Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, March 23, 1900, Sonntags-Blatt, Image 14

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    IMM
qu Bankick antwig.
Lümmel-Roman von Friedrich Thieme.
«4! ............ . ............. L.
WW
(7. Forttetiiing.i f
Die rothe Köthe durfte sich wahrlich
ehen lassen mit ihrem aoidrotheii
siypigen Haatschmuch ihre dunkel
btauen, meertieien Augensternem ih
rem schneeweißen Teint. ihrer stolzen
Figur, ihren heritich gebautcn Schul
tern. Mit Recht hatte ver Kelliier
Barnetzth sie die Schönheit ihres
Bierteis genannt —- nur ein Zug von
Leidens-hast« der sich in ihrem Antlitz
ausprägte, beeinträchtigte den vollen
harmonischen Genuß derselben, ihr
Blick erhielt dadurch etwas Düfteres,
Versen endeoz ein Feuer brannte in
ihm, s, wie es sie selbst innerkich
verzehrte, auch andere niit seiner
Gluth vernichten konnte.
»Um alles in ter Welt möchte ich
nicht von dieser Brunhilde gehaßt
ginf dachte ich, als sie mit leichter
irneigiing das bestellte Glas Bier
ror mich hinsetztr. Sie that es ruhig,
wortlos, mit natürlichrr Grozie, oher
in ihrem·Wesen verbarg sich ein rin
« Brig von Bekümmernisx der mir der
vorbote von Stürmen dünlte. «
Sollte daran Doktor Gesibalskh
bereits betheiliat sein?
Wenn Baron Wardofs nicht bloß
ein Wüstling war, der die Rosen zu
ücken versuchte, wo er sie sand, son
ni, was mir weit annehmbarer
keinem ein gewissenloser Zntriganh
r die Verhältnisse nach " öglichteit
in den Dienst seiner sinsteren Pläne
feste, so stand ich vor de: Enthül
nng eines Getvebes, von dem sowohl
Mr ela, als jene Olaa und dieses
biid chöiie Naturiind nur Maschen
bildeten Die rothe Käthe hatte tsen
seltsamen Mann in dem vornehmen
tel Finsgesiicht. wo sein Quartier
eh befand; sie war demnach einge
weiht in seine eigentliche Stell;ing,
vielleicht auch in einen Theil seiner
Geheimnissr.oWber wie sie zum Spre
L-— L-:.
II S IIIIHSII f
Es wo: um die vierte Nachmittan
strmve, wo die meisten Berliner Atha
terschenken verlassen und öde sind.
Auch hier sah ich mich als einzigen
Gast —- diesen Umstand galt es zu se
« Z Wetter mußte« wie immer, den ’
Vermittler spielen. »Ein schöner Tag
heute, EröuleinC bemerkte ich"i«eichthin.
a
ie lelmte sich wieder in ihren
Stuhl hinter dem Schanttisch zurück
und senkte die Augen auf eine Rahm
beit »
»F ist heute so still hier, daß man
or nicht glaubt, in Berlin zu sein — ’
ie Straße ist wohl sehr ruhig?«
»Mir um die Mittagszeit. Sobald
insden Fabriten und Werkstätten ge
schlossen wirb, herrscht bei unz- Leben
genu .« Ohne auch nur auszublicken,
gab sie mir mit ruhiger, fast müder
Stimme riesen Beseht-L
»Wenn geschieht Dass«
— «Um sechs Uhr.«
— Also noch zwei Stunden. Jch mußte ,
mich beeilen, wenn ich noch etwas ers s
reichen wollte. Aber oke es anfangen? i
Nach einigen Augenblicken Ueberlegens »
beschloß ich, Den gordsischen Knoten ein- s
sach zu zerhauen
l
»Sie entschuldigen, Fräulein, mich
siihrt ein besonderer Anlaß in Jhr Lo
kal. Jch beabsichtige, hier jemand aus
Jusuckxn.«
»Weil denn?«
Einen Freund von mir: Herrn
Doktor Gemkalsty.«
Meine Aunen bohrten sich förmlich T
in das zarttreiße Antliß ein, um die
Wirkung der sahen Frage zu erfor
schen. Aber nichts deutete aus beson
here Erregung hin, als ein leises,
tuum merkbares Zusammenzuckenx
ihre Stimme klang beinahe gleichgül
Walz sie erwiderte, dann irrte ich
wohl im Lokal.
»O nein, Fräulein, durchaus nicht.
Ich weiß, baß ter Doktor hier ver
hrt· Er hat es mir bor einigen Ta
sm.s.-Ivss.g.ssssg.t2«.
sure ruqtqe Dtrxeryelk meiner Ucußes -
wnåtäuschte sie. -
» er Herr Doktor ist zurzeit nicht
hier«, antwortete sie leiser als vorher.
