Klüfte und Ebenen. Roman von Hex-man Heiberg. Gsmetimw I ,«A-———------. »Du fragst nach dem Salz: Es steht ja vor Dir!« Und Asta fügte neckend hinzu: — »Am Ende ist’s Rina, die schöne Südamerikanerin! Ernst! Ja, ja, die hat’s Dir gewiß angethan." Und als Ernst mit aller Gewalt eine harmlose Miene zu Stande brachte, beschloß sein Vater das Gespräch mit den Worten: »Na, das wäre wirklich mehr als Thorheitt Gerade heute Morgen theilte mir Frau Martinez in aroßer Sorge mit, daß die Monatspension schon seit acht Tagen auf-geblieben sei. Sie fürch tet, es stehe mit Ninas Bruder sehr schlecht. Er soll Neigung zum Spiel haben!« Es entstand eine peinliche Pause. Die unbeasngene und fröhliche Stirn mung war dahin. Asta und Ernst fähi ten lebhaft mit der kleinen reizenden Rina, und auch die Doktorin gerieth in ein theilnehmendes Nachdenken. Doktor Gaarz aber hatte außerdem noch andere Sorgen im Kopf. Angelika-s Schicksal beschäftigte ihn seit dem Morgen wieder fortwährend. Sie hatte ihm von Kalthof aus über sden Verlan ihrer Unterredung mit Legardus kurz berichtet, und er theilte ihre Hoffnungslosigkeit, daß dieser ihr nichts Bortheilhaftes schreiben werde, vollkommen si- s : Dennoch gelangte Gaarz wegen dringlicher Geschäfte zu Astas großer Entiäuschung am nächsten Tage noch nicht zu der Fahrt nach Kalthof Am Morgen brachte auch die Post einen Brief von Angelica, der folgender maßen lautete: ,,Hochverehrter Herr Doktor! Jch schreibe Ihnen nochmals, um Ihnen mitzutheilen, daß mein Vater unter schweren Androhungen meine unverzügliche Rückkehr fordert. Meine Eltern erwarten mich spätestens mor gen mit der Mittagspost. Das ist das eine. Was sonst vor liegt, ersehen Sie aus dem veifolgen den Briese von Legardus. Was sagen ISie dazu? Jch bin bereit zu thun, was er verlangt, aber doch möchte ihren besten Freund aus dieser Weit vor her noch hören Jhre dankbare Ange lika.« — « Jn nicht geringer Erregung entfal tete Gaarz die beigesiigten Zeiten von ’ "Legardus. Sie lauteten: . ,,Jch sage Dir auf Deine mändliche I Frage Folgendes: Wenn Du schriftlich i vor dem Notar das Dir von Deinen ’ Eltern einst zukommende Vermögen rnir cedirsi, so toill ich auf die Deinem Vater gestellte Forderung von 150,000 Mark verzichten. Jch überlasse es Dir, das eine oder andere herbeizu führen Wir lassen uns dann huld emöglichft trauen und ich gebe lediglich Dir anheim, sofort zu Deinen Eltern zurückzukehren und mit mir die Maß nahmen der Scheidung in Ruhe zu be reden, oder an meiner Seite weiterzu leben. Da die Vorkommnisse sehr viel reudiges nicht erwarten lassen, so , cheint mir der erste Weg der richtigere. Jch ergreife die Gelegenheit, Dir für Deine bei der letzten Unrerredung an den Ta gelegie Hochherzigteit zu idanteru ch habe gesehen, daß ich mich in Deinem Charatter schließlich doch nicht täuschte. Ich grüße Dich freundlich Rochus Legardus.