Klüftyund Ebenen. Roman von Hex-man Heibercz tzoktfktzungJ Nur eins bedrückte Gaarz neben den Lebenssorgem Er hatte einen Sohn zur See schicken müssen, der nicht ge rathen und nun schm, spärliche Rach richt gebend, Jahre unterwegs war. Es hatte sich wohl nichts Unltebsames ereignet, aber sein Herz sehnte sich doch nach Mittheilung und der Bestätigung dessen, was er hasstr. Während blitzschnell solche Gedanken durch seinenKops gingen, hörte er plötz lich von unten heraus ein lautes Pol tern, dann einen dumpfen Fall und zuletzt jammernde Schnierzensrusr. Einen Augenblick zauderte er noch un gewiß, dann aber eilte er die Treppe hinab. Arn Fuß der Treppe lag Legardus, der gestolpert war und sich überschla en hatte, stöhnenb, bleich, unfähig, sich auszurichten, und offenbar durch den Fall schwer beschädigt Aber auch schon Angelica war an seiner Seite, und jeßt eben trat Frau Kardel mit allen Anzeichen höchsten Schreckens aus dem Wohngemach »Ich bitte, ich bitte, was ist, Herr Doktot?« stieß das junge Mädchen, chne sich zu erheben, zu Gaarz gewen det, mit flehender Miene hervor. Und, eine Antwort nicht abwartend, zu Le gardus: »Dast Du Dir sehr weh gethan? Wo. Lieber, hast Du Schmerzen? Ach, Du Armerl —- So, so, stütze Dich auf Jn Leaardus' Züge trat ein seine grrszen Schiner en verrathender Aus ruck, auch wo te ihn eine Ohnmacht til-erwarmen Aber er kämpfte sich em por und 1ichtete, statt Angelica Ant wort zu ertheilen, sragende Blicke aus Stark Nach einer für den Betroffenen qual vollen Untersuchun , die im Komptoir stattfand, erklärte ar zu aller Be theiligten Schrecken, dazß eine Zer xchrnetterung der Kniefcheibe stattge- » unden habe. Ein schwere-r Seufzer entglitt Legardus’ Brust, dann sagte er gefaßt: »Wie lange kann es währen, bis ich mich werde wieder bewegen können, Herr Doktors« 1 i i i i ( »Auf einige Monate müssen Sie sich s leidet wohl gefaßt machen!'« erklärte I Gaarz, besänftigende Worte hinzu-I fügend. »Dann möchte ich bitten, mich lieber aleich ins Krankenhaus bringen zu las sen. Nicht wahr, auch Sie halten das fiir das Geeignetste, herr Doktor-Z« Gaarz bestäti te, und Angelica rich tete, in der Hoff nung, da ihre Mutter » einen Einwand erheben werde, einen « zitternden Blick auf sie. Aber die Frau sagte nichts, und Le gardrrs, seiner Braut Gedanken erra- j thend, winkte ihr heftig ab. »Nein, lasse, es musz so bleiben! Es ist besser so!« erklärte er entschieden. Jn diesem Augenblick erschien Kar delz schon draußen hatte man seine Stimme vernommen-. Als er Legar das dalie en sah. auch Gaarz erblickte, en fin ere Schatte-n über sein Ge k . Aber Gaar kam-ihm uvor, reichte Angelika die nd und sagte: «Es wird wohl gut ein, daß sie nunmehr sogleich zu Jhrem Arzt sen den. damit er s vor dem Trans prrt den Verban anle t. Jch lann nichts mehr thun.« Un leise fügte er Au rderung las-, sich Fu Fuß-ern: «Unter den sbeste nden erhaltnrssen eifen Sie, da ich mich entferne." hinpfik indem er in ihren Mienen eine . nn reichte er auch Legardus die . Land und nahm, dem Ehepaar nur durch eine allgemein haltene Ab sckpiedsbewegung Brach ung schenkend, den Ausgang nach dem Flur. Aber als er eben rm Begriff stand,»empor rfteigen, hörte er eine sanfte Stimme «nter sich: »Herr Doktor. Herr Doktor Gaarz Er wandte sich rasch um Tlngelica l stand vor ihm Ader in ihrem über-. nächtigen Gefühl fand sie leine Worte ’ Yeit einem stummenDaniegblick drückte H sie ihm die Hand und noch