Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 01, 1899, Sonntags-Blatt., Image 15

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    Ich sei-« dich oft
Ich seh dich oft. Auf meinen Wan
deswegen
Kommst du mit jeeden Abend still ent
Dichi schlingt sich Geißblatt über Hag
Und Thor,
Aus dunkeln Gärten duftekg schwül
hervor .....
Zuweilen bleibst du wohl tiefathmend
stehen,
Ps sliickst einen Blü.i7enzweig im Wei
tergehen —
Und vor dem Strauch, wo deine band
ihn brach,
Bleib« ich in Träumen stehn und
schau dir nach»
M a i d y K v ch
Sie meißM sich zu helfen
(Aus dem Englischen-)
»Ich wußte im Voraus, wie es
tominen würde«, sagte Wirk. Mhnton.
»Ihr könnt es bezeugen, Madchen, daß
ich es vom Anfang an voraussag1e.
Sie ist nicht träfrjg genug, um in
einem Laden zu stehen; im hause ist
sie zu nichts nutze, und nun liegt sie
uns zur Last durch ihre Krankheit,
und Niemand weiß, wie lange diese
dauern wird. Dazu haben wir eine
Doktor-Rechnung zu erwarten, gar
nicht vom Apotheter zu sprechen, und
Myntons Gehalt ist gerade jetzt
wegen der schlechten Zeiten herabge
setzt, und —«
»Still, Mania!« sagte Angelan
Mhnton, indem sie ihren Zeigefiuzs
ger warnend erhob. »Sie kann Dich
hören.«
Und so war es. Der Nebel, wel-l
cher Phöbe Clissold’s Geist umnachtet(
hatte, schwand allmählich; die WortH
welche ihr zuerst wie das entfernt-!
Summen eines Bienen - Schwarme3
getlungen hatten, nahmen deutliche
Gestalt an.
»Es thut mir sehr leid, Tante Myw
ton«, sagte sie. »Ich will mich bemit
hen, Euch keine Last zu sein. Wirt
lich«, fuhr sie sort, indem ein schwa
-chez Lächeln um ihre Lippen spielte.
»ich fiel nicht absichtlich in Ohnmacht;
aber-im Laden war es so heiß und
«die Ventilation so schlecht —- wenn
ich um einige Tropfen Wasser bitten
·diirste.« —
Phöbe Clissold war mit neunzehn
Jahren Waise geworden. Jhr nach
ster Verwandier « ein Bruder ihrer
verstorbenen Mutter s- - war in einer
Vant in New York angestellt, nnd zu
ihm hatte sie ganz natiirlich ihre
Schritte gelentt. Es war ihm nehm
gen, ihr eine Stelle in einem qrosien
Galanterieqeschiift zu verschaffen, unm
hier hatte sie iin erstenTtierxeljahr diese
fchmachvolle Niederlage erlitten.
»Sie kann die vielen Stunden
Arbeit, ganz von der frischen Lqu
abgeschnitten, nicht vertragen«, meint:
Dr. Faltneh. »Viel Bewegung uno
Lust sind ihr durchaus nöthig. Die
jetzige Lebensweise kann sie nicht aus
halten«
»Bewegung in der freien Luft?"
wiederholte Wirs. Mynton, deren Herz
durch jahrelange Entbehrng und
angestrengte Arbeit bitter geworden
war. »Aber, Dr. Fallney, wir haben
nicht Pferd und Wagen, und Zeit, un:
im Part spazieren zu ehen, haben wir
auch nicht. Frische tust! Wir woh
nen in einer Wuchs-Wohnung die
Schlafzimmer werden mitGas erleuch
tet und durch den Schornstein gelüs
tet und dem ist nicht abzuhelsen, scheint
nur.«
«Langsames Gitt«, sagte er, «siir
ein Mädchen wie sie.'« Phöbe, welche
im Nebenzimmer auf dem Sosa lag
und langsam an einem Paar Strüm
pfen siir den jüngsten Mynton strickte,
hörte dies Alles und überlegte, was zu
thun sei.
» ier möchte man mich am liebsten
los ein«, dachte sie trauri . »Ich bin
ein unniiher Essen und Br. Fallnen
sagt, ich dars nicht mehr in den Laden
zurückkehren, die Frage ist: Was soll
ich thun? Bewegungt Frische Lust!
Tante Mnnton hat recht, dieser Luqu
scheint nicht siir mich da zu fein.«
Als sie so dalag, beobachtete sie
Angelma Mynton, welche versuchte,
ihren vorjäkrigen Strohhut mit einem
drei Ellen angen erdbeersarbenen sei
denen Bande und einem Bouquet gel
ber Primeln zu garniren.
