Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, August 12, 1898, Sonntags-Blatt., Image 13

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    1848
Ein weltgeschichtliches Dramay
Von Johannes schen-.
(Fortseßung.)
T Es be ann: »Meine Aufruse vom
12. und . März fußen auf deinGliicl,
ie ich mich damals ausdrückte, so
gute. brave Landsleute in denLandleu
ten zu beitzem Jn jenen Ausrufen, in
en Ma regeln seitdem ist allen An
rderungen die äußerst-: Rechnug ge
tragen und sonach imHinblick aus Jenes
glückliche Berbältniß der Grundsatz
an die Spitze gestellt, daß wir Hand in
Hand in die Umgestaltuna treten woll
ten. Mein ganzes Leben giebt übrigens
Bürsschastx dasz Volleswohl und
Fort Zeitt mir nicht blos leere Worte
ind. ( ie Verhältnisse haben sieh aeän
vert. Auf das fkkchste ist jedes Band
zwischen uns zerrissen-Der schändlichste
Undanl aus, ich darf es sagen, unschul
diges Haupt gehäuft« ri. s. w. Hierauf
erklärte er, abdanlen zu wollen, um »in
irgend einem fernen Ort iiber den
Wechsel menschlicher Dinge nachzuden
len«, und ließ folgende Begründung
-diese5 Entschlusses folgen: »Nicht das
Aus-erstehen Deutschlands, sondern die
Otasse von Erbärmlichteit. die in der
Flachsenfingerei eines kleinen Staates
mit dem März auftauchte, hat mich
vertrieben. Jm Anfange aänzliche Un
lund und Schwäche der Civilbehörden,
durch-die die Wühlerei erst arbszgezogen
ward und natürlich weiterfraß und
alles ansteckte. Mein im Kleinen auss
gebildetes Wehrsyftem unbenuszi. Da
ist mein Bleiben unmöglich, weil ich
nichts halb sein will und überhaupt da
Deutschland eine Einheit fein soll und
die kleinen errscher ein Unmöglichkeit
Mein Ents luß, die Regierung nieder
zulegen, wird um so eiferner, als die
bekannte infame Sturmvetition bei
Gera unser ältestes Schloß entwur
Hgtr. Dort dieselbe Trauri leit der
pehötderk die Burgerwebr. 1 . Mann
stark. liesz Mich tm Stich. Heinrich der
Zweiundsiebziaste.«
ch Nur-Ema
Sein Ulag an die getleue
Rassen. , « -
« l
«s.
I
Vom lächerlichen bis zum erhabenen
ist mitunter auch nur ein Schritt, ge
rade wie umgekehrt. Der Miniatur
Selbstherrscher von Neusz entfloh vor
einer Sturmpetition, der Folio
Selbstherrscher aller Neusien stand in
der revolutionären Brandung Euro
ra’g wie ein unerschütterlicher Leucht
thurm des Absolutismus. Am ZEI.
März erließ For Nikolaus einen Ulas
an die russisåye Nation, in welchem er
mit einem oerachtunqsvollen Seiten
blick auf die der Nebolution erleaenen
Regt-erringen von Oesterreich und Preus
kcnckseinem Machtgesiihle stolzestenAI:s
tu verlieh und seinen Entschluß
cundgab, jedem auffälligen Heriibers
areisenwollen des Revolutinngaeistes
nach dem ,,heiligen« thuszland mit Uns
erlittlichkeit entgegenzutreten und eben
so jedem etwaigen Angriss aus die
Grenzen des Reiche-Z mit volle-m Ver:
trauen aus seine treuen Unterthanen.
»Wir sind überzeugt —- schlosz er
daß unser alter Ariegsrust Für
Glaube, Zar und Vaterland! auch jetzt
uns zum Siege führen wird. Dann
rufen wir im Gesiihle der Dankbarkeit
nie jetzt im Gesiihle des Vertrauen-Z aus
Gott« einstimmig: Gott mit uns! Ver
nehmt es, ihr Heiden Cihr fremden Völ
ker), und untertverset euch, denn mit
uns ist Gott!«
Man hatte in Deutschland teine Zeit,
aus diese grollenden und drohenden
arenworte zu achten, welche der Reak
tion zuert wieder Halt und Richtung
gaben. an hatte auch keine Zett, zu
ahnen, wo der Zar in übermitthigster
WeiLe über die Geschicke Deutschkands
Wie Zrichterlich entscheiden würde.
an hatte nur Zeit und Lust, stir die
,,Konstitutionelle Monarchie auf brei
tetter demokratischer Grundlage« zu
s wärmen und zu lärmen. Dieser
Spielball site die öffentliche Meinung
war vom zur Scheinmacht gelangten
zäheralismus auslfeworsen worden und
Z konstitutione e Ballspiel, das un
ittlichste aller Spiele, wurde insbeson
ere von den osdeniotraten eisrigst
empfohlen und überschwänglich geprie
en.