einnnl l Dann eilte sie ins Komptoir zurück l i l Es war mehrere Tage später um di e Morgenzeit. Doktor Gaarz hatte eben den letzten Patienten in seinem Sprech immer empfan en und rüstete sun, feine Krankenbe befuche anzutreten, als noch einmal geklopft ward und zu fei höchsten Ueberraschung Angelica Kardel vor ihm erschien. Seit der letz ten Bee egnung hatte er sie nicht wie der gese n, überhaupt waren ihm seine usbewohner nicht von Neuem zu gekommen. ie verschredenen Vorgänge hatten eisu au genflicklichen Nuhestand mit sich efiihrts es schren nicht der Zufall usinsassen war hlt worden, Lega rdus ins Mauren us geschs worden ei und das die oelser des Hauses se r viei Sie-vorm iibe War hapu von allem untereitet kenn-u ten, da die Verlobungu o,te da der site daran Lodie Frau nie und page beFie Junge von dem bmtlIesMitW Bewohnern unsympa lasien wolle. Gerade kurz vor dem Unfall der Legatdus betroffen, sollten zudem sehr erregte Zusammentiinste zwischen den Verlobten aus des ersteren Zimmer stattgefunden haben. Auch hatten sie das erspäht, und da dies lestere mit Gaarz’ eigenen Beobachtungen über einstimmte, so war wohl auch das Uebrige als glaubwiirdig anzunehmen. —- Jedenfalls sah’s drunten traurig aus, und alle Mitbewohner waren in Spannung welches Ende die Dinge nehmen würden. Bei den überaus angenehmen Ein drücken, die Gaarz von Angelica ern psangen hatte, trat e: ihr mit großer Zudoriommenheii entgegen, und seine erste Frage alt. nachdem das schüch tern und unsicher austretende junge Mädchen sich niedergelassen hatte, ihrem Verlobten. »Eben um seinetwillen komme ich, geehrter Fett Doktor. Um seinet- und n.einetwi en«, stieß Angelica in sicht-v licher Befreiung, daß Gaarz gleich die Sprache aus ihn brachte, heraus-. »Ju dessen wollte ich Sie «etzt nicht stören. Jch weiß, daß Jhre prechstundenzeit vorüber ist. Mein Besuch sollte vor läufig nur den Zweck haben, Sie zu fragen, wann ich ohne Zeugen würde mit Jhnen reden dürfen. Es ist sch: Viel verlangt, daß ich Sie darum bitte. »An sich schon fehlt mir dazu seg liche Berechtigung, wegen aller Vor gänge, gänzlich Aber ich habe keinen einzigen Menschen aus der Welt, an den Ich mich wenden kann, zu dem ich das Vertrauen besitze, daß er mir vor urtheilsfrei rathen wird. Sie sind der einzige, obschon wir uns kaum kennen. Ihnen tat-n ich alles sagen, ach, bitte. weisen Sie mich nicht zurück. s ch bin so zerrissen in meinem Innern, o der zweiselt, wie ich es Ihnen nicht aus-z sprechen rann." Als ihr Gaarz auf diese Worte trostvosll zusprach und sich sogleich be reit erklärte, sie anzuhören, schüttelte sie, von Rücksicht geleitet, den Kopf. »Nein, ich danke von Fetzen, jetzt nicht. Jch kreiß, Sie mü en fort, auch ist« was ich Jhnen vorzutragen habe, nicht mit wenigen Worten abgemacdi. Es handelt sich um keine gewöhnliche Sache, sondern um etwas ganz Außer vrdentliches, um Dinge, die im Grunde nur zwei Ohren hören dürfen. Wenn Sie gestatten. möchte ich Sie an einein Nachmittag im Hause sprechen. Meine Eltern dürfen nicht wissen, daß ich zu oihnen gehe, daß ich mit Jhnen ver Ehre. Und noch einmal, innigsten Dank für ——— Ihre —- Güte. —-— Ich t « Nun brach die Stimme, die Worte fehlten der Bedrückten, und sie fand auch die Sprache nicht wieder, sondern nieste nur unter Schluchzen und Thra nen, als der Doktor ihr den nächsten Nachmittag bei Dunkelwerden für eine Besprechung oorschlu . Wenige Augenbli e später hatte f-e bereits