Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, March 24, 1899, Sonntags-Blatt., Image 10

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    pscsisdn
chellette von Will-»Hm Berg-r,
lBreniem
Die beiden Vensinnssrenndmnen sa
ßen noch spät Abends-. als tic ijvriaen
Hausbewohner bereits- fchlsxien ueanns
aen traten, in stiner Schlaszisnmer
am offenen Fenster-. Der Vollmono
schien vom klaren Himmel berats, und
ein leichter Lustzua trua Frühlings
diiste in die Kammer.
«Welch’ himmlische Nacht!« so
schwärmte die schlanke vlonde Klata
Tit kleine, rundliche. braunloctige
Paul-h eine Berlinerin welche in der
Provirzialstadt bei der Freundin zum
Besuch war, riimvfte das tect aufstre
bende Naschm. »Für Eure tleinenVers
hältnisse nicht übel!« gab sie widerstre
bend zu.
Nach einer Weile rief Klara at.g:
»Ja solcher Nacht sollte man gar nicht
zu Bett aehenl Jch weniastens hätte die
größte Lust. durch Wiese lind Wald Fa
schweife-m Es muß tdstlicb sein drau-i
ßen in wonniaer Einsamkeit undStille.!
allein mit der Natur!« (
»Meinft Du?« versetzte Vanla zwei-i
felnd, »die Nacht ist keines Menscheni
Freund. Da birat man sich am besten
hinter wohlverschlosscnen Thüren, zieht
dieDecke über die-Ohren und träumt sich
wohin man will.« J
chra verfolgte itsren Gedanken.;
»Wenn Du nur wolltest!« sagte sie;:
»Mit Du jemals in der Nacht die Nach- »
tiaallen aus den Büschen schlagen hö-l
ren? Dagegen ist ein Konzert in Eu-!
rer Philharmanie Nichts. und wenns
der berühmteste Diriaent dazu den:
Taltstock schwänae."
»Ol-·9!" wehrte die Berliner-in ab«
Jedes Dina in keiner Art! Aber ich
aebe zu—hiibsch muß es sein«
»Denle Dir dazu die Landschust in«
Silbetlislte des Mondes-'s fuhr Klar-J
chen fort, »die Kunde-i der fernen Ber
ae im unaewissen Flimmer, zu anse
ren Füßen der breite Strom wie in-.
Schlafe hinfließkndl Es ist himm-l
lisch.«
l
(
»Und wir Beide arm-: allein auf We
pen, die kein Nachtwächter jemals he
schreitet! Wo hi Tter jedem Busch eirs
Streich hervor-sprinan kann! ;,chi
lätne vor Anast nicht von der
Stelle."
Klara lachte »Du Hafenherzl Au
ßerhalb der Statt wacht teine Seele
mehr. Haft Du denn nicht ein bischen
Luft, aus dem Schlendrian des All
iaaslehens einmal einen Schritt in dies
Romantil zu thun? —— Meine Eltern«
schlafen, und das Mädchen auch. Wennl
wir unsern Wea hinaus durch Hinter-!
thiir rnd Seitengana nehmen hört uns-;
Niemandf j
Paula fing an, den Einfall derl
Freundin aar nicht fc übel zn finden.
»Versucherin!« erwiderte sie nachge
lsend, »wenn Du die Verantwortung«
übernehmen willst-—- .
»Gem! Doch laufen wir nicht die,
mindeste Gefahr Du lieber HimmelJ
toder sollte die wohl kommen? —- Jn
einer Stunde find wir zurück.«
Da fügte sich Paula.
Fünf Minuten später standen dies
Mädchen auf der stillen Straße. Der·
hochstehende Mond warf die Schattens
der fpitzgiebligen hör-set mit scharfen
schwarzen Rändern auf das holperie
Pflaster. Kein Fenster zeigte rneiirtl
Licht; kein Geräusch ftörte den ZaubeJ
in den die Frühli ngsnacht die alteStadtk
eingesponnen hatte. s
Schweigend, Arm in Arm, nahmen-;
die Mädchen den nächsten Weg aus der«
Stadt hinaus in’s Freie.
»Hier sind wir am letzten Haufe«,
berichtete Klara nach fünf Minuten
»der Pakt daran zieht sich noch eine.
Strecke weiter hin, dann liegt die Welt
offen vor uns. —— O dieser Part!« fuhr
fee sinnend fort. »Ich habe einst darint
ein Abenteuer erlebt ——— s
,,Einst?« fiel Vaula ein. »Du tbust
ja, als ob Du schon Großmutter wärst!