Heideinokmteu.
Nach der Entwicklung die
Vermittlung
Diese »Hofdernoktaien" dürfen nn
ier» den Figuren des historischen Ge
rnaldes vom »iollen« Jahr nicht fehlen.
Es waren Schößlinge nnd Nachschöß
linge vom weilend »Jungen Deutsch
land«, hold oder ganz ums und abge
änndene Literatem welche da und dort
i Hofe unterzuducken versucht und
gewußt hatten. Schon lange vor 1848.
Jn dem großen Sturmjahre kamen
aber solche Hofdemoiraien an den deut
schen Höer förmlich in die Mode. Wie
man sich früher einen Zwerg, einen
Mohren, einen Affen oder Papagei von
felienerer Art gehalten hatte, so hielt
rsan sich jetzt einen Haidemoiraiem
Im Uebrigen hat schon Lord Byton
in der »Vision des Gerichts« das Lob
dieser Herren gesungen: —
ItSie haben Königsmördern Ruhm verlieh’n
Und später alle Könige gelobt;
Sie haben »Hoch die Nepuhlii!« gefchrie’n
Und später gegen Republtk getobt.
Nun sind fie liberal, doch stets erbdtig,
Teu Jiiael zu wechseln und « die Haut, wenn
nöthig
Der Konstitutionalismus hatte Lein
Spiel leicht zu ewinnen. Der A so
lutismus hielt ·ich ja in Deutschland
vorderhand miiuschenstill und der Re
puhlikanismus hatte ztvar etliche Pre
diger, aber teine Gemeinde Die ton
stitutionelle Monarchie war wenigstens
eine bestimmte Losung, ein Pro ramm,
etwas vorstellbares, während die Jdee
der Republik nnsafzbar in dem blauen
sPimmel des Vertrauenfchwindels um
serflatterte und für blöde Philister
augen auch unsichtbar. Außerdem ver- "
sprach der Konstitutionalismus bal
t-i«ft »Ruhe und Ordnung« urückzu
füåren und nach Ruhe und - rdnung
le zte die ungeheure Mehrzahl der Na
tion. Sehr begreiflich und sehr ver
zeihlichl Leben muß und will man und
in unferer modernen Gesellschaft ift
,,Leben« und »Geschäft« gleichbedeu
tend, das Gefchith aber ohne Ruhe und
Ordnung unden bar.
Die Wahrheit frei heraus-zusagen
auch abgesehen von den ttnliebfainen
Störungen und schweren Einbußem
nelche der Frühlingsanfaug von 1848
siir Handel und Wandel mit sich brachte
und noch in Aussicht stellte, konnte und
nufzte es richtigen deutschen Untertha
nen ungemüthlkch, unlustig und un
heimlich werden in diesem habhlonifcheu
Wirrwarr des März und April.
was nat sccy damals nicht alles laut
ge·ma t, als die vormärzlichen Vor
hange chlosser von den Lippen der Men
schen und die Knebel und Klammern
von den Pressen geffallen waren! Es
regnete Zeitungen, chneite Flugslätier
hagelte arrrtaturen. Unendliche site
dentataralte drohten die ganze Welt
unter Wasser u seyen. Der eine
sprach vom Elsa , Dänemarl, von den
russrschen Ostseeprovinzen, als hätte
man sie bereits in der Tasche. Ein »in
derer ließ ein Memorial drucken, wie
die Schweiz wieder zum »Reiche« zu
ruckzubrtngen sei. Ein dritter ,,etra
sirte'« den Zaren, ein vierter civilisirte
den Sultan, ein fünfter proieftantirte
den Papst. Ein xchster erörterte mit
ftaatsmännifcher · iefe, tvie die drei
Farben auf der Nationalflaage zu ord
nen wären und wie das lünftigetlieickxd
siegelgestochen werden mü ie. Der ie
bente erfand bochiönende amen fiir die
erogschigk der künftigen deutschen
Flotte. r achte sprach nur in Aus
drücken des engliscl n « arlament45, der
neunte radebrach die Tiraden des fran
zdsisxhen Konvent5. Der zehnte ent
warf eine Reichs-verfassung, der elfte
eine männliche und weibliche Muster
tracht; der zwölfte schrie, man müßte
var allem die Frauen emancipiren. Der
dreizehnte stiftete einen Hutnichtabzieh
unggvereim der vierzelznte tonstruirte
Dampfguillotinen. Der fünfzehnte
pflanzte sich altdeutsche Bartwälder ins
Gesicht, der sechszehnte neufranzösi ch:
Rothfedern auf den Schlapvhut. » er
siebzehnte verspürte in sich das verei
nigte Felthenntalent Cäsars und Na
poleons, der acht-zehnte weissagte den
ewigen Völkerfrieden. Und das alles
schwirrte, klirrte, schimmerte, flim
nurte, sluniertc, llunlerte, phantasirte,
n«anifestirte, protlamirte, faselirte, ran
dalirte, Polulirte, toastirte, glorisizirte.
letzenmusizirte, über-. unter und durch
einander — »aus breitester Grund
lage«!
unserer we tgeschichtlichen omödie.
