Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, May 25, 1900, Sonntags-Blatt, Image 12

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    s Offemr Schreibebrief von «
« cizzie HanfstengeL
Jcki duhn doch nit gleiche en Salubn
g renne. Jch hen ja ganz gut ge
hn, awwer mer hot dich mit zu viele
Lrhfersch zu bahn; jehs wann lauter
Schentelmänner, wie for Ecksempel
mei htssbcna komme behie, dann wär
die Sach different. Awwer es hot zu
viele Leit, wo Denke, an e Glas Bier
verdient ter Su'uhnlieper siwwezehn
Buhlen Jch iann Jhne sage, es macht
mich ordentlich mähi, wann ich sehn.
wie hahtisch so viele Leit sin. Da
komme fe un frage for e Glas Bier.
»Seit-we Se mich awwer nor das
Zößig wo Se den, bikahs ich hen e
orscht, den kann mer mit siwwe bissi
dire,« heißt’s dann. Well, do giebt mer
dann off Kohrs en diesenie Sichkuhner.
Den drinie se halb leer un dann frage
se nach e bische Lunfch. »Hier is frer
Lin-wer un schine Belohnie,« sa ich
dann un dann ficht sich so enzeger
nss das Esse, als wann er vier
lang gefascht bät. Wann dann Lim
wer un Belohnie affgefvesse sm, dann
agt er nach e wenig Tichies, weil Be
hnie und Liiower gar nit mit ihn
ekriee ruht. Oss Kohrs schneid ich dann
noch e paar Schleischer Stohrtschies
ab un das werd auch noch enunner ge
worgt un en halwe Leib Brod herzu.
Dann drinii er sei Glas aus, nimmt
e Handvoll Mäifches un e Packet voll
Tuhspicks — ich denke for Morgens
Feier mit zu starte, un dann muß mer
noch acht gekom, daß mer sein Nieiel
. das Glas Bier kriege dicht. Mer
- t jo alles gern gewwe, wisse Se,
ich ielere immer, mer kriegt en stettie
K iemer, awwer in die merichteFälle
komme die Kunne nor, wann se hung
rig sin. Wann se sich amiisire wolle,
dann hocke se sich in en annere Salulm
Im so ebbes gleich ich nit. Jch gleiche
auch nii, wann die Feger for Bier
Ficke un dann den Kind en rehgeller
chlapvpehl mitgewwe. Wann me:
do e richtiges Peint enei meschere duht,
das duht hardlie die Batiem lowwere
un das guckt doch ieinder fchenierlich.
Do muß mer schon anstandgdalwer e
gutes Mescher gewwe. Wo bleibt aw
wet do de Prasfii? Un dann muß
mer auch noch e dalives Dutzend
Bung gewwe, bitahå »die Ma gleicht
die tetzels so arig«. Am merschte
ais-wer fuchs ich mich, wann Kids von
die alte Leut so infirocktet sin, daß se
eim schieie müsse. Es is schon ost ge
nug gethpend, daß en Bub komme is
fot e Ktvart Bier. Do giebt mer dann
e gutes Mescher Un tot-tm's an’s Be
hle geht, dann hot der Feller blos en
ickeL Was is do zu duhn? Etaus
"tte kann ich’s doch nit mehr Un do
aß ich dann den Kunne gehn, sage
awtvet, daß et das nächste Mal den
Nickel mitbringe Aus-» Schuhe genug
sehn ich dann den Lump for er paar
Da nit mehr un wann er schließlich
wid et tommi, dann duht er leigele,
daß er mich noch ebbes ohe duht. Den
Weg hot mer immer Aetaet un duhi
Seid verliere. Wisse Se, ich kann die
Saluhtiepets gar nit mehr so ari« —
blehme, wenn se druff gucke, so vie
Geld zu mache, wie möglich. mer bot
in den Bissinesz zu viele Lahses. Ich
hen mich immer getrost, daß es jo nit
- mehr lang nemme dedi, bitatps die We
destveilem bot mich en Brief ge
riwtve un hot darin gesagt, daß se
m zwei odder drei Daq widdee daheim
wäre. Wisse Se, in den Brief do hen
icheiqentlich emol ausgefunne, was
die Missug Wedesweiiek is wenig Eik
juke schen hot. No, no, was hat die en
Sie « zusammengeschriwwe, englisch
un detts zusammen gemickst, do deht
ich mich elf-sahe schäme, wann ich so e
puhtes Deutsch juhse behi. Awwer
spann mer se so blobe hört, dann denkt
met Wunnen was sie for e feine Ett
Wchen gehabt bot. Well ei dont
, ich sin froh, daß se bald widder
komme. hegt war jest der dritte Dag
U heit hatte se schuht komme
solle. Am Owend wate se noch nit do
u Izu gedenkt, ich besser halte e
Weiser aff, bitahs, dann kann
«yeilet«gleich sehn, in was for
es Steil Ich ein Platz gerannt den.
