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About Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901 | View Entire Issue (Sept. 2, 1898)
« Ein Blatt aus meinem Wunder-Tage liuch. Von Wilh. Rai-and. Sie mochte achtzehn Jahre zählen - und war eine der lieblichsten Tspiiochcni eslalten, die mir in Italien beharrt-i find. Durch Zufall sah ich sie, als ich mit meinem Freund Muzio-Bonetii, dem Maler, einen Ausslua von Sau Remo nach Bordighera machte-. Der reizend gelegene Ort, laurn eine Halbe Stunde von dein alanzvollsn Sag Nemo entfernt, verdanlt seine jährlich wachsende, meist aus Engliir.dern he ftehende Winterlolonie, dem »Dritter» Antonio« Ruffinis, einem Miiftererl11 der italienischen Romanliterats.i·, warel ! i jedkch höchst wahrscheinlich aekh ohne dies zur Südlandsstation sue-kennes Briten und Germanen geworden. Wir hatten uns am Meeresufer im Schat ten einer mächtigen Palme plans-m und der Maestro an meiner Seite, der seit Wochen ein neurs Sujet sur seinel Leinwand suchte, beschäftigte irrt in gelegentlich mit einer Gruppe Fifihek,! die in einiger Entfernung den Strand belebte. Noch immer haben die from xatien Szenen aus dem italienischen oltgleben ihren einziaartigen Reiz, und auch das Vltelier meines Freundes in der Via Vittoria Emanuele besa, ’ zahlreiche jener reisenden Bildchm die weaen ihrer sauberen Ausführung stets Bewunderer, doch wegen ihrer under scltömten Preise nur spärliche Häuser fanden. »Sehen Sie«, rief plötzlich der Ma ler enthusiastisch indem er sich erhob und auf die erwähnte Fischergruppe wies-, »schauen Sie dies terrliche Ge schdpf unter jenen braunen Gesellen!. Diavolo — Verzeihung, Freund! Aberl bewundern Sie doch jenes Wesen! Die sen Wuchs! Diese Mandelaugen! Die-I ses wundervolle Odal des Gesichtestl Diese Fälle von schwarzem Gelock!. Diesen Madonneublicl —— Aber redeni Sie doch!« wandte er sich fast unwillig« an mich und gewahrte nun, daß mein Gesicht selber den Stempel stummeri Bewunderung trug. »Jn der That!« flüsterte ich. »Wisseu Sie, mein Freund, Die muß ich siir meine Leinwand gewinnen!« lnd der lebt-site Toskaner zapfte an seiner Samintiacke, setzte den mächti gen Schiappbut zurecht und stand, noch elze ich niich·s versah, unter seinen Landsleuten, sich mit einem leckenBuon girrno selber einfibrend. Ich bemerkte, nie das schöne Mädchen ties erröthete und mit unaussprechlicher holder Ver schämtheit das Köpfchen bei Seite wandte. Mein Nähertreten schien sie noch mehr singt-schüchtern und ich blitzte in berechtigter Scham mit erbeu cheltein Interesse einem Fischer zu, der rnit seiner Nußschcle eben in’s Meer hinauf-fuhr Aus meiner peinlichen Lage befreite rrsich die helle Stimme meines Freunde-. »Kommen Sie«, ries er mir in Fran zösisch zu Cum nicht verstanden zu wer- » dens: »heifen Sie mir mit Jhrer tue-i rrnischen Beredscmieit das- Herz des-i schönsten Kinde-z und des veritocttesteni Bruders riibren und ich werde ibneni ein Bild csui die Leinwand zaubernJ dessen sich Rafael nicht hätte zu schä! nen brauchen.« H Ich näherte mich zögernd und ent-; deckte in dem veritocltesten Bruderi einen jungen Fischer von herlulischeini Körperbau, dessen muiluläfe, zumi leeil entbläsxte Gliedmaßen gut mitl denen der berühmten Rossedändiger an der Rapitolktrenpd tisetteiiern tonntcn. Der braune Rief-: blickte mich nicht all zu freundlich an, während ich meine liefenswiirdiaste Magie aufsetzte, nrn einen Blick aus den-Aussen des schönen i Madcheng zu erkennen, dass sich wie ein scheue-s Reh linter der breiten Gestalt der- Bruderg dara. »Mein lieber Signorino«, beganns der Maler wieder, »ich suche ieitI Wochen nach einern würdigen Gegen-l stand, an dem sich mein Pinsel etwa-I ben möchte. Da hat rnick sicherlich diel Santa Mk.donn.r selber ttierberaefiihrt, ism mir die Zianrrina zu zeigen — ein untvilligeg Acsslarnnren der dunk tcn Mädchenauaen lotmte das verun-! glückte Kompliment —— Gewiß, sie hass. betheuerte der Maler-, den stum nien Vi rtvurs erirend, i-nd wenn Ihr« meiner Bitte williairt, trird Euch diel Mal-onna segnen; kenn Jdr tin-»F- zuj ihrer Ehre!"