Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, January 20, 1899, Sonntags-Blatt., Image 14

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    Der Todke non Hnrrnr
Island.
Yoman von häW Shch
I
III-v s-—.,
(13. Foreses-du«
»Von mirs« O, mein Schicksal isl
so wenig freundlich. von dem Ihrigen
so himmelweit sein« was Sotglosig
leii nnd Freuden anbetrissl, daß ich
eIhnen nur die Feststimmung oerdet- ;
sen würde, wollte ich Ihnen von mit z
etzählen.«
»Und doch bin ich so kühn. ein wenig
in dieses schmekzvolle Dunkel eindrin
gen zu wollen. Es geschieht indeß nicht
aus Neugier, sondern weil mich alles,
alles interessirt, was Sie betrifft. —- s
Leben Ihre Eltern noch, Fräulein Su
sonne?«
,,Meine Eltern-" — Das junge
Mädchen schlug mit wehmüt «gem
Ausdruck die Augen empor. — » leine
Eltern? Sehen Sie. schon diese Frage
vermag ich Ihnen weder mit ja noch
nein zu beantwrrien Ich vermuthe,
ich glaube bestimmt, daß meine Eltern
todt sind, aber —- mein Pflegevater,
ein wackerer, einfacher Mann, fand
mich als fünfjährige-S Kind weinend bei .
Nacht auf der Straße umher-irrend.
Niemand vermochte ihm auf feine Fra
gen Aufklärung über mich oder meine
Angehörigen zu geben: da nahm der
edle Mann mich heim zu feiner Frau,
und die guten Leute erzoaen mich zu
sammen mit ihrem eiaenen Kinde.«
»Und niemals ward Ihnen später ’
eine Kunde von Ihren wahre-i El
tern?«
»Niemals.-— Sie beareifen, Herr
Baron, daß das ein Schatten ist, der
auf mein ganzes Leben fällt. Das
Dunkel meiner Herlunft ist nicht zu
veracssen.'« »
Rheden schüttelte den Kopf. .Es ist i
vergessen, wenn man Sie. Susanne, «
erblickt und kennen lernt. Es giebt s
Zöge, welche nicht lüan können, einen l
Adel der Gesinnung, der unserem Blut «
entspringt, mithin ein Erbtheil von
Listen Eltern, uns überlommen, bil
Oberländer näherte sich auf einigen
Umwean der Thür und schlürfte un
bemerkt hinaus-.
»Susanne, Sie sind des bravsten
Mannes werth.« flüsteete Rheden,
»und heute lassen Sie mich Ihnen auch
erklären, was mich damals. als wir
uns im Thiergarten trafen. und ich -
Sie zum ersten Male erblickte, so sehr "
überraschte, welche Aehnlichkeit ich in
Jhrecn Antlitz zu finden alaubte. Ein
merkt viirdiaer Zufall führte mich einst
weit von hier entfernt. an eine schauer
volle Stätte des Todes. Jch fand die
Leiche eines Mannes und nahm sein
Bermiichtniß entgegen. Es bestand ·.n
der hauptsache aus nachqelassenenAus
zeichnunaem die sich nebst einer Photo
graphie und einer Lacle in einer alten
Brieftasche befanden. Die Photogra
phie stellte die Frau jenes unglücklichen
Mannes vor, und in ihrem weichen,
sanften Madonnenantlin, dessen Aus
druck ich mir nnauslöschlich sest in
mein Gedächtniß eins-käute, fanden sich
gewisse Züge, welche ich in Ihrem Ant
litz wideraespiegelt sah.Die kleine blon
de Locke aber war vom Haupte seines
Kindes, und die Papiere nannten den
Namen jenes Kindes, eines Mädchens
— es hieß Susanne."
«Susanne?·· slüfterte das Mädchen«
,.rnein Name, den mir nicht meine Pfle
geeltern willkürlich gegeben, sondern
der das einzige war, was ich aus der
Vergangenheit in das neue Heim mit- «
brachte! Denn ich, so erzählte man ;
mir späten sagte nur, ich heiße Sus
»Suschen, ganz recht, Suschenl —
so nannte der Einsiedler von Honor
Island in seinen Fiebertriiumen sein
Kind," unterbrach sie Rhedem »Oh,
sonderbar-— sonderbar! Doch ant
worten Sie, Susanne, —- die Stadt
in welcher Sie als Kind umherittend
ausgefunden wurden — sie war —- -«—
«New Yor t! «
Rheden wechselte die Farbe; et hatte
die thand an die Stirn geleat und liber
schat ctete die Augen.