« Am Posthause hatte sich Frau Kar det Mittags eingefunden. Sowie An geliea dem Wagen entstieg, setzte sie sie in eine von ihr bereitgehaltene Kutsche und fuhr mit ihr nach hause. Aber die Begegnung trug durchaus keinen herzlichen Charakter. Nur fin Lere Vorwürfe fand Angelika in den TZiigen ihrer Mutter. Liebe suchte sie vergebens, und dem jungen Geschöpf, das voll Bedürfnis war nach Zärtlich -kett und Trost, lramvste sich das ohne hin gemarterte Herz noch mehr zu sammen. Später fragte ihre Mutter sie in einem schon von vornherein abweisen den Tone, wie die Dinge ständen, ob Legardus inzwischen ovn sieh habe hö ren lassen, und mit welchen Absichten Angelika in das ahus ihrer Eltern zu rücklehrelk Angelika hielt noch zurück. Sie sprach nur allgemein aus, daß sie an der Erfüllung ihres Wortes festhalten müsse. — Sie wollte erst Doktor Gaarz noch sprechen. Da sie leine Liebe sand, stellte sich auch kein Drang nach Vertrauen ein. Aber nach ihres Va ters Meinungen forschte sie, während sie dahinfuhren. Was er fiir Absich ten habe, ob nicht auf ihn einzuwirken sei, Geld herzugehn und in die Ehe zu willigen. »Wer denkst Da bin! Er ist weder zu dem einen noch zu dem andern zu be weaen. Mache Dir gar — gar keine hoffnungs« » « Unter solchen Eint-rücken trat das arme Geschöpf bald daran in das el ierliche Haus ein. Als sie iiuer den Flur schritt, fah sie durch die Scheiben ihren Vater im Laden an einem Packet hantiren. Er schlug einige Munde Ehotolade für einen wartenden Kun den ein. Als er Angelica und feine Frau er blickte, nickte er mit einer gänzlich un befremdeten ausdrucislofen Miene und machte eine Geste, in der es aus-gedrückt war, daß sie nur vorangehen sollten, ei habe noch zu thun und werde später folgen. Angelika fuhr zufammen. Jhr war, als ob sich ein Messer in ihr Herz bohre. Gaarz draußen bei Frau Martiiiez. Nina war nebenan bei Stiele nnd ward jeden Augenblick zurückerwarret Zu Gaarz’ Beruhigung ertlärie die Alte, daß die Monats-rate am Mor gen eingetroffen fei. Sie zeigte, da sie nachgerade kein Geheimnifz mehr vor Gaarz hatte, fogar ihres Entels k Brief. Er schrieb —- die Frau überfetzie die Zeilen: »Ich war von Paris abwesend, und mein Kassirer hat das Gelb nicht abge sandt. — Nächstens werde ich schreiben und alle Eure Fragen beantworten. Das Geld ift lnapp. Die Zeiten sind schlecht, da wird man mißmuihig.« »Sehen Sie! Sehen Siek Herr Doktor!« unterbrach sich die Dame selbst. »Es ist, wie ich vermuthet habe. Sehr, fehr traurig! Hin? Acht Im i mer habe ich Furcht, daß er Ninos ! Vermögen in Gefahr bringt. Er ifi I so leichtfertig, hm? oft, fehr leicht J fertig nnd doch fo streng und man darf kein Wort sagen. Was foll wer » den, wenn die arrne Nan alles — hm?« Der Doktor troiieie. Inzwischen kam das schöne Mädchen herangehiipst Sie hatte einen ihrer Kanarienvägel in die Tasche gesteckt und zog ihn, nach dem sie den Doktor zärtlich begrüßt hatte, hervor. Jhr süßes Mündchen an seinen Schnabel drückend, stand sie da und sah Gaarz mit ihren bezau bernden Augen an. »Nun, Fräulein NinaZ Haben Sie sich gut amiisirt und gut befunden? Wir sahen uns noch nicht nach der Ge sellschaft bei meiner Verwandten! Plötzlich waren Sie verschwunden! Was trieb Sie denn so rasch davon ?« Jn diesem Augenblick ward die »alte Mama" abgerusen, und Rina, die den Doktor bereits mit einer ausweichenden Miene hatte absertigen wollen, lösten sich die Lippen. Das junge Mädchen befand sich in einem gewaltigen inneren Zwiespalt. Jhre Natur war so ehrlich. daß sie ihren Wohlthäter um keinen Preis be trügen, ihm auch nicht einen Augen blick der Sorge bereiten wollte, ande rerseits dachte sie nichls Anderes, als Ernst Gaarz, und war womöglich noch » unglücklicher als er, daß eine Antwort aus seinen Brief ausblieb Zunächst begegnete sie seiner Frage mit größter Offenheit· Sie kam