Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, July 08, 1898, Sonntags-Blatt., Image 13

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    Ein weltgeschichtliches « Drama
Von Johannes scheu-.
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Wen-w
Worte, keine Thurm
»Das Schicksal Deutsch
land’sliegtnicht in
meiner hand«
Am 14. März, Nachmittags 2 Uhr,
sempfing der König die Abordnung des
Magistrath und der Stadtverordne
ten. Der Herr Oberbürgermeister las
nach erbetenet und gewährter Erlaub
niß die am 11. beschlossenc Adresse
ver. Der König war sehr gnädig und
gab ausfährlich eine mündliche Ant
wori, »im Comesfationston«, wie er
bemerkte. Er zollte der bisherigen
Haltung der Bewohner Berlins, auf
deren Benehmen er Werth lege", An
erkennung, erklärte, dasz die Haupt
bitte der Adresse schon gewährt, d. h.
daß die Einberufung des Vereinigten
Landtags seit mehreren Tagen be
fchtrssen sei, und sagte dann noch un
ter anderem, seine Lofnngsei1 »Freie
Völler, freie Fürsten!« um welche mo
derne Ausassung her jedoch sofort die
renantifchr Arabesle gezogen wurde:
»Die gut: alte deutsche Ordnung darf
nicht unbeachtet bleiben. Auch die
Gliederung der Stände ist deutsch; wer
dagegen anstrebt, setzt sich Gefahren
aus«-« Die in der Adresse zur Sprache
aebrachten deutsch-nationalen Wünsche
iiberging Friedrich Wilhelm in seiner
Antwort ebenfalls nicht. Das Schick
sal Deutschlands-IT äußerte er, »liegt
nicht in meiner Hand. Alles aber,
wag mein« Kraft vermag, roill ich red
lich und ernstlich anwenden, damit
auch diese Zeit der Krisis zu dessen
Einigkeit, Kraft und Große aus
schlage. Sie liegt mir so sehr am
Herzen al; die Preußens.«
Aus diesen rückhaligvollen Worten
lzort sich he Rücksicht auf Lesterreich
leicht heraus-: man konnte ja in Berlin
noch nicht nissen, wag gerade in diesen
Stunden :r. Wien geschah. Daß der
tönigliche Redner in seinem Sinnne siir
Deutschland fühlte, untersteht keinem
Atreifeäx mae dagegen seine ,,Krast«,
iiir Teutschaud zu handeln, angeht,
so beruhte dieselbe aus romantischer
ESlbsttEiuschung . . .
Arn Akt-nd des Tages fuhr der Kö
nig nach Potedani und man hatte un
lanae daran die naheliegende Vermu
tlzung aus-gesprochen diese Ortgveräns
dxrung sei eine Machenschast der star
ten Mikitärpartei gewesen, welche den
treichmiithigen, siir augenblickliche
Clndriiete empfänglichen Fürsten hätte
von Berlin weghahen wollen« um bei
ihrem beabsichtigten rücksichtsiosen
Vtrgehen und Lossahren gegen et
traige Aussiandsgeliiste in teiner Weise
durch seine Anwesenheit behindert zu
sein; allein ein authentischer Beweis
fiir dieie Vermuthung ist bislang
yicht beigedracht worden.
Noch an demselben Abend erschien
in der Allgemeinen preußischen Zeitung
das tönigliehe Patent, welches den
Vereinigten Landtag aus den 27.
April emberies. Der Minister von
Bodelschwingh hat später s1849) die
Eisentliche Erklärung ausgehen lassen,
mit der Berusun des Vereinkgten
Landtags mittels satents vom 14.
März sei die bestimmte Absicht tier
liunden gewesen, dem preußischen
Staat sine Verfassung zu geben, und
versetzt man sich in oen Anschauungw
nnd Tioritellungskreis Friedrich Wil
Mrng des Vierten und seiner Rätle
sc wird man gerechter Weise anerken
rsen müssen, Oasz die erwähnten Absich
t-«n rücksichtlich Preußens und
Trutschlandtd so gute gewesen sind
a·5 sie innerhalb dieses- Kreises nur
immer erwartet werben konnten. Aber
ebenso aeivisz ist« baß sie zu spät la
n««1«-, viel Zu spät, urW zwar uni so
-iset,e, alg das Vertrauen der statui
sdfen Bevöikciungen zu dem Monat
snen und seinen Flikithen in Preußen
teilst vcni iibrigcrs Deutschland
mr nicht en reden -- höchlich ge
schwächt, ja sogar gänzlich dahin war.
Tas Verhängnis-, schwebte
vor.
