Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, October 28, 1898, Sonntags-Blatt., Image 12

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    Rajhlrrn unttAijlla1711r11.
Eine Geschichte ansslrlana
Von Johanna Feilmann
Entsetzuan
James kann nicht""weiter sprechen,
denn plötzlich werden an der Eingang3
pforte Stimmen laut; rauhe, drohende
Worte tönen herauf, während dieGlocle
hesti gezogen wird, so heftig, als müsse
der Draht zerspringen.
Sir arold steht an der Brüstnng
und lau cht.
»Wer ist das?« ruft er mit donnern
der Stimme.
Erschrocken eilt Miriam hinaus.
»Um Gottes willen. was gibt es?«
»Macht auf, macht aufl« schreit nmn
unten· Vor der den partartiaen Gar
ien um benden Mauer hat sich eine
große enschenmenge zusammngerot
tet, die immer eindringlicher Einlaß
begehrt. Mit Entsegen sieht Miriam
viele Gesichter sich an das Gitter der
Pforte drängen. Jn dem täuschenden
Mondlicht verdoppelt sich die Zahl.
Schwarze, große Schatten haschen -
hin mild per ays dem meißenKieskeF "
Aue-E- Øesltllucq wunueu nai, set-u cui- «
beerbufch, jeder Arbutus wächst zu ei
ner Menschengeftalt. ;
Sir Harold hat keine Zeit, sich zu «
bedenken· Die sich ängstlich an ihn
schmiegende Miriarn unsanft von sizh T
drängend, stürzt er in das Gemach nnd T
reißt eine geladene Pistole oori der ;
Wand. So bewaffnet tritt er wieders
schnell hinaus. ;
»Zurück, zurück,« ruft der von den ;
Dienern umringte Pförtner, »oder ich I
lasse die Hunde los!« ?
»Wir wollen Sir Harold Norton;"
fchreit die Menge. «
»Es war der Obergäriner! Heraus «
mit ihm, heraus!'· «
»Er ist nicht da, er ist längst heim: -
gegangen.« ·
»Verdaninite Lüge, Hund! Bei E
Sankt Patricl, Dir schneide ich noch
die Lügenzunge aus-öff:ie—oder——" ;
»Was gihtes?« ruft Sir Harold, s
im Begriff, die Stufen hinabzueilen I,
Da nähert sich der alte graueJ:.:1:-:5, S
am ganzen Leibe zitternd. ;
»Herr, unten ift ein ganzer Trupp J
wiithender Menschen-es ist ein Streit
ausgebrochen zwischen den Organisten !
und denr Gefindel——ein junger Ma- ;
trose ist tödtlich von einem Stein ge- !
troffen worden —- ach, Herr, nun hat ;
ihn als Leiche in das Haus seiner jun- .
gen Frau getragen, nachdem er ron !
einer zweijährigen Fahrt heiingetehrt -
. « «
s..
»Wer ist es?« schreit MiriaIn, zu »
Tode erblaßt. s
»Der Matrose Larrv O’Brien.« »
Larrh O’Brien, der schöne Knabe,
der sie einst aus der Hirschjagd errettet
—wvt! 4
Schnell gewinnt Sir Hat-old die
Fassung wieder, obgleich auch ihn txie
Nachricht erschreckt hat« denn er kennt
seine Jrländer und weiß. daß rnan ihrn
die Schuld dieses Unaliicts beimessen
wird: er weiß aber auch, daß nur die
größte Unbefangenheit und Geistes
gegenwart eine drohende Gefahr ab
wenden können.
Er muß selbst mit den Leuten Irre
chen und sie zu beruhigen suchen.
»Gebe, nicht,« fleht Miriam, «!aß
das Thor nicht öffnen!«
Ohne auf ihre Worte zu ahtem eilt
er die marmornen Stufen hinab, der
Eingangspforte zu.
»Was gibt es, meine Freundes-«
fragt er, dicht an das Gitter tretend;
dann sich an den Pförtner wendend:
»So öffnet doch gleicht«
Die schreienden Stimmen dämpfen
sich, und nur noch ein drohendes Ge
murrnel eht durch den-Haufen. Sie
harold « ht so vornehm ans, wie er,
von feiner Dienerschait umringt,
dasteht im schwarzen Anzug. mit der
weißen Binde und dein stolzen Aus
druck im Gesi . Kein Zug verräth
Zorn oder Zur-« Kalt und überlegen
Vullell ole ums-stauen. ruciucu ·2.«H-.«.