Bill päter « no e paar Rosm
aee samme, wisse , von die Heini-,
— beei Stunne hinhocke. das eh
m vorn bis dinne ausle e, eif
sit-hie un Karte spiele un F ohr
· - , un dabei ein SchkuhnerBiee
- " Die Weh denke awwet
«W M sedehteeinem arig
2 Ja Dame mer dann noch
« »; « .M-MMZ»ZUIIL
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4
l
.WOw-uvrml
w
! ich froh gewese. wie se komme sind, dp
’ n ich doch nit so lohnsomm gesiehlt.
,S is so edaut zehn Uhr gewese, do hen
ich usf eemol hinne in die Jahrd e
großes Räcket gehört. Es hot Jemand I
mit Händ und Fieß gege mei Dohr ge
lompt. Jch hen doch nit aus den Sa
luhn gehn könne un do den ich den Fel
ler rasppe lasse. Nach e kleine Weil is
es ganz sstilk gewese un ich hen dann ge
hört, wie Jemand aus die Bäckjahrd
tunme is Un hot In Front von die
Saluhndiehr gestavpt. Well, hen ich
gedenkt, wer so weit komme kann, der
kann auch inseit komme. Es bot nit
lang enomme, do is en Feller in den
Sa u n komme, wo das ganze Fehs
voll Wißlersch gehabt dot. Er hot en
Hut usf gehabt, der war so groß, daß
mer drei hätt draus mache könne un
noch e Stick for e Buwekäpp iwwer be
halte hätt. Er is an die Babr komme
un hot sich e Glas Bier geordert. Wie
ich die Stimm gehört den, do heniich so
fonnigeg Fiehling kriegt; es is« mich
eiskalt hinne un vorne de Buckel nun
ner gelause un ich hen ordentlich ge
trembelL Raums dann möglich sein,
den ich zu mich gedenkt, daß er das is?
Dann hen ich noch emol en gute Guck
an ihn genomme, do bot er geschmeilt
un hot ,.Lizzie« aesaat, das hot’ö for
mich gesettelt. »Pdilipp,« hen ich ac
ballert un an den Hals sm ich ihm ge
floge un gekißt hen met uns, als
wann keins von uns älter wie zwanzig
Jahr wär. No, no. was ben mir uns
gefreiti Wie der Vdil dorch mit mich
war, do hot er oszohrs en serchterliche
Dorscht gehabt· »Frag mich jetzt gar
nids,« bot et gesagt. »geb mich nor eb
bes zu drinle." Oss Kodrs lwt er e
paar mol for das Haus ussaesetzt un
um zwölf Uhr do ben ich de Sto’ r zu
armachi. Well, jetzt sin ich froh dke
Kids wer’n Auge mache. wann se am
Mcrgen usfwecle un ausfinne· daß se
widder en Pab den. Awwer die Mik
iersch muß er sich abschebse lossc, das
dubt mei Komdlecischen speulr. Mit
bcsie Rieaahtd3.
Lizzie Hanssiengel
Pflicht
Rovcllcttc von A. Tourliac. Deutsch von
A. Heim.
Vor seinem mit wildem Wein und
Geißblatt umrahrnten Häuschen stand
der Bahnwärter und mit der rothen
Fahne In der Hand sah er dem Kon
1ier-ug entgegen.
Ein glückliches Lächeln verklärte die
scharfen Züge, stolz blickten die klaren
Augen des Mannes, den seine stramwe
Haltung auch ohne die auf seiner Brust
defestigte Medatlle als alten Vettranen
erkennen ließ.
Ja, stolz und glücklich war Vater
Berhardtt
Heute führte sein Viktor, sein
»Junge«, der Mechaniker, seine erste
Lokomotive.
tilgte wird er sich benehmen, der Re
kri
Und dann . . die noch größere
Freude heute bringt man dem Vater
ernhardt den Enkelsohn, des junaen
Paares Erstgeborener, und er soll
Pathe sein
Uno der alte Soldat lacht über das
ganze Gesicht; er denkt an das kleine
rosige Gefichtchen, für das der
chmucke Wagen arn Fenster in die
Sonne geschoben ists er denkt an die
kleinen, ungeschickten Fingerchen, tie
an seinem grauen Schnauzbart rren
werden und an das Glück, einen Bonat
lang die Junge Frau und das Kind bei
sich zuh haben.
mfnhiuss III-Is-. hoc Mist h— sue-Z
-,».-,,..-, .-.. -.. -.. »».. »... .»«...