Sehr lange tann es Doch nicht her
sein!« s
»Ein-a sieben Jahre. Damals lebte
in diesem Hause eine Frau von Hage
’dc-rn mit ihrem siinfzettniiibrigen ein
igen Sohne Otto. Sie war eine selt
Linie Frau, bie jeden Verkehr mied.
ucb ibren Sohn hielt sie siir zu gut«
um ihn mit Stadtgenossen in Berühsi
rung kommen zu lassen. Sie gab ihm
einen Hauolebrer, einen Theologeky der
aus eine Pfarre wartete. Aui Ietj
Strqze sah ich Otto von Hagrborn zu-;
weilen, wenn er neben seinem Herrn
lLeindibaten lamrnsromni einberging
und aus seinen brauner-, Augen neu-,
gierig unsere Spiele beobachtete Wir
alle bemitleideten ihn; wir sahen ihm
an, wie gern er mit uns getobt hätte.!
Und da gönnte man ihm nicht einmal
einen Kameraden, sondern hielt ihn
wie einen Gefangenen in dem unheim
lich großen Hause, beständig unter
Bewachung —ch habe immer mit allen!
Leidens-en itleib gebebt, und dass
Schicksal des armen Knaben ging mir
seh-e zu Herzen, so daß meine Gedantenz
sich viel mit ihm beschäftigten s
Da begab es sich an einem August-.
abend, baß ich allein an ber hinteren
Gattennraner entlang ging. Wir wer-H
den sogleich aus denselben Weg sont-s
men. Plößlich wurde ich von derMauer«
gab an erusen: »Du, balte ’mal
tne ürze aus; ich will Dir ein
paar schöne Birnen bineintoersen.« —!
CI war Otto von Hageborn.«
»Und Du nahmst die Bienean
Patria.
usw« Mk« Hi stri» Näh-Mk
a ca , o g r r e r
i: Its-. Als ich mit meinem
« Wntrippelte, ries Otto mir
, : » um diese Zeit kannst
Q- W f «. Das merkte ich
mir und stellte mich pünktlich wieder
ein. Diesmal wartete Otto aus mich
in der offenen Pforte, nahm mich bei
der Hand und zog mich in den Pakt
hinein. Zuerst war ich scheu und
genirte mich, den Mund nuszutlkun
Das dauerte aber nicht lange, da er
lmit mir sprach, wie mit einer alten
IBelnnnterr Da lies: ich meiner Zunge
'steien Lauf. Was-·- hat er mich nicht
Alles gefragt, während er mich mit den
Fschönsten Früchten trattirtel Ihn dür
jstete förmlich nach Kenntniß von der
IAußentvelt. Was ich dummes Gäns-;
Ietken davon einstimmig muß ihm wolilJ
imponirt haben: denn er lud mich ein«
um nächsten Abend tviederzutommen.« «
Paula schüttelte bcdenllich den Kors.
»Und das ihatest Du?«« l
Klara nickte. »Hu-end nach Abend
schnika ich in die Pforte einend
Dann versügten wir uns meist ini
einen Pavillon, der in der Nähe stand«
nach dem Haufe zr hinter Bäumen thot
Buschwert verborgen. Dort schwatz-«
ten wir mit einander von Allem wag«
uns drückt-. Du ischstP Ich versichkkei
Dir, es ging sehr ernst zu zwischen unz·
Beiden. Jch freilich hatte nur kleines
Kümmernisse zu beichten, aber Otto
strömte über von Klagen. Unerträgsi
lich war ihm der Zwang, den er erdul
den mußte. Er langweilte sich zum
Sterben. Bald ossenvarte er mir seine«
Lieblingsidee. Er wollte seine Spur-«
biichte cis-plündern und heimlich ausz-i
1iicken. Nach sernen Ländern stand sein
Sinn; es trieb ihn, Etwas zu sehend
Etwas zu erleben. Es schien ihm bit-,
terer Ernst damit zu fein, und ich
erschrak nicht wtnig. Unter Thränen
flehte ich ihn an, er möchte doch se
etwas Dammes nicht thut-, bis er mirs
endlich versprach, er wolle noch eine
Weile ausharren.« l
»Und wie lanqe dauerte dies interes
sante Obsivkkkzdimiß2« I
,,Ungesi-hr drei Wochen; dann nahm«
es ein Ende mit Schrecken Eines,
Abends erschien plötzlich auf der’
Schwelle des Pndiüons Otto-T- Oeitreni
Jn dein Halddunlel sah er aus wie ein.
Gespenst, in seinem langen schwarzen
Rock, der liigs unter’—:- Kinn ;ugetnöpst’
war. Ich schrie laut cis: doch ders
Herr Kandidat schenkte snir teine
Beachtung, sondern donnerte auf den
armen Otto log, cilk ob e: der ärgste
Sünder sei, den jc die Erre getragen
hobe. Und weshalb? Nur, weil er in’
seiner Bereinsamung ein tleineg MiidJ
chen zu seiner Kameradin gemacht
hatte! —- Jch schielte aus Otto: er stand
troyig hinter seinem Stuhl und hielt
mit beiden Händen die Lehne umtlami
meet. Da ergriff mich die Angst, er
möchte sich tlfsiitlich on seinem Peini
get vergreifen, und ich rannte davon,
dicht an dem schmerzen Herrn vtrdei.