Alles drängt sich im wirren Drin-h
einander auf den von hohen Bäumen
beschatteten Fahrwea. Dann tritt ein
alter, weißhaariger Mann in zerlump-s
tein Warnms aus-« ihrer Mitte, verneigt
sich tief vor Sir Harold. und die Hand
auf die Brust legend, träqt er mir erru
ßem Pathos das Eteiqniß vor, indem
er die Wahrheit seiner Aussage mit
stetem Anrufen der- Santt Patrick be
träftigt und den Dberqärtner als den
Missethöter angibt.
»Wartet Jhr selbst Jena-» habt Jhr
es gesehen, Jim Sullivans«
Der Alte steht betroffen: der Herr
kennt feinen Namen. Dann sagt er:
»Gesehen hab’ ichs nicht, aber die
Erde soll mich verschlingen, Herr, wenn
es nicht wahr ist!«
Sir harold kennt seine Leute.
»Allo- J r waret nicht zuaegen, Inn
Sullivan, ann hütet Euch, eine An
klage zu erheben.'·
«Biele können es bezeuaen, daß er
den tödtlichen Wurf gethan!«
»Ist einer unter Euch, der es auf
das Kruzifix beschwören würde, der
trete vort«
Sie schauen einander an und schüt
teln die We. »
»Es war der Oberaiirtnee — er hat
den Larry OBrien schon lange gehaßt;
der Liebsten reisen-heraus mit ihm,
Verm-IF schreien Einiae.
»Um- dus Gericht ihn fordert, soll
er sich dem Arm der Gerechtigkeit nicht
entziehen können; ich hafte fir: ihn —
arrner Larrh OWrien —ich gehe sofort
selbst hinab in’s Dorf — Ihr sagt, er
hinterlasse eine Wittwe —— arme Frau
— ich werde sür sie Some traqen —«
»Ja, und ein Kind ist Oa. da: schön
ste Engelsiind, kein schöneres gibt’s
aus der ganzen grünen Insel!« tust ein
großes-, statktnochiqes Weib, das sich
dem Zuge angeschlossen hatte, die th
nerne Pfeife in der Hand.
· »Er geht selbst hinab in’s Dorf —
er ist nicht stol ———et hat ein Herz sung
Volt!« rufen ie durcheinander Toch
plötzlich verstummen sie.
Miriam hat sich in einen weißen
Burnus gehüllt und die Kapuze uber
den Kopf gezogen; in dichten Locken
quillt das rothblonde Haar hervor und
umrahmt das liebliche Antlitz. So tritt
sie heran.
Ein erstauntes »Ah!« aekt vonMund
zu Mund. Viele haben iie ais Kind .
gekannt und wissen, :velch’ wobltyati- »
ger Sinn ihr innewolmt. ;
«Miriam, bist Du wahnsinniq?" iliii ;
siert er ihr zu. »Dies- ist kein Platz iiir 1
Dich-" I
»Mein Platz ist an Deiner Seitek (
Daraus wendet sie sich an den Lilien. l
»Ach, Jim Stellt-»san« eLJ ist enisetz
lich was geschehen ist! Da, gebt kas- s
der armen Wittwe.· ·
Der Alte beugt die cknie: ihm wallt i
das Herz über vor Dankbarkeit unds
Rührung. Sie erinnert sich seiner und s
vertraut ihm Gold an, Gold, das seine s
Hand seit vielen Jahren nicht mehr bei I
rührt hat! J
»Gesundheit und langes Leben der ;
edlen Gemahlin des Sir Harold Nor- j
tonl« ruft er begeistert. 1
»Vorh, hoch, hoch!« stimmen Alle j
ein, die Hüte schwenkend
Horcht dieselben Felsen, welche den ·
Namen Kathleen widerhallten, sie i
senden das Hoch Miriams in weite ·
Fernen, Und geheimnißvoll tragen eg l
die Lüfte zurück über den See nachl
Castle Glenal
»Jetzt begebt Euch ruhig heim; ich !
haste Euch dafür, daß eine Untersu
chung eingeleitet wird —- doch Jhr sollt !
den weiten Weg nicht ohne Bewirthung !
gemacht halten« «
Und auf seinen Wink bringt James
auf einer großen silbernen Platte einen
mit Whisly gefüllten Kristalltrug und
Gläser.
Sie nicken einander zu nnd stellen »
sich aus dem schimmernden Rasen unter
einer Rothbuche im Halbkreis aus. s
»Erlaubt, daß ich Euch den Trunk »
mische und lredenze!« sagt Miriam, «
die Gläser mit Whisty und Wasser -
süllend.
Jn jedes Glas wirst sie ein neues,
großes Silberstiick, das sie der von
James gebrachten Geldrolle entnimmt.
Wie sich die trotzigem wilden Ge
sichter immer mehr siinstigenx ja, so ;
viel Güte unt-Freundlichkeit muß selbst
das börteste Herz erweichen!
