Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, June 22, 1900, Sonntags-Blatt, Image 15
III-M per Iratlstinuge. .-....-.....·...—. Stizze von Arthur Drseslen Ein »heilloses Stttck Geld« hatte der Junge Jchon gekostet, wie sich der alte Merien gelegentlich seiner Frau und Befreundeten gegeniiber ausließ. Und das konnte ebensogut als Stoßseufzer, wie als stolzes Bewußtsein gelten daß er, Mertens. das vermochte und daß sein Junge diese Opfer auch werth sei. Sein Junge! Sein Karl! Hundertmal im Tage verweilte er bei diesem Gedanken. Eine kleine Weile nur, um ein wenig zu verschnaufen von der harten Arbeit: er ah dann im Geiste die hohe, vornehme ftalt seines Soh nes, die von Natur iiber Vater und Mutter emporragte, mit den noblen Ma nieren und der gleichmäßigen überlege nen Sprechweise. Das machte die Bil dung, er hatte was gelernt! Mit Rüh run und Stolz, ja beinahe mit Ehr fur t verharrte er einige Augenblicke bei · dem Gedanken —- dann griff er wieder tapfer zu. Er war ja noch nicht am Ziel, der Junge. und so lange mußten er und die Mutter wacker für ihn schaf fen. Der Erfolg, die Freude wogen ja Alles auf. Der, und ein Bauer werden —- etwa wie er, Mertens, mit feinen groben Kno chen und harten banden »Nicht wahr, Mutter? Es ftal doch bereits von Kind an in dem Bengel? Der war garnicht von uns. Den hatten uns die Buschelfen in die Wiege gelegt! Schon wie er den ersten Schrei that: solche feine, zarte Stimme hat lein Bau ernjunge. Und die Augen. die Hände!. Sagte ich Dir’s nicht gleich: das ist ’was Besonderes! Und richtig! Jn der Schule ging's mit dem Lernen wie das Wetter. hahal —- Und dann lam das Zeichnen ’ran, das Zeichnen!« Mertens sog im Lehnstuhl heftig an keiner Pfeife, daß die Dampf-vollen so oben. Seine Augen leuchteten, er hielt den Blick fest auf sein Weib gerichtet, das in einiger Entfernung von ihm, auf einer Fußbant sitzend, grobe, blaufarbene Strümpfe stopfte. Ein weiches, mütterliches Lächeln ·dreitete fich um ihren Mund. «Das Zeichnen!" wiederholte er tri nmphirend. »Wie zuerst der Lehrer staunte, dann der Schulinspettori Was, Gretelti —- Das ist viel —- sagte er da mals —- das ist die stärkste Seite bei Ihrem Jungen! Die müssen Sie Ve sonders ausbilden lassen! Aber auch onst ein heller. anschliigiger Kopf! — Ja, das mußt’ ein Stock einsehen, daß ein solcher Junge, wie unser Karl, nicht zum Bauer geboren war. —- Na, und turz und gut, ich hatt’s beschlossen, und des Jungens Herzenswunsch war’s: er tam in die Stadt auf die hohe Schul', in die Pension. Von da gings-Z weiter. Dann wurd’ er Baufiihrer und nun — nun ist er ein Königlicher Baumeister, er links Exainen gemacht und bat sich eine seine Frau ausgesucht, der seine Mann. Drüben in Oesterreich hat er sie genom men und ist in eine vornehme Familie gekommen.« Mertens hatte seinen Sitz verlassen, die erloschene Pfeife beiseite elegt und stand nun mit nachdenklicheni esicht vor seiner Frau, auf ihre Stopiatbeit nie fåreblickend die Hände in den Hosenn n. . — ·-- « ,,E5 war eine zu weite Reis’, Gretel, fiir uns zwei alte Leut’, die seit 30 Jah ren teine vier Meilen über’s Kafs hin aus gekommen sind,« hub er wieder an. »Und vom Vieh wollten wir uns auch nicht trennen. Da sind wir heim ge blieben und haben ihn hoch-seit machen lassen und haben ihm’s Beste geschickt, was wir haben im Elternherzen drin nen, ihm und der jungen Frau.'