»Senmm," tief er, Humans Die
Glieder der Kette schließen sich fest an
einander — sollte ich der Lösung des
Räthsels so nahe sein? Sollte dieje
nige, welche ich dreizehn Jahre qesusht,
deren Schicksal mich dreizehn Jahre be
schäftigt, hier vor mir sitzen? Nein,
nein —- lassen Sie uns noch nichi zu
viel glauben, zu fest hoffen —- ez kön
nen Trugschlüsse sein, denen wir uns
hingeben —- o, Sie weinen, Susan11e?«
»Es sind Freudenihränen, die inei
nen Augen entströmen. Ach, wenn sich
meine iiihnsien Träume erfüllten!
Wenn ich wenigstens die Namen mei
ner Eltern erfahren, von ihrem Leben
hören dürfte-denn sie wiederzusehen,
sie in meine Arme zu schließen --—
das wird mir ja doch nicht mehr be
schieden sein —- das Glück wäre zu
groß!«
»Ich kann, ich will Ihnen heute
noch nichts entdecken Susanne, ich will
in Ihrer Seele nicht Bilder entstehen
lassen welche Sie entzücken, berau
sehen vielleicht soaar verwirren wür
den, wenn ich sie iei vor Ihnen ent
restd Stein-um iiiiqie sich daz,
M is- siir Sie erträume. dann steigen
Sie-met dein Daniel Ihrer hertunft
Meer Inen schinden Ge
M denn Æwiirden Sie iiher Nacht
M Inq Hierin eines vornehmen
Namens eines Titels, vor tvelchem sich ’
Millionen ehrfurchtsvoll beugen, son
dern auch eines Vermiigens, dessen
Größe Jhnen die Erfüllung jedes .
Wunsches gestattete."
»Nicht das — nicht Reichthum noch «
Größe vor der Welt könnte mein Glück
ausmachen," wehrte Susanne ab.
»Noch sind die Beweise schwacher
Natur noch beruht Alles auf Voraus
setzungem Schlüssen, Combinationen.
Die bloße Uebereinstimmung von Ge
st chtsziigen des Namens »Susanne«
können nicht als ausschlaggebend an
gesehen werden-—tvir brauchen ein
Gebäude und besißen kaum den Grund,
aus welchetn wir es aussiibren lönnen.
heute. ja heute sind Sie noch das
arme, alleinstehende, sast möchte ich
sagen, namenlose Mädchen, welches
nur ihre Jugend, ihre Schönheit, sich
selbst besitzt. Darum kann heute kein
Verdacht schnöder Berechnung aus mich
fallen, wenn ich Jhnen sage, Susanne,
daß Jhr liebes, süßes Bild meine Seele
» erfüllt, daß Sie entscheidend in mein
Leben getreten an dem Tage, da ich
Sie zum ersten Male sah. Sehnsüch
tig breite ich meine Arme aus, um Dich.
geliebtes, angebetetes Mädchen, an
mein Herz zu drücken. —- Was zögerst
Du. was schaust Du mich thränenvoll
an — einzig Geliebte, ich will Dich Ia
halten für das ganze Leben, »und sa
wahr die Mannesehre stets mein hei
ligstes Gut und Besitzthum gewesen ist
—- Du sollst mein Weib sein. die Ge
fährtin meines Lebens."
Längst hatte Hans sich neben dem »
erglühenden Mädchen niedergelassen, l
längst hatte er ihre Hände i-: die seinen :
genommen, und jetzt, da er sie anflehte,
seinWeib zu werden, zog er die schlanke
Gestalt mit unwiderstehlicher Gewalt
an sich.
« Seele
Und sie wehrte ihm nicht.
Bebend in glückseliaer Luft, wonnig
durchschauert von dem Gefühl geliebt
zu werden von dem, den auch sie liebte,
begehrt zu werden ron ihn·. den auch
ihre Seele begehrte — laa sie an seiner
Brust —- fest umschlossen von seinen
siarten Armen.
.Suschen——mein aeliebteks Mäd
chen, meine strahlende Sonn-» Sus
chen —- ich liebe Dicht Und Du -— o
sag es mir —- liebst Du mich-«
Sie schloß die Armen. und ihre zu
etenden Lippen hauchten nur die Worte:
»Du geliebter Manni« »
Da senlie sich Rhedens Antlitz-. aus ;
das rosiae Mädchenaesicbt nieder. und s
ein heißer Kuß brannte auf ihren Lip
ken.
»Um Gottes willen —- Herr Baron,
—- was thun Sie?«
Susanne war ausarsorunaen und
ordnkte mit zicternden Händen den z
Kopsuutz und die HaarlöckchmSie eilte
zur Thüre.
