Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, August 18, 1899, Sonntags-Blatt., Image 11

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    Heut
« Ein jeder Tag bringt Dir m goldner
Dein Maß von Pflichten und von Leid
und Freud,
Genau bemessen isi’s für Deine
Kräfte,
Genau soviel, erz, kannst Du tragen
ut.
Heut sollst Dn’s schaffen. heut sollst
» Du leben,
Jur heute ward Dir Licht und Kraft
und Muth; .
Des »gesiern" nicht beschwere Deine
Seele,
Das »morgen«Hstell getrost in Gotte-i
" ut.
Leg in dies heute all Dein etnstes
Wollen,
Der Seele ganze, volle Kraft hinein;
Dem treuen Kämpfer muß vie Palme
werden,
Vertraue Dir ————— und jeder Sieq ist
Dein!
Oitlilie Gumprechi.
sæ mußtmymk
Von Katharina Zitelmann.
Geheimrath von Hollander hat ein
neues Quartier bezogen, ein prächtiges
mit einem Tanzfaat und neun Zim
mern. Die bescheidenere frühere Woh
nung genügte nicht mehr, denn das
Töchterchen ist aus dem vornehmen
Stift, wo es erzogen wurde, nach
Hause zurückgetehrt und soll in die
Welt eingeführt werden. Welch eine
Umwälzung das bedeutet! Sie selbst
freilich tennt die Herrlichkeiten noch
nicht, die man ihr vorsetzen will und
beschäftigt sich garnicht damit.Jhre Ges
danten und Interessen weilen noch im
Stist bei den Freundinnen, mit denen
sie ihr Leben theilte. bei den Lehrern
und Lehrerinnen, die sie unterrichtet,
bei dem ,,siis3en« Prediger, der ne ein
gesegnet hat. Aber alles muß ein Ende
haben, und da sie nun siebzehn Jahre
zählt und erwachsen ist, mqu jie voxs
gestellt werden und in Gesellschaften
gehen — so sagt Mama
Die Geheimräthin von Hollnnder
ist eine stattliche, noch jugendliche Frau,
die bisher ihrer Familie gelebt hat und
ihren gesellschaftlichen Veipflichtungen
nur so weit nachgelonimen ist, wie«
unbedingt nothwendig war. Sie hat
fünf Kinder zur Welt gebracht und
eins davon sterben sehen, und da sie
es allezeit mit ihren Iliutterpflichten
ernst genommen hat, ist ihr nicht viel
Zeit geblieben« ireder zu anderer Be-’
schaftignng, noch zur Pilege ihrer Jn
teresfen. lind sie hat Jnteressenz sit
singt ein wenig und malt recht hübsch- -
aber da sie nicht dazu gekommen ist«
weiter zu lernen, sind ihre Leistun
gen geringe geblieben. Ihre Gesund:"
heit hat immer zu wünschen übrig ge
lassen, und so hat sie am Gesellschafts-;
treiben lein Vergnügen gefunden,’
ebenso wenig wie ihr Mann, der start
beschäftigt, froh war, wenn er Abends
daheim ruhig die Zeitung lesen oder
rnit seiner Frau einen Spaziergang
machen konnte An Verkehr freilich hat
es ihnen nicht gefehlt. Mutter undl
Schwestern der Frau Geheiuirath leb-!
ten am Ort, und die Besuche vorn Lan-s
de hörten nie aus, denn beide Gattens
hatten Schaaren von Vettern. Der tatn
in die Hauptstadt, um Wolle zu ver-Z
laufen, der, um sich zu amüsiren. Einert
war Mitglied des herrenhaufes, derj
andere Landtagsabgeordneter ——— und;v
alle sprachen gern bei Hollunders oor,i
so daß es zuweilen sogar etwas viel
wurde. Wie hätten sie da noch Lust ha
ben sollen, Gesellschaften zu besuchenkj
Doch nun ist Gerda heimgeteliri« das
älteste Rind, die einzige Tochter, ders
Mutter Abgott. Da tann es nicht wiei
bisher weitergehen. Das jungeMädchen
hat Ansprüche an das Leben zu stellen
Fürs erste tst Gerda trotz ihrer tun-s
en Kleider noch ein rechtes Kind, dagi
sich am liebsten mit den Brüdern uni- i
heetumnielt, neckt und auch einmal --——s
balgt, und sich der goldenen Freiherr
freut, die plötzlich über sie ausgeschüt
tet ist. Denn so gern sie auch im Stift»
war, sie ist doch froh, daß das »Büs-i
feln« nun ein Ende hat, daß sie nun
mit der Bildung fertig ist, wie Jltama
sagt. höchstens französische Flor-versa
· tionsstunden soll sie noch nehmen; und
vielleicht Klavier; —- »Stu:1«)-.-i tr
sten ein Heidengeld,« sagt Mann, »die
müssen doch mal aufhören. Jetzt han
delt sichs sür Dich um andere Dinge.«
»Um was denn?« fragt Gerda uns-,
begierig.