« Er schwieg und piinkte mehrmals mit den Augen« Auch Gretel war seltsam ernst geworden. Dann blickte sie. den Strumpf über die Hand gezogen und die Nabel mit dem Wollfaden in der Rechten, zu ihm aus, wie er an der großen braunen Truhe ihr zur Seite stand, den Deckel aufschlug und in seinen Händen ein Schreiben und ein Bild hielt. Was in dein Schreiben ftand, wußten sie Wort fiir Wort. Es war Karls Mittheilung daß er sich nun verheira then werde. Gern hätte er die Eltern an dein Tage bei sich, aber er wüßte wohl, daß sie vor der weiten Reise zurückscheu ten, die sur sie nicht ohne Gefahr sei; denn sie wären’s nicht gewöhnt und wiirden sich wohl garnicht zurechtfinden unterwegs in dem fremden Lande und in allerlei Bedränaniß kommen. Es machte ihnen zuviel Umstände, und es wäre ihm bange um sie. Auch wüßte er, wie sie am haus und Vieh hingen u. s. w. Da wäre ed besser, sie blieben da heim. Er würde doch drüben (in Deutschland) in der Residenz Wohnung nehmen« da hätten sie's dann bequemer, und er könnte mit seiner Frau dann ge legentlich zu ihnen kommen, damit sie sie sehen. Er hätte sich mit ihr photogra phiren lassen und schickte ihnen das Bild und viele Grüße dazu. Und die alten Leute waren zu Hause geblieben, und Karl hatte dann ohne oie Eltern hochzeit gemacht. Karl hatte Recht: sie blieben besser da heim. Die weite Reise und alles, was drum und dran hing, war nichts sti- sie. So waren sie an dem Tage mit deinGeist , und mit dein Herzen bei ihm und hatten sich im Sonntagsstacit um den roszen. schweren Tisch in der Stube ges t, vor sich den Brief und die Bilder mt dem vornehmen Zahne und der vornehmen Schwieaertnchien und rinasum Blu men aus dem Garten und einen statt lichen Kuchen aus dem Tisch und Wurst und Schinten und Brot. Da konnte essen und trinken, wer dahertarn, auch der Aermste, und sollte sich freuen mit ihnen über ihre Freude und ihren Stolz, über den Glückstag ihres Einzigen. Mertens war an den Tisch und zur Lampe hingetreten, und seine Frau war ihm in seiner Bewegung mit dem Kopfe gefolgt. Nun bückte er sich und hielt das Bild in den helleren Schein des Lichts, das prall aus die Gestalt einer jungen Da me mit feinen Zügen und vornehmen schlanten Körperbau in ausgesucht städ tischer Kleidung fiel. Es «lag etwas in dein Gesicht, das sie beide mit einer Art von Scheu und Peinlichteit erfüllte, wie sie solches wohl den wirklichen Herr schaften gegenüber empfanden, denen sie hier und dort begegnet; das Gefühl, daß sie doch nur einfache dumme Bauers leut’ seien, von jenen durch eine weite Kluft geschieden. Gar zu fremd muthete sie die Dame an, die dorh nun ihres Karls Frau war und ihre Schwieger tochter· Nicht lange darauf erhielten sie von Karl die Nachricht, daß er aus Oester reich fort und in die Residenz gezogen sei. Er wäre nun mit feiner Frau da bei, sich einzurichten. Sie würden spä ter von sich hören lassen. - Seine Adresse theilte er ihnen mit. , Doch Karls »von sich hören lassen« ließ etwas lange auf sich warten. Mer tens wurde unruhig, es hielt ihn Abends nicht mehr im Lehnstuhl, und die Pfeife wollte ihm nicht mehr schmecken. Alle Augenblicke legte er die erloschene Pfeife weg und durchmaß die Stube. Auch Gretel ging wie im Traume umher. Und sie blickten sich gegenseitig an und merkten, daß die Sehnsucht nach dem Jungen sie förmlich trant machte. »Weißt was?« fuhr da Mertens plötz lich wie in einem befreiendenSchrei auf. »Weißt, Mutter, wir überraschen sie, wir machen ihnen die Freude! Haus und Vieh lassen wir der Dirn, der Su se, sie ist eine rechtschaffene, brave Per son und wird für ein paar Tag schon alles in Ordnung halten. Du ziehft Dein gutes Sonntbgsgwand an und« ich mein’ Flauschroct, und Nachbar Pes ters fährt uns zur Bahn! Wie? Was sagst dazu?!« --- » . Cl lachte gllmttcy uno ergriff sie ver den Händen, die ihm erschrocken ins strahlende Gesicht schaute. »Ei, Du sagst nicht nein!" fuhr er stürmifch fort. »Ich seh ja, wie's auch Dir das herz abdriickt nach dein Jun gen und der schönen Schwiegertochter! Schau, wie sie gucken werden und die Augen aufreiszenx wenn Vater unt-Mut ter plötzlich bei ihnen reingeschneit kom men!