Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, November 25, 1898, Sonntags-Blatt., Image 13

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    cyrano de Berg-erac.»
-»—--..·....·--««.- !
RIInan von Jules Cermina.
Der echte Cur-ano.
I tllebcrscizuan
,«).Iijt murren lustig lsrvenquolem
Erim o'nnn zum Lümmel auf, zum Viu s»
Hals da den Mono, vie Ekrkue itrotklch
Ist-cu« jetzt ver Mütter Angesichts
Mit-lösten ais Cykq::o.
-.A'
Die naheliegende Frage, ob der echte
Cyrano de Berqerac wirklich eine solche
Nase hatte, wie Richard Mansfield sie
sich allabendlich im Garben Theater ttn
New York antlebt, beantworten wir
durch ein echtes Oriainalbild des eisi
rcichen Schriftstellers. Man te t,
sein Näschen ist beträchtlich. aber doch
immer noch nicht monströs zu nennen,
das Mansfield’s aber sehr. sNew Yor
ter Revue.)
Erster Theil.
1«. Cavitel.
Unter der Regierung Ludwigs des
Dreizehnten war die Landstrasze ron
Paris nach Toulouse ebenso wie heute
eine der schönsten von Frankreich. Sie
war auch eine der vertehtsreichstem
denn sie führte zu den ber:schs1sttix!")en
int- töniglichen Besitzunaen an oen
Ufern der Loirr.
Jtn Jahre 1638 erhob sich zwi
schen Antony und Lonaiumean in der
Gegend des deute Petit-Massy heißen
den Ortes ein lziibsches Häuschen, auf
dem ein großes Schild mir der Jn:
schrift prangt-U ,·Gastt)of zum anwe
nen Kapaun'«.
An jenem Taac ----— man befand sich
in der Mitte des Monats September
brannte die große Landstraße imtsllatk
ze der Sonnengluth, und ixtn Dicker
Mann stand an die Tbiir der Herber
ge gelehnt. Das aelbe und spärliche
Haar tagte unter einer weinen Mitte
hervor, während seinen Leib eine lei
i.cne Schürze umschloß. Mit trauri
gern Blick schaute er auf die Lin-di
straße . . . Es mer« wie man wohl siyszn
errathen hat, der Gastwirtkt, der niis
Kunden lauert-. Schon stundenlang
stand er dort, und obwohl oeele Unkos
sen vorüberk;etal-,ren und viel-. Uteiter
vorüberqeritiesi waren. tvIt die Her
berge doch leer geblieben.
Als er einen tiefen Seufzer ausstieß
nnd eben Miene macht-» sickv die letzte-n
Haare auszuraufen ertönte est-estim
me hinter ihm:
»Hei-eh Gadois, warm-i E.1ni:·ierst
Du denn so?«
tFe drehte sich tim.
»Ah, meine Frau, meine IsoletteP
»Sage mir lief-er. was Dis aus den-.
Herzen han:'«
An diesen Worten oder vie-mehr an
dem Ton, ji: ten-. sie gesprochen emsi
dcn, lonnte inm deutlich ersehen, dass
die hübsche Briinette, die noch ieine
jsoanzig Jahre zählte, aus der wag-«
cogne stammte. während ihr Gotte aus
dem Flandristden war.
,.Colette,« erklärte der Jsaitrvircix
»mi: dürfen nnd keinen Jlluftoncn
mehr hingebe-H wir sind ruinirt, iv.r
Find verloren!·«
»Schon?« riei die junge Frau Lie
nisch und iiicne dann im Ton versicke
liehen Mitleids hinzu:
»Wir haben ja unsern GisthoT erst
vor 8 Tagen eröffnet: das i««t ein bis-—
chu schnell vei,:-ceifelt!«
Allerdings erst vor edit Tagen,«
seufzte Meister Gadois. »Abe: isi
iiesen acht Tagen haben wi: noch nicht
ein einziges Aal Gelegenheit gelegt-z
kniete Braispiesze drehen zu lassen«
auch nur ein Stück unsere- schönen
tiiesliigels zu schlachten ode-. nur eine
einzige Flasche unseres alte-i Wein-s-v
zst enttorten.«·
Die junae Witthin machte nieset-I
Ueiamnier mit einem Achseln-den ein
Ende und drehte sich auf ihn-n Absatz
um; dann wars sie dem schönen neuen
Schilde das über ihrem Kopr ninq,
einen raschen Blick zu unk- bxuch in
tin frisches Lachen aus« das einein
Nachtigallenaezwitscher ähnlich !l.»..-q.
