Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 22, 1899, Sonntags-Blatt., Image 11

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    späten glück.
Recht jenen holden Trieben.
Davon die Dichter sinnen.
Nicht Ienem heißen Lieben
-- Soll heut mein Lied erklingen;
Mir ward solch selig Glüixiy
So heißes Sehnen nicht,
Nur stises Spätherbstblühen
Und goldnes Abendlicht.
Zwei hörst-, die bezwungen
Der schweres Arbeit Last,
Und seiten sich verschlungen
Jm Schoß zu kurzer Rast,
itin Herz, ni i stürmisch schlagend,
Doch nmnnha t, treu und wahr,
Die boten sich mir zagend
Zum Bund fürs Leben dar.
Und freudiek ohne Säumen
- Jus-P ich die starke Hand,
Mem-b mein tböricht Träumen
lan lnüvste fest das Band-—
In aus des Dankes Triebe,
Reh-et wie ein Blätensloy
Die it«t’te, reine Liebe
Jn: Herzen mir empor.
Ihm fibe ich mich eborgen
In isetter, tremr ut
Dr u ,t sich's ohne Sorgen,
Ia ruht Helft still und gut.
Ich halte seit die Hände
Daiz Derse, treu und schlicht,
Un: le sse, bis ans Ende
Von meiner Lixoe nicht.
E.Kles-in.
soetoe nkz qttfrewier Menschen
freund.
Zur Wiederkehr seines Geburtstag-L
VonA-vonWinterseld.
«Edel sei der Mensch, hülfreich und
aut.« Dieses Gebot hat der qrosie
Dichter nicht nur gegeben, er hat es
auch selbst befolgt nnd ihm nachgelebt,
und zwar nach dein Grundsay: Laß
Deine Rechte nicht wissen, was Deine
Linie thut, sodaß wir nur zufällig und
gelegentlich von seinem menschen
freundlichen Wirken Kenntniß erhal
ten« das ihn uns menschlich näher
bringt
So erzählt die Malerin Linse Seid
let In ihren ansiehenoen Erinnerun
nen mehrfache Beispiele von Goethes
Menschenfreundlichkeit, die sie auch an
sich selbst in nicht geringem Maße er
sahren sollte. Einer jenenser Familie
anaehörig und deni Dichter von Jn
gend aus betannt, hatte sich sich seines
Wohlwisens vielfach zu erfreuen. Als
sie sich in Dresden zur Malerin aus-;
bildete und sich dort iq einer trinesiveas
angenehmen Lage be and, war esGoe
the, der während seineHAiisenihales i:.·
Dresden im Jahre 1810 sich itfret in
jeder Weise annahm ihr Lebensmutki
und Lebensfreundlichleit zurück-roh nnd
ihre künstlerische und gesellschaftlichel
Stelluna erhohte und befestigte. Sie
selbst schreibt darüber in einein Briefe:
»Sie wissen nich nicht« tvie nahe ich in
Dresden mit Goethe vetannt qeirsordenz
bin, wie er sich meiner annahm, wie er
sich rnir durch seine Güte, durch seine
väterliche Sorgfalt iind Fürsorge noch
iäalieh roerther machte, wie ich ihn erst
kenne. liebe nnd verehre. -—- Man h.:t
mir ost sehr ivehe gethan, tein Tag ver
ging, ivo man mich nicht durch Werte
oder Mienen zu kränken suchte. Goethe
erschien mir da als ein rechter Sirnitz
enael und Rächer; er übersah mit einem
Blick meine Laae. Er irar mir ein vä
terlicher. aiismerksamer,aiitigerFi-eiind,
der mich bei meinen Arbeiten unendlich
aufmunierte, mich dreimal selbst be
suchte, mich überall mit hinnahin, micti
tn allem auszeichnen und sich um die
anderen kaum kiinimerte. Tenen, met
che mein Unternehmen, die heilige Cä
eilie von Carlo Dclre iu malen, mit
vielem Achseliucken bekrittelt l)aiten,l
stopfte er den Mund, indem er meine
Arbeit lebte. ;
Für den nächsten Winter hatte Goethe
seine junge Freundin nach Weimar inl
sein Haue eingeladen, um sein Bild zu’
malen. Während der täglichen Sitzun— !
aen durfte sie ihm von Dresden and ih- j
ren dortiaen Freunden und Betannten
erzählen. Dabei gelang es ihr, seine.