das Zimmer verlassen, und fur daraus eilte Gaarz, nachdem er nodg nach seiner Frau gesehen und im ra schen Vorbeigehen von Asta einen Kuß empfangen, die Treppe hinab. Zunächst betrat er den in der Mitte der Hauptstraße befindlichen Laden eines tleinen Papierhändlerö, dessen Frau er ebenso wohl wie eine Anzahl anderer, dem Mittelstande angehören der Einwohner Bründes in olge Sterbefalleg eines Kollegen kürzlich in Behandlung genommen hatte. Die Frau inar nach dein Tode des einzigen Sohnes-, den sie besessen, so leidend geworden, daß sie an fort dauernden Schwächezuständen litt. Obschon allezeit eine inappe und cheinbcr iinempfiiidlidx Art an den - ag legend. liebte der-Mann seine Frau zärtlich. Zu Ganrz hatte er sichtlich nicßes Vertrauen und trotz der kurzen Bekanntschaft bereits eine ebenso große Zuneigung gefaßt. Sie äußerte sich inxmer dadurch, daß er die Menschen ins Gespräch zog. Gegen Leute. die er nicht leiden mochte, verhielt er sich so tr-rrtkarg, daß er selbst als Geschäfts niann bei der Bedienung kaum das Nothwendigste sprach. Sehr gern mischte er in seine Reden plattdeutsche Wendunrreit; immer kamen sie zum Virscheim wenn sich die Kritik bei itiin regte, wes-n der Hang zum Spott ibn frrtriß. »Sind Sie Leute zufrieden, Herr Doktor-« fragte er, als Gaarz nach dem Besuch der Frau wieder in den Laden tr:t. »Ja, Herr Engelbrecht. Der Puls gibt re eimäßiger, die Kur bekommt «—-l,irer Frau ents?ieden. lten Sie nur darauf, daß te sie fort etzt.« Ueber des kleinen, vierschrötigen En .lbrecht Gesicht glitt ein zufriedener usdruck. Aber er wollte auch soiiit noch etwai- schivayem Während er sich gegen das- große mit zahl « n Pa piersorten Und Mrtj besey e Re al hinter dem Ladentisch lebnte und - durch andeutete, daß er Tit habe, sagte er allerlei. Auch bra e er die ede auf Mittels Als der Doktor Antwort gab, sa te er, das gei tge Rassen der beiden Ege leute berü,rend, pattdeutsch: »Und damit immer noch mehr ward, lkpen se jeden Sünndag in de Kirch un beten. Da kann de lewe Gott ja gc.rnich anneri as Ja seggein Da is he veel to anständig dorto. Un he hett ja ot uttodehlenl De letoe Gott is en swer rite Manni« Saarz hörte lachend diese und an dere Reden an, sah dem bartlosen zu jeder Tageszeit auf seinem Posten stehenden Mann noch einmal in die steudnlieiyschalthaften Augen und eilte dam- weiter. Gleich an der Ecke derselben Straße wohnte eine Putzmacherin, die Jahr ais« Jahr ein am Magen litt. Sie hieß Dora Stille und hatte einen ganz un gewöhnlich langen, mageren Hals und sogenannte Straßenaugen. Von frü hem Morgen bis an den späten Abend saß das blasse, diirre Geschöpf bei der Arbeit und wurde immer niatter und matten Mit dem Deutsch bestand sie täglich die heftigsten Kämpfe. Sie war von Geburt eine Dänin, hatte weniger Sprachtalent, als eine Bohnenstange, obschon sie ihr sehr ähnlich sah, und brachte ein schreckliche-Z Durcheinande: zu Tage. Als Gaarz bei ihren Klagen wiederholt betonte, daß sie einmal Lustveränderung und Ablösung von der Arbeit sich verschafer müsse, ließ sie das Seidenband und die Nähnadel sallen und stieß in einem tliiglichen, aber den Doktor halb rührenden, halb zum Lächeln nöthigenden Ton beraus: »So sotlle ich wohl, sagen Heerot tor. Aber wo könnte ich, guter, lieber Herr Doktor Gaatz Die Sanitätsi räthin Weber will mich die Kundschatt wegziehen, wenn ich den Rest von die ses Monat nit blos für ihr arbeiten thue. —- Und denn: mein Swestertind