Der Todte von Horrnrz III-land. Roman von Heika ShM. (5. FortsetzungJ Die junge Dame lächelte Dann lud sie Rheden durch eine Handbewegung ein, aus einem schwarzen Ledersopha Platz zu nehmen, und setzte sich ihm selbst auf einem Holzstuhl gegenüber, so daß der Tisch, auf dem die Lampe stand. sich zwischen ihnen befand. Jetzt erst war es Rheden möglich, dieBrief schreiberin genau zu betrachten. Sie war laum zwanzig Jahre alt, viel leicht jünger, aber doch besaß ihr hüb sches, regelmäßig geschnitteneg Gesicht nicht mehr die erste Frische der Jus gend, die Augen wenigstens, so schön sie unter ihren kühn geschwungenen Brauen auch waren, zeigten eine ge wisse Miidigkeii. Maggie Broivn trug sich einsach, ein grauer Hausrat der in der Taille von einem türlischenGür tel gehalten wurde, umschloß ihre schlanke Gestalt, das reiche blonde Haar war in einen iunstlosen Knotel gewunden nnd durch einen Pfeil hin ten befestigt. Einsach und sauber wie die Besitzerin erschien auch die Einrich fung, in welcher eine Nähmaschine, ein Rohrgeflechi zum Anproben der Kleis der und verschiedene Modejournaie nui die Thatigieit der Bewohnerin des Zimmer-E- bindentetm Sie haben die Dame und den-Kind, welche in 347 Eldribge-Straße ge wohnt haben, persönlich gekannt?«' er öffnete Rheden das Gespräch. »Ja, gewiß — ich kannte sie, diellni " glücklichen,« erwiderte Maggie Bist-ern welche ein tadlloses Englisch sprach, woraus-gesetzt natürlich, daß Sie eben diejenigen suchen, welche ich tenne.« »Das ließe sich leicht seststellen,« meinte Rheden, ,,wiirdcn Sie die Da me toiedererlennen, wenn ich Zinsen eine Photographie zeigte?« »Mit Sicherheit würde ich das ---— o, die Arme besaß ein Gesicht, das man nicht vergißt, sobald man eH einmal gesehen.« »Wann wurden Sie mit ihr be kannt?« »Ihr — vor s-« einem halben Jahre etwa.« »Wo wohnte sie damang« »Wir sie wohnte? Sie meinen, wo fie sich mit dem Kinde aushielt? TJtmn hier in New Yort.« »Gewiß. aber in welcher Straße?« »Ah — sie —— sie wohnte ---— o, ver zeihen Sie einen Augenblick, ich glaube, ich vergaß die Thin ordentlich zu schließen, ich will nachschen.« Sie verließ das Zimmer und trat aus den Gang hinaus-. Rheden hob das Haupt und lauschte mit schärfster Arismertsamteit. Er ver mochte es skch selbst nicht zu erklären -—— sein Verdacht war plötzlich erregt wor den. Obwohl die Erscheinung und Umgebung der jungen Dame selbst ei nen entschieden günstigen und solioen Eindruck machten, so hatte ihn doch ihre Besangenheit, ihre Zurückhaltung bezüglich der Mittheilungen, welche sie zu machen versprochen, befremdet und seinen Argwohn erregt. Und jetzt —- war es nur eine Folge seines einmal erwachten Verhachteg, nur ein Trugspiel seiner erre ten Sinne, oder täuschte er sich n chts Rheden glaubte unterdrücktes Flüstern im Hauäslur zu vernehmen· War Maggie Brown nicht allein? Verborg sie eine Person irn Hause? War es vielleicht au einen Ueherfall abgese hen? Ehe Rheden sich recht Antwort geben konnte aut d.ese Fragen, welche mit Blitzesschnelle sein Gehirn durchs zucktem trat Maggie wieder ein. »Die Thiir ift geschlosssa«, sagns fte ai:sathmend, »und nun können wir fortfahren Natürlich wohnte oie Frau schon n der Etdridqestreet. Welch er baemltches Wohnenl haben Sie eng se , dunkle Keller-Immer gesehen?« » habe es gesehen«, erwiderte XII-dem mit seinen Blicken Maggie d, um eine verdächtige Bewe MXIH sofort wahrzunehmen und ih: gedreht-nd zu begegnet-, »aber ich tam hierher, tkm Neues zu erfahren, und m Sie bitten, demit nicht länger ze: -lteu.« »Sie sollen alles crf-:1):en««, sagte die Kleidermacherin, »Sie müsse-: nämlich wissen, daß ich damals die einzige char, ’ welche die Aermften :.merstiitzte.