Theilnahme siir eine unglückliche Fran«
zu gewinnen, deren Mann. ein Kauf-«
mann. Bankerokt gemacht hatte und»
mit dein Rest des Vermögens seinerj
Frau nach Amerika entwiehen war, so
dah sie nun mit ihren zivei tleinen
Kindern allein und mittellog in der
Weit dastand. Doch ioar sie vell Eiter
gie und The-Mast Fäusundeioanzig
qeliehene Thaler verwendete sie zum
Antan von Materialen zu Stiekereien,
deren Muster sie mit titnstlerischem Oe
sehick und Geschmack selbst zeichnete
M mußte die arme Frau ihre Kräfte
sast übermenschlich anstrengen. Da sie
keine Wärterin iiir ihre Kinder halten
konnte. muhte sie diese selbst hesor en
und beständig beaufsichtigen Das e ne
tue an ihrem Arbeits-stahl iestgehuns
den« während das andere aus dem Bo
den spielte. Dabei verkürzie sich die
Mutter den Schlaf. urn bei Nacht die
nothwendixn Entstehen Geschäfte,das
Leichen, tsu nreinigen u. s. w. zu
bete-rauh ,
Ill- Luise r Goethe von dieser
Dulderin er hlte, wurde sein großes
heez zum los-nisten Mitleid bewegt,
und unveraiialich sann er aus mitthei
kige hülir. Er trug Luise aus, die un
Etliche rau zu veranlassen, ihr eine
Utah
l i er Ciickeeeien nach Weimar
Witaltete Ioethe in seinem sank
ein-Manna tltr die erstesesellche
der Residenz. Die Stickereien mit da
ran aebetteten Preisen waren ausge
leat. Er erzählte die traurige Gefschichte
der Frau und bat die telnroe enden,
größtentheils Damen, sich an einem gu
ten Werte zu betbeiliqetn indem sie von
den ausgelegten Sachen sanftem Wer
hätte einem Goethe etwas ab chlagen
mögen! Der Erlös war d r sehr
reichlich, Goethe hatte siir flinsnnd
nennztg Thaler und vier Silbergru
schen Stickereien verkauft, während er
sitt den Rest der Arbeiten billigere
Preise zu stellen bat, um sie auch noch
absetzen zu können.
llnter das von fremder Hand ent
worfene Verzeichnis; hctte Goethe noch
selbst geschrieben: »Dann Vornehm
dei erfahren Sie, liebste Luise, wie es
mit den Dresderser Waaren aeaanaen.
Wenn Sie denlen, so könnte man der
armen Frau einstweilen dar- eins-ersan
aene Geld in Dresden anweisen. Wie
beißt die Dame nnd wo wobnt sie?
Moaen Sie Beilieaendes tes war ei
ne der von ian anaetatritenStielereien)
alg einen kleinen Weihnachten vom
Freunde freundlich annehmen nnd ihn-.
bis zu einem stoben Wiederseben Ihre
holden Gesinnun en bewahren.
Weimar, den Es. Dezember 1810.
G «
Nachdem die Preise der unverlaust
gebliebenen Stietereien etmäszigt tork
den waren. bat Goethe sie auch nocb un
terzubringen verstanden
Noch über ein anderes Beispiel Von
Goethes .f)iilsäbereitlchaft, das uns ei
nen tiefenBliet in sein menschenfreund
liches Herr thun läßt« brrichtet Luise
Seidlec
Sie haiie ihm die bebeiingte Lage,
in die der Maler Kerltinq in Dresden,
ein ebenso vortrefflicher Kunstler wie
Mensch. ohne eigenes Verschulden ge
rathen war, in einem Briese geschildert,
in welchem sie zuqleich auch ihre Be
wunderuna über Fouques ,.llndine"
sehr lebhaften Ausdruck aeqeben.
Daraus waren aus Goethes Wunsch
einige Bilder Instian nach Weimar
zur Ansicht gesandt worden« hatten
aber teine Abnehmer gesundem mit
Ausnahme der »Stickerin," zu der Qui
le selbst gesessen hatte, und welchesBild,
aus Gall-« Vertvenduna, der Groß,
zherzoq Karl August sür sich erwarb·
« Doch daran lies-, sich der Hilfsbetri
te Dichter nicht genügen, er ersann, um
ten bedrängten Malen erfolqrrieher un
terstützen zu können, den Plan zu einer
Lotterie seiner Gewölbe, worüber er
sich in einem scherzhaften Briese ai:
Luise folgendermaßen ausspricht:
»Sie erhalten hierbei, meine liebe u.
artige Freundin, Jhr Siibscriptioris
Verzeichnis-, zurück. Die von den Käu
sern verlanqten oder ihnen zufällig zu
aetheilten Loose sinden Sie an dcr
Seite nach den Nummern notiri. Auch
solarn die Billette, und damit ja teiu
Irrthum entstehe-. so sind die Namen
aus der Rückseite bemerkt. Es sind ib.
rer 44. Kassiren Sie das Geld ein.
tag Loog zu It Rodfstjjck Wir haben
114 bestimmt.