Es war deutlich zu sehen, daßAnqei
lina teine Putzmacherin war. Sie
drehte das Band nach allen Seiten;
sie brachte die Primeln erst aus eine-«
Seite, dann aus der andern an und
schleuderte endlich Hut, Band und
Blumen mit einem Ausruf der Ver
zweiflung von sich.
«hiißlicheg, altesDing!« rief sie aus,
»ich tann nichts daraus machen.«
Phöde legte ihr Strickzeug beiseite.
»Sieh es tnir!« sagte sie. Etniae zier
Liche Schleifen, ein acschicttes Anbrin
en der mißhandeln-n Primetn. und
äthiibe zeigte den Hut den bewundern
den Blicken Angelinas.
»Wie gestillt er Dir jetzt?«
»Oh, reizend!« rief sie voll Bewun
derung aus« »Es ist gar nicht wie der
selbe ut. Wie hast Du es angetan
gen, « höbeI«
»Ich weiß nicht«, antwortete Phöbe.
»Ich habe immer meine eigenen Hüte
und die von meiner Mutter garnirr;
es macht mir Spaß.«
»Du solltest Putzmacherin werden«,
sagte Angelina, «aber", fügte sie sich
Dr. Faltneh schüttelte den Kot-L
Du darfst Dich nicht in einem Laden
einschliegem und eine «Pu macherin
kann sich auch nur wenig ewegung
in der frischen Lust machen«
»Ja«, stimmte Yhöbe seufzend bei
Doktor Falkney war ein ruhiger,
wortkatger Junggeselle von vierzig
Jahren. Er hatte zehn Jahre lang
an demselben Ort seinen Beruf aus
geübt und nie empfunden, daß ihm
etwas fehlte. Aber an diesem frischen
Frühjahrsmorgen saß er nachdenklich
in seinem Arbeitszimnier, indem er
das große Skelett, dass hinter einem
Gazevorhang in der Ecke aufgestellt
war, aufmerksam betrachtete und da
bei mit dem Lineal auf den Tisch
klopfte.
»Jl)re Augen gleichen denen eines
ausgetcheuchten Rehes«, sagte er zu sich
selbst. »Und eine so sanfte, liebliche
Stimme! Sie schwayt nicht, wie ihre
Cousinen Sie spricht in einer ruhi-.
gen Weise, die dem Ohr wohl thut.(
Und sie steht so ganz allein in deri
i
erinnernd hinzu, »Dr. Falkney sagt
Welt! Ja, ich will sie heirathen, wenn
sie mich mag.«
Wenn Dr. ukattney einmal einen.
Entschluß gesa t hatte, zögerte er nicht»
lange mit der Ausführun desselben;
darum gin er noch am elben Nach
mittag zungT Mynton und verlangte
Miß Clissold zu sehen.
»Wissen Sie nicht, daß sie fort ist?«
sag te Mrs. Mhnton, die wie immer
mit Strümpfestopsen beschäftigt war.
»Fort?« fragte Dr. Faltney erstaunt
»und wohin?'«
»Es ist die merkwürdigste Sache der
Welt«, erwiderte Mrs. Mhnton, »wir
wissen es selbst nicht und ich bezweifle,
daß sie es selbst weiß. Sie sagte, sie
wollte ihre Vorschrift befolgen, Dot
tor.«
»Meine Vorschrift?«
»Bewegung und frische Luft hatten
Sie ihr vorgeschrieben, wie Sie Sich
erinnern werden. Sie sagte, nach
einigen Wochen würde sie zurücktonp
men und uns mittheilen, wie es ihr
gegangen.«
Dr. Fallneh’s pechschwarze Augen
brauen zogen sich zusammen.
»Und Sie ließen sie fortgehen?«
sagte er. »So jung, so hübsch und
so unerfahren! Wo waren Jhre müt
terlichen Gefühle, Mrs. Mhnton?«
»Ich weiß nicht, was die mütter
lichen Gefühle hierbei zu thun haben«,
sagte Mrs· Mhnton etwas beleidigt.
»Sie ist ja nicht mein Kind, nur die
Nichte meines Mannes-. Und ich habe
selbst vier Töchter, siir die ich verant
wortlich bin; außerdem habe ich keine
Autorität über Phöbe Clissold.«
»Sie mögen recht haben«, antwor
tete Dr. Fallneh »Aber ich hoffe sie
kommt bald wieder «
Phobe hatte einen Entschluß gefaßt
»Ich will versuchen zu hautiren«,
sagte sie zu sich selbst. »Einen Thei
meiner Waaren trage ich auf demtilrm
den andern im Kopf. «
Am selben Tage, ais Mr5. Ver-tin
gerade den Mittagsstisch dedic, klopfte
Phöbe tslissold an ihre Thiir.
