten vorliegen, sind diese aber in der Re gel auf frühere Ursachen — Altohol und geschlechtliche Ausschweifungen — zurückzusühren und nicht auf das Konto der Einzelhaft zu setzen. Der Gesangene der strengen Einzelhast wird besucht vom Arzt, Pfarrer, Lehrer und von den Aufsehern. Außerhalb seiner Zelle trägt er stets eine Mütze mit über das Gesicht bis zum Kinn herabfallender schwarzer Maske und außerdem die Nummer seiner Zelle, bei der er auch gerufen wird. Damit er der freien Luft nicht ganz entbehre, darf er täglich für eine Stunde in einem kleinen, für schlechte Witterung zum Theil überdeckten hofe sich erge hen. Die Ueberwachung geschieht wäh rend dieser Zeit von einem kleinen Thurme aus, um welchen die kleinen Höfe, welche ungefähr 90 Quadratw ter Bodenfliiche haben mögen, strahlen sörmig angeordnet sind. Die Gefange nen der modifizirten Einzelhast tragen nicht die schwarzen Masken, sind auch in der Schule und in der Kirche bei sammen, doch sollen auch sie nicht mit einander sprechen. Bei der Besichti gung der Zellen für die Einzelhaft wie auch der Räume für die gemeinsame Haft, fällt allenthalben die überaus große Ordnung und peinliche Sanher keit auf. Ganz eigenthümlich berührt auf einigen der Schlafsäle für Gemein schaftshaft eine Art von Schlaftäfigen —- Betten, die seitlich und oben mit Drahtnetzverschluß versehen sind. Sol cher Schlaftäfige hat Plötzensee 280. Sonntags muß jeder Gefangene am Gottesdienst theilnehmen. Das Ge fängniß hat drei Geistliche. Eine Kirche liegt ziemlich am Eingange des Gefäng nisses. Sie dient für die Gefangenen der gemeinsamen Haft. Der dortige Gottesdienst wird aber auch von den Beamten des Gefängnisses und denEin wohnern des Ortes Plötzensee besucht. Eigenartig ist die Einrichtung der für die Gefangenen der strengen Einzelhaft bestimmten Kirche. Der Geistliche sieht von der Kanzel aus jeden einzelnen Ge fangenen in seinem Sitz, ohne daß die ser irgend Jemand anders als denGeist lichen und die aus einer Empore sitzen den Aufseher zu Gesicht bekommen kann. Für die achtzig jijdischen Gefangenen ist im Gefängniß eine besondere Shim goge vorhanden. Außer durch rengiofe Einwirkung sucht man bis in ein vorgerücktes Alter durchUnterricht veredelnd auf dieSträf linge einzuwirken; jeder muß bis zum fünfundzwanzigsten Jahre daran theil nehmen. Es bestehen sechs Klassen mit vier Lehrern, einer für die Jugendlichen, einer für die Gefangenen der gemeinsa men Hast und zwei für diejenigen in Einzelhaft. Stramm ist die Disziplin im Gefängniß, wenn auch die zur Ver fügung stehenden Disziplinarstrafen ge Yn früher sehr gemildert sind. Der efangene hat absolut keinen eigenen ; Willen. Auf Befehl muß er aufstehen, ! auf Befehl sich niederlegen, auf Befehl ; hat er alle sonstigen Verrichtungen zu vollziehen. Als Hauptdisziplinarstra f fen werden angewandt Entziehung der s Arbeitsbelohnung und verschärfter Ar ’ rest bei Wasser und Brod. Früher war es den Gefangenen gestattet, eine Topf pflanze oder einen Vogel im Gefängniß zu pflegen, wenn ihnen solche von An gehörigen iiberbracht wurden. Dadurch boten sich ungesucht ethische Anknüpf-1 ungspunlte, um bessernd auf die Ge fangenen einzuwirken. Leider ist diese Vergünstigung jetzt in Wegfall gekom men. Jeder Gefangene erhält wöchent lich auch ein Bibliothetsbuch mit anre gendem Inhalt zur freien Lektiire. Die . Bücherei des Gefängnisse-J umfaßt 18, 000 Bände. Das Hauptmittel Zur Besserung der Gefangenen ist aber die Gewöhnung an geregelte Thätigleit. Viele