Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, December 09, 1898, Sonntags-Blatt., Image 15

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    ) . Msindllksb
kSchwete Seelemvunden bluten
ßet in des Tages Mathem
Z- des Lichtes greller Pracht —
Untkk Deinem kühlen Schleier
di das traute Herz sich freier-,
ngildet Wandelstetn der Nacht! —
s- s
Ttauernd nnd doch still gelassen,
Wie ein tiefes Schwer-zerfressen
Lächelt es aus Deinem Licht
Wie aus fernen Weltentäumen
Hin des Lebens schweren Träumen
Hirn verklärtes Angehht
-«« FrtedaSchanz.
, —«———s--O(.-s- « ----—
Im Mnrlczimmec
I- humoteete Von H. d u P l e s s a c.
-—.--——-—I
szig Jahre, stammte aus guter Familie
und vereinigte mit einem gefälligen
iAeußeren einen guten Charakter, zu
dem seine sicheren Vermögensverhälts
nisse wohl oiel beitrugen. Nur einen
Vorwurf hätte man ihm machen tön
nen, nämlich den, dass er fast im Be- -
griff war, sich durch tausend kleine An
gewohnheiten zum Pedanten ersterT
. Klasse auszubitden
I Alles in seinem täglichen Leben war
aufs Genauefte geregelt. Zur seit-en.
Stunde stand er auf, machte zur elben ’
Stunde jeden Tag genau denselben
.Spazier ang, um dann Punkt zwölf
iUhr in einem Restaurant zu sriihftii- «
seien. Die Kellner kunnten ihn genau; l
ängstlich wurde ihm sein Tisch refer
viert, und ohne daß er die Speisekar
--te durchzusehen brauchte, wurde er be
,dient, denn er hatte Sorge getragen,
im Voraus ein siir allemal zu bestim
men, was er Montagg, Dienstag-Z und
ja weiter essen wollte. Bei einer Tasse
Kaiser las er dann »seine« Zeitung und
knach Hause zuruekgekehrt, ruhte er sich
»von den Anstrengungen des Vormit
Pztags aus.
s Darauf machte er Toilette, und
Puntt fünf Uhr gings wieder fort.
Fünsrnal in der Woche speifte er bei
Bekannten in der Stadt, und zweimal
ging er ins Theater: Dienstag ink
Schauspieihaug und freitags in die
Oper. Keiner seiner « etannten konn
te sich erinnern, ihn je nach Mitternacht
Poch aus der Straße getroffen zu ha
en.
Dieses geregelte Leben, was übrigens
anz nach seinem Sinn war, hatte ihm
feine leidende Gesundheit ausgezwun
gen, denn wenn auch nicht trant, so
war er doch öfter recht unwohl, und
kzwar litt der Aermste an neuralkiischen
Kopfschmerzen Alles hatte er schon
dagegen versucht und schließlich war er
der Rezepte und der großen Rechnun
gen der Aerzte überdrüssig geworden
und hatte sich selbst dies gleichmäßige
Leben verordnet, in dem vor allem jede
Aufregung ängstlich vermieden wurde.
Sein genau festgestellteg Programm
hatte auch insofern den gewünschten
Erfolg, als der böse Feind im Zaum
gehalten und sich jeht nur noch alle vier
ehn Tage meldete und zwar mit einer
so eigenthiimtichen Regelmäszigleit, das;
Charles in sein Programm einfügen
konnte: »Montag zum Diner bei Frau
Valubert, Dienstag Zchauspielhau5,
Mittwoch neuralgische Schmerzen . .
So lebte er denn aus leidlich gutem
ssFu mit feinem Feind, und wenn er
Xde en vierzehntägigemBesuch auch nicht
- ade mit Vergnügen entgegensah, so
the er sich doch mit Philosophischer
Ruhe und Ergebuna in dasllnvermeid
liche.
H- Itt I«
Unglüctlicherweise fiel e5 aber der
guten rau Valubert ein, diese-«- har
inonis e Dasein zu stören. Sie hatte
C rles Garnier gern und faßte den
P an, ihn zu verheirathen.
Charles setzte sich zuerst zur Wehre.
Was sollte er mit einer Frau! Sein so
schön geregelte-«- Leben mußte ja da
durch in Trümmer geh’n! Dann aber
kam ihm der Gedante, dasz es doch nicht
unangenehm sein iiiiißte, sich bei seinen
neutalgischen Anfiillen von einer wei
chen Frauenhand die Siompressen aus
legen zu lassen und ein freundlich theil
nehmendes Antlitz statt des gleichgitti
gen seines Dienero um sieh zu sehn·
i Charleg Garnier war fiinsztnddrei—:
Diese Betrachtung fchlug alle iibri
gen in’S Feld, um o mehr, als Frau
Valubert unter andern Einzelheiten
noch erzählte, daß Frau Latone —— die
junge Wittwe, die sie ihm bestimmte —
ihren verstorbenen Gatten mit rühren
der Geduld vier Jahre gepflegt hatte.