«Wobin?« rief Rheden, Joch nicht s
etwa jth fort von mir, seht, da ich
Dich, Geliebte, erst aefunden — nein,
wir bleiben zusammen.«
Eine bittende Beweguna Institutes
ließ ihn oerftummen. »Herr o. Rhe
den,« sagte sie weich, »ditre, lassen Sie
uns zur Wirtlichteit zurückkehren Daß
mein Herz Jhnen gehört, daß meine
. hnen zu eigen, habe ich Ihnen
ohne Rückhalt verrathen. Ich kannte
eben nicht anders —- die Liebe läßt sich :
nicht verbergen, wenn sie übergewal
tia durch Liebe hervoraeruten nird
aus ihrem stillen Winkel. Doch jext
lassen Sie uns auch der Vernunft i r
Recht geben. Was Sie zu mir gespro
chen. darf Sie nicht binden. Jch will
nur die Worte der Liebe nehört haben;
sie nehme ich mit oon hier fort, als
könnte ich Sonnenstrahlen einsaugen,
welche die diifteren Stunden meines
Daseins erhellen und erwärmen sollen.
Aber Ihre Verpflichtunan habe ich
nicht gehört. Sie. nur Sie von unt
beiden müssen sich noch prüfen und
mich eingehender kennen lernen, damit
niemals zwischen uns dieser Stunde
mit Reue gedacht werden tönne.«
Dank trat bewegt an Strichen heran.
uMag ei sein,« erwiderte er; »wir
wollen einander länaer kennen, bis wir
uns öffentlich verlobem nur scheide
nicht oon mir, ohne mir qesagt zu
haben. »daß Du Ein sein willst und
nur mern·« , . «
»Dein!" jagte ne einfach und innig
und duldete es, daß er sie auf Stirn
und Lippen tüßte.
»Gottes reichster Sean möge auf
dieser Stunde ruhen!« ertönte Ober
länders Stimme hinter ihnen, und
Hans und Susanne fchiitteiten dem
alten Freunde, dessen autmiitbiges,
glückftrahlendes Gesicht urtomilch aus
der Teufelstracht hervorschaute, stumm
die Hände.
»Wie wäre es jetzt mit einigen Fla
schen der raziösen Wittwe aus
Reims?« lirä sich der alte Herr ver
nehmen. inder, das Wacheftehen
macht durstiaf
»Nein, erst laß uns einmal zusam
men im Tanze vahinlchsveben,« bat
Haus« »ich höre die Klänge eines
Strauß’schen Wahn-DR
Sulanne vermochte dem Geliebten
den Wunsch nicht abzuschlagenz auch
e war jung, auch sie lockte das ferne
litstern und Schmeichelei der Gei en
dem sallfaah auch se empfand
Verlange-h in den Armen des theuren
Mannes an seine Schultern, an feine
Brust geschmiegt. im wirbelnden Tanze
dahinzufliegen.
Sie hing sich an seinen Atm, und
ein stolzes, beseligendes Gefühl der
Genugthuung, welches zur bestiedigten
weiblichen Eitelkeit in entschieden der
wandtschastlichern Verhältnis stand,
beschlich sie, als sie an Rhedens Seite
den Saal betrat.
Und dann schwebten sie dahin über
die spiegelglatte Fläche des Saales,
und die Geigen, Klarinetten und Flö
ten jubelten und sangen dazu.
Oberländer schaute von einer Ecke
aus den beiden jungen Leuten zu, und
am liebsten hätte er sich in die Mitte
des Saales begeben, sich nach allen
Seiten hin zierlich verbeuat und aus
gerusen: »Sehen Sie diese beiden
Menschenkinder, verehrte Herrschaften.
sind sie nicht wie siir einander geschaf
sen«t Nun, sie werden auch bald ein
glückliches Ehepaar abaeben. Und wer
hat dieses vmtressliches Wert zu
Stande gebracht? Euer Wohlgeboren
ergebenster Diener Oberländer, ein
Diplornat der alten Schule —- ein ———«
»he, ist das Dein Freund. der da
mit der hübschen Dame tanzt?«' unter
brach eine Mannerstimme den Gedan
ten ang des alten herrn
berliinder wandte sich um —- ein
sählanter Troubador stand Hinter
i m.
Ehe er antworten lonnte, fuhr der
Blauweisze in gebrocheneni. start süd
liindisch accentuirtem Deutsch sortx
»Hei-it Dein Freund nicht Baron Rhe
den «
»So srägt man Kinder aus, Bruder
Troubador —- wie ist Dein Mantel-«
»Den werde ich Dir moraen sagen,
guter Oberliinder, wenn ich Dir im
Interesse Deines Freundes eine wich
tige Angelegenheit entdecken werde.«
Der alte here war sprachlos vor
Staunen, als er seinen Namen nennen
hörte. »Eine wichtige Anaetegenlfxitj«
Fiezsi er hervor. .Und wen betrifft
ie «
»Diejeni·aen, welche Baron then-n
seit dreizehn Jahren sucht. Wo kann ich
Dich morgen außerhalb Deines Bu
reaus sehen?'«
»Gut-irrte mich um ein Uhr vor der
Börse."
