Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, June 08, 1900, Sonntags-Blatt, Image 14

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    Frau Bankicr Hartwig.
Ctiminal-Roman von Friedrich Thien1e.
UIIII - - ------
(18. Fortienung.)
Wir nahmen uns keine Zeit zu län
geren Auseinandrrsetzungen. Jeden
Augenblick konnten die Richter zurück
kvmmen, und war das Urtheil einmal
gegeben, so war es zu spät, uns blieb
dann nur der langwierige Weg der Av
pcllation mit seinen Schwierigkeiten,
Berzögerungen und Ratte-Jungen Wie
ein T:untener bewegte ich mich nach der
Thür des Beratbungszimmer3, um
den dort stehenden Gerichtsdiener mit
meiner Botschaft ihineinzuschickenx ein
Seitenblick aus Michaela zeigte mir sie
in angelegentlicher Unterredung mit
ihrem Anwalt begriffen; sein ironi
schrs Lächeln war verschwunden, er
biß zornig die Lippen aufeinander-.
seine Hände vibrierten, seine Augen
blitztem
Wäre Doktor Böhrina an meiner
Stelle gewesen, so hätte er mir wohl
kaum einen ironifchen Blick erspart:
ich hielt aus Rücksicht auf mich selbst,
nicht auf ihn, meine Freude zurück und
wandte mich ohne Verzug mit meinem
Ansinnen an den Gerichtsdiener, der
sofort eilte, meinen Auftrag auszurich
ten. Der Vorsitzende trat sofort zu mir
beraus; in fliegenden Worten setzte ich
ihn von der eingetretenen Aenderung
der Situation in Kenntniß.
»Und Sie meinen, Doctor Kainz
wisse wirklich Thatfachen zu berichten,
welche die gesammtenFrststellungen des
Processes iiber den Hauer werfen
würden?«
,,3weifellos — nach einigen Andeu
iungen, die er sallen lief-. —"
»So muß die Verhandlung noch ein
mal eröffnet werden«
»Gewiß, es wird weiter nichts übrig
bleiben.«
Als ich mich umwandte, um meinen
Platz wieder einzunehmen, war Mc
chaela verschwunden. Die Unglückliche,
die Märtyrerin hatte es vorgezogen,
sich zu entfernen. Jhr Vertreter war
allein zurückgeblieben, in heller Muth
»wir es mir vorkam, die Fäuste insge
-l:eim ballend und die Lippen zusam
mcnbeißend.
«Das Auditorium derbarrte in ge
rauschvollem Flüstern: man ahnte, dass
irgend ein unerwarteter Zwischenfall
eingetreten sei, aberzerbrach sich ver
geblich den Kon darüber, welcher Art
er wohl sein könne. Michaelcks haskige
Entfernung trug noch mehr dazu bei,
sie Gemütder zu beunrubigen. Als im
selben Augenblick die drei Richter in
sichtbarer Hast zurückkehrtem erwartete
man mit fieberhaftem Interesse die
Aufklärung
Ter Vortjtzende suchte mit seinem
ersten Blick die Betlaate, seine Mienen
rinnsölkten sich· als- er sie verschwun
den sah. Er mochte darin eine schlechte
Brsrbcdeutuna für eine Sache erblicken,
in der er »Du ihren Gunsten Recht zei
sprechen eben noch im Begriff gewesen-.
Sofort nahm er zu seiner Erklärung
das Wort: »Auf Antrag des Herrn
Justizrnth Doctor Weber treten wir
Rede-mais in dieVerbandlunq und zwar
in die Beweigaufnatime ein. Haben Sie
einen Geaenantraq zu stellen, Herr
Rechtsanwalt?«
Doktor Böhrina verneinte, er wußte,
das; er damit doch nicht durchdringen
würde.
»Hat die Betlaate selbst etwas zu er
widern?« fuhr der Director, sich ar«
stellend, als habe er ihr Verschwinden
nicht bemerkt. in geschäståmäszigern
Ton fort.
DoktorBöbrinq deutete achselzuckend
aus Michaela’s leeren Stuhl.
»Sollen wir einen Auaenblick war
ten, bis die Dame zurückkehrt?«
,,Bedaure, sie wird nicht «zuriickkorn
men. Frau Hartwia sah sich insotqe
plötzlichenlinwohlseins gezwungen, sich
zurückzuziehen«
,,Vermuthlich ein Unwohlsein, das
erst außerhalb Deutschland’s turirt
werden iann,« sliisterte mir der neben
mir stehende Doetor Kainz zu.