Mißtönig genug, ohne Zweifel. Und
dcch ist es nur wie ein s iichternes R
strumentestimmen qewe en, vergli n
mit der höllischen Kalophonie, welche
die »Peripetie« uns vorsiihren wird.
Mit dem März von 1848 war die Ent
nickeluna des aroszen Dra!na’e zu
Ende, mit drin April hob die Vermitte
lung an.
Als am 20. März von 1848 die
Biirger von Köln die schwarzrothgol
dene Fahne aus den Dom ihrer Stadt
steckten, da mochte der alte Geselle sich
erinnern, dasz er vor Zeiten ja auch die
französische Tricolore getragen. De
corationen und Costiime wechseln, das
Spiel ist immer das gleiche: —- Sisys
plzuöarbeii. Danaidengeschäsi, Schat
tenspiel an der Wand. Wir stoßen und
quälen uns eine Weile herum aus die
ser schönen Erde, und nachdem wir das
bischen Leben einander möglichst sauer
gemacht haben, wischt uns der Tod alle
mitsammen weg, wie man Miill mea
tehrt. Milliarden haben es so vor uns
getrieben, Milliarden werden es nach
uns so treiben, bis einmal etwa ein
unversehens unseren Ball antaumeln
der Komet das kleine Erdennichts im »
großen Universalnichts verschwinden E
macht . . . . " !
Vorderhand jedoch laßt uns den !
Vorschritt unseres weltgeschichtlichen l
Dramaö mit an eben.
Die gute Sta t Köln am Rhein ist
Also das « inale der »Ex osition«
i
von jeher ein bevorzugter Raritäten
tusten gewesen. Sind darin doch nicht
nur drei heilige Könige, sondern auch
elstausend heilige Jungfrauen und
zwar auf einem Hausen zu sehen ge
wesen. Eine richtige Raritiit tonnte
man in Köln auch am 22. März 1848
erblicken, falls man sich mit den beiden
neuestgebackenen Besehligern der neu
gehackenen Bürgerwehr der Stadt, mit
den Herren Wittgenstein und Raveaux
in das ,,Commandantur ebäude« be- s
gab, allwo der Herr Gra , Divisions- ;
aeneral und Festungscommandant von
Kanitz residirte. Die beiden kamen, den
General zu er'suchc.n, daß er besähle,
die Bürgerwehr mit Gewehren aus
dem Staatszeughause zu versehen —
ein ungeheuerliches Gesuch in den Oh
ren eines Generals des absoluten Sol
! datenstaates Preußen. Die Gesuch
’ steller fanden das Haus öde und ver
lassen und hatten Mühe, Jemand auf
zufinden, welcher sie dem Festunas
commandanten meldete. Endlich trat
der Herr Graf in voller Uniform in
das Zimmer, wo die zwei Bürgermeist
offiziere seiner harrten. Gegenseitige
stumme Begriißung. Der Herr Graf
und General scheint nur für etwas Ge
sicht und Sinn zu haben: für das
schwarzrothgoldene Band, welches die
Besucher im Knopfloche tragen. Was
die Farben der Revolution, das Or
densband der Rebellion so zu agen, so
gar hier, im Quartiere des Umwan
danten einer königlich preußischen
Stadt und Festung offen zur Schau
getragen? Spiegelsechterei der Hölle!
Tie hochbeleidigten, acradezu attentä
terisch behelligten Augen des Generals
wollen vor Verwunderung und Ent
setzen schier aus ihren Höhlen springen.
Er lehnt sich mit dem Rücken an eine
Spiegelconsole und stützt sich dabei mit
den flachen Händen aus dieselbe.
Die Beiden beginnen ihren Sermon.
»Als neugewählte Befehliger der neuen
Bürgerwehr kommen wir, Sie, Herr
General, aufzufordern, uns etwa 4000
Gewehre aus dem Zeughause verabfol
gen zu lassen.«
De er arme Herr von Kanitz, stupi
sicirt, petreficirt, schnappt nach Lust.