Das wäre nixii alle-.- recht aiii unk
sct«on, wenn irti nickt r.t;ndete. dass, iis
diese Lotse, die ich Ahnen schicke, der
Gen-sinnst schon hinein aeiaiiberi sei.
Dies will ich aber nicht laut sageii.»
scnst digcrediiire ich die übrian iin«’ii
ivir sinden leine tzltinet inei. Lsiaentlielii
ist niir diese Verinuihuiia daher getoin
nien. ireil man inir nicht qeiiiia ersah
l n kann. ioas die Undineii und Meer
fraiitein . i Jena siir Epuet treiben. si
Knebel spricht entziickt von den tausend
und aberiauiesid Wellen aus welchen
jene tdan«e'-t·:-ec -«eiite iikeii iinMond
schein hernniaaxileln und bis an seinen
(ii-..rten,iaiiii nliiischein uiia schwatzen
Sie sollen sont inmi, alt und iiina irr
siihren iznd das ireiiloieste Geschlecht
in der jsianbertselt sein.
Leiter ioerde ich sie in ihrer Glorie
nicht mehr sehen, aber nsenn sie sieh in
ihre Grenzen zuriiaaezoaen haben, sind
sie nur desto aesiihiliiti-r, nnd vor den:
bekannten Geseiia:
»Im meinem Schlösrchen ists aar sein,
Korn-n Ritter. tornni »in mir herein!« »
lAnipieluna aus dieAnitsioohniinq von
Luiseng Eltern irn Schlosse in Jenas
wissen sich wenige in Acht en nehmen.
Dein sei nun, wie ihm wolle, so tann
ich die User der Saale nicht ganz ver
meiden. Bis ich Sie daselbst wieder
sehe, leben Sie recht wohl! Gedenten
Sie mein und ariißen Sie Minchen
sherzlieb). Jch habe immer geglaubt,
dieses Geistchen gehöre einem treueren
Element an. Doch soll man sich über
haupt hüten, rnit der ganzen Sipp
schaft zu scherzen. Noch-mais das
ehönste Lebewohlt
Weimar, den 24. Februar 1813.
» G o e t he.
i An Deinoiselle
s Luise Undine Seidler
Jena«
! Luise hielt den Ersola einer Sache,
idie Goethe in die band genommen«
isiir so vollständig gesichert, daß sie an
die Schwierigteit, so viele Loose unter
izubringem nicht dachte, und in ihrer
z reude an Kersting schrieb und ihni
; ein Oliick verkündete. Nun sand es
) sich aber-, daß das Unternehmen schwie
sriger war, alt sie anfangs geglaubt, ja
beinahe ans gescheitert wäre
Menschen sier hatte Goethe Lut
sens seeiligteit ersahreir. Aber weit
entfernt, der Betitmnierten ii grol
!len, tröstete er sie durch die olgenden
tiebensioitrdi n Zeitlem
»Man so den Tag nicht vor dem
Jst-end loben, heist die alte Lehre. iind
Sie beiden sich diesmal, meine Hint
Ændih durch cgut-I thise
Its-kehren sen sei cru.
l
Icetsttna eine Sache als fertig anzu
Hei en, die erst noch im Werden be
grizfemist Jndeß will der Himmel,
. a hubsche Kinder manchmal einen
,Fehler begeben, damit sie einsehen,
wie trerth man gute Freunde halten
soll-welche sich alsdann zum Beistand
«bereit finde-n lassen. Senden Sie mir
vor allen Dingen das Verzeichniß zu
ruckx ioir ivollen sehen, daß wir die
Sack-te wieder auf ihre Füße stellen.
HES ist aut, daß ich noch biet bin;
sonst wäre sie vielleicht unwiderbrinas
lich verloren gewesen. Leben Sie recht
Ivoblt
Weimar, den 2. März 1813
, Golf
Unter Goetteg Leituna tam die
Lotterie denn auch noch zu Stande-.
Der Zufall wollte es, daß Luisens
Vater eines der besten Bilder, den
soqenannten ,,eleaanten Leier«, einem
beim Licht einer araantsctien Lampe
studirenden jungen Mann, qewann
Schleuniqst theilte Goethe Luise den
Glückssall durch folgendes Billet mit:
Wenn das Gerücht Ihnen, meine
schöne und artige Freundin, nicht-schritt
hinter-bracht hat, daß sich der ,,elegante
Leser« nach Jena, und zwar in Ihr
Haus sehnte, so ersahren Sie es hier
durch. Möge mit diesem hübschen
Lampenschein noch vieles andere Gu
te und Veraniigliche bei Ihnen ein«
tebren.«
So konnte denn dem Maler Ker
fting eine sehr erhebliche Summe durch
Goethe’5 lrästiges Eingreifen über
wiesen werden.