Frau von Hollander getäin in Ver-«
legenheit. Jn fernster Ferne biizi ver
ihren Augen eine Unifokm —— de: Zus
lünstige der Tochter steckt darin. CJss
lann auch ein Zivilist sein« denkt sie,
wenn er nur wohlhabend und Von gu
ter Familie ist. Aber das .)at noch Zeis.
Getda ist ja noch ein halbees flink-.
»Um was handelt sich’54« beklaut
Gewa.
»Nun. Du sollst mit uns in Gesell
schaft gehen, stöhlich sein, lamen, Dif
ainiisiten. Wir haben den Wunde dir
eine recht liicklicheJugend zu bereiten-«
»Er-te smal« sagt das Töchter
chen, der Mutter um den Hals fallend.
»Ich bin ’a schon so glücklich! Jst es
denn so chön, in Gesellschast zu ge
hen? Frühet stöhntest Du doch immer,
· wenn ihr eingeladen made-W
Die Maina sieht Geeda überrascht
san Und antwortet dann verwitttz «Ja.
-
ich machte mir nicht viel daraus, seit
her-— seht mit Dir ist das ganz etwas
anderes.«
»Warum?« fragt das Töchterchenz
— sie ist unausstehlich neugierig.
»Du bist ein kleines Schaf,« entgeg
nete die Maina ein tccnixi ungeduldig.
»Eine junge Dame aus unseren Kreisen
muß die Welt kennen lernen; das ge
hört sich so. Weißt Du schon, wag für
eine Freude wir Dir zugedacht haben?
Du sollst nirh Neujahr bei Hofe vorges
stellt werden!«
Manier hat unwilltiirtich die
Stimme gesentt, uin dem Töchterchen
die große Neuigkeit miizutheilcu. Doch
da dieses sich noch gar nicht-J Recht-IS
darunter vorzustellen weiß, scheint es
nicht sonderlich erschüttert rxircy Lag
ihnr bevorstehende Glück.
»Freust Du Dich denn nich1.« fragt
Mania enttijuscht.
Gerda macht ein ziemlich dummes
Gesicht.
»Du-bist doch noch ein Echtes Kind,«
seufzt Frau von Hollunder.
Die neue Wohnung ist sehr glän
zend geworden. Eine der ersten Firmen
der Hauptstadt hat den Austrag, meh
rere Zimsmer neu einzurichten, zur
vollen Zufriedenheit —- nur etwas
theuer —- ausgefiihrt· Es ist eine wass
re Pracht, was da an Vorhangem
Teppichenund Kronleuchteen geschaf
jsen ist Und nun iserdas Stäbchen!
IEin wahre-« Vogelnest! ——- so recht, irie
jes für ein sungesb Stäbchen paßt Wel
che Arbeit, ipelche Mühe welche no
Jsten, bis alles vollendet ist! Frau von
Hollander leistet Beiviinderungsnutdi
ges-. Und laum ist di-: se Aufgabe be
wältigt, so muß sie eine andere in Lin
griff nehmen: die Tochter auszustre
ten. Es ist nicht so eint ach, all die Tin
letten zu beschaffen, ioeiin man es
»verniinftig« einrichten will. Sie fährt
von Laden zu Laden, sucht Stoffe asis,
verhandelt mit Schneide-rinnen und
Putzmacherinnen, kommt fast nie mehr
zu rechter Zeit zu Tisch und ifl abge
hetzt und müde. Geroa ziiusz natürlich
dabei sein, denn ohne sie ietzt es doch
am Ende nicht. Aber sie langweilt sich
sträflich. Und nun erst die schrecklichen
Anprobent Sie seufzt, wird unlie
bensiviirdig —- es kommt soga: zu
Tiskiinen Endlich schilt Mann ihr-! urt
dantbare Tochter, und die schämt sich.
Doch freuen kann sie sich beim besten
Willen nicht, nur liinftig dieAeufzerunz
gen ihres Mißmiithes unterdrückeii,«
um Mama nicht zu tränken. Das thut
sie denn auch mit Opfermuth Sie dul:
det, daß sie fortwährend .,einlaufen«
gehen muß, daß man ihr das Korsett
fest zieht iind sie stundenlang Modell
piippe zu spielen gezwungen ist Heim
lich ioiinscht sie die sämmtlichen neuen
Kleider zum Kuckuck und sehnt sich nach
ihrem Ettft zurück, wo inan sie mit
Toiletteiifrsagen verschonte.