»Du lochst?« . schrie der Hain-Inn ;
krümmt-, »Du lachit, wein-cito d.1sUn
gliick auf uns lauert?« !
,.·Cnptian, Ixn weißt nicht« Wo Du .
strick-ist« (
»Ich-» ;
i
»Ju- Du . - « Da halt Du den Be
weis, daß Du Unsinn tedcit!«
Gapois folgte der Richtung, nach »
riet feine Frau zeigte. Ein Dutzend (
Männer zu Fuß, welchen ein Iroßen
auf einem schwatzen Pferde Itzendek
Mann voranschritt, boan eben uns ei:
nem auf die Landstraße führende-n
Fußpfade und machten zwei Schritt
von der Freitkepve des Gasthofeg
»Zum goldenen Kapaun« Halt.
Gebot-L der ganz in feine Sorgen
vertieft war, hatte sie nicht kommen fe
hen und zählte nun mit einem Blick:
,,Eci Kunden —-— die ersten!«
Doch eine eingehendere Betrachtung
ließ feine Hoffnunaen bald tiefer sin
ken. —- Was svaren das für Kunden?
Söldncr, Glückskitter, Weaelagerer ..
Bei solchen Kunden war nichts zu cre
winnen, eher nach zu verlieren·
Der Ritter war indessen vom Pfer
de gestiegen, hatte die Ziiael feinenGe
nassen zugeworfen und war die Frei
treppe hinaufgestürxt Mit schnellem
Griff nah-n er feinen breiten Filzhut
ab, derbeuate sich Ver der Frau Des
Gastwirthg und faate mit rauher
Stimme, der eine aalante Betonung
zu aeben bemiiht war:
»Frau Wirtkin. meine braven Ka
meradcn nnd ich bitten Sie um Speise
any Obpach für die Nacht!«
Ver Sprecher war ein riesenqrvßec
than-! mit zieaelrothern Gesicht nnd
Leuerrothem Schrsurrbart den et mit
ireahasur Miene in die Höhe strich,
irahrend er die junae Wirthin frech
beliebiiuaelte Aus seinem Biisfel
wannan dessen lanaen Gebrauch mehr
als ein Riß nnd nrehr als ein Fliclen
bezeuatc, hinq ein aestickteg Bandelier,
an dein man eines jener furchtbaren
tkiappicre erblickte, das schon einzig und
allein durch sein Gewicht nnd sein-.
Grdßc war, Respect einzuslößen
Unruhig trat Gadois näher und »
klärte mit honiasüszer Stimme:
»Wir stehen Euer Gnaden ganz zu
Diensten; besehlen Sie, und wir wer
den aeliorchen.«
Der rothhaariae Mann wars dein
Gastwirth einen verächtlicheu Blick zu
und befahl dann, sich an seine Leute
«.oendend: »Gebt hineinl«
Ginen Auqenblick später ließ er sich
in einem kleinen Saale nieder, wäh
rend es sich seine Leute in einein Ne
ben-Zimmer bequem machten.
Als die erste Freude vorüber war.
traltzte sich Gadois den Kopf und mur
·ne te:
»Wenn diese Banditen nur nicht
meinen Keller und nieineSveisetarnrner
plündern!«
Diese Betrachtuna wurde unterbro
chen, denn derAnsiihrer rief mit schreck
licher Stimme:
»Hei-en Gastwirth!«
»Da bin ich, da bin ich. Euer Gna
den!«
Mit diesen Worten wandte sich Ga
doie, seine Mußt in der Hand, dem
Saale zu, in dein der Mann saß, der
ihn allem mehr erschrerttr. als alle sei
ne Bealeiter zusammen. Plötzlich aber
fuhr er wie geblendet zurück. denn ror
dem schrecklichenPanduren mit dem ro
then Schnurrbart laan Silberthaler,
unter denen auch einiae Goldstücte
alitzertein Der Fremde schob Gadois
die hälste des Schatzes hin und ries:
»Für mich, sür mein Pferd und
meine Gesöbrten bezahle ich voraus.
hier nimtn!«
; Der Gattnnetn »Zum goldenen sta
; paun« war entzisckt
» »Ja, so sind wir einmal. wir Edel
leute,« rief der Fremde und suhr nach
turzer Pause tokt:
»Du be reisst wohl, guter Freund,
wenn ich ich in so nobler Weise be- .
zahle, so will ich auch in jeder Weise
unbehelligt bleiben . .. bei Allem, wag
auch geschehen maa . .