« Diese Beispiele von vielen werden
genügen, um darznthum daß der so
oft als unnahbar, lalt und abwehrend
geschilderte große Dichter, wenn es
galt, einem bedrängten Mitmenschen
in einer Notb beizustehen, es sich nicht
verdrießen ließ, sich mit den kleinsten
Detail-z von Geschäften aufs Ein
gehendste zu befassen, die sonst seinem
hohen Geiste sehr fern lagen. Mit vol
lem Recht gebührt daher Goethe auch
der Name eines warmen, bülfreichen
Menschenfreundes.
Untersuqu
— l
Von A. S i ie r. s
Es regnete bereits seit drei Tagen
ununterbrochen. Zu schmutzig-grauem
’Mafsen geballt stiegen die Dünste aus
»den Bergen auf und zogen in dichtenj
Schwaden iiber die dem Gebirge vorgess
lagerte Ebene hin, schwer aufliegend,.
fast mit den Händen zu greifen. Der
herbstlich gefärbte Buchenwald, der
eine die Ebene durchauerende Hügel-(
tette bedeckte, igar in einen eintönkg
grauen Schleier gehüllt. Am Wald-J
rande führte von dem nöchstgelegenems
liwei Stunden entfernten Landstiidtsll
chen ein Fahrweg herauf. Die fußtie-;
sen Geleise standen Voll Wasser; nurj
der schmale Grasrain, der den Stra
ßengraben abgrenzte, bot dem Pfui-l
noch einen einigermaßen festen Unter
grund. tfs diintelte bereite; von Osten
her legte sich allmälig die ftoriiinfterzs
lalte Herbstnacht iiber den Regentaa. (
Auf der grundlofen durchweichtenl
Straße schritt Jemand einber; eine ie-1
ner Gestalten, denen man nicht aernt
an einsamen Orten begegnet. Ein
echter ziinitiger Landstreicher Suan
pig und rupuiq der graue Vollbartx ier (
lumpt der Rock: die nackten Führt
schleppten statt des Schubtverks eincl
triefende Kothmasse mit. Die Krämrsek
des schädigen Filzhuteg war abwärts-'s
qebogen, so baß das Rege:1wasser unge
hinderten Absluß fand und in schmutzi
gen Rinnsalen iiber Hals und Nacken
herabrieselte. Ader der Mann schien
tvetterfest tu sein. Der blöde Gesicht-J
ausdruch die roth umränderten trüben
Augen verriethen wenigstens kein Unbes
hogen. Jm Gegentheil; er dlirtte mit
einer qewissen Spannung rechts uno
links, als ob er an der verregneten
Landschast ein ganz besonderes Jntes
resse nähme.
Jetzt trat der Wald zur rechten Seite
der Landstrecke etwas zurück und lies;
Raum iiir eine Huse Ackerland Dieses
schien fleißig und ordentlich bewirth
schastet in sein. Einige Acker Kartos s
l
sein und Futterriiben harrten noch der
Ernte; aber man sah seine Distel, tei »
nen We erich zwischen den schnurgera .
den Rei en. Daneben steckte schon dic;
Wintersaat ihre frischen Spitzen aust
der Erde, so sauber und gleichmäßin
daß das Feld unter dem Regenschleierz
dalag, wie ein mattgriiner sammtener
Teppich.
; Der Landstreicher musterte den Plan
»mit stupidern Lächeln.
l »Was doch nich allens jemacht wird!
z— das sieht anners aus, als vor zwan
lzig Jahren. Es is ja freilich teen
schlechtes Land nich, das bab’ ich schonsil
Himmer jesagt. Aber Arbeet kostet’s -——i
;Arbeet!«
i Er ging langsam vorüber.
) »Nu -— es is eben nich en Jeder zur
»Am-et jeboren. Ich wäre scheen dumm
jewesen, in dem Hungerloch hier oben
mich todtzuschinderk Das können
Annere besorjen.« s
Mit einer plump - bukschirpskn Ge
berde schwang er den triesenden Hut.
»Ein freies Leben führen wir,
Ein Leben voller Wonne -—«
so groblte er heiser über die Landstraße
m. .
»Die Leite miissen sich jetzt scheinbar
recht tommode fühlen in dem ollen
hungerloch,« meinte er dann bedächtig.
»Wie das bischen Land so bibsch da-l
«ltegt —- da drufs kann Eener in jeden»
Augenblick en pur Oberanrti Thaler je
,borgt kriegen. Nu, se sollen ooch can't
llch was raatrückem davor will W
Wes-Ist s niem« · .
Sein bärtiges Gesicht verzog sich zu
einem toboldartiqen Grinsen.