Als aber endlich alle-J fertig und ihre
kleine Person zu einem Modediinichen
herausstaffirt ist, da lacht sie vor Ver
gnügen, liebäugelt mit ihrer schlanten
Taille im Spiegel und findet sich aller
liebst. Jst das dasfeibe unscheinbare
Schulmiidel, das eben noch im schwar
zen Wolltleid einherlief, den Zon auf
dm Rücken? Wie das modisch frisirte
Haar ihr steht! Und der große Rein
brandthut. Reizend! Am Ende ist doch
dieses Resultat nicht zu theuer ertauft
worden. -—-— Mama strahlt. Und Mut
ter und Tochter treten in vollster Einig
keit die Visitentour an. «
Gerda tnixt bis an die Erde vor al
len möglichen Excellenzen — das hat
sie im Stift gelernt —- und antwortet·
ab und zu auf eine gändige Frage ein
schifchternes Ja oder Nein. Zum Glück
tommt der Lohndiener, der die Karten
in die Wohnungen trägt, meist mit dem
Bescheid zurück, daß die Herrschaftenj
nicht zu Hause seien. So ist auch die,
Qual bald überstanden. i
»Na, nun lann’g losgehn!« sagt
Papa. l
Richtig! Da fliegt die erste Einla
dung zum Ball in's Haus-. i
Bor’m Spiegel steht Gerda und
wird geputzt. Die Modistin keine ge
wöhnliche Schneiderin· bitte! ist er
schinen. um bei der Ioilette zu hklsen
und slieszt itber von Bewunderung siir
das gnädige Fräulein, wobei aus ihr
Wert ein gutes Theil fällt; denn Alci
der machen Leute· Die Dienstmädchen
stehen mit »Ach!« und ,,O!« im Hin
tergruud, und nun finden sich auch
Großmutter und Tanten ein« um das
Kind im Ballstaat zu sehen.
»Wie reizend! Wie süß! Eine Ro
senlnospel Ent«3iickendi« rufen sie, wir
sie sachverständigen Auges sie mustern
Sechg Frauenzimmer umstehen die
tleine Person, ziehen und zupsen an
ihr herum, beeisern sich, ihr die Hand
schuhe zuzutnöpsem geberden sich. als
hätten sie nie etwas Schöneres gese
hen und alg sei Gerdas erster Ball das
wichtigste Ereigniß der Weltgeschichte.
I Jst-das zu mager noch,« flüstert
sMama der-Schwester zu.
« »Das thut nichts, die Fülle findet
ssich mit der Zeit,« giebt die etwas tor
pnlente Tante tröstend zurück.
I »Sonst wäre sie ja auch eine voll
kommene Schönheit,« meint die andere
Tanie, die ein-as überschwänglich ist.
Frau von hollundct lächelt glücklich
und ist überzeugt, daß die Schwester
die Wahrheit spricht. Geedas scharfe
Ohren aber hören das alles, und der
Weihrauch, den man ihr streut. beginnt
ihr zu Kopf zu steigen. Sie muß doch
wirklich ein sehr beinerlenzwertheö Ge
sichöpschsn stin- dss man so viel We
·
sent von ihr macht. Wenn die Freun
dinnen ern Stift sie jetzt sehen tönnten!
Wie die sie beneiden würd-m
Man wirft ihr e. in n langen, war
Einen Mantel um die Schultern, und
sie schwebt hinaus. Papa klemmt sich
nur mit Mühe in die Drohle die
ganz angefüllt ist non den Toiletjen
der beiden Damen. Nama wird nicht
müde, ihn zur Vorsicht zu erniahnenx
»Nur nicht Gerdas Kleid zerdruuein
bi tte, nimm dich in acht!« »
I Nun steht das junge Mädchen im
Tanzsaal zwischen all’ den fremden
Menschen und fühlt sich ungliiuti.sh und
verlassen. Mamas Augen sprechen ihr
Muth zu, folgen ihr, wo sie geht und
steht. Jhre Tanztarte füllt sich lang;
sam, dann wirbelt sie umher in den
Armen der Leutnants, und alcz sie
Nachts todtmüde heimfährt, denkt sie
bei fich: Jst das alles-;- Darnin jolrl;’
Aufhebens!