Was ist das-?
Ein Zug tommt in der Richtung
nach Havre und zwar auf dem falschen
Geleise und wie ein Dröhnen ist als
ferner Donner auch schon der Kontin
zug zu hören die Erde zittert . . . ·
da ist er . . .! Wie ein Blitz kommt der
Zug herangebraust.
Entsetzt springt der Vater vor,
schwingt seine Fahne dicht vor der Lo
tomotive, auf der er schon seinen Sohn
zu erkennen glaubt zu spät!
Vergebens hemmt der Mechaniker,
vergebens läßt er den Dampf ab, der
rasende Laus ist nicht zu hemmen, das
stöhnende Ungethüm stürmt Funken
stiebend vorüber . . .
Der Bahnioärter wird durch ten
Schienenräumer zur Seite geschleudert
und schreit entsetzt:
»Spring herab! . . . so sprinz dochl«
Viktor schüttelt den Kopf.
Er desertirt nicht!
Der fürchterliche Zusammenftosz sin
det statt, die Waqu thürmen sich über
einander, der Kessel der Lotomotive
platzt, vor den Augen des Vaters ver
schwindet der Sohn in der entse lichen
Explosion und derLustdruck zer prengt
alle Fenster des tleinen friedlichen
Häuschens.
Der Retrut hat nicht gezittert . . .
Wie ein Soldat ist er tapfer auf
seinem Posten gestorben! Zehn Jahre
sind seitdem vergangen . . . .
Vor seinem mit wildern Wein und
Geißblatt umrahmten häuschen steht
der Bahnwärter, die rothe Fahne in
der nd, und sieht dem Kourierzug
von vre ent egen.
A r sein urrbant ist weiß ge
worden; über die einst so klaren Augen
hat es sich wie ein feuchter Nebel ge
legt; seine Haltung ist nicht mehr so
stearmn, viel kleiner ist der alte Soldat
geworden
Und dochlebter
Ja, er lebt, und wenn ge en Abend
ein Knabe mit den Schrei ’ n unter
dein Arm die Bartiere zurückschiebt
nnd laut ruft:
«Guten Abend, IMME
Dann lächelt der Alte s ogar wieder
-
w
Das Kind, der Knabe ist das, was
ihm von seinem Glück übrig geolieven
t t . . . .
IMitten aus« den Trümmern, aus
den zers:liclelten Leichen von Männern,
Frauen und Kindern, die zur Unkennt
lichteit im Tode entstellt, hat er das
neugeborene Kind gefunden; wie ein
Wunder gerettet, hatte es,-svom Blut
der Mutter besprint, da gelegen und
lachend in den vlauen Himmel über
sich geschaut. . . . » «
Er hat sich auf ihn gestutzt, wie der
Geizige auf einen Schatz; er hat pas
tleine Wesen in sein Trauerhaus ge
tragen, hat es in den so freudig vorne
reiteten tleinenWagen gelegt und dann,
als er das schlafende GefchöPschTm den
Sohn seines Sohnes, lange angesehen,
da sind seine brennenden, trockenen
Augen feucht geworden: er hat weinen
können.
Sein Bernt!
Sein Trost, seine Hoffnung, sein
Leben macht der Knabe aus!
Er ist so schmuck, so gut and so
tapfer!
So recht wie der Nachkomme von
Soldaten sein soll; denn iit der todte
Vater nicht auch loie ein Soldat unier
der Fahne gestorben! »
Und tlug ist der Junge! s
·Jmmer der Erste in der Schule; ge
wiß wird er mal ein Stipendiuin er- l
halten; er wird lernen, so viel lernen
wie sein Vater!
Nur daß er teine Neigung sür das
Masckzinenfach hat, er macht keine Lo
lomonven aus leeren Sardinenvüchsen,
erläust nicht hinaus, um die Züge vor
beilommen zu sehen und das Pfeier
der Lolomotive laßt ihn ganz gleich
Zultig wenn er über seinen Buchern s
itzt und Kriegsgeschichlen liest, oder s
xteiäite Soldaten in Reih’ und Glied auf- -
e .
Das ganze Sinnen und Trachten
von Bernt ist »Soldat« werden! Wenn
er ein Signal hört, oder gar init klin
gendem Spiel Soldaten aus derstraße
vorbeimarschiren, dann hält ihn nichts
zurück·
Und der alte Mann ist traurig dar
über und macht seine Thür fest zu,
denn er ist ärgerlich über das zweifar
bige Tuch.