Es wurde also verabredet, das; Charles
Garnier am folgenden Sonnabend
Frau Valuvert zufällig besuchen soll
te, und ganz zufällig sollte dann gera
de Frau Latour bei ihr fein.
Die Aussicht auf diese Zusammen
tunft beschäftigte Cltarleg aus das leb
hafteste. Jn solchen Sachen tvar er
ein vollkommener Neuling, und die Lie
be war aus seinem Programm gestri
chen worden« Am Freitag iiberlegte er
Mund ber, welchen Anzug er siir den
uch wählen, was er morgen sagen
sollte.
Dann fragte er sich, welchen Ein
vruet er wohl machen und empfangen
und was die Folgen dieser Bekannts
sgaft sein würden . Das Mitta essen
s meckte ihm nicht; der Aufsii rung
von »Aida«, die er wohl schon zwan
zig Mal gehört hatte, folgte er nur sehr
zerstreut, und bis gegen drei Uhr Mor
d lag er lvach und lvartete auf den
f, der lange nicht tonnnen wollte.
f I
Aber schon-gegen sieben Uhr etwas
ie er wieder und zwar von einem he -
ti en Schmerz in der linlen Schläfe.l
s war dab? Ein sAnsalll Am
Sonnabends Bier Tage vor der übli
khcehn Zett! Das war doch taum glaub
i .
Und doch war leider tein Zweifel
mehr möglich, denn um acht Uhr saß
der Schmerz auch in der rechten Schlä
fe, und dazu verspürte er ein entsetz
liches hämmern im interlops. Regel
rnaßig und unaus örlich stach und
llopste es, und Charles konnte sich lei
ner Illusion hingeben — für die näch
sten vierundzwanzig Stunden war er
nicht zu gebrauchen, die waren siir ihn
verloren! Kein Gedanke mehr, in sol
cher-il Zustand zu Frau Valuberi gehn
zu tonncn-- Frau Latour würde ja ein
fach Kehrt machen
Da faßte Charles einen heroischem
Entschlusi Unter Stöhnen und Wim-!
mern zog er sich an, liesz einen Wagen !
holen und suhr zu dein berühmten Ner-- i
venarzt Doktor Chevriere. Er hattes
die feste Absicht, sich durch Morphium,t
Elettrisieren oder irgend ein anderer-i
Heilmittel, sei es was es sei, wenn auch
uursiir eine Stunde von fünf bis sechs
Uhr, von den ärgsten Schmerzen zu
befreien, um doch zu Frau Valubert
gehen zu können.
Acht Personen warteten schon im
Vorzimmer des Arztes-, obgleich dessent
Sprechftunde erst um zwei Uhr
begann. Vergeblich versuchte Charlesf
den Diener zu bestechen. Er schob ihm »
siins Franken in die Hand, aber der;
treue Diener lehnte ab —- unter zehn;
Franken that er so etwas nicht. Warum»
nannte er nicht seinen Tarilfl Charles
hätte gewiß gern mehr gege en.
So mußte er sich denn in Geduld sti
aen und warten. Charles rechnete:
»Mir acht Personen durchschnittlich ei
ne virrtel Stunde, macht zwei Stun
den·« Auf diese Art mußte er um 4
llhr heran tornmen und hatte dann ge
rade noch Zeit genua, Um zu Frau Va
lubert zu fahren. Durch diese Berech
nung fiihlte er sich ein bißchen beruhigt,
machte sich’;3 in einem Lehnstuhl be
quem und überließ sich einem dumpfen
Hinbriiten in möglichster llnbeweglichi
leit.
- .«. -
Zwei Personen waren schon abge
fertigt und hatten nicht mehr als fünf
unddreißig Minuten aebraucht, da fuh
ren Charleg und seine anderen Lei
densgenossen plötzlich jäh zusammen
denn die Thür wurde heftig ausgerissen
und wie ein Wirbelwind stürmte ein
Wesen in «S immer das nach demNau
schen der sei enen Gewänder eine Frau
zu sein schien, denn oon dem Gesicht
war nichts zu sehn. Das war ganz
und gar mit einem Spitzenfichu bedeckt,
dags zwei kleine Hände krampfhaft zu
sammenhielten.
Die Dame setzte sich stöhnend, um
wenige Selunden daran mit einem
zweiten Stöhnen wieder aufzusprin-«
gen, ans Fenster zu gehen, den Spitzen
schleier loslassen und einen Marsch auf
den Fenscherscheiben zu trommeln.