Während ich zu: Pforte lies, hörte ich
noch immer seine Stimme; plötzlich aberi
folgte ein Schrei nnd dann wurde hin-«
ter mir Alles still.«
»?Int’9 hintmelz willen! —«— Was
toar gesckxheni«
»Genaues hah’ ich nie erfahren.
Einige Tage später erzählte man sich
in der Stadt, Ottr von Hagedorn seit
in eine Erziehungscsnstalt geschickt wor- ’
den« nachdem er seinem Lehrer ein Loch
in den Kon geschlagen hatte.« I
»Und Du hast ihn nicht wiederge
sehen?«
»Crst im vorigen Jahre auf der»
Straße. Seine Mutter war gestorben«
und er tam zu ihrer Beerdigung »s
zum ersten Mal, seit er das Haus ver-.
lassen hatte. Er kannte mich nicht oder
wollte mich nicht iennen.«
Inzwischen waren die Mädchen his«
zur hinteren Gartenmauer des don.
Hagedorn’schen Besitzthurns gelangt.
Vor der Pforte blieb Paula stehen«
»Als-) dies ist der Eingang zu Deinem
verlorenen Jugenddaradiese? Möchtest
Du nicht einen Blick hineinthun?'« s
Sie drückte die Klinke nieder. Zu
ihrem nicht geringerl Schrecken gab die
Tbür ihrem leichten Druck nach und
schwang mit leisem Knarren in dkn
Angeln zurück. .
Die Mädchen flohen über den Wegzi
doch regte sich Nichte jenseits der
Mauer. Da gewann die Neugier die
Herrschaft über Paula Mit kleinen
Schritten ging sie wieder zu dem er
schlossenen Eingang hinüber. i
,,Jnncn steckt der Schlüssel«, berich ’
tete sie, »der Verwalter wird vergessen:
haben, abzusttsließen « I
Klara kam langsam herüber und
nagte einen Blick it« den Part. «
»Wie die Bäume gewachsen sind!«
sagte sie. »Aber auch Ovser sind gefal
len: dort streckt sich ein modernder
Stamm auf dem Boden: der preu
bat ihn noch nicht ganz erfüllen kön- i
nen. Und dort oben blinken table Lleske
blank und bleich im Mondenschein
Denen hilft kein Frühling rnebrt —
Ob der Papillon wohl noch siebt? Der
Pfad führt geradedwegå zu ihm "
Paula trat in den Parl. »Komm .
nur rnit«, want-te sie sich zurück
»Ffrische Deine süßen Erinnerungen
an .'·
Einige Sekunden stand Klara tin-.
fchlüssig. Dann aber, als ihre gekenn
din mittbig vordrang, folgte sie i und
drückte hinter sich die Tini-e zu.
Der Papillen lag kaum hundert
Schritt entfernt. Er zeigte teine Spur
von Verfall, und in seinem achteckigen
Ritter-return standen noch die alten
öbel in der Klara bekannten Orts-.
nun
ärltsamP rief sie ans und trat
each chhinein, «ei feblt nur das Körb
chen mit Obst dort auf dem Tische,
sonst ist Alles so, wie es früher
E wars-eins es nur« sa te Paulu, »Du
III Mk ienetse bis zur
. wart gesponnen —- still und
Iheimlich ganz in der Tiefe Deines
fclmsärmerischen Herzens-. Der Knabe
mit den braunen Augen liegt Dir noch
im «Zrnn.«
Sinnend blickt-Filum csuf das junge
Land, dass Draußen im kalten Mond
llicht der Sonne wartete, um fröhlich
weiterzutreiben
Jn der Nähe begann eine Nachtignll
leise zu schlagen.
»Mich durchschauert e5«, fliisterte
Klam. »Was ich hier erlebt habe --—
ja, es hat mich seitdem verfolgt. Im
mer wieder habe ich mir vor-gesagt: es
tann nicht verloren fein. Saaten, vom
Schicksal ausgestreut, müssen aufgehen.