Der alte ausgediente Soldat ist
ängstlich geworden, so ängstlich wie
ein Hahn, das die kleinen Knoten unter
den schüßenden Flügeln festhalten
möchte
Es it Herbst und die großen Ma
növer md gekommen. Die Soldaten
bereiten alles zum Bin-at vor, wäh
rend die Ofsiziere am Wem-and Rast
halten, oder plaudernd in Gruppen zu
sammen stehen.
Ein noch jugendlicher Mann mit
merkwürdig ernsten, fast vergrcimten
Zügen und grauem Schääsenpaar,
wandert allein aus dem Feldweg. Er
kommt in die Nähe des Wärterhäug
chens von Vater Bernhardt und da
dessen Enkel vor der Thiir steht t«nd
den Ossizier mit bewundernden Blicken
betrachtet, so fängt derselbe eine Unter
haltung mit dem Knaben an. Dak
srische Gesicht und die klaren. entschie
denen Antworten deg Knaben scheinen
den älteren Mann zu interessiren.
»Wie alt bist Du, kleiner Freund?"
»Zehn Jahre, Herr Oberst.«
»Hei-in Jahre; so alt war mein
Knabe.s . .. Er seufzte . . . zögerte . . ..
und wendet sieh dann dem alten Wär
ter zu, der brummend hinauslommt
und militiirisch gegrüßt hat
»Seit Jhr schon lange hier?«
»Wald werden es zwanzig Jahre,
Herr Oberst . . .«
»Dann waren Sie also schon zur
Zeit der entseßliehen Katastrophe hier?«
»Ich bin der Vater des Mechanikerg,
der damals den Zug fü'hrte, und des
ist sein Sohn . . .
»Verzeiht mir. wenn ich mit meinen
Fragen schmerle Erinnerungen bei
hnen wachgerusen habe . . . ich habe
damals Frau und Kind bei dem Un
glück verloren . . .'«
»Das thut mir leid,« sagte der alte
Mann schlicht und der Knabe sieht den
Fremden scheu an.
Dem Oberst wird durch dies theil
nehmende Wort das Herz weich und
er erzählt, daß er zu der Zeit gerade
schwer verwundet in Sontay gelegen
und daß ezihm nnd-seiner Rückkehr
aus Touting unmöglich gewesen sei,
Einzelheiten über die fürchterliche Ka
tastrophe zu erfahren . . . .
»Sie erinnern sich nicht zufällig . . .
es ist ’a schon so lange her . . . . eine
junge rau und ein wenige Wochen al
tes Kind unter den Leid-en gesehen zu
bame . . . . Das Kind trua an einem
Bändchen um den hals eine geweihte
Münze .. .. mit dem Datum der Ges
burt, »22. Juni 1888«.
»Graßvater, was ist Dir denn? . . .
bist Du traut?« . . . .
m-L- m---1 --(-I k«-!-I-.. s
»in-tu Qui-c . . . Hut IPIUUL · . -
Betnt sieh den Alten, der ganz blaß
ist, erregt an, doch er wiederholt fein:
»Geh spieien« in rauhem Ton und
nehrt den Knaben schroff ab.
Dann stotterte er eine Entschul
digung: Der Zug muß gleich tornmen.
Ter Dienst,« und geht auf die Patri
ere schwantenden Schrittes zu; der
Oberst dentt, daß die Erinnerung den
alten Mann so heftig gepackt hat und
entfernt sich schweigend.
Vor seinem mit wildem Wein und
Gei biatt umrahsnten spät-schen steht
der abnwärter und mit der Fa e in
der Hand wartet er wieder ou den
Kontierzug.
Mechanisch ist er dorthin dummen,
iiber den Augen liegt-es wie ehel, das
Blut san - ihm in den Ohren, me
chanisch hört und sieht er, ein einziger
Maule beherrscht ihn . . . .
An die Medaille muß er denken, an
die Zahlen, die darauf stehen« die ihm
W
bisher unverständli gewesen, an die
Medaille, die er in inem Raritiiien
tästchen aufbewahrt . . . . '
rotRossi es denn wahrt Jst es mög
t «
Das Kind, das ihn am Leben festge
halten hat, das Kind, er groß gezogen,
gehütet, geliebt, das Kind, das seine
ganze Freude, sein Trost. sein Leben
ist das wäre nicht sein Enkel
tindi . . . .
Mein Gott, warum mußte er das
erfahren, warum tvnnte er nicht mit
dieser Täuschung zur ewigen Ruhe ein
; gihent . . . .
i Berat, sein Bernt, der ihm an’sHerz
; gewachsen ist« ist nur ein Fremder fiir
ihri! Er soll ihn nicht mehr »Groß.)a
; ter« nennen.