Der Vorsitzende sprach weiter: »So
verhandeln wir ohne die Bettagtr. Ein
längst erwarteter Zeuge ist zurückge
kehrt. Herr Schriftsteller Doctor Kainz
— dars ich bitten, here DoctorF
Doktor Kainz postirte sich vor dern
Gerichtötisch
»Nicht um tnich allein handelt es ;
sichf sagte er bedeutsam, »sondern um j
diese Dame — eine weitere Zeugin, die i
ich aus Ausland mitgebracht und die
Mittheiiunaen von großer Tragweite
zu män veißf
.Diese Dame —- teser ist sies«
:Frau Sophia Wassiloss —«
Bctsiiende schaute überrascht
sus. et»Aust- jene Fremde aus Peters
besrx die aus Betreiben Gembalsttfs
im verhastet und ausgewiesen
. trinkt« I
Diese W
’ Mr ßnd bereit, die Anssagen der
seiden sorgen are höre-if
In diese-e Augenblick erhob sich.
Ums- mtch veranlaßt, der Vertreter
see Staatsanwaltsästt Und st Ite den
W, die Beme Dort-r
Ia Mk bei Frauil Sspbss Wassiloss
sie-M Teil ten m titb gehen
is. Atti-II
is- wissest-tw
alles das Gravirende, was der Doctori
zu entdecken hohe, nicht in die großei
Oeffentlichkeit drin e — sowohl um
scinet- als um Mi ela’s willen, der
er auch ietzt noch so viel Schonung, als
nur immer in feiner Macht liege, ange
deihen zu lassen wiinfchr. Das Publi
kum, llagte er, sei durch den Proceß
ohnehin in alle Geheimnisse seiner ;
Häuslichteit eingeweiht worden; die »
gegenwärtigen Enthüllungen ader seien
von der Art, mit jener frevelhaftens
Person auch zugleich seinen und der i
Seinigen Namen mit Schmach zu be
decken. »Was ich thun kann, um dieses
Ergebniß abzuwenden," erklärte ich
ihm, »wic! ich thun,« worauf ich mit
dem Vertreter der Staatsanwaltschaft
leise Rücksprache nahm« Das Resultat
derselben bestand in seinem Antrag.
Jchfchloß mich sofort demselben an.
das Gleiche that Dator Böhring, der
nun tein Interesse mehr an der öffent
lichen Behandlung des Falles nahm,
sondern im Gegentheil der Zuhiirev
schaft das Fiasko feiner Clientin mög
lichst zu verbergen strebte.
Diesmal brachen geradezu Zorne-Z
lundgetsungen im Auditorium aus —
doch was half alles Muren und Pro
testiren? Der Zuhörerraum mußte wie
derum geräumt werden« AssesforHiirchs
net erhielt darauf das Wort, um den
Antrag zu begründen.
»Wie mir der Herr Justizrath mit
getheilt,u erwiderte er auf die Frage
des Borsihendem »tragen die Aus
tiinfte über jenen Gembalsly, welche
wir aus dem Munde der plötzlich er
schienenen Zeugen vernehmen werden,
zum Theil einen politischen Character-,
ioLs möchte daher den Gerichtshof bitten,
dem anzuordnenden Ausschluß der
Oeffentlichleit in diesem Fall die
strengste mögliche Form zu verleihen.«
So geschah es in der That, selbst die
Berichterftattung mußte weichen.
Doctor Kainz trat sodann von
neuem vor.
Nach Feststellung der Persönlichkeit
und Abnahme des Zeugeneides fragte
Director von Schreiber:
»Sie waren in der Angelegenheit des
Processes in Russland Herr Doctor?«
»So ift es.«
»Und sind ersi deute zurückgekehrt?«
»Erst heute Mittag um I Uhr. Aus
den unterwegs gelesenen Zeitungen
kannte ich bereits den Verlauf desPsz
eesses —- so fuhr ich vom Bahnhof ans
mit meiner Begleiterin sofort zu meis
nem Freund, um mit ihm Rückspra tx
zu nehmen: er führte uns unverzüglich
nach dem Gerichtsgedäude.«
»Sie kamen im letzten Moment —
eine halbe Stunde später wäre alles l
entschieden." !
.Besser im letzten Augenblick als gar i
Nichka .. - . . « I
,.AULIDUICS — ADLI WITUM DIE-IN
Sie tein Lebenszeichen von sich ges-»e- ;
ben? Kenttten Sie nicht wenigsten-z
Von irgend einer Station aus bunt-pi
ren?«
Der Doctor legte seine Stirn in be
dcrtlliche Falten.