»So? So? Ja wohl! So? So?« stößt
er endlich muhsam heraus. Der Blick,
womit er unverwandt auf die schreck
lichen dreisarbi en Banoer starrt, wird
stier, fahle Blii e überzieht sein Gesicht,
trampshast klammern sich beide Hände
an die Console; dann bricht er plötzlich
zusammen und stürzt lautlos der gan
sen Länge nach rücklings zu o,den
türzt zu Boden, wie eine an die and
gelehnte Mumie, welche unversehens
ein heftiger Windstoß getroffen hat«
Die Mumie war die deutsche Für
stenmacht, welche der Marzsturm von
1848 umgeworfen hatte Starrkrampf
gelähmt, wehrlos lag sie am Boden
Der Liberalismus ho sie aus, bestrich
ihr die Schleifen mit ,,Eau de mille ser
vilites«, brachte sie wieder in eine an
ständige Stellung,· leimte ihr die Ma
schine der constitutionellen Doktrin an
die Hinterseite und setzte diese Ma
schine mit Vertrauensdampf in Bewe
gung. Etliche Monate darauf war die
Mumie glücklich wieder zu solcher Le
benskraft gelan t, daß sie hoch herab
zum dienstbefli enen liberalen Muley
Hassan sagen konnte: »Erinnern Sie
sich gefälligst, daß es in Deutschland
noch Fürsten giebt!«
Das ist eben der große Jammer von
1848 gewesen, daß nirgends ein Held
nnd Heiland aufstandx weder in
Deutschland, noch m Frankreich, noch
in Italien, nirgends! Die liberaleDoc
trin hatte ihre demoralisirende Wir
kung gethan: der feige, blasirte, impo
tente Ungeist der Mittelniäfziaieit,
Philisterei und Biedermaierei hielt
alles in seinem Bann und wang. Nir
gends ein Nummer Eins kann, nir
gends ein souveräner Geni115, nir
aends ein überwältigender Rolosz. Ue
berall nur Mittelgut und ordinärer
Zuschnitt. Die wunderbar große Gele
genheit fand erschreckend kleine Men
schen vor. hu —
Das Vorpnrlament.
LetzterMärztraum des-tol
lenJahres.
Der deutsche Liberalisnius hatte am
5. März von 1848, wo er, durch seine
Spiken vertreten, in Heidelberg die
Zeit age verhandelte und zuvdrderst
ein ,,Vorparlament« zu berufen be
chloß, sehr merklich mit der nicht hof
ähigen Frau Revolution totettirt.
Ober so ein Kotettiren paßte even da
mals in seinen Kram und verhals auch
nebenbei zum Karrieremachm Das
le tere den liberalen Matadoren ver
ü eln zu wollen, wäre anz einfsältizp
Warum ollten sie, na em sie ich
etliche a erdings unan tändi plöylich
—---- entschlossen hatten, as «ied der
Monarchiemzzu singen, nicht auch das
Brod der onarchie essen? Die Heidel
berger Versamrnlun hatte einen Aus-·
u von Sieben be tellt, um ihre Be
1 lusse zur Aussiibrun zu bringen«
und von diesen Sieben fanden drei so
sort Gnade vor allerhöchsten Augen;
rr von Ga ern wurde noch am ö.
ärz selbst armhessischer, "err Rö
mer am 8. Württembergis r inister,
herr Welcker am 14. Badi cher Bun
destagsgesandter.
Der Siebener - Ausschuß also ließ
die Einladungen zu einein ,,Vorparla
ment«, welches u Frankfsurt a. M. zu
sammentreten ollte, au Ende März
ergeben. Sie sollten zunächst an solche
gerichtet werden, die Mitglieder einer
gesetzgebenden Versammlung waren
oder ewesen waren. Da asber gerade in
den "lden deutschen Großstaaten his
lang gesetzgebende Versammlungen
nicht bestanden hatten —- den Vereinig
ten Landtag in Preußen wird wohl
Niemand eine solche nennen wollen —
so ergab sich schon hieraus, daß die Zu
ainmensetzung des sogenannten Vor
parlaments eine ganz willkürliche sein
mußte und war. Haben doch Herr von
Gagem und seine Handlunger schließ
lich ·anze Schocks beliebi er Philister
aus armhessen und Rai au verschrie
ben, um mittels olcher Stimmen die
consiitutionellen schliisse in der Ver
sammlung durchzudritcken. Daß von
einem nationalen Mandat dieser Ver
sammlun "gar keine Rede sein konnte,
beweisen fchon die Ziffern ihrer ; u
ammenseszung: — es waren da 2 e
terreicher, aber 141 Preußen lder
ehrzabl nach Rheinländer und
,,Stadtverordnete«); 9 Hannoveraner
aber 84 Darmbessem aus dem König
reiche Sachsen und aus den sächsischen
Herzo thiimern mitsammen 47, aber
aus « aden 72, aus den vier »freien«
Städten 26, aus Würtiemberg 52,
aus Schleswig-Holstein 7, ans Kur
liessen 26, aus Bayern 44, u. s. w.