» Dann kehrte sie zu ihrem Sessel zurück,
»und dabei konnten die Wartenden nun
Trecht deutlich sehen, daß der Spitzen-«
shawl ihnen bis dahin ueidisch ein recht
Ihiibscheg Gesichtchen verborgen gehal
ten.
Als- die Anwesenden aber glaubten.
die Dame habe sich endlich beruhigt, da
war sie schon wieder ausgesprungen und
lief nervös im Zimmer aus und ab
Charles vergaß alle öslichkeitgre
gcln und meinte halblau zu seinem
Nachbar: »Die Dame ist ja ein wah
res- ,,perpetuum mobile«. Aus Mit
leid iiir die andern könnte sie wirklich
ein wenig anhalten.«
Sie blieb auch richtig stehen, gerade
vor ihm da sie seine Worte gehört
hatte und sagte gani unvermittelt:
»Mein Herr, wenn Sie solche Schmer
zen hatten, wie ich, wiirden Sie sich
wohl auch nicht ruhig verhalten tön
neu.
i Die Nerven, die isharics einen tlu
jgenblict in Ruhe gelassen, hatten ihr
grausameiz Spiel aber schon wieder be
laonnen, nnd so entgegnete er denn ge
reizt: ,,Gniidige Frau, was beweist th
Inen denn, daß ich nicht ebenso leide wie
Sie«.- «
s »Mein Gott, ja mein Herr! Es ist
ja i.!öglich, obgleich ich es taum glau
be Jedenfalls steht so viel fest, wenn
die Schmerz en Sie zur Mumie verwan
)deln, so bringen sie bei mir gerade die
lentgegengesente Wirtung hervor! th
ssollie dcch meinen. daß jeder nach eige-·
;neiii Belieben seiiie Schmerzen tragen
Hann! Wenn ich solchen Ansall habe,
iso muß ich mir Bewegung inachen!«
»Das ist wenig angenehm siir alle
andern, wenn giiadige Frau sich in ei
»neiii Watieziniiiier befinden!«
llckz»Mein Heri, Sie find nicht sehr höf
l .«
»Gnädige Frau, ich weiß nicht, ob
ich unhöslich bin; ich weiß nur so viel,
dasz die nevkalgischen Schmerzen mir
fast den Kopf zerspreiigeii und daß ich
Ruhe brauche.«
»Und ich weiß, daß ich entsetzliches
Zahnreisien habe und daß ich init Be
wegung machen inu .««
s »So lassen Sie ich die Zähne aus
ziehen!«
z »Ach — wirklich-« sagte die Patien
iin mit ironischein Lächeln und zeigte
dabei zwei Reihen Zähne, die Perlen
glichen und iiin die es ewig schade ge
wesen wäre, die Zunge anzusetzen.
Und dann giiig der Dame der letzte,
kleine Rest Geduld aus« iind sie sage
spri: »Und Sie, mein Heu-, Sie tha
ten gut, sich den Kopf abreißen zii las
sen — viel verlieren Sie Licht datanl«
I sc
» Nach diesem kleinen Schatiniihesl trat
Wassenstillstand ein . Die Dame init
»den hübschen Zähnen erhob sich nur
noch alle fünf Minuten, utn durch das
Zimmer zu l ufen, und Charles ver
troch sich gleich am vollständig in seinen
Lehnfstuhl und stöhnte und f u te leise
siir ich hin, urn sich dadurch rleich"
terung zu verschaffen. Es schlug vier
Uhr; nur noch ein Patient und dann
war an Charles die Reihe.