Mama aber ist überzeugt davon, das;
ihr Kind sich »himmlisch amüfirt« hat.
iEs fehlt ihr nur an Herrenbctannt
.scbasten, denlt sie, und darum müssen
wir sogleich selbst tanzen lassen. Den
Saal haben wir ja.
l So winkt sich denn der Geheimrath
aus dem Ministerium einige Asfessorm
herbei; ein paar Vettern werden ver
.schrieben die Söhne der befreundeten
Kollegen geladen, und die Sache ,,g2ht
los « wie der Ballvater sagt, der sich
in einiger Aufregung befindet über die
neuen Pflichten, die ihin erwachsen
sind Frau von Hollander dagegen be
nimmt fich wie ein Feldherr. Sie fühlt
Riesenlräfte in sich erstehen bei den
»großen« Aufgaben, die sie zu ldfen
hat; und sie löst sie vortrefflich Das
Fest ist glänzend, und jedermann if:
hochbesriedigt. Auch Gerda findet
heute mehr Vergnügen und giebt sich
freier. als bei dem ersten Ball.
,,Eine Gaootte!« kommandixte dir
den Tanz anführende Vetter
Frau von Hollunder erschrickt. Ihre
Schwestern blicken sich besttirzt an.
Gerda hat noch keine Gavorte gelernt!
Jn tiefer Reue senkt die Geheimräthin
den Kopf. Daran hat sie nicht gedacht
daf; jetzt andere Tänze Mode sind alk
srüher. Und sogleich faßte sie dcn Plan
eine Tanzstunde für Gerda einzurich
ten. Vortrefflicher Gedanke! Das si
chert dem Kinde Tänzer — und tie
sind nothwendig. Sie ist zu unbekannt
und lönnte sitzen bleiben. Mamn cr
röthet vor Scham. Ihre Tochter Man
erhlümchenZ Nein, das-« darf niht
sein. ·
Also Tanzstunde Zwölf Paare sind
bald gefunden, und zweimal wöchent
lich wird nun von vierundzwanzig
jungen Menschenlindern eifrig Garn-ne
und Menuett geübt. Es geht Die Reihe
herum in einigen Familien und is:
höchst gemiithlich Zum Schlaf-, giikoi’3
Büsfett und geselligeg Vesicantien
sein. Da lernt man sich dann kennen,
und es fehlt nicht an Vergnügen, erf
machereien, Eifersuchteleien, Bonatti-is
und etwas wahrem Frohsinn. Gerda
kommt allmählich in Geschmack. Wie
sollte sie nicht! Sie ist ja siebzehn Jahre
alt. Und wie sich nun die Einladun:
gen häufen, ist sie keinen Abend mehr
daheim. Morgens schläft sie oiJ zehrt
oder els Uhr, sonst könnte sie das an
strengende Leben nicht ertragen. Trot
dem bekommt es ihr sehr schlecht. Sie
ist blaß und matt uno schluilt Dünn
togen zu ihrer Stdrtuna Zum-Fila
vierüben oder Lesen kommt sie nicht
mehr. Wo sollte sie die Zeit dazu her-V
nehmen? Toileitenvorbcreit:.ngen nisdl
Besuche nehmen sie vollaus in An
spruch. Sie hat nicht einmal Zett, Ma
ma zu helfen, die sich fast ausopsert
Zum Glück sind die Ianten da, um
der Schwester beizustehen.
Und nun der große Tag der Vor
stellung bei Hofe. Die Kurstlneppen
sind fertig. Gerda lominc sich in oer its- !
ren vor, als ob sie selbst eine TUtsijestijt
wäre. Mama in Bordeunsannnstt schaut
stolz auf das Töchterchen in weißen
Atlas mit der schweren rosa Dammastsi
schleppe. Alle ihre Geoantexi gehen auf:
in dem Triumph ihre-z Kindes-. Gercaj
gefällt sehr, benimmt sich höchst »in-n f
me il saut,« die Masestäten sind äu
ßerst gnädig gegen sie, die Tanzstunv
denosfiziere beschützen sie und sorgen
für andere Tänzer, während zahllose
junge Gräfinnen und Barouinnen unt-»
sonst danach ausschauen -— kurz, es
geht alles nach Wunsch, und Frau von
Hollander sagt sich befriedigt, mehr
könne keine Mutter für ihr Kind thun.
als sie gethan. Run tann es aus den
ersten streifen den Gatten wählen.
Ja, Gerda soll heirathen· Glück ist
nur die Liebe, Liebe nur ist Glück! - —
Aber die Liebe muß sich in eine gute
Partie schicken, sonst ist sie vom Uebet.
Nur leine unnöthige Verlieberei, um
des Himmels willen nicht! Eine gute
Partie, das ist das Ziel, auf das al
les hinweist. Gerda ist ja zum Glück
vernünftig und nicht zu Sentimenta
litäten geneigt. Da wird der Rechte
schon kommen. Eine alte Jungfer wie
ihre Tanten soll sie nicht werden.