»Ich konnte nicht nur, ich that es
auch. Jch gab in War-schau ein Tele
gxamm aus, worin ich meine bevorste
hende Rückkunft Und die net-erbrin
gung hat«-wichtiger Neuigkeiten mel
dete. Schon vom Commisstcnsrttn
Hcrtwig habe ich zu meinem Erstaunen
erfahren, daß mein Telegramm nicht
angelangt ist«
,,Allerdings nicht —— war vielleicht
der Bote unzuverlaßig?«
»Ich habe es selbst attsaegeben.«
»Das ist sonderbar ——«
»Ich kann nur annehmen, daß der
betreffende Telegraphenbeamte an dem
einigermaßen geheimnißvollen analt
Anstoß genommen und dieBesörderung
des Telegramms unterlassen hat.«
,.Wohl möglich — nun, die Haupt
sache ist« daß Sie trotz alledem noch
rechtzeitig vor uns stehen —- bitte, wol
len Sie uns Jhren Bericht erstatten?«
Dortor Kainz, dessen blasse, einge
sallene Wangen die hinter ihm liegen
den Strapazen verriethen, begann ohne
weitere Einleitung seinen Bericht:
»Ich trat,« erzählte er, »an! Z. Oc
tober meine Reise an. Ich glaubte Zeit
zu haben und reiste Mich, um un
terwegs etwas Nu iseh zu lernen —,
am s. October betrat ich den Boden der
hauptstadt des ungeheuren Reußens
landes. Während der Fahrt hatte ich
Tag und Nacht russische Volabeln ein
s gepautt, so daß ich mich zu meinem ei
i genen Erstaunen in der schweren
s Sprache nach ettoa einer Woche wenig
! stenz etwas verständlich machen konnte,
wenn ei natürlich auch entt der Aus
sprache und der Construction bedenklich
haperte. Mein erster Besuch galt Deren
Kot-selten dem langjährigen Geschästsi
sreund arttvig’s. Der here empfing
mich Ein erst zuvortommend, er hatte
aus den Zeitungen bereits don dem
Proeeß Kenntniß und gestand mir un
umwunden, daß er sich seinerzeit über
den raschen Entschluß des Commis
siensraths nicht genug habe· wundern
können. Die junge Deine, sagte er hin
ste, Hand ten Glut-, wie tch mich später
five-incre- uiae im W nur-seen
Rat nieste ihr gerade nichts Unechtes
-
nachzujagen aber sie hatte- doch leinen
allzu guten Eindruck hinterlassen.
»Wie ist-sie denn eigentlich in dem
; Club gekommen? Und wie-ist jenerBas T
I rcn Wardofs htneingelangth »
Kawelin guckte die Achseln-. - ·
»Wie das immer zu sein pflegt,
Frisllte egeåinåerher ßståxmaud gewese:
ern. asmu r . rr u
Empfe langen gehabt hag. her
kreiß, vielleicht ift eiMichaela selbst ge
wesen, die, nachdem sie durch irgend ei
nen Verehrer eingeführt war, den Ba
ron mitgebracht han« «
Auf meine Frage, ob er mir bei mei
nen Recherchen behilflich sein wolle,
fchiittelte der Rasse dedenllich den
Krpf. »Wenn ich Jhnen sonst —- soweit
es Ihren privaten Aufenthalt in Pe
tersburg anbetrifft — mit Rath und
That an die band gehen tann . . ..«
»Seht verbundenf ich werde nith
verfehlen«
So etwa verlief und endete meine
Unterredung mit dem jedenfalls mit
Fug äußerst dorsichtigen Kaufmann,
der mich trohdern bereitwilligst am ans
tsern Tag aus dern Gang zur Mutter
Michaela’s begleitete.
Mein Freund hatte mir die Adresse
gegeben, die sie ihm als die ihrer Mut
tcr mitgetheilt. Jn der That wohnte
lsier und zwar in recht ärmlichen Ver
lrikltniffrn eine alte Frau Namens Ro
wrnsta. deren Züge, so sehr auch Kum
mer und Sorgen darin gehausi, die
Verwandtschaft mit Frau Harttrii
nicht verleugneten. Ich dachte mir
gleich, die Frau sehe fiir die Mutter ei
ner fo reichen und, wie ich gehört.
splendiden Tochter nicht gut aus, und
la sie mir den Eindruck einer anständi
gkn Person hervorbrachte. ging ich
ohne weiteres auf mein Ziel los unt
ertlärte ihr durch den Mund meines
Begleiter-T ich sei ein Belannter des
Mannes ihrer Tochter und getommen,
mich einmal Von ihrem Wohldefinden
zu überzeugen.
«Meiner Tochter?« fragte sie mit ei
nem erstaunten und, wie mir vorkam
rtwas mißtrauifchem Blick.
»Jawohl, Madame.«
»Von welcher meinerTöchter sprechen
Sie? Jch habe deren zwei«
»Von Michaela Hartwig in Berlin.«
Die Frau lachte bitter auf.