« Ja, gleich wollten sie Anstalt machen und teine Zeit verlieren. Und Gretel packte dem Karl ein gu tes Bauernbrot ein. wiss ihm daheim immer so gut geschmeckt, und frische Butter und Schinten, Speck und Eier und zwei Hähnel wurden geschlachtet. Nicht mit leeren Händen wollten sie kommen und der Schwiegertochter wag in die Mich und in den Ton bringen. Den anderen Tag fuhr Nachbar Pe ter-H sie aus die Bahn und gab noch eine fette Gans aus Freundschaft ftir den Herrn Baumeister und die junge Frau echwiegertochter obendrein, die sie un belannterweife hübsch vielmals von ihm grüßen sollte-. Einen ganzen schweren Korb voll Mitgebrachtem gab’s und ein tüchtiqu Bündel. - i und foki ging-s mir gern-idem Pfiff ) von dem eisernen Ungethiim, unter ge t waltigem Posten und Schnauhen und Rrllen und Rasseln, daß die Funken sto ben, ins die Residenz · . . Ja, und da standen sie nun, in Schweiß gebadet, hochroth in den ehrli chen, saltigen, sonnverbrannten Gesich tern, schnausend von den steilen Stiegen, die zur Wohnung des Sohnes führten, und der schweren Last, nach vielen Irr sahrten durch die Gassen und Strazeen i der großen, geräuschvollen Stadt, in r es wie ein Ameisenschwarm von Men schen« Vieh und Wagen tribbelte und i rannte und jagte, in der man sie mit so sonderbaren Blicken betrachtete und ihnen mit so eigenem Lächeln Bescheid sagte und nachsah. Vor des Sohnes Thür mit dem blanlen Metallschild und dem Na men Karl Mertens, Baumeister, daraus, standen sie, in dem vornehmen Hause, mit dem Mann da unten, der sie erst einlas sen mußte und nach dem Wohin sragte und wer sie seien. Der that sehr erstaunt, als sie ihm sagten, daß sie Vater nnd Mutter des Herrn Baumeisterg seien und gekommen wären, Sohn und Schwieger tochter zu besuchen. Sie standen in dem bemalten Trep penslur mit den« bunten Glasfenstern mit wirrem Kopf von all dem Erlebten und Gesehenen und llopsendem bergen. Dann zog Mertens vie KlingeL und die Thür that sich auf. Eine junge Dame mit einem Häuhchen aus dein Haar empsin sie und fragte nach ihrem Begehr. und ksie sragten sie, ob sie wohl die Schwiegertochter, die Frau ihres Sohnes Karl sei ? Da machte jene ein erschrockenes Ge sicht und ließ sie stehen und ging in die Wo ung hinein. eich daraus hörten sie einen eiligen, schweren Schritt, und ein vornehmer Herr trat zu ihnen : es war Karl. Und Beide, Vater und Mutter-, dräng ten sast gleichzeitig durch die s le Thür und erhchen gleichzeitig die rme nrit einem Ausschnei, der wie Glück und Rettun- tlann und Gretel lchluchete sherzbrechend wie ein närrisch Gär: . »Karl ! Karl t« I Und der Sohn schaute oerdutzt drein l —- es war eine echte und rechte Ueber raschung! Er hatte sichs sicher nicht i tiäuznen lassen, der Prachtjunge ! I Jn ein wunderhiibsches Zimmer mit J Etguren und Bildern und Sesseln und eppich führte er sie und schritt vor ih nen mit leichter Falte zwischen den Brauen ein paar Mal auf und ab. Sie kämen ihm gänzlich unvorberei tet, meinte er, und sie hätten ihm doch vorher ein paar Worte von ihrer Absicht mittheilen sollen-. Und gerade jetzt wäre Besuch da von der Verwandtschaft seiner Frau, das wären . sehr eigene feine Leute —— und man müßte itznen doch ein wenig modern kcmsmen und könnte nicht so mit dem ganzen Dorf- und Acker- und Dungge ruch hereinplatzen Mertens blickte von Karl auf Gretel und Gretel wieder auf ihren Mann. Sie verstanden Karl nicht recht. Doch hat ten sie’s wohl in ihrer Hitze in etwas verfehlt, so gut sie’s auch gemeint hatten! Bei den vornehmen Leuten und in der Stadt war es doch etwas anders, wie bei ihnen daheim. Sie hatten sich’s nicht richtig iiberlegt ! Nein, Ungelegenheiten wollten sie ihm nicht machen, versetzte Mertens gedrückt. Ob denn der Besuch länger blieb ? Und