»Wetden die eene Freide haben, wenn
Badder zu Besuch tonnntl Gn zwan
sig Jahr nich jesc«l)n! Werden die eene
i teide nahm«
Die Landstraße machte eine scharfe
Biegung. Hinter der nächsten Wald
ecke sal) man ein rothes Ziegeldach
durch den Regenabend schimmern. Dort
am Kreuzwege, wo zwei Landstraßen
sich schneiden, stand ein einsames Ge
bösi. lsin zweisiöckiaes Wol)nhauz,
äußerlich sauber hergerichtet, weißge
tiincht, mit ariinen Fensterliiden; an
der Giebelseite ein Weinstock, der sich
an dem schlanlen Lattenqeriist fast bis
zum Dachfirst emporaeranlt hatte;
iiber der Tbiire ein bisnte5, frisch-ie
malteg Wirtbbaus : Schild. Hinter
kein Hause befanden sich eine Scheune
und ein geräumiges Stall-Gebäude ans
rothen Hskieaelsteinem anscheinend vor
wenigen Jahren erst neu erbaut. Das
Ganze war ein Bild behaglichen Wohl
standes-» um so anheinielnder im kalt-en
Grau des Herbstreaens.
Der alte Landstreicher blieb über
rascht sieben.
,,Dunner ja! Das sieht ja or’ntlich
niedlich ausl Wie ftolz sich das olle ver
fallene Kaff rausieputzt hat. Das is
nich, wie bei arme Leute. Hör’, oller
Bruder, das wär nich übel, wenn Du
ich hier rinlejen, un im Kreise Deiner
ieben Deinen friedlichen Lebensabend
verbringen thiiiest.«
Wieder flog das loboldartiae Grin
sen iiber sein Gesicht.
»Werden die eene Freide haben!«
Mit beschleunigtem Schritt ging er
auf das Gsehöst zu. Erst mußte er am
Gartenzaune entlang gehen, ehe er da
Wohnhaus erreichte. Da das Anwescn
von jedem der nächstaeleaenen Orte über
eine Stunde Weaeø entfernt laa, hatte
man von jeher den hintersten Theil deH
Gartens, der sich noch in den angren
senden Buchenwald hinein erstreckte,
als Friedhof benutzt. Dort stand eine
Reihe halbverfallener Grabsteine. Der
alte Landstreicher schien darum zu
wissen.
»Könnte eiientlich erst ’mal nachse:
hen, ob wat Neies pafsirt is.«
Damit boa er tut-i entschlossen ei
niae loclere Latten des Gartenzauneå
auseinander und kroch hindurch.
Ja, es stand auch ein neuer Grad
stein dort. Der alte Landstreicher trat
hinzu und las mit halblauter Stimm:
die AufschriftJ »Hier ruht in Gott
unsere liebe Mutter und Großmutter
lklisabeth Kohl, act-. Nitter«, darunter
das Datum der Geburt und deg Tode-T
»So - -- da iS se also nu todt, d:e
Lisbethk lln schonst seit drei Jahren.
Se war fünf Jahre jiinaer alg ich. Ja,
sterben müssen wir eben alle initnandesx.
—»— Un Iroßmutter iS se noch noch je
tvorden. Demnach wird die Marianne
tooll seheirathet haben. Nu, kennen
muß se mich doch noch. Se war ja
schon-it en Jahrer zwölfe, als ich dazu
mal heimlich Adje saate.«
Stumpfjinnia betrachtete er den
Grabstein von alten Seiten. Auf oc:
Rüdfläche stand noch ein Bibelsoritm.
Psalm 12t-i,5: »Die mit Thränen
Faen, werden mit Freuden ernten«
»Hm! Das is en bischen aniuglirt:,
dag mit den Tbriinen. Das haben se
woll uff mir zujesvitzt Aber es 25
richtig. Se war zeitlebens eene rich
tige Heulliese; wer weeß, obs nich janxi
annerz gekommen ware, wenn se mirs
nich alle Tage von früh bis spät bel
Ohren bolljeheult hätte« i
Er kroch auö dem Garten wiederj
hinaus auf die Landstraße Jsm Hause
hatte man mittler-weile Licht angezün-i
det. EH schimmerte hell und einladendl
durch die Fenster des- Erdgeschosse-3.l
Der Landstreicher trat ein und öffnetel
die Thüre zur Wirthsstube Eine be
hagliche Wärme ftrömte ihm entge
gen. Jm Ofen brannte ein tnifterndeg·
Holzfeuer und daneben im Lehnstuhlcs
saß eine sauber gekleidete Frau beim]
Spinnrad, etwa sechzig Jahre alt und
von behaglicher Körperfülle. Aus der
halbgeösfneten Thüre deg NebenzimJ
merg klangen muntere KinderfiimmenJ
«(-Iiu’en Abend, Mutterchen,« grüßte
der Strolch mit iovialem Schwenken
des Hutes.