Das herz bricht ihm fast hei demGe
- danken . . . nein, nein, das soll nicht »
sein .. .. "
Bernt gehört ihm, ist sein Kind. er
hat ihn behütet, aeiiebt . . . er tritt ihn
an Niemand ab . . . . i
Er braucht nur zu schweigen . . . sein
Geheimniß für sich zu behalten und »
Alles bleibt beim Alten
Oshi Die entsetzliche Versuchung! «
Nein! . . . er will nicht! Er wird schwei
en!
g Eine kleine Hand hascht nach der fei
nigen.
»Bist Du auf böse, Großvater?"
Bernt sieht ihn mit klaren, vertrau
ci den Kinderaugen an.
»Nun, geht’s Jhnen wieder besser-,
alter Freunds, sagt eine andere
Stimme.
Er steht zwischen Vater und Sohn!
An die Barriere gelehnt, wartet der
Ost-erst auch, bis der an viiriider ist,
der Zug, der einst all sein Glück zer
stört hat« ihm Alles genommen hat,
was-X er liebte.
Wie ein Blitz kommt der Zug.
. . . . Fahrt vorbei . . . .
Jst vorüber....
Und vorüber ist auch die entsetzliche
Versuchung.
Die Soldaten blasen Zum Sam-· s
i
l
mein, es klinat wie ein Siegeszeisthen
Der alte Soldat mit seinem Ehrge- «
fühl will ni sahneniliichtig werden. ,
Stramm r« et er sich auf, als wenn ;
es in den Kampf gehen sollte. ?
Und in dem Moment, als der Offi- .
zier ahnungslos mit einem Händedruck
und einem Gruß von dannen geben
will, da drängt der alte Mann ren
Knaben fast heftig zu dem Offizier
und mit hetserer Stimme saat er: «
»Kassen Sie ihn! . . . . es ist Jhr
Sohn!"
Onkel Philipp’s Nervositåt.
Ekizzc von Arniin Nonai.
Onkel Philipp war trotz seiner fünf
zig Jahre ein vollkommen gesunder
Mensch, der sich um Apotheke und Arzt
sein Lebenlang nicht geliirnmert hatte.
obgleich er nicht gerade zu den Wide
fteu Menschen gezählt werden konnte.
Zu einer Zeit, wo andere Leute eine
auffcllende Abnahtne ihres Eß- und
Verdauungsvermöaens bemerken, hatte
Onkel Philipp sich im Gegentheil über
eine unerhörte Steigerung seines Appe
tites zu beklagen. Und das sollte für
ihn beinahe verhängnißvoll werden.
Sein außergewöhnlich qroßer Appe
tit brachte es mit sich. daß er auch
ausser-gewöhnlich opulente Mahlzeiten
zu sich nahm; besonders das Abend
brod pflegte sehr in die Länge gezogen
und in raffinirt lulullischer Weise aus
gestattet zu werden. Infolgedessen litt
Onkel Philipp, mehr als gerade nöthig,
an Ueberfiillung des Magens, was wie
derum fehr oft eine gesiZrte Nachtrube
mit aufregenden Träumen nach fich
zog. Andern Tags war er dann matt
und niedergefchlagen, und erst ein paar
Schnäpse ftärkerer Gattung waren im
Stande, sein törperliches und seelisches
Gleichgewicht wiederherzustellen
Einmal hatte er wieder nach voran
gegangenen übergroßen Tafelfreuden
sehr schlecht geschlafen und war infolge
dessen in ziemlich mürrischer Stim
mung. So traf er zufällig mit seinem
alten Freund, dem Kreisarzt zufam
men. mit dem ihn bisher ausschließlich
Stat- und Kegelbeziehungen verbun
den hatten.
,,"«t)oltorchen," rief er then zu, »auf
ein Wort, wenn ich bitten darf.'«
,,Griiß Gott, Philipp! Weiß ichon.
Ihr braucht einen Dritten zum Stall
Komme bestimmt am Abend-"
Der Dotter wollte eiligst weiter, des-h
Philipp hielt ihn zurück.
»Nicht der Stat, Doktorchenl Die-H
mal bin ich lranl!«
Der Arzt blieb stehen und blickte ihn
erstrunt an
»Was, iman Sie? . . . Dann,
bitte, kommen Sie sofort zu mir« wir
nsollen das doch nicht hier abmachen.«
Jm Sprechzimmer des Doltorxs un
terhielten sich dann die beiden Herren
wohl eine Stunde lang iiber den Fall.