Lulle Trahn, sie is noch in’s Examen für Handarbeit Jhr muß ich auch unterhalten, bis sie aus ihr eigene-: Theil sitzen konn. —- Nee, wo soll ich wegkommen? Und das Geld, guter Herr Doktor! —-'« Am liebsten würde Gaarz in die Tasche gergifsen haben, um der armen Seele einmal eine Ruhepause zu ver schaffen. Aber da das nicht ging, ver ordnete er ihr ätherische Ball-rinn tropfen dreimal täglich auf Zucker und empfahl ihr zu versuchen, Nachts bei osefnem Fenster zu schlafen und über haupt das Zimmer mehrmals täglich z lüften. »Ja, bitte, gerne, guter Herr Dol tor! Wenn Sie meinen! —- Und mit dem schrecklichen Magendruck, was mir beschwert, nach dem Essen, meinen Sie. wird es denn besser werden? Gott gebe es mich!« Der Doktor niclte freundlich und eilte weiter. Nachdem Dottor Gaarz dann noch anderweitig fast zwei Stunden zu thun gehabt hatte, richtete er seine Schritte vor die Sadt, um Stjoldg und der schönen Nina Telge Besuche abzu statten. Die beiden Familien beschäftigten ihn außerordentlich, denn wenn er auch nach den empfangenen Eindrüaen eini germaßen richtige Schlüsse gezogen zu haben glaubte, so war es ihsn doch bis her nicht gelungen, tiefere Einblicke in die Verhältnisse zu gewinnen. Die lebhafte Nan hatte nur flüch tige Aeuszerungen fallen lassen, und Harder Stjold war ihm seltsameri weise bei feinen erneuten Besuchen ausgewichen. —- Auch heute über-fiel Gaarz beim Betreten des einsamen Bartes ein eigenthiimlich beilemmen des Gefühl. —- Eö war ihm, als ob sich etwas Schreckhaftes hinter den vor sei nen Blicken austauchenden Mauern er eignet habe. Die Menschen waren ihm riithselhaft; besonders wurde er nicht tlar darüber-, in welchen Beziehungen Juge, die Schwiigerin, zu Harder und seiner Frau stand. Aeußerlich gab sie sich fast als eine Dienende. Sie legte, wie er beobachtet hatte, niemals eine selbstständige Mei nung, viel weniger einen eigenen Wil len an den Tag. Sie gehorchte, stumm sich unterordiiend. Die Bewegungen ihres vollendet gewachsenen Kröperg waren liinstlerisch schön. Wenn sie sich verneigte, lag eine mädchenyafteGrazie ir-. ihrer Erscheinung, und ihr Schrit war so leicht und leise, daß man oft ihr Kommen nicht bemerkte und fast zusammenschrat. Der schwedische Arcent verleugnete sich nicht, wenn sie sprach, doch drückte sie sich"im Deutschen sehr gewandt aus-. Als Gaarz ans hauö gelangte, fand ee die Thür nicht, wie sonst, fest ge schlossen, sondern nur angelehnt, und es erschien niemand, als er sich durch Geräusch bemitbar zu machen suchte. Jn der Absicht, ohne Anmeldung Frau Stjold in ihren Gemächern auszusp chen, öffnete er das lintsseitig belegene Zimmer-, fuhr aber betroffen bei dem Anblick zurück, der sich seinen Augen bot. Stjolb stand über seiner vor ian sitzenden Schwägerin gebeugt und be rührte ihre Wangen, und sie löste eben die um seinen Nacken geschlungenen Arme. Eine geraume Weile blieb Gaarz wartend vor der Thiir stehen; er nahm an, da Stjolb sich zeigen und ihn zu seiner » rau geleiten werde. Aber et tam nicht, und als noch eine Minute weiter verging, ohne daß sich etwas rührte, beschloß Gaatz, sich zurückzu ziehen und, ohne Frau Stjold gesehen zu haben, das haus zu verlassen. Jn diesem Augenblick erschien zu seine-« höchsten Ueberraschung Jnge in der den Flur mit der hinteren Wohnung ver bindenden Mittelthiir. Als sie Ganz offenbar ihn nicht hier vermuthend, erblickte, stieg eine unheimliche Blässe in ihr Angesicht, und