»Mein Gott!« rief die Frau desz
Pächter-» aus«-, indem sie vor Erstans
nen beinahe ihre größte blaugeriinderte
Schüssel fallen ließ, ,,sind Sie das,
Phöbes«
»Ja«, niclte Phöbe. »Wie gut Ihr
Mittagessen riecht, Mut-. Perkin5!
HühnerpasteteZ dachte ich es mir nicht!
Und ein Pudding2 Mis. Beding-, darf
ich bei Jhnen zu Mittag essen5«
»Sie sind willkommen«, sagte die
gute Frau. »Aber ich dachte, Phöbe
Sie wären zu Jhren Verwandten nach
New York gegangen, Sie haben Sich
doch hoffentlich nicht mit ihnen eni ·
zweit?«
«,Oh nein«, sagte Phöbe. »Ich ent
weie mich nie mit Jemand, Mrä.
Berlini Aber ich muß rnich selbst
ernähren. Ontel Mynton ist nicht
reich, und ich tann ihm nicht zur Lastj
fallen. Jch versuchte das Leben in
einem Laden, aber ich schien nicht trös
tig genug zu sein. Darum mußte ich»
etwas Anderes probiren. Nun bin ich
eine herumreisende Putzniacherin.«
»Was?« ries Mrs. Pettins aus, die
Tgeebüchse hoch über der glänzenden
T eeianne haltend. l
Phöbe deutete aus den leichten Korb»
an ihrem Arm.
»Jn dieseinsiorbe«, sagte sie lachend,!
»sind drei Abtheilungem Die eine ist
voll von den modernsten Hut-Fassons.
ganz eng zusammen gepackt; die zweite.
enthält Blumen, und die dritte Bau-i
der von allen Farben. Sie tausrns
Jhren Frühjahtshut bei mir, nicht
wahr, Mis. Pertins«t«
»Na, wie glücklich sich das trisst!'«
sagte Mut-. Pertins. »Morgen wollte
ich mir einen tausen!«
»Sie werden mit mir ebenso zufrie
den sein, wie mit einer anderen Putz ?
machstin sagte Phöbe. »und ich wial
auch hiuig sein· Versuchen Sie es mikl
mir, mehr verlange ich nicht.«
»Das will ich thun«, sagte die gute
Dame. »Sie waren immer geschickti
mit der Nabel. Das Mittagessen ist«
fertig, und ich werde Nits. Perlinö
rufen. Sehen Sie Sich, Phöbe, und
gehmen Sie vorlieb, wie Sie es sin
en.«
Nach dem Essen arbeitete Phöbe
gelßig an dem neuen Hut für Mrs.
eriins. Scharlachrothe Mohnblu
men, schwarzseidenes Band und der
in Pussen gezogene, schwarzseidene
But entzückte die gute Frau vollstän
ig.
»Noch nie habe ich einen hübscherenl
Hut besessen«, sagte sie. »Acht Dol
larsi Natürlich will ich Jhnen acht
Dollarg bezahlen! Jch hatte mich aus
zehn vorbereitet, und dieser ist bit-b
gchtety als ich ihn wo anders bekommen
a e.«
Dieser Erfolg entschädigte sie eini
germaßen für das Kritisiren und Han
deln von Seiten Mrs. Dearon Roots,
die im Nebenhause mit ihren drei
Töchtern wohnte. Phdbe mußte die
Familie für sechsundzwanzig Dollars
mit Hüten versehen, wovon kaum ihre
eigenen Ausgaben gedeckt wurden.
Dann packte sie wieder ihren Korb
und begab sich von Neuem auf denWeJ
unter den blühenden Bäumen und aus
den schattigen Wegen, wo das Gras
mit den goldigen Blüthen des Löwen
zahns wie besät war.
»Dr. Falkney hatte recht«, fagte see
u sich selbst. ,,Luft und Bewegung
tnd mir nothwendig Jch bin ein ganz
anderer Mensch geworden —- nur thut
es mir leid, daß ich Dr. Falkney·-5
freundliches Gesicht nie mehr wieder
sehen werde!« Nur einen Augenblick
lang schimmerte das ferne Blau des
April-Himmels durch einen Nebel von
hervorbrechenden Thränen. »Wie thö
richt ich bin!« dachte Phöbe.
Dann klopfte sie bei Mrg. Parthan
an und fragte, ob sie das Neueste in
Frühjahrshüten zeigen dürfte. Die
frischen, glänzenden Bandrollen, die
arten Rosen und Narzifsen, die hüb
schen Fassons in Stroh und Spitzen,
und Phöbe’s natürliches Talent im
Zusammenstellen aller dieser Herrlich
keiten, erwies sich bei der Landbevöi-z
terung als unwiderstehlich, und ins
Kurzem hatte Phöbe ihren ganzen
Vorrath ausverkauft und kehrte mit
einer beträchtlichen Summe als Rein
ertrag nach der Stadt zurück.
