Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, December 09, 1898, Sonntags-Blatt., Image 10

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    v Hin Ranlüelisloq.
- Eise wohliae Wärme durchttiömte
III-» sinan
1 »Ist heute schönes Wette:?« fragte
W ihre Schwester, die schon beim
IIIMM war. «
«Kein, es :eanet.«
CI regnet?«
Fräulein Agnes setzte sich plötzlich
km Bett aus und sah zum Fenster hin.
Ich-i stimmte. Lina bielt die Gar-.
W in die Höhe. sodaß man sehen
,1onnte, wie die Reaentronsen die
« Scheibe peitschten und in Reihen zu
samtnenfloisen.
Und gestern war doch das herrlichste
Wetter gewesen! Strahlender Son
nenschein. Fünf Grad Kälte! Das
beste Schlittschuhwetter. das man sich
wünschen konnte. Aanes hatte den
haiben Bormittaa aus dem Eise mit
einigen ehemaligen Schullameradin
nen verbracht. Ja, es- waten auch
drei oder Vie: Herren in der Gesell
schaft gewesen. Man hatte sich seh!
gut unterhalten. Quadrillen aelausen
und dergleichen.
Selbst Jngenieur Ahlberq ibar ganz
lebhaft gewesen, er, der sonst weder
passionirter Schlittschubläufer, noch
besonderer Gesellschaft-er war, sondern
nnr ausnahmsweise hinab auf die
Bahn kam, wenn er sich aerade Bewe
gung machen wollte.
Als sie ein Stück mit ihm zusam
men gelaufen war, hatte er gefragt,
ob sie nicht am nächsten Taae wieder
kommen würde. und sie hatte geant
wortet, sie wüßte nicht recht, ob sie
iszeit haben würde. aber es könnte ja
ein.
Und seht regnete es! Immer mußte
etwas in die Quere kommen. wenn
man sich ein bischen unterhalten
wollte·
Sie wußte sehr wohl, daß es hohe
Zeit war, aufzustehen, leate sich aber
nichtödestoweniaer wieder hin und zog
die Decke ungeduldia urn sich. Ein
merkwürdig unbeständiaes Wetter in
diesem Winter! Es war ia rein« als
ktte man das ganze Jahr hindurch
prü! Nie hatte sie etwas so Wun
derliches erlebt, der jiinaste Tag schien
ihr, nicht weit zu sein.
Als Agnes endlich ausstand, war
die Flamme ausaebrannt. und das
·nnner sah in dem kalten Dämmer
tcht recht unbehaalich aus-. Da sie
iibet die Zeit hinaus irn Bett aeblieben
war, mußte sie sich nun eilen, um
um Frühstück sertia anaelleidet zu
ein. Aber es steht nun einmal fest:
je eiliger man es hat« desto ungeschick
ter geht alles.
Die Pantoffeln standen heute nicht
aus ihrem Platz. Sie mußte halb un
ter das Bett kriechen, um sie zu errei
chen. Als sie den Schlafrock anzog,
brauchte sie den Knon taum anzu
riihren, als er schon über den Boden
hiipste und weit unter den Schreibtisch
kollerte; und als sie ihn in sichern
-’5et- Eile glücklich anaenäht hatte, sc
daß er sich fest und sicher ansiihlte, da
saß er natürlich aus der verkehrten
Seite.
War das nicht äraerlichZ Ja, das
war doch riesig ärgerlich! Sie stamvste
mit beiden Füßen aus. aber das-; machte
die Sache nicht besser.
Als sie dastand und ihre Löckchen
brannte und, um Zeit zu ersparen,
gleichzeitig die Knöhse ihres Fristen
ntantels zuknöpste, wollte es das Miß
schicl, daß sie an die Wassertarasfe
Zieh-so daß diese mit lautem Krachen
zu Boden stel. Die Glasscherben flos
· umher, und das Wasser strömie
über den Teppich.
Zuerst blieb Aanes erschreckt stehen
und sah sich die Bescheeruna an, dann
drehte sie sich herum und fuhr sori,
ihre Löckchen zu brennen. Heute schien
ja alles schies zu gehn. und da konnte
sie wohl nichts Besseres thun, als ei
in Ruhe hinnehmen.
Aber dann erwachte doch ihr Mitgx
siihl für den Teppich. Sie wars die
Brennscheere hin und eilte zur Thür,
Um mit lauter Stimme Lina zu rufen.
«Lina, bitte, komm herein nnd lsrinn’
etwas zum Abtrocknen niit!«·
Und Lina kam mit einer höchst ver
drießlichen Wie-ne in ihrem alten
Gesicht, den Scheuerlapven und Dze
Schaufel in der Hand· Während sie
auf dem Boden kniete, schalt sie un
aufhörlich das Fräulein aus« Denn
dazu hatte sie das Recht. Sie was
schon zwanzig Jahre in der ;-’fcunili:i
und hatte auch jetzt var Planes nicht
mehr Respekt, als da sie sie noch im
Karl-wagen vor sich her schob.