« »Viel-isten Sie in ?cmfelben·Ha-.tic?« ( »Nein, aber ich kam hfter hin, Zu ich i für eine Familie a:«L«-eitete, die dort i wohntc.« J »Für welche Famike ?« ? »Den Namen this-e ich verg:sfe!s.,? meine Kunden wechseln schnell, und ich Fatnn nicht jedes einzelnen eingedenk em.'« »Aus Sie erwiesen der Daniel-Sahs thqten. Aan Sie its-.- Gelt-V »Das wo l auch, aber hauptsächlich waren sie mir dankbar, weil ich ihre e mit enmnmene Gnedeeobe auf - chec. v e Ent eit zu beanspruchen Zum Dank fchenk e mir die Dame —-—«« »Wir war doch der Name der Un thieben?« warf Rlzcden schnell da M »Ich habe ihn niemals erfahren, die l sen Namen« , entgegnete Maggie so unbefangen, daß der Deutsche von sei nem Argwohn wieder ein wenia zu rückkam, »sie li hie nicht danzch cic fragt zu werden Toxh ich zeige Ihnen einige kleine Geiheiike, die ich von ihr zum Dank siir meine Hilfe enipfing.« »Die würden in cl; allerdin-;3 sehr ingetessiten Was silr Geschenke sind eg« « »O, Gegenstände welche an sich kaum einen Werth haben· Ein Spitzen taschenkuch, das sie selbst gegrbeitet—-—« »Ein Tuschenluch7 Zeigt es einen Namen, Jnitialen?« »Sie können es selbst sehen. Ich de wahte es hier in diesem kleinen Kasten unter anderen mit lieb-en Andenken auf.«· Das jung-e Mädchen hatte sich erho ben nnd war an ein Wandscbtänkckpn getreten, das sie öffnete. Die Bliie Rhedens, die ihr aufmerksam gefolgt waren, vermochten nichts verdächtiges zu erspähen. Lsils sich Maqgie ten: Tisch wieder -3it:vandte, hatte sie einen kleinen, ebenholzforbenen Kasten in der Hand. Mit erinbenem Haupt, als luiiie sie die Zweifel ihres Besuchen- längst ertathen und könne ihm den Beweis bringen, wie gänzlich unbegeiindet sein Argwohn sei, stand si: einen Au genblick vor ihm. Dann ließ sie sich nnmuthig neben ihm aus dem Zosa - nieder. »Wir können die Geaenstände so am besten gemeinsam detrachten,'« faate sie. «Sehen Sie her ——-— das ist dar- Evi tzentuch.'« Der Kasten sprang. dem Druck einer Feder gehorchend auf, Und Rheden sah J ein weiße-:- Tuch vor sich liegen. Zu . gleicher Zeit bemerkte er, daß den-. Ka- s sten ein scharfer, süßlicher eGruch ent stieg. »Welch ein widerwärtiges Parfiim,«' dachte er, dann wars er mit schneller Bewegung den Kopf zurück, denn ein furchtbarer Gedanke hatte ihn erfaßt Jm nächsten Moment stieß er einen Schrei aus und fuhr rnit beiden Hän den nach feinem Gesicht, um sich das Tuch von Mund und Nase herahznrei ßen, welches das junge Weib mit un widerstehlicher Gewalt darauf pres;te. Der Körper des Ueberfallenen rich tete sich auf, um sofort langsam wieder auf das Sosa zurückzusinten Unzu sarnmenhängende3, unverständliches Lallen drang unter dem Tuche hervor, und auch dieses erstarb nach einigen Serunderr Maggie, die sich während de-:« Kam pfes über ihr Opfer geworfen und es rnit Aufgebot alle-« Kräfte unter dem Bann des Betäubunasrnittels aehatten hatte, riaitete sich erschöpft ani. »Andre, Andre-K sliisterte sie leu- T chend. Die Thiir beweate sich, und der Schatten einer Männergestalt fiel irr-J Zimmer hinein. »Verlösche die Lanipe«, tlana es ak bieterisch von der Thür her. Mag-sie kam diesem Befehl nach, und tiefes Dunkel herrschte in dem kleinen Raum. Dann näherten sich schleichende Schritte dem Sofa, auf welchem Rhe den leise stöhnend lag. eine dunkle frie stalt beugte sich iiber den Körper des Bewußtlosen, nnd eine weiße Hand dersenlte sieh in feine Kleider über der Brust Als diese band wieder »in-n Vor schein kam, hielt sie eine alte lederne Brieftasche mit festem Griff umllani mer . «Darf ich das Tuch jeyt fortneh nien?