« Und der edle Don Mii«;io· legte sein Angesicht in die ernstesten Falten. ( Den Riesen schien ein menschliche-zI Lichten zu fassen. Er blickte fragend auf das erröthende Mädchen, das fich] an feinen Arm arschrnieat hatte. Die Fischer rings schauten befriedigt aus den Maestro. »Mit es, Dina!« sprrchen einige. »Bei Sen Anwaer es iit nicht gott los-l« betdeuette mit Patriarchentviirde ein veriritteeter Graubart. »Aber ich versäume meine Arbeit«, sei-site die tleine Widerspenstige. »Dasiir komme ich auf«, tief der Künsilirh »Und Nico Hinriiot bat mich nöthig Um Flicken der Netze nnd Sammeln er FischeP « uch dasiit iontine ich ani! llnds schönen Dank made isti Euch wissen, Sinne-ein« Saat ja, Euer Bruder lsat schon schweigend ein ewilliat.« Der Jüngling ni te bestätigend und rannte ihr einige Worte zu, die ihren Zweck sichtlich erfüllten. Sie winkte .et.orsam mit dem Köpfchen und ent fchlüpftc verschiimd roch ehe der Mate ihc danken konnte, in die Thür einer dencchlnrten hätte. Der Maestro aber driickte dem·Niesen dankbar die Hand lind lies; qleichze tig einSilbetsliick hin eingleitem »..»Auk.,Wje,kersel-en bis diesen Nach mitta , Signor Meiji« Und er lächelte niie . itapian nachher Schlacht von Meinem Wir lehrten langsam nach San Remo zurück. Freund Bonetti schwelgte in Beha gen. »Haben Sie schon solch’ wunderbare Augen aesehen?« l ,,Nein«, antwortete ich. , ,,Haben Sie schon solche Fülle von schwarzem Gelock iioer dem liebreichsten Antlitz gesehen I« »Nein.« s« ,,Haben Sie schon ein solch’ ent ziickendeo Lippenpaar, ein solch« edles Oval qesel)en?«' ,.Nein.« Er blickte mich befremdet an, war aber zu sehr Ger-tleman, um etwas zu sagen, weil ich seinen Blick vermied, indem ich auf's Meer hinaus schaute. »Sie ist schön, diese Elodina!« »Wie ein Engell« ergänzte ich leise, nicht wissend, vasz er mich verstand. ,,.5,)aben Sie schen einen Engel gese llens« fragte er schelmisch. »Nein. Wozu dag?« entgegnete ich wenig höflich. »Nichts siir ungutl Wir Jtaliener sagen: schön wie die Mabonna . .. und eine herrliche Marrnna soll sie werden! Eine Madonna »deali angeli« und ich hoffe, Sie sind zufrieden.« »O, gewis;!« betheuerte ich und be gann vom Wetter zu reden. . » T Am Nachmittag ging ich nicht aus-, trotzdem der Himmel sich in entzücken der Schönheit iiber Land und Wellen spannte und mildtreiche Siidlandsluft durchs offene Fenster drang. Jch be fand mich in einer jener weh-wohligen Stimniungen, die sich früher unzähligel Mal in ein heiteres oder elegisches Lied gelöst hatten. Ater diesmal löste sich aus der Flucht der Gedanken tein spie lender Vers-: ich versuchte zu zeichnemi einen Mödchenkopf auf das Papier Jus bannen. ein liebliches Oval mit einerl» Fiille lockiger Haare. O weh! der Versuch mißlang elendiglich; scham gliihend zerriß ich das Papier undi haderte tindifch mit dem Geschick, daßi ei- mir kein MalettaIent verliehen ——( und hätte doch c gern allen bergan-; genen und zut nftigen Dichterruhm hergegeben für einen Funken jenes gött-; lichen Genies, das ich vor Kurzem tief-» bewegt in den Loggien und Stanzenl des Vatitnng bewut.dert hatte. ! Muzio sah ich heute nicht, wohl am« folgenden Tage. ,,UmarmenSi-: mich, theurerFreund! Der Anfang verspricht Großartige5!