»Was auch geschehen mag?« fragte
Gabois in blöbem Tone. hinter dem
eine gewisse Unruhe nicht zu verkennen
war.
»Jatvot«,l,« bestätigte der Andere in
rauhem Tone; dann bückte er sich zu
Lem Gastwirthe und fubr leise fort:
,,Hör’ mich wohl an, und las; es
Dir zur Warnung dienen . .. Sobald
ich und meine Leute abgespeist haben,
und mein Pferd seinen Hafer bekom
men hat, wirst Du Dich mit der schö
nen Wirthin zurückziehen . . . Von bie
sem Augenblick an sei blind, stuntm
isnb taub, was Du auch sehen cmer hö
ren magst, das ist der beste Rath, den
ich Dis geben tann.«
»Was bedeutet das?« stammetie ver
dicke Mann.
»Das bedeutet, daß es nur inDei
nein Interesse ist, Dich heute Nacht
todt zu stellen, wenn Du Deine Frau
nicht in kurzer Zeit zur Wittwe ma
chen willf.«
Gadois fühlte nicht einmal mehr die
Kraft, eine Frage zu stellen.
»So! jetzt,« fuhr der Andere fort,
»brinae Wein —— guten für meint-Leu
te, und für mich vom besten: dann tra
ge uns auf, was Deine Küche zu bie
ten vermaa.«
Gaoois war bereits in Küche nnd
Keller gestürzt, und Teller und Fla
fchen erschienen auf den Tischen. Al
leg befand fich in lebhafter Thätigteit,
da rief Colette plötzlich:
»Da kommen ja noch Andere!«
Jn der That erschien aleich darauf
ein zwriter Trupp, der nsie der erste s
aus Xzehn Männern »Ind einem beritte
nen Anführer bestand, der klein, nn
terfetzt und briinett war. tsr hielt fich ;
nicht lanac mit Redensarten Und Ga- z
i
lanterien auf, sondern befahl mit rau- s
her Stimme:
t
»Mein fiir 15 Mann!!«
,,s,iir füan ,ehn?« fragte Gadoig ver- :
stzt
»Ja, zehn Nationen iiir diese Tau
genichtse, fünf für mich, Jber schnell,
ich habe Durst!«
Der Gastwirth ver-beugte sich
»Dann bringe uns zu essen, « befahl
der kleine Mann weiter.
»Für fünfzehn?«
»Nein, für zehnt«
»Dann ißt also einer von diesen
braven Leuten nicht?«
»Sie essen alle!«
»Und Euer Gnaden?«
»Ich trinke nur. . clber ich trinke
» nicht aus Borg,« lachte er, fuhr mit der
Hand in die Hosentasche und »der eine
wohlgefüllte Börse heraus.
Gadoih glaubte, er müßte ohnmiich
tig werden, so viel Kunden nnd so viel
Geld -— das war zu viel des Glückes-!
Aus dem großen Küchentisch gl tzerten
Thaler Pistolen und Dovvelloiiisdor5.
Mit dem Handriiclen theilte dchrem
de den Haufen in zwei gleiche Theile
nnd sagte:
»Das gehört Dir, Wirth!«
Dann nahm er dag, was Ihm blieb,
in die Hand und liefi es unter lautem
Klappern in die Börse ,nrriickfallen.
foude Entzücken kannte reine
Grenzen mehr; vor Freude förmlich
außer sich, zeigte er auf die Thiir des
Saales-, in dem der erste Anführer
fas;, und säuselte:
»Wenn Eure Hoheit hier vielleicht
eintreten wollen?«
Weiter konnte er nichts sagen, denn
eine rauhe Hand legte sich aus seine
fleischige Schulter, zerrte ihn bei Seite
und flüsterte:
»Leistung und Gegen erst-stig, für
mein Geld verlange ich Illstandigc
Ruhe!«
»Eur: Gnaden werden hier ganz
wie zu Hause sein,« flüstertc Gedäc
»D»arauf rechne ich auch star.»««
knirschte der Fremde, »denn wenn es
anders wäre würde ich Dir einfach
den Hals umdrehen!«
»Allmächtiger Gott« rief der Gast
wirth entsegt
»Es ist also abgemacht, was heute
Nacht auch in Deiner Herberge gesche—
heu mag, Du siehst nichtgs«
»Nichts!«
»Du hörst nichts?