da Karl so etwas von ,,einer Woche« fcllen ließ, meinte Mertens, für ein und zwei Tage ginge es mit ihnen beiden ja wohl, sie wollten dann gleich wieder nach Hause. Wenn ihm das nicht recht wäre, brauchten sie sich ja dem Besuch nicht zu zeigen und tönnten in einer Stube blei ben, viel Anspruch machten sie zwei ja nicht, und ein Bett reichte fiir sie auch hin. Wenn’s nicht anders wäre, gingen sie in einen— Gasthof . . . . Seltfam schimmerte es in seinemB"lick, Und Gretel wunderte sich, daß er beinahe wie mit einer anderen Stimme sprach. So wäre es nicht gemeint, sie-l da der Sohn wärmet ein. Das tönnte er schon garnicht zugeben. an einen Gasthof! Das wäre Unsinn. Ein Bett wäre noch da fiir die Mutter, und der Vater könnte aus dem Schlafsopha in demselben Zim mer Platz finden· L ( , ,»k Muts swlcu cc uuujsuvuucu usw streifte mit dem Blick die ländlichen Ge stalten der Eltern, die wie eingeschiichtert zu ihm hinsnhen. Na — und für das Andere fände sich auch Rath, sagte er dann kurz, ohne- sich weiter auszulassem Er rief das Mädchen und ließ die mit gebrachten Eßwaaren aus Korb und Bündel packen und in die Küche bringen. Das wäre auch nicht nöthig gewesen, bemertte er mit leichtemVerdruk Sie hätten ja förmlich Aufruhr mit den da chen und in dem Aufzug in den Straßen machen müssen. Es wäre das Alles hier etensas gut und noch besser zu haben. Aber sie hätten’s eben gut gemeint und tannten das Stasdtleben nicht« Mit einem kurzen »Wartet hier, ich hin gleich wieder da !« schritt er zur Thür hinaus-. Es dauerte eine geraume Weile, bevor er wiederkam Die beiden Alten btickten schweigend vor sich hin, bis es ihnen un heimlich zu werden begann, und dann lauschten sie mit halber Stimme einige Worte und fragten sich gegenseitig, ob sie müde seien ? Da stellte es sich denn heraus, daß beide Kopfschmerzen hatten von dem Wirrwarr der Reise und oer Stadt und der dicken, schlechten Luft in den Straßen. sxsz.k.t:.s. 4—-k h-- Ost-s-- c--.:.. .»-h Wließlich trat der Sohn herein und hinter ihm eine junge Frau mit schlep pendem Gewand, die lächeln-d vor ihnen stehen blieb. Ja, das war die Schwiegertochter und dre andere war dass Dienstmädchen ! Beide Eltern erhoben sich. »Das sind Deine Eltern ?« fragte die junge Frau mit süßer Stirn-me und reichte jedem die Fingerspitze Gretel aber lonnte nicht an sich hal ten, und sie umllammerte die Frau ihres Sohnes und brach in ein starles Weinen aus. »Meine Tochter !« rief sie das eine iiber das andere Mal. Meine liebe Tochter! Eine einfache Bauersche bin ich nur, aber Du wirst mich doch lieb ha ben, wie Deine Mutter, wie unser Sohn uns lieb hatt Wir haben ein gutes, treues Herze, wenn wir auch grobe Ge sickter unid grobe Knochen haben ! Geli, Karl ?« Und Karl stand dabei mit glühendein Gesicht und zusammengepreszten Lippen und hörte das ängstliche »Ja, ja, ja, liebe Frau l« seines Weibes und merkte, wie peinlich ihr die Szene war. Er beruhigte dieMutter mit ihrer lau ten, kräftigen Stimme: man mußte das ja bis in die untere und obere Etage vernehmen ! Er sprach von anderen Dingen, um sie und den Vater aus an dere Gedanten zu bringen, oon der Hei math, von diesem und jenem. Daraus sliisterien er und die junge Frau abseits kurz mit einander, und wieder musterten ihre Blicke das Aeußere der Eltern. Die junge Frau ging zu ihrem Besuch zurück und Karl holte seine Röcke hervor und ließ sie den Vater anpassen. »Wir müssen Dich ein wenig augstatten«, san te er. »Für Dich, Mutter, wird meine Frau sorgen. Jhr müßt schon einige Tage bleiben, und der Landanzug nimmt sich gegen die städtischie Tracht ju aussallend aus. Jhr wollt doch etwas sehen in der Residenz !