« detlainirte er. Ich murmelte einige Glücktvuofch-I Pbrasen ,,Eleodina läßt Sie griiszen.« Jch wollte auffahren. Sein Lächeln trat verleyend »Sie treiben Scherz«, bemerkte ich nich. ohne Bitterkeit. »Bei Gott, nein! Wie sollte ich?« ketheuerte der Fiiinftler. »Ich habe kein Wcrt mit dem Mäd chen aesdrochen.« ; »Nun darum!" lachte der Andere isnd faßte mich an den Arm. »Ihr Schweinen, Ihr-.- rslympische Ruhe hat« ih: iinponirt. tGut getriillt, LöweH taki-te ich qrimniigJ Wenn das holde Kind sich freundlich nach dem blonden, kebrillten Germnnen erkundigt -—- dass» alle deutsche Gelehrten, die nach Ita lirn tomnien, blond sind und goldene Biillen tragen, werden Sie doch zu acsiehen so ist das wohl tein Vers brechen!« Er spielte den Beleidigten Vortrefflich ,,Turchaus nicht«, erwiderte ich, ohne iu errdthen »Und wenn ich ils-r oerrietb, daß Eies ein aewaltiaer Treubadour vor dem Herrn sind «—« »Den Scherz hätten Sie sich sparen tönnen, Bester!« murrte ich. » So wird dies nicht verfehlen» Sie in den Augen ter drei lieben Lin-s der zu einer sympathischen Persönlich-; teit zu stenrpeln«, vrllendete er gelas-» sen. »Wesn meinen Sie mit den Dreien?« fragte ich, um etwas zu sagen. »Die beiden Geschwister und dann ein ,,tertium qaudens", ein artige-H( Mägdlein, die Tochter des alten Don Antonio, dem braunen Riesen, dem Nico, oerlobt· Die beiden Menschen kinder. die sich Atends nach der Arbeit eine unschuldige Schäferstunde gönnen, um seliae Zukunftsträume zu spinnen, haben alles Zeug· einander glücklich zu machen. Das; Beide ein häusliches Glück verdienen, zumal der Nico, das bat rnir sein Schwesterchen, während sie rnir saß, ausführlich demonstrirt: sie bat mir bei dem heiligen Anrpeglo betbeuert, daß Ricc das treueste Bru derberz habe, das aus der Welt schlage; rrsie er ihr Vater und Mutter ersetze, seit die Eltern aesterbenx wie er ge schafft und gedarbt, um die Schuld, die aus der Hütte gelastet, zu tilaenz wie er so nüchtern und sittsam sei, nie seine Zeit mit Liebeleien oerscherzt habe, bis endlich, wie auf Gottes Wint, sein Auge auf ihre beste Freundin, die Ria gefallen; wie sie sich gefunden in gegenseitiger Achtung und Liebe, und trie sie demnächst Hochzeit halten am Fest der heiligen Ampealo . . . .« »Und Elodina7« forschte ich. »Bleibt natürlich bei dem jungen Waare, bis ein Freien-wann kommt nnr sie entsiibrt.« Ich sagte nichts. si- Ii L Vllltiialich pilaerte der Maestro nach Bordialyera hinaus nnd lehrte stets sros her Laune zuriict Mir versiosz die Zeit unendlich lang sam. »Wtssen Sie iibrigens,.. »daß» meine Madonna Aussicht hat, ein Meister weri zu werden«-« begann er eines Tages. »Ich habe nie mit höherem Genuß den Pinsel gesiihrt.« »Ich glaube es gern«, gab ich ein silbi zurück. »Hättet —- hier schluckte Muzio — habe ich den Namen geändert. Wenn ich sie »Madonna degli angeli« nenne, nxup ich zur Moiirirung einige Engels löp chen anbringen, was den Eindruck, den das Antlitz der Gottesmutter her vcrrusen soll, schwächen würde. Die Bitte Elodina’s, ich möchte das Bild »Madonna dei pescatori« nennen, kam mir deshalb gelegen, und ich konnte sie ihr schon deshalb nicht abschlagen, weil sie das geduldigste Modell ist, das ich je gemalt habe. Es wäre übrigens schön, wenn Sie mich einmal beglei ten wollten! Sie scheinen gerade an diesem Bilde wenig Antheil zu neh I::en.« Ich wehrte ab. »Ich will nicht stören.« ,,Wen stören Sie?« brauste der Mae· stro auf. »Sie wären mir als witzi. ger Planderer in jeder zweiten Hälfte der Sitzung hochwilltommen, damit mein liebes Modell die Müdigkeit über windet.« ,,Maitre de plaisir!