Die Vorstellung bei Hofe zieht eine
Menge neuen Umgangs und alle niög
lichen Verpflichtungen nach sich. Jn den
vornehmen Kreisen, bei den Gesandten
und Ministern —— überall tanzt nun
Fräulein von Holland-eh und Mama
begleitet sie, während Papa zuweilen
ftreilt. Ja, der Papa fängt an unge
miithljch zu werden. Jknn wird’5 zu
viel; er vermißt Ruhe und Behagen,
die friedliche Hauslichleit von früher.
Er brummt, daß feine Frau gar leine
Eskit mehr fiik ihn hab-. Aber wag soll
er machen? Wer A gesagt hat, muß
auch B sagen, da hat seine Frau ganz
recht. Und sie behauptet, die Pflichten
gegen Gerda erforderten dies Treiben,
er dürfe nicht egoistisch sein, wenn es
sich um das Glück seines Kindes hand
le. Zwar ist er nicht völlig überzeugt
davon, daß dies alles zu Gerdas Glück
nothwendig sei, aber da seine Gattin
es verlangt, so thut er’s. Er giebt nach
und hofft auf den Sommer, wenn die
Ruhe wiederkehren wird.
Ach) Gerdag Brüder sind durchaus
nicht einverstanden mit den häuslichen
Zuständen Umsonst rufen sie nach der
Mama, die nie zu Hause ist, oder wenn
sie da ist, keine Zeit für sie hat« Der
kleine Vruno ist eine wahre Range ge
orden, seit er sich unbeaussichtigt
eiß, und Felix hat eine sehr schlechte
Zensur nach Hause gebracht. Die El
tern drohen, ihn in’s Kadettenlorps
zu stecken, wenn er sich nicht bessert.
Bernhard aber lebt auf beständigem
Kriege-saß mit Gerda, die er verhöhnt
und eine Zierpuppe schilt. Wenn die
Brüder jetzt kommen, mit ihr zu tol
len oder zu spielen, so schließt sie die
Thiir vor ihnen ab. Sie hat keinen
Sinn mehr für die angezogenen Jan-»
gen, seit sie im Umgang ihrer Tänzer
gereift ist. Gerdas Bild e cheint in al
len möglichen Familienb cittern. Aus
der ersten Seite eines weltbetannten
Journale-ist ein Portrait Bismarels
von Lenbachs Mästerhand wiedergege
ben, und den Schluß der Jtuimner bil
den die Mädchenköpfe der Salirsnschiin-»
heiten, die jungen Damen, die bei Hofe
vorgestellt sind. Eine kurze Magra-l
phie ist beigesiigt und belehrt die Leser
iiber Lebenslauf und Thaten des Alt
reichstanzlers und der glücklichen Kin
der der Creme der Gesellschaft
Zwölf photographische Ausnahmen
sind von Gerda gecnacht worden, Voni
denen Mama die oestgelungenen den
illustrirten Blättern zur Verfüguan4
gestellt hat« Die Wahl war sehr schmer,
denn alle Bilder sind gut gerathen.
Das junge Mädchen ist «en sale« und
im Prosil, in ganzer und halber Fisi
gur, mit gesenttem und erhobenems
Kopf, mit gelöstem und ausgestecttem
Haar, in liinstlicher und natürlicher
Beleuchtung, in Haustleid und Kuril
schleppe dargestellt, und Mama hat
sämmtliche Bilder in Kabinettsormat
reizend gerahmt auf dern Tisch deg Sa
long ausgebaut, wo sie im Kreise um
die Lampe stehen, durch illustrirtei
Kunstwerke und Photographiealbums
von einander getrennt. Hier müssen
sie von allen Besuchern des Hauses be
merti irerden, und sollten sie doch ein
mal übersehen werden, so macht die4
Geheimräthin den Gast aus das vor
ziigiiche Wert des Photographcn auf-«
mertsam. Das; manch einer heimlich
lächelt, merkt sie nicht. Die einst so
verständige Frau hat sich sehr Urku
dert. Sie ist nur noch Ball-mitten Alle:
ihre sonstigen Eigenschaften sind von:
dem Krotodil der Eitelkeit aufgefressj
sen, der Eitelkeit siuf ihre Tochter.llnd
als der dritte Winter zu Ende geht,
ist von Gerdag natürlichem, unverdor-«
benem Wesen auch nicht eine-Spur triebe
übrig. Mama hat es fertig bekommen,
sie zu einer at:mass,ende11, dummen, tlei
ren Gang zu machen, einer leeren, ober
slachlichen Seele ohne Geist und Stre
ben, einer Gesellschastgpuppe, die von
dem wirklichen Leben nichts weiß und
stumpf· und gleichgiltig daran vorüber
geht. «
Und doch meint Frau von Hollun
der, ihre.miitterlichen Pflichten gegen
Gerda im vollkommensten Maßes er
siillt zu- haben.