»Nicht-P
»Und Du wirst keiner lebenden Ser
le etwas wiedererzählen?«
»Ich verspreche es» ich schtvzxe ei.
»Es ist gut. ..Uebrigen5 wenn Du
nicht verschwiegen bist, weißt Du wa
Dich erwartet. «
»Ich bin stumm, stumm wie Der fei
ne Fisch, den ich Ihr-n braven Ge
führten sogleich auftragen werde.«
Jn stranimer Haltung nnd erhobe
nen Hauptes wandte sich der Mann
dem Saale zu, in welchetn der erste
Ankömmling bereits san der eifrigst
damit beschäftigt war. einen feistenKa
paun zu zerlegen In dieser angeneh
men Beschäftigung unterbrach er sich
nur« um den Inhalt eines litieiengla
fes hinunterzugiesken das wohl ei ne
halbe Flasche alten Burannderiveines
faßte
Plötzlich beim Geräusch der sich öss
nenden Thiir erhob der Pandnr das
Haupt und rief:
»Sieh da, Major Quineanipoir!«
»Ja eigener Person« Haupt-nam
Cartefour.«
»Sie kommen also auch wegen der
Geschichte?"
»Wegen einer Geschichte ja .oD ch
T von welcher sprechen Sie?«
»Nun, von der, in welcher es sich um
eine sehr hohe und edle Dame han
l
i
i
i
l
i
hell-«
,,Richtig!«
»Sorvie um einen sehr Vornehmen
Herrn«
«Stimmt!«
»Eine Liebesgeschichte . .
,,Oder Politik. .
»Ja der von einem Kinde Die tltede
»Das ist wirklich dieselbe ·"Zeschich
te!«
»Aber zum Teufel, warum hat man
uns denn bis zu dieser Stunde oen
Namen unserer Gefährten verschwie
gen?«
»Staatsgeheimnis;!«
»Da erweisi man uns aber viel
Chri«
»Ob« es ist Psissiateit von Seiten
der Hosleute, denn eg fehlt uns noch
Jemand . . ·'«
Jn diesem Augenblick öffnete sich die
Thür von Neuem, und es erschien ein
seltsames Wesen. «"anlos lang und
diirr, trug er stolz und feel einen Man
tel, der mit Rissen und Flicken form
lich übersäet war. Ein Filzhut mit
lxchem Federbusch ließ ihn noch größer
erscheinen ————— und es mochte wohl we
ist
nige Thüren geben« die er durchschritt,
ohne den Nacken beugen zu müssen.
Hinter ihm erschien Gadois mit
sreudestrahlendem Gesicht, denn er
witterte eine neue Einnahme.
Ein doppelter Ausruf begrüßte den
Eintritt des Ankömmling-L
»Chantepleure!«
»Er selbst!« Versetzte eine Grabe-Z
stimme, »er selbst! meine gutenFreun
de, stets bereit, zu singen und zu tan
zen und tüchtige Hiebe auszutheilen,
wenn man nur den gehörigen Preis
dafür zu zahlen versteht . . .«
Mit diesen Worten hatte er die
Hand nach einem Schemel ausgestreckt,
ließ sich darauf nieder und fuhr fort:
»Jetzt, meine braven Freunde, mol
len wir plaidern . · .«
Während dieser Zeit nalnn Gadois,
der duchstäblrch voll vor Freude war,
das Gebahren eines Feldberrn In . ..
Er ertheilie Befehle, ,-.ankie seine Leu
te aus, feuerte seine Frau an, und als
diese eine Grimasse schnitt, rief er: ;
»Wie mein Kind, Du freust Dich
nicht? Du geräthst nicht außer Dir-?