,.Dies«, sagte sie freudig zu sich
selbst, ,,will ich Tante Mhnton geben
fiir die Ausgaben, die ich ihr verur
sacht habe.«
! Als sie über die Straße ging, um
sich nach dem düsteren, rothen Gebäude
zu begeben, wo Mhnton’s zusammen
mit einein Dutzend anderer Familien
;wohnten, hielt Jemand plötzlich fein
Pferd an mit dem Rufe: »Wollen Sie
ziiberfahren werden Phöbe?« Sie sah
jauf, es war Dr. Falkneh.
» »O, Doktor«, rief sie strahlend, »ich
habe Ihre Vorschrift befolgt, und Sie
können Sich kaum denken, wie gut es
mir gethan hatt«
. Der Doltor fah ebenso glücklich aus
wie sie selbst. »Ich werde heute Abend
zu hnen iommen«, sagte er.
» ieder eine Vorschrift?« fragte
jPhöbe
T Und dann dachte sie mit plötzlichem
Erröthen daran, daß sie seineRechnung
noch nicht bezahlt hatte.
; »Aber jetzt kann ich sie bezahlen!"
dachte sie, als- sie seinem dabonrollen
den Wagen nachblickte. »Wenn seine
Sprechstunden anfangen, will ich il
ihm gehen. Ich will nicht warten, bis-:
er mir seine Rechnung bringt-«
Zu Dr. Fallneh’5 lleberraschriin
war sein erster Patient an diesesxi
Nachmittag Phöbe (slissold.
,,Tottoi«, sagte sie, »ich bin gelom
Einen, um meine Rechnung zu bezahlen
Tinit selbstvcrdientem Gelde«
»Habt- ich sie Ihnen geschickt .’« fragt-:
er.
»Nein. Aber
»Auch beabsichtige ich nicht eH :,:i
li)un!« ertliirte er. ,,Phöl1e, ich derrlr
daran, mir einen Compagnon zu nen
nien.«
»Dann wird Jbr Compagnon ge
wiß darauf bedacht sein, alle die alten
Schulden einzutreiben«, sagte sie, mit
dem Kopfe nickend. ;
»Das weiß ich nicht« Jch denke anJ
einen Compagnon für’s Leben, Phöbes
— nicht an einen für meine Praxis —--—i
und der Compagnon, den ich habe-J
will, bist Du mein liebes Mädchen!«
Dies klang vielleicht etwas unbe
stimmt, aber sie verstand es augenblick- I
lich. Jhre Wangen rötheten sich; ihr:!
langen braunen Augenwimpern sent-?
ten sich. !
«Soll es heißen Dr. Falkneh unds
Frau, mein Liebling?« sagte er, ihre’
Hand in die seine nehmend.
Jetzt kamen andere Patienten, und
nach dem einen Blick in ihre nußbrau
nen Augen wurde Dr. Fallneh von lei !
nem Zweifel gequält.
Dies war das Ende von Phöber
Pußgeschäft »Aber ich werde mich!
stets glücklicher und unabhängiger fiili s
len«, sagte sie, »nun ich weiß, daß ich
mir selbst mein Brod verdienen
kann-«
gequ den strom. l
Novelle von Gerhard Walten
—---- —- i
Der neue Her Amtsrichter Wende-«
born hatte sich schon recht gut in dem
Städtchen cingewohnt. Und er gefiel
auch gut. Der alte, etwas exclusioe
Stnmmtisch im »Schwarzen Bären«,·
der ihn, ivie alle Neueintretenden, zuerst
mit vorsichtiger Huriickhatung brobach
tet und behandelt hatte, war mit ihm
zufrieden, und wurde es immer mehr.
Und das war entscheidend fiir die g.
sellschaftliche Stellung eines Fremd
ling-Z. Der Amtsrichter war ein guter»
Kamerad, tonnte hübsch anschaulch er ’
zählen, stand seinen Mann vor dein
Schoppen nnd hatte ausgezeichnete Ma
nieren. Nur eine Eigenthümlichteitf
hatte er. Er ging gern allein spaz eren
und wußte mit großer Gesch.ctlichtect
sich ihm etwa ausdrängmdes Geleit ab
zuwehren Das war eine zwar unbe
greifliche, aber immerhin verzeihliche
Schrullr. Seine Abendspaziergänge
nahmen mit Vorliebe die Richtung nach
der »Wassermiihle«, in der gleichzei
tig eine kleine Gasttvirthschaft betrieben
wurde. Da saß er beim Sonnenunter-:
sang unter der blühenden Linde und
unter den Ahornbäuinem aß fein be
fcheidenes Abendbrod und g«ng dann
in den ,,Schwarz.n Bären« zum fröh
lichen Umtrunk.