Wie konnte man sich nur so dumm
anstellen! »
»Ach ja, ein Wunder ists aver dort
nicht«, murmelte die alte Lina für sich
als sie langsam aufaestanden war und
das Tablet mit dem Tuch abtracknete.
»Was denn?'« · »
»Wenn man die Schlüssel auf den
T« egt, dann-«
ch l
gnes wendete sich um. Ja, aauz
sit-Fe, die Schliissel laaen auf den-.
T eh. »So ein Unsinn«. sagte sie
Use-legen aber nahm sie doch herun
-h·k, »Du redesi manchmal zu große
samtnheitem Linn. Du bist aberaläu
s ·Jg, ja, wir lverden fchcon sehen,
Fräulein Jch»lc-etß nur soviel, wenn
m vie Schlassel auf den Tisch legt,
« ei« den ganzen Taa nichts als
-« « -·’i’rdigetweise lab es aus,als
Linn Mtjebalten Es wurde
» ;- ein richtiger Unaliickstag.
«.--.;» ltO qtna»Uanes beut nicht auf
-Iks,« aber hinaus in den Regen
« se, senkte Aufträge file ihre
Mutter besorgen. um dann Vorwürfe
zu bekommen sür die Art nnd Weise,
wie sie sie ausgerichtet hatte.
Und alles ging so toll wie nur mög
lich. Saß eine Stecknadel noch »so un
schuldig in einem Sesselchen, so ge
lang eä Agnez doch. sich daran zu ste
chen, und Nägel, Thürkanten und die
Schlösser schienen sich aeradezu gegen
sie verschworen zu baden.
Gegen zwölf Uhr kam die alte, ver
wöhnte Tante lealin die mußt-:
man mit Shawls. Kissen. Schemelu.
Scholl-lade mit cuiaekochter Sahne——
sonst tauchte sie nichts —— versorgen,
zum Mittagessen einladen«und in je
der Weise verhätscheln.
Agnes war den ganzen Tag in Be
wegung und nie nahm dat- .Hin- und
Herlausen ein Ende, obaleich sie ei
gentlich nicht wußte, was sie anstim
:ete. Eine Lappalie löste die andere
al-, und dann mußte fiir die Taxite be
sonders gekocht werden.
Als endlich alles zum Mittagessen
bereit war, verspätete sich der Papa,
und die Speisen mußten in der Küche
stehen und eintrocknen. Erst einehalöe
Stunde nach der gewöhnlichen Zeit er
ztönte sein wohlbekannte-Z Klinaeln und
JAgnes hörte seine Stimme im Vor
izimmeL
Aber er war nicht allein. So, also
Iein Gast auch noch! Sie stellte sich an
»die Thür, um zu horchen. War das
jnicht? Ja, gewiß, das war Jngenieur
iAhlberg.
I Sie griff hastig nach der .5ilinte, um
sztnauszueilen und die Herren zu be
lariiszem Doch dann kamen ilsr andere
Gedanken. Sie erinnerte sich Plötzlich
lihres Kleides. Es war dasselbe, das
ssie voriges Mal angebaut hatte· ali
iHerr Ahlbera hier war und mit dem
IVater über die Wald-mass sprachund
Iwie verblaßt und häßlich ez ausfassl
lUnd dann kamen ihr haus
smiitterliche Sorgen. Sie hat
ten ja auch bei-te aenau dasselbe Essen,
wie bei seinem letzten Besuch! Fleisch
lugeln mit Quetschlartosseln und et
was RothtobL Sie wußte nicht, was
ärger war, dasselbe Kleid oder Diesel
l-en Speisen.
Und der srobe Willkommgruß, der
sbr aus den Lippen geschwebt hatte,
slog fort- Wenn doch nur Jemand
anders als Tante Arnalie am Vormit
tag gekommen wäre, dann hätte sie es
vielleicht der Mühe iocrtis gesunden, ein
neues Kleid anzuzielxsen und säh-: jetzt
wett und adrett aus. Sie a:gerte sich
swirtlich über Tante Ainalse
» Die Herren traten ein. und matt
setzte sich zu Tisch. Es war ganz irri
ter und gemiitblich während des Mit
tcgessen5, und Aanes wurde alle Wi
derwärtigkeiten des Taaes vergessen
und ihre aute Laune wzcdekgeiunden
haben, wenn eben das Klub und das
Essen nicht gewesen wäre. Aber sie
konnte es nicht lasten. von Zeit zu Zeit
daran zu denken. Es ist mertwiir
di , wie gewisse Dinge sich im Gehirn
se setzen können.