« flüsterte das Weil-, »ich fürs-te, er erwacht sonst überhaupt nicht mehr." .Er schläft fest —- sort mit dem Tuch nnd verbrenne es auf der Stelle sammt dem Kasten. Vorher aber ziehe then die Ringe von den Fingern nnd rurehsnehe ihn nach Geld.« .«,, glaubte, ei sei Dir nur unt die Bue tasthe zu thun —- willst Du ihn ganz bereut-ent« . »Bist-wies Frauenzimmer« ich muß rbrs plus-dem damit der Verdacht eines Raubanfallei besehen bleibt.« s s es- Msnsrsssriki sit : a ren, a n en n MEM »Das ist alles geordnet Sie fiibs ten ihn von hier fort, nnd man wird ibn in einer ganz anderen Gegend der Stadt auffinden« »Diese, Andre, zwei Ringe und eine Börse.« »Bebalie das fiir Dich, ich brauche es nicht. Jetzt mach Dich schnell fertig send komm, wir miifsen noch heute New York verlassen.« »Ich danke Dir iansendmai, Andre, daß Du Wort hältst und mich mit Dir nimmst. Du sollst es niemals be reuen, niemals, ich ill Dich auf Hän den tragen, ich wi fiie Dich arbeiten ——— Deine Sklavin fein. Nur fio mich nicht wieder von Dit. Du sie st » ja, ich bin bereit, alles, alles für Dich » Zu ihnn.« ! »Schon gut. Wie bleiben zufam men. Morgen Abend befinden wie uns f bereits in Canada.« ; »Und dort werben wie ganz siebet feins« »Ganz sicher. Bist Du angeileidet? Gut. —- Komm. hilf mir. den Mann auf den Teppich nieder-legen. Dann lann er nicht fallen, und meine Leute wi en Bescheid. -—— So -—— TeufeL Du ha ihn eine ordentliche Dosis schluclen lassen! Man wird beinahe selbst be täubi, wenn man seinem Gesicht zu nahe kommt. Da lirat er. —- Nun, Herr Baron, schlafen Sie Ihren Rausch aus. Erinnern Sie sich Jhres gieundes Andre Geriaut, oem Sie die okumenie des Todten von Doktor Jsland nicht zeigen wollten. Jetzt wollen wir sehen, wer von uns beiden diese Geheimnisse beniinen wird --— Sie oder ich"«.’« Einige Minuten später verließen ein Herr nnd eine Dame Arm in Arm das Haus und schritten schnell der dritten Avenue zu, der großen Verkehre-aber, ans welcher trotz der vorgerückten Stunde noch reaeg Leben nerrschte. Die Dame schmiegte sich mit unver lsiillter Zärtlichleit an Ihren Begleiter an, der eine Opernmelodie leise viiss und sich den angenehmsten Gecianten hinzugeben schien· wenn man seinem liächflnden Gesichtsausornel glaub-en disk te. s Die Abendausgabe oc: »New Yorler Staatszeitung« vom 29. October 1874 » brachte, aerneinsam mit fast allen :n J englischer Sprache erscheinenden Blät tern der Stadt, folgenden Aufsehen erregenden Artikel in dem üblichen sen- - satlionellen amerikanischen Zeitunggtv - ti : »Olslorosormirt und beraitthkl lkin deutscher Baron bewußtlos im Centraloark aufgefunden. Bedauert nicht den Verlust des Mel des und seiner Brillanten, kandern nur den qesvissec Papiere. ! Eli-. gebeimnißboller Bari-txt keschiiss J tiak gegenwärtig unsere Polizei. Sie dürfte auch besonders in deutsch-n ( kreisen berechtigtes Aussehen erreaen, da re sich um einen vorübzraehend in Nur York weilenden o- Undene-i Tritt- : seten handelt. H Als heute Moran um iiinf iinr der . Milcbbändler Jobn Ame-learn ten s Mznrsiania tornmend. om Saum lies lientralparts dabinfnbr. stieß er en » oe: M. Straße auf den Körpe: eins scteinbar leblos dalieaendese Mannes. z Aus MarKeang Hilferuf-, eilten der ; Prixloolizist William Ttlsfiliq und ein « gerade vorübergehender Mann herbei, und stellten fest, dafe der am Boden liegende Fremde nur bewußtlos war. Ter Polizist durchfuchte sofort seine übrigens sehr eleaante ttleidunq nnd entdeckte, daß er wede: Geld nost Wertbgegenstände bei sich trun. Auch wurden keinerlei Wunden an seiren Flor-der gefunden. In der '.