Ja wie raschem Vonschreiten pag Ver
ltingnisz schon begriffen war, erbellt ba
raus, baß bie gnädige Antwort, welche
fie Abovdnung arn 14. März aus dem
Schlosse zurückbrachte, gar keinen Ein
druck mehr machte, was sie am Tage
zur-r sicherlich noch gethan haben würde.
Die Leibenschasten waren jetzt schon so
e.sksesselt, baß ihnen nur vie äußerste
Energie Zaum und Zügel hätte anlegen
können. Und diese Energie, wo war sie?
Gewiß nicht bei Friedrich Wiihelni dem
Vierun.
Die Rottirungen des Volkes waren an
birseni Tage viel massenhaster als am
vorigen und bie Auslassungen der Mas
sen viel rebellischer. Demnach mehrten
sich auch die Zusammenstösze mit den
Inn-pur und weben diese Zusammen
risse mehr und mekr zu blutigen. Zvar
l
hatte der Gouverneur von Berlin, der
brave General von Pfuel, den Befehl
gegeben, daß die bewaffnete Macht mit
;möglichster Milde uwd Schonung ver
Jfahkcn sollte; allein dies geschah nicht
I
ster Strenge einzugreifen. Man darf
und es scheint, daß von anderwärts-her
anderslautende Befehle ergangen seien.
Denn manche Offiziere oerhehlten gar
nicht« daß st angewiesen seien, mit äußer
aber hierbei nicht vergessen, zu erwäh
nen, daß das Militär vielerotten heftig
gereizt und beschimpft wurde. Die
Menge schrie den Solidaten zu: »Bauern
jurgen, geht heim und frefzt Kommiss
brod !« und was dergleichen Artigleiten
mehr waren. Vereinzelte Ofsiziere wur
den da und dort mit Stockschlägen und
Steirwiirfen bedroht. Das steigerte
natürlich die Erboßung der Truppen,
welche der anstrengende Dienst und die
damit verbundenen Entbehrungen ohne
hin schon erbittert hatten, bis zur Bru
tcrlität. Denn mit solcher verfuhren sie
nach Einbeuch der Dunkelheit auf dem
Schlcffplatzr. sowie in der Breiten
Straße und in der Brüder : Straße.
Ins-besondere wütheten in der letzteren
Gardeliircrssiersäsbel gegen die eingeteilte l
weht-— und wassenlose Menge, was mit
anzusehen so empörend war, daß ehr
same und stiedliebende Bürger sich angr
;eisert fühlten, aus den Fenstern ihrer
-Häuser den Soldaten Drohungen und
Berwiinschungen zuzuschleudern und am
. folgenden Morgen unter Vorantriit
j eines Justizratlxs bei dem Minister Bo
; delschwingb eine Klage anzubringen, wo
; rat-s die Antwort ertheilt wurde, Das ,,zu
s bettagenide Ereigniß« sollte sofort durch
seine gemischte Commission untersucht
sur-d Die Schuldigen sollten zur Strafe
l gezogen werden.
Jrn Schlosse zu Potsdam erfuhr man
die Vorgänge vom Ubert-) rtz l4. März
am folgenden Tage, gerade als man zur
Mittagstasel geben wollte. Der König
machte fein-In Versuch seine Betroffen
.heit zu verbergen irr-) sapte zu seinen
lGassen: »Cssen Sie, meine Herren;
J kehren Sie sich nicht ar-. mich; mir geht
. die Geschichte bis an den Hals«. Viel-— s
Ileibt bat Friedrich Wilhle dem Vier- s
ten zu dieser Stunde der irrrnenoe und
zisrnende Zurus des Dicki:rs im Ohre
gellungen :
Noch lebt die Sphinx der Resolution!
Und Du, Du bist tein Lcdipus ge
wesen !«
Wie zur mitgeschichtlkchen Bestäti
gung des propbetischen Dichtertoortes,i
tam nun auch noch der Ccurier ange- j
sprengt, welcher Iie Wierer Rwolutions- s
botschast brachte. Das war ein um so (
wuchtigerer Schlag, als der preußische
Monarch aus Idie ,,Weisbeit« Meine
nich’s ein unbeschränktes Vertraren ge
setzt hatte. Der Herr Haus-, Hos- und
Staatstangier hatte durch seine Frau
noch wenige Tage zuvor nach Berlin
schreiben lassen, daß ,,er sich von den
Creignissen durchaus nicht imponiren
ließe«. Und jetzt war das Unerwartete
geschehen: Der Unerschiitterliche hatte
sich von den Ereignissen aus der hof
burg, aus Wien, aus Oesterreich hinaus
irnponiren lassen. Welche Schickungl
Frieldrich Wilhelm erblickte plötzlich die
,,Sphinr« und sagte, wie schon gemeldet
worden: »Nun werd’ ich nach Berlin
müssen, damit sie mir nicht dort auch
tolle Streiche machen«.
l
Die ersten Scheine
Ein btutaler tlngtiff obr
Veranltssung.