»Nun sagen Sie mir doch ’rnal,« be
gann ejrus Ab nds der Provisor, d.m
die Haare immer zu Berge standen,
»warum gehen Sie denn immer gerade
da hinaus-? DJ ist ja alltags kein
Mensch zu find:n. Jm Schütz nhaus
zum Beisp·el, da haben Sie doch Leu
te um sicht«
»Die will ich vielleicht gar nicht,«
antwortete der Amtsrichter, bxquem
zurückgelehnt; »ich bin run cinmal solch
ein Einspanner. Wer sagt Ihnen
übrig-sus, daß ich da Ni m:.nd treffe?
Heute gerade habe ich dcrt eine sehr in
teressante Bekanntschat re i acht. Plötz
lich erschien auf d r Bildfläche eine
junge Dame, die nicht zu verachten reak·
Sie kam offenbar aus der Badebude,
die da oben am Sirom erbaut ist —«
»Schön dem Pfarrer von Buchw
lsolm!« warf der Sanitätsralh ein. —
»Stiknmt!« fuhr d:r Amtsrichier
fort; »es war auch die Pfarrerstochter,
wie mir der alte Schulz nachher sagte;
aber Donnerwetter, meine Herren, so
w’as sieht man nicht of.t!«
»Ja, ist vom Seminar zurückgekom
men und unterrichtet jetzt dort an der
Dorfschule!« bemerkte der Rechtsan
walt lässig; ,,versprach schon damils,
ein hübsches Mädel zu werden! War
aber sonst ein rechter Grasaffe.«
»Wieso denn?« fragte der Amtsrich
ter aufmerlsam.
»Hochmüthig und kalt, hielt ich für
’was B.sond;1es!« brummte der ethis
anwalt. »Fritz, einen neuen Schoppen!
Komme Jhnen meinen Rest!«
»So? Hochmüthig? Na, den Ein
druck machte sie bei rnir nicht. Sie
grüßte mit tadelloser Freundlichkeit zu
rück, aber wie eine Dame grüßt. Und
Sie hätten sie nur ’mal sehen sollen,
mit tem dunteschwarzen gelost.n Haar
und mit den großen, still.n, tiefliegen
den Augen in dem schön;n, weißen Ge
sicht: ich sage Jhnen das Urbild einer
reizendcn H.xe!«
»Nun, Ihnen scheint sie’s ja schon
angethan zu haben; dann gebe ich Ih
nen nur den guten Rath: ,,Thue Geld
in Deinen B.utel!« Aber die Kartoseln
werden zu Hause talt und ich muß ge
hen. Nein, mein lieb-r Herr Richter,
die edelsten Gefühle sind nichts ohne ein
gutes Butterbrodl Guten Abend, meine
Herren!«
Der Amtsrichter sah ihn finster nach
Am nächsten Abend traf er wieder
mit der schönen Pfarrergtochter zufam
men. Sie saßen bei Tisch nebeneinan
der. Er aß seine Schinl nsemmel und
sie eine Schale dicke Milch, und beide
sahen auf den im Glanz rer sinkenden
Sonne wie ilüssigzz Gold dahinriese1n
d:n vFluß. Zw schen ilnen flog eine
Biene summend bin und her und
schwentte in tadellosem Bogen bald um
sein, bald um ih: G.sicht. Lben in den
Sirenen der Baume rauschte leise der
milde Abencwind
Daö Frauleai stand auf und g"ng.
Ene grrße, schlanke, seine Gestalt Das
lange, dunlle Hkar sloß ihr geöffnet
liber die Schultern D.r Amtgrichter
grüßte caraiermäßig Sie dankt-.- wie
der mi: der anmuthigen Frrilndli.t)ti1t,
die ilnn ain Tage dorter so gut gesal
len lfazte. Da glitt ihr das rotre Tuch
von der Schulter und fiel zu Boden.
nde
Blitzscknrll sprang Herr Wendeborn zu
und nahm es aus. Sie lachte ihm
freundlich zu über prächtigen, weißen
Zähnen, und eine wohllautende Stim
me dantte ihm. Er sah ihr versunken
und bezaubert nach. Dies Mal erzähl
te er den Herren im »Bären« nicht von
seiner Begegnung.
Und sie trafen sich jeden Abend und
wurden mit einander bekannt Er hat
te sich in zwangloser Weise vorgestellt
und nach einigen Abenden gebeten, sich
an ihren Tisch setzen zu dürfen, nach
dem er ihr in einem verzireiseltenKampf
mit einer Biene; die entschieden seindse
lig gegen Fräulein Ursula auftreten
wollte, ritterlich und sieghaft beigestan
den.
Nachher gingen sie ein tleines Stück
Weg zusammen b s zum Kreuzweg.