Onlel Philipp klagte über Schlaflosig
leit, Schwindelqefiihh Mattigkeit, Nie
dergeschlagenheit Der Doktor machte
ein sehr erniteö Gesicht und schüttelte
den Kopi. Dann untersuchte er ibn
sehr ritndlickx betrachtete seine Pupil
len. en Gesichktsansdruch die hand
ilischem betlopfte ihm Rücken und
Brust, bömmerte cui seinen Wunsch-i
ben herum und ließ ihn irn Zimmer
aufs und abgeben. Schließlich lonftns
tirte der Arzt. es iei leine eigentliche
Kleinheit vorhanden, wohl aber eine
eran bedeutende, allgemeine Nervositiit.
Neurasthenie, heißen’z die Aerztr.
»Am lieber Freund«« rief er, »du
ble· t nichts übriq, Sie miiiien fort von
hier, also gleich fort. Und Sie dürfen
nicht an lten, ehe Sie nicht mindestens
zweiten end Meter über dem Meeres
spiegel angelangt sind. Alfo in's Ber
. wie Milch, zu jeder Tageszeit, scheffel
Zuge in die Schweiz. Es ist keine
—— —
net Oberland mit Ihnen o« er in’s En
gadin, wo die Lust ganz diinn ist und
derSchnee noch im Juli meterhochliegt.
Und daß Sie mir dort von Früh bis
Abend aus den Beinen find! Jmmer
laufen, immer traxeln, mit den Gemsen
km die Wette. Tüchtig Ozon schlürfen
und jeden Tag talt baden. Abends sehr
ftiih zu Bett und Morgens mit der
Sonne heraus. Und dann Milch, nichts
weise. Das giebt Blut und frisches
Leben. Diese Kur wird Sie ganz auf
riitteln und einen neuen Menschen aus
Ihnen machen. Also ohne Verzug den
Koffer gepackt und mit dem nächsten
Stunde zu verlieren.«
Onkel Philipp ionnte tein Wort her
vorbringen. Er ging nach Hause, lief; «
sich von der alten Wirthschafterin ein i
paar Hemden einpacken und war schon i
ans nächsten Morgen auf dem Wege
nach der Wis. Jn der Hauptstadt
wollte er noch einige Tage zubringen.
um auch da Einiges iiber seinen Zu
stand zu erfahren.
,.Griiß Gott,« rief er, »die-. bin ich.
mein Sohn, trank, neroösz und wenn
ich nicht sofort nach der Schweiz reise,
bin ich in kurzer Zeit verloren.«
Dann erzählte mir Onkel Philipp
seine ganze Kraniengesdnckne, und wag
der alte Kreisarzt iiber seinen Zustand
gesagt hatte, und wie er in Verlegen
beit sei, wohin er eigentlich reisen solle.
Denn schließlich, die Schweiz ift groß
Wie ich ihn so vor mir fab, mit fei
nen rothen Backen und den so gut-E
n.i:thig dreinfchaucnten Augen, seinen
lebhaften Gesten und den so gar nicht
veränderten Zügen, kamen mir sofort
einige Zweifel über den ernsten und ge
fi-·l;rlichen Charakter seiner Krankheit.
Da ich auch gerade Medizin studirte
und bereits begann, etwas von der
Reurasthenie zu verstehen, ließ ich mir
seine Symptome schildern. Und da ich
der Meinung war, daß er feine Krank
heitserscheinungen dem Arzte in über
tiiebener Weise geschildert hatte, gab
ich ihm denRath, auch noch einen haupt
städtischen Arzt zu tonsultiren, einen
von jenen berühmten Universitätsme
fessoren, zu denen die Menschen mit
gläubigem Sinn hinpilgern, um gegen
schweres Geld sich Rath und Meinung
zu- holen.
Onlel Philipp ließ sich überreden.
Ich nannte ibin eine Kaoazitiit auf dem
Gebiete der Nerventraniheiten.
»Freilich,'« meinte der Onkel, »der
muß es ia beffer wissen. Hier in Eurer
Hauptstadt sind ja die Nerventranlhei
ten fo recht zu Haufe. Bei uns auf
lsem Lande hat man früher nie etwas
von Nervositöt gehört. Gewiß war mal
Jemand aus der Hauptstadt in« unfe
rein kleinen Städtchen und hat die ver
dammten Bazillen diesersiranlheit ein
aefchleppt. Und da habe ich eben ein
packt Stück davon verfchluckt. Es lann
gar nicht anders fein. Wie käme ich
tsenn fonfi dazu?«
Beim Professor machte Onkel Phä
lipt einen recht trüben Eindruck. Eine
halbe Stunde wußte er init ganz fürch
terlicher Phantasie von feiner Aufge
regtheit, von feinen Bellemmungen,
von Schwindel und Schlaflosigkeit zu
erzählen. Zwischen hinein entnahm er
feiner Westentafche kleine PapierzettcL
auf bie er die einzelnen Symptonie fei
ner Krankheit notirt hatte und las das
gar-ge Reaifter herunter. Endlich ge
lcngte auch ver Professor zum Wort.