Die Frau im Lehnstuhle sah ver«
drieszlich auf und schien über den Be
such nicht gerade sehr erfreut zu sein.
Aber sie erwiderte den Graf-»
»Na, Mutterchen, wie iviir’g mit en
Schoppen Braunbier Un en feinet
Nachtquartier drüben im Fliiiel des
Schlosses-W
Er zeigte mit dein Daumen rück
wärts nach dem hinter dem Hause gele
genen Stallgebäude.
»Ersi zahlen.««·
»Bitte jefiilligst um die Rechnung,
Mutterchen.« —
»Macht sechzehn cUfennige.«
Der Landstreicher suchte in der Rock
tasche die einzelnen erbettelten Pfen
nige zusammen.
»So. Mutterchen, nu aber flotte Be
dienung.« ’
Damit ließ er sich auf die neben der
Thüre stehende Bank nieder, stemnue
die Arme auf den Tisch und streckte die
Beine weit von sich. Die behäbige
grau erhob sich griesgrämig aus ihrem
ehnstuhl, strich die Pfennige ein und
beachte das Bier. Der alte Landstrei «
cher that einen tiefen Trunk. Danach
lehnte er sich wieder behaglich zurück
und ließ seine Blicke forschend durch dies
Stube gleiten. s
Gegenüber an der Wand, wo das mit
schwarzer Wachsleinwand überzogenc
Sopba stand, hing unterhalb des Spie
gelö eine alte, halbverblaßte Photogra
phie. Sie igte einen hübschen, voll
mngiaen »nn von mittleren Jahresi,
seit qutgepslegkem Schauer-hatt und
lottem, vielleicht leichtfertigem Ge
cchtgausdtuck
Der Strolch nickte mit listigem Un
genzwinkern zu dem Bilde hinüber, als
sollte er einen alten Bekannten begrü
en.
»Js woll een Bild vom Herrn Je
mahl aus früheren Jahren?« fragte er
die Frau tm Lekxcstuhb
»Nein « kam es kurz als Antwort
zurück
»Es is aber doch der olle Ferdinand
Kohl, wie er leibt und lebt.«
»Ja,« klang es ebenso kurz gebunden.
»Na —--— wer sin Sie denn da eijent
lich, Mutterchen?«
,,Geht’g Euch was an?«
Der Landstreicher grinste.
,,J nee, Mutterchen, ich fragte blos
sei-«
Das Gespräch war damit in’s Sto
cken gekommen. Aber das schien der
behäbigen Frau im Lehnstuhl noch we
niger zu behagen. So unwirsch sie sich
anfangs gezeigt hatte —— ein kleines
Schwätzchen wäre ihr doch nicht unneb
gewesen. Bei dem schlechten Herbst
wettet gab es wenig Verkehr auf der
Landstraße und in der Wirthschaft, und
wenn man den ganzen Tag über so ein
sam dagesessen hat, dann thut es wohl.
Jendlich einmal ein halbes Stündchen
sfrei von der Leber weg reden zu kön
nen. Und wäre es auch nur mit einem
zerlumpten Landstreicher.
Este nahm also das Gespräch wieder
au . -
»Ihr habt wohl den Ferdinand Kohl
«ekannt?« fragte sie, mit mißtrauischeni
licke den alten Strolch musternd. ·
Der grinste wieder.
»Sollt’s wohl meinen!'«
»Ja, ich kann es mir schon denken.
Mit Eurem Gelichter, mit Lumpen und
Saufbriidern hat er stets gute Kante-»
radschafi gehalten, wie man so hört.
Ich habe ihn, Gott sei Dank, selbst
nicht gekannt. So ein gottvergefsener
Liiderjahn ist ja ein Schandfleck für
die ganze Familie. Dort das Bild über
dem Sopha ist mir Von jeher ein Dorn
im Auge gewesen. Aber die Lisbeth——
Gott hab« sie seelig! —— die Lisbeth, die
er so elend und schändlich verlassen
hat, hat trotzdem immer noch die hände
darüber gehalten; und die Marianne,
wag meine Schwiegertochter ist, denkt
natürlich, Es dürfte es auch nicht ern-l
der-S machen.