Ukk sie machten sie »Sch!
Te Kunde von t: m i. WLJI Ge
set-elem-l lief aerucktra schon am
15.·März auch in Bel .n um un:?
wunx ul einsan tiveteun Fettnent Ver?
BUT-jung Tie Zeichen meuterifchzr
Sinn-lang unI redelliscbcr Einflüsse
nzlukn unter soe1.«J)l-.1ss:.x zu. An
tTesnu Tag-: wurden vor- :-:n Truppen
Die ersten Schüsse abgeseuext um von
der- Meuierctn die elfm. zrnftlichen
Barkitadenhauvetsuchc neu-acht Der
Gouverneur Pfuel tlyu IJS Menschen
lmöqlichste, um die Kluft zwischen
lVotk und Militör nicht tlaffendet
lwekden zu lassen, wag, vom Stand
puncte des absoluten Militarismus
aus angesehen, allerdings ei.«.e Libel an
geblachte Mäßigun war. Als daher
ock General an diesem Tage das Fuß
volt, welches die Vefatzung des
Schlosses bildete, innerhalb der Höfe
und der Portale hielt, Dzn Gebrauch
txt Schußwaffen untersagt, auch dann
untersagte, als die aus dem Schloß
rlatze verfammclte Mean Steinwütfe
»gean die Truppen riet-um und sich
sbeqnüqte, den Platz durch von ver
’Steck-bahn her votsptengmcc Reiterei
isubern zu lassen, soll txt Ptinz von
Preußen heftig an ih« letangetreten
sein, ihn befchulngn2 DE Truppen
zu demoralsiten und j I Ben ymen
als »indigne« bezeichnend Das habe
Pfuel sehr entschieden zurückgewiesen,
rrtlärend, er nehme die Verantwor
tung seiner Maß-nahmen auf sich und
werde sich bei Sr. Majestät beschwe
r:i.. Dies sei dann geschehen, aber
der König Ihabe eine Aussöhnung zwi
schen dem Prinzen und idem General
zu Wege gebracht Wenn diese Aus
söhnung stattfand, so hielt sie jeden
falls nicht lange vor. Pfuel war nicht
der Mann, wie ihn der Absolutismug
urttcr den obwaltensden Umständen
brauchte.
Nack- Berlin zurückgekehrt, ließ der
König am Abend des 16. März die
Mitglieder des Staatsrsathes eilig zu
einer Sitzung in’s Schloß entbieten.
Die Wiener Ereignisse hatten ja die
ginge Sachlage so bedeutend verrückt,
Laß es eine Nothwendigleit geworden,
bezügliche Entschlüsse und Beschlüsse
zu fassen. Zur gleichen Abendstunde,
als im Schlosse der Staatsrath saß,
Verbandelten in»-der Aula der Univer
sität die Studenten über die Frage,
ob sie sich der Regierung zur Verfli
guig stellen sollten, um zur Wiederher
stellung der Ruhe und Ordnung mit
zuwirken Ganz in der Weise, wie
dies eine am vorigen Tag improvisirte
urivotvaffnete Burgerwehr that, die
sogenannten »Schutzmänner«, um ih
rer weißen Friedensstäbe und ihres
feierlich - schwermiithigen Gebahrens
willen vom Vollswih »Leichenbitter:«
genannt und als solch-: verhöhnt. Dr
mit die Studenten bei ihrer beabsich
tigten Thätigleit als Ruhe- und Ord
nungsstifter nicht dieselbe Behandlung
zu gewärtigen hätten, wollten sie sich
vrn der Regierung Waffen erbitten.
Mitten in die Debatte über die Rath
licl,teit dieses Ansinnens hinein trachte
nun aber von draußen her eine stör
same Gewehrsalve.