«Er kommt meist erst Abends."
»So? Jch hoffte gerade, ihn Nach
mittags —- ieh muß ihn falsch verstan
den hohen.«
Allerdings ist er auch Nachmittags
schon dagewesen.«
«Trefse ich ihn heute Abend?«
«Jeh weiß nicht —- er war schon seit
drei Tagen nicht mehr bei uns." Das
arme Kind —— in ihren georeßten, vi
brirenten Tone spiegelte sich eine Be
sorgniß wieder, tie ste vergebens zu
unterdrücken bemühte. Der Schurke
hatte zweifellos Hoffnungen in dies
vertrauensvolle Herz gepflanzt, die ee
nie in erfüllen gedachte.
»Wenn er kommt, kann ich ihn von
htem Besuche benochrichtigen«, setzte
e nach kurzem Nachdenken hinzu.
n Sie so gut sein wollen, mir
Ranken zu nennenk«
»Tec- heisze hartwig — Bankier
pur Ists --«
KATER-« sit Mit
ist-ex · r nun r eeti
set Mir-c Of sie Term. Sie
—
tannte Niemand, der den Namen hart
wig führte.
Do zog ich langsam eine Photogra
phie aus der Brusttafche. Es war die
Michaelas, ein Geschenk meines Freun
des, das er mir am Tage vor unsrer
nächtlichen Entdeckung rnit glückseli
em Lächeln dedizirtr. Jch hatte sie
für allellIiille zu mir efieckt.
.Vie eicht wären ie so freundlich,
ihm diese Photographie zu überreichen?
Jch habe sie ihm versprochen; da ich
aber morgen abreisen will, treffen wir
schwerlich im Klub wieder zusammen.
Gesiillig trat sie aus ihrem Ver
schiag hervor, au mich zu. Absichtlich
hielt ich ihr das ild so entgegen, daß
sie den Blick daraus hatte richten müs
sen. auch wenn sie nicht wollte. Ihre
Züge verriethen jedoch eine innere
Spannung ohnegleichen, und wie sie
nur die Umrisse der Gestalt erfaßt
hatte. rief sie lebhaft:
»Ah, das ist ja eine Dame!«
«Freilich,.zund eine schöne Dame —
geiällt sie Jhnenzk Jch reichte ihr das
Porträt, das sie einige Augenblicke fast -
wie mit den Blicken verschlang Jhre
Stirn umwöltte sich dabei, ihre Augen
nahmen einen drohenden Ausdruck an.
ihre Brust wogte. Noch bezwang sie
sich indessen und fragte turz:
»Wer ist basi«
«Geben Sie her, wir wollen es ein
wenig einhüllen«, sagte ich mit herstell
ter Gleichgültigteit
Köthe hielt das Bild jedoch fett in
der zitternden hand und starrte es un
entwegt an.
Einen Augenblick fühlte ich Reue«
aber nur einen Augenblick. Noch dg
tirte die Betonntfchast des jungen
Mädchens mit dem russischen Abenteu
rer nur wenige Wochen zurück, unmög
lich tonnte sie bereits so tiefe Wurzeln
in dem Herzen ter Schönen geschlagen
haben, urn das Uebel jeter Möglichteij
der Heilung zu entziehen. se eher ihr
die Augen iiber die wahre atur des
Schurken geöffnet wurden, je besser iiir
sie —- ihr leidenschaftliches Tempera
mseset Innh Seh ist-f essen-ist ver-S mit «
der als unwiirdig erkannten Neigung P
ab.
»Wer ist dass« wiederholte fie rauh,
beinahe besehlrnd.
.Wozu wünschen Sie es zu erfah-f
ren?'