Nachdem man von Tisch aufgestan
ten war, setzte man lich in Gruppen
aufs Sopha oder ein«-H Fenster, um
cnt den Kaisee zu n-.1rten. Von Elte
benzimrner hörte man schon Zeiss-Inge
klapper.
Jngenieur Ablbera kam auf Agnes
,«.u, die damit beschäftigt war, die aus
ihren Falten arratbene Gardine tu
r-rdnen. »Heute gab es keine Eis
bahn«, sagte er, nachdem er zugeseon
hatte, wie behend sie sich anstellte unt
wie leicht der Stoff unter ihren Fin
gern fiel.
Sie wandte sich nach ihm um·
»Aber wir baden uns doch getros
sen", subr er fort.
»Ja, es ist sehr nett, das: Sie her
gekommen sind.«
Die Antwort kam ein bischen unbe
hilslich Es ging heute nicht so leicht
mit dem Plaudern. Woran dieSchuld
nur liegen mochte?
»Ich wollte aercsde in die Stadt ge
hen, als Jbr Vater kam und mich mit
nahm«
»Da haben Sie aerade kein Glück
gehabt. Sie würden in der Stadt be
stimmt ein besseres Mittagessen bekom
men haben als bier.«
»Besser? Nein, ich oersichete Sie-—-«
»Sage-i Sie mir eins«. tagte Agnus
lachend, damit es unbefanaen klingen
sollte, und rollte ein Zipfelchen ihres
Taschentuches um ibren lleinen Fin
ger, »Sie glauben gewiß. dass wir je
den Tag Fleischkuaeln und Rothkohl
hohem-« .
Wie dumm und Vlatt ihr das nun
vorkam, nachdem sie es aefagt hatte!
Dazustebn und mit ihm über’g Essen
zu sprechen! Aber sie konnte nichts
dafür. Es war so von selbst gekom
men. »
Herr Ablberg lachte auch. aber voll
lommen unaekiinftelt. ,.Wieio?-«'
»Sie haben ja das letzte Mal ganz
dasselbe bekommen«
»Ja, es ist wohl in Familien üb
lich, an denselben Wachentaaen das-(
selbe Menu zu wählen-"
»Aber Sie waren ia das vorige
Mal nicht am Diensiaa da. Es war
;Montag vor acht Taaen.«
? »Nein, das qlaub’ ich nicht«
! »Za, ganz gen-ji«
« rinneen Sie sich dessen so gut,
Fräulein Aanei?«
Sie fühlte. wie sie unter seinem
Blick etkiithete. Er iab sie an, als
wollte er etwas-« erforschen. Warum
hatte sie auch mit solcher Bestimmtheit
geantworteil Es war ia lächerlich,
tiaß sie es besser wußte, wann et zu
w da war, ais er seien. Ja, eeI
war geradezu deiniitbiaend. Er konnte
ja lauben . . . Aber er brauchte gan
msisis zu glauben!
s Nagen Sie mich nachdenken!« sagte
sie. ielleicht war es doch Dienstag.
Sonnabend hatten wir Gäste.a
Aber plötzlich fingen sie alle beide an
.iu lachen ohne zu wissen warum
gnes war noch immer ebenso roth,
and als sie den Jngrnieur ansah da
machte dieser ein Gesicht alr« wollte er
cagen: »Zum-bl, nein klein e.- Mäd
Faden, bu« möchtest nun den Kopf gern
wieder aus ber Schlinge ziehen; aber
das geht nicht so leicht."
Das Stubenmädchen war schon bei
dem Sofa gewesen um den Kasfee zu
reichen. Jeßt kam sie mit dem Tab
lett zum Fenster, und Aanes war froh
ssich mit ihrer Tasse beschäftigen Zu
können. Gleich darauf begann derVa
ter ein Gespräch quer übers Zimmer-,
und nachdem der Lassee getrunken
war, ließen die Herren die Damen
allein und schlossen sich in das-Schreib
zitnmer ein, um über geschäftliche An
gelegenheiten zu sprechen.
Je länger Agnes heruniaing und an
dieses Gespräch nach dein Speisen ge
dacht hatte, desto mehr verdroß es sie.
Ach, wie ärgerlich heute alles gingt
Linn schien wirklich mit den Schlüs
seln recht zu behalten. das heißt, es
war natürlich nur dummes. alberne;
Gewäsch. Aber doch-warum mußte
auch Lina gestern Abend. nachdem sie
die handtücher aus dem Wöschtschrank
genommen hatte, gerade zu ihr mit
zden Schlüsseln kommen? Sie wußte
sin, daß die Mutter sie immer haben
sollte. Aber es war natürlich beque
imer für sie, zu ihr damit hineinzu
tommen. Lina war doch manchmal
recht nachlässig, so aut sie sonst auch
Isein mochte.