»Ich tüsse den Saum Eures Ge
wandes, Mylady!«
i
l
»Ich time den Boden, den Uuer
Fuß betritt, Myladh!«
»Die gebenedeite Muttergottes segne
Eure Ehe, Mylath«
Helleå Licht bricht durch das dunkle
Laubwerk der Rothbuche, unter welcher
sie sich geschaatt, und Sir harold be
» merkt, mit welcher Bewunderung ein
. jedes Auge an seiner Gemahlin hängt.
- Er hört, was man flüstert; es gibt
l leine heldin der irischen Sage, der
nIan sie nicht an Schönheit und Tu
gend vergleicht.
Auch fein Blick folgt jetzt jeder Be
wegung der lieblichen Frau, wie sie
den rauhen Gesellen mit Anmuth den
Trunk reicht. Ein eigenthümliches,
ihm ganz fremdes Gefühl beschleicht
ihn; wie Schuppen fällt es ihm von
den Augen. War er denn bisher blind?
Die Gläser sind geleert. Noch ein
mal rufen sie «Heil, Heil!« und wäh
rend der Schall noch in den Lüften
schwebt, ziehen sie gebändigt und zu
frieden ab, kaum sich erinnernd, wes
halb sie gekommen sind.
»Das war heute Arbeit, Miriam,
aber für den Augenblick sind sie beru
· higt — ein abscheuliches Gesindel!«
»Du haft ihre Herzen gewonnen,
- morgen wird das ganze Dorf voll Dei
nes Lobes sein.«
»Wie Du Dich auf sie verstehst. —
Aber seht will ich hinabgehen, mein
« Besuch bei der Wittwe wird eine noch
stärkere Wirkung auf ihre Gemüther
üben, als der ihnen gereichte Whisky.'·
i i- se
! Wenin Auges-buck- spiitkk ist Mi
! riam allein. Wie entsetzlich war ihre
» Freude zerstört worden!
Noch lange wandelt sie im Garten
umher, mit dem Gedanken an den tod
; ten Larry beschäftigt. Wen er wohl ge
s heirathet? Ob ej ein Mädchen aus
« dem Dorfe war? O, wie unglücklich
mußte die junge Wittwe sein. Und
ein Knäblein war da; so früh ver
waist. Armes Kind! Für die Waise
mußte ibr Gemahl sorgen. Larry hatte
jhö ja selbst einmal das Leben geret
e .
Sie ersteigt einen kleinen HiigeL
Da breitet sich der im Mondlicht schim
mernde See. Dort im unteren See
war es, dicht bei der Arbutisinsel. wo
Larry sie bei-einer Hirschjagd (der
Hirsch wird in das Wasser getrieben
unt- pcn d-:«.. Vor-ten aus jagt man ihn
zurück) dem Wasser entrissen als sie
sich übermüthig iiber den Rand des
Nachens gebeugt hatte. »Armer,— armer
Larryl'·
Eine abergläubische Furcht beginnt
sie zu quälen. Kathleen O’Donnell
taucht in ihrer Erinnerung aus. Was
wohl aus der munteren Spielgesöhrtin
geworden? Einmal ist sie ihr vor ei
nigen Jahren in Dublin begegnet s-—
da bat Kathleen so schnell und scheu
weggeblickt und ist dann plötzlich in der
Menge verschwunden Welch’ wunder
« volle blaue Augen das Mädchen hatte!
Ja, das waren dieselben Augen, die
Thomas Moore besangl Jetzt weiß
Miriam, warum Kathleen ihr var
schwebt.
Fröstelnd ziele sie den Burnus enger
um die Schulte n und tritt zuriicl in
ihr Gemach. Warum sich fürchten? —
es ist so lindisch.
Sie nimmt den »Standard« und
versucht zu lesen; es steht ein Artikel
über Jrland darin —- die englische Re:
gierung wird ihrer Nachsicht und Lang
muth wegen getadelt·
Miriam liest; dann schiebt sie die
Zeitung schaudernd bei Seite.
Armes, unglückliches Land, was ist
aus Dir geworden!
4. K a p i t e l.
Begleitet von seinem Diener und
wohlbewassnei. nähert sieh Sir Harold
demDsorse. Kein Mensch weit und breit,
rings umher lautlose Stille — nur
der Fluß murmelt leise. Wie gebannt
stehen die Berge, die Bäume; tein
Blatt, kein Halm regt sich. Gedan
tenschwer und schweigend geht Sie Ha
rold neben dem treu bewährten Dienen -
Ta strauchelt sein Fuß iiber einen
Stein«-ha, hier muß der Kampf statt
gefunden haben, hier ist das Ungluck
geschehen!