«lnnal)!n«, es mit einem Schirertr..rntenen tu tot-n zu haben, versuchte der Polizist nat Hilfe der beiden Wonne-, re-: Fremden zum Bewuåtlein weilele tsrinaem als ihm dies jedoch nickn ar lung, telegrapbirte er nagt einexn Za i.«.la«tswaaen und bewirtte oie Ueber fildrung des Mannes nach dem »Dan sclcen hospital«. Hier stellten Die Uerzte sofort eine lelorosormnarkofe fchtverfter Art fest, und niir :t)re:i un ausgeseytem energischen Buntitmxr en gelang es, die Lebensartalir zu be ei liger-. und denPatienten in's-; Beim-will fein zurückzurufen Als er oernekss mungsfiibig war, unt-wider ihn Jn fpettor Wight oom Hauptgnartier einem Verböre, welches folaendeg Re sultat ergab: Der Fremde bebaut-tel, der deutsche Baron Hans o. sthedem Chef des bekannten Berliner Beni bauses Rbeden ä- Comtiaanie zu sein, er erklärte, daf; er sich auf einer Welt-— i reife befindet, feit etroc drei Taan in New Yort weile und Ein Aftornause logirt habe. Heute Morgen habe er l mit der »Carnpania" nach Europa rei sen wollen. Am letzten Abend sei er jedoch durch einen Brief umee falschen Vorspiegelunaen in ein Haus nach hartem gelockt und dort chtoroior.nirt worden. Er bermifse etrva Zwanzig Dollaro in Bantiwten. einige ileine Münze, zwei Brillantringe, deren ; Werth er auf fünfhundert Doktors schont, goldene Uhr und Kette - - Und eine Brieftasche mit wichtigen Papie ren. Nur an der Wiedererlan ung der letzteren sei ihrn gelegen, verfc rte er dern Caoitiin, und er werde, srbald er diillia en en wäre. und das spi talverla en Inne. alle hebel in we gung sefsenz unt jene Pariere nebst Ta sche ou zufmdern Da sie für den Räuber absolut werthoi seien, so hoffe er sie stützt-erhalten Baron Rhe den Ja «nt das Opfer eines sage-en Ra nfallei geworden zu sein. r deutsche Consn befliittate alle Anga ben des Ostens, soweit sie si aus seine Persönlichkeit und seine Refse be ziehen, nnd« bewirkte am Nachmittag » die Yeberfilbrung des Kroaten aus - dem Votpttal nach temer »Und-Inmit I nuna im Consulatsaebiiudr. ; Kurz vor Redaltionsschluiz erfah ren wir noch einige Einzelheiten bezüg k lich «dieieg senfationellen Vetorecht-m Das Haus in hartem, welches Baron Rheden als Schanplalz des Verbre. cheng bezeichnet, ist gänzlich unbexvohnt und liegt ziemlich ifolirt, so daß die »Leichen«;sledderer« ungestört darin ar beiten konnten. Zuletzt hat eine Ne gerfamilie das Haus bewohnt; sie ver ließ es jedoch vor sechs- Monalem man glaubt auch nicht, daß diese Leute mit dem Verbrechen in irgend einer Ber bindung stehen. Um drei Uhr Nachmittags wurden dem Baron eine Anzahl Photogra phien aus dem Berbrecheralbum vorge lezzh doch ve e er das Freven nnmer, welches i narkptisirte, nicht aeunter zu entdecken. Die bewährte steu Detectivs beschäftigen sich mit dem Falle, und es steht zu hoffen, daß es ihnen gelingt, das Dunkel zu lichten und die Schneidigen ihrer Bestrafung entgegenzufühtem « · Inzwischen ist der Cunatd Linie Dampfer »Campania« heute morgen nach Liverpool in See gegangen. Es gelang nicht mehr, die bereits an Bord efindlichen Essecten des Bat-ins v. Nheden zurückzuhalten« - 7. C a p i ie l. »Heute zweiundzwanzig!