Der Troudadar nickte und war im
nächsten Augenblick im Mastengewiihl
verschwunden .. . .
Rheden und Susanne kehrten Arm
in Arm aus den Reihen der Tanzenden
zurück. Ein Bettelmöncks drängte sich
aussallend in die Nähe des liebenden
Aschendrödels. Jett wandte sich der
junge Baron an seinen alten Freund-,
um ihn zur Votbeteituna des Souperg
in möglichst stiller Ecke zu bitten, und
diesen Augenblick, als Rbeden den
Arm Susannes logliesi, benutzte ter
Fisnch dem jungen Mädchen zuzuw
ern:
»Vergisz nicht Deine Wild-L scdme
Masse! Doktor Gallus würde iicht
schlecht erstaunen, wenn er die Hüterin
seines hauses hier sehen lönnte!«
Susanne fuhr zusammen. als hätte
ein Blitzstrahl sie getroffen. Sie
schaute sich nach dem unbekannten
Warner um, doch von dem war nichts
mehr zu erblicken. Aber feine Worte
batten sie wie mit Messern getroffen.
Heiß stieg es ihr in die-Wangen Jbre
Pflicht! Ja, sie vernachlässigte ibre
Pflicht. die sie übernommen. in sträf
licher Weise, sie handelte leichtsinnig—
belohnte das Vertrauen, welches ihr
väterlicher Freund Gallus in sie gesetzt,
ldaäurch daß sie sein Haus unbeschiitzt
ie .
«Fort!« war ihr einziger Gedanke.
»Fort von biet — zuriick zur Pslichtl«
Was bätte sie nicht darum gegeben,
wenn es ihr vergönnt gewesen «viire,
an der Seite Rbedens noch einige
Stunden heiterm reinen Glücks ver
leben zu dürfen, aber das plötzlich
durch eine-. leisen Anstoß erweckte
Pflichtgefühl trieb sie von dannen.
Sie durste sich nicht berabschiedem
durfte ihm nicht einmal Lebewobl
sagen, wußte sie doch, dasi er sie dann
nicht von sich lassen würde.
Der Baron und Oberländer hatten
sich für die Besprechung des Souvers
einiae Schritte zurückgezogen und .va
ren in ihre Unterhaltung vertieft.
Diese Gelegenheit, da sie sich unbe
achtet wußte, benutzte Susanne. Noch
einen langen Blick der Liebe und des
Abschieds warf sie auf den geliebten
Mann, dann eilte sie schnellsiißig ta
ron, warf in der Oarderobe hastig
Mantel und Kapituch über das Ko
stiitn und befand sich einige Minuten
später in einer Droschlr.
In das Polster des Wages zurück
gelebnt, durchtriirmte sie mit geschlosse
nen Augen noch einmal die Erlebnisse
der Nacht. Und ein Gefühl namen
loser Wonne beseliate sie, das Gesiibl
—- geliebt zu sein und Liebe geben zu
können.
16. Caviiel.
Ein heftiqer Schneesturm hatte sich «
um Mitternacht erhoben. Heuleno ’
trieb et große Schneemassen nack. Süd- «
wessen, und große, dicht iallende Flo- «
cken wirbelten Suianne in’s Gesiqt, so
daß sie mit fast gänzlich geschlossenen
Augen, langsam aeaen die Gewalt des
Sturmes antämpiend, zum hause les
Justizraths sich durcharbeiten mu te.
Sie war glücklich, als sie den qro en
Thorbogen erreicht hatte und die weiße
Decke von ihrem Mantel und den
Gurnrnifchuhen til-schütteln konnte;
dann zog sie den hausschlüssel aus ver
Tasche, dessen sie zum Oeffnen
der schwerer-, mit Otnamenten aus
Gu eisen versehenen Thiir bedurfte. ·
och sie fuhr pldylich bebend zurück,
als ße dicht vor sicheinen Mann e
ines-ste, ver sich bisher im Dunkel e
TMianna verborgen gehauen
knien aufste, denn sie hatte seine Nähe
zuerst nicht bemerkt. Keineswegt ge
ringer wurde ihre Beängstigitng, nach
deni sie in dem nächtlichen Thürsteher
—- ihren Pseudobruder William
Strohbach erlannt hatte.