Nun ja, es bedeutete ia nichts-, es
war ja lauter Aberglaube. Aber es
war immerhin ärgerlich zusehengdaß
die Leute es sich so bequem machten,
und wenn Lina auch noch so treffliche
Eigenschaften hatte —- ibre kleinen
IFehler hatte sie schon, sie auch.
YDie Herren lamen den aanzen Nach
mittag über nicht zum Vorschein, so
daß Agnes und ihre Mutter gemein
sam bemüht sein mußten, die Tante
IAmalie zu unterhalten. Nur fiir
seine ganz kurze Weile schlich Agnes in
ihr Zimmer, nicht um ibren Anzug zu
wechseln, das hätte ja ausgeseheii, als
wollte sie sich für jemand nutzen, son
dern nur urn eine schöne. eremefarbe
ne, neue Schürze nmzubindem deren
gestickte Bordiire bis zum Kleidersauni
reichte, und um nachzusehem ob ihr
Haar gut lag.
Erst als das Abentbrod servirt aeis
wesen war, wurden die Herrn sichtbar.
Die geschäftliche Unterredung schien
sehr günstig verlaufen zu sein, denn
sie waren beide sehr guter Laune, sie
plauderten und scherzten. und der Jn
genieur war sogar so liebenswürdig
daß er versprach, Tante Amalie nach
Hause zu begleiten, da sie sich fürch
tete, allein mit ihrer Jitnaser zu gehen.
Agnes nahm jedcch nur wenig an
iser Unterhaltung Theil. Die Haus
frauenpflichten lagen ihr zumeist ob,
und si: mußte oft zwischen Speise
zimmer und Küche hin- und herlaufen,
Teller wechseln und Tante Amalie be
dienen.
Als sie ihre Theetasse füllte. waren
die andern beinahe schon mit demEssen
fertig; und da der Tisch klein und
eng war, so nahm sie die Tasse und
setzte sich, ein wenia von den übrigen
entfernt an ein Seitentischchen, um
hier ihren Thee zu trinken· «
Als sie fertig war und die Tasse
wigstellen wollte, stand JngenieurAhk
derg auf und nahm sie ihr galant au
der hand.
Sie dankte ein wenig erstaunt. Und
sonst pflegte er nicht so besonders aus
nierksarn gegen Damen zu sein, und
es war ihr nicht aiifaesallen, daß er
jetzt überhaupt auf sie gerichtet hatte·
»Sie sind ein richtiger-, kleineHHaus
inütterchen". sagte er, als er zurück
tain und sich Zu ihr setzte, »Sie denken
an sich selbst zuletzt.«
»Ja, »last«, aber nicht ,,least«, sagte
sie lächelnd·
Das fand sie selbst cianz gut ge
sagt, aber es machte offenbar keinen
Eindruck auf ihn. Er schien kaum zu
hören, daß si-: gesprochen hatte, denn
er sah sie nur an. beinah tu unver
wandt, als daß es so recht schicklich
nnd passend gewesen wüte.
»Sie zweifelten vorhin an niemetn
Gedächtniß«, faaie er endlich, »aber
wissen Sie, Fräulein Aane5, wenn ich
nach Haufe komme. dann werde ich
mich Ihrer ganz so entsinnen, wie Sie
heute waren, wie Sie aus-sahen, was
Sie gesagt und aethan haben. Ja)
weiß, es wird ganz so fein wie vor
neun Tagen, als ich das letzte mal da
war. Es ist merkwürdia, aber immer.
wenn ich zur Ruhe komme und es still
um mich ist, muß ick an Sie denken.
Ich sehe, wie anmuthia Sie sich in
Ihrem Heim beweaen. wie Sie sich -.u
Ihrer Mutter hinabbeugend um ein
Flüstern entgegenzunehmen wie Sie
im Vorbeigehen die Wanae Jhres Va
ters streicheln, wie aui Sie lachen und
wie aufmerksam Jhre Auan umher
flicgem als sei alles Ihrer fchiitzenden
Hut anvertraui—-« i
»Ach, was Sie sich einhilden —s—!"
Agnez lachte ein wenia, aber als sie
ihn ansah, mußte sie gleich wieder die
Au en krick-erschlagen i
r fas; ziemlich weit von ihr, den
einen Atem auf der Stubllehne; abe
es war ein wunderlich durehdringenders
Blick, der dem ihren begegnete. 1
- «Einhilvungr' faaie er, ohne den
Blick von ihr zu wenden. »Nein, es;
i eher wie ein Traum. Und wissen
zuweilen bin ich vermessen enug.!
uns selbst in das Bild zu ir«umen,
—
mich in Ihrem Kreise zn sehen, ein
Gegenstand Ihrer Sei-ernten, Ihrer
Fürsor e. —- Aber es ist Ihnen viel
eicht ncht recht, daß ich fo träume?«
Er hatte sich näher hinabgehen-st,
und eine eigentbitrnliche Unruhe über
lani sie. Der Fußboden schien vor ihr
zu tanzen, sie vermochte nicht Fu aut
warten.