»Ich will es wissen.«
»Wenn es nun eine Person dar
ftellte, die dem herzen des Doktors
nahe stünde? Doktor Gernhalstv ist
ein interessanter Mann, von der Art,
wie die Frauen ihn lieben —- soll es ei
nem Manne verboten sein« eine zärt
liche Nennung zu empfinden?«
Jch blickte zu ihr aus« Ihr-« Wan
en wechselten zwischen glühentem
stoth und fahlen Weiß, i re blauen
Augen sprühten Blitze tez ornö unt
der Verzweiflung. Der Sturm war
im Anzugm Doch mir, dem Fremken
aeaeniiker, raffte sie alle Kraft der Be
herrschung zusammen. Sie fühlte, daß
ihr in so eiaenthiimlichem Tone vorne
traaenesErfuchen mir ausfallen mußte,
so bemühte sie sich, mir die Antwort
durch eine List zu entlocken
»Ich lenne vie Dame, es ist dieselbe,
die mehrmals hier war', ertlärte sie
rnit kaum behaupteter Fassun , «desi
halh interessirt es mich, zu wi en. wer
sie ist, aus keinem andern Grunde.«
Jhre Erwirerung veranlaßte mich»
meine Tattil, die ich eben zu ändern ins
Sinne gehabt, beizubehalten Jhre
Wiß.egter, den Namen Michaelai zu
erfahren, war aufrichtig genug, urn
mir Anfangs oieMeinu einzufliißen
daß sie vie Gattin des Bankiers nicht
kenne. Damit fiel mein Plan, inso
weit das Verhältni zu dem Baron in
rage stand, an die er Stelle ins Was
«- szxd ich des-» syst-. Ich-»s- »Ist
Ulllic IIUIU UDTI VII Dkslkqllllgcll W
Originalö der Photographie zu dem
offenbar von ihr eliebten Manne zu
beruhigen, als ist-e Rede mit einern
Male den Sachverhalt grell beleuchtete.
Also hatten doch geheime Zusam
mentunyte zwischen Michaela und dem
Baron Wardoff stattgefunden — hier«
in dieser entlegenen Resiauration« in
der niemand Gäste oorn Range und der
gesellschaftlichen Stellung des muste
riösen Russen und der Frau Commis
; sionöräthin suchte. Sofern die Aeußes
rung der rothen Käthe sich nicht al
eine bloße Falle entpuppte, durch
welche sie mir ten bewußten Namen zu
entloden gedachte, war durch diese
Thatsache die Schuld Michaelaz un
widerleglich bewiesen! Und ich laubte
nicht an eine so raffinirte Vertellung
des Naturtindes —- sie benutzte die
Wahrheit zur Crreichung ihres Zweck5,
darin bestand ihre List. Unter irgend
einem Borwande hatten sich ter Baron
und die Gattin hartwixkg hier ihr
Rendezvouö aeaeben, um ihre aebeii
men Pläne miteinander zu besprechen,
denn nicht Liebe allein —- wenn über
haupt von Liebe die Rede sein tonnte
—seiselte diese beiden räthselhasten
Charaktere aneinander, sondern eine
Verbindung anderer Art bestand zwi
lchen ihnen, nnergriindlich in ihren
Ursachen, ihren len, ihren Mittel-!
Schon längst die Erscheinung der
seemden Dame, deren beklaan Rai-is
und Absicht man ihr’voretzthielt, der«
muthlich die Eifersucht der Tochter dei
Hauses wachgerusenz das dreitiigigi
befremdliche Ausbleiben des Geliebter
hatte ihr Mißtrauen verstärkt. rneir
Verlangen, in Verbindung mit dei
Andeutung, die ich gemacht, verwan
delte in «der erregbaren Brust den Ver
dacht zur entsetzlichen Gewißheit!
. So legte ich mir den hergang zu
recht und irrte mich nicht
Jnsolge meiner juristischen Vergan
genheit besser in ter Lage als die rothe
Rathe, meine Gefühle für mich zu be:
halten, verhar ich meinen Triumph
sest in meinem nnern und entgegnete
in derselben gleichmüthigen Weise wie
bisher:
»Sie kennen die Dame? Weshalb
stagen Sie mich dann?"
«Jch kenne sie von Ansehen, aber ich
weiß nicht, wer sie ist.«
.War sie denn nicht verschleiert.
wenn sie kam?'
«Doch — immer — ich —«
»Sie haben gelau cht?"
Wie vorher der « orn, so trieb nun
die Scham der Unglücklichen das Blut
in die Wangen.
«Durch Zufall vermochte ich einmal
einen Blick in ihr Gesicht u werfen —
bitte. saaen Sie herrn tor Gem
balski nichts davon, wenn Sie ihn
sprechen. Er würde mir zürnen. Der
Name soll wohl verborgen bleiben?"
ieste sie leiser hinzu.
»Ich weiß nicht —- ich hatte über
haupt leine Ahnung, daß Sie in die
Sache einoeweiht sind.«
.Verzeihen Sie meine Neugier -— es
war nur mein Interesse für herrn
Gembalskv, das mich danach sorfchen
lieskx die Dame iit wohl seine Brot-ti«
O dieser angstvolle, qualdtirchzu.tte
Blick. diese blauen. oon schmerzlicher
Spannung durchglühten Sterne! Gott
weiß, ich empfand inniges Mitleid mit
ihr, und doch —- zu ihrem und meineå
Freuntes heil —- iwang ich mich zu
der Entaeanunm »So ist es· Fräulein.