ihre Gestalt zitterte. Nun trat Gaarz, ohne die mindeste Befreindung an den Tag zu legen, ja, mit einer Miene, als sei er erst eben ins Haus getreten und noch bisher von niemandem begrüßt worden, dem er schrockenen Mädchen entgegen und reichte ihr freundlich die Hand »Ah, vortrefflich, daß ich Sie sehe, hochberehrtes Fräulein. Wie geht’s? Jst Jhre Frau Schwestr zugegen? Kann ich sie sprechen?" »Nein, meine Schwester ist nicht da! Sie ist in die Stadt gefahren. Es ging ihr heute besonders gut. Aber wollen Sie nicht näher treten? Bitte, hier! Jch werde doch sehen, ob mein Schwa ger anwesend ist.' Dabei eigte sie aus das Gemach, das Gaarz vor wenigen Minuten verlassen hatte, und verschwand, nicht mehr Her rin ihrer selbst und ohne seine Ant wort abzuwarten, eilig und hastig durch dieselbe Thür, durch die sie so eben aus den Flur getreten war. Aber Gaarz that, nach kurzem, ra schem Besinnen, nicht, wozu sie ihn aufgefordert hatte. Er schritt die Treppe hinab in den Garten und nahm den Weg zum Ausgang Als er bei einem Gebüschaudschnitt den Kopf noch einmal umwandte, sah er zu seinem höchsten Befremden, daß —— Frau Eliold die Fenster in ihrem Gemach öffnete und, sich tief vorüberbeugend, in den Part hinausblickte. Ein unwiillges »Ah!« drängte sich iiber Gaarz’ Lippen! Man hatte ihm also die Unwahrheit gesagt, sicher weil man ihn fürchtete. Aber da dies doch eben geschehen war, um ihn aus der Villa zu entfer nen, ward auch durch den Anblick der I Frau sein Entschluß nicht geändert. « i Ohne Besinnen schritt er vorwärts, hatte nach wenigen Augenblicken den Part verlassen und lenkte seineSchritte zu der versteckt liegenden Villa, in der Nina Telge mit ihrer Großmutter wohnte. I Schon als er durch den Vorgarten s schritt, hröte er die Töne eines spani s schen Liedes aus dem geöffneten Par s terresenster dringen. Jbre Stimme ; klang entzückend, und dieMelodie hatte einen überaus schwermiithigen Charak ter. Vor der Thiir sasz die alte Dame, wie immer sehr phantastisch getleidet. - Sie hatte ein gelbseidenes Tuch tur banartig um den dunklen Kopf ge schlungen, ihre torpulente Gestalt uni schloß ein schlasrockartiges Gewand von demselben tostbaren Stoss in iuntler Farbe, und unter dem Kleide auckten mit rothen Lederpantosseln be deckte, sehr tleine Füße hervor. —- Jbr Gesicht erschien heute besonders gelb, sast leder sarbig. Die Umgebung der dunklen Pupillen glänzte in einem ei genthiirnlichen Blauweiß. Nina hatte bei der Anniiherung des Dottors ihren Gesang unterbrochen und ihm ein stürmisches Willkommen zugerusen »Ah, lieber, einziger Herr Dottor! Wie gut, daß Sie da sind! Jhke arme Patienten langweilt sich zum Sterben. Bitte — die alte Mama ist nicht da -—— ich weiß nicht, wo sie steckt, um wieder schreckliche Dinge gegen ihr Enteltind auszubriiten!« »Ich werde gleich vor Ihnen er scheinen, gnädiges räulein. Nur ei nen Augenblick wo en Sie verzeihen!« entgegnete Gaarz dem schönen Mäd chen zunickend. » Nun ging er aus die alte Mama zu, die sich, eine halb tadelnde, halb zärt ’ liche aus Nina berechnete Geste ma chend, sogleich erhoben hatte, und setzte - sich mit ihr aus eine vor dem hause stehende, mit vielen kleinen seidenen Polstern be deckte Bunt. »Wie geht’s?« begann Gaarz lie benswiirdig « »Nicht gut!" erwiderte Frau Mar tinez in ihrem gebrochenen Deutsch und die nie ausdleitendein wie ein fragen « deg »inn« klingenden Kehllaute in die Rede einfügend. Reine Nachricht, gar nichts. Schon iiber vie-zehn Tage. Ich weiß nicht, wag ich denlen soll. Habe schon gedacht, ich wollte an mei » nen Entel telegraphiren. Er ist im J mer in Paris-. hm?