lernen den Segen geordneter Arbeit erst hier ten nen, und es soll ihnen deshalb möglichst tief das Gefühl eingeimpft werden, das sie in beständiger starker Arbeit das beste Präservativ gegen neue Entglei sungen nach Wiedererlangung der Frei heit zu erblicken haben. Ueber die Art der Beschäftigung bestimmen die »Bun begrathsgrundfätzg welche bei demVoll zug gerichtlich ertannter Freiheitsstra fen zur Anwendung kommen« in Para graph 18: »Bei der Zuweisung von Ar beit an die Gefangenen wird aus den Gesundheitsztnstand die Fähigkeiten unv oag runsuge Fortkommen, vec Ge fängnißsträslingen auch aus den Bil dungsgrad und»die Berufsverhältnisse Rücksicht genommen.« Diese Arbeit ge schieht in Plötzensee für die Gefangenen der Gemeinschastshaft in besonderen Arbeitsbaraclen und zwar entweder für den Staat oder für Unternehmer. Wir sahen dortGoldleistenfabrilation, Tisch lerei, Drechslerei. Lackirerei, Klemme rei, Anfertigung von Spielwaaren etc. Die Zellengefangenen sind mit Schuh mach:rei, Schneider-ei etc. beschäftigt. namentlich wird von diesen die Gefäng nißlleidung für kleine Strafanstalten angefertigt. Ein gefangener Rechtsan walt war in seiner Zelle an der Ueber arbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuches für einen anderen Rechtsanwalt thätig, wofür dieser täglich 3 Mark zu zahlen hat. Der Unternehmer zahlt für jeden von ihm geinietheten Gefangenen ein Kopfgeld. Die tägliche Arbeitszeit be trägt 11 Stunden, und hat jeder Ein zelne in die-sen ein gewisses Tagespem sum zu erfüllen. Von dem, wag er darüber leistet, kann ihm eine gewisse Belohnung zucrlannt werden. Diese Belohnung darf alscr nach Paragraph 21 ver erirsiihnten »Bundegrathg(«i«rund säsze« sür einen Gefiingiiiszsträsling nicht mehr als dreißig Pfennig auf den Arbeitstag betragen. Bei schlechtem --«:« Verhalten kann dieser Verdienst wiedek entzogen werden. · Ganz außerordentliche Aufmerl am teit ist in Plätzensee auf die hygieni chen Einrichtungen verwandt worden. Das Gefängniß ist in allen seinen Abthei lungen überaus gut ventilirt. Die Luft wird in besonderen Luftschächten von außen zugeführt. Als sehr vortheilhaft erweist sich für Reinhaltung der Luft die Einrichtung der besonderen Arbeits baraclen, weil so der Geruch von Kleis ster und Firniß nicht in das Gefängnik eindringt. Aus gleichem Grunde i auch die Küche nicht im Hauptgebäudr untergebracht. Die Heizung ist in den einzelnen Abtheilungen in verschiedener Weise ausgeführt. 1872 wurde zuerst eine Heißwasserheizung mit Töper an gelegt. Eine solche ist billiger als Nie derdruckdampfheizung, auch läßt sich oie Wärme nach Bedürfniß vertheilen. An dere Abtheilungen, wie die für die JU gendlichen, haben Lustheizung erhalten. Hier aber mußte noch theilweise dh Wasserheizung hinzugenommen werden« weil bei Luftheizung die Windrichtung von starkem Einfluß ist, so daß an ei«· ner Seite unter Umständen nur 1«0 Grad sind, während man an der an deren Seite 20 Grad findete. Bei der lnappen Ernährung ist das Wärmebes dürsniß der Gefangenen ein überaus großes, sie frieren leicht. Das Licht quantum für die Gefangenen wird nach demselben Maßstab bemessen wie dei freien Personen, dafür die Beschäfti gung eine ausreichende Beleuchtung durchaus nöthig ist« Dieselbe geschieht durch Leuchtgas, welches im Gefängniß erzeugt wird. Enorm groß ist der Was serverbrauch, er beträgt pro Kopf und Tag 400 Liter, während selbst eine et was splendide Hygiene nur mit einem entsprechenden Bedarf von 800 Liter rechnet. Wahrscheinlich