Menschen, wunderbar zusammenge
fiihrt, die sich in Sympathie erfaßt
haben, müssen fich wiederfinden Das
if: mein Glaube, daz ist meine Hoff
nung.«
Die nüchterne Paula schwiea betrof
fen. Solchem Fluge der Phantasie ver
mochte sie nicht zu folgen. «
Jn diesem Augenblick knurrte ver-;
nehmlich die Pforte; gleich darauf fiel(
sie in’g Schlon und der Schlüssel lvurdel
abgezogen
Erschrocken llamerte Klar-a sich an
die Freundin: »Wir sind gefangen!'«
Paula nahm all« ihren Muth zu
sammen. »Schlim!n tann«s·:« nicht wer
den«, sagte sie leichthin, »der Verwalter
bekommt ein Trinlcseld, läßt uns bin
aus und ichtoeiat.«
Der vermeintlichr Verwalter beeilte
sich nicht sonderlich. Von grinrmiger
Natur schien er nicht zu sein. denn er
summte ein Liedchen vor sich hin. End
lich aber gelangte ei doch in die Nähe
des Padillons und bemerkte mit Stau
nen die beiden seltenen Vögel, die sich
dort geborgen hatten
»Welch’ Verhängniß!« seufzte Klara
leise. »Es sit Herr von Hagedcm sel
den«
An der Schwelle deåPaoillong hielt
der Eigenthümer des Paris seine
Schritte an, liistete höflich den Hut
tsnd fragte sarlastiseh: »Die Damen
haben sich wohl verirrt?«
Alma konnte tein Wort hervorbrin
Seil.
»Nein, rneitI Herr«, er:vidertePaula.
»Wir waren einfach neugierig. Die
Pforte stand ossen, als wir aus nnse
tem Spaziergang roriibertarnen. Da
rislirten wir einen Eint-euch ans Ihren
Grund nnd Boden. Bitte verzeihen Sie
uns und lassen uns wieder hinaus.«
Dazu schien indessen Herr von Hage
dorn keine Lust zu verspüren. Er lehnt:
sieh bequem an einen Pfeiler des Papil
lons nnd- betrachtete seine Gefangenen
Nach einer Pause sagte er: »Die jungen
Damen der Stadt find ja sehr unter
Iehrnend geworden. Sind bei ihnen
vielleicht Niondscheinsspaziergänae zu
Zweien in die Mode gekommen«
Keine Antwort.
»Wenn ich nun grausam lväre«.'«
fuhr er fort. »Wenn ich meiner Wege
ginge und ülierliesze Sie Ihrem Schick
sale? Oder ich nähme Sie und hielte
Sie einstweilen in Gewahrsam?"
»·Quälen Sie uns nicht, Herr oon
Hagedorn", bat Mart-.
Ungeriihrt erwiderte er: »Ich bin
doch ein Glücks-pilz! Raum bin ich aus
meinen Fahrt-en iiber die Erde wieder
einmal aus meinen-. Erbe angelangt, da
bringt mir gleich die erste Nacht dies
allerliebste Abenteuer! — Maiwur
dig! Dieser Pupille-n muß Etwas von
einer Mädchensalle an sich haben. Schon
vor Jahren hat sich einmal ein tleines
lüsternes Mäuschen darin gefangen.
Damals freilich Hab'-Z noch Birnen und
Pfirsiche als- Rodeck«
Einpiirt saaie Klarat »Dieses Mäng
chen bin ich gewesen, Herr von Hage
Vorn-"
»Was- Zie ssaenk Zeit lkätte Sie
nicht wiederertannk Wenn id-, mich
recht erinnere, nannte ich Eie- Damals
Märchen. Leider nahmen unsere klei
nen Lvstoraien siir mich ein schlimmer
lsnde Aber daz- wird Ihnen wohl
schwerlich mehr erinnerlich sein. Jn
Ihren Jahren ——— wer denkt da noch
an Rinde:streiche!« E
Klar-a hätte treinen mögen. »Sie
irren sich-'s sagte sie heftig, »n1ein Ge
dächtnisz tst sticht dar grcbe Sieb, dar-«
Sie sich darunter vorstellen. Ich have
den einsamen Knaben nicht vergessen,
dem jede Gesellschaft, sogar die meinige,
ein Labsal :var.« g
Otto von Hagedorn sah sie verwun
dert an. »So bedenklich hätte es zu
jener Zeit in mir ausgesehenf Ihr
Wort in Ehren, mein Fräulein aber
sollte olslzre Beobachtungsgade damals
wohl schon so »weit entwickelt gewesen
sein« urn die Dinge so sehen zu tönnen,
wie sie wirklich waren?«
Der Sartasrnuz der- Jugendform
des verwirrte Klam. »Sie sind am
Ende auch im Stande, mir avzustreis
ten, daß Sie d’rans und d'ran waren,
durchzusvrennen!« gab sie gereizt zu
rück.