»Du schon wieder dat« stieß Su
sanne hervor. »Was willst Du, was
verlangst Dili«
»Bist Du endlich da, Du Muster
lind?" höhnte der Lithogravh. »Hast »
es gewiß besser gehabt und wärmet e- !
sessen als ich arn«er Kerl. der sich seit «
zwei Stunden in tsekn buntewetter aus
der Straße herumtreibt. Na, das ist .
am Ende nicht meine Sache. wo Du ;
Fig- bis in den Morgen hinein anrü
ir .« ;
»Nein, das ist gewisi nicht Deine
Sache,« entgegnete das Mädchen.
»Aber die Mutter kann indessen da
heim sterben und verderben.'«
»Die Mutter? Die Mutter, sagst
Du, könnte sterben? Sie ist also
lrant?«
»Seht trank. So um sehne ’rixm
ging’s los, ein Fieber und ein Schüt
telfrost -—— wir dachten. die Alte würde
uns unter der Hand sterben.'«
»Und ich be and mich um dieselbe
Zeitans dem Balle,« dachte Susanne
mit bitterem Selbstvortvuri. »und ich
war so glücklich, während die Mutter
litt.«
»Wir holten den Dattor aus der
Großen Frantsurterstrasze,« fuhr Wil
liain fort, »und bis ich rnit ihm anhan,
machte oie Maggie warme Umschlage
und beißen Thee — o. die Maggie that
alles, was sie nur konnte, und —
»Was sagte der Arzt?« unterbrach
ihn das Mädchen schnell, »und wie geht
es der Mutter jedt?«
»Es könnte wohl wieder werden mit
der alten Frau, meinte der Doktor,
aber gekräftigt müßte sie :oerden, so
mit süßem Wein und Bonillon und
Cato-z nnd zwei Medizinen bat er ver
schrieben, die sollten gleich eingenom
men werden —«
»Sollten? hat die Mutter sie noch
nicht bekommen?«
«Wooon denn? Es lommt ja blos
Schnee und teine Martstiicle vom Him
mel ’runter. Bei uns ist Schmathans
Küchenmeister und deshalb —«
»Du sollst Geld haben. Oder besser
« ich fahre mit Dir sofort zur Mutter
und sehe selbst nach ihr.«
»Um Gottes willen tritt-W rief der
Litograpls, den dieses Anerbieten that
sachiich sehr zu erschrecken schien. »Sie
schläft sent, die alte Frau. nnd rann
— ja dann — nur keine Aufregung,
hat der Doktor aesaat. das lönnte den
Tod herbeiführen. Nein, Snse, schlaf«
Dich rubia aus, und wenn Du morgen
Zeit hast« dann komme."
»Ich bin morgen bestimmt da.« ent
schied Susanne und öffnete dabei die
hausthiin »tomme mit mir hinauf,
lyier tann ich das Vortemonnaie nicht
aus der Tasche sieben. Dann will ixh
Dir oben auch ein paar Zeilen an mei
nen Hauswirth schreiben. Wenn Du
ihm die morgen in aller Frühe bringst,
wird er Dir einen Korb aughändiaem
I in welchem sich vortreffliche Stark-engs
mittel fiir die Mutter befinden. Es
i sind meine Weihnachtsaaben iiir tie.«
i Sie trat mit Strohbach in den
) dunklen hauzslur nnd wollte die Thür
wieder von innen schließen. Aber der
Litbograph meinte: »Laf3 nur« wir
lehnen die Thür jetzt an. und wenn ich
nach ein paar Minuten berunterlom:ne,
werse ich sie hinter rnir in’6« Schloß.«
Arglos ging Susanne auf seinen
Vorschlag ein. »Borsrchtia.« mahnte
sie, als sie mit ihm die Treppen hin
ausschritt. tritt leiser auf, man
braucht Dich nicht zu hören.«
»Wer soll mich denn bittean flü
sterte Strohbach. «es sind ja nur
Bureaux und Geschäftslolalitäten im
Varderhaus, und da schläft Joch tei
ner.«
So sebr war Suschen in ihren Ge
danken mit der tranken Mutter be
schaftrgt, daß ihr des Pflegebruders
genaue Vertrautheit mit den hausriiu
men nicht einmal auffiel. Ohne s-.ch
nur die geringsten Gedanken iiber ihre
unbedachte handlungöweise zu machen,
ließ sie William mit tich in die Woh
nung des Justizrath eintreten, schloß
die Thiir des Sprechzirnmerz auf, wo
rin eine Gasflamme brannte, und hieß
« ihn biet auf einen Stuhl in der Nähe
; des Einganat frch niedersetzen. Dann
i entle · te sie sich ihres Mantels und
f ihres opstuches und leate ihre kleine
Geldtasche nebst einigen Schlüsseln auf
J den Schreibtisch.
j »Ich schreibe nur die wenigen Zeilen
an Herrn Grün, dann sollst Du auch
sofort das Geld baben,« wandte sie sich
an Stubon
Dieser antwortete nicht. Er hatte
den Kopf zurSeite aeneiat sind lauschte
mit acspannter Aufmerksamkeit Sein
sonst so blasses Gesicht war merkwür
dig aekötbet und hätte einem aufmerk
samen Beobachter eine starke Erregung
verrathen.