« warf ich ein. Der Maler machte ein beleidigteg Gesicht Am folgenden Nachmittag wanderte ich mit dem edlen Don Muzio aus Bordighera Zu. Ob der Grund mei nes Herztlopfens war, das Bild oder das Modell zu sehen, bin ich nicht ver pslichtet, zu gestehen. Es genügt, daß de: Weg mir unentlich lang wurde und ich nie den Kirchthurm von Bot-dia hera freudiger begrcsztr. Als wir uns dein Strande näherten, wo sich an das letzte Häuserviertel des alten verwit terten Ortes eine Reihe arniseliger Strandhiitten dehnt, bemerkte ich einige Fischer, die, abseits stehend, mit dem Finger ans uns wiesen und die Köpfe zusammensteckten Ich schenkte dem Umstand weiter keine Beachtung und horchte erst aus, als der Name Dina mein Ohr traf· Der Maler hatte nicht darauf geichtet; er hiitte die in liguri schem Dialett gesprochene Aeußerung verstehen mäissen. Doch was war das? Dort aus der Hütte des jungen Fischers lwie könnte ich sie vergessen, worin vor acht Tagen das liebliche Geschöpf entschlüpft war!) treten einige alte Weiber und stoßen, unser Kom men bemerkend, ein Wehgeheul aus, indem sie gleichzeitig wieder in das Häuschen zurückeilem wahrscheinlich um unsere Ankunst zu melden. Freund Muzio blickt mich starr an. Jch spüre tvie alles Blut aus meinem Gesicht rreicht. Lautlos stiiizen wir auf die Hiitte zu. Tsie Hausthin steht offen, desgleichen die tleine zu einer Seiten kammer führende Jnnenthiir. Lautes Meinen dringt aus dein Gemach. »Was ist loS?« schreit der Maestro und stößt eine rerireltte Matrone zu riiek. Doch das Wort erstirbt auf sei nenLipoen und macht einen Schreckens rus Platz. Die Frauen weichen zurück. Was-, ich nun sah, dergesse Ich nie. In einem schnneilosrn Sarg aus-» rohaeziminertem Olivenholz, den zwei Stuhle tragen, ruhte, die Augen ge schlossen, aus dein wachsdleichen Ant z litz die ver liirte Ruhe eines sanften Todes -— Elodina, das- weiße Sterke gewand und der Saum des Ruhelis sen- bedeckt mit schwellendeih goldgel ben Rosen. Mir war’s, als hörte ich blutige Tropfen von meinem Herzen rinnen. Da stürzte eine mir wohlbekannte Jänglinggilbestak herein, ein laut treinendeg Mädchen folgte: Rico und Ria. »Signore. Si nrreZ O Elodina, sorella mia«!« Der Wehruf desJ armen Burschen schnitt mir tief in’s Herz, mehr noch als das erschütternde Weinen des-Mäd chens, das händeringend vor demSarge niederstürzte die Hand der Todten krampsbast an die Lippen drückte und dann wimmernd das gerötbete Antlitz iu den Händen vergrub. Die Luft des engen Raums-, ein schwüles Gemisch von dustenden Rosen und frischem Olitenbolz robte mich zu ersticken. Jch fürchtete, mein namen loseg Weh möchte sich in einem gellen den Schrei Ausbruch verschaffen. Das Antlitz der Todten schien mich zu hyp rctistren, daß ich den erstarrten Blick nicht von ihr zu wenden vermochte. Da berührte Jemand meine Schulter und Freund Muzio zog mich stumm hin aus. »Es ist entseßlich«, stammelte er, als wir draußen traten, »o entsetz liebl« Und aus seinen brennenden Augen starrte ein thränendumpser Schmerz. »Sie sind gestern Abend ausgesehrem die drei Unglückseligen .. nicht zum Fischfang, zur Unterhal tung . . .. Dei- Kohn schlug um . . .. Rico schwimmt trie ein Fisch... von den Mädchen teins... »Rette Ria!« schreit Elodina, ,.rette Ria! Ria!« und wehrt dem Bruder, der zuerst nach der neben itmc ringendei Schwester greift. ,,Rette sie! Rette sie!« und da diese um Hilfe slelit, greist er die Braut und liimpit um sie mit dem Element.... Als jene gerettet em User liegt und er zurückstiirzt in die duntle Fluth ist Gloisina verschwunden . . .. Diesen Morgen spulte das Meer sie on’g Land . . .. o, es ist entsetzlich!