»Das sind wohl wahnwitzige Träu
,Ine, nicht wahr?'·
I Sie erhob die Auaen ron der Schür
enborde, versuchte eine scherzhafte
- ntwort hervorzubringen aber es
ging nicht. Ein Lächeln. ein zögern
der, unsicherer Blick. und dann betrach
tete sie wieder die Vorde.
F Da hörte man von Speisetische her
"cine dünne, etwas scharfe Stimme. die
die andern iibertöntr. Es war Tanie
:Ilmalie, die aute Nacht wünschte. Sie
bat um Entschuldiauna, daß sie zu
erst aufbräche, aber cH wäre wirklich
»sehr spät geworden. Wie wäre es denn
lmit dem Herrn Ingenieur? Wollte er
lnicht mit?
l Alle standen aut. und Jnaenickir
Ilhlberg that ein Gleiches. Aber er
blieb noch bei seinem Plan stehen.
»Dort ich wiederkommen Z« Er rich
tete seine Frage an Armes
»Ja, gewiß.« Die Antwort kam
rasch, wenn auch ganz leise. Die El
tern und Tanfe Amalie. die in der
Nähe standen, konnten sie nur als eine
formelle Höflichkeit auffassen.
« Aber Jngenieur nahm es anders-,
das sagte sein warmer. lräftiaer Hän
dedruck. der ein beinah betäubendeg
Gefühl in ihrer Hand zurückließ, noch
lange nachdem sie sich von der Tante
Amalie verabschiedet und sie hinaus
beqleitet hatte.
Als der Tisch abaedeekt war und die
Eltern sich zurückaezpaen hatten, stand
Agnes noch immer im Sbeisezimnrer.
Sie hatte keine Lust. sich niederzule
aen, sondern setzte sich ans Fenster und
iblirlte aus die dunkle Gasse. die nur
spärlich von Gaslaternen erleuchtet
wurde.
Sie wußte kaum. woran sie dachte.
Sie fühlte sich fo wunderlich erregt.
Eine überströmendeFreude bemächtigte
sich ihrer.
»Na, also, da sieht ia das Fräu
lein—«
Es war Lina. die die Tbiir ausstieß
und mit großen Schritten aus sie zu
kam, eine Porzellanscherbe in jeder
Hand.
Sie sah beinah triumvbirend aus-.
»Das ist wirklich schön! Eine von
den feinen, echten Tasien. Sehen Sie,
Fräulein, wie ich es aefaat habe!
Wenn man die Schlüssel auf den Tisch
leqt, so giebt es den ganzen Tag
!’lerqer."
Aanes wandte sich ab und brach in
Lachen aus. Sie fand Lina so lachen
lich, wie sie dastand. bekümmert Und
bemüht, ihre Porzellanscherben zusam
menzupassen. Dann griff sie in die
Tasche, nahm das Schliisselband her
ans und wars es mit Schwung auf
den Tisch.
»Sehen Sie, Lina. fo :nach’ ich’i.-.
Und. moraen thu’ ich eg wieder so.
Glauben Sie, ich kiicnmere mich um
solch’ dummes. altes Gerede? Das ioll
man nie thun. Und iibriaens, das
war kein Unaliickstaa bente nein,
nein!«
»So?« sagte Linn und steminte die
Arme in die Hüften.
»Nein, gewis-, nicht. Es war im
Gegentheil ein aanz veraniigter Tag
gewesen —- ein sehr veranüater Tagl«
Und Agnes nahm die Alte um diehiif
»ten und schwenkte sie herum, einmal
ums andere.
Und die Vorzellanfcherben tanzten
über den Boden und zerfvlitterten da
bei so, daß jede Hoffnuna, sie zu kit
ten, ausgegeben werden mußte. Dann
nictte Agnes der Alten rasch eine Gute
Nacht zu und lief dann in ihr Zins
mer-.
i Aber Lina blieb aanz verwundert
stehen. Was war das nur heute mit
ihrem Fräulein?
Der Esset-alter von IMM.
Ein französisches Sittenbild von
JulesLemaitrr.
Die Marquise von Trouville lehnte
sich ein wenig Ln die Chaiselongue zu
riick nnd schien stch an der Hülflosigleit
ihres Gegenübers zu weiden. Es war
auch zu anliisant. Da saß er, der arme
Cdevalier de Montreur, trippelte unge
duldig mit den feinen Lockschuhen auf
dein Teppich des Boudoirs, ließ die
Spitzen des wohl epflegten Schnau
bartes nervös dur die Finger gleiten,
alser Rath wußte er keinen. Und Che
Vcilier de Montreux saß hier als Freier.