—..--—.—.-O—«-—
Ver Entbrecher..
Humans-etc nach dem Ungarischen. von
Armin Ranai.
l
I
!
I
c
i
i
In einer kalten Dezembernacht
wurde das Geschäftglotal deg. Bari
tierH Fridolin Merzig total ausgesi
raubt. Als der Buchlialter am nächsten
Morgen mit dem Geschäftsfchlüssel vori
dein Bureau erschien, lzeigten ihm so-.
fort die zur Hälfte geoffmten !liolllci.-—l
den, dass etwas Beidndereis uorgefaLl
len sein müsse. Er schlug Lärm. die
Lilienschen liefen zusammen die Polizei
erschien ebenfalls. u.n den Thatbestano
auszunehmen Herr Merzig, der sonst
erst gegen zelni Ubr im Geschäft zu
uscheinen pflegte, ioar nach kurzer
Zeit auch schon anwesend, nnd dann
kamen noch einige Zeituiiggreporter,s
um fiir ihre Blätter interessante No-,
tizen zu erhaschen Der Polizeitonrj
nrissär durchsriclite alle erbrochenen
Zchränte und ließ teinen Umstand uns«
lieachtet," der ihr auf irgend eine Spur«
lxatte leiten können. Herr Merzig ging
ihm dabei bleich und gebrochen an die
Hand. s
Die Kunde von dem Einbruch hatte
die größte Sensation erregt; denn die
Firma erfreute sich überall des besten
Rufes, wie auch Herr Fridolin MerziiI
selbst allgemeine Sympathie genoß,·
ioeil er als solider Geschäftsmann sichs
von den modernen schinutzigen Börsen-·
manipulationen stets fernzuhalten ge
wußt hatte. Die Börse hatte die Nach
richt mit großer Antheilnahrne regi
strirt, und als Herr Merzig später den
in Mitleidenschast gezogenen Banisir
men Vergleichsvorschläge machte, fand
er allenthalben das höflichste Entge
genkommen.
’ Bei diesem sensationellen Einbruche
ibandelte es sich um nicht weniger als
dreimalhunderttauf end Mark, die man
Herrn Merzig geraubt hatte. Von die
ser hortenden Summe sollte die hiilfsl
te in baarem Geld in den Rassen-l
schränlen verwahrt gewesen sein, das
Uebrige waren Depofiten von Privat-I
kunden des Banthauses. Fridolin
Merzig hatte sich mit seinen GläubL -s
gern aus fünsundzwanzig Prozent ver-l
glichen; seinen Klienten und Depositä
ren bdt er eine Entschädigung von
dreißig Prozent, und nach langen Ver-l
handlungen gab man sich damit allge-l
mein zufrieden Diese Operation hatte
Herrn Merzig fast ruinirt, aber er be
hielt seinen gerichteten Namen, und als
er sich nach einiger Zeit wieder an der
Borfe zeigte. wurde er auch Von den
mächtigen Geldfiirsten freundlich be
grüßt, wie jemand, der ganz unver
schuldet in’s Unglück gerathen war.
Die Polizei entfaltete anfangs eine
fieberhafte Thätigkeit, um den DiebenZ
und dem Raube auf die Spur zu kom-.
men. Es wurde eine große Belohnung
ausgeschrieben, aber nirgends war ein
Anhaltspunit zu finden. Schließlich
schlief die Sache ein, und ein Jaker
später dachte niemand mehr an den
Vorfall.
An der Thür desv Polizseitornmik
särå klopfte es leise. Da der Gestrenge,»
in seinen Alten vertiest, nichts davonl
zu hören schien-, öffnete sich langsam«
die Thür, und ein kleiner, einge-!
schrumpften äußerst schäbig gekleideter
Mann steckte» zaghast forschend, seinen(
Kon hinein. Nun blickte der Polizei
tommissär zornig auf Das schäbiges
Männchen aber ließ sich nicht abschn
cken und srug in unterwürfigem«"
Tone: !
«»Bitte, verzeihen Sie, mein Herr, ich
weiß nicht, ob ich an der richtigen
Stelle bin —- —«'
»Was wollen Sie denn hier?«’
»Ich möchte zur Polizei.«
»Jn welcher Angelegenheit?«
»Ich komme in der Einbruchssache
beim Bautier Fridolin Merzig.«
»Und was geht Sie denn dieser
Einbruch an?«
Der Mann berbeugte sich bescheiden.