Es ist meine Nichte. seine Braut. In
ibrem Austrage bringe ich ihm das
Bild.«
Jm nächstenAugenilick lag das Bild
zerrissen vor meinen Füßen; stampf
haftes Schluchzen brach aus tem rosi
gen Munde hervor, inreß die kleinen
print-e sich in grimmiger Verzweif
lung vor das zorngtuhenbe Ant
litz preßten. Gleich daraus befand ich
mich allein in tem primitiven Raum,
aber aus kein benachbarten Zimmer
heraus, vernahm ich ein rerzweiieltes,
heiseres Geschrei, rermiichtmit abge
rissenen heftigen Ausrufen und Ver
wünschungen und unterbrocken Irrt
Den wenirer exaltirten Worten eine-.
anderen Stimme, die befanstiaend
ans die tobente Schöne einsuwirten
versuchte nnd allem Anscheine nach
ihrer Mutter, ker Besitzerin der Nord
deutsckxn Weißbierhalle, angebörtet
i I O
Da faß ich nun, halb reuevoll, in
töbtlirhet Verlegenheit. Was sollte ich
thun?
Unruhig rafste ich die beiden Sttiae
der Photographie usammen, sie sorg
sam in meiner rufttafche bergein-,
dann erwog ich in siekerhafter Aufre
Fsung bei mir selbst mein ferneres Vet
halten.
Was war das bestes Gehen aber
Bteikeni
Während ich noch metitirte« wurde
IS ruhiger neben mir· Der Paris is
knus verhallte in dumpfem, halb au
tem Gestöhn, und plöylich stand, wie
aus der Erde eeiaubert, eine ältliche
Frau von rundlichem, sauberem Zeu
ßern vor mir und hat mich in höflicher
Form, gütigsi einen Augenbtick mit
iniiberzutoinmen.
An der Aehnlichkeit verrieth sich un
schrrer Kätkes Mutter. Trost-ern
fehlte in ihrem Gesicht der charakteri
stische Zug aus dem der Tochter, ber
ienige der etementaren Leidenschaft,
cer vielleicht ein Erbtheil des Vaters
war. Frau Friedrich —- so hieß
nach der Firma aus ten Metallis
beckeln bie nhaberin bes Etabtissei
mentz —- trug eher ein ruhiges ge
haltvollei Phleama «zur Schau, dem
sie auch wohl bie bebeibijtze Fülle ihres
wohlgepsleaten Leibes verdanltr.
Me r all bereitwilli ent ra
Ihr-ne hmuofefs de- di- gcstciixfinsjechsiL
nur mit meinem eigenen Interesse
übereinstimme, sondern auch meinem
aufrichtigen Verlangen, dein betroge
nen Miit n gründlich die Augen zu
öffnen, B riedigung versprach.
Ein einfach ausgestattetes Stüh
chen öffnete sich vor mir, rnit einem ta
felförknigen Klavier als hour-thi
chem Schmuaftürt. Die Tochter ver
harrte in halb liegenden halb figender
Stellung auf dern brauniiberzo enen
Sofa, das Antlitz drückte sich fe tn
das Polster, die lrnle Hand hing lang
an ihrer Seite herab. Ali ich eintrat,
sprang sie haötig auf und entfloh durch
eine Thür, o ne mir den Anblick ihre-s
Schmerzes zu gewähren.
«Kiitbe, bleib d l" rief die rund
licheigrau ihr nach, och vergebens.
. as müssen der Herr nur von uns
denken,« lla te die Wirthsm mir einen
Stuhl binf ·ebend, auf ten ich mich
niedrliefz. »Das thiirichte Mädchen,
sie hat ein fo aufgeregtei Tempera
ment! Nehmen Sie es nur ja nicht
übel!«
»Im Gegentheih ich bemitleide
Ihre Fräulein Tochter von ganzem
her-en«
( lDie akteufjrauvnalånä tät-if dan Frost
a . a e e re n ou ern
sie und erzählte:
»Sie werden bereits ten Grund
ihres Vernehmend ern-then haben. St
-li,eht den Deren Doktor Senihaisln
von dein sie ihr ene Mittheilun ge
macht haben. Nicht etwa aufs a
thewohl oder in leichtsinniger Weise.
lieber here — meine Tochter ist ein
apartes Mädchen und nicht steigehig
in ihren Gunsthezeigungeii — soniern
mit alleni Anstand und in hestern
Glauben. Der Doktor ist ein Mann.
der es eineni jungen Mädchen wohl
anthun kann, und er hat ihr sest zuge
schworen, dasz er es ehrlich meint.'
.hat er das wirklich?'