erklärt sich das große Quantum durch die ziemlich be deutende Jndustrie im Gefängniß. Die Wasserverforgung geschieht durch Tief brunnen, die auf dem Terrain des Ge fängnisses hergestellt sind. Das Was ser wird zunächst durch eine Maschine auf einen Thurm in ein Reservoir von 60 Kubikmeter gepumpt und von hier aus dann weiter vertheilt. Das Was ser enthält aber Eisen und Algen, und deshalb muß die Anlage von Zeit su Zeit mit Salzfäure gereinigt werden. Alles verbrauchte Wasser sammelt sich mit den Fäkalien in einer Kanalisa tion und wird von dieser einem kleinen Häuschen zugeführt, wo alles geruchlos gemacht und durch Pulsometer auf ein Rieselfeld von B Hettar gebracht wird. Das kostspielige Verfahren aber hat sich ausgezeichnet bewährt. denn der Ge sundheitszustand ist ein äußerst günsti ger, der Krankenbestand beträgt in der Regel nur 1 Prozent und steigt nur sel ten über 3 Prozent. Deshalb werden nach Plötzensee die Schwertranken an derer Gefängnisse über-geführt Augen blicklich befindet sicb dort einer schon über 8 Jahre im Lazareth Was die Ernährung der Gefangenen angeht, so rechnet man in Plötzensee auf den Kopf täglich 101 Gramm Ei weifz (21 Gramm animalisches und 80 Gramm vegetabiles), 46 Gramm Fett und 520 bis 530 Gramm Kohlehhdrate. · Wer derartige Zahlen zu beurtheilen vermag, dem wird diese Gefangenenko vor allem als etwas zu arm an Eiwei : vorkommen. Von seinem Ueberver- . dienst kann der Gefangene alle 14 Tage 60 Pfennig Zuschuß zur Gefängnißtost erhalten, wofür er sich Brod, Schmalz, Butter oder Speck taufen darf. Der Verpflegun ssatz beträgt pro Kopf und Tag 23k Pfennig (für Kasernenbekösti gung 35 Pfennig). In Plötzensee kann auch auf krante und altersfchwache Go fangene besondere Rücksicht genommen werden. Es wird dort unters ieden zwischen Gesundenkost, Krankenko t und Mittelkosi. Diese Einrichtung thut ge radezu Wunder. Mancher, der zusam menzubrechen droht, lebt völlia wieder auf, wenn ihm für acht Taae Mittelkost gewährt wird, und er ist dann wieder für längere Zeit im Stande, die man cherlei Beschwernisse der Gefangenschaft zu ertragen. Auf die jiidischen Jnfas sen wird nur am Passah Rücksicht ge nommen, die entsprechende Gefangenen kost wird alsdann von der jüdischen Ge meinde geliefert. .—-—-——-— -- Hecht mit Spreewald S a u c e. — Für 3 Personen nehme man 2 —- 2Ls Pfd. größere Hechte, schlachte und schuppe dieselben, wafche sie sauber und loche sie in Salzwasser mit Gewürz, Zwiebel, Lorbeerblättern, Pfeffer (ganzem) und Petersilienwur zeln weich. Zu der Sauce nehme man 2 Eßlöffel voll Butter, zerlasse diesele im Tiegel, gieße dann von der Brühe, wo rin die Fische gekocht sind, eine Por tionstasse voll in die zerlassene Butter. Hierauf nehme man 1 Pint saure Sohne, zerquirle dieselbe mit zwei Ei dottern und einem Eßlöffel voll Wei zenmehl, lasse alles zusammen noch ein mal auftochen und nehme zuletztnoch etwas feingehackte Petersilie dazu. Die Fische werden auf einer Fischfchüssel mit Petersilie garnirt und die Sauce apart gegeben. K o p f f a l at (anderes Rezept). — Der ganz frische Salat wird gewaschen, geputzt und mit folgender Sauce auf getragen: Man wiegt fein Piinpernell, tsstraaoih Schnittlmuh; eine kleine Zwiebel, Pfeffer, Salz und eine Prife Zur-ler, sowie tiffia und Oel werden l;in,2,uaethan. Nach Belieben giebt man lnrtaejocdte lssierdikrtel darauf. Seuf, Nacld 1!.s. lo. ira»1eiiiii(l)tz11r Verbes serung des Satans bei; auch Mayons naise macht grünen Salat nur schwer verdaulich.