ihr auch siir ihre Zwecke sehr gelegen. Dann aber wandte sie allerlei seine Künste an und entwickelte eine erstaun liche Schlauheit, ihn sowohl aus das zu bringen, was sie wissen wollte, als auch ihn siir sich zu gewinnen. »Ich hatte einem gewissen Jemand ein Versprechen gegeben, mich ganz musterhaft artig zu betragen, ihm keine Schande zu machen! Als ich nun fühlte, daß der feurige Wein mich fort reißen wollte, daß in Folge dessen meine Seele die Sehnsucht entwickelte« aus allerlei hohen Dächern spazieren zu laufen, statt hübsch sittsain aus der Erde zu bleiben, floh ich. ch floh vor mir selbst, herr Doktor aarzl Nun denken Sie vielleicht, daß ich Ihnen das nur einreden will. Aber es ist wirllich so —- ganz so. -— Jsch war in s der That ein kleines braves Ninchen und verdiene eine Bank höher gesetzt zu werden« Gaarz sahNina mit einem zärtlichen Ausdruck an. Jhn rührte dieses Be- : lenntniß, es machte ihr Ehre. Troß- . dem ward es zur Neckerei getrieben und sagte mit liebenswürdiger Ueber legenheit: »Als-) nur um des Versprechens willen haben Sie sich bezwungen, nicht aus innerem Drang, Fräulein Nina?« Einen Augenblick dachte sie stach· Aus der ehrlichen Zunge schwebte die Antwort: »Nein, gewiß nicht! Wie werde ich denn so thöricht sein, den Freuden mei nes jungen Lebens aus dem Wege zu gehen, die goldenen Schalen von mir zu stoßen!?« Aber eingedenk ihrer Vorsiihe sagte sie, das reizende Mündchen schmollend zusammenziehend: »Ich bin ja selbst nicht mit mir zu frieden, wenn ich mich einmal zu frei benommen habe. Jch mag mich zwar schrecklich gern amiisiren, aber ich mag gar kein ans Reue entstehendes Unbe hagen. Das und der Geruch von Jn settenpulver sind mir schnellt-ist« Gaarz lachte, dann sagte er: »Was gab denn den Anlaß, Fräu lein Nino, daß Jhre Grundsäge in Gefahr zu gerathen drohten? Haben Sie sich ein bischen verliebt Z« »Ach, wohin solls führen, Herr Dot tor!« entwand sie sich seiner Frage. »Wer will mich? Ich bin gar nichts werth. »Ich beneidete schon immer als Kind meine Puppen; sie waren so muster haft artig, schlossen die Augen, wenn sie ins Bett gelegt wurden und lehnten sich nie auf, selbst wenn man sie nnters Knanapee zum schwarzen Pudel schob — »Ja, wer will mich? Würden Sie jemals jemanden rathen, mich zu dei rathen?« »Weshalb nicht? Sie besitzen einige wahrhaft vortreffliche Eigenschaften!" ,,Ah!« stieß Nina heraus und rückte sich bequem zurecht, als ob sie in dieser Stellung die verführerischen Worte in erhöhtem Maße genießen könne. »Bitte, bitte, bitte ——" stieß sie be gehrlich heraus, und die schönen Augen funtelten. Bevor Dottor Gaarz tber zum Ant worten gelangte, griff sie nach einigen Bogen Papier und einem goldenen Emon die auf ihrem Schreibtische lagen. »Nun, wollen Sie sich meine Ant wort auszeichnen?« fragte Gaarz be Initiat »Gewiß! Giebt’s etwas Jnteressan teres, als ein Urtheil des klügsten und besten Mannes der Welt über die be rühmte Langschläferin Nina Telge? Das ift ein Dotument von einem Ewigkeitswetth!« »Ah, natürlich! vergaß!'« machte Gaarz mit schelmi chem Ernst. ,,Alfo, bitte, schreiben Sie: Erstens, gute Eigenschaften; es find nur drei: ——« Nina schlug erstaunt die Augen «empor. »Nur drei? Und ich habe mir fünf Octavbriefbogen herbeigeboli!? Welche Enttäufchungt —- Jch meine für die Nachwelt!