Schon zur Mittagszeit hatten sich auf
dem Platze zwischen der Universität nn
dem Opernhause starke Ansammlunan
gebildet, zumeist aus neugierigen Gif
fern bestehend Als nun die ,,Leichenbit
ter« mit ihrem briihwarmen Amtseifer
sich unangenehm machten, gegen die un
erlaubten Zusammenstriimungen eiferten
und mit ihren läppischen Stecken hantir
ten, verübte Ier Berliner Bummelwitz
allerhand Muthwillen gegen diese Ruhe
und Ordnungs-Pinamont Plötzlich
schwenlt ein Zug Jnfanterie, vom Pa
laiH des Prinzen von Preußen herkom
mend, aus ten Platz ein« marschirt auf
und seuert eine Salve in die Menge
hinein. Ein geraden Weges aus seinem
Comptoir tommenaer Buchhalter lFrans
te) wird dadurch getödtet, ein Arbeiter
tHartmanm tödtlich verwundet. Der
Jnfanterietrupp sei vom ,,Pöbel einge
wirtelt« worden und habe sich nur mittels
Anwendung der Schußwaffen frei machet
können, wurde später behauptet
Ein Augenzeuge hat auggesagt: »Die
Scene der Verwirrung, welche aus die
Salve folgte, ist schwer zu beschreiben·
Mit furchtbarem Angstgeschrei stürzten
sich :ie am Opernhause und am Zeug
hause befindlichen Massen an verschloß
freiheit hinunter nach der Schleusen
brürtr. Die Verwirrung wurde noch ver
mehrt Iurch eine von der Jägerstrafee
her anrückende Cavalleriesssatrouille
Jn wenigen Minuten war das big dahin
friedliche Aussehen der umliegenden
Straßen und Plätze trie verwandelt;
iiberall verwirrendes Geschrei, durchei
nander laufende Menschen, Gruppen an
den Straßenecten Einen Augenblick
schien es. als wäre das Aergfte zu be:
fürchten."
Wohlbezeugt ist übrigens, daß der
Lffizier, welcher die in Rede stehende
Soldatenschaar befehligte, nachdem diese
bei der Blücherstatue Schwentung ge
macht und ihre Front gegen die Schloß
brüde gerichtet hatte, dreimal das war
nende Trommelfignal geben ließ, bevor
er Feuer commandirte ; aber nicht min
der ist wohlbezeugt, daß die Menge fo
fort sich anschickte, der Warnung Folge
zu leisten. daß sie jedoch hierzu teine Zeit
hatte, weil die drei Signale mit iiufker
ftcr Geschrriridigteit folgten und zugleich
mit dem letzten Trommelschlag die Salve
lagtrachte
Ruhe vor dem Sturm.
Der Schrecken welchen diese Salve
erregt hatte, that fiir den Rest Des Ta
ges vollstäncige Wirkung. Alles blieb
ruhig. Die Studenten waren inzwischen
mit ihrer Debatte glücklich zu Ende ge
tonnner.. und entfandten eine tlbordnnng
nach rem Schlosse, durch welche sie im
bezeichneten Sinne ihre guten Dienste
anbieten ließen. Der Herr Fomxnzn
dar-t, General don Dittfurth, empfing
die jungen Leute und behandelte ihr Un
erbiet.n mit «er-sichtlicher Gering
fetätzung«. Jhn ärgerte die schner
roth-grldene Lotarde, welche einer Ie
Abgeordneten am Hute trug, und ec
wähnte ohne Zweifel, heimliche Spiefzge-·
fellen der Rebellion vor sich zu habet-.
»Was ist denn das für ein Dingsda von
Kotarde ?«
,,Exeellenz, das ist ja die deutfche
Kokarde, welche die Bundesversammlnng
feierlich adoptirt hat«
»Die Bundesvetfammlung ? Was für
eine BundesversammlungW
Tie Verhandlung endigte mit einer
hochmüthigen Abweifung des studenti
schen Anerbietens. Man machte sogar
Miene, die Abgeordneten in Haft zu
nehmen, was jedoch durch die Tazwi
fchenlunfc des General-s Pfuel verhin
dert wurde.
Mit dem 16. März war das Prata
dium der Berliner Nevolution zu
Ende und man hätte glauben tönnen,»
mit diesem Vorspiete sei das Stück
selber schon aus-. Denn am folgenden
Tage herrschte scheinbar eine vollstän
dige Ruhe m sämmtlichen Quartieren
der Stadt. Man hat sie mit einer
banalen Phrase die bekannte »Rnl,e
vor dem Sturme« genannt und zwar
mit Fug. Die Gährung hatte sich non
den Straßen und Plätzen in die Häu
ser, isn die Gemüt-her zurückgezogen.