Er richtete an Onlel Philipp verschie
dene Fragen und begann dann, ihn mit
erftaunlicher Gründlichteit zu unter
suchen, klopfte, taftete, hönimerte und
machte dazwischen ein furchtbar ernstes
Gesicht fv daß es dem armen Onkel
Philipp, der jede feiner Mienen ftu
dirte ganz angft und bange wurde
; Endlich begann der Professor feine
i Meinung zu außernx
.I di— Ost-t- k» Le- -t4..
Aue-l su; neunu- — mu, »u: uuc
Geschichte! Nicht gefährlich, aber un
angenehm: Muß sehr ernst genommen
werden, damit keine iiblen Folgen ent.
steten. Vorläufig nur Nervosität . . ·
Nicht bedeutend . . . Aber immer Neu
rastbenie. Also: das Beste ist, Sie
suchen ein mildes Klima aus, Wald
lust und gutes Wasser. Also . . . Thü
ringen oder Taunus . .. Wiesbaden »
Herrlicher Wald irn Nerottyal . . . Aus
gezeichnetes Wasser . .. Dann —- ruhig
leben . . . Nicht Viel spazieren geben ..
Jmnier in der Ebene bleiben . . . War-·
me Bäder . . . Kochbrnnnen . . . Ruhe . .
Nur Ruhe und Muth! . . . Wird schon
gut werden . . . Also! . . .«
Als wir unten waren aus derStrnße,
blickte mich Onlel Philipp ganz ver
zweifelt an:
»Also!« kovirte er den Prosessor nirt
komischer Geberde, »Hochalpen oder
Taunuslust? das ist nun die Frage —
Viel lousen oder ruhen w sehr kalt ba
den oder lau? . . .«
Oniel Philipbs Lage war wirklich
keine beneidenswerthr. Das tiefere
Vertrauen zog ihn zum langjährigen
Freunde, zum alten Kreisen-in aus der
anderen Seite aber imponirte ihm der
Titel, das Nenomme, die anerkannte
Autorität des Universitätsprosessors . .
Um den guten Onkel seinem Dilem
ma zu entreißen, rückte ich anderen
Tages mit demVorschlag beraus, einen
dritten Doktor zu konsultiren. Dann
könnte er in der Majorität gehorchen.
Richtig. Onkel Philipp besolgte inei
nen Rath und suchte einen anderen
Prosessor aus. Als er zwei Stunden
später wieder zu rnir koni, waren On
kel Philipp's Augen vor Wirth roth
vnterlausen. Er zitterte vor Zorn und
Ausreaunen als er mir über das Resul
tat der dritten Konsultation Bericht er
statteta
— —- —.-. M
»Die See hat er mir empsohlem
hörst Du. den Ozean! Und moglichst
weit im Norden soll ich baden, dort
trs derSturm heult, die Wellen Wurm-—
hoch gehen und die Luft mit sunith
Prozent Salz versetzt ist! Nur noch
die See könnte mir helfen, die Nord
see, sonst nichts, absolut nichts. If)
müsse ganz still und ruhig ein Amphi
lsienleben führen, halb im Wasser. halb
aus den Dünen. Diirse nicht Karten
spielen, keinen Wein trinken und mich
nicht in lärmender Gesellschaft aushal
ten. Auch das Rauchen sei sehr schäd
lich. Höchstens zwei cigarren im Tag,
mehr sei von Uebel. Jm Uebrigen —
nur das Meer und die Seelust, sonst
giebt es sür mich keine Rettung.«
» Nun wurde Onkel Philipp erst rechst
eigentlich trank. Er konnte kaum mehr
schlafen, denn die Unentschlossenhett
dtsriiben was er eigentlich thun solle,
od er nach Sankt Moritz, nach Wies
be den oder —- Svitzbergen zur Kur
schien müsse, raubte ihm alle Ruhe.
Wir strichrn beide rathlos in den Bier
gärten ter Hauptstadt herum, denn
nur das vorzügtickze Bier hielt Ontel
Philipp’s Lebensgeister einigermaßen
aufrecht.