« »Ja, man kann nicht mehr geben, « als man hat! Aber nun bitte: Also ! erstens ist Nina Telge von einer be ftrickenden Herzensgiite, zweitens besitzt sie einen überaus gefunden Verstand und drittens eine ungewöhnliche An- » ständigkeit der Gesinnung!« »Seht, sehr gut! Welch ein Men schenkenner Sie sind, Herr Doktor! Das würde vie tleine Nina Telge freuen zu lesen. Schade, daß sie nicht selbst hier ist! —- Und nun, bitte, die Mängel! Wie viele Briefbogen find nothwendig! Bitte, wie viele?« »Wir konnen uns auch da kurz fas fen. Kürze ist des Witzes Seele. Es muß etwas zu rathen bleiben. Das ist ja eines der größten Geheimnisse der Kunst. Wenden wir sie auch in diefem Falle an?« »So —- so? Ach, ich verstehe gar nichts von Kunst. Jch bin überhaupt so schrecklich unwissend. Fangen Sie · hrem Diktat nur gleich mit die sem angel an, mein edler, nachsichti ger unvergleichlicher herr, Richter und Vater.« »Sie wollen mir durch solche Anre den schmeicheln! Sie vergessen, daß ich unbestechlich bin. —« «Schad» .,Schade? —’Jsts nicht eine Tu aend?« Ja! Es gibt etwas dazwischen! Jch J las einmal, man müsse Kompromisse schließen können, man miisse Anlage zur Eoncilianz mit aus die Welt brin gen. Tugend isi meistens recht lang weilig. Conciliant sein nber heißt: nicht vergessen, daß man selbst von fündigem Fleisch und Blut ist. Und das macht dann milde.« »Seht richtig. Nun, wir wollen sehen! Schreiben Sie giitigst, Fräu lein Nina· »Fräulein Nan ist erstens recht leichtsinning; haben Sie leichtsinnig?« »J — a a ——.« »Zweitens sehr oergnügungösiichtig —- und drittens —« »Bitte, bitte, Herr Dottori Einen Moment! Ein kleiner Herztramps der Furcht vor dem Kommenden! Der Zustand muß erst überwunden wer den! —- Sol Nun bin ich in Eisen ge packt. s—« »Also drittens: recht sehr veränder lich —« »Veränderlich? iWe meinen Sie das? Daß ich nicht immer ein altes grünes Seidentleid tragen, nicht zwöls Monate ins Jahr Caeao Morgens trinken, gern Bezique spielen, dann aber auch einmal Patience legen mag, und endlich mich selbst nur bisweilen einigermaßen erträglich findet Daß ich die aus Coeujnußsleisch fabrieirth Makronen mir nachgerade zuwider ge gessen habe. die alte Mama ost uner träglich finde und sie dann doch wieder vor Liebe todt küssen möchte? Jst das verönderlichi Worin bin ich sonst ver änderlich?« n»Sie werden es sicher in der Liebe e n.« » »Ah, ich weiß. Weil ich Ihnen er zählte, daß ich einen Freund meines Bruders sehr gern hatte und dann doch nie wieder von ihm sprach? Täu, i daraus spielen Sie an! Aber ie T Sache klärt sich durchaus zu meinen ! Gunsten aus« Drei Tage später erhielt l ich seine Verlobungsanzeige Er hatte sich mit«der ’iingsten Tochter des Prii - denten der epublit Benezuela verlo t. Jch weinte siins Tage unausgese t· Dann mußte ich iiber eine thörichte e mertung der alten Mama einmal eine Viertelstunde schrecklich lachen, Da war’s vorbei. »Aber ernsthast, lieber, einziger Herr Doltor Gaatz. Glauben Sie, ich werde treuer sein, als ein gestickter ; Fußscheinel - Pudel, treuer als das Mißvergniigem der stete schreckliche Begleiter der menschlichen Kreatur. Sie tennen osesnbar gar teine Süd länderin. »Sie sind alle aus starkem Cederri und anschmiegendem Epheuholz ge schnitten. Wir kennen keine Untreue! Eine Südländerin macht wohl einmal lolette Augen, aber sie läßt ihr Leben sür ihren Mann, sie hungert und dür stet mit ihm, arbeitet