»Ich führe zur Zeit allein Haus in
der Pfarrei; meine Eltern sind auf drei
Monate in Tirol, und ich habe meine
Schularbeit· Da siße ich lieber ani
Abend nach dem Bade dort am Mühl
wehr und verzehre mein Abendbrod,
als allein in dem großen Hause oder
in der dichten, luftlofen Laube von
Pfeisenlraiit.« «
Der Kreuzweg war da. Er grüßte
wie vor einer Prinzeß
Und sie wurden näher bekannt. Sie
stimmten in so nsancher Aufl auung zu
sammen. llnd sie freuten sich beide
auf die Abendstunde.
Der Anitgrjchter hatte sich eine Ci
garre angezündet und blies behaglich
die blauen Wültlein in die lindenblü
tlieniduftiqe Luft. :
,,Wissen Sie auch, meine Gnädige,
daß man Sie für hochmüthig l)ält?«
sagte er im Laufe des Gesprächs. l
Sie lachte ein wenig und lehnte sich
zurück im Stuhl. Ihr Haar fegte bei
nahe den Boden. »Ich wüßte nichts,
wag mir gleichgültiaer wäre, als sol
rlie Leutemeinung Jch habe natürlich
teine Neigung. mich niic Grete und Sti
ne zu duzen, und Jhre Gen lemen in
Ihrer guten Stadt da drüben imponi
ren mir auch nicht. «
»Ist es nicht gefahrl eh für ein junges
Mädchen, sich so über die Meinung der
Leute hinwegzusetzen?« fragte er mit
fast besorgtem Ton l
Sie warf den fei ntn Kopf stolz zu
rück und sah ihn an mit eigenartig
leuchtender-i Blick: »Ich thue es aber!«
sagte sie und reichte ihm die OandzunU
Abschied. Er neigte sich tief darüber:
,Jawol)l! E n g.f. nder Fijch schwimmt
auch gegen den Strom!« -
Das Biid des eigenartigen Mäd
chens in ihrer stolzen, faft herben jung
sriiutichen Art ließ ihn n.cht wieder.
Die Verhältnisse, In denen sie lebten,
waren zu kle n a s daß ihr Verkehr un
kemerkt gebl eben wäre. Jm ,,Biiren«
fingen die Anfpielungen an, häufiger
und unv: rkenndarer zu werd-n 1
»Mein gnädiges Fräulein Urfula,«
sagte er eines Abends, »ich lege mein
Geschick in ihre Hände! Die braven
Leute fangen an, auf unsere Kosten ei
nen Roman zu dichten. Jch halte es
fiir meine Pflicht, einer Dame, die ich
verehre, das zu sagen. Befehlen Sie,
daß ich fortbleibe? Dann kreuze ich
ihren Weg nicht wieder!«
Sie lachte wieder, heiter und h:rz
lich.
»Sie wissen 1a, wie ich über die Leu
te und ihr Reden denke Es würde mir
leid thun, sehr leid, wenn Sie me. net
wegen diefen Platz am Wehr meiden
Dollten!«
Jetzt lachte er auch und hielt ihr die
große, ehrliche Hand über den Tisch
hin: »Sie sind ein junges Heldenweib!
Das mag ich le.den!«
Sie brüirte seine Hand leicht mit d.n
Fingerspitzen »Das Leben ist ja an;
sich ernsthaft genug,« sagte sie, ,,da hats
es keinen Zweck, auch noch allerlei lu-!
stige Dummheiten tragisch zu nehman
Er sah ihr tief in die dunklen Au
gen: ,,Wissen Sie, wie Sie jetzt aus
sehen? Wie die Hexe auf dem Gemal
de von Gabriel Max!« i
Sie stand auf und schaute ihn hei
ter an. »Gut, daß wir nicht dreihun
dert Jahre früher geboren sind! Dann
hätten Sie mich vieueicht izi eigenerPer
son zum Scheiterhaufen verurtheilt.
Gott befohlen! —— Aber wid rrufen hat
te ich nichts!«
Sie nickte ihm zu und ging, stolz und
frei. Er sah ihr lange nach.
Am nächsten Morgen fehlte ste, und
am folgenden auch. Und wie sie am
dritten Tage nicht da war, da nagte die
Qual um sie an seinem Herzen »Du
hast sie vertrieben mit deinem dummen
Gerede!« sagte er sich und hielt den
Kopf schwer ausgestiitzt und starrte in’-"H
rinnende und rauschende Wasser. Und
die verzehrende Glutb. von der Ursa
la im Scherz gesprochen, brannte nun
in seinem Herzen. —- -
»Da drüben in Buchenholm steht’s
ja traurig ausl« sagte der Sanitäts
rath am Stammtisch und stieß mit dem
Amkgrichter an.
»Wieso denn?« fragle der gespannt.