»Ich denke, ein klein wenig schon;
denn das Banlhaus Merzig habe ich
aus-geraubt«
Der Kommissar sprang in höchster
Bewunderung aus:
»Ist das Jhr (irnst?«
,,Leider mein bitterster Ernst, denn
ich war iener Unglückliche.«
Der Polizeilommissar war mit ei
nem Mal wie ausgewechselt
»Setzen Sie sich, lieber Freund, Sie«
fscheinen ja miide und abgespannt zuj
ein.«
Er betrachtete den kleinen Menschen;
mit geradezu liebevollen Blicken und;
war ijber die unerwartete Entdeckung
so erfreut, dast er unwillkürlich seine
Zigarrentasche bervorlangte und sie»
dem Fremden hinhielt. «
ich danke sehr, « wehrte dieser ab,
»ich pfleae nie zu rauchen.«
lJiun forderte ihn der Kommissar:
ans, Platz zu nehmen und setzte sich
selber an den Schreibtisch
»Lafsen Sie mich nun Alles genau;
hören,« sagte er dann, »etwa fo, als-I
wenn Sie zu einem guten Freundel
sprachen« « (
Das kleine Männchen blickte den
nommissäx dankbar an, seufzte lautl
und begann dann seine Erzählung-:
»Ich will Alles gestehen; denn ieh
kann nicht mehr schweigen Jch ginge
gewiß zu Grunde, wenn ich das Ge
heimnis; noch länger mit mir herumtra
gen würde .. Aber glauben Sie.
nicht, Herr Kommissar, daß mich etwa
das Gewissen zu Ihnen getrieben haili
Das Gewissen spielt in der modernen
Welt gar keine Rolle mehr, ich selbstg
kann mich nur noch erinnern, alsSchuLI
junge mit einem Gewissen behaftet ge
wesen zu sein, das hat sich aber gege
ben. ——— Nein, mich hat ein anderes Ge-;
fühl hergebracht «-—— der Zorn, die Ftin-i
che, die Vergeltung« I
i
I
»Wer hat Sie denn so zornig ge
macht?«
»Die Weltoroniina, die Gesellschaft
— boeli ich will Jbiien Alles der Reibe
nach erzählen. Wir sind im selben
Städtchen geboren, der bestoblene Bari-:
kier Merzia und ich. Wir hatten aua)
dieselbe Schule besucht dann qingen
unsere Wege auseinander Unsere-I
Schicksckle waren verschieden lfr wur
de angesehen, bekam eine reiche Fraut
ich blieb ein armer Teufel dein eöj
schwer genuq wurde, sein tägliches
Brot zu verdienen. Und dabei niuß ich
immer daran denken, daß in der
Schule eigentlich ich der Ueberlegene
war! Wie ost tani Meriia, irin sich
von mir das Griechiscbe oder die iiia
thematischeii Ausgaben besser einpräi
aen zu lassen. Und später hatte der
reiche Bankier kaum einen steifenGruß
für mich, wenn wir uns zufällig be
aegnetem ein Händedruck oder ein
freundliches Wort wäre gewiß unter
seiner Würde gewesen.
Jn einem kalten Winter, da es mir
besonders schlecht ging, beschenkte micr
meine Frau mit Zwillingen Die Noth
war groß und irn Hause kein Groschen,
als dieses übermäszige Geschenk deg
Hinimels eintraf Da bezwang ich
meine Scheu, suchte Merzig auf und
bat ihn die Patbenstelle bei den Zwil
lingen zu übernehmen. Und was that
mein etnstiger Schulkanierads Er ließ
mir bei der Kasse siirif Mark anwei
sen! Jrn letzten Winter, da ich wieder
bei ihm vorsprechen wollte, empfing er
mich überhaupt nicht. Jch muß das
Alles genau erzählen, damit Sie meine
Beweggründe besser verstehen. —- Jm
Dezember nun ging ich spät Abends
einmal am Banlhause Fridolin Mer
zig vorüber und bemerkte zu meinem
Erstaunen, daß der Rollladen vor der
Glasthijr zur Hälfte hinausgezogen
war und ims« Lokal selbst tiefe Finster
niß herrschte. Es war schon spät, weit.
und breit zeigte sich kein Mensch, —wie
es lam, ist mir noch heute unbegreif
lich — aber plötzlich reiste in mir der
Gedanke, die Glastkjiir einzudriicken.
Jch hatte nie Vorher Schlechtes gethan,
aber dieser verdammte halboffene Roll
laden übte einen unwiderstehlichen
Zauber aus mich aus, als wollte er sa
gen: Hier ist die Gelegenheit, die Zu
kunft der Zwillinge sicherzustellen.
Wollen Sie nun die weiteren Details
wissen, Herr Kommissar? Jch drang
also in das Geschäft ein und —— den
ken Sie sich nur diese Soralosigkeit!—
icb fand jedes Fach, jedes Lädchen, je
den Kasten unversperrt, selbst der gro
ße eiserne Kassenschrank stand sperr
angelweit offen·«
Der Polizeikomrnissar schüttelte er
staunt den Kopf.