Die Herberge ist voll, hörst Dri»
wohl? . .. voll zum Erdriicken!«
,,·;ja,. eine nette Gesellschaft!«
»Aber Colette!«
,,Eme Schaar Banditen, Tatsac
nichtie, unverschämte Trunkenbolde,
die sich alle möglichen Frechheiten er
laubeu
»Gute Kunden, Colette! . .. Ausge
- zeichnete Kunden, die im Voraus be
zahlen!'·
»Und die Alle zusammen nicht einen
braven Jungen aufwiegen . .. selbst
wenn er keinen Sou besitzt!«
Selbst wenn er keinen Sou l«-e
sitzt! . .. Gadois erhob die Hände gen
Himmel, als- wollte er ihn wegen die
ser Lästerung um Vergebung flehen ..
Doch in demselben Augenblick ließ s:ch
draußen ein Geräusch vernehmen. Man
hatte an die Thiir gelbpr
»Schon wieder einer!« rief der Gast
wirth verächtlich. »Auf Ehrenwort,
»der goldene Kapaun« wird zu srhr
belaufen!«
Ohne auf ihn zu hören. hatte seine
Frau die Thiir geöffnet. Draußen
herrschte siockfinstere Nacht. Im Rah
men der Thiir erschien die hohe und
elegante Gestalt einer- jungen Mannes,
mit dem Filzhut auf dein Kopfe und
das Schwert an der Seite.
«Schöne Wirthin,« sagte er :-..it ga
lantem Gruße, »haben Sie in Ihrem
Gasthofe fiir einen Edelmann von gu
« ter Geburt und seinen Lataien Platz.
die beide etwas müde sind und das-Ve
diirsnifz empfinden, sich ein wenig
auszuruhen, bevor sie sich der großen
Stadt zuwenden?«
»Unser Haus ist leider voll«« versetz
te Colctte, »und ich fürchte . . «
,Teufel!« rief der Unbekannte, »das
wäre aber wirklich unangenehm!«
Bei diesen Worten trat er einen
Schritt vor und man konnte nun sein
Gesicht unterscheiden Es war noch
ein ganz junger Mensch, kaum achtzehn
Jahre alt. ;,n seinem Gesicht glänz
ten zwei schwarze Augen. während sich
uber seinem seingeschnittenen Munde
ein feiner Schnurrbart zeigte. Doch
ras Charakteristische seiner Physiog:
; noniie war der wirkliche wunderbare
Vorsprung einer Rase. die so schreck
lich und so krumm wie ein Adler-schna
bel war.
Doch trotz dieser Riesennase schien
Madame Gadoig den Ankömmling oh
ne Widerwillen zu betrachten. Hinter
ihm lonnte man ini Halbduntel einen
armen Teufel sehen, den seine milden
Beine kaum zu tragen vermochten.
»Aus jeden Fall« fuhr der Fremd
ling fort, ,.ift es, bevor wir diese Un
terhaltuna fortsetzen, meine Pflicht,
Ihnen ein Geständniß zu machen. .
Weder ich noch mein Diener besitzen ei
nen Pfennig nicht einmal einen
Heller! . . . Das hindert aber nicht, dass
wir großen Hunger habeu!«
»Ach, dir armen Jungen!« sagte Co
lette gerührt. Doch Gadoig war näher
getreten; er hatte die letzten Worte des
jungen Mannes gehört und rief wü
thend:
»Nein Geld! . . . Ja, was wollt Ihr
dann hier?... Zieht Eures Wegegt
Meine Herberge ist kein Hospiz fiir
Landstreicher und Vaaabunden!«
,,Teufel! Teufel, noch einmal!«
»driillte der Fremde. »Ich glaube,
Freund bevor ich gehe werde ich Dich
noch tüchtig bearbeiten!«
Als der Gastwirth sah daß man sich
auf ihn stürzen wollte, zog er stch
schnell zurück; doch schon hatte sich die
junge Frau zwischen sie geworfen und
fragte den Unbekannten leise:
»Sie sind aus der Gascogne?«
»Ja. .ich bin aus der Gascogne!'
»Dann gehen Sie ohne ein Wort zu
i
sprechen . .
»Aber . .
,,Gehen Sie nm die Herberge herum
nnd erwarten Sie mich an der Thiir
des Obligartens . .
»Und wenn ich dort warte . .
»Verlassen Sie sich auf michs . . ..
Eine Gascognerin verschließt einem
Gascogner nie ihre Thür!'«
Gleichzeitig stieß sie den jungen
Mann dem Ausgang zu, in der augen
fcheinlichen Absicht, irgend eine Krisis
zu verhüten, in der ihr Gatte doch nur
eine klägliche Rolle gespielt hätte. Der
Gascogner verschwand. nnd Colette
schloß die Thür.