Die Marquife hatte das sofort erra
tl;en, und es hatte sie ein wenig irritirt.
Wie sollte es auch nicht« on sich fast Tag
für Tag Liebhaber fanden, die auf ihre
Hand fpelulirten.
Die Marquise war jung, entschieden
schön und reich, sehr reich sogar, also
mit drei Eigenschaften begabt, die eine
gewisse S rnpathie zu rechtfertigen ver
mögen. och das stete Liebe-werben
lanzjweilte sie, und als sie den Eber-alter
de ontreux eintreten sah, feierlich und
ernst, mit dem Bemtkherh recht männlich
u erscheinen, war sie sofcrt entschlos
sen, ihn nicht zu Worte tonnnen u la
sen. Das war entschieden amtisanten
als ein lurzes »Nein« zu sagen.
De Montreux fühlte aber, daß er ei
gentlich eine lächerliche Rolle zu spielen
begann. Dein wollte er vorbeugen, und
er entschloß sich daher, geradewe auf
dass-m loszugehen Der Muth ge ge
win .
Meine Gnä « e,« begann et, die
DER, über vie w r fett plaudern, sind
-
swirliich interessant —- namentlich wenn
man, wie ich. das Gliiel hat, eine so
geistvolle Causeuse als Partnerin zu
haben —- aber ich habe heute etwas
Anderes auf dem Herzen« «
»Ob« mein lieber Chevalier, erschre
elen Sie mich nicht! Sie machen ein so
feierlicheö Gesicht. Das erinnert mich
sielsbast an de Charpant, der mit der ge
heininißvollsten Miene vkn der Welt
siiber Din e sprach, die schon lange nicht
nicht au der Tagesordnung standen
alle Welt langweilten, und doch glaubåe
der gute Mann, besonders interessante
Neuigkeiten u er "hlen. Sie erinnern
Isich doch n di es Kauzes?«
, »Ja wohl, meine Gnädige, ich rni
» sinne mich seinet, aber Sie werden ver
zeihen, wenn ich.inich im Augenblicke
mit dieser gewiß sehr amiisanten Per
sonnicht weiter beschäftigt Jch habe
an andeteDinge zu denken, ich muß. . ."
»Das sinde ich aber ungerecht. mein
Lieber. Charpani ist so drollig, so
göttlich naiv, daß man immer mit Be
vagen an ibn denien soll und lann.'« i
l »Ich habe aber an mich zu den-f
en.
»O, o, Chevalier, wer wird denn sc
egoistisch sein! An sich denken! Sie
sind doch ein braver Mann, und Sie
kennen ja das Dichterwort: Der brave
Mann denkt an sich selbst zuletzt. Jni
Uebrigen. wie denlen Sie über die Bes
scheidenbeit?« l
Der Chevalier iriurde nervöser und:
iiervöser. »Dariiber ein ander Mal,
meine Gnödigr. Heute kam ich, um« . .·'
Die Marguise ließ sich aber nicht aus
der Fassung bringen. s
»Warum ein ander Mal? Jch bin
gerade heute ein wenig philosophisch ge
stimmt. Also teine Launen, lieber Che
valier, wie denlen Sie iiber die Beschei
denheit?!«
. De Montreur war nahe daran, ton
sternirt zu werden. Aber ra ch be
herrschte er sich wieder, erhob ich, und
mit einer sormvollendeten Verbeugung
erwiderte er:
E »Ich niag die Bescheidenheit nicht
ich unbescheiden bin, sehen
»Sie am Besten daran, daß ich hier bin,
tum mir Jbre Hand zu erbitten!«
Er verbeugte sich nochmals und sah
»die Marquise fragend an. Jnnerlich
aber triumphirte er. Die Marquise
hatte sich selbst in der Schlinge gesan
;-e:i, die sie ihm gelegt. Nun gab es tein
Entschlupseii mehr Das Wort war.