»Der erste Thatendurst im se.hszehn
jährigen Knaben treibt mitunier wun
derliche Blasen hervor«, belehrte hage
dvrn sie lachen. «Meist zerplatzen sie
so schnell, wie sie gekommen sind, und
dann pflegen sie vergessen zu sein.'«
Noch immer liesz Klara sich nicht von
Beet vargesa ten Meinung abbrin en.
echthckberis sagte sie: »Und as
Attentat, das Sie aus Ihren Lehrer
verübten —- war das vielleicht auch nur
ein Gebilde meiner Phantasie?«
«Det arme Kerls« tief Hagedorn
aus. »Mein Jähzrsrn hat ihm eine
tüchtige Schmaree aus der Stirn ver
schasst. Abzergejsein Schmerzens eld ist
reichlich an allen. Meine uttet
feste ihre Verwandte in Bett-e ung und
ermitteite eine leidlich gute arre stir
ihn, oda er endlich heirai n konnte
de i kürzlich noch besucht. Er
der spindeldilrre Mann nicht mehr,
als den Sie ihn kennen, mein Fräulein
Die Pastorin hat ihn wunderbar het
auäqepilegi Und was die Hauptsache
ist: er ist zufrieden mit der Welt gewor
den, wie sie nun einmal ist. Das iit
die Grunddedingung siir ein tleidsa
nie-i Einbonpoint lind seine Bauern
wiederum sind Zufrieden mit iden. Ich
dente also, das Attentnt, dessen zu er
wähnen Sie die Giite hatten, iit ihm
nicht schlecin bek onnnen."
Nun hatte Kian geni. g Kleinlaut
sagte see: »Ich habe mich in Allem ge
täuscht, daß ich mich vor ihnen schäme.
Haben Sie jetzt die Güte, uns zu ent
lassen.«
Einen Augenblick zögerte Otto vcin
ihaaedorn ,·Sei,c.de, daß Sie solche
Eile haben, meine Damen, da doch vie
Nacht nzch so Ianc ist« sagte er dann
sironiseL »Und wir unterhalten uns
ja so vortrefflich! Aber wie Sie
wellen- Ich werde Sie durch das Haus
führen, dadurch sparen Sie sich einen
ilmkven.'«
»Nein nein!« tief Paula qeängitiat.
»Bitte, öffnen Sie uns die Pforte!«
Hagedorn lachte keluitigt »Ist es
auch Wiesen bei Ihnen, daß Sie da hin
aus miiiiem wo Sie bereinaeichliipft
sind? — -- Dann teinsnen Sie!« »
Er gina voran, ohne sich um die
nachfolgenden Mädchen weiter zu be
lärnmern
Nachdem er die Pforte mit Aploxnb
sperrangelweit geöffnet hatte, stellte er
sich mit gezogenein Hut an die Seite des
Weges-, um die beiden unaebetenenGäste
passiren zu lassen.
,,Kornrnen Sie wohl nach Haiise!«
sagte er, als sie griisiend an ihm vor
iibereilten »Und empfehlen Sie mich
Jhren Eltern!« -
Die Pforte schloß sich wieder; im
Parl oerhallten die Schritte des Einen-;
thiirners. s
Die Mädchen standen still. »Um-ers;
schämt!« stiesz Pauln hervor und
stampste mit dem Fuße aus. »Wosiir
hält sieh dieser junge Mensch, daß er
gewagt hat, seinen Spott mit uns zu
treiben-« !
Klarn antwortete nicht; sie weinte
still vor sich hin.
»Was hast Du ?« fragte Paula.
»Na --— nnst Du Dir das ni—«—-— cht
denken? ----— J«—ich bin reich ausgezo-«
gen und a arm lehre ieh wieder zit-·
rüst.« !
»Weil Dir da drinnen eine Illusion
abhanden gekommen ist? Nimin’"g
doch nicht so tragisch! Was hilft·«5?«
»Du hast »aus-—«—ut reden. Jch wiinsclsz
Dir nur« das-, Du l-———«eine Erfahriinns
machst wie so -- soeben ich. — eh im »als-:
meine e—--erste Liebe hear-n en. Mein
Vesper-i ist todt. Lich, Paiila!"
Und sie umfing mit beiden Armen
die erstaunte Freundin iind schluchzte
sich an ihier Schulter aus.
-——-—-.«...—-·
staunten
Aut- deni Iranzösischem srei nacher
zählt von Marie Haasr.
J.
Fasttag war ein Spihname, und
zwar ein ungemein treffenden Lang
ivie der Tag vor Johanni und durr
wie eine herrenlose Katze, sah der arme
Tropf mit seinem aschgrauen Teint,
seinen hohlen Wangen und tiesliegen
den Augen wie der personisizirte Hun
gcr aug.
Er hatte sich wohl noch nie in sei
nein Leben so recht satt gegessen, und
der Appetit seines fünf-zehnjährigen
Magens- wurde durch das bestandige
Fasten nur noch verschörst.
Unser Fasttag war Küchenjunqe und
Lausbursclie iin »Goldenen Fasan«.