»Und was haben Sie denn gefun
den?«
Das kleine Männchen griff in die
Hosentasche. s
»Ich habe Alles mitgebracht, was ich
aus dem Bankhause geraubt habe, Al
les, bis auf das letzte Papierschnitzek
chen.«
Der Kommissar sprang erregt auf.
»Was, Alles'3«
,,Jawohl, Herr Kommissar! Hier
sehen Sie zweiundzwanzig Mark in
Baar, hier zehn nngezogene Loose von
der vorjährigen Klassenlotterie, hier
ein Türkenloos und zwei Argentini
sche Prioritäten . . «
»Sie scherzen wohl!« schrie derKom
missär. »Es- handelt sich ja um drei
malhunderttansend Markt«
Das Männlen lachte bitter.
,,Dreimalhunderttausend Mark —
proste Mahlzeit! Beim Glück meiner
Zwillinge, Herr Kommissär, schwöre
ich, daß an jenem Abend in sämmtli
chen Banklokalitäten kein Pfennig
mehr zu finden war.«
Der Kommissar machte ein strenges
Gesicht.
»Gehen Sie in sich, Unglücklicher,
und bleiben Sie nicht auf halbem We
ge stehen! Was soll ich denn von Jhren
sonderbaren Reden halten?«
Der Einbrecher schlug seine Hände
in Verzweiflung zusammen.
»Oh, Herr Kommissar, Sie schei
nen mich noch immer nicht zu verstehen.
Haben Sie die Wahrheit noch nicht er
rathen? . . . . Merzig hat den Roll
laden absichtlich offen gelassen, damit
sein Geschäft ausgeraubt werde, und
ich mußte gerade dazukommenl Das
Schicksal hat gerade mich zum größten
Wohlthäter dieses illierjig gemacht,
denn er gewann durch meinen Einbruch
ein Vermögen. Seine Gläubiger haben
ja jeden Auggleich acceptirt und, was
die Hauptsache, der schlaue Merzig ist
ein Ehrenmann geblieben, angesehen
und geachtet in der menschlichen Ge
sellschaft.«
Der Polizeitommissär blickte ihn
mit weit ausgerissenen Augen an, der
Schultamerad des Herrn Merzig fuhr
aber heiter fort:
»Wie gesagt, ich wäre sein größter
Wohlthäter, wenn ich die Sache auf
sich hätte beruhen lassen. Aber das
konnte ich nicht über mich bringen.
Lieber will ich von Frau und Zwillin
gen eine Zeitlang getrennt sein, als
fiir zweiundzwanzig Mart und einige
schlechte Looses diesem Manne zu einem
Vermögen zu verhelfen. . Monate
lang verschloß ich den Aerger in mir,
wer weiß, vielleicht hätte ichs über
wunden-, aber gestern bin ich wieder
diesem Merzig begegnet; er saß in ei
ner Equi·page, stole zurückgelehnt und
tauchte eine furchtbar dicke Zigarre.
Unwillkiirlich zog ich meinen Hut tief
vor ihm ab, doch er zwinkerte noch nicht
einmal mit den Augen. Jn diesem Mos
mente war mein Entschluß gefaßt. Es
ist vielleicht unvernünftig, was ich
ils-ne, mich wird man Vielleicht noch
härter strafen als ihn, doch ich konnte
nicht anders handeln, selbst wenn ich
mich in’s Zuchthaus gebracht haben
sollte«
DierPolizeiiommiffiir schien von dem
Gehörten nicht sehr anaeneknn berührt
zu fein und betrachtete das Geld und
die Loose rnit schalen Blicken. Endlich
aber traten iknn die Umstände in ein
aijnftigeres Licht: die Verbaftnnq des
Bankiers MerZicL die Aufdeckunq des
Schwindels versprach neue Senfa
tion. Er klopfte dem kleinen Männ
chen iovial auf die Schulter und faaiet
»So, mein Freundchem dann wäre
fa Alles in -Ordn11na, nnd Sie werden
nun schön bei uns bleiben.«
Atgekålut
Herr (zum Fräulein): «Seien Sie
versichert, Fräulein, ich tann «l)ne Sie
nicht leben!«
Fräulein: ,,Plaus schen -ie doch nicht,
andere haben doch auch Geld!«
.--...«..
Sprüche-·
Die öffentliche Meinung wird ver
achtet von den evhabensten und von den
am tiefsten gefunlenen Menschen
Ein armer wohlthätiger Mensch
tann sich manchmal reich fühlen, ein
geiziget Kröfus nie