gesprochen. s
Ein unmuthiger Zug lsigerte sich über
das Gesicht der Marq use, turz und
flüchti wie ein Schatten Dann lä
chelte se wieder freundlich, wie es der
gute Ton gebietet. Nachlässig hinne
lehnt —- die Stellung war übrigen-H
entzückend —- beganii sie nach einer
kurzen Pause im ieichieii flüchtigen
Conversationstone:
»Lieber Cheoalier —— das war nicht
nett von Ihnen! Sie mußten ja mer
ten, »daß ich Ihrer Werbung ausweichen
writte? Warum haben Sie uns Bei-«
den diese unangenehme Situation ge
schaffen? Wäre es nicht besser ewesen,
Sie hätten Ihre Worte iingecszprocheii
gelassen, un wir wären geschieden, l
ohne daß in Einem von uns eine unan
genehme Erinnerung zuriictbleith
Denn sehen Sie — trotzdem ich die
Ehre voll anerlenne die Sie mir durch
Ihren Vorschlag e. weisen —- bin ich fest
entschlossen, frei zu bleiben! Also nichts
für ungut, lieber Chevalier, Jhre Gat
tin lann ich nicht werden. —- Und, wie
denten Sie sonst iiber die Bescheiden«
heit?« I
De Montreux reiite es jeßt beinahe
selbst, daß er gesprochen hatte; aber es
trar einmal geschehen Nun hieß es
nur noch, sich mit Anstand aus der As
saireOFu ziehen
eine Gnädige,« begann er, »ei; ist
wieder unbescheiden, aber Sie werden
sicher die Neugierde begreisen, die mich
ragen läßt: Warum erhalte ich den
Korb?« s
) Die Marquise schloß einen Augen I
blick die Augen und sann· Dann erhob
sie sich ein wenig, iind mit einem schel
inischen Lacheln aus dei! Lippen stand!
sie dein Chevalier Rede:
»Ja, sehen Sie, mein lieber Cheva
lier, ich will es Ihnen offen sagen. i
Aber Sie ditrsen mich nicht niißver
stehen, meine Werte nicht persönlich
nehmen; sie gelten sur die Allgemein
lieit Also warum ich nicht heirathe
Ja, sehen Sie, der Mann, an den ichl
mich binde, der müßte mir Respekt ein-l
flößen, unbedingten Respet Jch
müßte es einpsinden, daß er ein Mann, ·
ein ganzer Mann ist, und dessen wiir
dig. mein here zu sein, wie es die Bibell
sso schön sagt. Aler sehen Sie, lieber
Eber-alter vie Männer von 1898 impo
niren mir nicht!« i
»So? S scf Reine-, ieiner von«
ihnen!?« l
»Nein, keiner! Zehen Sie, ich habe
im Laufe der Zeit — -- nun, ich will mich
milde ausdrücken es verlernt, Jkyr
Geichiecht zu achten.« !
»Ob« wohl mit Recht? Jn Bausch
und Bogen ein solches Urtheil zu fällen,«
zu generalisiken.« i
»Ja, ch, Sie mögen io Recht haben.
Aber ich bin bis heute noch nicht durch
Thatsachen davon überzeugt worden,i
daß mein geringer Respekt vor den et-!
ten der Schöpfung ungerecht ist! if -1
sen Sie übrigens, wann ich in diesem
.Gefiihle, dzs immer nur wie eine Ah
nugig in mit lebte, voll bestärkt tout-J
.de'.-«
i »Ich hin begierig-· i
i » m vorigen Jahre, bei dem groß-til
BazaapBransdri Jch war im brennen-»
jden Gebäude, und nur meine E ie;
»bat mich gerettet. Aber unauslöschlich
wird in mir der Anblick Yoktlebem wie
Iriele » nen der Schsp ung« webt-»
und lflose Frauen zutiickdeängten,!
mit den Spazieestöcken schlugen, jaj
keibst mit den.Absiitzen der feinen Lack
chube auf die Schwöchmn traten. nur
unt die wer-the eigene Person zu retten.
Rrrgendq eine Spur von Ritterlichteit
oder Manniichteit —- als seiglingg
als erbärmliche. herzlose Feigl nge zeig
ten sie sich da!«
Der Chevalier wurde verlegen. Er
er war ja auch dabei gewesen!
»Nun, nun, meine Gnädigr. Ganz
Unrecht haben Sie ja nicht, doch Sie
generalisirem Aber ich zum Beispiel,
nnd viele Andere mit mir, waren gewiß
nicht. . » so . . . brutal. Gewiß nicht,
das kann mir Niemand nachfagen.«
»Das tann schon fein, mein lieber
6"hevalier! Jch trcllte auch durchaus
nicht persönlich sein. Aber Respekt
hätten mir nur Jene einflößen tönnrn.
deren Namen auf der Liste der Männer
stehen, die mit Hintansetzuna der eige
nen Sicherheit sich am Rettttngswerte
ketheiligteM Sie wollten den Grund
wissen, der mich bestimmt, nicht zu bei
thmt Ihr Wisnsch ist erfüllt; die
THE-atmet von heute imnoniren mir
m 1 I«
»O, o, meine Gniidige, Sie sind ent-·
schieden ungerecht; Muth und Ritter
lichteit leben noch in der heutigen Gene
ration. . . .«
»Ich werde nur idurch Thatfachen be
lehrt. Aber sprechen wir nicht weiter
davon. Was sagen Sie zu der Verlo
bung der kleinen Cuzaune d’Orlieuc.2"
Und sie sprachen weiter iiber aller
band nichtige Dinge, bis sich der Ehepa
lier verabschiedete. Dabei unterließ er
es nicht, die Marquise noch einmal des
sen zu versicheru, daß Muth und Ritter
lichteit trotz Allem neeh fortleben in der
heutigen Generation·
di« IT II
Ueber ein Monat war seit dem Tage
der mi glückten Werbnng verstrichen.