« Durch das Empfangszimmet ves Geheimeaihs Doktor Busch ging ———— es war an einem klaren Wintertage Des Jahres 1887 — ein leises Raufclien, , eine flüchtige Bewe«ung, welche die tiefe Stille dieses ! aumes fiir einen Augenblick unterbrach, -.1ls:- der Diener ncit gedämvfter Stimme diese Num n:(r ausrief, unt so einer der hier hat« ienden Personen die Nachricht über l-mchie, daß fiit sie der Moment der Erlösung von qualvollem Warten gei lcmmen sei. Urn so deutlicher prägte sich die Un : getuld auf den Gesichtern der anderen - aus. welche im Vorzimmer des be rühmtesten Ar ten der Residenz harr ten, bis die Hseihe an sie käme. Und die Kundschast des Geheimraths setzte sich doch aus Personen zusammen. de nen das Warten sonst ern ziemlich un bekannter Be· riff war, und die fiir ge wöhnlich selbt die Erwarteten zu sein pflegten. Ihnen wäre sicherlich zu an derer Zeit und an anderem Ort nicht eingefallen. ihren Willen dem eine-; an deren Menschen unterzuordnen, denn nur die «oberen Zehntausend« konnten sich den Luxus einer Consultation des als Autorität ersten Ranges annimm ten Arztes leisten. Hier aber mußten sie sich wohl oder iibel dem streng t-es folgten Hauf-gesetz fügen, welches iete Bevorzugung von vornherein ans schloß. »Warte zweiundzwanzig!« Der junge, in anspruchslose Libree geklei dete Diener mußte diesmal seinen Ruf wiederholen. dann erst wurde es in der. der Ausganasthiir zunächst bes. findlichen Ecke lebendig, und eine ein fach, ja sogar ärmlich getleidete alte» Frau erhob sich von dem damastiibrrs zogenen Sessel. aus dessen äußerster Kante sie bisher gesessen hatte. i »Jch?« fragte sie leise und ichtute ’ sich verlegen um. Endlich war die Sprechsttsnde be endet, der letzte Ratient war abgeirr- s tigt und Franz Bartelzi ordnete nnd särtberte im Embsangszirnmer die Mii bel. Dann öffnete er die Fenster, daß die frische trockene Winterluit den Raum durchtrehte; auch er selbst lebnte steh an die Briistung und sog rnit Be hagen den erfrischenden Hauch ein. Dabei schaute er schmunzelnd auf das Leben und Treiben des Potsdamer Platzes hernieder-. Es war sechs Uhr, tiie Laternen brannten, die electrischen Lichter erstrahlten, vor den eleganten Läden der Leipziger-Straße funtelten nnd flimmerten di: buntfarbigen Transbarentschilder und einer endlo sen schwarzen Schlange gleich wälzte sich der Strom der Fußgänger und Wagen durch die belebteste Straße der Hauptstadt auf und nieder-. »Das gefällt tnir," ging eH ihm durch den Kopf. »Leben, Verkehr, Handel und Wandel. Jch bin nun einmal ein Mensch, der siir die große Welt geboren ift und in ihr ohne Zwei fel sein Glück machen würde. Hier, im Hause des Geheimraths —--- na ja, ich tann nicht tiagen, es geht mir ja ziem lich gut, aber die Leute sind doch nicht nach meinem Geschmatt. Zu viel Grundsätze, zu wenig Unternehmungs r.·eist. —--— Da scheint mir dieGräfin, vor deren Augen ich heute Gnade gefunden, aus anderem Holze geschnth zu sein. Wollen sehen, am Ende nimmt sie mich selbst in ihre Dienste. Um zehn Uhr sagte sie, im Kaiserhos — —- Franz Bar tels wird pünktlich sein und sehen, welche Vortheile da zu holen sind!« Indessen saßen der Geheirnrath nnd sein Assistent beim Lampenschein im Sprechzimmer und besprachen bei einer Cigaree die Fälle der heutigen Praxis-. Sie waren gerade dabei, zu erwägen, ob eine vor so langer Zeit erfolgte chtorosormnarlose wirtlich noch im mer nachtheilige Folgen filr das Ner vensystem hervorbringen tonm, als nach leisem Pochen die Thüre sich öff nete und eine mit vornehmer Einfach heit geiletdete Dorne eintrat. Sie tanr von der Straße, denn ihre schlanke Fi gur wurde von einem langen, eng an schließenden Mantel bedeckt, der arn Kragen und den Aermetaufsehlägen durch reichen Persianerpelz geschmückt war. Ein kleiner-, an schwarzen Set denbändern getragener Muff und ein Barett aus gleichem Pelz vervollstän tsigten die Straßentoitettr. «Beate!« tief der Gehen-nach und stand aus« um seiner Frau Veice Hände entgegen zn strecken und die ihrigen warm zu drücken, »das ist schön, daf, Du jest schon zurijcktonunstk wir kön nen auf diese Weise noch ein halbes Stündchen bei einer Tasse Thee plans dem, da ich leider mn siebet-. Uhr noch einen Besuch abzustatten habe.