.Weiß Gott. lieber Herr, ich würde
gewiß nicht schwören, wenn ich nicht
die lautete Wahrheit spräche. So
leid ez mir um Jhre werthe Nichte ist«
aber, ich hin Mutter —- und mein
Kind —.« Sie hielt schluchzend inne
und wischte sich ein paar Thriinen von
den Wimpern·
»So besteht zwischen ihrn und Jhrer
Fräulein Tochter eiii volllorninen
regelrechtei Verhältnißi«
Die gute Frau nicktr. Verloht sind
sie natürlich nicht. es ist ja auch erft
drei Wochen her, daß ie sich kennen
lernten. Jch war auch von Anfang
an dagegen, aber der Herr wußte so
schön zu sprechen und zu phantasiren,
dein hört man's gar nicht an, daß er
ein Auslönder ist« so sließend redet er
deutsch. Vorn ersien Tage an hatte er
sein Auge aus Rathe —- und auch sie,
die sonst so spröde ist. siihlte sich von
Lin angezogen, wie von einein Zau
r.«
.Wie sand er denn esgentLich den
Weg in Jhr hausi«
Die alte Frau schwi verlegen.
»Ich hahe oben n ein größeres
Lotal, worin sich alle Wochen ein
Verein versammelt, dein der Doltor
als Mitglied angehört,' gah sie inir
endlich zur Antwort. »Bist drei Wo
chen waren sie zum ersten Male da;
sobald er Mitbe, die oben bediente. pe
sehen hatte, interessirte er sich siir sie
und iani dann alle Tage. uin bei uns
Ahendhrod zu essen und Bier zu trin
- so
.So, so.«
Was fiir einem Verein gehörte denn
der Baron an, der sich in diesem abge
legenen eringen Restaurant versam
melte? Fisch einigem Besinnen stellte
ich unbedenklich die Frage.
»Za. ich rreiß wahrhaftig nicht, was
bie teute fiir Tendenzen versolgen,'
erklärte Frau Friedrich mit merklicher
Unbehaglrchielt. »Es sind meist Ar
beiter aus der Nachbarschast. Jch be
tiirnmere mi nicht viel urn m«ine
Gäste. wenn te sich nur ordentlich te
tragen und mich pünktlich bezahlen.
Doch wag ich gleich sagen wollte,«
sprang sie hastig aus ein andere
Therna über, .ber herr haben meiner
Tochter eine Photographie übergeben
und das dumme Gänschen hat sie in
ihrer Ausrequng zerrissen. Darütser
bin ich Ihnen noch eine Erklärung
schuldig. Zu wiederholten Malen
traf nämlEch bei uns eine tielver
schleierte Dame mit Dotter Gern
balsky zusammen, wie er sagte. eine
Landsmannim hie Frau eines Freun
des von ihm. Ihr armer Mann
ichrnachie in Sibiriem sie sele te
sinbe sich in bedränqten Verhältnissen
halte sich auch nur heimlich in Deutsch
land aus und habe sich in ihrer Noth
an ihn gewandt. Er habe ihr einicre
Bittichritten an hohe Persönlichkeiten
u Gunsten ihres Gemahls abgelegt
äiiir hatten natürlich kein Arg tei der
Sache, denn sie blieb stets nur wenige
Minuten bei ihm. Meine Tochter
konnte sich zuletzt aber doch nicht iibers
winden, sie mußte ihr weninstens ein
mal in’s Gesicht sehen. Wie nun die
eDame das letzte Mal da war ——«
,.Wann war hast«
.Daö ireiß ich nicht mehr genau —
also wie sie has letzte Mal hier war,
ta hat sie —- ja, da ist-es ihr gegliiclt,
einen Blick in das Gesicht ber Frernten
u werfen. Sie sagte, es wäre eiie
chöne. junge Dame gewesen«
»Sie hat wohl durch's Schlüsselloch
gesehen?«
Die Alte lächelte psiss3g. «Wie’s
eken die Jugend machtt Welches Mädi
en wäre Licht ein Lenig eisersiichtth
sk-:«- -... .....
MIIISUI III III UIIHIIIUIII -II III
Herz einge ogen, und treil nun tee
Dotter sich schon seit drei Tagen nicht
hat sehen lassen· -—— Aber freilich,
trenn er eine andere hat — und gar
dieselbe ist es, B te mir Mitte die ihn
hier besucht. fui. das ist mir auch
eine nelte Person, nehmen Sie ei mir
nicht übel, ich muß es sagen, wenn es
auch zehnmal Jhre Nichte ist! Da hat
die Mithe doch recht gehabt mit ihrem
Berdacht.«
..Sie hat recht gehabt,« sagte ich
ernst und warf einen Blick inniger
Theilnahme aus das unglückliche
junge Mädchen, das jetzt heteintrat,
mit wiedergewonnener. wenn auch
mühsam hehaupteter LFassung auf ei
nen Stuhl sintend. us ihrem schö
nen Antlitz waren die Spuren der ter
gossenen Thriinen entfernt, höchstens
wies der düstere, schmerzlich verzogene
Ausdruck nui eine vorhergegangen-.
seelische Kniastrephe bin.