« Die beiden alten Leute erschraken. So wie Sohn und Tochter sollten sie geklei det gehen? Dem Vater mochte dies wohl aussehen- dem paßten Karls Sachen un W i gefähr wohl —- aber sie, wie sollte ste mit ’ ihrer«Wohlbelei·btheit in die schlanten’ Anziige der Tochter ? - Himmelangft wurde es ihr, der Athem " wurde ihr schon jetzt zu knapp, dicke Schweißtropfen traten aus ihre Stirn-. Aber es tam anders. Vaters breite Schultern gingen nicht » in Karls Röcke hinein. Auch die Bein tleider waren zu lang. »Dann helfen wir uns eben anders«, , meinte der Baumeister und ging aus und l tam mit einem neuen fertigen Auszug für ( den Vater, mit Oberhemd, Kragen, Cra- l hatten, Handschuhem Stiefeln und Cy- ’ linderhut zurück. Auch seine Frau hatte für die Schwiegermutter etwas Possen des besorgen lassen. Und nun stand Mertens in dem nob len städtischsen Anzug vor dem hohen Spiegel und schüttelte betrübt den Kon mit dem seidenen Hut daraus, während der Sohn ihn mit unzufriedensen Blicken prüfend maß. »Es guckt doch immer wieder der Bauer ’raus!« sagte Mertens resignirt. Mit Gretel war es nicht anders. Das Corset und die enge Taille ver ursachten ihr eine Empfindung, als wür de ihre Seele zum Körper hinausge drängt. Aber sie hielten beide tapfer aus, denn auch Mertens zwickte und zwackte es überall, und bei dem Versuch, die Hand schuhe iiber seine breiten rauhen Hände zu pressen, antwortete der eine davon mit einem tlafsenden Riß. So waren sie denn dem Besuch der jungen Frau, einer ebenso seinen Da me, wie diese selbst, vorgestellt worden und saßen mit ihr und ihren Kindern um denselben Tisch beim Abendessen. Und Vater Mertens wurde auf die» freundliche Anrede des Besuchs hin zu- l traulicher und erzählte ihm die Geschichte » Karls, wie er sie Gretel und seinen Be kannten hundert Mal erzählt, und trie sie gearbeitet und gedarbt und gespart hätten siir ihn, der ihren Stolz aus mache. » Den anderen Tag schien Karl sehri worttarg, er mied die Eltern und schätzte i Geschäfte vor, und auch die junge Frau war nicht wohl und blieb viel auf ihrem Zimmer und bei ihrem Besuch, der ge stern Abend schon gesagt hatte, daß er nun nicht länger stören und abreisen» wolle. So saßen denn die beiden Alten j in ihren engen unbehaglichen Kleidern allein bei einander und sehnten sich nich « ihren eigenen bequemen Sachen und ih- ’ rem Heim zurück. Und wie sie dann hörten, daß der Besuch Vorbereitungen zur Abreise traf, da schlüpften sie be hende in ihre ländliche Tracht und tri ten vor Sohn und Tochter hin und nah men von den verlegen Dreinschauendzn Abschied. »Bleibt doch noch« —- lzögerte Karl, und auch die junge Frau stimmte ihm tleinlaut bei. Aber Mertens wehrte milde und weh niijthig lächelnd ab. »Laß nur gut sein, mein Sohn!« san te er. »Wir gehören nicht hierh:r. Jch seh’ es ein. Wir sind glücklich, weil Du glücklich bist. Und wie wir unsere Schuldigteit gethan haben an unserem Kinde, also magst Du einmal an Dei nen Kindern thun· Und dann wünsch’ ich Dir dieselbe Freude, mein Sohn!« Und damit schieden sie und blieben still siir sich in ihrem Dorf. Für die Geschichte seinesSohnes aber hatte Mer tens von da ab einen eigenen Ton, und er tlang der Gretel immer wie der einer zerrissenen Saite -—— -- «s.-—- ——-· Der Dutzendummk Stizge von Max Grube. . Es ist schon eine ganze Reihe von Jah ren her. Jch hatte gerade ein Engage ment in einre hübschen kleinen Residenz stadt angetreten. Kaum hatte ich meine Wohnung bezo gen, so traf von der Ortsagentur unserer Feuerversicheruag ein Schreiben ein, in welchem mir mitgetheilt wurde, daß durch meinen Umzug eine Umschreibung meiner Versicherung nöthig geworden wäre. Beigesiigt war das übliche For mular, in welchem die einzelnen Posten an Mobilien, Silber, Kunstschätzen u. s. w. vorgedruckt waren und nur der Ver sicherungswerth auszufüllen blieb. Jch sreute mich natürlich