,.Von Michaela? Erinnert sie tät-)
wirklich einmal ihrer Mutter?«
Dieser Ausruf ließ mich die Wahr
heit ahnen. .Wie.'« rief ich, «hat sie
Ihnen nicht zahlreiche Beweise ihrer
Liede gesandt? Sie ist doch in Berlin
gut verheirathet· ist eine reiche Dame
geworden —«
»Ich habe davon sprechen hören,«
sagte die Frau melancholisch
»Und sie hat Ihnen nichts geschickt?
Rein Geld —- teine Anweisungen?«
Die alte Frau ftuhtr. Wieder streifte
mick ein mißtrauifckvrr Blick. Sie schien
zu denken, daf; sie mir, dem Fremden
arge-ruhen die nöthige Vorsicht ver- l
säumt. - .
»Kann sein," antwortete sie lata-»
nisch, und eine andere Erwidert-Izu s
brachte ich nicht mehr aus ihr heraus.
Glrmm vielleicht doch in ihrem Innern
noch ein Rest von Liebe siir das verlo
rene Kind, und fürchtete sie, demselben
zu schaden«-Z Jch dachte fo. Eir.iehend,
das. ich hier nichts weiter erfahren
wiiide, wollte ich eben fortgehen. als
ein junger Mensch, wie ich an derAehn
lief-lett erkannte, der Sohn der Frau,
r-er Bruder Michaela’s, in die Stube
trat.
Ter zunae Mann war eintaax fast
ichiibia gekleidet, ich iarirte ihn fijr eine
Llrt Cammis oder Schreiber, wie
ich nachher erfuhr, war er das letztere.
»Was wallen Sie?" nahm er niich
ziemlich mürrisch an.
Ich qab ihm dieselbe Auskunft wie
seiner Mutter.
»Sie wollen doch nicht saqu «
brummte er, »Michaela habe Sie zu
’ uns qeschictt?«
Ich hielt es für angemessen. die
» Frage nicht direct zu bejahen·
»Nicht eigentlich, Herr. Jch bin nur
ein Freund ihres Mannes, und da ich
zufällig in Geschäften hier bin, so —
Sie verstehen mich —«
Er nickte finster und bemerkte mit
niiirrischer Stimme:
»Ich zweifle sehr. ob sie Jhiien für
l den Besuch hier dantbar ist-"
,,O, sie hat ihrem Mann viel von ib
rer Mutter gesprochen —- auch hat sie
Ihnen doch zahlreiche Beweise ihrer
Liebe gesandt —«
»Was hat sie gesandt?«
»Nun, Geld und Geldeswerth —- ihr
Gatte ——'«
»Den Teufel hat sie gesandt!« brau
ste der Jünglin ruckhaltslos auf.
Einmal meiner utter zwanzig Ru
bel mit der Gotteiwillenbitte, ja nich-s
über ihre gespannte Stellung zu uns
verlauten u lassen. Da oben —- er
deutete aux einen Sims iiber der Thiir
— liegen ie noch. Wir brauchen nicht
von ihr, rühren auch nichts an von dein
— Sündengeld,« sehte er leiser hinein
»denn viel besser wire-I d wohl n cht
fein. ««tte auch nichts ge agt, wenn
Sie ni gerade da wären —- zitme
fel, Mutter,« antwortete er aus die be
schwörenden Blicke der alten Frau,
«waeuin »oll ich schwei en, wenn mir
der Gro das Herz absrißti Sagen
Sie ihr —- srs an mich wendend —
einen schönen ruß und wir möchten
nichti mit ihr zu thun haben, und
wenn sie den Großsultan geheirathet
hätte. Wir sind arme Leute, aber wir
sind ehrlich. Guten Tagdtx
Da war ich nun wie r abgebli i,
und äumte auch nicht, mir die unga -
liche o nnng von draußen anzusehen.
Jn der achbarschaft zogen wir wei
tere Gesundheian ein nnd ers-ihren
folgendes: Frau awinsla war in der
W
i That dieWittwe eines ehemals ohls
! habenden Kauf-naan der dem eben
aus Anla seines Bauterotti freiwil
lig Valet agte, seine amilieirn größ»
ten Elend zuriicktafsen . Michaela war
die älteste, hei Eintritt der Katasiroptje .
fast schon erwachsene Tochter, hatte ;
eine vor "gliche Erzie ung erhalten« i
zeigte-a er schon sriih eigung u Ex
tradaqkaersizert u d Renommi ereien.