»Sol« sagte sie, zu dein Gastwirih
zurückkehrend, »das wäre besorgt!«
»Die sind Verabschiedet!« rief Ga
dois hohnlachend und fiigie dann, sich
vergnügt die Hände reibend, hinzu:
,,Oal)e ich etwa nicht Grund, solche
Leute fortzujagen?«
,,Gewiß!«
»Und ihnen ninthia den Standpunkt
llak zu machen?«
»Mnthig ... ist gut!«'
»Als wenn die Herberge »Zum gol
denen Kapaun«, die bekannteste der
ganzen Gegend, ein Zusluchtort für
Habenichtse und Landstreicher wäret«
Etwas ärgerlich rief die junge Frau-:
,,Sprich nicht so viel! Gieb lieber
auf das Essen Acht!«
Damit wandte sie sich der Tlxiir zu
und sagte:
. »Ich werde inzwischen die besten
Weine aus dem Keller holen · .
»Thu’ das, Frau!« erklärte Gadois
mit majestätischer Bewegung. »Und
vergiß nicht, was der aoldene Kapaun
seinem Rufe schuldig ist!«
Colette war schon nicht mehr im
Zimmer. Sie hatte die Küche terms
sen, einen niedrigen Saal durchschrit
ten und den Garten erreicht. Eifrig
blickte sie sich um. Niemand konnte sie
beobachten. Uebrigens herrschte über
all auch eine tiefe Finsternis-» Die jun
ge Frau begann die Alleen zu durchs
laufen und hatte bald die Mauer er
reicht. Hier öffnete sie eine Thür, die
auf die Felder hinausging, beugte sich
etwas- vor und rief:
»MVA"
»Da bin ich!« erwiderte eine Stim
me, und sie fühlte, wie sich auf Ihre
ausgestreckte Hand eine andere Hand
legte
»Und Jhr Diener?«
»Er wird uns schon folgen.«
»Aber ich.höre ihn nicht«!
»Ja, der arme Teufel hat, müde
und zerschlagen wie er war. deniWum
sche nicht widerstehen können, cttras
Vorrath zu schlafen . .
»Er schläft?«
,,Hören Sie nur!«
Ein ungeheures Schnarchen durch
braeh die nächtliche Stille. und der
Glascogner rief nun mit möglichst ge
dämpfter Stimme:
»Jolivet!«
Gleichzeitig kitzelte er die Seiten des
Schläfers mit der Spitze feiner Degen
fckieide, worauf vom Fuße der Mauer
her ein Knurren ertönte:
»Jolivet? . .. da ist er!«
»Na, vorwärts, Schlafmittzek Aber
schnellt . . .«
Man sah, wie sich zwischen dem ho
hen Grase schwersällia eine Gestalt er
hob.
,,«folgt inir!« fliisterte Colette . . . .
»Aber vor Allem tein Geräusch « tein
Wort!«
Von der Hand der reizenoen Wir
tljin geleitet, hatte der Edelmann sei
nen Diener selbst beim Warum-s ge
packt und zwang ihn so, feinen Spu
ren zu folgen. Das war keine unniitze
Vorsicht, denn der brave Lakai schlief
im Stehen, und seine ungeschickten
Füße zertraten mitleidslos die Erbsen
und Schwein die den Stolz Chprian
Gadoi5’ bildeten.
Nach einigen Minuten machte man
Halt. Man befand sich am Fuße eines
Gebäudes, an dessen bescheidenez Un
terqeschoß sich der erste Stock sofort an
schloß. Aug den Thüren strömte ein
starker, warmer Geruch. Tiber den man
sich nicht täuschen konnte. Es war der
Stall desJ Gasthofeg zum »Goldene.i
Rapaun«.
Bei dein Gedanken. ein solches Lo
qisg zu bezielsxm übertam den Edel;
mann eine innere Emvörung, ie sieh
non feinen Fingern neroöz auf die fei
nen Finger der Madame Gadois iiberi
trug.