« »Du Vielbeschättrgter«, antwortete vie Gattin des Arztes, »Du findest nimmer Rude. Wie mant Tu Dich heute Nachmittag svieder angestrengt haben. —- Betten Dant, Herr Neu-mit tet, legen Sie den Mantet nnr auf ie nen Sessel. — Sie nehmen doch den Thee in unserer Gesellschaft?« Der junge Arzt lehnte die Einla dung mit Dank ab. Er habe heute noch an seinem Werte u arbeiten. .Den hast Du auch fett-m ganz unt gqr verdorben, Eberhard«, leschekte Beate, während sie den Arm um die Schultern ihres Mannes schlang nnd » nsit leuchtenden Augen zu i rn aus schautr. »Ja, wer in Deiner R he lebt, der lernt die Pflicht über alle-J seyen nnd den Inhalt des Lebens erst richtig verstehen.« »Man kann seinem Dasein nnr den Inhalt geben, den man in sich selbst, in seiner Seele trägt. Aus Empfin dungen und Gedanken baut sich die leat aus« tvo diese fehlen, lann diese niemals geschehen. Und wenn dieses vortreffliche, tleine Weib, das ich lvier in meinen Armen halte, nicht das Ma terial zur Ersüllerin der Pflichten menschlicher Barmherzigkeit in sich ge ttaaen —- sie würde sicherlich niemals gelernt haben, gütia, opsersreudia und theilnelnnend zu sein.« Beate wieate zweifelnd das Haupt. »Du irrst, mein Freund«, sliisterte sie, »die anten Einenschasten die wir in « uns tragen, bilden nur den Boden, aus welchem die goldenen Früchte eine-z nützlich anaewendeten Leben-.- gedeihen, , aber dieser Boden bedarf desi« Pslttaes, der ihn umarbeitet und zur Ausnahme der Aussaat bereit macht. llnd weißt Du, tvie dieser Psllla« der riiclsichtslog und mit scharfem Eisen das Erdreich answiiblt, beißt —- Die Erialiruna!« » »Die Ersahrungk« widerbolte Busch ’ mit leiser Stimme, er hatte seine Frau entstanden. Doctvr Neumiiller empfahl sich mit einem halblauten »Guten Abend« und ging geräuschlos hinaus « »Sieh, Elterhard«, fuhr die schlante Frau fort, sich innig an den großen isiirtigen Mann schmiegen-, »leben nicht Tausende von Frauen, deren Jn siinlte und Gefühle die besten, die edel sien sind, aber ihre Augen sind geschlos sen, ihr Bewußtsein schlasumfaiigen Sie haben teine Fühlung mit der Welt, ii«. der man von gedeckten Tischen und nsarmen Kleidern nur triiuinen tanii, in der man hungert und friert, lrasitt, ohne Heilung suchen zu sonnen und lzsiesiecht, ohne Zeit zu finden, sich nach Rittung umzutliun. Sie ahnen nicht. diese Kinder der Sonne, das-, es ihnen ssi nahe einen Abgrund gibt, iii den i.nr selten ein Strahl des Lichtes stillt, - dat- sie selbst nicht einmal besonders leachten und schätzen, weil sie gewohnt sind, es beständig zu haben. Ich aber ich habe diesen Abgrund lennen ge lernt, ich habe im Dunkel getastet sind geirrt ich fühle nicht nur, ich wxssß « und ivie schwer auch dieses Wissen ertauft sein mag s» ivie schwer —- - priie unaussprechlich theuer —--—- jetzt, nach sr- vielen Jahren, da alles ---— alles hinter mir liegt, ist die Erinnerung an das Entsetzliche mein unsichtbarer Ge fährte auf meinen Wegen in die Stät ten des Elends und der Verzweif lung!« Eberhard hob sanst ihr Haupt ein nor und tiisite die Thriinen von den langen dunklen Wimpern. »Lasz das vergessen sein. mein Lieb,'« bat er, »Du hast gelitten, und Deine Leiden haben geendet. Daisst Du nicht die einzig wahre Geniigthi: ung empfinden, die der Mensch oug derartigen Prüfungen in den sicheren Port hineintragen kann? Die Wogen haben Dich nnibraust und Du mußtest mit ihnen rinnen und täinv en, aber als Tit a:i««:s Land stiegst, ha ten Dich die Wasser reiner, weißer gemacht — — der Tona. der Schlamm, den sie mit sich führen, er hatte Dich nicht er reicht.