wie eine Magd am Küchenherd wenns sein solt, und befiehlt er, daß sie in Paris wie die Herzogin von Castilien austreten soll, so’beschämt sie die ganze vornehme Welt durch die Volllonimenheit ihrer Alliiren. »Sehen Sie, so ist est Ah die Deutschen! Sie sind so schrecklich pe dantisch « aber abgesehen davon, denn das wäre noch milde zu benrtheilen ---— auch so sittenängstlich, als ob ein jeder vom herrgott zu einem Wachtmeister der Moral ernannt sei. Und ver stehen Sie! Ein Morallodex, in dem es schon verpönt ist, daß eine Jung stau einen männlichen Kanarienvogel besitzt. »Ja, Sie lachen und wundern sich, daß ich so rede, aber ich denle bis ; weilen nach, ich habe Augen zu sehen, ! ich vergleiche, ich bilde mir ein Urtheil. « »Und da bin ich denn allerdings zu der Ueberzeugung gelangt, daß ich eigentlich nur »einen« Mann heirathen möchte. Ach, gerade der will und kann mich nicht lximfiihren!« »Nun?« »Er heißt: Herr Doktor Gaarz. Es ist nicht zu haben, dieses Ideal. Es ist schon vom Schicksal vergeben-hu Sre sah ihn mit ihren süßen, schmei chelnden Augen an, und er höte daß reizende Kind gern zärtlich in seine Arme geschlossen. Nun aber lehrte die alte Mama zurück, und Gaarz fand noch Gelegen heit, sich nach Sljolds zu erlundigen. Da sagte Nina mit einer entzücken: den Schelmerei: »Jeder sitzt in einein Kämmerlei und weint, aber dem Himmel sei Dant, morgen ist Wasch- und Plätttag, da mit endlich die Tüchlein einmal ge trocknet werden tönnen!« Und dann irillerte sie ein spanisches Liedchen: »Wenn ich nur habe Jenes Liebes iipselchen und Käse, dann frag’ ich nicht nach Geld und Gut!« unterbrach sich aber, weil sie Doktor Gaarz beim Lachen über ihre eigenen Worte helfen mußte. Nachdem er sich entfernt hatte, war sie entschlossen, Ernst Gaarz aus seinen Brief zu antworten. Sie wußte nun, wie der Doktor iibe r sie dachte, und war sich ihres Einflusses auf ihn sicher. —- Einmal hatte es sie lebhaft ge drängt, ihm zu sagen: »Wir wollen das künstliche Ver fteetenspielen aufgeben. — Jch mischte Jhnen mittheilen, daß ich Jhren Sohn sehr lieb habe. Bitte, machen Sie mich zu Ihrer Tochter!« Aber sie stellte doch die Klu heit über das leidenschaftliche Pul rren ihres Herzens. Bieueicht wars auch gegen Umer Wunsch, daß sie sich seinem Vater an vertraute. Ja, sie wußte noch nicht ein mal, ol) er nicht doch nur zu tändeln die Absicht habe. Bei solchen Gedanten fiel der schwarze Kon tief herab, und silberglänzende Tropfen stahlen sich in die Augen. Noch einmal las sie zur Befestigung ihrer Hoffnungen seinen Brief durch. Aber er schrieb ja am Schluß Worte, die gar nicht anders gedeutet werden ionnten, er sagte, daß er auch sie lei denschaftlich liebe! Und sie konnte ihr lobendes Her-; nicht mehr bezöhinem Sie sehnte sich namenloti nach hm. Rasch an ihren Schreidtifch eilend, seste sie, nachdem sie ihre ganze Besonnrnheit zu Hülfe genommen, die nachstehenden Worte aus: »Lieder herr Gaarzt Sie schelten mich, daß ich neulich da vongelausen bin! -—, Vielleicht richten sich Jhre Schritet bald einmal zu uns, damit ich Jhnen Erklärungen zu geben vermag. Daß mein grüner Zeisig in seinem Bogelbauer zwiischert, wither wir plaudern, wird Sie nicht stören-i Sollte aber auch diese Zeugenschast Jhnen unbeauem sein, so wird sie ent fernen Jhre Sie herzlich grüßende Ntna Telgr. Nachschrift: Schreiben Sie giitigst