Ueberall liegen Steine und Fetzen
nnd gelbe Bänder und Rosetten irn
Staub. Die große Dogge, Sir Ha
rold’H stete Begleiterin, bleibt sieben,
tescbniisselt das Gras am Rain und
ir-inselt. Da liegt ein blutgetränttes
Tuch —- sie hebt es- mit der Schnauze
aus und bringt es ihrem Herrn. Der
schleudert das Tuch in den Fluß — es
schwimmt gleich einer dunklen Rose
weiter, dann zieht der Strudel unter
rer Holzbriicle es schnell hinab. Und
nun springt die Dogge den Abhang
hinunter, hinweg über niederaetreteneg
Ginstergestriivp und Geriill —- jetzt
kommt sie zurück. im Maul trägt sie
einen zerrissenen Rosenkranz; nur noch
nsenige Perlen und das Kreuz haften
an der Schnur-. Schaudernd will er
ion dem Tuche nachsenden s— da sieht
e: vor seinen Augen ein verzweifelndes
Weib, das, den Rosentranz zerreißend,
sich in den Fluß stürzen will — voll
Grauen giebt er die Schnur dem
Diener
,.Verwahrt dies. Tom!«
Wie gespensterhaft der Mond über
dem Fluß steht! Und drüben da krie
chen schon weisse Nebel, und dort wallt
es aus und nieder wie sich bewegende
Leichentiieheri
Schnell hastet Sir harold vorüber
Sonderbar ——— er kann sich des Gedan
kens an Katbleen von Dublin nicht er
wehren. Wie ein Lied so ties in die
Seele greifen kann! Wenn sie sich da
mals doch das Leben genommen —
bah — ist es seine Schuld ——— warum
nur daran denken?
In der Nähe der kleinen katholischen
Kirche, die ain Wege liegt, werden
Stimmen laut.
I «Blut will wieder Blut, Mutter
Brigitte.«
· »Sie werden ihn lau en lassen; es
ist« ein Protest-Inn ein ngländer; ja,
wartet umgekehrt gewesen, bei Sonst
Patria, man hätte schon längst das
ganze Dorf unterst zu oben gekehrt,
aber was lie t daran, ein Jrländer
mehr in der lt oder weni er —«
nhabt Jhr gehört, was . Donei
Jal gestern in der Versammlnn ge
sagt , ha, ha, ein wahrer-es ort
hat n Xiemand gesprochen —"
me
»Zerschnitten und zerstückelt haben
sie uns schon seit Jahrhunderten: anr
besten tbäten sie ietzt daran, eine große
Pastete aus uns zu backen und uns
ganz zu verschlingen — aber dann
würden sie erst fühlen, wie zähe wir
sind!« .
»Ha, ba, ba!« lachte Mutter Bri
gitte; »sie würden sich schon den Magen
an uns verderben —- ich bade das auch
schon gehört; aber es rührt nicht von
Mr. Doneaal ber, das bat einer gesan
—- wie beißt er doch gleich —- der Bü
cher geschrieben und von dem nran sich
allerlei Lustiges erzählt.«
Die Alte tlopst die Thonpseife an
dcrn Wegstein aus und birgt si: unter
dem rothen Mantel. »
»Wie wüthend sich die Katbleen ge
lserdet hat — alle Heiligen! mir stehen
die Haare noch zu Berge, und wie si-.
die gebenedeite Muttergottes aelästerti
Wenn es auf die antiirne, dann ständen
noch heute alle englischen Schlösser in
lichterlohen Flammen.«
»Mir wäre es auch schon recht,« ent
gegnete Mutter Brigitte, »du gäbe es.
Feuer-. unsere Kartoffeln zu rösten!'«
Und sie schwingt ihre noch brennende
Pfeife, daß die rothen Funken sie
nmslieaen. «
Gleich daraus verschwinden Beide in
der Capelle
Also Mr. Donegal wieqelt auch
hier dte Leute anfi« denkt Sit horold
bSingend ziehen einige Burschen dor
ii er
»Wo wohnt Mrs. Larky O’Brien?«
fragt er.
Man zeigt ihm ein mit Schindeln
gedecktes Häuschen, das vereinzelt
etwas vom Dorfe entfernt, am Wege
liegt. Jst das nicht dicht daneben dir
Schmiede, wo er sich oft als Knabe hat
sein Reitpferd beschlagen lassen?
Im Vordergarten stehen einige
Leute, wehtlagend und weinend. Schei
weichen sie zur Seite, flüstetnd: »Si:
Harold Norton, was will der hier?«
Er tritt durch die offene Hausthiir
in die Küche. Jn dem non eine
flackernden Talqterze matt erleuchteten
Raum sitzt Norah O’Reiuy und mur
melt Gebete, den Noseniranz in den
Händen.