« nnd der Maler stöhnte und vreszte di: gedallten Hände wider die Stirn, aus der die Adern Prall bervdrtraten ,,Lii!tsetzlich, VatmlserzigteiH . . .. Ili lxcbe sie ja geliebt . . . . geliebt mit aller Inbrunst» .. und hätte« mein Herz blut fiir sie gegeben» s Ich wandte mich ab und hielt beide! Hände vor das Gesicht —Wir sind die— tie1:esten Freunde g—e worden. So oft er später Von Elodina sprach — und wie oft that er s —- traf er mitj Dotchspitzen mein Herz. Er wußte ja nichts, hat auch nie etwas ersah-J ren. Jüngst erhielt ich ein Zeitungsblatti aus Mailand. Jn dem Ansstellungs-; bericht, Rubrik Künste und Wissen-; schaffen war eine Stelle mit Blaustift markirt: »Madonna dei pescatori« von Muzio Bonetti, höchste Auszeichnung: große goldene Medaille Tier Uhsageörief. i t t t Am 28. Oktober 1848 eroberte der Fürst Windischarätz das aufständische Wien, und aleich in den nächsten Ta gen wurden viele Verbaftungen und zahlreiche standrechtliche Hinrichtunqu vorgenommen. Ein aetvaltiaer Schreck war in die Wiener Biimerschaft ge fahren. Niemand siiblte sich vor dem Kerker sicher, und viele zitterten für ihr Leber-. Unter den politisch Verdächtiaen be fand sich auch der Advotat G., bei den: auf eine Denunziation bin eine Haus iucnuna voraenommen wurde. Grund los war der Verdacht nicht. G» ein sonst sehr besonnener und vorsichtiger Mann, hatte sich von den hochgehenden Wogen der revolutionären Stimmung Wiens hinreiszen lassen, sich mit Wort und That an dem Ausstande zu bes theiligen. Nach der Eroberung Wiens freilich tam ihm die Größe der Ge fahr, in der er sich befand, zum Be wußtsein. Er war Vater einer zahl reichen Familie. die. wenn er ihr ge rauht wurde, in Elend zurückblieb. Die Haussuchttnch welche Unter Lei tung des Haupttnanns v. Z. aus-ge stihrt wurde, setzte den Adpolaten in Schrecken, jedoch beruhigte ihn der Ge danke, daß man niraendss etwas Kom tsromittirendes finden werde. Er hatte sogleich hei der Nachricht von dem Ein zuge des Fürsten Windischarätz auch das kleinste Erinnerunasieichen an die Revolution vernichtet. Die Haus-fu chung schien auch in der That keinen Erfolg zu haben, und schon wollte der Hauptmann den Befehl zum Rückzuge geben, als einer der Polizisten, der steh am Papierlorbe des Advokaten zu schaffen machte, plötzlich ein kleines Stück Papier triumphirend seinem Vorgesetzten überaah Auf diesem zerrissenen Fetzen lag man die Worte: ,,——zu den Waffen —-«. und darun ter: ,,—— Verfchwöruna theilneh men —«. Sogleich befahl der Hauptmann, den Papierlorh weiter zu durchstr chen, und wirtlich wurden noch zwei kleine kleine Papierstitcke aefunden, auf deren einem man: »—arrilad—«,auf dem anderen: »Erohernna-—« las. Diese Bruchftiicke tührten in der That von einem Manisest her, welches der Advokat entworfen. nnd in wel: chem er zur Fortsetzuna der lfmsz rung aufaesordert hatte. Bleich nnd zitternd sanl er auf den Stuhl vor seinem Schreihtische. tfr war keine-J Wortes mächtig, und der Hauptmann erblickte in seinem Benehmen einZIti geständnifz feiner Schuld. Mit lau ter Stimme erklärte er itn siir ver k-astet. Weinend eilte die Gattin deg Ungliicklichen zu ihm hin. die Arme um ihn schlinaend. als-« wollte sie ihn zurückhalten. Blatt und den Offirier finster anhlictend, stand Hedwig, die älteste Tochter des Verhafteten, neben ihrem Vater. Plötzlich aber trat sie auf den Hauptmann zu und saate: »DenBrief, dessen Fragmente Sie im Papiertorb gefunden haben, mein Herr, habe ich aeschriehen.