vorher, wann Sie kommen. Meine alte Mama hat oft Besorgungen in ter Stadt zu machen. Sie möchte Sie aber doch gern tennen lernen· Nun denlen Sie vielleicht, ich werde sie dann gerade fortschicken Nein, bitte, das nehmen Sie gütigst nicht an. Aber sonst nehmen Sie gern einige ein«-— Sobald Nina diesen Brief geschrie ben hatte, verständigte sie Frau Mar tinez, daß sie in die Stadt gehen und l l I Frau v. Abertorn einen Be u machensz » wolle. Und so geschah-L s ch l Nachdem die alte Dame sie dringend s ermahnt hatte, sich ja nicht zu lange aufzuhalten, nicht iiberall an den Schausenstern stehen zu bleiben, weil das die Aufmerksamkeit errege, viel mehr schnell geradeaus und gesenkten f Auges einherzuschreiiem unter allen» Umständen feine Konditorei zu besu: s chen «—-- es seien noch einige von den i Liberznclerten Früchten vorhanden! — und endlich wegen des schmuyiaen Wettera sowohl Gamaschen wie Gut-l tnischuhe anzutkiun und licbr einen Schleir über das süße Gesichtehen zu ziehen, trat sie, das- Miindchen »lib« all den Unsinn« spißend, aus der Van und schrßitt, die zu Versen ftanvirten Worte: »Vergiß, vergiß den Brief nicht einzustecken, Den Brief In Doltor Glaar,zen’s Ernst!« ; wiederholt lusin vor sich liinsuriiineiid, I csuer iiber das Feld der Stadt zu. ! st- ek si- s Während die Dinge in solcher Weise s ihren Verlauf nahmen, waren sie anle · nebenbei bei SkjoldCs nicht stehen ar blieben. Das kleine Miit-lieu von Lands tvar nach verschiedenen vergeblichen Anliiusen, die Dr. Gaarz qexnasbt hatte, von Frau Stjold adopiirt wor den. Gegen eine großer-— liteldsnmme hatte sich die Frau sowohl bereit er klärt, das Kind herzt-geben, als nnch in eine völlige Trennung von ihre-n Manne zu willigen. Der Junge war zu einem Lehrer ne tltan worden, der ihn bis zur Konstr mation zu unterrichten und zu beans sichtigen hatte. Die Frau von Lund aber war mit einem früheren Kellner, mit dem sie schon Beziehungen gepselgi hatte, in einen benachbarten Ort ge goan und hatte dort eine Kellertvirths schast angefangen. Lund selbst erholte sich täglich mehr und mehr, und seiner Wiederanstellung in der Fabrik, in der er beschäftigt gewesen war, stand, wie Gaarz von dem Besitzer bestätigt wurde, nichts im Wege. Sein Brod herr hatte sich sogar dazu verstanden, einen Theil der noch entstehenden Kosten siir ihn zu übernehmen, und. auch Aussichten eröffnet, später den Jungen bei sich anzustellen. So war denn hier und dort gehol sen, und Gaarz blickte mti einein Ge siihl stiller Befriedigung aus das Er gebnis; seiner redlichen Bemühungen Freilich hatten die Verhältnisse bei Sksolds durch des Kindes Eintritt nur äußerlich eine Aenderung erfahren. Es blieben künstliche Anlaufe, bei denen zwar Wunsch und Wille vorhan den waren, dic Fähiateit aber zum Ge lingen nicht ausreichte. Als die Frau ihrem Manne von der Jdee gesprochen, ihre kleine Verwandte zu si zu nehmen, hate sie zwar die Ausführung von seiner Zustimmung abhängig gemacht, aber es war dies, wie immer, in einer Weise geschehen, die gar keinen Widerspruch aufkom men ließ. »Ich meine, wir adoptiren die kleine Annt, die ja auch Dir gestillt und alle Eigenschaften ihres Vaters zu besiJen scheint, als unser Kind. Wir schas en dadurch einen gemeinsamen Mittel punkt siir unsere Gedanken. Du kannst Dich beschäftigen, mit ihr spielen, Dich ihrer Zärtlichkeit und