»So! Die Marianne wiirde wollt
demnach eine rechte Freide haben,
wenn Vadder emol unversehens wieder
zurückkärne?«
»Da sei Gott vorl« verwahrte sich
entsetzt die Frau. »Nein, der ist längst
verdorben und gestorben, wie er es auch
nicht besser verdient hat. Erst Haus
und Hof verfallen lassen, die ganze
Wirthschaft auf den Ruin gebracht und
dann, alg die Schlinge um den Hals
saß, mit den letzten Sparvfennigen, die
ssich die arme Frau für den äußersten
Rothsall bei Seite gebracht hatte, bei
Nacht und Nebel durchgebrannt —
eine solche Schändlichkeit ist ja noch
gar nicht dagewesen! Es sind ietzt
zwanzig Jahre her. Seitdem hat Nie
mand wieder ein Sterbenswort von
dem Lumpen gehört. Und dabei bleibt
ex- auch hoffentlich« «
»Es ist aber nicht hibsch, Mutter
chen oder Schwiegermutterchen will
ich lieber sagen von Eenem aus der
Familie so schändlich zu reden,« be
mertte der Strolch, sichtlich belustigt l
»Je nun, mir ist eH selber nicht gut
genug gewesen, als mein Sohn, der
Roderich, partout die Marianne eheli
chen wollte. Er hätte noch einen ganz
anderen Anhang trieqen können. Denn
das muß, Gott sei Dant, gesagt sei:1:
in unserer Familie mein Mann war
königlich preußischer Steueri-Control
leur - sind lauter hiibsche Leute. Heute
ist der Roderich mit seiner Marianne
nach austviirts gefahren zur Hochzeit
meiner Schwestertochter; die beirathet
auch wieder einen Beamten, einen herr:
schastlichen Förstet Und meine andere
Schwestertochter bat einen Schullehrer
zum Mann. oea! die Marianne tanrt
dem lieben Gott aus den Knieen danken,
daß sie noch in eine so honette Ver »
wandtschaft hineingeheirathet hat."
»Freilirh,« stimmte der alte Land
streicher schmunzelnd bei. »Das mus;
eene jroße Freide un Ehre sin vor so
’ne verlumvte Banlerottisergtochter.«
Das ging der redseligen Schwieger
mutter nun doch gegen den Strich. Sie
suhr gereizt aus.
»Aber höre er ’inal, er altes Läster
inaul! So despeltirlich las; ich mir
von der Marianne auch nicht reden.
Gegen die Marianm selbst ist gar
nichts zu sagen und aeaen ihre Mutter,
die Lisbetir erst recht nicht. Es ist aller
Ehren werth, wie die Beiden das ver
wahrloste Anwesen wieder in die Höhe
gebracht haben! Sie haben sich die
Finger blutig gearbeitet, aber eS ist ac
gliickt. Besser, als wenn der alte Lit
derjahn noch zu Hause aewesen wäre
und jeden mühsam erworbenen Gro
schen durch die Gurgel gejaat hätte-«
Während der letzten Worte erschien
unter der Thüre eine stämmige Magd,
um einen Wink zu geben. Es war
Fiitterzeit. Die Frau im Lsehnstuhle
erhob sich, stellte das Spinnrad bei
Seite und schloß vorsichtig erst das auf
dem Schänttisch stehende Geldtörbchen
weg, ehe sie das Zimmer verließ. Der
alte Landstreicher konnte noch hören,
wie sie den Kindern. deren helle Stim
men von Zeit zu Zeit durch die halb
ossene Thüre der Nebenstube hörbar
gewesen warn, den Austrag gab, sich
während ihrer Abwesenheit in die Gast
stube zu sehen und aus den Stro
wohl Acht zu geben, damit er sich nia,t
etwa an den aus dein Schänttisch aus
gestellten Liaueurslaschen vergreifen
möchte-. Aber das trink-te ihn weiter
ni ; er war ex sa nicht anders e
wo nt. Vielmehr zuckte über se ne
verwitterten Züge ein schadensrohes
Lachen.
»Ja, ja, Schwiegermutter, laß’ nur
die Marianne erst heimkommen! Ich
will Dir Deine honette Verwandtschaft
schonst noch aufs Butterbrod schmie
ren.« —
Aus dem Nebenzimmer waren zwei
blondhaarige Kinder eingetreten, denen
man aus den ersten Blick ansah, daß
sie Geschwister waren. Das ältere, ein
Mädchen von etwa acht Jahren, trug
am Arme einen kleinen Korb mit Ini
mergriin gefüllt, darunter einigeSpät
linge aus dem Blumengarten, Reseda
und Astern, und siihrte an der anderen
Hand einen kleinen Knaben, der viel
leicht drei oder vier Jahre jünger war.
Schüchtern, ohne ein Wort zu reden,
nahmen die Kinder an dem Tisch vor
dem Sopha Platz. Das Mädchen schüt
tete den Inhalt des Korbes aus den
Tisch und schickte sich an, aus dem vor
ihm liegenden Blätter- und Blumenge
wirre einen klein-en Kranz zu winden.