Summa: 574. Der Zusammentritt
des Vorparlaments war ganz unzwei
Lellxast ein revolutionärer Art. Die
Jersaminlung hatte «ar leine Voll
macht außer der, wel sie selber sich
gab. Man konnte als Abgeordnete-c
von Ständen, von Vereinen, von
Vollsversammlungen, mnn konnte
auch als sein eigener Abgeordneter am
Vorparlamente sich betl)eiligen. Es
war nichts als eine Volksversamm
lungim Cylinder statt in der Miitze
und im Schlapphut.
Zwei Gegensätze von iibler Vorbe
deutung klassien dabei sogleich aus:
der Gegensatz zwischen Liberaligmug
und Radicalismus und der zwischen
Süd- und Norddeutschen. Jener hätte
s:ch von geschickten Händen —- wenn
welche da gewesen wären -—— noch leich
ter iiberbrucken und übertünchen lassen
als dieser. Es stellte sich alz eine leidige
Thatsache heraus-, daß die Norddeut
Lchen in politischer Anschauung und
ildung unverhältnißmafziz weit din
ter den Süddeutschen zuructgeblieben
waren· Diese schleppten freilich noch
auf Schritt und Tritt die Eierschalen
des zerbrochenen Polizeistaaieg mit
sich herum, aber "ene das Holseisen desz
Feudalisinus. as Volls- und Frei
beitsbewußtsein in Süddeutschland
war erst ein Kind, aber iiiNorddeiitsch
land war es noch ein Embryo.
Aber die aute Stadt Frankfurt, die
es in ihrer Art recht ehrlich mit der na
tirnalen Sache meinte —— diese alte
Kaiserstadt mit ihrer intelli enten,
thätigen und gastfreien Bevöl erung,
·n der n Bitte die erste Landsgemeinde
misngH ation tagen sollte, schwamm
in J ergriin und FescjnbeL Ueberall
Freiheitsbaumq Ehren - Pforten,
chwarzgoldene Fahnen und Flaggen,
ijberall Vaterlandsworte, hoc-sin
nige Lvsungen, hoffnungsvolle Bis
gruszungen, Freudenschiisse, frei
lzeitlicher San und patrioti
scher Klang. Durch die Strasken
der Stadt wandelnd, befeuert durch die
lfreudestrahlenden Blicke schöner
i rauen- und Madchenaugen, mittrun
len in der allgemeinen Trunkenheit,
konnte man wenigstens für Au« enblicte
wähnen, alles mußte und wiir e gut
gib-en. Es war der letzte Llltärztranm I
Republik oder MduarchieTD
Eine Reichs - Verfassung
ohne Fundament.
Dieser Traum mußte schon in den
Vorversammlungen zum Voroarlip
nente zerrinnem wenigstens bei allen,
welche überhaupt den Willen und die
Kraft hatten, sich die Träume aus den
Augen und den Rausch aus oem Schä
del zu wischen. Denn die seit einem
Mcnat bis zum Ekel hergeleierte Li
tanei von der deutschen Einigkeit und
Brüderlichlcit verschwand wie Rauch
und unter schneidenden Dissonanzen
hob der Babelthurmdau des deutschen
Verfassunggwerleg an.