»Hast du ten kenn aesrnqi. Mut
ter, oh es wahr iii?« lrandte sie sick
mit miirriseher Kürze an die rundliche
Frau.
»Ja, freilich, herzeben — nicht
wahr, lieber Herr, wir haben uns ge
hörig ausgesprochen Dein armen
beten ist’5 eben auch keine erfreuliche
Enthecki:nq, Rathe. der Doktor siihet
seine Nichte vermuthlich genau so an
her Nase herum wie dich«
»O nein, denn sie ist wahrscheinlich
reich und geteilt-cis erwiderte die tothe
KIthe mit tihneidendet Schärfe.
Skl- eeaehtete damit den Augenblick
the set-seinen mein cathitllungtevert
W
Ei vollenden· Mit ernstern Tone re
te ich die Frauen an:
»Rosen Sie mich eine Minute an
hören, meine Damens Jeh wts Jhnen
die volle Wahrheit iiber dte leidige Un
gelegenheit mittheilen. Vor allem:
tiese Dame ist weder meine Nichte noch
Doktor Genibalstw Braut.« »
Das iunae Mädchen sprang mit
slarnnienden Augen empor
.Sie haben mich belogeni Mit
meinen heiligsten Gefühlen Spott ge-,
trieben?« schrie sie in geltenden Lauten
wilder Emdörnng.
»Macht-us nicht, Fräulein. Blei
ben Sie nur einen Auaenblick ruhia.
sc sollen Sie alles vernehmen. Dieser
Doktor Geinbalstn, der sich in Peters
burq auch Baron Wardoss nennt, und
vielleicht anderswo noch andere Na
men siihrt, ist ein Abentrurer, ein
Elender, ein gewissenloser, problemati
scher Gesell. der mit den herzen der
Frauen so deswegen umgeht wie rnit
Karten und Würseln, ein Bösewicht,
dem nichts heilig ist, und der in Wies
tsadem wo er elensalli unter dem Na
rnen Genibalsto tnrze Zeit seine
Rolle durchzuliihren versuchte, wegen
salschen Spielj aus der Gesellschaft
ausgestosien wurde. Jene Dame ist
die —« Tochter eines Freundes von
mir, die er ebenso gewissenlos beträgt
wie Sie. Soviel ich weis-. bewirbt er
sich noch nm eine dritte junge Dame
aus den besten Kreisen —- nioraen bin
ich iin Stande, Ihnen ein Mehreres
darüber mitzutheilen. Jch bin hier
im Austraae meines Freundeg, urn ver
Sache aus den Grund zu gehen. Wir
hegten längst Verdacht, und er hat sich
bei-te leider in vollem Umsange bestä
tigt. Meine Nachricht wird meinen
Freund in die tiesstr Trauer versehen.
Mich tröstetnut noch', setzte ich vor
fchtia hinzu, »die eine hoffnung. daß
Sie sich irn Jrrtlsurn befinden, Fräu
lein. dass in der That die Person, wel
che bei Ihnen aug- nnd eingina. gar
nicht mit derieninem welche die Photo
graphie darstellt, identisch ist."
-Es ist dieselbe das sann ich bo
H
schwören,« entaegnete Köthe dumpf.
Das unglückliche Geschöpf hatte mit
starrem, gramertiillten Blicke meine
Entdiillunaen angehört, es gelang ihr,
ihr seelisches Gleichaetoicht zu behaup
ten, da die Gewalt des ersten Aus
hrrchs ihre Kraft ersetjipit hatte.
Bleich. mit veraebeuatem Qhertöraer,
die Auqen entsetzt auf mich gerichtet,
deckte tie auf ihrem Stuhl, indeß ihre
Mutter die hönde vor Erstaunen und
Entrüituna zusammenichlug und ihrer
Bestiirzuna durch allerhand Jnterieei
tienen Luft verichaiitr.
»Ist sie es wirtlichf Täuichen Sie
sich nicht? Bedenken Sie wohl, Fräu
lein. es handelt sich um die Ehre eines
Nehenmentchen.« Ich brachte die Pho
tigradhie nochmals zum Partei-ein«
die beiden Hälften, sv aut es ging.
auf dem Tische zutamrnenfiigend
,Ueherieu«aen Sie sich«
Mitbe beaniiate sich mit einer flüch
tigen Betrachtung
»Ich täusche mich nicht« beharrt
tTe fett.