Da tochte unr- brodelte sie. Das Aus
treten des Militärs in den letzten Ta
gen hatte die Bürgerschaft höchlichft ge
reizt und scharf entrüstet, so daß selbst
der runigfre Weißbierphilifter den
Racheschrei des vergossenen Blutes zu
hören glaubte. Die stachelnden Ze
richte aus Wien liefen von Mund zu
Mund. Ebenso die spornende Kunde
von einer aus Köln in Berlin ange
langten Alb-ordnung welche beauftragt
fei, dem Könige bestimmte Forderun
gen vorzulegen und sogar mit dem Ab
fall der leeinlande zu droben. Tag
Erscheinen dieser Kölner Teputation
mag zuerst den Gedanken einer Mas
sezrdeinrnstraticn geweckt haben, wel
cher am 17. März in der Stadt um«
ging und rasche Zustimmung fand. Die
Bürger von Berlin sollten in Masse
ver das Schloß ziehen, um dem Mo
narchen die ,,Forderungen des Voller-«
unmittelbar vorzutragen.
Aus den Kreisen der dunkelrotifen
Reaktion ist vachmals die Mittheiiung
gelrmmen, daß Friedrich Wilhelm,
kaum erst aus Potsdam zurückgekehrt
schon am 16. März Berlin wieder
habe verlassen wollen, »in der klaren
Einsicht,:aß durch diese Entfernung
die unrutzrge Bewegung in gewissem
Sinne inr Objekt, wenigstens ihre
seitherigen Richtungspuntte verliere.«
Wie der König später über die
,,Vorbereitungen« zur Revolution
dackte, geht aus einem Briese hervor,
welchen er im Mai 1848 an Bunsen
schrieb :
Zu Berlin war seit mehr denn 14
Tagen Alles systematisch zur insam
sten Revoite, die jemals eine Stadt
entcbrt l;at, vorbereitet. Es warm
Steine zum· Steinigen meiner treuen
« Soldaten in allen Häusern vorn eigent
i lichen Berlin, von Köln, von der Neu
s und Friedrichs-statt u. i. w. gesammrit
HMrm bat dieselben lange anfahren
»sel,en, wir auch Rasenstücke, um ais
" Brustwetr gegen das Feuer der Trup
pen zu dienen, und hatte sich dieses f.:n
derbare Bedürfniß nach Steinen und
Rasen gar nicht erklären können. Fer
ner rraren in den Hauptstraßen alle
Boden in Verbindung gesetzl, um von
; den Dachsenstern aus die Vor- und
Rückretregungen der Trupven mit
Schüssen nnd Steinwiirsen verfolgen
zu können. Es waren nachgewiesen
iiber 1l),txl;«sj Mann, nicht nachgewiesen
wohl dag Doppelte des allergräßlichfien
Gesindelg seit Wochen in die Stadt ge
strörnt und verborgen worden, so
daf; die Polizei mit ihren schwachen
Mitteln sie nicht auffinden konnte, rar
nnter der Ubschaurn von Franzosen
(galerien—3), Polen und Süddeutschen,
kam-erstlich ')Jsanni)ein1ern, aber auch
sehr trupmte Leute« angebliche milane
ser Grafen, staufherrn u. s. w.«
In diesem der Phantasie keck- Königs
alle Ehre n«.::tenden Schaudergemiilde
der rriie Räuberroman erschei
nen die »M.1nnl«,eimer« als ganz be
» send-are Zierrz
i
i Am 18. März 1848.
Zuerst«siel)t’5 friedlich und
freundlich in Berlin aug.
Fest steht, daß die Berliner, obztvar
zur Entrijstung scharf hinaufge
stimmt, Im 17· März nur erst zu dem
Lsntschlusse sich erschtvungen hatten,
die Wirtsanleit friedlicher Demna
stratiorzen treiter zu versuchen. Bag
zliihnste trczu man in den Versamm
lungen sich verstieg, war die Ansicht,
man müsse dcn König bitten, sein Mi
th.-."-riun-, von rvelchem tein aufrichti
oer Vorsck,r":tt zu erwarten sei, zu ent
lassen.
Im Kölnischen Jiathhause siszei
auch der Magistmt und die Stadtver
cldnctcn in LJrattung und kamen am
Its-. März zu dem Schlusse, eine Dedu
t..tion in’g Schloß zu entsenden, um
rein Mordtcken von Seiten Berline
Uiinsckje beizutragen welche mit dem
tiroaranuuvcin Kemperhos und den
Korknuran übereinstimmen die
Heute du:.t« cke 1stlbiordrtung der Stadt
sit-ki. vor hu Thron gebracht werden
sollten. sz -t.1dtverordneten tvähl
ten sofort ekxxiz eputation (Be·r)reud:,
:iiaume1, Eckcel, set-äffen Veil) und
vgaben ::rselber. aus, ausdrücklich zu
seid-ern Lttlissung des Ministe
riumE, Vers.. ssungt mit beschlieszenden
Ständcm leiug des Militäre und
Bürsgerbmrassruna Jn der Aula
tagte gleich-tätig eine Studentenver
sxtmnrluna Tie ziemlich leidenschaftlich
ers-at ursd verrcgt war, dann aber
durch das von Draußen kommende Ge
riicht die drei verhaßten Minister,
Eier-vorm Savignn und Thiele, seien
entlassen zum Jubiliren umgeftimsmt
wurde.