Da stand die Dame wieder auf und
setzte sich ganz muthig aus einen Ses
el dicht neben Charles.- Kaum hatte
sie Platz genommen, da hieß es: »Mein
Herr, verzeihen Sie — ich war vorhin
wohl ein wenig erregt, aber diese
Schmerzen! Nicht wahr, Sie verste
hen mich —- und — und würden Sie
wohl die große Liebenswiirdigleit ha
ben, mich vor lIhnen zum Arzt hinein
gehn zu lassen?«
,,Bedaure unendlich, gnädige Frau,
ich bin durchaus nicht erzürnt über den
kleinen Zwischensall von vorhin, wür
de Ihnen auch sehr gern zu Diensten
sein, aber es ist schon zehn Minuten
nach vier Uhr. Um fünf Uhr habe ich
eine sehr wichtige Verabredung, zu der
ich durchaus muß. Seien Sie ver
sichert, daß sonit —«
»Meine Bitte hatte denselben Grund,
mein Herr. Eine ÆFreundin erwartet
mich pünktlich um fünf uk,:. Es ist
etwas sehr Wichtiges. Sonst würde
ich nicht noch einmal bitten. Es han
delt sich um meine Zukunft —-«
»Genau dasselbe ist bei mir der Fall,
gnädige Frau, ich muß piinttlich bei
meinen Bekannten sein.«
»Sehen Sie, mein Herr, ich »mus;
nämlich zur Erklärung sagen —«
»Gnädige Frau, ich bestehe nicht auf
Einzelheiten
»Und ich will Sie Jhnen gerade sa
gen. damit Sie verstehen, warum mir
so viel daran liegt, ganz pünktlich zu
sein. Es ist . . . es handelt sich —- nun
ja, mein Herr — es handelt sich wahr
scheinlich um meine VerheirathungR
. »Gnadige Frau, auch ich werde er
!,wartet vielleicht auch we en einer Ehe
schli eßung. Jedenfalls oll ich die Be
kanntschaft einer Dame machen — Sie
begreifen also —«
»Herr Gott« mein Herr, ich gebrauche
zwanzig Minuten, um mit einem Wa
gen von hier bis zur Godostraße zu
lommen.'«
»Nach der Godostraße will ich auch,
brauche also genau so viel wie Sie,
gnädige Frau!«
»Sie haben mich zum besten, mein
! Herri«
! »Gnädige Frau, ich bin nicht in der
Verfassung, mich iiber irgend wen oder
irgend etwas lustig zu machen.«
II 4 G
Die lrante Dame schwieg und ver
hielt sich einen Augenblick ruhig Sie
zsah Charles an, schien nachzudenken,
»und ihr Reihen schien sich zu vermin
.t-ern. Charles fühlte sich jedenfalls
ssreien konnte aber noch nicht so recht
an die Flucht des Feindes glauben.
iBisweilen hat die böte Neuralgia aber
sanch derartige Ueberraschungen »in
petto'«.
Tser Patient vor Charles wurde
hineingerufen . Die Thür schloß sich
ljinter dem Kranlen
Da meinte die Dame zaghaft: »Mein
Herr haben Sie oft derartige Schmer
»zen.«
! »Ach, gewöhnlich alle vierzehn Ta
Jleer diesmal war die Pause tür
s Zeen Höchstwahrscheinlich hat mich der
Besuch, den ich heute Nachmittag ma
chen muß, so erregt. Jch lebe still und
gleichmäßig und fühle mich dabei sehr
Intohl, und dies unerwartete Ereig
niß —«
s »Dann geht es Jhnen gerade wie
;mir. Es kommt Jhnen wenn Oie mich
so unruhig sehn, wahrscheinlich höchst
Iunwahrscheinlich vor, aber auch ich lie
be die möglichste Gleichmäßigkeit in
meinem täglichen Leben. Am liebsten
immer dieselben Spaziergänge zur sel
ben Zeit und einen Tag wie alle Tage,
danach sehne ich mich am meisten. Und
nun hat mich die Möglichkeit einer so
vollkommenen Veränderung so erregt,
man hat mir von dem jungen Mann so
viel Gutes gesagt — lurz und gut, all
das hat meine Nerven so aufgeregt.
Sonst bin ich nie trant, und wissen
Sie, selbst jetzt, eL ist merltviirdig
ein wenig Ablenlung, Unterhaltung —
ich fühle mich viel wohler. Das danle
ich nur Ihnen, mein Herr!« s
« »Ich musz Jlinen den Dant aus vol l
lein Herzen zu riiagcden, gnädige Frau. s
Alles habe ich probiert, kein Mittel ist I
unversucht geblieben. Nur eins hatte
ich noch nie angewandt: mich mit einer
liebenswürdigen Dame zu unterhalten,
Wahrhaftig! Meine Schmerzen sind
wie weggetveht!«
»Sie sind zu·galant, mein Herr.
zu Jhrer Besserung beigetragen haben
sollte.«
»Alles haben Sie dazu beigetragenl
Wirklich alles,« rief Charle5, der sich
wie im Himmel vorkam, seine Schmer
lzen so mit einemmal los zu sein, »das
vergesse ich Jhnen mein ganzes Leben
lang nicht! Welchen Dienst haben Sie
mir geleistet! Ja der Herr, der jetzt
den Vorzug haben soll hnen vorge
stellt zu werden, ist witl ich zu benei
den.«
» »Wer weißt Vielleicht stelle ich Ver
gleiche an, die zu seinen Ungunsten
ausfallen. Wissen Sie, mein Herr,
mir kommt eine Jdee. Wir fühlen uns
ja beide von denSchmerZJen befreit. Wie
wäre es, wenn tvir den ottor imStich
ließen —er läßt uns doch auch zu lange
warten —- und den Weg nach der Go
dostraße zusammen zuriictlegten, da
wir doch beide dorthin nruss en Z«
I »Aber gewiß, gnädige Frau, mit dem
allergrößten Vergnügenl Jch fürckzlte
nur, daß Sie mich noch von vorhin s r
einen recht unhöflichen Menschen hal-11
ten «
»Aber ich bitte Sie, durchaus nicht-(
Wenn man Schmerzen hat, dann istf
man wie verwandelt. Jch um Bei
ür einen Jrrwisch halten, und do
kann wohl keiner ruhiger fein als i ;
Nicht wahr, Sie halten mich für recht
erregt?«
»Nein und nochmals nein! Jch halte
Sie nur für bezaubernd.«
»O, mein Herri«
»Ich habe nur gesagt, was ich denke.