Sie verstand und murmelte:
»Leider taan ich Ihnen nur geben,
was ich habe . . .«
Der Gascogner-, der sich feiner Eitel
teit schämte, neigte sich zu Ebr:
»Sie sind ebenso aiitia, wie
hizbfch . .. Von Ihnen nehme ich Alles
an Selbst eine Scheune wird mir
alk Palast erscheinen, sobald Sie es
gis Nachtlager sur mich siewähli ha
en . . .«
Colette erwiderte nichts. doch sie be
ivies durch einen Händedruck, daß sie
fiir diese Galanterie nicht unempfind
lich war. Sie dffnete nunmehr eine
Thiir nnd betrat eine schmale Treppe,
die sie leichten Fußes hinaufstieg. Der
junge Mann folgte ihr, ohne die ce
ringste Bewegung zu machen, und der
Diener, der schon wieder halb ringe
sehlasen war, sties: ungeschickt an alle
Stufen, und auf jeden seiner Schritte
antwortete ein lautes Geivieber, das
aus dem Stall iam.
,,).«eise!« sliisterte Colette
; ,..Tölpel von Jolivetl Dovpstlter
Esel! . .. Dreisacher Narr.« ichalt der
junge Edelmann, doch der unglückliche
Latai. der schwankend wie ein Nacht-:
wandler weiter schritt, fetzte sein Lär
men unerschiittert fort.
Inzwischen hatten sie das Ziel ih
res Aufstieaes erreicht. Und die Wir-:
tbin sagte:
,,Tretet hier ein!«
In der Dunkelheit umhertapvend
und seinen Diener wie ein vsxoctsleppian
nachziehend, war der Gascogner ans
etwas Weichedz qestofzsm daz einem
Bette ät)nelte.
Endlich hatte er Zunder aeschlaqen,
nnd ein Licht flammte auf. Z Irsoralich
hatte Colette einen dicken Und breiten
Mantel vor die Oefsnnna acliangt nnd
sagte nun:
»Sie sind zu Hause! Ja) have Ih:
nen ein Nachtlager versprochen, hier
ist es! Eine Gascogner-in lliilt stets ihr
Wort!«
»Meine inniac Dankbarkeit . . de
xiann der junae Mann.
»Sprechen wir nicht davon . .
Uebrigens din ich noch nicht fertiq . . .
Nie leat sich ein Otnscoaner mit leerem
Magen nieder . .
Plötzlich hielt sie im Reden inne,
denn ein seltsames Geräusch ließ sich
in dem Zimmer vernehmen. das lich
indessen bald auftlärtr. Jolivet hatte
sich nämlich sofort auf das Bett ge
worsen und schnarchte nun aus Lei
bestraften daraus los.
»Um so schlimmer für ilinl« dersetz
te die Wirthin in heiterem Tone. »Wer
schläft, speist . .. die beiden Portionen
werden fiir Sie sein.«
Nach diesen Worten verschwand se
und der iunae Mann der mit dem
Schläfer allein geblieben war, ließ sich
aus einem Schemel nieder Das Kinn
in die Hand qestiitzt, vertieiie er sich m
eine Betrachtung, dochs dieselbe konnte
nicht nnanqenehmer Art sein« denn er
lächelte, und seine Lippen murmelten
in inniqeni Tone den Namen: ,.Diane"·
Diese Träumerei hätte lanqe währen
iisnnen do II) endlich entriß iljn dasGe
räusch der sich wieder öffnenden Thiir
seinem Sinnen. Die diibsme Mada
me Gadois erschien wieder aus der
Schwelle In einer Hand hielt sie
eine Schüssel, auf der ein appetitlich-es
Stiici Geflügel damppr in der ande
ren truq sie zwei Flascheii die schon
durch ihren Siaudiiberzua Ansprachen,
während sie unterm Arme eine-n Laib
frischen Brotes trua
Sie stellte das Ganze auf eine Trube
und saqte schelmisch nnt sinmnihiger
Berbeuqunq:
»Euer Gnaden, eg iii iiuigeiri·;gen·.-«
Dann verschwand sie ebenso leise
wie sie gekommen war.
Der junge Mann machte sich sofort
ans Werk, und bald war Alles bis aus
einen kleinen Rest verschwunden. den
er seinem Diener auszubeivahren be
lo .
chPlßötzlich spitzte er dasz Ohr. Unter
ihm ließ sich ein Gerauicki vernehmen,
und einzelne Worte drangen durch den
Fußboden zu ihm empor-. ·
»Wenn ich ausziehe.s' sagte eine
Grabes-stimme »dann überlasse ich es
nie einem Anderen, mein Pferd zu sat
teln.« » · .