Nach Vateri Tod trat sie in ein
Geschäft als Bertäuserin ein, wurde
indessen welgen ihres anmaßenden Be
tragens ha d entlaYen Zuseiten tan:
ein sörmlicher Gr sienwahn über sie,
sie fabelte den Kunden und ihren Rot
teginneu die seltsamsten Geschick-text
vor; so einmal, sie sei die natürliche
Tochter eines Fürsten, und ein ander
mal, ihre Mutter hesiße große Ritter
giiter inSiidrufiland — manche glaub
ten ihrem zur-ersichtlichen o Wesen,
manche lachten sie aus, sie selbst schritt
auf ihrem verde«hlichen Weg immer
weiter fort. Ihre Liebhaber waren
niemals einfache Männer ihres Stan
ke-:, sondern stets wirkliche oder an
gebliche Varone,Grafen oder gar Prin
zeu, ein förmliches Netz von Betrug
undRomantii umgab zuletzt das schöne
ji nge MädOm dessen irregeteitete
Phantasie sich fiir alles Anfängen-ohn
liche und Sonderbare seltsam em
rfängiich zeigte. Jhr Lebenswandel
entfremdete sie zuletzt den ihrigen mehr
und mehr, sie besuchte fast nie mehr die
dürftige Wohnung ihrer Mutter; »die
Prinzessin«,tvie die Nachbarn sie spott
nseise nannten, dünlte sich zu vornehm
für die armseligen Räume. Zuletzt
verschwand sie auf ein paarJahre san-,
wie die Sage ging, zog sie rnit einem
»Prosessor der-Magie« in der Welt
herum und feierte als »sprechender
Fiops« und »mouche d’or« fgoldesne
Fiiege) im Ausland zweifelhafte Tri
umphe. Sie hatte ebensowenig jemals
m Zitrich studirt als ihreFanrilie durch
ihrer Hände Arbeit erhalten, ihr Bru
der und ihre ganz anders geartete fün
gere Schwester unterstünten dieMutter,
ais sie kaum das verdienstsiihige Alter
erreicht hatten
Das war alles, was ich erfuhr —- ich
hielt es nicht für ar.aemessen, dieses
wenige hierher mitzutheilem ich wollte
erst noch mehr erfahren. Daher be
aniigte ich mich mit der kurzen Nat-—
richt an meinen Freund, es sei mir dis
he: nicht gelungen, die Spur der ge-·
suchten Zeugin aufzufinden Die
Hoffnng dazu schien mir übrigens
nur gering. Polizeiliche hilfe durfte
ich nicht nachsuchen —- wo und wie
sollte ich also in dem ungeheurenLande
rine einzelne Person ermitteln?
Jn arhemtofer Erwartung harrten
wir alle der Fortsetzung des mit dra
matischer Ledhaitigteit vorgetrageneu »
Berichts. Dottor Kainz fuhr nach tur- i
zer Pause fort:
-tt sin
»Unte« Wes-, gau (- uuuy. them
Freund hatte mir die Lage der Hasel-:
schenke aenau beschrieben, in welcher er
dereinst mit Michaela zusainmengetrot
fen war. Von dort aus hatten beide
ihre Flucht bewertstelligt —- das Bes
nehrnen der Dame ließ vermuthen, das;
sie rnit dem Lokal oder den Wirthslen
ten näher betannt sei oder die letzteren
doch in ihr Geheimnisz gezogen hahe -—
dort konnte ich vielleicht Näheres iiher
sie sowohl alr- jene tsrernde erfahren.
Die Schente vefano sich am Quai
des Kalaschniloivhasen5; diesen sano
ich ohne Mühe, dar- Lotal dagegen ver
ursachte Schwierigkeiten denn es gab
deren mehrere, die einander glichen
wi ein Ei dein andern. Die Nacht siirht
alle Katzen grau, der Schmutz macht
alle Raume einander verwandt, und
von Schmutz starrten diese Mann-sen
kneipen förmlich. Jch besuchte sie alle
I der Reihe nach und stellte in jeder die
Frage nach Michaela Rawinsicn Das
mochte nicht sehr dipirmatisch sein,aber
welchen Weg sollte ich sonst einschla
cne
g Möglich allerdings, daß die Besitzer
inzwischen gewechselt hatten, mög ich
aher auch, die Schente befand sich noch
in derselben Hand. Möglich ferner, daß
der Wirth nicht ganz in gutem Glau
ben war und ineine Fragen absichtlich
salsch erledigen i würde, möglich aber
auch, daß er, ohne Arg, mir nach he
stetn Wissen Auskunst gab. Jn beiden
Fällen dünlte ich rnich Psycholog ge
nug, aus seinem Mienenspiel das Rich
tige zu errathen.
So war ich wohl in der vierten
Aneipe a elangt, als der erstaunte
Blick dernszchniierigen Wirthin —- der
Mann Einen nicht zu hauäe zu sein —
meine utrnerksainieit se eite. Der
Name Michaela Rawinsta klang essen
bar ihrern Ohr nicht srenid.