über die Aufmerksamkeit der Agentur, legte das Papier zur Seite und nahm mir vor, in den nächsten Tagen die Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Selbstverständlich wurde dies von mir bestens verbumnielt, obwohl meine Haus ehrf fürsorglich öfter daran erinnerte, bis eines Tages irgendwo ein lleiner Brand stattfand, wag mir eine sehr energische Rüge meiner Saumseligleit zuzog Jch wollte gleich gehen aber wo war denn nur das Fomular hingerathen? Jedenfalls war aus meinem Schreib tisch wieder einmal ,,ausgeräumt«· wor den, ich war aber schon ein zu wohlerzo ener Eheniann, um diesen düstersten Punkt jeder Ehe wieder zur Sprache zu bringen und begnügte mich, zu erklären, daß ich ja zu dem Agenten hingehen und mir ein neues Formular holen tönne. . ,,Gel)’ aber auch augenblicklich!« hatte »sie« mit dem wohlwollend-energischen Tone gesagt, der ihr so gut steht, und ich machte mich denn auch am nächsten Tage auf den Weg zu Herrn Niedermeyer, so hieß der Agent. - Herr Niedermeher wohnte in einem der neugebauten Häuser im ersten Stock. Jch stieg eine schöne, breite Treppe — hinaus und tlingelte, woraus mir nach einigem W Harren geöffnet wurde und zwar von " Herrn Niedetmeher selber. · Er schien mich etwas mißtrauisch zu betrachten, bat mich aber, als ich mich ihm vorgestellt hatte, freundlich, näher zu treten. Wir schritten durch einen langen, hel len, mit wunderschönen Blattpflanzen gefchmiickten Korridor und gelangten in ein großes Eckzimmer, in dem gleichfalls - vor allen Fenstern ganz prächtige Ge wächse standen. Sonst aber befand sich in dem ganzen großen Raume nichts, als ins der Mitte ein kleines, dünnbeiniges Mahagoni-Tischchen, zwei schwere, wohl noch aus der Empirezeit stammende Stühle mit braunem Wolldamast bezo gen und an der einen Wand ein unge heures schwarzes Ledersopha. Letzteres lenkte sofort meine ganze Aufmerksam keit auf sich, denn in jeder Ecke saß eine riesige Puppe, links ein Puppen-herr, rechts eine Puppendame, beide in Tiro ler Tracht. " Herr Niedermeyer fragte nach meinem Begehr. Jch erklärte ihm kurz mein Anliegen und schloß mit der Bitte um Ueberlassung eines zweiten Formulars, da ja das erste in Verlust gegangen war. Herr Niedermeyer sprach sehr ru«hig: »Ja, das sagen Sie nun fo, geehrter Herr. Was denken Sie sich nun dabei?« »Was ich. .. ?" , »Was Sie sich dabei denken,« fuhr er unerfchüttert fort, ,,wissen Sie denn nicht, daß unsere Gesellschaft eine der größten in ganz Deutschland ist ? Die versichert jährlich wohl viele tausend Menschen. Wenn nun alle diese Tau sende immer zweiFormulare haben woll ten, was würde das der Gesellschaft wohl kosten ? Wie ?« Mein erstauntes Gesicht muß Herr Niedermeyer wohl dem Gewicht seiner Beweisführung zugeschrieben haben, denn lächelnd fuhr er in etwas milderem Tone fort : »Also gehen Sie nur nach Hause, lieber Herr, suchen Sie Mal nach, Sie werden das Formular schon noch finden !« Jch hätte kein Charakterspieler sein müssen, wenn ich nicht sofort gemerkt hätte, welch’ absonderlichen und des eif rigsten Studiums werthen Charakter ich da vor mir hatte, und um mir die Ver anlassung, wiederzulommen, nicht entge hen zu lassen, empfahl ich mich höflichst mit der Versicherung, fleißig nachsuchen zu wollen. Herr Niedermeher hatte übrigens voll ständig recht, denn ich fand das Ver mißte in der That. Statt es ausgefüllt zu übersenden, ging ich natürlich wieder hin, um die Fragen an Ort und Stelle zu beantwor ten. Herr Niedermeyer empfing mich sicht lich erfreut. Wir ließen uns an einem kleinen Mahagonitifche nieder, als ich aber die nöthigen Eintragungen vorneh men wollte, fand es sich, daß die Tinte fast gänzlich eingetrocknet war, und daß die Stuhlfeder durchaus nicht mehr in der Lage war, irgend welche Dienste