Ach, wenn die Dame, der ich dargestellt
werden soll, Jhnen nur ein klein wenig
gleicht! Sie kennen wohl nicht zufällig
eine Frau Latour?«
»Wie sagten Sie?«
»Frau Latour, eine junge Wittwe,
der ich um fünf Uhr dargestellt werden
oll.«
s »Bei Frau Valubert?«
,,Jawohl!«
»Aber mein Herr, ich bin ja FrauLa
tour, und Sie sind ——«
»Charles Garnier!«
»Nun, das kann man aber einen
glücklichen Zufall nennen! Da wäer
wir uns ja gegenseitig dargestellt. Ge- s
ben Sie mir Jhren Arm! Wir wollen :
zusammen zu der guten Frau Valubert »
fahren, und unterwegs können wir »
plaudern.« ’
»Und uns verständigen, gnädige
Frau?« »
»Das wäre nicht unmöglich!«
Charles Garnier stand auf, öffnete
der jungen Wittwe die Thür, und Arm
in Arm gingen sie zu Frau Baluberi.
spiel! Sie müssen mich do wirli
Beim Mond-Je -c: Bonatti-Ilio
konne.
Miiiiärhuinoresle von K a r l P a u l i
,,Fcrdinand Zippenziller!« schrie der
Unterofsizrer beim Verles en der Mann
schaften. «
,,Hier!« antwortete eine tiefe, etwas
verfettete Stimme.
Aller Augen richteten sich auf den
Aufgerufenen; mochte der eigenthiim
liche Name, mochte die fettige Stimme
daran schuld sein, genug, sämmtliche
vor der Frpnt Stehenden blickten auf
einmal nach der Richtung hin, aus wel
cher das fette »Hier-« erklungen war,
nnd sämmtliche Hinschenden brachen
gleichzeitig in lautes Gelächter aus.
Das war aber auch eine Gestalt von
ganz besonderer Erscheinung, die sich
da präsentirte, man konnte es Keinem
übel nehmen, wenn er lachte. Gegen
diesen Leibesumfang war das bekann
te Embonpoint, wie weiland Sir John
Falstaff es aufzuweisen hatte, eine
Mehlweise gegen einen Eichbaum Gut,
daß der Waffe-work bei der Landwehr
abgelommen, in so’ueLitewla geht doch
noch etwas hinein! Viel ging aber in
die Zippenzillerg nicht mehr, trotzdem
die seine zu den weitesten gehörte, bei
nahe plaszte sie.
»Donnerwetter!« uiiselte der lange
Lieutenant von Lieberstein, »den Kerl
miissen wir zwei Glieder hoch auffiel
len, sonst verdirbt er uns mit seinem
Bauche die Front.«
,,Py—ra-—mi——»dal!« schnaubte der
Premierlieutenant Falclenhabicht — er
hatte die Gewohnheit, jede Silbe be
gleitet von einer Athenisturzwelle her
vorzustoßen, wobei er jedesmal nach
vorn mit dem Kopfe niclte, »Kerl s-«
wie ——- ei—-—ne—Ton-—ne schlant!«
»Menschl« rannte ein Unteroffizier
dem Glofsirten zu, »wenn man Sie mit
den Riicken lang uf’n Meerezspiegel
legt reicht hr Bauch immer noch in
die ewigen chneeregionen!«
Zippenziller ballte die Fäuste.