Ueberrascht blickt sie auf, ais er si-:
anredet
i
i
i
i
»Alle Heiligen,« schreit sie dann, ihn
erkennend, »Sir Harold Norton, was
bringt Sie her in das Haus des Elen
s des und des Todes?«
» »Das Mitleid,« entgegnet er.
: Sie erhebt sich. Eine reckenhaste
Gestalt steht sie dor ihm; ibre Augen
brennen diister unter den grauen
borstigen Brauen, und die weiße Spitze
ter Haube bewegt sich wie der Flügel
eines unruhigen Vogels, denn ihr Kopf
zittert vor Erregung.
«Sie tennen mich nicht, sonst würders
Sie mir wohl die Hand reichen, Sii
szarold — ich habe Sie aus dein Arn.
getragen und manche Nacht bei Jhneii
tierwacht, als Sie ein tleiner, blond
leckiaer Knabe waren, gerade wie der
da in der Wiege. Ja, ja. die Heiligen
wissen es, wie ich Sie später Tag und
Nacht im Scharlachsieber und im Ty
phus gepflegt — aber —"
»Wi) ist die junge Frau? Jch lam
il)retwegen," unterbricht er sie unge
tuldig.
Aus ihren Augen bricht ein Strahl
des Hasses. Weiß er nicht« welch’ bedeu
tende Persönlichteit er in ihr beleidigt?
les Hasses-. Weiß er nicht, welch be
deutende Persönlichkeit er in ibr be
li.idigt? Weiß der Gutsherr von Eaitle
Glena denn noch nicht, daß sie
die allgemein beliebte Klagefrau des
Torfes ist? Nein, man behandelt
Norab O’Reilly nicht umsonst mit Ge
rinafchätzung.
Sie öffnet die lleine Kammerthiir.
»Sehen Sie, was einer von Jhren
Nuten gethan bat!«
Da liegt aus deni schmalen Bette
der junge Larrts, gerade als wäre er
eben entschlumniert. Der Thüre ge
genüber stelit auf dem mit einzin
schwarzen Tuch derhanaenen Tisch ein
aus Holz geschniiztes Kruzifix.
Still brennende Kerzen werfen rus
higes Licht aus das männlich schöne
Antlitz. Auf dem nackten Lebmboden,
die Leiche umschlingend. tniet eine
Frau und birgt das Gesicht an der
Brust des Todten.
Nichts regt sich ——— lein Atbemzug iit
hörbar.
Leise zieht sich Sir barold zurück, «
denn eine jede Störung scheint selbst
ihm Entweihung. Er bat laute, lei
denschaftliche Klagen erwartet, dagegen
war er vorbereitet, nicht gegen diesen ·
stummen Schmerz· .
Da tritt aus der dunlieii ijirnmereise -
Vater Mulligan, der Beichtdarer statts- i
leens. Sein gelblich hageres Gesicht -
mit den lebhaften schwarien Augen
drückt Verachtung aus« als er, den
Finger auf die Lippen legend« mit der
hand hinausdeutei.
Wie darf dieser Mann so aller Sitte
Dahn sprechen und zu dieler Stunde
erscheinen? »
Vater Mulligan kennt ia die ganz-.
tragi che Geschichte feine-Z Beichttindes,
ihre « de, ihre Verzweiflung und
ihre Reue.
Sachte schließt er die Thitr und folgt
Sie harold in die Küche, sprachlos dor
Entriistung.
»Ich hätte Mis. O'Brien gern ge
spro ,« sagt Sie Herold. den but
vorn ische nehmend. Rochiniiner hat
er teine Ahnung davon. in ioessenhaus
er sich befindet. Da regt sich der tleine
Tini in der Wiege.
«Ab, inein Goldtind, inein««’;iiwel!
Die Muttergottes beschütze Di , ak
ute-, vateeloses Würmchen. Schauen
Sie, herr, daf- ist Katbleens Erstge
s borener!«
Nnrah O’Reilln tritt dicht on oce
Kerze, und her Kleine areiit jauchzend
mit den Hündchen nack- einekn großen
Nachtfalter, der durch das offene Fens
ster hereinaeichwirrt iit und die Flam
me umkreist.
»Armes kleines Ding, es weiß n.:ch
nichts von feinem Ungl;ict.« seufzt Nr
rah; »ja, Herr, jedesmal wenn mich
der kleine Tim anlächelt. da iit snir’5,
als schauten mich Ihre blauen Kinders
csugien an. Die Aehnlichkeit ist er
ftaunlich.«
»Schon gut, schon es:it,« .::;etbriclft
der Priester ihren Womit-tunc
Sir hnrold aber neigt fch Fu dem
Kinde-das ist ja der lleine Robert
Norton, wie Ihn Sir Its-sinnl- Reynolrs
so vortrefflich gemalt-»in es doch, als
wäre das Bild lebenoia neu-orden.