Ihre Erwiderung, nein, sie kenne
keine Person dieses Namens, kannte
diese sosort in mir edsestlgte Ueberzeus
gung nicht rnehr serft ren.
Um sie noch mehr um Sprechen zu
bei-getheer ich net als einenFreund
der ame vor und ließ durchhlieken, ich
komme in ihrent eigenen und zwar ei
nein ganz besonderen Austrag.
Die Alte spannte zwar, schüttelte
älter nett erheacheltern Gleichennth den
pp .
szch verstehe nicht —
Jch ver uehte mehrmals. ihr meine
Worte ver ändlich sv machen. Lan-e
lin hatte ich diesmal ahjchtli nicht
rntt Inir genommen, wei. ich s rchtete,
die Gegenwart eines Zeu en mischte
Mi trauen erwecken· tt mir je
d die ilse des O erlellneri und
meines a e möglichen Gespräche vor
sehenden «heredten Rassen« vie noth
diTen Redensarten so gut einstudirt
un obendrein · so sorgfältig ans e
sgriebem daß ich in dieser ni t
let Anstand zu haben daeh e, uno
war auch an den vorigen Orten recht
I hübsch ffpktgsezqukns eiskgssin "· die in
Betraclj kommenden Personen zum
Theil Diaiett sprachen Nach-Dem ici
: sogar den »beredten Rufst-N requiriet
« und ihr die Ausdrücke tie ich meinte,
te sied ni t me r die Aus-rede des
Nichts-er ehens au recht erhalten, sie
mit dem Fin er bezeichnet dritte-. Unn
ertliirte indessen; keine Michaela Na
-winsta ge kenn
e
« ameÆka mir aber doch Ihr
Lokal get-arbe- prism Sie nicht
mehr, deeseMz vor etwa elf Mona
ten mit er standen im hinterm
mer eine matten t ttet Bette
keiften dann irtminfcha tli ab."
.Thut mir leid, bei uns verkehren so
viele Personen, da ich mir die einzel
nen Gesichter oder men —- tvenn ich
dieselben überhaupt gehört —- beim be
sten Willen nicht alle merken tann.«
Darauf verließ see kurz abgebrochen
das Zimmer.
Wieder befand ich mich am Ende
meiner Weisheit! Jch hätte geschworen
auf die Richtigkeit meiner Vermuthung
— was half mir alles? Schon über
legte ich mir, ob ich mich nicht doch noch
ur Requisition der Polizei entschlie
Zzen solle, als plöhlich die Alte wieder
in die Stube trat, sich mir unter dem
Vorwand, mein geleertes Glas wieder
füllen zu wollen, näherte und mir die
inhaltschweren Worte zuraunte:
Kommen Sie heute Abend Liviedez
Fremden wenn mein Mann zu spre
en ist."
Jch hatte erst nur »heute Abend·'
und mein Mann« verstanden, bis sie
mir die Worte mit eriiiuternden Gesten
wiederholte.
«Kennt er die Dame?« fragte ich
ebenso leise zurück.
Sie blictte seitwärts auf die übrigen
Gäste und erwiderte austoeichend:
«Vielleieht." Nach einer Weile setzte sie
lauernd hinzu: »Wenn es Jhnen aui
ein paar Nabel nicht ankommt, giebt
er Jhnen jede Auskunft, die Sie wün
chen.«
Jch niette, trant aus und zahlte mei
ne che.
« ann ist er zu Hause?"
Kommen Sie um acht, nicht srüs
her.«
Einigermaßen getriiitet entfernte ich
mich· Endlich eine Aussicht auf Er
folg! Pünttlich um die bezeichnete
Stunde stand ich vor dem düsteren Ge
bäude, wo mich die Wirthin bereits are
der Thür erwartete. Sie hieß mich ei
nen Augenblick der iehen und holt:
ohne fögern ihren ann« einen auf
gedun enen, blossen, grämlich ausse
henden Greis, der sich mir mit zutrau
lich sein sollender Miene näherte.
»Wir sind hier nicht ungestört ge
nug, die Stube ist doll,« flüfteete er
mir mit bezeichnender Handbewegung
zu. »Wenn es Ihnen recht ist, gehen
wir hinauf in unser Wohn,zimmer.'·
Ich nickte und folgte ihm ohne Zö
gern eine vom Hausilur abgehende
schmale Treppe hinauf; der Wirth trug
» eine Lampe vor mir her, um den Wen
zu erleuchten. Sie werden mögliche.s
weise denten, meine Herren, daß es
unvorsichtig von mir war, dem stein
; den Menschen so viel Vertrauen zu
« schenken, später habe ich mir dasselbe
gesagt, in jenem Augenblick aber rief
alles einen natürlichen und toeniq ab
schrertenden Eindruck hervor, daß ich
gar nicht an eine Gefahr dachte. Jst-H I
denn so etwas Großes, mit dem Inha
ber einer vollbesehten Schente eine
Treppe hinaufzufteigenZ Und Geld
und Geldeswerth trug ich nicht mehr
bei mir, als ich meinem Führer ohne
diejs zugedacht.