s Derrreil shotte sich auch bei Hofe und
Iim Schoße des Ministeriums mehr
! und mehr LE-; Ueberzeugung Bahn ge
ssbrochem daß die Gestaltung der Dinge
in Wien, wie nicht minder die Stim
mung der eiaencn Hauptstadt von sei
t-:n der Regierung neue Entschließun
gen heischter-, Herr von Vogelschwingh
hat sich später gerühmt, »die Nothtvens
diakeit einer Aenderung volllommen
und vielleicht zuerst erkannt zu haben,«
und nicht weniger die weitere Noth
weixdi leit, die Aufrichtigkeit der zu
nachxn en Gewälprur en durch seinki
und seiner Kollegen Rücktritt zu ver
bürger Er erzählt: »Am 16. wurde
die Katastrovhe Wiens in Berlin be
kannt. Dies veränderte wesentlich
dei. sStandvuItt der Sache. Das ZU
stsordetommen des Fürsten- Congresses
erschien problematisch, wenigstens
durste man dabei nicht mehr auf
Oesterreich zählen; zugleich griff die
Rszvolution in Deutschland mit Rie
seisschritten um sich. Da erkannte man
die Notwendigkeit, mit den längst
vorbereiteten nur schärfer ausgepräg
ten und mit dem Zugeständniß eines
deutschen Parlaments vervollständig
ten Plänen für Deutschlands Umge
staltung vorzugehen und Preußen, von
dein sie ausgegangen waren, auch an
die Spitze der Bewegung zu stellen.
Tarnit war zugleich der eine Grund
der verspäteten Einberufung des- Ver
einigten Landtags gefallen, während
auf der anderen Seite die mit des
Sturmes Eile dahin laufenden Ereig
nisse des Tages zur Eile mahnte-n
Es swurde beschlossen, den Landtag zu
c ·s:iem nahen Termin zu berufen «
Das also vor-bereitete neue System
mußte nach Trägern ausschauen und
als der zum Hauptträger geeignete
Mann wurde bei Hofe der Graf von
Arnim ausersehen.
Bald nach zehn Uhr führte der in
Berlin anwesende Oberpräfident der
Mheinprovinz, Herr Eichm-ann, die Köl
ner Bürgerdeputation zur Audienz in
das tönigliche Kabinet. Der Sprecher
der Abordnung Gemeinderath von
Wittgenistein aus Köln, redete den König
,,rnit tiefergreifensden Worten« an und
schilderte sdie Lage der Rheinproivinz und
’ der Stadt Köln ,,mit Ernst und Würde,
die volle Wahrheit mittheilend.« Die
Antwort Friedrich Wilhelms bezeugte,
»daß auch er den gewaltigen Eindrücken
; dieser Tage nicht hatte wider-stehen kön
’n«:n. Der mhstisch - romantische Auf
f Putz der Majestät war fort, der auto
» lratische Allmachtstaurnel verflogen
s»Sichtbar bewegt untd in huldvollster
I Weise« antwortete der Monarch es freue
» ihn, dafz die vor-gebrachten Wünsche mit
;seinen eigen-en Ansichten übereinstimm
; ten. Er werde sich an die Spitze der
deutschen Bewegung stellen und im Jn
? nern die nöthigen Freiheiten gewähren
) Auch der anwesende Prinz von Preußen
sprach freundliche Worte zu der leord
s nung, bevor dieselbe sich zurückzog.