»Nicht wahr, die Aelinliiysit mit
hrer Ymilte muß jedem Auge auf
allen, ir Horn-IM« iaal Jtoran Ein
spötti chesLiicheln uinilient ihren sahn
losen und. Nehmen Sie doch einen
Tropfen Whisty, Sie Damit-, Sie
sind ja ganz bleich. Nicht ts:-:lie, das
Elend der armen Leute nein einein zu
rzen, wenn man es sioo ’:nal an
chaut.«
Er verlteht ihre Anspielunq ni:«.t,
denn noch immer abnt er nichts.
«Mama, Mama. lornm!« ruft der
Kleine.
Da erwacht Kathleen aus dem stum
pfen Brüten, welches dem wilden
Sturm der entfesselten Leidens-mit
gefolgt ist.
hr Kind ruft sie, der Keine Tim.
chnell rafft sie sich empor, und da
erscheint sie in dem Rahmen der Tbüt
gespensterhaft bleich, mit aroks,e11, näch
tigen Schatten unter den umflntten
Angen.
Jesus und Maria« Sir Damit-W
kreischtjih sich an das Herz greifend
und bricht ohnmachtiq zufammen.
Wie versteinert fiel-E Sie Hakold.
»Geber! Sie,« flüstert der Priester
mit emern vielfaqenden Blick auf No
rah, die sich um Kirchlein bemüht, »ne
Pen Sie, Jhr Anblick könnte ihr std
em."
s
Als wäre das Erlebte ein böser
Traum gewesen« so atbinet Sir Harold
hoch auf, als er das Häuschen verlas
en, aber der böse Traum hält ihn noch
immer gefangen; er ist verwirrt, ver
stört; er tann den Zusammenhang
nicht klar erkennen· Jst die Frau,
welche ihm gleich cincni Schatten er
schien. wirklich Fleisitts und Blut!—--; It
sie ein Gespenst, ein Truabild, hervor
gezaubert aus der Nacht der Schrecken
durch den Gesang Miriamsi
Weit liegt schon das Dorf hinter
ihm, als seine Gedanken anfangen sich
zu regeln. Ja, es is: Kathleen O’Doti
nell. Aber wie —- ivenn der Kleine
nein -— das ist nicht indgtikh —- so stolz
ist ja kein Mädchen aus die-n Volle, das;
es nicht die geringsten Ansprüche an
den Vater zur Erhaktunq des Kindes
erhoben hätte —- diese Aehnlichkeit ist
Zufall —- Spiel seiner Phantasie. Hin
und her wälzt Sir Harold den Gedan
ten, bis er schwerer nnd schtvrrer wird
und sich ihm wie eine bleierne Lust auf
das Herz legt. Ja, es ist sein Kind
fatal, warum gerade jetzt diese Ent
hiillung? Wie unheilbrinrend kann sie
werden, wenn Miriarn die Aehnlicheit
entdeckt.
Riesengroß tritt wieder das Jch in
den Vordergrund seiner Empfindunasi
welt. statt-been und das Kindsie mits
sen fort von hier« bald. es wird sich
leicht ausführen lassen.
Nicht einen Augenblick denlt Sir
Harold daran, wie viel das arme Men
schenherz gelitten haben mag: nicht
einen Augenblick macht er sich einen
Vorwurf darüber, daß er nie nachge
forscht, was aus ihr geworden. als sie
Dublin so plötzlich verlassen hat« War
es nicht besser für feine Seelenriilie,
Kaihleen aus seinen Gedanlen zu ban
nen? Wenn te ihre Drohum ausge
siihrt, so hätte er si-. ja doch nicht wic
der in? Leben zurückrusen können.
Wie phantastisch es sich doch manch
mal in dein Gehirn selbst des vernünf
tig dentenden Mannes gestaltet!
Kaum ist eine Stunde vergangen, dosi
er sie aus den Geträssern des Sees
gleich einer Erscheinung tat auftauchen
sehen, und hier lebt sie in seiner näch
sten Nähe. —- Wie schnell sie sich trotz
ihrer Verzweiflung geträstet hatt.
Er nähert sich Castle Glena. Auf
der Veranda, vom Mondlicht umflos
sen, steht irn li ten Gewande Miriam
und barrt sehn-uchtåvoll der Rückkehr
des Gemahlg. Bei ihrem Anblick ver
sintt Alles, wag- ihn beunruhigt. Be
fliigelten Schrittes eilt er den Hügel
hinan; heiß wallt ihr sein herzt entge
gen. da kommt sie die Marmorstufen
heut-geschritten
»Harold!" Mit lautern Freudenschrei
stürzt sie ihm in die atisgebreiteten
Arme. Wie ftürrnisch er sie an die Brust
schließt!