Susanne saß ihm mit dem Gesicht
zugewendet und schrieb.
Sie wurde von Sirobbach unterbro
chen. »Du, Suse,« saate er, »wir
haben doch auch nicht oeraessen, die
Corridortbiir zu schliessen? Es könnte
sich sonst einer einschleichen.«
»Ich dense, ich babe aut aeschlossen.«
«.Vm, besser ist besser —- ich aehe ’mal
Bachsebn Du schreibst indessen zu
Er erbob sich und aina hinaus
Ja diesem Auaenblick des Allein
s sein« schweisten Suschens Gedanken zu
i Rheden bin. Was er nur gedacht haben
mochte, aki er sie nicht mehr sand?
’ Vielleicht hatte auch er ietzt schon den
, Ball verlassen. Und wann würde sie ihn
wiedersehen? —- —
DerLitbo rapb durchschritt daIVors
ismmeesie rte ibn e n. und das
erinnerie sie daran, das die wenigen
Zeilen beenden miiss
Doch kaum hatte sie die Feder ange
» seht, als sie siuhte und tauschend das
Laut-i erhob. Hatte sie nicht aus· dein
orzimmer leises, sliichtiges Austern
vernommen? Dach nei, es war nur
eine Täuschung, da trat William wie
der ein und lam langsam zu ihr an
den Tisch heran
»Na, wie steht«s?« sraaie ·.r offen
bar recht ungeduldig, »ist der Wisch
sertig2« "
»Bediene Dich artigere Ausdrücke,«
erwiderte ihm Susanne. »und bitte,
lasse die Schlüssel lieaen —- mit denen
hast Du nichts zu thun.«
Sie hatte nämlich bemerlt, daß der
Litdogtapb die neben ibrer Geldtasche
aus dem Schreibtis liegenden, an ei
nem metallenen ina vereinigten
Schlüssel wie spielend in die Hand ge
nommen hatte und aufmerksam be
trachtete. Er ließ sich auch durch ihr
Verbot nicht im geringsten stören.
»Geh die Schlüssel ber.« herrschte
ihn das Mädchen mit strenaer Stimme
an, »dörst Du, ich verbiete Dir --«
Das Wort erstarb ibr auf den Lip
pen —— mit weit ausgerissenen Angen,
in denen sich Furcht und Entsetzen
widerspiegelten, starrte sie über den
Schreibtisch hinweg aui die Thür.
« »Wer ist der Mensch dort?« rang es
» sich von ihren Lippen. »Dort —- der
j Mann?"
i »Da ist Niemand.« fuhr sie Stroh
; bach an. Jn demselben Augenblick er
l hob er seinen Arm, nnd das Gas er
! losch. Tiefe Finsternisi bedeckte den
Raum. »
»Elender Schutt —- Rauber — zu
s Hilfe!" schrie Susanne emporschnel
i lend.
I
l
l
l
l
)
? eine ihr fremde« heisere Stimme von
Sie verlor nicht das Bewußtsein,
nicht einmal die Geistesgeaenwart, wie
viele andere Frauen oder Mädchen in
dieser wahrhaft furchtbaren Lage es
gethan hätten; blitischnell durchzuckte
sie der Gedanke, daß es hier aus einen
wohl vorbereiteten Raubansall abge
sehen sei, dem sie, wenn ncch mögt ch
begegnen müsse.
Sie stieß den Stuhl, auf dem sie ge
sessen, mit aller Krast dem aus sie zu
stiirzenden Strohbach entgegen und
versuchte das Fenster zu erreichen. Ge
lang es ihr, es zu erreichen und zu
öffnen oder die Scheiben zu zerschla
gen, so musitean ihre Hilseruse aus der
Straße gehört werden«
»Warst sie doch, Mensch!« hörte sie
der Thiir ber rusen, »wenn sie Radau
schlägt, sind wir verloren!«
Doch schon hatte Susanne« die selbst
im Finstern hier sich mit ziem icher
Sicherheit bewegen konnte. das Fen
ster erreicht; ihre band umllammerte
den metallenen Griss, den sie nur nach
rechts zu drehen brauchte. um den Fen
steesliigel zu össnen —- da stieß sie ei
nen Schinerzensrus aus und —- -—— zog
die hand zurück. Ein schwerer Schlag
mit einem eisernen Gegenstande, einem
Brecheisen oder modernen Diebshano
mais-Jena« hatte sie getroffen.