« Die Blicke aller richteten sich ver wundert auf das irnae Mädchen. Der Advctat, in dem Glauben. seine Toch ter wolle sich für ihn opfern, erhob sich und wollte sie zuriicltveisen aher der Offizier verhinderte ihn am Sprechen und befahl mit scharfer Stimme, allen zu schweigen, hie er das iunge Mäd chen oerhört habe. · . « l Aus seine Frage fuhr Dromm York: »Der Brief, dessen Stücke Sie hier se hen, hat nicht das aerinaste mit Poli tik zu thun. sonstetn ist nichts weiter, als der Entwurf eineg Absaaeschrei bens an einen Freier« s »Das klingt doch etwas zu unglaub lich«, lächelte der Hauptmann »Was haben Worte, wie »Verschw"o·rung« und »Barritaren« in einem Liebes bries zu thun2« ( »Es war eben tein Liebesbries, son dern ein Absaaebries«, erwiderte Hed wig, »und trenn Sie aestatten, Herr Hauptmann, schreibe ich Ihnen diesen Brief auswendia nieder.« l »Darum wollte ich Sie bitten, meinj Fräulein« Oedwig setzte sich und schrieb: ,,Geehrter Herr! Nach Ihrem letzten Schreiben halte ich iede weitere Ver binduna zwischen uns fiir ausgeschlos sen. Sie nehmen zu den Waffen der Einschiichteruna und Drohung Ihre Zuflucht, um mich umzustimtnen Aber selbst der Umstand, das; meine Eltern an der gegen mich acrichteten Ver-l schwöruna theilnehmen. wird mich gar nicht wankend machen. Geben Sie alle weiteren Versuche aus. ich werde mich qeaen jede Ausdrinalichleit Zu verharritadiren wissen. In der Hoff nung, daß Sie bald eine andere Er oberuna machen werden« die sich Ihren Wünschen acsiigiger ·eeiat, verbleibe ich Jhre Oedwia G.« »Das ist überzeugend«. sagte der Offiziey nachdem er die Niederschrift gelesen hatte, und sich zu seinem Ge folge wendend, fügte er hinzu: »Die Haugsuchung ist beendet. die Schuld losigieii des Herrn Advoiaten liegt klar zu Tage . . .« Einige Wochen später. als allmäh lich Ruhe und Ordnung in der Haupt-· itadt wieder eingetreten waren, erhielt gerAdvolai G. das folaende Schrei en: ,,.5,«)ochgcehrier Herr! Sie erinnern sich meiner woblsvon der Haussuchung her, bei welcher die Geistesgegenwari Jbrer Tochter Ihnen das Leben ret tete, denn Sie werden selbst nicht glau ben, daß ich mich durch diese rasche Er findung täuschen ließ. Ich habe da mals meine Pflicht verabsäumt, weil ichses nicht über das Herz brachte, eine so zärtliche Tochter, eine so kluge junge Dame unglücklich zu machen. Es würde mich freuen, wenn Sie mir gestatteten, Sie besuchen und eine so inertbvolle Bekanntschaft fortsetzen zu dürfen. Jbr ergebener v. Z. Die Besuche des Offiziers wurden angenommen, und nach einigen Mo neien schon führte er Hedwig G. als seine Gattin beim. Kaicer Wilhelm. Von allen fürstlichen Persönlichkei ten Unserer Zeit fordert leine das öf fentlicbe Jnteresse in höherem Grade heraus als der deutsche Kaiser Wil belm der Zweite. Es erscheint wohl kaum ein Zeitungsllatt auf dem Er denrunde in welchem nicht von ihm die Rede wäre. Was er thut, was er spricht, was er plant, wird berichtet und erörtert. Die zehn Jahre seiner Regierung gaben der zeitgenössischen Litteratur Stoff zu Kritilen, deren Zusammenstellung eine ansehnliche Bibliothek bilden würde. Denn der Kaiser zeigt für alle Vorgänge und Erscheinungen aus dem endlosen Ge biete oey öffentlichen Lebens reges Jn teresse, und nimmt zu allen Fragen Stellung. Er ist offen, und sagt, was e: denkt. Oft hätte er wohl besser ge than, weniger zu sprechen; stets aber spiegelt sich in seinen Worten seine Jn dividualität wieder. Kaiser Wilhelm ist kein Heuchler, und Feigheit ist ihm fremd. Talleyrand s Wort: »Die Sprache ist dem Menschen gegeben, unt seine Gedanken zi verbergen« , findet auf ihn keine Anwendung. Als hundert Tage nach dem Hin scheiden Wilhelm’s des Ersten auch Friedrich der Dulder die Augen schloß, blickte die Welt voll Erwartung, das deutsche Volk mit Spannung auf den 29 Jahre zählenten Monarchen, dem nun die Aufgabe zufiel, das neue Reich, welches sein Großvater schuf, zu entwi ckeln und zu erhalten. Es ging das bange Gerücht, daß Wilhelm der sZweite ein