Kleiner Freund,« sagte ich ausste
hend. »Ich fürchte, er wird es mir
nicht einmal alauhent Wenn Sie mir
gestatten, Frau Friedrich, hrinae ich
ihn morgen einmal her, vielleicht ha
ben Sie die Güte« Fräulein, ihm
Jhre Behauptung Antlitz gegen Antlitz
zu wiederholen.«
»Warum nichts Was wahr ist.
brauche ich vor Niemand zu verhergen.«
»Ich werde Ihnen dann auch den
Namen der dritten Dame nennen
tönnen, nach welcher Doetor Gem
balsty seine Rede auswirft. Weshatb.
treiß ich ebensowenig, wie ich eine Ver.
muthuna deriiber hege, was sein
Aufenthalt in Berlin eigentlich be
zweckt. Ob er lediglich ieiner unaei
ziiaelten Leidenschaft nachaieht oder
kinter feinem Thun besondere Pläne
vezfteckt —- die Folae wird ei vielleicht
ergehen- Ritrnen Sie mir nicht oh
neiner Eröffnungen, Fräulein, sie
tuar nothwendig, nicht nur im Inter
esse meines Auftraggeberz, sondern
«»--s. u- Dass-.- LJI II-J. II h
EIN »u
Uebel neu und nicht ·zu tief arwurzelL
der Pfeil wird herauszuziehen fein,
und die Wunde wird vernarhen. Jii
kirrem wäre es vielleicht zu spät. «
Jch hot der reizpollen Erscheinuna
freundlich die band aher sie griff
nicht danach. sondern wandte sich rasch
ad und verließ das Zimmer.
»Gott aebe. daß es nicht ießt schon
zu spät ist! Sie kennen meine Tochter
nicht«, jammerte die alte Frau mit
feuchten Augen.
.Jch dente, ich habe iie heute kennen
gele: ni, « tröstete ich die Weinende.
«Wohl wahr. sie besitzt ein Tempera
ment tros einer Jtaliernerin, aber in
ihrer Brust wohnt auch ein hoher
weil-lichte Stolz. Allerdings hat sie
eine bittere Arzmi einnehmen müssen,
und es wird vielleicht geraume Zeit
reriireichen, ehe ihr Herz ver ißt und
ihr Kummer sich heruhiat. denn
erft ganz erkannt, was iiir ein falscher
nichtswürdiger Schatte diefer Mann
ist, wird sie den Schmerz leichter iihers
windenk
Des innigsten Mitleids voll, schied
ich von den armen Menschen. Das
Schicksal i reines Freundes hartwig
lenkte indessen schnell meine Gedanken
nach einer anderen Richtung. Für
ihn war ich der Ueberhrinaer einer
entsetzlichen Botschaft. Michaela’g
Verkehr mit Gernhalökii war unzwei
felhaft erwiesen —- damit fiel das gan
ze Kartenhaui ihrer seltsamen Be
hauptungen in nichts zusammen. Sie
war eine a efeinite Betrügerin und
der ans ehl Baron oder Doetor ihr
Mitschuldiaert tiefer Wahrheit konnte
M
l
l
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E
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»al) das
! ZU «
I , nia
ich mich nicht verfchlie en wir-Mächte
mein n es nnere
firöudte » z Pest Zufarnmensang des
Ganzen begriff ich freilich noch Mut
IIM mein Freund fchien mit das
Opfer einer fur baten JMUSUO es
fein deren Ziel ch meinem Vetsidll
niß vorderhnnd entzoqem
So fah ich eine fchrnerzliche Kain
firophe vor mir, wie ich eine hinter
mir zurückließ — aber noch war ich
mit meiner heutigen Mission nicht zu
Ende. Vorwärts, fort mit allen Grü
beleien der Freund muß noch einmal
dem Juriften wsscheni
Warum fuchte ich noch ein andered
Reftaurant in der A-——ftraße aqu
Meine Ertundigungen bei dem Jn
daber werden Auftliirungen hierüber
drinnen.
.Sie haben tein Zimmer an einen
Club abzugeben?« wandte ich mich an
den dicken cufgedunfenen Wirth, nach
dem ich mir eine tleine Weiße halte
credenzen lassen.
»sechs Nein,« entgegnete er in un
angenedin tlingenden. mit feiner hil
nendaften Figur und feinem auf e
fchwemmten Körper feltfani contra
renden Fifteltiinen.
»Dann darf ich um fo eher eine od
jertiveAustunft von Jdnen erwartenk
fuhr ich mit fragenden Blicken fort.