«Wisss»n Sieg nichts Dr ist der Ty
whug in ganz bösartiger Weise ausge
brochin!«
»Donnerwetter noch ’rnall" fuhr
Wendeborn in die Höhe.
Ueber die Gesichter ging ein Lachen.
»Nun, man sachte!« beruhigte ihn
der Arzt, »so lange die Leute in sol
cher Pflege sind, hat’5 tene Noth! Alle
Welt, — ich hätte das d:n1 Mädel nicht
zugetraut, und wag jemals gegen sie
gesagt ist, das nehme ich hier augdrück
lich zurück.«
»Wen meinen Sie denn?« fragte
Wendeborn schnell.
»Nun natiirlich Jhre Freundin, die
Pfarrergtochter!« sagte der Sanitäts
rath ernsthaft. »Ist ja ein halb Jahr
lang Johanniter-Schwester gewesen,
und nun geht sie von Haus zu Haus
als der gute Geist Von Buchenholm und
scheut vorhichts zurück. Das gefällt
mlk.« ;
»Nun, dann nehme ich den «Grasaf
sen« auch zurückl« fiel der Rechtsan
walt ein. »Ehre, wem Ehre gebührt;
soll leben, die schöne Urfula!«
Die Kriige klirrten zusammen, nur
der Amtsrichter saß tief in Gedanken
da und biß auf seinen Schnurrbart.
Und nun fuhr er auf und trank seinen
Krug aus bis auf den Grund.
Am folgenden Tage brachte der Ge
richtsdiener dem Amtsrichter einen
Brief. Eine schöne, ausdrucksvolle Da
menhandschrift stand aus der Adresse
Drinnen stand geschrieben:
»Seht geehrter Herr Amisrichter!
Die alte Greth Dorth Miesenholzen
möchte ,am Typhus ertrantt, ihr Te
stament machen und bittet Sie, bald-s
möglichst heraus-zukommen Mit vor-«
züglicher Hochachtung Ursula Peters.«s
,,Sofort einen Wagen! Und ich lie-s
sie den Referendar Abertcrn bitten, alsi
Gerichtgschreiber mitzukomnien!« rief
er, erregt aufspringend. I
Es war ein heißer Tag. Jn der
Hütte der alten Greth Dorth standen
alle Fenster offen. Am Fenster stand.
im hellen Kattunkleid und blüthznto.i
ßer Latzschiirze die Pfarrergtochten
Jhr Gesicht irar blasz und dunkle Ringe
lagen unter den tiefen Augen. De-:
Wagen hielt. De Herren vom Gericht
traten ein. Tief neigte-n sie sich vor
dem bleichen, jungen Mädchen, die dem
Amtgrichter die zarte Hand bot. Jm
Wandbett stöhnte die Alte. I
»Es niuiz schnell aehen,« sagte Ursa
la, »sonit verlert sie wieder die Besinsp
nung.« !
Aber es dauerte ziemlich lange. Di:
Alte besaß mehr, als einer geglaubt
hatte. Zuletzt zog sie den Amtgrichter
dicht an sich heran: »Sei saall dat nich
hören! Dat Frölen dor sall hunnert
Mart hebben tau ehre Utstiier: sei hett
nix und tann dat breiten. So’n Engel
gifft’s nich wedder, un sei hett veel in
mi olle Fru daulsn! Schriewen Sei
man!« « i
Dem Amtsrichter brannten die Au
gen. Und das Herz brannte ihm auchs
wie er auf das schlanke, schöne Mäd
chen sah, die todtmüde in dem großen,
i:
alten, zerrissenen Lehnstuhl zusammen
gesunken war.
»Fahren Sie zurück, Kollege, ich ’ he
zu Fuß!« sagte er zu dem Referengär.
Er blieb allein im Zimmer mii der
Sterbenden und der Schlafenden. Von
fern her rauschte das Wasser til-MS
Wehr, da, wo er Ursula innen gelernt
hatte. Und eine Biene war durch’g
Fenster geflogen und zog Ente Kreise
um das qeneigte Haupt der üden.
Der Amtsrichter trat hinzu und ver
sagte die Biene. Lange sah er hinab
auf das Mädchen. Jhr weißes Gksicht
sah so ernsthaft aus. Jbre rothen Lip
pen waren ein wenig göffnet über den
schimmernden Zähnen. Da beugte er
sich über sie, tiefer und tiefer, bis seine
Lippen auf den ihren lagen. Sie fuhr
aåtf und sah mit todtmiiden Augen auf
1 n:
»Ursula,« sagte er, und legte den
Arm um ihren Nack.n, »was die Leute
sagen, das gilt Dir gle.ch; ailt’s Dir
auch gleich, was Dein Liebster Dir
sagt-? Der sagt: »Ursel, ich liebe Dich!«
Und der bittet: sei mein, Du Liebliche,
Stolze, Getreue!«
Sie lehnte das Haupt an seineSchul
t·r. Draußen rauschte das Wasser am
Wehr. «
Was til Stück?