ihres Gedeihens freuen. Und ncht minder ich. Jch habe mich dazu entschlossen, weil Du sriiher ost gesagt hast, daß Du wüß test, es würde anders zwischen uns sein, wenn der Himmel mir darin gnä dig gewesen wäre. Mit Doktor Gaarz ist schon alles abgeredet; dreitausend Mark erhält die Frau, und sür den Jungen werde ich zudem jährlich noch etwas hergeben. So sind die Bedin gungen erfüllt. Lund ist sehr glücklich, dasz seine Kleinen der-sorgt sind« und ohne das schreckliche Weib wird er sicherlich auch wieder ausleben. Es ist zugleich ein gutes Werk. Ich denke, daß es uns Segen bringt; ich sage uns, dgstich annehme, daß Du einverstanden b t« Wenn Stfold gesprochen harre, wie ihm gegenwärtig ums eHrz war, so würde die Antwort erfolgt sein, daß er nicht das geringste Interesse an der Ausführung dieses Gedantens habe, daß er im Gegentheil allem abgeneigt sei, was daraus ausging, die Fäden zwischen ihnen fester zu knüpfen. Aber Jnge hatte ihm den Entschluß seiner Frau aus einem anderen Gesichtspunkt vor Augen geführt. Sie hatte gesagt: »Giebst Du ihr ein-Spielzeug und eine Sorge siir ihr Herz, so wird sie es weniger empfinden, wenn Du Dich von ihr trennst. Und dao bleibt doch unser unverrückbares iZeli So för dere also ihren Pian, statt Dich ihm entgegenzustellen, lasse es uns als eine Schicksalsfügung ansehen, dasz Doktor Gaarz ihre Gedanken aus Lands ge lenlt hat. »Und was meinst Du? Willst Du nicht mit ihm noch einmal reden? Wäre er nicht der Mann, der als unser An walt austreten tönnte?« »Wo denkst Du hin!« entgegnete Sliold, dumpf und traurig den Kopf schüttelnd. . »Er thut'ö nicht. Und wenn er den noch sich dazu versteht: sie wird ihn für verriiclt erklären, das; er ihr mit sol-, eben Vorschlägen zu lommen wagt!« Es lag in Inn-s Natur« dasr sie nie widersprach; aber sie handelte! Schritt weise war sie ihren Weg gegangen seit · Jahren, nachdem sie Stjold kennen und lieben gelernt hatte. Sie sah wohl seine Fehler, die sich durch ein gelegentliches Schwanken lundgaben. Aber sie schob sie und an dcrc nicht mit Unrecht aus die Situa tion, und sie traten in ihren Augen zu rück gegen seine Tugenden. - Sie fand in ihm cinen feinfiihlen den, edel veranlagten Menschen, voll « von Jdcalrn, Kunst- und Schönheitss,. sinn und von einer Herzensgiite, die sie immer oon Neuem zu ihm hin-zog s. Jhre Schwester war eine anständige, gerechte nnd sparsame Natur, aber voll Leidenschaften und Launen und von einer egoistischen Eifersucht, die den Mann — — sollte nicht jeden Tag der Unfriede auf der Schwelle hocken, — zu einer Puppe heut-drückte Jnge wußte, er wiiroe arbeiten wie ei Knecht, wen er seine Freiheit zurückge winnen könnte, und siir sie ging er, mußte eg sein, in den Tod. Sie war ihm in den letzten Jahren eine Freun- — din und eine Trösterin gewesen. Durch sie allein hatte er ein Dasein tveiterle- « den können, das eine Summe von De-» müthigunaen und geistiger Entbehruns gen gewesen wur. Sie, die Frau, hatte sijr höher Dinge teinen Sinn. —-- Blanle Möbe staubsreise Schranke mit vielen schne weißen Linnen und blitzende-n Silbe zeug nnd Krhstalh peinliche Ordnu im Haue nnd in derGarderobe, darau war ihr Sinn gerichtet. Sie liebte Beauemlichteiten nnd Wohlleben, aber;. auch letztere-«- ohne Uebertreibunqen. · Immer lenlte sie den Blick auf klare, nüchterne Verhältnisse, auf geordnete . Finanzen, war