.Was fiir eine Auetunfti«
»Ich handle im Auftrage einiger
; Freunde« welche gleich mir leidenschaft
liche Musilfreunde find. Wir frechen
I ein fiilles Lokal, um uns wöchentlich
einmal Abends einige Stunden e
ineinichaitlich zu üben. So eine rt
tleine Privatconeerte, verftehen Sies·
Der Wirth nirtte.
»Da wir indessen nur Dilettanten
sind, mochten wir unfere Kunft nicht
Jan die roße Glorie hängen. Ein
in der ebenitraße wohnt-often zn
unferem Zirlel gehöriger Herr hat uns
ein Lokal in der Norddeutfchen Weiß
bietftnde empfohlen. Jch satt es eben
besichtigt Das LämmerF eldft fZzefiilit
mir nun Kauz gu die ra aåe i nw
eftaurant an fi geeig
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s ""Dek Wikih zuckt- vie Achsem »Ja
I spreche nicht gern über meine Konkur
- renz.«
.Das ist ein vortrefflicher Grund
F satz, schade nur« daß er nicht allgemein
» Gültigteit besiht Fern sei es von mir,
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Sie zu veranlassen, ihm untreu zu
werten. Aus eines werden Sie mir
aber wohl unbedenklich Bescheid aeben
dürfen. Frau Ferndrich sagte mir, es
halte schon ein rein oder etwas ähn
liches in ihrem Lokal TFung. Als ie,
sie fragte. was iiir ein errin, erhkel
ich eine ausweichende Antwort. Oi en
xsiandem das fiel mir aus. Wi es
fiee zufällig- was siir ein Verein ei
it « —
»Die ganze Straße weisz es, des
halb brauche auch ich lein hebl daraus
zu machen. Die Norddeutsche Weih
bierhalle ist das Versammlungsloial
der Berliner Anarchisten.«
«Wasi«
»Wenn Sie mir nicht glauben. so
: befragen Sie sich —- oder fragen Sie
Frau Friedrich direkt, dann wird sie
; wohl oter iibel ia sagen müssen.«
.Die Anarchisteni Jch bin Ihnen
wirklich zu Dank verpflichtet, here
Wirth. Unter solchen Umständen
tann gar leine Reke davon sein, daß
wir jemals dorthin gehen. Um Gottes
willen —- mir war dieses Ausweichen
) Teich verdächtig.· Letzteres war in der
bat der Fall aewesen, obgleich ich
« mich eher aus alles andere, als tiefe
; Erklärung aefaßt gemacht hätte. Was
;wollte Doktor Gembalgly bei den
.Anarchiiieni Welche Rolle spielten
ibort7 Der Mann erschien mir in
immer riitbielbaiterem Licht. Boll
iommen befriedigt, lehrte ich in das
Centrum der Millionensiatt zurück.
Ich war rniite, todtmiiie. Und doch
blieb mir noch eine Mission iur heute
übrig: das besprochene Rendezvous
; in der Rheinischen Weinstuke.
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Its-suchs- msplhinss Ins-I- nncks III-O
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vor-so- V- .....
s anwesend, ais ich anlawngte« ich hat-te
vollaus Zeit zu soupiren. Gegen halh
; zehn uhr iignalrjirte ein hornerisches
Gelächter, das von ter Straße herein
drang, sein Erscheinen. Der Helden
vater glänzte förml: ch von Wein und
guter Laune, es tostete Mühe, aus
ihm herauszuhoien was ich wissen
wollte.
a von holdenborn galt wirklich
siir Odfe zukünftige Braut Gernbalss
lyUS Der Doktor renornmirte mit
s Inen großen ru fischen Gütern er
enrwiclelte alle eize seiner saseinis
renden Persönlichkeit Die ganze Fa
milie blickte rnit Stolz zu ihm aus
Olga mit schviirmerischer aYott
scher hingebung. Die junge ome
war reich sehr reich und würde noch
taunr einein Jahre unbeschränktehe
rin ihres Vermögens sein Vielle. cht
ealculirte ich wurzeln in lehterer
Aussicht die Plane des Rassen, denn
welchen wert sollte seine Bewertung
um eins er schönsten und angesehen
sten Mädchen Berlin-Z außerdem hu
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ben? Daß er so elte hoch spielte, war k »
Thatsacke, er sührte das Leben eines
Rom, aber welche moderne Tochter
nähme daraus wohl Anlaß einen
Mann zu verachten? Jrn Gegentheil
er erscheint ihr um so interessanter
die Eroberunq macht sie desto stolzer-.
Der Liebe wird es schon gelingen. ihn
zu belehren. er wird vollständi in ihren
Reizen ausgehen. Von irgeng
Mogelei beim Spiel hört man n ts,
es paßte hier mehr in die Karten
Ahenteurers verwegen zu opsern, ils
listig zu gewinnen.
Mit-Im tvlstl
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