Während sie sast besinnungslos vor I
Schmerz zurücktaumeltr. wurde sie mit «
eisernem Griss an den Armen gesasit, .
und die bekannte Stimme ihres Bru
derssliisterte ihr in’s Obr: »Nicht
Dich nicht von der Stelle, aieb keinen
Fazitson Dir, wenn Dir Dein Leben
re is .'«
Der roheMensch druckte das schwache
Mädchen in einen Sessel nieder nnd
blieb, doch ohne sie loszulaffem neden
ihr stehen.
Und feldft, wenn Susanne einen
Hilferuf hätte ausstoßen wollen, wo
mit sie sicherlich ihr Leben aufs Spiel
qefeht hätte, sie wäre vorläufig nicht
im Stande gewesen« auch nur einen
lauten Ton von sich zu geben· Die
wahnsinniae Aufregung die Ge
n.iithserfchiitteruna, der körperliche
Schmerz, den der Schlag auf die Hand
in dieser und dem ganzen Arm hervor
rufen, machten sie unfähig fiir irgend
eine törperliche Anstrengung urs:
wimmernd harrte sie in der ihr aufge
niithigten Stellung.
»Vorwärts, geht an die Art-eitl«
hörte sie ihren Pfleaehruder rufen; »ich
habe meine Pflicht gethan, ietzt ist’g an
Euch, das-, was wir brauchen, in Si
cherheit zu bringen«
Von der Thitr her fiel plötzlich ein
dünner, greller Lichtstreif durch das
Zimmer, er gina von einer Blend
loterne aus, welche der kleine dicke
Mann, den Sufanne noch im letzten
Augenblick vor dem Erlöschen der
Gasflarnrne gesehen, in der band hielt.
Dieser Mensch, der verhrecherische Ge
nosfe Strohbach's, schlich auf den
Strümpfen —- die Schuhe hatte er na
türlich auf der Treppe abgelegt ---—
heran
,,Hast Du den Schlüssel?«
»Welchen? Den zurn Wandschrank?
Du mußt prohiren, welcher der rechte
ist —— hier ist ein ganzes Bündel, einer
darunter ift es gewiß.«
»Wollen sehen. halte nur das
Frauenzimmer stillt«
Der Lichtschein der Laterne fiel auf
den Wandschrant, in welchem Gallus
feine wichtigen Papiere aufbewahrte.
Der kleine Dicke arbeitete· auf eknern
Stuhl stehend, mit fieberhaftem Eifer;
die drei ersten Schlüssel vermochten das
kunstdvlle Schloß nicht zu öffnen.
»Alle auf die Papiere ift es abge
sehen,« flog es durch das hirn Su
sannes, in dem sich die Gedanken jag
ten ·nicht auf Geld. sondern auf Ent
hüåungew Dann sind Strahl-ach und
fein Genosse olfo nur die Werkzeuge
in der Hand eines anderen. denn was
könnten ihnen Alten und Brieffchaften
truan O, mein Gott« und gerade diese
Papiere will Gallui um keinen Preis
willenl«
ne a r n n ra
nffen heiserm
Und tein Mittel —- reines, oas
fchiindliche Budenftiick zu durchlrenzeni
Nein, kein Mittel denn schon loar
das Verbrechen vollendet. Der kleine
Dicke sprang von seinem Stuhl herab;
er hielt eine braune Kiste in feinen
Armen, bei deren Anblick Strohbach
fiinkn unterdrückten Freudenfchrei aus
ie .
»Jetzt an den - »Diebesficheren«,
lachte der Räuber und wandte sich,
nachdem er die Kiste mit den Dota
menten in der Nähe der Thür auf den
Teppich niedergeftellt. dem Geldfchranl
zu.
»Nicht die Lterne ganz aus!«'
llang es vom Eingang des Zimmers
her. Dem Befehl wurde augenblicklich
Folge geleistet, undSusanne hörte hier
auf eine dritte Person in das dunkle
Zimmer fchleickiem
»Wie weit feid Ihr, Junge-ist«
fragte jener Unbekannte. indem er sich
Mühe gab, feine Stimme zu verftellen.
»Den einen Fisch hätten wir gefan
gen,·« meldete der Dicke freudig, »die
Papiere sind da.«
»Dann macht, daß Ihr fortlommt,'«
rannte der dritte feinen Genossen zu;
»die Jkische hat soeben gewiss-« daß
es an der Ecke nicht geheuer ift."
Oho, wir gehen nicht ohne Geld,«
antwortete der Dicke. »Komm, Langer,
Ruf »nur mit dem Eifeenen fertig wer
en.