kriege-lustiger Herr sei, dem das Schwert lose in der Scheide säße Aber der Kaiser erklärte, daß sein ,Ziel die Erhaltung des Friedens sei, sden zu schützen er feierlich verspreche. EDaH Wort hat er gehalten. I Bismarcks Scheiden aus dem Amte, Jdas er zum Heile des Vaterlande-Z seit drei Jahrzehnten bekleidet hatte, er sillte Deutschland mit Schmerz und neuem Bangen. Ter Kaiser wollte sein eigener Kanzler sein; zwei Charactere ni« er und der preise Fürst konnten nlcht dauernd neben einander wirken. Viele konnten sich das Reich ohne des sin Schöpfer nicht denken. Aber es ging auch ohne Bismarck Der Friede blieb erhalten. Jn mächtiger Entwicte long schwang sich daLs neue Deutschland list-Zier und weiter empor zu der poli tisch und toirthschaftlich hohen Stel lnng, die es heute unter den Nationen der Welt einnimmt Wer tann leugnen, daß Kaiser Wil helm zu diesem nationalen Empor blühen wesentlich mitwirltejk Wohl mochte er, eine impulsive, rastlos schaf sende Natur, hier und da irren, hier und da befreinden, anstoßen und ver letzen, —— immer aber bewieg sich in seinen Worten und Thaten eine Ueber fsxlle von Vaterlandsliebe, nationalem Selbstbewußtsein und uneingeschränk ter Hingabe an dass, was er für seine Pflicht, für Recht und für dem Reiche förderlich hielt. Kaiser Wilhelm geht auf in seinem Fürstenberufr. Er ist zuerst Kaiser, dann Mensch unter Menschen. Jmmer aber ist er deutsch. Der Ehre, dem Ansehen, dem Wohle des Reiches gilt seine Rastlofigkeit. Der greife Kanzler hat seine Augen für immer geschlossen, betrauert von allen Deutschen auf dem Erdenrunde. Der Kaiser blieb nicht zurück, dem Todten Beweise seiner Dankbarkeit und Verehrung darzubringen; er trau ert mit dem deutschen Volke um den Verlust des »getreisen Eckart«. Nun ist der Letzte der großen Alten dahin, die das neue Reich schufen. Einer neuen Generation bleibt die Auf aabe, eg zu erhalten. Das deutsche Volk hat Vertrauen zu seinem Kaiser gewonnen, wenn es ihn auch heute noch manchmal nicht begreift. lfg weiß, daß Wilhelm der Zweite es ehrlich meint: dasz er mit starker Hand des Reiches Einheit schützen wird acan jeden Feind. Das teutsche Voll jubelt seinem Kaiser zu ob der von ihm in Mainz gesprochenen Worte: »Das hl. römische Reich deutscher Nation fiel. weil es nicht auf nationaler Grundlaae ausgebaut war. Sein Nieoeraana hatte seinen Grund in rem Manael von Va terlandgliebe und i1«i.eiem Zusammen bang. Das heutige deutsche Reich ent stand ais-J dem starken Gefühl nach Ei niauna und eineni gemeinsamen Haup sie-und ist gegründet aus der Liebe zum jVaterlande.« ! »Ich binsest entschlossen, mit allen Imeinen Kräften das Werk meines Großvaters und den Frieden, der uns Itheuer ist, zu erhalten. Dazu werde ich nur dann im Stande sein, wenn Iwir unser Ansehen bei unseren Nach Tbarn zu wahren wissen. Dazu ist Ein tracht nothwendig und die Mitwirkung sdes ganzen deutschen Stammes und jedes einzelnen Deutschen." suec-er das Seetemvcsen in Muß I taub s — That der Ober-Procureur des ht. Sy "nods Pobjedonoszew vor Kurzem einen interessanten Bericht veröffentlicht. Jn den Berichte-Jahren (1894 und 1895) tauchte unter den Deutschen Wclhyniens die Lehre der Adventisten des siebenten Tages auf. Diese Secte wird durch die in Basel erscheinende Zeitung »Herold der Wahrheit und Prophetischer Erkläru« weiter verbrei tet. Die Advexrtisten erwarten in na her Zeit das Ende der Welt. Jn der Orcnburg’schen Eparchie wurde 1895 eins neue Secte entdeckt, deren Anhän ger sich die Erweckten deg Geistes, Volk Gottes u. s. w. nennen, unter dem Wette aber »Leser« genannt werden. fBei ihren Gebetoersammlungen lesen und singen sie selbstverfaßte Gebete, trcbei