« »Nein —— er hatte mich nicht » rcicht!" sagte Beate einfach, doch mit fester Stimme. »Was Du in jenem Lande zurückge lassen hast,« fuhr Busch fort, das Ce liebte Weib fester an seine Brust »tie liend, »das war ia nur ein Todter. Bist Du nicht zufrieden mit dein Le benden, für den Du jenen einge tauscht?« »O Eberhardl Lieber, fgeliebter Mann!« »Du kannst vergessen, Beatex iezie Zeit darf fiir Dich nicht mehr existi ren, sie ist ausgelöscht Der Main, dem Du nach der Neuen Welt solgtest, init dein Du Dich drüben vermähltest, er ist todt. Du selbst hast ihm die An gen zugedriickt - -- Du hast eo mir er zählt ----- Du zitterst, mein ariietz Weib. Du verbirgst Dein Gesicht, v, ich errathe Deine Gedanken. Du weinlt, weil Du nicht mir die erste, ungetrübte Neigung schenten durftest. Ich ioill Dich an Deine eigenen Worte von vor hin erinnern: auch die Liebe ioirv oft durch die Erfahrung veredelt, die reine Gluth, die der lodernden Flamme folgt. sie strahlt mehr Wärme aus als iene und ei laßt sich beha licher in ihrer Nahe weilen, weil Rau und Qualm verschwunden sind. Nein, wirklich, ionntesi Du in mein herz siZauem Du iviirdest Dich überzeugen, da ich jenen Mann, der so schnell nach so lurier Zeit des Glücks von Dir scheiden mu - te, bedaure und beinitleide, fast nt t weniger, wie Du es toolil thust. Steh, wäre sein Grab und nicht so fern, ich ! roiirde Dich zu seinem hiigel begleiten, : und wir wiirden verint dort seiner ge i deuten —- doch er ruht jenseits oeo ? Meeres s-— tvo war es doch, wo hast Du l ihn in die Erde gesentti« »Ja — In Mer YorU haucme » Beute. « »Und auch Dein Kind list dort be graben?« Mit selifamer Starrheit war ihr Blick in's Leere gerichtet, ihre Hände umschlangen mit krampfhafiem Druck die seinen. »Mein Kind,« kam es kaum hör-Eint von ihren Lippen, »ich —- ia ich begrub es auch dort.« Und im nächsten Agi ßenblickswarf sie sich mii leidenschaft lichem Ungestüm an Eberhards Brust und pre te ihre Wange an die seiniqe: »Wir-it u mich immer, immer Fie benf« tief sie« nnd eine unausks pro chene, die Seeie idetnde Nkchi z iterie in ihrer Stimme. «Sag es mit. EIN-sk hard —- fchwiire es mir --— o laß mschc niemals daran zweifeln!« · »Thörichte Fran, weißt Du nicht. Du meine Seele bist, heute wie vor sieben Jagrem da ich Dich fand. tsmaebn von od nnd Verderben, — Dn dentst doch noch daran?« . , Sie nickte bejahend, doch ihre site « danken weilten nicht bei den Bildern, die ihr Gatte mit feuriger Beredsarni leit entrollte· »Das Blatternltospital in Neapel. Welch ein trauriger-, schreckensvoller Platz! Die preußischeReaiernn hotte mich binaeschickt, die furchtbare raan neit, die einer Gottegaeiszel gleich fass sonniae Land durchzog, zu studircn und zu beachten. Jch erfüllte meine Pflicht ohne eine Spur von Besornriisr. Wir Aerzte sind aewöhnt, die Ver-tiefs t.ma in ihrer avschreaendsten Gestalt zu sehen: doch den Jammer-, dies uranenvolle Elend, das sich biet den( Blicken bot, vermochte tax-m der ARE Zu ertraaen. Viele von den italieni schen Kollegen flohen, andere brachen erschöpft nach einigen Tagen und Näm ten aufopfernder Arbeit zusammen, einige starben wie Helden auf dem Gchlachtseld den Ehrentod « die Evi dernie hatte auch sie erfaßt. Angesichts dieses großen, Herrscher und Voll» Arm und Reich niederbengenden Un aliiag vergaß ich die Grenzen meines Auftrags, ich vermochte nicht den miis ßigen Beobachter zu spielen, ich wurde ein Mitarbeiter, ein Helferi« »Ein Gottgesandter, den man an betete » vergötterte,« ries Brate. »Ein Mensch, der sich sgliicllich schätzte, Menschenelend lindern zu hel sen. Und ich hatte ja eine Mitarbei terin siir meine schwere Ausgabe, eine Bundesgenossim die mit mir Schulter an Schulter tämpste, ein junges Weib ---—" »Jnng? Du unznverlässiger Fr zähler! Fast dreißig Jahre alt nur Fene Frau nnd lranl und weltn:··»de da3n.