,.Zwölf Tage,« murmelte er, ,,zwölf
Tage! sie geh’n voriiber!«
Jetzt lam auch der Hauptmann lang
sam herangeritten, er hatte während
des Verleseng mit dem Mast-r gespro
chen. Armer Zippenziller, noch war
Dein Marthrium nicht zu Ende! Denn
kaum war der Hauptmann seiner an
sitig geworden, da tiefer auch schon:
»Mohrentronnnelstocl, wag ist denn
das fiir ein Stehaiisiiiaiins« und zu
Zippcnziller gewendet, fuhr er fort:
»Was sind Sie denn?«
»Jnl)al)er einer Bäckerei. Herr-haupt
manu!« antwortete der Gefragte·
,,«.Itlfo Bäckerineister!«
»Hu Befehl, nein, Herr Haupiinaini,
ich habe studirt!«
»Na, dann sind Sie eben siudirter
Bäckertneistrr!« entschied der Haupt
mann. ,,Donnertoetter, so sehen Sie
aber auch ausl«
BriillerslesGelächter machte irn näch
stcn Augenblick alle Fenster des-z Raser
nengebäudeo zittern. Man must Sol
dat gewesen sein« unt zu wissen, wag ev«
heißt, toenu der Hauptmann einen Witz
macht; da toird nicht gelacht, da wird
getviehert, gebriillt, und wehe dein ari
nien Opfer, das die Ursache dieser Lu
stigleit ist, er ist, bis ihn ein Anderer
ablöst, das Stichblatt sätnmtlicher Ka
sernenivitze, und Stafernentvitze sind
nicht immer Panz sein . Zippenziller
wußte eB, er annte sein Schicksal, er
wurde blutroth und gleich darauf wie
der aschsal)i, aber ci- begniigte sich zwi
schen den Zähnen zu murmeln: »Das
kann doch blos mir passiren!« Er wä
re auch gar nicht dazu gekommen, et
was anderes zu sagen, denn schon im
nächstenAu enblick wurde tonimandirt:
»Stillges?anden!« Reginienter fesselt
das starre Konuuando
»Das kann doch blos niir passiren!«
war Zippenziller’s Lieblingsredensart,
die er bei jedem kleinen Aeraerniß, wie
es das Leben nun einmal unvermeidlich
mit sich bringt, im Munde führte; daß
er eigentlich ein vom Glück Bevorzug
ter war, kam dabei gar nicht in Be
tracht. Er war sehr glücklich verhei
rathet, war Vater von zwei reizenden
Kindern, gesund, reich, in den besten
Jahren; das alles rechnete er nicht, abe
daß er Zippnziller hieß, daß er, nn
stattAftronomie studiren zu können, die
Bäckerei feines Vaters übernehmen
mußte, das machte ihm Kummer und
am meisten seine Feitleibigleit.
Diese verwünschte Fettleibigleitl
»Das kann doch blos mir passiren!«
dachte Zippenziller, und ein Grauen er
faßte ihn, wenn er dachte, daß das
zwölf Tage währen sollte.
Die Kompagnie war zumAmbulanz
dienst ausgerückt, und Zippenziller hat
te das Glück, unter den Berwundeten
zu fein .
Zippenziller war durch einen Gra
natfplitter der rechte Fuß lZerschmettert
—- so lautete seinAnsweis, und der ihm
angewiesene Platz befand sich ziemlich
fern vom Verdandplatz unter einem
fchattigen Baume in der Nähe einesGe
hälzes.
O, wie lag es sich da so wunderschön,
die Sonne brannte glühend ——wie freu
te er sich, daß er hier so schön ruhig im
Schatten liegen konnte. während sich
die Anderen bei der Hitze abquälen
mußten! Er wünschte heimlich, sie
möchten ihn gar nicht finden, er wäre
am liebsten den ganzen Tag hier liegen
aeblieben.
Aber sie fanden ihn; kaum hatte er
den Gedanken zu Ende gedacht, da war
auch schon die Hoffnung dahin; denn
in diesem Augenblick tauchten ein Un
teroffizier und vier Mann vor seinen
Augen auf.
Der Unterofsizier war ein früherer
Einjiihriger, der die Treffen bekommen (
hatte. Er hieß im ganzen Regiment
der Sozialdemokrat, nicht etwa, weill
er sich sozialdemokratischer Gesinnung
verdächtig gemacht hätte, imGegentheil,
ser war ein glühender Patriot, nein,
sondern weil er in der Kantine glühend
begeisterte Reden auf König und Va
terland hielt —— nnd wer Reden hält,
der ist Sozialdemokrat, hatte der Feld- ;
webel entschieden, und seitdem hieß Ar- »
min Großmann erst in der Kompagnie
und bald im ganzen Regiment ,,derSo.-,
zialdemokrat«. Jm Uebrigen war er
ein guter, aber toller Kerl, zu jedem
dummen Streich bereit; dadurch hatte
er es denn glücklich, obwohl er ein
sstrammer Soldat war, bei den Vorge
; setzten so weit verscherzt, daß, als- er sich
»zum Osfiziersexamen melden wollte,
ihm sanft, aber energisch abgeraihen
« wurde. Ach, und Offizier zu sein, war
»der ganze Traum seines Lebens. Die
ser Unteroffizier war ein Bekannter
nnd Duzbruder Zippenzillerjö, deshalb
sichhrie er auch gleich, als er ihn liegen
’sa :
i »Was, Du verwundet? —- KerL Du
’simulirst! Durch Dein Fett geht ja
keine Kugel durch!«
»Menschenkind,« sagte Zippenziller,
ohne aus den Hohn zu achten, «lasz mich
noch ein bischen liegen, hier ist’5 so ges
iniithlich-«
»Geht nicht,« antwortete der Unter
offizier, »wir haben keine Zeit, sonst
herzlich gern, mach mal fix ruff uff di
Bahre!«
Seufzend bestieg Zippenziller das
TransportmitteL seufzend hoben die
Träger an und schleppten unter Strö
men von Schweiß den Koloß davon.