sie stark stöhnen, weinen, auf schreien, sich an di Brust schlagen, er blossen, in Ohnmacht fallen u. .f. w. Jn der Pskow schen Eparchie ist eine sogenannte Jelenuschtin- Secte ausge taucht Die Begründerin derselben, ldas Bauernmädchen Jelena Petsow, lvercnstaltete in dem Hause ihres Ba lters Gebetversarnmlungen, in denen sie lehrte, daß man weder der Gottes-dien ste noch der Geistlichkeit bediirfe, und daß nur sie, Jelena, als die Auser wählte Gottes zer verehren sei. Die Anhänger Dieser Lehre glauben eben falls an das nahe Cnde der Welt, nach dessen Eintritt »die reine Seele der Je lena« eine Ehe. mit dem Erlöser ein gehen werde. Bei den Sectirern wur den auch Heiligenbilder dieser »reinen Seele« gesunden. Eine andere Secte, die Bespopowzi (Pc-penlofen) neigt zum Rattonalismus und Mysticis mus; in dieser Secte sollen »die politi schen und socialisiischen Tendenzen eine dominirende Stellung gewinnen«. Tie Stundisten verneinen die himmli sche und irdische Kirche, die Sacramen te nnd alle Gebrauche der rechtgläubi gen Kirche. »Die politische und social politische Seite der Lehre des Stundis mus«, so heißt es im Bericht, »iiber wiegt gegenwärtig die religiös-kirch liche.« Unter den Stundisten cursiretr Gerüchte ,,iiber eine Wegnahme des Landes von den Herren und über eine allgemeine Theilung desselben·« Jnt Poltawaschen lehren die Sectirer, »daß escks auf der Erde keine Macht gebe«, und reinen Petersburg die ,,Kirche von Pergamus« (Offenb. Joh. 2, 14). Die Stundisten benutzen jede Gelegenheit zur Propagirunq ihrer Lehre, kommen zu den Orthodoxen in’s Haus, brechen srgar zuweilen gewaltsam ein und pre digen öffentlich aus den Straßen, öf fentlichen Plätzen nnd Märkten. Biemaret und Reuter. Einer der Lieblingsdichter des deut schen Volkes-, Fritz Reuter, schrieb am H September 1860 an Bismarck unter silebersenduna seiner Werte: ! »Es treibt mich, Ew Exellenz als dem Manne, der die Träume meiner Jugend und die Hoffnungen des- gereif ten Alterg zur faßbaren und im Son nenschein glänzenden Wahrheit ver writlicht hat, ich meine die Einheit Deutschlands, meinen tiefgefiihlten Dank zu sagen. Nicht Autoreneitelleit, sondern nur der lebhaste Wunsch, fiir so viel schöne Realität, die Ew. Gmel lenz dem Vaterlande geschenkt haben, auch etwas Realeg zu bieten, veranlaßt mich, diesem Dante den Inhalt des oeifolgenden Packets beizufügen ..... Gott segne Sie fiir Jhr Thun! Sie haben sich mehr Herzen gewonnen, als Sie ahnen, zum Beispiel euch das Jhres ergebensteniFritz Reuer Bist narct vegrugte oamas oie Fri sche-n Kinder der Reuterschen Muse als »alte Freunde« und erwiederte: »Noch ist, wag die Jugend N1offte, nicht Wirklichkeit geworden; mit der Gegen wart aber versöhnt es, wenn der aus erwählte Vollsbichter in ihr die Zu kunft gesichert vorschaut, der tr Frei heit und Leben ftetg zu Opfern bereit war.« Ein anderer plattdeutscher Dich ter, Klang Groth, sang von dem größ ten niederbeutfchen Manne: »Wi heult en Mann, as Thor so stark, En Ritter acgen’t Lögenwart. Kumm nu, Du Eekbom ut de ’cark, Du Mann vun Stahl un ern! He kaam JJiit Fedder un mit Swerd, Mit selotheit un mit Motv bewehrt — Wie hebbt toull mal ut Marien hört Vun Helden, Hünen glil « De brav de Fulen und ehr Nest, Den Arffiend trav he rut int West, Und droch för uns toletz bat Best: Uns’ Trom: bat diitsche Rik.« Ein Uns-kurieren Patient: Um alles in der Welt, Hm Doktor, helfen Sie mir! Jeh heiße Meier . . . . Arzt: Bedaure schr! Daaeaen kann ich auch n: chtg machen! O-— —- --—O.- O- —- -—— Modera. Du biaust," o Himmel, ob meinem cellst Secesfionistisch saae ich: du gelbst. Erröthist du aar zur Abendfrist O gold net Himmel, wie ariin ou bistl