Welche Tantaluöqiial sür einen leeren
Magen! Sein Herr, Meister Thiebert,
ein hartherziger, geiziger Mann, maß
seinen Untergebenen gar magere, kärg
liche Bissen zu, und so verließen ihn
denn auch alle seine Diener, sowohl
zweit-einige wie oierheini e, gar bald,
die Einen unt vortheilhei tere Dienste,
die Anderen, um in eine bessere Welt
ein-umheu
Nur Fasttag allein hielt treulich aus
seinem Posten aus und tonnte es in
seinem dankbaren Herzen nimmer ver
gessen. daß Meister Thibert ihn eins:
von der Straße ausgelesen hatte, was
ihm übrigens ost und hart genug vor
geworfen wurde. Nöthig wäre dies
nun freilich nicht gewesen« denn der be
scheidene Kücheniunge war edelsinnig
und glaubte, weder durch die tausend
Dienstleistunqen, die er seinem Herrn
erwies« noch durch die reichlichenSchlä:
»o,e, die ihm dieser verabsolate, das täg
liche spärliche Brod bezahlen zu tön
nen.
Melancholischen Blickes drehte er ne
duldia und ergeben tagein taaaug den
Bratspieß, an welchem aetrüsselte Fas
sanen, gemästete Kapaunen oder ge
stooste Enten sich spreizten Ein an
der Mal wieder hals er dem Koch die
saftigen, wohlschrneclenden Pastetchen
bereiten. denen der »Goldene Fassu«
seinen Rus und die vornehme Kund
schast der Hostavaliere verdantte.
N
sei·
»Schnell, Lümmel, trödle nicht! Tra- l
ge diese Pastetchen, so slint und sorg-»
sältig Du nur tannst, sum Herzog von
Burgund, er bewirthet heute seinenVet
ter Orleans, vielleicht erlangen wir
auch de en Kunssehast Versäume
Dich ni t unterwegs, denn der Ober
toch wünscht die Pasteten zwei Stun
den vor dem Diner!«
Meister Thibert stellte den kostbaren
Korb dem ringen eigenhändig aus den
Kops und olgte ihm mit den Blicken.
War es doch das erste Mal, daß er ihm
solche wichtige Mission vertraute, doch
ihn-:- ihm nichts and-us iiokig, da vie
Ibeider-. anderen Burschen Tags zuvor
das Haus verlassen hatten. ,
! Der arme Knabe mußte gar teht
;Acht geben, denn es war um die Fa
fchingszeit, und alle Augenblicke bekam
er Püffe von den Masken, die sich jah
lend und lachend in denStraßen drang
ten. Bald tanzte und heulte eineBans
de Sarazenen um einen Riesen, bald
schwangen Jndianerftömme dieFackelm
ganz uneingedenk der entsetzlichen und
noch fo neuen Katastropbe des Ball
brandes, welche drei jungen Edelleuten
das Leben nnd dem unglücklichen Kö
nig den lebten Bernunftfchimrner ge
kostet. Dann kamen Zauberer mit spi
tzen, hoben Mützen und fternbefätenTa
laren, Jäger, Fischer. Gaukler, Narren
aller Art. Auch weniger harmlose Ge-.
italten zogen heran, die bewaffneteru
Parteiaiinger der Burgunder und QH
han«-. die fich jedoch gliicklicherweifei
mit leeren Drohungen beaniigten, dai
ihre Herren Friede geschlossen und auf
die Vermittelung des Herzogs von Ber
rn bin vor den Augen des Volkes ge-l
meinsam kommunizirt und dann ans
derselben Tafel gefpeift hatten.
Ganz Paris schwamm in Wonne,
glaubte man doch endlich das-Ende aller
Zwiitiakeiten gekommen.
Mübfam bahnte sich Fafttag feinen
Wea durch die bunte Menge, und als
er an der Briiekr. die zu dem Palast des
Herzogg führte, ankam, feste er, um ei
nen Moment auszuruhen, feinen Korb
auf einen Stein« Sei es nun, daß der
betäubende Lärm ibn verwirrte, war
es Hunger, Ermüdung· oder wirkte all
dieer zufammen. kurz es ergriff ihn
plöklich eine Art Erstarrung, feineGlie- I
der veriaaten den Dienft, und er fiel
olmmächtia zu Boden.
3.
»Seht, seht, da bat Einer dem Ba
chug zu start gehuldigtl« ries eine la-.
chende Stimme, und der Besitzer dieser
Stimme versetzte dem armen Jungen
einen Fußtritt.
»Der Schlummer iibermannte ihn«
bei der Mahlzeit,« meinte ein Anderer»
den verlossenen Korb erblickend. -
»Wetsen tvir ihn in’"H Wasser, da
wird er wohl erwachen!« scherzte ein
Dritter.