wohlthätig ans inne rem Muß, sorgsam und freundlich und-« dann doch wieder maßlos heftig und stets von einer grenzenlosen vHerrsch-: sucht. I So erschien die Frau und so war sie. i Er aber hatte eine Künstlernatur mit dem steten Drange nach Ausbildung, und mit Zunahme dieser empfand er - den Abstand zwischen sich und ihr, und es trat eine Entfremdung ein, die immer mehr zunahm, als Jnge ins Haus tam, und nun zu allem auch, in dem jungen traftigen Menfchen die i Sinne erwachten. Als er einst die Ehe mit seiner Frau eingegangen war, hatte er gemeint, es l sei ihm ein nicht auszudentendes Glück in den Schoofz gefallen, er werde nun alles, wag er einst ersehnt hatte, sich verschaffen tönnen. Aber er hatte ver- « gessen, daß in erster Linie das- Herz Nahrung braucht, und fiir sein Herz ( fand er nichts, weil einerseits die Frau ihn nie vergessen ließ, daß sie ihn zu T sich emporgezogen, und andererseits an 4 Stelle jener Liebe, die sich selbst dergißts und immer nur bestrebt ist, den andern zum Mittelpunkt zu machen sich die Leidenschaft gesetzt hatte — Etwas Licht war durch des Kindes ( Eintritt in des hauses Dunkel getre- · ten Des tleinen Mädchens unschuldi- ( ges Geplauder, seine süße Hülslosig leit, seine zärtliche Hingebung und der Jubel, mit dem sie das Neue, ihrem Auge Fremde entgegenriahm, wirkten mitsammt ihrer lieblichen, durch hüb sche Kleider gehobenen Erscheinung a die empfänglichen Sinne des Man Er ward abgelentt vom Grübeln iiber sich und sie, von der Sehnsucht nach Jnge und von den quälenden, sich im mer wieder einstellenden Gedanken. Zuletzt mußte ja das Ende eintreten, i das war unausbleiblich Dann gab’s nur eins: Entfernung aus dem Hause! Aber was sollte nach dem geschehen? Wie sollte er sich und Jnge ernähren? Er besaß nicht einmal die Mittel, die Flucht zu bewertstelligen. Sein kin stiges Handwerk hatte er verlernt; da mit wieder zu beginnen, lag überdies jetzt weit aus dem Bereich seiner Ge danken. Aber wag sonst-? Er konnte sich mit seinem Violiuspiel Brod ver dienen. Er war auf der Geige ein sol- ( cher Meister, daß er in jedem Orchester1 als Mitglied eintreten tonnte. Indes sen war’s ein targes Brod-Er wollte doch Jnge eine heitere, sorgenlose Welt aufschließen, sie wollten doch —- glück lich-werden« Rom aber gravt auer Lebensfreu digteit täglich tiese Gruben. So tane der Mann, wenn er die Möglichkeit ei ner Flucht durch seine Giedanten geben ließ, stets wieder aus den A "«« -Y punlt. Es aab eben AM. » zerbrechen, aber nicht wie r aneinan tszrsiigen ließen! Ja, wenn »sie«- starb! —— Aber schon die Vorstellung einer solchen Nin-? wies Slsald als ein Vergehen zurii . Um diesen rets wollte er nicht glückli werden. Und dann faßte er sich an Haupt, das ein unerträglichen un beimlicher Druck beschwerte, und erga sich einem dumpfen, verziveislungsvol len Hinbriiten Als die srei an diesem Tage Tisch saßen, nnd eine starke Eireaun der Frau iiber eine sehr unschmaetnas Sappe, die sie halb gegen sich selbst al« Wirthschastssiitneude, balb gean d Köchin richtete, glücktich beläsnpst nka erzählte sie, das-, ibr bei ihrer Nu , lebt ans der Stadt Nina Telge be geanet sei und daß sie das junge Mad chen zum Nachmittagötussee eingelad habe. . »Es ist wirklich ein reizendes, liebe-DE Geschöpf; jedesmal siihle ich mich mehr zu ihr hinge,zogen!'« wars sie inn. Fortsetzung ioiaU