»Ich auch nicht,« versetzte eine weni
ger tiefe, aber ebenso rauhe Stimme.
« »Man wagt schon genua," ertlarte
ein Dritter, »r-hne daß nirin ssch . der
Gefahr eines ungluckseliaen Zufalls
auszufegen braucht!«
»Wer mögen diese Leute sein«-J«
fragte sich der Gascogner. ,die zu sol
cher Stunde einen Zug vlaiieii?« '
Jnstinktiv spitzte er noch aufmerksa
mer das Ohr, und das Geiorach ging
weiter: v » ·
»Hvsfeutlich werden sich unsere-ehre
re im Kampfe ebenso tapfer halten wie
ir.
,.,Wollen’s hoffen!«
»So wäre also Alles in Ordnung!
Jch bin bereit!«
»Ich auch!«
»Ich ebenfalls!« ··
»So bleibt uns also Richts- weiter
zu thun, als unsere Leute zu rufen . ·.«
»Und sie nachdem Plane-, den wir
entworfen, auf dein Wege Zu verthei
len . . .. .
»Ja . .. ein Drittel voran, um die
Reiter an der Spitze zum empfan
aen . . .«
» »Ein Drittel versteckt an den beiden
Seiten der Landstraße um im geeig
neten Moment Tiber die Karosse herzu
fallen . . .«
»Und der Rest als Nachtrab . . .«
»A bgeiiiacht !«
»Einverstandcn!«
»Langiveilen werden wir uns nicht!·«'
»Noch ein Wort! Ein Jrrthum
ist doch bei unserem Unternehmen aus
geschlossen?« ,
»Ganz uniiiöalich!«
»Carrefour übernimmt die Frau .
»Quineainporix des-s Kind . . .«
»Und Chaiitepleure sorgt dafür, daß
die lieberlevenden nicht länger leben
bleiben . .
»Um das, was sie gesehen haben, zu
erzahlen!«
»Seid ganz unbesorgt, ineineFreun
ve,« bestätigte die Grabesftimme. »Eine
Pistoleniugel in den Hals oder eire
Dolchstvß ins Herz dürfte selbst den
bösesten Zungen Schweigen gebieten!«
Der Gascogner hatte tein einzige-.
Wort verloren und murmelte mit sie
ballten Fäusten:
t ,,,O, diese elenden, schnftigen Banoi
en.«
Was da vorbereitet wurde, lrsar
nichts Geiingereg als ein gemeiner
Hinterhalt . . ..
—Wer aber sollten die Opfer sein?
Eine Frau? Ein Kind?
»Es wird sich wenigstens ein Mann
von Herz finden, um sie zu vertheidi
gen,« rief der Fremde, in aroßiniittii
ger Ausivallung jede Klugheit ver
qessend.
Jn diesem Augenblick verließen die
drei Pferde den Stall und verursach
ten sauchend nnd stampfend einen Höl
lenlärm«.
Der junge Mann löschte die Kerze,
welche in seiner Dachlammer brannte,
stürzte nach der Lule, riß den Mantel
ab, den Colette dort. ausgespannt
beugte sich hinaus und betrachtete das-z«
Schauspiel, das sich seinen Blicken bot.
Er unterschied drei Reiter mit Filz.
hut und Federbusch und langem Ray
piet, die sich ruhig wie Leute, welche
wissen, daß sie Zeit haben, in den Sat
iel setzten.
Plötzlich aber erschien ein Mann in
dem Hofe nnd rief mit leuchender
Stimme:
»Vorwärts, sie sind da; sie find dat«
Man hörte ein dreifaches Fluchen,
die Pferde baumten ich unter den
Sporen, und in einem Augenblicke was
der Hof der Herberge leer, während der
Gascogner von seiner Lute aus ein
Geräusch von sgaloppirenden - Pferden
vernahm, das sich mit dein dumpfen
eines schnell dahinfahrenden Wagens-«
) vermischte.
»Zum Teufel,« briillte er, »wer auen
! die von diesen Schriften bedrohten
Opfer sein mögen, ich werde sie retten,
oder ich will meinen Namen verlieren.«
Mit diesen Worten kletterte er on
den Rand des Dache-, hielt sich an oer -
Dachrinne fest und rntschte ins Leere
hinunter. ·
CFortsetzung folgt.) » »
)