Die Frage, die auf allen Zungen
zitterte, spran« sofort hervor: — Re
Pudlit oder scltjtoncrrchiex2 Heutzutaqe
muß es uns wunderlich, ja urtomisch
erscheinen, daß sie überhaupt noch aus
geworfen werden konnte; Denn sie war
ja thatsächlich bereits entschieden. Der
Heidelberqer Sreoener-Ausschs.iß hatte
sie zum Voraus zur Entscheidung ge
bracht, indem er als Wegleitung für
das Borparlament ein Programm mit
nach s ranlsurt nahm, worin die
Grund inien der späteren Reiche-ver
fassung mehr oder weniger deutlich
rorgezeichnet waren. Nur vom Kaiser
thum oder gar vom preußischen Kai
serthum war darin noch leineRede. Die
künftige VerfassungDeutschlands sollte
diesem Programm zufolge den lockeren
deutschen Staatenbund in einen festge
gliederten Bundesstaat umwandelu,
an dessen Spitze ein , «Bund«eg«o-ber
haupt« mit verantwortlichen Wiinistern
gestellt würde. Die Nation sollte ihre
constitutionellen Rechte ausüben mit
telg- eines Parlainentg in zwei Kain
tnirn (Senat der Einzelstaaten nnd
Voltshausz letzteres durch Urwahlen
zu bestellen, so das-, je auf 7(),0()U See
len 1 Abgeordneter iän1e). Die einzel
nen Staaten sollten durch die Verzicht
leistung auf die meisten ihrer Sonnen-i-v
nitätsrechte die Bundesmaht und
Reichs ewalt erhöhen Und kräftigen, so
zwar, aß Deutschland fortan nur ein
erwesen, nur eine Vertretung gegen
über dein Auslande, ein nationales
System des Hande15, des Verkehrs
und Zolltvesens, der Wasserstraßen.E-L
senbahnen Und Posten, ferner die Ein
heit von Maß, Gewicht nnd Münze he
sä e. Ebenso müßte die gesainmte Ci
vi - und Strafgesecgebnng, sammt
dem Gericht-verfahren oereinbeitlicht
und ein höchster Nationalgerichtshos
(«Bundesgcricht«) geschaffen werden.
»Die Freibeitsrechte« der Nation
müßten mit festen Bürgschasten ver
sehen werden —- (aus welcher Redens
W
I
s art dann die unendliche Schraube der
s Grundrechtedebatte l)ervorwuchs).
sSchließlich zeichnete das Programm
« dein Vorparlamente dessen Bestim
s mung und Aufgabe vor· Diese follte
sein, auf Grundlage der angegebenen
Bestimmungen die Einberufung einer(
constituirenden Nationalversauunlung
zu beschließen.
Man wird zugeben müssen, daß der
Grund-, Um- und Aufriß des habh
lrnischen Thurmes, d. h. das Pro
gramm der Sieben, gar nicht übel sich
ansah. Leider hatte das Ding die be
denklichste Aehnlichkeit mit dem be
rühmten Pferde von Ariosto’s verrück
t( m Roland, welches Pferd bekanntlich
alle vortrefflichen Eigenschaften besaß,
nur war es todt. Das Fundament von
dem liberalen Reichsverfafsungsthurm
srllte und mußte ja der gute Wille, der
erleuchtete Freisinn, die patriotischc
Oxfersreudigteit ter deutschen Fürsten
sein. Auf was das in Wirklichkeit
baler hieß, darüber konnten sich nur
die »besten und edelsten« Männer deut
scher Nation verblenden und täuschen.
Soweit konnte man nur kommen,
wenn man vor lauter Klugheit ganz
dumm geworden war. Aber die Herren
wollten ihren Willen haben.
Strude, Hecken Blum.
Die drei Führer der Demo
lratir.
Den armen Schluckern von Diplo
maten muß, als sie die Frage: Mo
narchie oderRepublil? in sehr undiplo
matischen Tischreden, d. h. von den Ti
schen herab erörtern hörten, ungefähr
zu Muthe gewesen sein, als wandelten
sie durch ein Märchen von CallotsHofF
mann. Jn der Vorderreihe der Reim
blicaner redeten Gustav von Struve
und riedrich Hecken welche beide in
den — ppositionskämpsen ihres Hei
mcthlandes Baden sich die Sporen
verdient hatten; jener mehr als Publi
zist, dieser als Klub- und Kammer-«
redner. Daß Struve und Heller Män
iser von Aufrichtigkeit und Ueberzeu
gurgstreue waren, haben selbst ihre
giftigsten Feinde, d. h. ihre früheren
badischen Mitrepublieaner und späte
ren monarchischen Gegner nicht zu be
streiten «ewagt. Beide waren aber auch
was S iller’s Philipp von Spanien
,,sonderbare Schwärmer« zu nennen
pflegte, obzwar sie auf verschiedenen
Wegen zu ihrer Schwärmerei gelangt
waren: Struve aus dem Wege logischer
Alsiractiom ecker auf dem Ste e
phantastischer ntuitiosi. Wunder l
cher Weise überphantasirte der trockene
Abstractor Struve, welcher von Pflan
zentost lebte wie ein indischer ngi,
dann doch wieder den Heißsposrn
Hecken in welchem langen Menschen,
physisch und moralisch angesehen, das
Ideal eines flotten Burschen, der Ty
pus eines Corpssenior vertörpert war.
Seine Begeisterung für die Republit
gab sich als eine glühende und sie war
es; aber —— Und das vollendet das
Bild des Romantikers — durch die
rothen Phrasen seiner Rede schlängelte
sich häufig und plötzlich die blaue
Stepsis.