« l »Ist ex km beschäftigte s »Gewiß, er hat doch dort sein Ge ; fchöft. Banlgeschäft, hni? Er reist i so viel. Weshalb kommt er nicht hier I her?« f Da sie innehielt und eine Aeußerung f von Gaarz zu erwarten schien, sagte er s ingleich forschend: »So? herr Mariinez ist Banlier? Weshalb, die Frage sei erlaubt, haben Sie sich in Bründe niedergelassen? Sie lebten doch früher in Südamerila —'« »Ja, in Valparaiso! Dort war Ni naö Vater Kaufmann. Hm? Er starb, auch eine Tochter ist gestorben, schon früher —- sehe jung. —- Wir beschlos sen nach Deutschland zu ziehen. here Telge war ein Deutschen Hm? GI avsto, Ninai Bruder, war bereits fr - her in Paris. »Als wir eine längere Vergnü qungsreise machten und auch nach dein Norden gingen, nach Shlt in das Bad, ben? verfolgte Nina ein Mann aus Paris, den Gustav-) durchaus nicht will. —- Jmmer hat er rasche Ent schliissr. hin? Ihr bleibt hier, bis ich weiß, da er wieder drüben ist! Ich bole Euch, agte er. Diese Wohnung fand er zufällig. Sie gehört einem Denn, den wir in Shlt kennen lernten. Er bot sie ihm an. — Aber was sollen wir hier? Om? Nina bat ganz recht.« Die lehten Worte der rasch dahin geflossenen Rede sprach die Frau mit gedämpfter Stimme und schielte, zu gleich in etwas unschiiner Weise den Mund ziehend, um ihrer stummen Sprache: »Ich rede leise, damit das schlaue Geschöpf mich nachher nicht beim Wort saßt,'« stärkeren Ausdruck zu verleihen, nach dem offenen Fenster. Gaarz machte dieser Bericht denEin druct der Wahrheit, und um noch mehr zu erfahren, warf er in einem äußer lich uninteressirten Tone bin: »Sie sagten, Fräulein Nina sei von einem unliebsamen Menschen verfolgt worden? War es ein Mann aus der guten Gesellschaft?« »O —- o, sehr, sehr!« betonte die Frau, machte große einfältige Augen und zog die Unterlippe. »Es ist doch ein Vetter von Ninak Sehr, sehr reich. Hm?« Das r in dem Worte Vetter llang besonders scharf, und Nina, die alles gehört zu haben schien, rief plötzlich, ihrer Großmama Stimme topirend und jedes Wort wiederholend, laut durch das ossene Fenster: »Es ist doch ein Vetter von Nina. Sehr, sehr reich! hm? Und Nina will ihn auch nicht. Er hat eine große citro nengelbe Nasc, trägt rothe Krabatten und besitzt Zähne wie ein Rhinoceros. Sein Urgroßvater muß eianinoceros gewesen sein.« Dazu lachte sie silberhell, und die Alte schüttelte, wieder die Lippen zie hend, tadelnd den Kopf. Aber Nina subr auch noch fort und sagte, immer noch redend, als ob ihre Großmutter das Wort führte: »Es giebt aber noch einen Vetter, Carlitos, den hat die arme tleine Nina sehr lieb! Hm? —— Der möchte sie bei ratben, aber auch den will der Bruder ihr nicht geben. Er wird erst Ja sagen, wenn sich die arme Nan beide Augen blind geweint hat. Ob er auch eine gelbe Nase und so große Zähne bat? Nein, nein, nein. Hin? Er bat deut sches Blut, ist weiß wie eine Granat blütbe und raucht bavanesische Eigen retten, die beste Sorte. Hint« Die letzten Worte begleitete das lustig spottende Geschöpf mit einem abermaligen, eigenttriimlich tief klin genden Lachen. Die Alte aber tnurrte unmutbig, bewegte den Kopf und zog die Schultern. »Es ist nichts Respekt, nichts. Hm? Herr Dottot? Aber bitte, wollen Sie nicht näber treten? Bitte, darf ich et was anbieten, MatronenZ Vielleicht ein wenig süßen Madeiru mit Angio stura? Gut! Hin ?