»Ho! Dich der Satan. Bruno:"
lssischte der zuletzt Geldmmene, dessen
Stimme Susanne nicht zum erstenmal
zu hören glaubte. »Du wirst uns
noch alle in’s Unglück dringen --— es
dauert eine Stunde, bis wir mit dem
Geldschranl zu Stande lammen, und
dann rst’ö auch noch nicht sicher, ob wir
ihn ausstiegen Komm mit mir, sage
ich Dir.«
Murrend schlich der Kleine an seine
Seite.
»Und Sie, Strahl-ach halten Sie
Jhr liebes Schwesterchen nach ein
Viertelstündchen fest. und setzen Sie
ihr indessen unsere menschensreundli
chen Absichten auseinander. —- Hast
Fut die Kiste, Bruna —- ias dann
r .«s
. »Die Papiere laß hier!« schrie Su
sanne plötzlich aus, und empor-schnel
lend versuchte sie mit Ausgebat all ihrer
Krast sich vol-. den Grissen des Atha
graphen zu befreien. Ihr Angriss tarn
dem Mann unerwartet. und es gelang
dem Mädchen ihn bis zu dem Geld
schrani binzuzerren Ihre Absicht war,
die Kurbel des elektrischen Klingelzw
ges, die sich an der Wand hinter dem
Abreißlalender besand, zu irreichen
und so den Wärter aus demhinterhaus
berbeizurusen
Als Susanne wieder su sich lam,
lag sie aus dem breiten Ruhebett, das
sich in dem Sprechzimmer des Justiz
rach befand; die Gasslarnme iiber dem
Schreibtisch brannte, und ihr Pflege
bruder saß aus einem Stuhl neben .hr.
Er hatte sich eine Ciaarre angezündet
und blies behaglich blaue Mancher-Ill
chen in die Lust.
»Na, wie steht’s. Kleine?« sragte er.
»Bist Du wieder derniinstiai«
Susanne war mit einem Sprung
aus den Füßen. Eine Stelle des Hin
terkopfes, welche die Faust ihres An
greisers getrossen, schwerste sie, aber
sie achtete nicht daraus
»Waö willst Du noch hier, Elen
der?« herrschte sie den Lithographen
an. »Du bast ia Dein schändliches
Wert ausgeführt ——— warum salgst Du
nicht den Verbrechern, mit denen Du
gemeinsame Sache gemacht hast«-m
»Eg gestillt mir hier zu gut,« ant
wortete Strahbach frech
Susanne erhob sich, und er ginderte
sie nicht daran; er machte m teine
Miene, seinen bequemen Sitz auszu
geben, als er sah, dass sie an den Geld
schrant herantrat und neben demselben
einen Ahreißlalender van seinexn Nagel
an der Wand herunterwarf.
»Siehst Du diesen rnetallenen
Grrsss« sragte das Mädchen lurz un
schritt
l
»Der gehört gewiß zu einem Gla
ckJzug-«« meinte Strobach gemiith
li . .
»Du hatt es erratben. Und zwar
führt diese Glocke zum Wächter des
Musik rief Suianne mit blißenden
Augen; »der Mann wird in weni en
Minuten bier sein. sobald ich die en
Griff nur umgedrebt badet«
»So tbu es doch, Kleine.«
Susanne starrte den Pilegebruder
an, sie begritt feine Rude. feine Furcht
losigleit nicht. »Man wird Dict packen
und in’s Gefängniß werfenalidllöavlr,
und in's Geiananiß iiibren.« -ief tie.
»Das itt ja gerade, was ich abwarten
will,« lachte der «Litbagradb: »ja, liebe
Schwester, ich möchte aern ’mal schen,
wie weit die Dankbarkeit gebt. Es wird
recht possirlich lein, wenn Du denSobn
des Mannes der Polizei übergieb t, der
Dich vor dem Verhunaern au der
Straße errettet, der Dir eine eirnatb,
eine Familie gegeben hat« ur zu,
dSchwesterchem das wird lustig wer
en.
Susanne ließ ibn den tiefen Ein
druck nicht merlen, den leine Mah
nung autsie gemacht hatte: sie verbarg
ihre Besturzung hinter einem erneuten
Zornansbruch.
»Deinem Vater bin ich Dankbarkeit
gen mich und nahm mich von
Straße aut: Deine Mutter liebe m;
schuldig, denn er war barmherzig see-«
Ei
ehre ich, denn sie lchenlte mir das
einer Mutter nnd die Soraialt em
lallt-en. —- Dich aber. den Sohn dies
bravenMenlchem verabscheue und ver
achte :ch, denn vom Verschwender
wardst Du zum M"ßiggä er, dont
Arbeit-scheuen zumBe riiger. ieb urd
Einbrecher. —- So, ietzt weißt Du we
niräestenx wie wir zweimit einander
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IIortseßung Mat)
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