zu thun. Nach einigem Widerspruche mußte Herr Niedermeher, nachdem er selbst einige fruchtlose Versuche mit dem ver stauchten und berrosteten Ding angestellt hatte, die Unumstößlichteit der Thatsache zugeben und schließlich erklärte er sich be reit, dassKonto seiner Gesellschaft, oder seiner Agentur mit einer neuen Stahl feder zu belasten. Er hätte noch die nö thigen im Tischtasten. Wie erstaunte ich, als ich die ganze Schublade voll un t zähliger kleiner Kästchen sah, deren jedes ! bis oben hinauf mit den kleinen blanien Dingern angefüllt war Aber ohne Tinte i versagt selbst die blankste Feder ihre Dienste Herr Niedermeyer mußte sich i entschließen, das gläserne Tintenfaß nachzufüllen, und das war nicht schwer, denn in einem kleinen, von mir bisher nicht bemerkten Wandschränlchen, das er öffnete, stand eine lange Reihe mäch tiger Tintenflaschen, gewiß ein Dutzend. Er mußte meinen erstaunten Blick auf gefangen haben, denn mit einem Lä cheln der Befriedigung meinte er, es sei immer gut, von Allem etwas Vorrath zu haben. Jch hatte die Empfindung, als wären wir Beide uns nun innerlich et was näh-er gekommen, so daß ich, wäh rend ich die Rubrilen ausfüllte, mir, mit einem Blick aus das Sopha, aus dem wieder die riesigen Puppen in Tiroler . Tracht saßen, die Aeußerung erlaubte : »Schöne Puppen haben Sie da l« »Es sind liebe Kinder,« entgegnete er, mit nachsdrücllicher Betonung der ,,Kin der«, »der Arthur und die Minia, sehr ar tige, gute, dankbare Kinder nicht wie , l hier brach er ab und im plötzlich ernst ge wordenen Tone seiner Stimme fühlte ich, . daß es nicht gerathen sei, den wunderli- J chen alten Herrn, der mir auf einmal sehr ; leid that, näher über diese Kinder auszu fragen. Jch hatte zudem mein Wert ge than und empfahl mich daher. Tags darauf hatte ich das Vergnügen, Herrn Niedermeher wieder zu treffen und zwar iin Laden des Herrn Kaufmann Kirsten. Herr Niedermeher mußte bei Herrn Kirsten sehr hohes Ansehen genie ßen, denn obwohl er mich, als einen neuen hoffnungsvollen Kunden, stets sehr eifrig zu bedienen pflegte, hatte er diesmal für mich nur einen kurzen, freundlichen Blick und die Bitte-, mich ein wenig zu gedul den. Herr Niedermeyer wollte offenbar ei nen Regenschirm laufen, denn vor ihm lag Alles, was das Weltgeschäft Kirsten » an Regenschirmen besaß. links etwa ein Duyend Schirme Jch sah, wie Herr Kir ten einige Goldstücke empfing und daraus sämmtliche links lie genden Schirme mit einer Schnur zu ei nem mächtigen Bündel vereint te. das Herr Niedermeher nicht ohne An rengung in beide Arme nahm. Herr Kirsten · - nete ihm die Ladenthiir und Herr N - dermeyer entfernte sich mit seiner gewich-« tigen Last. »Hat denn der Herr noch ein Regen fchirm-Geschijst neben seiner Agentur?« fragte ich erstaunt. »Aber durchaus nicht,« antwortete der freundliche Herr Kirstem »ich merke, Sie kennen unseren Dutzendmann noch nicht« — »Dutzendmann?« — » , so nennen wir ihn, der sehr vermögliche Herr hat nämlich die Angewvhnheit, Alles nur im Dutzend zu kaufen.« —- »Alles?" — «Freilich«! Er kommt daher fetten her, aber dann lohnt es auch. Jetzt hat er wieder Bedarf. Gestern hat er ein Dutzend Hüte gekauft. Das letzte Dutzend hat er noch bei meinem seligen Vater be zogen, aber jetzt kommen für mich die gu ten Zeiten. Seine Gummischuhe müs sen auch bald alle sein« Jch muß dog beiSchneider Mischwiß fragen, ob er au schon ein Dutzend Anzüge bestellt hat. Nach Schlafröcken hat er sich schon bei mir erkundigt.« »Aber Puppen hat er nur zwei,« sagte ich, »wenigstens in decn einen Zimmer, oder sind sonst in der Wohnung —- ?