Der alte Landstreicher musterte das
Pärchen mit sichtlichem Interesse. Fast
sah es aus, als ob in seinen blöden
Augen ein weicher Glanz aufleuchten
wollt-e, als er dem Blicke des kleinen
Knaben begegnete, der in harmloser
kindlicher Neugier unverwandt zu ihm
herübersah. Auch das frische, hell
äugige Büblein schien Plötzlich ein un
bewußtes Zutrauen zu dem zerlump
ten Strolche zu fass-en. Ohne daß es
von der in ihre Arbeit vertiestenSchwe
ster bemerkt wurde, war es von seinem
Stuhle herabgeklettert und reichte dem
fremden Mann einen kleinen Reseda
Stenael hin.
»Da, Mann.«
Die Schwester fuhr mit dem Kopfe
herum.
»Willst Du wohl! —- Wenn das die
Großmutter sieht!«
»Nu — ich werd’ ihn ja woll nich
gleich fressen,« knurrte der Strolch.
»Wie heeßt Dich denn, Kleener?«
««’5erdinand —- gerade wie Groß
vater.« —
Das Mädchen war gleichfalls vom
Stuhle aufgesprungen und zog den klei
netä Knaben wieder an ihren Tisch zu
ru . .
,,Ob Du gleich fortgehst von dem bö
sen, garstigen Mann!«
Die beiden Kinder setzten sich wieder
zusammen und vertieften sich in ihre
frühere Beschäftigung Der kleine
Ferdinand reichte seinem Schwesterchen
die Blum-en zu Und achtete nicht weiter
auf den bösen garstigen Mann, der in
finsterem Brüten dasaß und keinen
Blick von den Kindern verwandte.
Endlich war der Kranz fertig. Das
Mädchen stand auf und befestigte ihn
auf dem alten Bilde, das über dem
Sopha hing.
»Du hast wohl den Kta für den
guten Großvater gemacht?« ragte der
lleine Ferdinand
»Ja freilich! Mutter hat es mir
noch ausgetragen, als sie heute früh
wegsuhr. Morgen ist Großvater’3 Ge
burtstag. Da muß ich alle Jahre einen
Kranz um sein Bild machen.«
Der tleine Ferdinand sandte wieder
einen scheuen Blick nach dem Strolch
hinüber.
»Nicht wahr, der Großvater ist kein
böser, qarstiger Mann?«
»Nein, der Großvater ist ein sehr
guter Mann. Die Mutter sagt:
Großvater wohnt oben im Himmel
beim lieben Gott, wo lauter gute Mens
schen wohnen. Und er hat uns Beide
sehr lieb.«
»Ja, ich weiß,« sagte der kleine Fer
dinand. »Und wenn es nun bald
Weihnachten wird, dann schickt er mir
wieder durch das Christlindchen so ein
hübsches schönes Schaulelpferd Jch
habe auch den Großvater sehr lieb und
bete alle Abend: Lieber Gott, sei gut
mit dem lieben Großvater!"
Draußen in der Ferne hörte man
das Rollen eines Wagens. Die Klei«
nen jubelten aus.
»Da lomnienVater n.Mutter wieder.«
Das Mädchen seate schnell die Ueber
bleibsel dcg Kranzgewindes vom Tische
herab in den Fiorb und nahm den klei
nen Bruder an die Hand. Seelenba
gniigt eilten die beiden Kinder hinaus,
uni die heimtehrenden Eltern zu be
grüßen.
Ader der alte Landstreicher war auch
verschwunden. Als er das Rollen des
Waaens vernahm, war er ausgesprun
gen und hatte eilends die Wirthsstube
verlassen. Jetzt stand er draußen, noch
in der Nähe des Hauses, aber unsicht
bar in der stocksinsteren Regennacht.
Er sah, wie der Wagen vor dem
Hause hielt. Die Eichelbng redseliqz
Schwiegermutter, mit der er vorhin
das Gespräch ijber den Ferdinand Kohl
und die Marianne gefiihrt hatte, er
schien in der Thüre mit einer brennen
den Laterne. Jin Scheine des Lichtes
konnte er deutlich erkennen, wie ein-!
blühende, schlank qewachsene Frau ei
lends ans dein Wagen stieg und di:
beiden Kinder mit gliickstrahlenden
Augen in die Arme schloß.
Da wandte er das wilde, verwittert:
Gesicht «·.b.
»Nee, hier will ich lieber todt sin, als
lebendia.«
Und er schritt hinaus in die ta1tc,
stocksinstere Regennacht.
Den Nesedastengeh den ihm der
tleine Ferdinand geschenkt hatte, hielt
er noch in der Hand. Er wußte es
wohl selbst nicht. —
—Eisersucht. Frau lihren schlafen
ten Mann betrachtend): »Was der
Mensch für ein vergnügtes, glückliches
Gesicht macht; am Ende träumt er nicht
einmal von mitl«