»Bitte, gnädiger Herr,« nahm te:;
spektvoll jetzt Einer das Wort, »bitte.»3
der Knabe schläft nicht, er ist ohnmiich-«
rig!«
»Ohnmächtig! Nun, Karl, so lassel
ihn zur Ader, wenn Du eine Lanzettez
bei Dir hast.,dao ist ja ohnehin Dein?
Geschäfts«
Ein schallendeg Gelächter begrüßte
diesen Witz. Etwa ein Dutzend rother.s
gelber, schwarzer, grüner Teufel um
stand den armen Knaben, doch Der,
welcher Karl angeredet worden war,
kniete neben ihn nieder.
».Je! Das ist in unser kleiner Fast
tag.«
«Fasttag?s Na, das nenne ich einen
passenden Namen!«
»Ja« wahrhaftig, Eueanaden, denn
sür ihn ist das ganze Jahr Fasttag;
und wenn wir ihn hier vor uns aus der
Erde ausgestreckt sehen. so ist dieses
sicher ein Zeichen von Noth und Ent
krästung.«
»Zum Kuckuckl Er hat doch die sein
sten Bissen da in dem Korbe, um sich
iu sättigen!« ries ein rother Teufel, den
Deckel des Pastetenlorbes lästend.
»O. ist er unfähig, zu naschen!'«
»Du kennst ihn also, Kark?«
»Jeder Student lennt ihn, Herr!
Ei- ist der Küchenjunge, Bratenrvender,
Aschenduher und Schmerzensreich ders»
Meister Thibert, Wirthe zurn »Gemei
nen Fasan«, dessen Wirthschast in ver«
Nachbarschaft der Universität liegt.
Der alte Filz, welcher so ausgezeich
nete Küche führt, läßt diesen armen
Tropf fast hungeo sterben und verbietet
ihin dabei noch aufs Strengste, je et
was von Anderen anzunehmen, wel
chem Verbot der arme Junge so genau
nachkommt, daß er bei jeder kleinen
Gabe, die man ihm aus Mitleid bietet,
»Ich habe keinen Hungeri« antwortet.«
»Meiste: Thiebert ist ein herlnnkel
und Dein Fasttag ein Esel! Nun, eri
soll heute satt werden! Werke ihn noch
nicht; nehmt ihn, Jungens, tragt ihn
in meine Wohnuna.« I
»Und den Korb?
»Den auch!’«
»Die Pasteten sind sitr den Herzog
von Burgund bestimmt, sein Wappens
ist daraus!« i
,,Desto besser!" ;
4. J
Als Fasttcg die Augen öffnete,
glaubte er sich in einem Traum zu be
finden.
Er lebnte in einein weichen Armstuhl
vor einer reich gebraten Tafel, die sich
in einem lichtsuntelnoen, prächtig ge«
fchtnückten Saale befand.
Teufel in allen Farben waren um
ihn beschästigt, banden ibm die Ser
viette um, präsentirten den Wein,
reichten ihm goldene Wassertarassen.
«Heilige Jungfrau! Jch bin todi!"
dachte er.
Und da er dem Blicke eines grünen
Teusels, der ihm gegenüber saß, begeg
nete, so bekreuzte er sich andachtsvoll,
um die bösen Geister zu verjagen; doch
der Teusel rührte sich nicht, auch misch
te sich weder Schwefel, noch sonstiger
Höllengeruch in den Dust der herrlichen
Speisen, die vor ihm standen.
» sil« befahl der eline Teufel·
« ch habe keinen sungerN stannnels
te Fasttag pslichtschuldigst, obgleich
seine Miene i n Lügen strafte. »
» »Ist« wie erholte sein höllische-.
Wirth gebieterrsch. s
Was thun? Der arme Tropf war
in größter Verlegenheit. Dem Deren
Satan Trotz bieten, war gesäbrlich,
ihm gehorchen war es nicht minder,
sürchtete er doch nicht nur den Zorn
Meister Thiberth sondern auch den
Verlust seiner eigenen armen Seele.
Die Versuchung aber war groß. Die
Speisen hauchten verführerischen Duft
aug, die Weine leuchteten gleich flüss
sigeni Rubin in lrnstallrnem PotaL
Der Böse blieb bei seinem Beseht
Hof-s der Fuchs! Und Fasttaq nainn
mutbig den ersien Gang in Angriff.
Die Schüsseln drängten eine die an- s
dere, die Weine flossen, Vorschneider
und Mundschent thaten ihre Pflicht,
und Fasttag aß und trank wie noch nie
in seinem Leben; solcher Schmaus
war Elan niemals vor den Schnabel ge
kommen.
Endlich konnte er nicht mehr.
»Ab! Nun bade ich doch einmal mei
nen Hunger gestilltl'«
»Bist Du satt?«
»Volltonnneu, Herr Teufel, oder
Euer Gnaden« oder wer Ihr sonst seid!