Einige Augenblicke später tomrnt
James.
»Den, der Oberaärtner——«
«Runt«
»Er ist derschwunden.«
Sir Harold erbleicht. -
»Das ist fatal!"
III
Heil und glänzend liegt der Son
nenschein über Caftle Glenm
Es find Gäste aus London eingezo
gen. Elegante junge beeren nnd Da
men beleben die paradiesisch schönen
Gründe. Man reitet und iährt, man
rudert und segelt! gibt its doch keinen
angenehmeren Landaufentliali als Kil
larney mit seinen bewaldeten Bergen,
grotesken Fellen und malerisch einge
rahmten Seen.
Miriam ift die gefeiette Königin, um
die sich Alles schaart und der ein Jeder
huldigt. Und ein jedes Wort der Be
wunderung, das man feiner rei enden
Gemahlin zollt, es entflammt immer
mehr die fo jäh erwachte Liebe Sir
Harolds· Jnimer wieder iraat er sich,
wie es nur möglich war, daf: er bisher
so unempfindlich gegen iliren Zauber
. -1ewefen. Nie hätte er sich selbst einee fo
. mächtigen Gefühles fähig aeglaulin
i , wei Tage vergehen. an denen man
la
t und scherzt, spielt und singt. Des
rauenvollen Ereignisses wird nur
Eüchrig gedacht; felhlt vor Mirianis
sage hängt ein farbenreicher, glänzen
der Vorhang, der nach dens. tragischen
Art gefallen ist.
Jm Dorfe aber da gibt es nur einen
Gegenstand der Unterhaltung: Lang-;
Tod und die ihn begleitendenUmstände.
Der Obergiirtner ist nirgends .u fin
den ——— natürlich, Sir harold sat ihn
entfliehen lassen, ihn sogar iur Flucht
mit Geld verforth die Steckbrief-,»init
denen man ihn verfolgt, find Eosnodie
wie Alles. Ein Engländer verrath« den
Anderen nicht« wenn man sich an einein
gehaßten Jrländer vergangen nat.
Wie viel Theilnahme man deni allen
Mike O’Donnell erweiftl Das Trösten
hat tein Ende. Ein Jeder will thn un
terstützen und ihm hellen mit demPfen-—
ntg seiner Armuth. Scheu stiehlt sich
« Jung, Alle wollen sie Katblcen bewei
! sen, wie nahe sie sich von dem Tode Ez»
- Larttfs berührt fühlen. Wo nur ein ««
. morderische Hand nach Larkn gestreckt ««·
der Wilddieb am Abend durch Tuns-stat- «
tofselgärtckzen welch’ ein Otlch di .
Fensterchen steht offen: schnell unk- un,
bemerkt fliegt der hast dinetn. Witz
gilt es dem Wilderer, daf; die Jagd
geschlossen ist?
Auch der Whisteylrua auf dem Ti
sche füllt sich aufs Neue: es nat Zeit
mit der Zahlung; Katbleen lann jetzt
doch nicht an solche Anaelcgcnheitei i
denken.
Und Mike -O’Donnell fiiblt sich ok
dentlich stolz, ob all’ der Ehre. die man
ihm und seiner Tochter erweist. Ja, er
wächst in seinen Augen zur-scheiden und
schwört bei jeder Geleacniieit, er werde I»
den Tod seines Schtviieaersolxsneg rä- "
chclL sk.
Aatbleens Lippen bleiben qesclslkssen , «
Nur der Priester weiß, wie die Leiden-PS
schaft in ihrem Busen todt und ittr -
Herz zernmrtert. Aeufzerliiti aefuszt un · «
ruhig, qährt eg fürchterlich iu ihr.
Heute wird Laien einfach-Jer A ;.«.«
Dorfbewohner sind geschsjftiqx mai HJI
schmückt sich zu dem Fest; man !·ürst « ·
und nickt sich die alten-kleidet Un ask-ki
Bliimchen in den armselian Gärtchen
auszutreiben ist, da fällt es deute unter
der Scheere. Sonst, da holte man
Lorbedoll der prächtiqsten Blumen, v
Geranien und Rosen. Kann-lieu nnd
Fuchsien aus den Treibdäusern der bei- .,
den Schlösser, denn die Verm-Tier Im
ren bei solcher Gelegenheit stets steige
big, aber wer konnte Blumen erdixten
auf Castle Glena, von wo aus sich die ·’
hat.