« »Sie besaß die Schönheit nnd ksie simende Kraft der Jugend, sie that nicht, als alle Männer um sie ber, nnd lie Kranken liiszten ihr die Hand, die ihnen ein Labsal reichte. — Nnn, der Schluß der Novelle ist doch ganz sehst verständlich? Der Arzt und die Pfle i.r«rin, die in bangen Nächten die Wis lsrn nnd Gefahren theilten, sie sehnsen ixch danach, auch im Sonnenschein zu sammen zu leben, zusammen das Gliici lknnen zu lernen. Sie waren bxide frei und unbehindert in ihren Ent schließnngen s---« »Frei und nnbehindert,« wiederholte Veate leise »Und als der Arzt wieder iiber die Alpen zog, der heimath entgegen, Ja iiihrte er sein Weib mit sieh heim — - sein stilles, ernstes Glück-« Eberhard hatte längst das siill ne nsordene Weib in die Nische ani Fenster gezogen, er saß in seinem ArmseZsel und sie lniete vorihni, das haupt kn seinem Schoosi beraend. Jeßi, als er aeendet. fühlte er feine Hand, aus die sit ihre Augen gedrückt, feucht werden. »Du weinst?'« staate er weich. »Freudenll)riinen!« sliisterte iie, ohne zu ihm ernporzuschauen, »Fun ren thränen!" 8. C a v i t e l. Die ,.H«ohle", in der, wie der Diener Franz Bartelg versichert hatte, die Fa milie Strohbach in der Kovpenstrosfe hauste, und aus der selbst er nach lnrs zem Ausenthalt entsetzt geslohen war. bestand aus zwei Räumen, einer cui den dunleln, unsauberen Hof hinaus gehenden Stnbe und einem Altoven. Hätte- der Die-net des Geheimrathg den letzteren gesehen — man hatte Ihr nieht so weit kommen lassen, sondern ihn in der Stube abgelrtigt ·«- wer dreiß, ob er nicht sein Urtheil ein toenia gemildert hätte. Während näneliai las Zimmer von dem Lithogralem nnd seinem Weibe bewohnt wurde und tlpaisiichlich ein Bild der wüstesten Un ordnung nnd jeder Vernachlässigung bot, welche die Armuth noch um e.n cnt Theil iirmer erscheinen läßt, wäh rend hier auszer einem tleinen eisernen Kochherd, einem zerbrochenen TZLh und nicht viel besseren Stühlen, einer nkit Lumpen bedeckten Bettstelle nnd einigen alten in der Ecke ausgethiirxn ten Kisten sast nichts, was als Modi liar bezeichnet werden tonnte. zu be merken war, machte die daran stoßende Kammer den Eindruck peinlichster Sauberleit, die den geringen, hier le slndlichen habseligteiten einen Anstrich von Wohlhabenheit verlieh s-— nmal im eVraleich mit dem .hauistan « des benachbarten RaumetL Hier wohnte die alte Frau Stroh dach, oder vielmehr, sie wurde hier ge duldet, so lange es ihrem Sohne mqu seinem Weibe so gefiel. eDie Grekim mar, soweit ihr lahmej Bein es stunk stattete, ängstlich bemuht, Ihr kleine-« Stiibchen in Ordnug zu halten. Ihre Lagerstatt tourde vqn einer sauberen aebliiinten Decke verhallt, an ·dem Fen ster prangte eine weiße Gardine, Tisch, Faßt-unt und Stuhl waren mit Sand tlitzblantgescheuert tote der Faßt-o den« ja sogar emen schwachen Versuch, ihr heim ein wenig zu schmücken, hatte die Alte unternommen, han doch iibek ihrem Bett an ver weißaeiiinchten Wand eine Kreivezeichnnnq ihres feli am Kett Strobbacn ihkes in Amsan verstorbenen Mannes-, und über dem Titel-, an welchem sie zu arbeiten pflegte —— sie übernahm tleinere Reva ralnren an Kleidern und Was-He tgijen —- ioar in Glas nnd Rahmen das Vaterunser angebracht, for-ben pkächtig mit Schnörleln und tunstvpll retschlnngenen Initialen verziert und von einer Fülle paradiesilcher Blumen nmrantt. Mortlesunq May