Als wir wieder einmal hinter den
schönmenden Kannen, voll des köstli
chen Gerstensastes, saßen nnd nach
einer Lösung der großen Frage suchten,
setzte sich ein sehr vornehnr aussehender
Herr an unseren Tisch, mit dem wir
bald in ein lebhaftes Gespräch gerie
tten. Jm Laufe der Unterhaltung
stellte es sich zu unserer Beidek nicht ge
ringer Freude heraus, daß der Herr ein
Arzt war, ein sehr gesuchter Spezialist
siir Netrentrantheiten, der dieses mo
dcine Uebel an den berühmtesten Klink
len, in Paris-, Berlin und Wien studirt
und, wie er selber sagte, schon Tau
sende und Abertausende dieser Neu
rastheniter von ihrem quälenden Leiden
befkcii hatte. "
Unter Philipp legte natur-um ,te!«.t1
los-. Er erzählte die Geschichte iiiner
Krankheit und rerrieth auch, was ihm
die drei Aerzte verordnet hatten.
»Was?« rief der Nervenspezialist
mit verächtlicher Geberde, »solche Sa
chen hat man Jhnrn gerathen? Das
rii ja alles Unsinn! Nach meiner viel
bemährten Methode giebt ee gegen die
Neurasthenie nur ein Mittel, und das
ist das Reisen. Immer reisen, gewis
sermaßen im Eisenbahntoupe leben.
Nie mehr als zwei, drei Tage an dem
selben Ort verweilen. Heute in PMB
siiihstiicten, am Abend in London zu
Nacht essen, anderen Tages in Briissel
Ujeunirem dann heute in Wien fein,
morgen in KonstantinopeL von dort
einen Abstecher nach Kairo mackpm
dann mit einem Sprung in Athen sein,
die nächsten Tage schon in Berlin ver
leben. dann an’s Nordtap segeln —
turzum, immer wandern und wandern,
sich keine Zeit zum Ausschnausen gön
nen, daß die Nerven gar nicht zum Be
wußtsein ihrer krankhaften Existenz
trmmen. Und wenn Sie dann vier bis
siinf Monate nach diesem Rezept gelebt
haben, so gebe ich Ihnen die Hand das
iauf, dasz Sie gesund und frisch wer
den sein wie ein zehnjähriger Knabe.
Meine Theorie basirt nämlich aus den
unumstöszlichen Thatsachen, daß . .
Ontel Philipp, der schon während
dieser ganzen Rede bald roth, bald
blaß geworden war und unruhig auf
seinem Stuhle bin- und herrutschte,
sprang nun bebend vor Zorn aus. Mehr
wollte er nicht hören.
»Kellnerl'« brüllte er mit einer
Stimme, daß der Nervendoktor vor
Schreck beinahe unter den Tisch iiel
und die übrigen Gäste im Garten ver
wundert nach uns schauten. Er zahlte
rasch die Zeche, rannte, mich nach lich
ziehend, aus dem Biergarten und warf
sich in die nächste Droschte, besehlend,
nach dem Babnbof zu fahren
Er sprach weiter kein Wort iiber den
Vorfall, erst aus dem Coupe heraus
reichte er mir Geld mit den Worten:
»Sieh bezahle meine Dotelschuld und
schicke mir mein Gepäck nach Jch sabre
direkt nach Hause, sonst werde ich hier
noch wirtlich krank.« ——
Drei Wochen später bekam ich einen
Brief von Onkel Philipp, in dem es
unter Anderem hieß:
» . . . Aus diese Weise haben mich die
Doltoren wirklich gesund gemacht.
Denn seit ich absolut nicht krank sein
will, bin ich auch wieder gesund. Esse
ich einmal, trotz aller guten Vorsätze,
eure-s zu viel, so nehme ich einen staf
fcelisssel doppelttohlensaures Natron,
und habe ich mal einen eingenommen-en
Raps, so ist es mir ein Zeichen dafür,
daß ich am Vorabend ein Glas Bier
iLker das mir zuträgliche Maß getrun
ten habe. Auch mein Schlaf ist besser
geworden, seitdem ich mehr spazieren
gehe und statt stundenlang Slat Zu
spielen, lieber Kegel ·schiebe, wobei mir
unser alter Doktor treulich Gesellschaft
leistet. Grüße die Professoren in der
Hauptstadt spom gar nicht mehr neu
rcsthenischen Onkel Millipr
—
Der französische Abgeordnete Beau
qniek sollte ein Urtheil iibet die En -
Kinder-, dessen Schluß lautete: »T- e
englische Regierung verdient eine äch
tiguna dafür, den Krieg ekttiit und
ein Schiedsgericht sefort nach der haa
getConferenz zurückgewieien zu haben,
wo sie das voliqatotiiche Schiedsge
richt selbst verschiqu Die englischen
Staatsmiinner haben sich da als ach
leriiche Hallunten Bezeigt Das f
see aller Meere. au denen ihre Flaiae
weht, wird dtrsen Schmutzilecken nicht
von ihm Ehre wegzuwaschen ver-nö
gen.««