Unlange nach der Audieniz der Rhein
länder wuvde die Deputation Der Stadt
verordneten beim Könige vorgelassen,
ebenfalls gnädig empfangen und der Ge
währung der ,,Vol’ksrvürvsche« versichert,
in Deren Reihenfolge auch noch die poli
tische Gleichstellung aller Glaubensbe
kenntnisse eingeschoben worden war. Als
Die Abgeovdneien in den Sitzunggsaal
der Behörde zurückgekommen waren,
Nachmittags 1 Uhr, und Den Daselbst
niassenbaft versammelt-in Bürgern Das
Ersgebniß ihrer Sendung mittheilten,
brach Ver helle Jubel auö und wurde be
schlossen die Stadt prächtig zu beleuch
ten
Alle Umstände wiesen daraus hin, daß
sd . König zu Dieser Zeit rvie so ziemlich
Jedermann in Berlin der Ueberzeugung
war, Alles sei friedlich beigelegt und
ausgeglichen Daß Friedrich Wilhelm
die gemachten Gewährungen nur gemacht
hätte, um hinter dem Vorhang derselben
ein hinterlistiges Spiel zu treiben, ist als
plumpe Verleurnbung abzuweisen
Auf dem Sgnjloßplatz.
»Das hilft uns armen Leu
ten doch nichtg!«
Schon im Laufe dees Vormittags hat
ten sich unter den Linden und auf dein
Schloßplatze zahlreiche Gruppen von
Neugierigen angesammelt, welche auf
das Erscheinen der an vorigen Tage
.angeliindigten Massen Temonstration
warteten Der zweifelhaften Ztimmuns
dieser imnierzn sich mehrenden Menge
wunde zwischen 1 und :-. Uhr durch dag«
Erscheinen eines Extrablaiteg Ier glllges
meinen preußischen Zeitung ein Ente
gemacht. Denn darin standen die beiden
königlichen Patente, welche sdenBruch inii
dem alten System zur atteniniifzigen
Thatsache machten. Die Blätter qkugen
von Hand zu Hand, einer rief dem an
deren die frohe Botschaft zu and eit
mächtiger Impuls rei Freude trieb die
ianze Vollsiiiasse, weihe teneiioege si
,,pi:«belartich«, Isonsrsri vielmehr ei
,,behäbig - büigerliche5« A isfehen :;at:-:.
dem Schloßplalze zu, in der inzgeipro
chenen Absicht, dem Könige Dank ;.I
sagen.
»Auf dem Schloßplatze -- sc hat ein
Augenzeuge berichtet - waren etim
RGO Bürger gruppenweise versammelt,
lauter wohlgekleidete, sehr anständfgk
Leute. Die Stimmung war erregt,
aber durchaus nicht feindselig. Umge
lehrt, die Gruppen ließen den König
hochleker und riefen ein Vivat über Ia-;
andere. Ganz im Hintergrunde ai. dei
Ecken der auf Den Platz mündenden
Straßen, sah ich Proletarier und Arbei
ter stehen, die nur einzeln in den Vorder
grund traten und die, als sie die vergnüg
ten Cesiehter ringsum sahen, sagten:
Das hilft uns armen Leuten noch alles
nichts! Da traten die Bürger an sie
heran, beruhigten sie, ermahnten sie, nicht
die Excesse der vorigen Tage zu wie-er
holen ; das führe zu nichts. Alle Lä.ei:
auf dem Platze waren geöffnet Damenl
s hatten die Fenster beseßi. Im Innern
s des Schlosses bivouatirten die aus Bots
- dam herübergekommenen Truppen; sie
i fpazierten rauchend im Hofe. UnterIes
E sen hatte sich der Schloßplatz immer
Lichter gefüllt und das Publikum fing an,
darüber zu debattiren, wie es durchaus
nöthig sei, daß die frechen (d. h. die
Potsdamer) Soldaten Berlin verließen
und daß auch die Truppen, welche um
Berlin tonsignirt seien, sich zurückzögm
Ta war es denn unverkennbar, daß eine
große Erbitterung gegen das Militär
vor-herrschte eine ziemlich instinitartige
Erbitterung ohne politische Beimischung,
wie jene in Folge unglückseliger Miß
verständnisse in großen Städten nur zu
rft vorkommt. Gegen halb 2 Uhr trat
der König auf den Balkon, versuchte zu
sprechen und ein ihn begleitender Herr
— irre ich nicht, Herr Bürgermeister
Naumavn —- sagte mit lauter Stimme
ohngefähr: -— Der König will, daß
Preßfreiheit herrsche; der König will,
daß der Landrath sofort berufen werde :
iDer König will, daß eine Konstitution
auf ticr freisinnigsten Grundlage alle-.
deutschen Länder umfasse; der König
will, daß eine deutsche Nationalflagge
wehe; der König will, daß alle Zoll
schlagbäume in Deutschland fallen ; der
König will, daß Preußen sich an die
Spitze der Bewegung stelle.... Stür
mische1, fast trunken zu nennender Jubel
herrschte auf dem Platze. Leute aus den
gebildetsten Ständen stellten sich auf
Wagen, um die freudige Kunde zu ver
breiten. Der König trat nochmals auf
den Baltonz er wehte mit dem Tuche.