« »Nein, das stimmt,« entgegnete Herr Kirften und nun erfuhr ich auch, wie es mit den Puppen zusammenhing Herr Niedermeher hatte, trotz feines Dutzendprinzips, nur eine Tochter und einen Sohn gehabt. Erstere, die er sehr geliebt, hatte er ziemlich früh verloren; mit dem Sohne konnte er sich niemals recht stellen, vielleicht weil er ihn immer daran erinnerte, daß er bei diesem wich tigen Artikel feiner Gepflogenheit untreu geworden war. Der Sohn war endlich nach Amerika gegangen oder gegangen worden. Dort hätte er sich vielleicht mit dem Vater ausföhnen können, wenn er Mormone geworden wäre und dem Va ter wenigstens ein Dutzend Schwieger töchter befcheert hätte. Statt dessen zog er den üblichen Modus vor, nur eine Frau heimzuführen, und seitdem wollte der Alte gar nichts mehr von ihm wissen. Der ganzen Stadt war es aber bekannt, daß jene beiden großen Puppen von ihm wie Sohn und Tochter behandelt wurden. Der Konditor hat mir nachher versichert, daß er für die Beiden oft ein Dutzend Tassen Chololade und ein Dutzend Tor ten hinüber schicken müsse, von denen er freilich annehmen müsse, daß sie Herr Niedermeher selber zu sich nähme. , Uck OUIIUILUUZ Ljucxc UUW UUUIUJS andere Eigenthümlichkeiten. Alle Abende, die Gott werden ließ, trank Herr Niedermeyer zwei Glas Bier im Schützenhause, diese zwei Glas Bier waren auf drei Jahre hinaus im Bor Os bezahlt. Jch hörte noch allerhand drollige Ge schichten von dem Dutzendmann. Seine Neigung zur Masse hatte ihn einmal zu einem großen, zu einem ungeheuren Pa piereintauf bewogen. Dies Papier war nun der stille Kum mer seiner Gestksraloirektiom denn die Berichte waren, wegen eines ganz unge wöhnlichen Formates, in den Akten der Gesellschaft schlecht einzuheften, so daß für diesen Bezirk eigene Aktendeclel an geschafft werden mußten. Als nun dem oben erwähnten großen Brande auch Herrn Niedermeyer’s Haus zum Opfer fiel, zahlte ihm die Direktion prompt seine Bersicherungssumme aus, bedau erte seinen Brandschaden, konnte sich aber nicht enthalten, ihre Freude dan über auszusprechen, daß nun auch jenes satale Papier vernichtet sei. Der Zu fall hatte es aber gefügt, daß aus der ganzen Straße nichts weiter gerettet worden war, als diese Papierballen, die in einem besonderen kleinen Schuppen gelagert hatten, wie Herr Niedermeyet freudig aus einem der Kanzlei so mißlie bigen großen Bogen melden konnte. Nur in der Freundschaft schien Herr Niedermeyer seinem Grundsatz des Dutz ends nicht zu huldigen. Einsam sah man ihn allabendlich seinen Weg nach dem Schützenhause ziehen, und wenn er da allein vor seinem Bier saß, da machte der alte Mann einen gar wehmüthigen Eindruck und hinter seinen großen Bril lengläsern schien es manchmal feucht zu schimmern. Jch freute mich denn auch ehrlich, als es eines schönen Tages durch die ganze Stadt lief, daß Herr Niedermeyet junior mit seiner ganzen Familie aus Amerika zum Besuch eingetroffen sei und daß eine große Versöhnung stattgefunden habe. Jch meinte, die Ausföhnung könne nur dadurch bewertstelligt worden sein, daß Herr Niedermeyer Sohn dem Vater ein vollgezähltes Dutzend kleiner Nieder meyer als Versöhnungsengel entgegen geschickt habe. Das war aber verwunder licherweise nicht der Fall. Jch selbst habe die nunmehr glücklich vereinte Familie eines Abends nach dem Schützenhause pilgern sehen, den Alten, den Jungen, der dem Vater recht ähnlich war, bis auf den Mangel der Brillengläser, eine nicht unüble, lange, junge Frau . und vier stramme, runde Bengelchen. Einige Tage darauf sah ich den Kauf mann Kirsten in großer Hast-dem Tele graphen-Amte zueilen. Schon von Wei tem winkte er mir ab, als befürchtete er, ich wolle ein Gespräch mit ihm anknü pfen. »Habe keine Zeit,« rief er, »habe keine Zeit. Muß nach Nürnberg leie graphiren. Morgen reisen die jungen Niedermeyers ab, der Alte will den Klei nen morgen noch was zum Abschied auf den Bahnhof schicken —: Ein Dutzend Krokettspiele i«