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; ihm steht erhöht ein Kruzifix. Es ist«
» als ob der Heiland seine Arme iiber den
Hoch ausgethuiint lieaen die Hinei
,en Leiiientiicher, und daraus ruht «
tarry mit Blumen und Kränzen be
deckt. Ningsuin an den Wänden l-ren
nen Kerzen und sein Haupt ist uni
strahlt von Lichteralanz. Dicht isinter
Tsxdten breite. Ruhia und still sitzt
Ratdlccm den Kopf gesenkt. die Händeif L
im Schcoß gesaltet. Steine Ihriine
rinnt. S«««
Alle Nachbarn und Freunde lein
ineii, betreuziaen und verneigen sich s7«
vor der Leiche -— der Eine legt noch
ein Blümchen nieder. der Andere steckt
eine Kerze an. die er siir seinen letzten
Heller ertaust hat. Und so ciele Besu- « »,:
cher die kleinen Raume fassen, so viele
drängen sich hinein, denn gleich be
ginnt die Todtentlaar.
Feierliche Stille herrscht —- feierlich
brennen die Kerzen « feierlich ge
stimmt lauscht ein Jeder-.
Jetzt erhebt sich Rorah O’i)ieilly.
Sie weiß, was ein jedes Wort zu des .
deuten hat, und wie sie es betonen ini«s3.
Morgen wird die Klaae sveiter getra- »
gen von Mund zu Mund. Ja, sie wird-«
anschivellen ivie der Bach nach einein
Zeivittet Den rothen Mantel zurück
schlaaend, streckt sie die Arme aus und
deutet auf Latin: L
»Larrn O’Brien, Du Schmuck rer -
irischen Jugend, der Du iii Deiner
Blüthe hinivegqerasst bist, wie die Eiche
actiirssen vorn Blitz, möan sich die-Dei
lixien Deiner Seele erbarmen. daß Du
nicht lange lechzest und dlirstest nach
den ewigen Freuden des- Himmel-,
denn teine Zeit ließ Dir der unt-atm
herzige Feind, Dich mit dem Herrn
i«nd seinem gebenedeiten Sohne zu ver
söhnent
»Ihr Alle habt den Laien O«Brien -
etannt. Wer gliche ihm an Muth und «
rast, an Schönheit des Anrlitzes nnd
der Glieder-? Sein Gana ivar stolz ivie
der eines Königsohnes und feine Miene
edel und trei. Kein Adlethorst war to
hoch, daßLarrh ihn nicht erklettert, tein
Meer so stürmisch, daß er se nicht des
fahren, und da liegt er, erschlagen von
der grimmen and des Feindes-. Seht
das blutige tal an der Schläft aus
der das junge Leben entttröintet Weh
dem Mörder, dessen ruchlose hand ihn
hin estreckt ——- weh —- weh!«
»Im-, weh, weht« schluchzte man
s
trug-arm
»Aus seinem Grabe werdet Ihr und
Eure Kindestinder trauern, denn mit
Larry O’Brien siel einer der Getreuen,
die ihr armes Vaterland lieben!
»Pslanzet den Shamroct an der
Stätte, wo sein Blut vom Grase rie
selte und die Wasser des Flusses röth
lich färbte! Ja, dort psianzt den
Shamroct, dort wird er ewig riinen
und Euch erinnern an Larrn O Brien,
der um Euch den stertod gelitten!
»Hört seine Stimme im Rauschen
VCE Flusses, im Söuseln der Blätter
und des Grases; seht nicht die Sonne
Untergeben, ohne zu beten, daß die
Heiligen Mitleid fühlen und Euch die
Hand störten mögen, damit Jhr weh)
ret den Bedriiaern und Feinden unse
res armen Vaterlande-Hi
»Weint um Laut-, weint um ihn —
i.eszt den Boden mit Euren Thriinen!«
Immer heftiger schluchzt man; tein
Auge bleibt trocken; nur Kathleen sitzt
nech immer unbewegt, als wäre sie aus
Stein gehauen.
»Und seht die Wittwe, beladen mit
Kummer. Umsonst wird sie den Gat
ten rufen, nur das Echo wird ihr kla
gend . antworten: »Larry, Larri)!«
wird es über die ganze griine Jnsel ts
nen; von Malin head bis Cape Eorn
wird sein Name um Rache schreien!«
Und Norahs Augen stammen; die
Adern an ihrem langen, hageren Halse
schwellen, wie sie mit immer lauterer
Stimme bald Larry preist, bald die
Hinterbliebenen an ihre Pflicht-U
mahnt, bald die Englander als die
Ursache alles Uebelö, alles Unheil-Z
anllagt.
Gortsesiung solgt·)