Wer weiß zu lebenZ
Wer zu leiden weiß.
Wer zu genießen?
Der zu meiden weiß.
Jüngst hat man in einem Werke
Aussprüche über das »Glück« aus der
Litteratur aller Zeiten und Zonen ge
sammelt. Wie charakteristisch ist dies
für unsere Zeit, in der das Jagen und
Hasten nach Glück in einem fieberhaf
ten Taumel ausgeartet ist, welcher Alt
und Jung, Reich und Arm, jedes Ge
schlecht, jeden Stand ergriffen hat. —
Gliickl Glück! —- Das wunderbare
Wort bebt auf den Lippen der Jung
frau und des Jünglings; das gereifte
Weib. der Mann im Lebenskampf, sie
suchen es auf tausend Wegen. Und
selbst das Alter hofft, es möchte ihm
noch in den Schooß fallen. Was aberv
verstehen die meisten Menschen unter
diesem Wort? —: Genuß, Besitz, irdi
scher Güter, Befriedigung sinnlicher
Bedürfnisse.
Wie Wenige finden auf diesem Wege
das Glück! —- Ketten, schwer drückende
Ketten sind es, die sie an Stelle der er
hofften Seligkeit erntauschtcn, Ketten,
die sie bis an’s Grab schleppen müs
sen. Obenan steht die Abhängigkeit
von Menschen und Dingen.
»Nichts bediirsen, es ist der Wahr
heit Erstes und Letztes,« singt Albert
Möser. Und doch bedürfen wir alle!
Aber es ist eine Wahrheit, die sich tau
sendfach bestätigt hat, daß Diejenigen
die Glücklichsten waren, die am we
nigsten bedurften, und zwar aus dem
Grunde, weil sie unabhängig wurden
von den Zufällen des Daseins-, von
den Launen der Menschen, von den
Schlägen des Schicksals
Darum, Du ringender Mensch, der
mit fieberndem Herzen nach Glück
lechztt lerne Geniigsamkeit und Erge
bung! Du wirst diese erringen, wenn
Du Dir im stillen Heiligthum Deiner
Brust einen Tempel erbaust, den kein
Wille der Menschen berührt, kein
Hauch widrigen Gieschickes erschüttert.
Lerne verzichten auf irdischen Tand,
verzichten, wenn es sein muß, selbst
auf den Besitz geliebter Personen. Es
ist schwer, unendlich schwer, namentlich
dem Herzen, das noch von der Jugend
heißem Blut in leidenschaftlichen Wo
gen durchwallt wird. Aber es ist zu er
ringen durch ehrliche, unablässige Ar
beit an sich selbst; durch das beharr
liche Hinlenlen des Blickes aus das,
was dauert in der Flucht der Erschei
nungen, aus die edlen, ewigen Güter:
Religion, Kunst, Wissenschaft, unei
eigenniitzige Arbeit im Dienste der
Menschheit Schätze dieser Art, die Du
in Dir sammelst, sind Dein, ganz
Dein, und eine unversiegbare Quelle
unendlicher Freuden.
O. B.
Zur Vorsicht beim Beamten von
Bleintftcn
—
wird gegenwärtig in verschiedenen Leh
rerzeituugen gemahnt. Und zwar wird
namentlich die größte Sorgfalt beim
Anspitzen der Bleististe empfohlen, so
wie oor dem Aufeuchten mit den Lip
pen gewarnt. Als abschrectende Bei
spiele aber werden besonders folgende
Falle angeführt: Vor einiger Zeit starb
im AugustaHosdital in Berlin der ls
Jahre alte Kunstschlosser R. A. Er
batte sich beim Anspitzen eines Blei
stiftes in den Finger geschnitten und
beachtetc die Wunde, in Welche etwas
Grapbit gerathen war, nicht weiter.
Ellm nächsten Tage stellte sich eine
schmerzhaer Entziiudung des verletz
ten Fiugers ein, die Hand, ja der Arm
schmollen bedeutend an. Erst als die
Vergiftuna auf die linke Brustseite und
Schulter übergegangen war, wurde
ärztliche Hilfe in Anspruch genom
men -— -— aber zu spät.
Jn einem anderen Falle tonstatirte
der Arzt als Ursache eines langenwie
rigen, chronischen Darm-Katarth bei
einem jungen Manne die Gewohnheit,
den Bleistift vor dem Gebrauche mit
dem Munde anzuseuchten Die Leh
rer werden daher in den betreffenden
Fachzeitungen aufgefordert, diese üble
Gewohnheit zu bekämpfen.