Struve, welcher in dem Glauben
n sein Ideal ganz aufging, bis zum
Fanatismus ausging und bis in seine
Fingerspitzen hinaus davon überzeugt
war, daß das Borparlament die deut
sche Republit nicht allein decretiren
müßte, sondern auch mit vollem
tsrfolge decretiren lüiinte, ist viel
weniger auf der Erde und unter den
Menschen heimisch gewesen als Hecken
der aus eineni Lsürger voii LBolken
luluksheim ohne allzu große Bemü
hung initnnter wieder ein calculirens
der Mannheimer Advoeat wurde, wel
cher nicht anstand, zu sagen, daß es
ein eüel und vergeblkh TBagen, den
deutscan Philister zum Revnblicaner
machen zu wollen. Er hat sich auch
nnr so zwischenhinein der Illusion hin
gegeben, daß vom Vorparlanient ein
Wahrspruch zu Gunsten der Republit
zu erwarten sei, oder der Hoffnung,
daß jetzt, zu Ende März, in Deutsch
land sih das upubllcanssckx Prüuip
überhaupt noch etwas Belangreiches zu
thun sei, Aber er hielt es für seine
Pflicht, unter diesen und unter allen
Umständen für sein Ideal einzutreten,
und dieses Pflichtgefühl hat ihn dann
zu jener verspäteten republieanischen
Schilderhebung getrieben, deren Er
solglosigteit er selber vielleicht so deut
lich voraussah, wie irgendeinen
Unmdtjcc Viel besser als Heckek Und
Struve eignete sich zu einem Führer
und Leiter der Demokratie auf parla
mentarischem Boden Robert Blum
ans Leipzig, der häßlichste Mann sei
net Zeit und zweifelsohne einer der
besien —— natürlich nicht im Sinn der
Best- und Biedermeier. Diese haßten
in Blum den gebotenen Tribun, haß
ten ihn um so mehr, als sie wußten,
daß er alle die liberalen Kniffe und
Piifse aus dem Grunde kannte, nnd
die »Besten und Edelsten« haben dann «
auch bei seiner Ermordung ihre Befrie
digung, ja ihr Entzücken nur schlecht
oder gar nicht verhelt. Blum verband
mit dem Aussehen und Gebahren des
Proletariats die Anschauungen und
Ueberzeugungen der demokratisch ges E
stimmten Fraction des deutschen Bitt
gerthums. Weber EllPas Durchschnitts
maß, welches die enschen von 1848 s
tennzeichnete, ragte auch Blum nicht
empor; aber wenn man die herbeni
Hindernisse bedenkt, welche sich diesem i
Proletariertind aus seiner Lebens- nnd (
Bildungsbahn entgegengestellt hatten,
so wird man namentlich den feinsiihli- (
gen und feinhörigen Takt bewundern (
müssen, womit er ich in dem Getriebe
der Politik zurecht and. Seine Red
nergabe war sehr bedeutend; nicht anz
phrasenlos, aber doch immer so, da sie
ein gebildete-P Ohr ansprach, den er
sahrenen Verstand beschäftigte und su
gleich das Vollsherz sympathisch be
rührte.« Republiraner aus Jieigung
und Ueberzeugung, glaubte er den.
Constitutionellen von vornherein das
Zugeständniß machen zu müssen, daß
die Revublik, wenn überhaupt errci
bar, nur aus constitutionelbmonar -
schen Umwegen zu erreichen sei. Für
seinen Werth als Mensch und Bürger-,
sur seine Treue und Hingebun zeugt
unwideisvrechlich sein Grab n der
Brigittenau. Selbst Fürst « Windisely
grätz, welcher doch gar nicht nahe dabei
gestanden, als das Pulver erfunden
worden, begriff, daß er in der Person
Blums einen Hauptmann umbriugen
zu lassen Gelegenheit hätte.
Wie die drei genannten radicalen
Führer redliche Männer waren. so
könnte nur die Parteiverbohrrheit be
streiten wollen, das; auch die Führer
der Liberalen der Mehrzahl nach red
lich und uneigennützig gesinnt gewesen
seien. Der Mehrzahl nach! Denn es
aab solche darunter, welche ihre
Staatsmännischkcit doch sehr privat
geichäftmacherisch betrieben und es
sehr gut verstanden, die arme Patria.
zu einer volleuterigen Privatmilchkuh
zu machen. Auf den Platz ch ersten
Führers der Constitutionellen haben
beim Zusammentreten des Vorparla
ments die Umstände den Herrn Hein
rich von Gagern gestellt, Sohn jenes
Herrn Hans von Gage-rn, welcher als
,,deutscher Patriot« berühmt gewor
rsen, weil er beim Wiener Congresse
seinem damaligen Dienstherrn, dem
Könige von Holland, möglichst viel
deutsches Land zuzuschaufeln eisrigst
beflissen-gewesen war. Herr Heinrich
von Gagern tonnte nach Begabung,
Bildung, Stimmung und Haltung
alg der vollendete Ausdruck des va
tentirten Liberalismus gelten, welchen
er aber vornehm zu repräsentiren ver
siand Die ganze Kunst, Men then
zu beherrschen, besteht darin, den - ow
mandostab mit einer Zuversichtlichkeit
zur Hand zu nehmen, als sei die Be
rechtigung dazu selbstverständlich
Diese Kunst Verstand Herr von Gagern
aus dem Fundamentr.