Ein Herr, den ich fiir Den Herrn von
Bodelschwingh hielt, sprach dann vom
Balton herab den Dank des Königs aus,
aber auch zugleich den Wunsch, daß nun
mehr die Demonstrationen aufhören
möchten«
Unser Gewährsmann fügte sich als
treugehorsamer und wohlerzogener Un
terthan sofort diesem Wunsche; er ver
ließ den Schloßplatz und ging nach der
Königsstraße, um dort zu Mittag zu
let fei »Da sah ich — so schließt er
seiten Bericht —- wie sich die Leute vor
Freude umarmten und wie sie weinten.
Die Frauen wehten aus den Fenstern
mit Taschentiichem das Material zur
Jllumination für den Abend wurde durch
rie Straßen getragen und die Bürger,
die mir begegneten, riefen : Wir wollen
auch aus den Schloßplatz, wollen auch
unserem geliebten König ein Vivat brin
gen. Es war 2 Uhr, ich befand mich im
Kronprinzm inmitten der Königsstraße
ltei Tische ; man sammelte vor Freude
stir die Armen ; Bürger kamen, um den
Tag festlich zu begehen ma;n gratulirte
sich-, daß der große Tag der Freiheit und
der Wiedergeburt auch für Preußen
hereir gebrochen sei, ohne Blutvergie
ßen «
Jr diesem ganzen so lichten und la
cleic n Freudegemälde giebt es nur ei -
neu schwarzen Punkt: die ,,im Hinter
giu1—.de« stehenden Proletarier mit ih
rem: »Das hilft uns armen Leuten
ncch alles nichts !« Allein der dritte
Stand, welcher feines Sieges sicher zu
sein wähnte, hatte fiir dieses Grollwort
rss vierten kein Ohr und beachtete nicht,
raß hinter dem scheinbar gelösten politi
scher Problem der Gegenwart schon das
srciale der Zukunft drohend herzufstieg
Leiclt begreiflich freilich, daß in dem
lauten Jubel des Augenblicks der dum
pfe Bordonner eines am Saume des
Horizonts heraufziehenden Gewitters
verklang.
So zeigte denn die Stimmung der
preußischen Hauptstadt, so hatte die
ganze Physiognomie von Berlin Nach
mittags 2 Uhr am 18. März die
vollste Aehnlichkeit mit der Stimmung
und Physiognomie von Paris Abends
vor 9 Uhr am 23. Februar Alles
schien Friede, alles war Freude »Toch
das Glück wendet sich ost um,« lautet
der diistere Kehrreim der altnordischen
Tallade von Arel und Walborg
Eini- plötzlifktseszendung
»Die Flintc schießt, der
Sabelsticht.«
Es wandte sich auch diesmal, plötz
Tich, geliennnißvoll furchtbar.
Aus den« Echloßplatze von Bei-in
acschal,s ani 18. März um 21s2 Uhr
Nachmittags, wag am 2:-?. Februar auf
Lein Boulevard des Kapucineg in Pa
ris um II Uln Abends geschehen war.
Raum tkatte Friedrich Wilhelm den
Tal-ten verlassen, noch rauschten die
Vivatruse tansendstinnnig zu den
Echlofjfenstern empor, als die Glücks
:r-;:«dung eintrat, ein ausJ wolkenlosem
Tau sallender Blitz.
Tie Veltgnzenge vor dein Schlosse
irar von 2 Utxr an immer dichter gen-or
ten. Kopf an Kopf stand sie aus dem
1lfatze selbst gestaut und stopfte die Mün
dungen der von demselben auglause:ideri.
Straßen Aus einmal machte sich in den
Massen eine Strömung bemerkbar, wel
che der Jubelstimmuna augenscheinlich
entaegengesetzt war. Wie eg scheint, ist
dieser jähe Umschwung bewirkt worden
durch den Umstand, daß Mannschasten
vom 1. Garderegiment, die sogenannten
,,Potsdamer", gerade jetzt die Schloß
tcrtafe besetzten. Diesen Potsdamem
gab man ja das brutale Dreinsahren der
Soldatesta an den vorhergegangenen
Taan hauptsächlich schuld. Der gegen
dieselbe angesammelte Grimm und
Groll wollte und mußte sich Lust machen.
Wie aus einer Kehle erscholl demnach aus
tausenden der Rus! ,,Soldaten fort! Mi
litär zurück ! Soldaten abziehen!
iFoistsctjung folgt.)