Der Mann stieg übrigens so ruhig i
und sicher dor mir aus, ich tonnte
gar tein rg haben. Trotzdem hielt
ich ais ver ihnvigek Mann skigfäitige 1
Umschau, vor mir lag ein ichntaler«
Korridor, von dem zwei oder drei Thü- (
ren ausmündeten, und welchen die .
; Lampe meines Begleiters bis an sein i
; Ente völlig erleuchtete. Auf der denl
- Thüren entgegengesetzten Seite stand
I etwa in der Mitte des Ganqu ein gros
ßer Schranl. Immer ging der Wirth »
voran, ich folgte ihm. Eben war ich ;
im Begriffe, an dem Schrank vorüber- J
zujchreitem als mich plötzlich schwarze ;
Finsternis umgab —— der Schurke hats I
te das Licht aus eblasen. Jrn gleichen
Moment, und e ich mir die Situa
tion auch nur klar zu machen ver
mochte, traf mich ein wuchtiger Schlaa
auf den Kopf — besinnungslos brach
ich zusammen!
Ali ich wieder zu mir kam, besand
ich mich in einem finstern-« niederen
Reumr. Ich war an Händen und Fli
ßen mit Stricken gebunden, mein Kopf
schmrzie von dem erhaltenen Schlage,
n.eine Glieder waren- wie gelähmt.
Noch halb betäubt starrte ich um mich
Waz hatte man mit mir vor? Wollte
man mich berauben oder ein Lösegeld
von mir erbresseni Oder gedachte man,
mich gar völlig verschwinden zu las
sen? Blizrrtig ging mir die Erkennt
ni? der ahrheit auf. Das Attentat
ge chah im Auftra e jenes Gembalstv,
wenn er nicht gar elbst den Streich
geführt. Der Schurke hatte von mei
ner Reise Kenntniß erhalten und war
rnik nachgefolgt, unt mich unschädlich
zu machen. Ja diesem Falle — ich ver
behlte es mir nicht —- wiirde ich das
Licht der Freiheit wohl kaum wieder
erblicken!
Da laa ich nun, ein Gesanaener in
der Hand aewissenloser Schatten, fern
der heimath und fern aller menschli
chen hillr. Niemand wußte, wohin ich
geaangem die Elenden tonnten mich
umbringen, ohne lich der Gefahr der
Entdeckung auszuseßem Seltsamer
weise beiiimmerte mich nicht so sehr der
Gedanke, sterben zu mästen, als derje
nige, das ich alter Fuchs in eine so
L:
—
tlumoe « --:lle gea. .nnrn war Aus-Ter
dem fes-am « te es m: cb meine Million .
reimt tu tr- re kü. re n zu tot-nen. Ver
ne Elich san-e -.l) J.;e es t-;" ker gewor
ges-, yu er ::hen, ixes ich rniit eizentlich
Leu-· Der rtrit siailen Brit-n aud
c. irrte Boden U-. d rie gra ten fchspslk
neu Winde teuteten eilte-Iris It UT MI
laft an, e Este Ver-nagt :-na, dre sich »Li
ter als rtqttig heraus mitte.
Stundean g laa ich ohne dasz zit
nnnd naro mir sraotr. Wollte m n
nich verlut .ern tat-en? Fas. schien ez
so. Saon Lsfnete ich ten Mund, um
nach Hitfe Ja schreien doch uberleite
ich mir keck-: eitia, tie Spltzbulicn witrs
ten m ch, wenn sich rat-en irgend ein
Effekt für mich etwa rten liehe, gekne
belt lca ben, und schwieg still DCS
Zwielicht in dem Rtum unterlag Os
fenbar dem Einflun ter connr nicht
genug. um mit ihrem LJIirtltklgM U
re intensiveres« Helle Maß zU MA
chen: dagegen mußte es sich jedenfalls
mit ihrem Verschwind-en von der Dun
telbeit abliifen lassen. Ich lonnte die
Zeit daher nur nach Gutdtinlen ab
fckiitzem und mußte es meiner Schin
ung nach etwa um die Mittagsstunde
sein, als ich plötzlich den Schlüssel in
dem Schlosse der Thur rasseln und an
der Illinle arbeiten hörte. Ich hatte
trotz der herrschenden Stille keine
Schritte vernommen, der Ankömmling
hatte also bereits an der Tbiir instan
den und mich wahrscheinlich beobachtet
Ich bemühte strich. den Eintretenden
Zu sehen — eine hobe. dunlle Gestalt
tauchte in meinem Gesichtskreis auf -—
ich erkannte den Mann sofort: es trar
Doktor Genrbalsly. "
Sein erster Blick verkündete mir den.