Ehevalier de Montrenx war trotzdem
Verehrer und Besucher der Marqnife
Eil-blieben Man trnnte ja nicht wis
en. . . .
Heute stattete er ihr wieder einen Be
such ab. Er hatte in der Zwischenzeit
etwas erlebt —- ein Duell. Seinem be
ften Freunde war er mit dem Napier in
der Hand- geaenijber gestanden. Die
Ursache? -- Beide Herren waren dis
tret; sie hatten sich auch wieder ver
sohnt, nachdem drei Gänge unbluiig
verlaufen waren. Wenn auch — ein
Duell war es immerhin, nnd bewies
das nicht Muth?
Doch die Marquife hatte fo eigen
thiimlich eliichelt, als das Gespräch auf
diese »A faire« lam. Sie war zwar
Weltdame genug, ihrer Freude über
den glücklichen Ausgang Ausdruck zu
geben, aber sie dachte sich ihren Theil.
Sie war eben eine unverbesserliche
Zweiflerin. Laz- man nicht oft genug
vin Duellen, von Arimödiem die zwei
Freunde ansfiihrteu, um einer dritten
Person »Respett« einznilößen2 Hin — —
las man das nicht oft genug? Wer
tonute wissen, ob nicht . ..
Die Marquise triar tattooll genug.
den Satz nicht einmal in Gedanken zi
frolleriden Aber wie gesagt, fie zwei
elte. —- —
Da saßen nun die Beiden und plan
derten. Plöxlich stutzte der Chevalier,
zog die Luft est durch die Nase ein nnd
fragte:
»Spiircn Gnädiae nicht auch Kohlen
Instit-«
»Nein, aber Sie können schon Recht
haben; am Kamiu dürfte ein tleiner
Fehler sein.'·
Und fie fchwatzten weiter.
Der bren liche Geruch machte fut,
immer inten iver geltend.
Da -— drinnen im Nebenzimmer. ..
plötzlich laute Stimmen. . . . voll Schre
cten. . . . die Thüre dsfnet sich. . . dichter
Rauch dringt berein... Diener und
Köchin erscheinen im Thürrahmen, hu
stend und puste id:
,,Hiilfe! Das Schlafzinimer!·..
Alles dreunt!... Retten Sie sich!"
Und fie stürzen zur Thür.
Ein Ruck - - uni- rer lshevalier fährt
auf.
»Mein Schmuck, mein Schmuckk«
jammerte die Marauifr.
»Reltcn Sie sieht" schreieen Diener
i«nd Köchin, schnell, schnell!« »
»Ja . . . ja . · . retten wir uns!« ruft
der Chevalier — -- und geht der Mar
quise mit gutem Beispiele voran. Jm
Nu ist er zur Thüre hinaus und fanst
blitzschnell die Treppen hinab.
Unten steht Jearette,'die Zofe. «
»Schnell!« ruft der Chevalier, ,,hni
aus — — es brennt oben!«
Doch die Zofe lacht nnd hält ihn ain
Rock fest.
»Aber aber Hei-: de Wonnean
Jch warte schon eine Viertelstunde hier
und erhielt von der Marquise den Aus
trag, Sie »in beruhigen, falls es nöthig
wäre. Die Marquise wollte nur beob
cschten, welche Wiilung« » sie lächelte
voehast »es aus Herren augiib··!.
trenn man in das Nebenzimmer ein oi
senes Becken init glimmenden Kohlen
ausslellt und blinden Feuerlärm
schlägt.« «
Jin Momente erfaßte der Chevalier
vie Situation· Sein Muth sollte ans
die Probe gestellt werden, und er . . .
o! o!
Da lani oie Marquise lachend die
Treppen herab. Er faßte sich so weit
dies möglich war und strtterte:
,, ch s- ich wollte s« ja nur —- die
Pompiero verständigen -— die Lösehs
loache.«
Sie machte aber ein höchst un läubii
ges Gesicht. so daß es der Cheva rer stie
rathsamer sand, zu gehen.
Er ging und lam nicht wieder.
Die Marquise triumphirte:
»Ich habe doch Recht — so sieht er
aus, ver Cheoalier von 18982«
-— Lisenec Belenntnisk Er: »Was
ist herrlicher als ein Russl« —- Sie
lscharnhast errsthend): »Zwetl«