Dass behagte Zippenziller, nur die
Sonne genirte ihn ein wenig; aber sie
mußten ja gleich in den Wald kommen.
»Auf den Weg durch den Wald srene
ich ntich!« sagte er nnvgsrsnhtigeiweise
zu seinem Freunde, »,,e—J itt sehr be
anein, sich tragen zu lassen, während
Andere inöcheltief im Sande waten!«
Aber da kam er schon an. »Du bil
ldest Dir doch nicht ein, das-. die Dich
ldurch den Wald schleppen werden«-D Der
Weg ist mindestens-J eine Viertelmeile
lat.g!« schrie ihn der Unteroffizier an.
Und wirklich, kaum waren sie in dem
Walde angekommen, so hieß er den
Trägern die Bahre niedersetzen nnd
schrie Zippenziller an:
,,Runter!«
»Ich lanse 11iil,st!« entgegnete Zip
Peii,;iller unwirsch, »ich Vik: verwun:
det!«
»Was bist T-u?« rief der llnterosiis
zier, ,,verwundet bist Du? verrückt bist
Du! Leute, tippt’n uml«
Schmapp! laa Zippenzillcr nach ac
treulich auszaefiihrtem senmniundo im
nächsten Augenblick aus der Nase. Die
Leute nahmen die Bahre hoch, nnd wei
ter innka . Mit hängenden Ohren
schlich Zippenziller traurig nach. Eben
hatte er vielleicht zum zwanzigsten Ma
le »Das kann doch nnr mir passiren·«
geseuszt, da schimmert etwas durch das
ltsel)i)li, ein Pferdetops, ein Helm wird
sichtbar, und zugleich rassclt ein furcht
dares Tonnerwetter durch die Büsche.
»Bomden nnd Granatern Millionen
donnerwetterl Heißt dag Dienst ge
than? Warum geht der Verwundete zu
- u ?-!«
Bleich stand die muthige Männer
schaar und hörte mit innerlicheni Zäh
negellapper das Urtheil des Gestrengen
an, der kein Geringerer war, als der
Höchstkonnnandirende des Ariiieekorps,
"der gefürchtete General, Exzellenz
I von H .
I Drei Tage Mittelarrestl Dem ein
Zjährigen Unterofsizier gellte es Ln’3
« Ohr wie die Posaune dei) jüngsten Ge
richts —- das geht nicht« hier rann nur
Frechheit retten; ob nun dreiTage oder
vier Wochen, das war ganz egal. Kühn
stritt er mit angesaßtein Gewehr drei
Schritt Vor und meldet:
: »Melde gehorsamst, Exzellenz- der
Verwundete ist ans dem Transport ge
storbenl«
» Der General stuzt, zieht die Brauen
ssusammen und fragt:
. .Wo war derselbe verwundet?«
l
,,Durch einenGranatsplitter der rech
te Fuß erschmettert!« antwortete der
UnterassZZien
Die Brauen der Exzellenz löiten
sich wieder. »Hm,« macht dersel e, »der
tann allerdings- dcr Tod eintreten.
Sind Sie instrnirt, wie Sie sich in
einem solchen Falle zu benehnien ha
ben?«
,,Zu Befehl, nein, Excellenz, ich er
laube mir nur, die Leute selbst darüber
ein wenig zu instruiren.«
»So? Aus eiaenem Antriebs-'
»Exzellenz werden verzeihen, aber
irfstenn man mit Leib nnd Seele Soldat
»Sie gaben einjähria gedient-J«
,,Zu efehl, Exzellenz!«
,,Qualifikation zum Offizier?«
»Zu Befehl, i.5x3ellenz, es ist mir
aber gerathen worden. vom Examen
abzustehen!«
»Warum?«
»Exzellenz, darüber traae ich lcin
Urtheil zu fällen.«
Jetzt erst fiel der Blick des-z GeneralH
auf Zippenziller, der mit der Miene ei
ner gekränkten Unschuld hinter den
Trägern stand. Ein Lächeln glitt über
das Gesicht des -Oisiziers, als er die ·
Jammergestalt betrachtete, zugleich
aber auch ein inifztrauischer Blick zu
dem Unterosfizier hin. Der General ·
mochte wohl jetzt den wahren Zusam- «
menhang der Sache ahnen. aber nun
war sein Zorn verraucht, sein Interesse «
siir den schlagfertiaen Unteroffizier ge
weckt.