Jch werde weder Euch noch EureMahli
zeit jemals vergessen!«
»Also einen letzten Becher auf mein
Wohll«
»Aus Euer Wohll«
Er leerte den Becher bis aus den
Grund.
·Bald jedoch wurde sein Kopf schwer,
seine Lider schlossen sich. und schlafend
sank er in den Sessel zurück.
s.
Fafttag erwachte, rieb sich die Au
gen und sah um sich. Er war allein
auf der Brüde, und neben ihm stand
sein Korb.
Die Nacht war angebrochen, die gol
denen Sterne funtelten am Himmels
zelt und spiegelten sich flimmernd im
tiefbtauen Wasser.
»Wie sest ich geschlafen habet Und
wie geträumt! Wie herrlich geträumt!
O, könnte ich’doch oft so träumen, mein
Magen ist ganz voll und warm!«
Jedoch plötzlich fiei ihm ein, das-, es
spät sei. daß er lange geschlafen haben
müsse. Er zitterte, die Zeit versäumt
zu haben, und ohne eine Minute zu ver
lierrn. eilte er nach dem herzoglichen
Palast.
»Endlich kommst Duk« empfing ihn
grollend der Obertoch ,.Schnell. die
Tafel ist längst gedeckt, und die Gäste
harren!"
Er ordnete die Pastetchen zierlich aus
einer silbernen Platte und trug ste« von
einem Diener gemeldet, eigenhändig in
den Speisefaal
Fasttag wollte soeben feinen leer-g
Korb nehmen und davon gehen, als
plötzlich der Gastgeber in die Küche ge
stürzt kam, den Knaben beim Ohr
nahm und schrie:
«Schuft! Diebs Was hast Du mit
meiner Pastete gemacht?«
»Mit welcher Pastete?«
»Mit meiner, welche die herzogliche
Krone trug, und die Du gegessen hast!
Taugenichtss Tagedieb! Schust! —
Schurlel«
Und die Schläge hagelten nur so aus
das arme Kind, das sich nicht zu ver
theidigen wagte, denn ein schreckliches
Licht war ihm aufgegangen -—— er stand
vor dem Herzog Johann von Burgund
selbst, und bebend fiel er dem Prinzen
zu Füßen.
»hast Du die Pastete gegessen?-«
»Ja, Euer Gnaden, aber ich schwöre,
es geschah im Traum!«
Schluchzend versuchte er seine Erleb
nisse zu erzählen. Johann von Bur
gund jedoch gehörte eineswegs zu den
sanften, leutseligen Fürsten, sondern
zur Sorte der schwarzen Douglasfe, die
erst hängen und dann richten; und so
unterbrach er denn auch den unglück
lichen Küchenjungen rauh und hart:
»Willst Du Dich vielleicht noch über
mich lustig machen, Kerl? hedai Nehmt
den Lumpen und hänst ihn an den
höchsten Galgen, ich wi ihn träumen
lehren!«
»Gnädiger Herr« hören Sie mich, ich
beschwöre Stel« »
Fasttag rang die hande und erhob
bittend den Blick; da entfuhr ihm ein
Schrei, fein Auge war auf den grünen
Teufel gefallen, der neben detn Herzog
stand.
»Das ift er!« rief er. »Ich erkenne
ihn, er befahl mir, zu essen!«
Der Teufel demaistirte sich und sprach
zu Herzog Johann:
«Lieber Vetter, begnadige diesen
Jungen, ich bin der Schuldige!«
»Dir zu Liebe herzlich gern, mein
Vetter, ich bin froh, Dir einen Beweis
unserer neu aeschlosienen Freundschaft
qeben zu tönnen!«
Der grüne Teufel war aber teiu Ge
ringerer ais Ludwig von Orteans, des
Königs liebenswürdiaer Bruder-, ein
heiterer junger Prinz, wie die Chronik
berichtet. ,
» Utn nun den armen Burschen für den
ausgeftandenen Schreck zu entschiidi
gen, bat er Meister Thibert, ihm den
selben abzutreten, was dieser denn,
wenn auch höchst ungern, that; sind die
Bitten eines Prinzen doch Befehle!
Fafttag verließ feinen neuen Deren
nie mehr
Ein Jahr nach jener berühmten Ver-s
föhnung wurde Ludwig von Oeleans
auf derselben Straße, neben demselben
Palast verrätheriseh ermordet lam Lit.
November l407).
Von all seinen Dienern hielt nur
sein jün ster Knappe bei ihm Stand
und vert idigte ihn, bis er selbst, von
einem Schwert durchbohrt, mit dem
Rufe »Mein guter herrl« über dessen
Leiche fiel.
Dieser treue Knappe war Fa tag.
Er hatte ein gutes Abende en mit
seinem Leben bezahlt.