Trdfeind. Entschlossenheit, Haft, wil
te Freude, Das-m all diese Eigenschaf
ten nnd Empfindungen sprachen zu
gleich aus seinen Augen. Aeunerlich
zwang er sich indessen zur ballt-unme
nen Ruhe, ja er verleugnete sogar die
Fremen der gesellschaftlichen Höflich
leit nicht, als er mich in allerdings
irrnischem Tone in deutscher Sprache
anredete.
»Freue mich, Sie wieder wohl zu
sehen Herr Doetor, ich habe doch das
Vergnügen mit Doktor Kains, nicht
trat-ri«
Ich würdigte den Elende-r keiner
Antwort
»Ich bedaure unendlich," sprach er
weiter, »durch die Beharrlichleit. mit
der Sie sich an meine harmlosen Fer
sen beften, genöthigt zu sein, Ihnen
einiae Unannehmlichleiten zu berei
ten-"
»Was haben Sie mit mir dor?«
fragte ich so verächtlich als ich der
mochte.
«Erlaul;en Sie mir, Sie darüber
verläufig noch in der Ungewißheit zu
lassen, in der ich mih selbst befinde.
Herr Doktor. Möglich, daß ich Jhnens
auf Grund meiner ausgezeichneten Be
ziehungen zu einer Ihrem Forschungs
drana so wohl entsprechenden Erho
lunasreise nach dem wegen seiner para
diesischen Qualitäten mit Recht be
rühmten Sibirien oerbelfe.«
Ich erfchauderte bei dem Gedanten
»Möglich auch, daß meine eigne
Sicherheit mich lzwingt. mit Ihnen noch
weniger Umstände zu machen, letzteres
ist vielleicht das wahrscheinlichste.« er
gänzte sich der Bube mit diabolischern
Grinsen. »Jndessen, Sie werden das
bei einem Manne von meiner Huma
nitiit begreiflich finden, behelfe ich mich
so lange wie nur möalich mit friedli
chen Hilfsmitteln· Sie werden es sich
daher bis auf weiteres in diesem luxus
riös ausgestatteten Hotelzimmer ge
fallen lassen müssen Hinsichtlich der
Bekiistiguna muß ich gleichfalls um
Entschuldigung bitten Sie sind in
Russland und müssen der Dürftigteit
und Anforuchslosigleit der friedlichen
Bewohner dieses Hauses Rechnung tra
gen. So, mein llherr Doktor, das iit
alles, tan ich Ihnen zu bemerken habe;
beim-fielen Sie meine wohlgemeinte
Warnung, sich hübsch anständig zu be
tragen. damit ich mich nicht,« schloß
der Abenteurer, «geniithigt sehe, mei
nen Entschluß zu beschleunigen«
»he:r,« rief ich drohend, »Sie spie
. len etn gewagtcö Spiel! Man wird
mich im hotel vermissen, Recherchen
. anstellen »F s
—.-- .
! »Und Sie nicht finden," spottete
; Gembalgty. »Außerden1 weiß ich, we
Sie abgestiegen sind, und werde nicht
verfehlen, in Voraussetzung Jhresz
Einverständnitsez Ihre Rechnung dort
durch einen Boten berichtian und Jhre
Habseligteiten mit dem Bemerten ah
tcrdern zu lassen, Sie hätten auf wie
derholtes Dränaen bei einem in der
Stadt wohnenden Freunde Wohnung
genommen-«
»Beiriiaer. Schurke! Man wirthi
nen die Sachen nicht ausliesern.«
»Man wird es aus Grund einesZets
teis von Ihrer hand, den ich mir er
lauben werde, nach den in Ihrem Ta
schenhurh —- das ich gestern Abend to
srei war, an mich zu nehmen —vorge
schriehenen Handschriftöproben tiinst
lerisch tteu herzustellen und mit dem
ebenfalls in Jhrern Taschenhukh ent
haltenen tleinen Kautschutstempel zu
beqlauhiaen Vertrauen Sie, verehr
ter Herr, in dieser Hinsicht ganz inei
ner bewährten Erfahrung. Und nun
guten Tag und angenehmen Aufent
halt !«
cfsortsekung solat.)
»Ein westlichez Blatt behauptet, das
weinend das Laster des Fluchens unter
den Männern in Ahnahme begrisfen ist,
es unter den Frauen immer mehr Vet
hreitung finde. Der Gewährsmann stir
dtese erstaunliche Enthüllung muß sich
nicht then in den feinsten Damentreisen
bewegen
n