Deshalb lächelte er auch jetzt und
sagte:
»Na, siir die Träger war es ein gro
ßes Gliick, daß derMann starb!" Dann
zu Zippenziller selbst gewendet, fragte
er diesen: »Was sind Sie denn?«
»Ba·ckermeister,« erwiderte dieser be
scheiden
»Na, dann scheeren Sie sich doch in
die Bäckerei. bei einem solchen Umfang
thut man doch keinen Dienst mit der
Waffe!«
»Verzeihung, Exzellenz,« sagte Zip
penziller pikirt, »ich habe auch eins-Eih
rig gedient, ich habe studirt.«
»Sie —«
»Ja Befehl, Exzellenz!«
»So!« der General grüßte flii"chtia,
wars sein Pferd herum und sprengtr
sort.
»Minder« rief der einsiibrige Unter
ossizier, diesmal sind wir noch mit dein
blauen Auge dadonaekouunen, nun mal
auspasfen, daß sich Keiner vor’mHaupt
mann verschnappt, besonders Du, Zip
penziller, denn ich set-e es noch kont
»nen, daß Du reinfli.egff!«
»Sollte mich gar nicht wundern!«
seufzte der, »l)eute der erste halbe Tag
und nichts als Eiliallxeun das kann eben
nur mir vassiren!«
Als sie auf den Lieroandplatz anta
1nen, und der Unterossizier zum maß
losen Erstaunen des .s«-a!iptmannsj eben
gemeldet hatte, dass Zistenziller aus
dem Traneport versiorben sei, kam der
General angesetzt wie daf-v Donnerwet
ter.
« »Herr Hauptxnann!« rief er schon
von Weitem, ,,sorgen Sie doch dafür,
das-, den« Leuten Instruktion ertheilt
wird, was sie zu thun haben. wenn ein
Verwundeter auf dem Transport
stirbt! Jch halte das fILr fehr wichtig
und im Ernstsall von großer Bedeu
tung, Ich sal) da vorhin, wie der
schwarze einjährigc Unterossizier seine
Leute selbst darüber instruirte, aber
das geniigt doch nicht, nnd es thun auch
»das nicht Alle. Er scheint ein guter
Soldat zu sein, habe ihm empfohlen
sso bald wie möglich fein Offiziersexa
men Zu machen Und was den dicken
Bärlermeister anbetrisst, lassen Sie den
Mann doch nach Hause gebeut Das ist
ja ein Melslsacl, solche Leute können
uns nichts nützen, die stillen nur dieLa
;arethe. Dante Ihnen, Sen Haupt
mann!«
Und fort war er.
,,·,’feldwebel!« schrie der .t,s·saupt1nan-r,
»der Mann da, der dicke Backermeister,
soll in seine Heimatl) entlassen werdensv
(frcelleuz wiinschen e5.«
I »Ja Befehl, Herr Harwtmann!« ent
gegnete der Feldwebeb »und welctjssr
tttruud soll angegeben werdean«
»Ganz egal!« schrie der Hauptmann,
»was weiß ich, schreiben Sie meinetwe
nen: Auf dein Trankncsrc oerstorbez-i!«
k W
Maudommta.
tsapvbtsjn cis-.
’Licl)tek TUkondschcin slimmeri auf allen
) Giebeln . . ..
Horch, Dein Spielmann fingert die
I gold’ncn Saiten,
Jllnd ihr Hochtlang rauscht in verklär
I ter Fülle:
! IJkaridnlinata.
Weis-, im Lanbgnng schimmert ein sei-:
deneg Schleppkleid,
Streist des Springqnell’s thauigeg
Marknorbecken.
Ja, Du bist’s, hsldfelige Herzens-für
tin —
Mandolinata.
Zäxtlich nah’st Du, windest die Götter
arme
Um den Hals-s mir, lispeln: »O Mißge
liebtek«
Und Dein Kuß haucht wonnig in meine
Seele:
Mandolinata.
Da, im Glücksruufch packen mich rohe
Fäuste
«Wel)’, Dein Ohm’! Blindwüthig zer
drischt der Zotnbold
Mich von rückwärts. Klatschend im
Tacte klingt es:
) Mandolinata. «
E. E ck st e c n