Im »milden« Parlament
KalteSWasserfürrepubli
eanische Hitzlöpfe.
Jm Kaisersaale des ,,Römer« wurde
am 81. März das »milde« Parlament
unter dem Alteröpräsidium des Bre
rner Bür .rmeisters S m«idt,» rü· moc
gens erös net. Die deu sche Lon Listenu «
offenbarte sich auch richi sofor , als
es galt, das Bureau der erfammlung
zu stellen. Herr Schmidt chlug den
Herrn von Gagern zum Vorsitzer vor.
Murren links-: »Wollen keine Mini
ster!« Bemerkung rechts-: »Die Siebe
ner sind übereingetommen, daß keiner
von ihnen den Vorsitz übernehmen
dürfe«. Höchst unerquickliches Wahlge
schäst überhaupt, die Abstimmungsver
suche mittels rechts- und linkstretenö
in dem nicht sehr geräumigen Saale
ganz wirrsälig, endlich mit Ach und
Krach Herr Mittermaier zum Präsi
denten und die Herren Jtzstein, Blum,
Dahliuann und Jordan zu Vicepräfi
denten gewählt. Mittermaier war ein
irrtrefflicher Vrrfessor, welcher, wenn
er dornige oder tibelduftende Parteien
des Criminalrechts zu erörtern hatte,
eine frische Rose mit aufs Katheder
zu bringen und damit, während er
miirderische Bestimmungen der Karo
lina citirte, anmuthige Schwenkungen
auszuführen pflegte. Auch ein guter
Mensch und Patriot war er, aber ein
schlechter Präsident Als solcher würde
er, womöglich, seine Sache noch schlech
ter gemacht haben, hätte ihm nicht der
einzige seiner Beiständer, welcher so ein
Geschäft verstand, zeitweilig helfend
unter die rathlosen Arme gegriffen,
Robert Blum.
Gegen 10 Uhr zog das ,,Stegreif
parlament«, wie man es ebenfalls pai
send genannt hat, vomRömer durch die
Reihen der Frankfurter Biirgerwehr
unter Glockengeliiute und Geschsi.itzdon
ner, unter Halloh und Hurrah zu sei
nem eigentlichen Sitzungsort, in die
säulenumsäumte, hochbeluvpelte,
schwarzrothgolden qeschmückte Rotunde
der Paulskirche, allwo Herr Mitter
maier, ein feiner Kathedermann mit
Silberhaar und Silberbart, seinen
Borsitzersprueh that. Darin war viel
vom ,,Riesen Volksgeist«, mehr von den
»Millionen unserer deutschen Brüder«,
an! meisten von der ,,Freiheit« und von
den »Volkswünschen« die Rede, aber
von den Fürsten gar nicht. Das miß
siel sichtbarlich der Mehrheit der Ver
sammlung und verstimmte sie gegen
den Präsidenten, was für diesen sein
schwieriges Amt noch bedeutend seh-wies
riger machte. Tie liberalen Leiter der
Mehrheit hatten unter sich abgelartet,
dasz vor allem die brennende Frage:
Monarchie oder Republit aeliischt wer-—
den miifzte Die Aewesenheit der Hals
eisentnänner aus dem Norden und der
rheinländischen Lebeinänner aus dem
Westen, sammt der massenhaften Ein
fuhr darmhessischer Anastphilister, ver
bürgte ihnen die Durchsesung ihrer
monarchiscle An- und- Ab icht.
Die radicale Minderheit in der Ber
sammlunq führte alsbald die Gelegen
heit hierzu herbei. xStruve betritt die
Rednerbühne und entwickelt das in 15
Punkte gefaßte Manifest der Demo
kratie, welches an Bestimmtheit und
Deutlichkeit so ganz und qar nichts
vermissen läßt, daß jedes Mitglied der
Mehrheit, zumal jedes norddeutsche,
mit dem frommen Helden Virgils im
2. Gesange von sich sagen kann
»Scl;reckcn befällt mich, aufbämnt sich das
Haar und die Stimme versagt mier
Entsetzung Iolsy