« — Als Gaarz wieder nach Haufe kam, hielt bereits ein Landkutfctyer mit ei nem offenen Zweifpiinner vor der Thür. Die Sache war so eilig, baß der Arzt kaum Zeit hatte, in Ruhe zu essen. Schon im Begriff fortzugehen, drängte sich Asta an ihren Vater und fragte, ob sie ihn nicht begleiten dürfe. Er fuhr nach dem Dorfe Kalthoi, Gaarzens bisherigem Wohnsitz· Afta toiinfchte lebhaft, die dortige Paftorew familie, mit der sie fehr nahe Freunds fchaft gehalten hatten. auf einige Stunden zu besuchen. Gaarz ftimrnte bereitwillig zu, verfiändigte noch feine Frau iibet einige Dinge der Praxis und stieg mit Afta die Treppe hinab. Gerade als fie aus der Thiir schritten, begegnete ihnen Angelika KardeL die äußerst bedrückt ausfalp Beide Mäd chen nickten einander freundlich zu, der Doktor aber nahm Angelika rafch bei feite und fagter »Komm« Sie von Jhrem Verlob ten? Wie geht's ihm?« .Nichk gut, Herr Doktor —-—-·' Sie sprach’s mit einem hoffnungslofen Blick. Gaarz redete befanftigend auf sie ein; zuletzt knüpfte er an die letzte «le rede an und sagte: «Morgen Nachmittag beim Dunkl werden in meiner Wohnungst Adieu! Verzagen Sie nicht. Es wird alles noch gut werden!« Nun entfernte sich Angelika mit ei nem dankbaren Blick. rau Kardel aber guckte hinter den Blumen deg Fensters bervor und schaute ihnen finster nach. Asta wußte ihrem Vater, alg neufte Nachricht mitzutheilen, daß an Stelle ron Legardus, lur vorher, bereits ein anderer erster Gchulfe eingetroffen sei. Wie Brunnererzählt hatte, wars ein Verwandter der Frau, tier einzige Sohn einer Schwester, die hoch im Norden, nahe der jiitischen Grenze wohnte. i Der junge Mann war eigentlich Apotheler und hatte bisher in Schle sien eine Thätigleit gefunden. Diese Mittheilung beschäftigteGaarz sehr, und er ließ sich auch in Worten über Angelieas Kummer our-. »Was Jhr armen Doktoren alles in Euren Kon zu nehmen habt» bedau erte Aste-, während sie dahinfuhren. « »Ein Arzt, Nr ein fiihtendes herz ! besish den die Menschenliebe in feinem Berufe leitet, kommt eigentlich gar nicht aus der Aufregung heraus. hat er zudem noch selbst Sorgen, dann muß man seinen Seelenqleichmuth und seine Aufopferungsfähigteit be wundern. Aber trotzdem -—· ich möchte auch Arzt sein, freilich nicht in der Stadt. Immer thiitig, in steter und neuer Beziehung zu anderen Personen, irsstend, helfend, heilend und deshalk doch auch einmal Dant einerntend, wüßte ich laum etwas Schöneres.« Gaarz bewegte beipslichtend den Kopf, dann sagte er, seiner Tochter Gedanken ergänzend: »Unsere Nebenmenschen erschweren uns unserenBeruf, weil sie selten wahr gegen uns sind. Sehr häufig rühren ihre Leiden von Ausschreitungen her, . die einzugeftehen sie sich scheuen! Sie verheimlichen die Gründe« statt sie mit zutheilenl »Man tann aber nur die rechten Mittel anwenden, wenn man die Ur sachen tennt, aus der eine Ver-stim mung des Körpers herrührt. Justie sondere miißte man auch die inneren Familienverhältnisie tennen, die Be ziehungen der Ehegatten zu einander, die Lebensumstände. Ost ift’s nur die Sorge, die eine Krankheit hervorruft. Ein guter Arzt soll zugleich der geist - liche Berather, der beste Freund des Kranlen fein, dann erst ist er ganz im .Stande, seiner Aufgabe gerecht zu werden« , »Sie sind ein solcher, Herr Doltort« entgegnete Afta, ihren Vater mit dem schelmischen Sie anredend. Es geschah immer dann, wenn ihr Gefühl sich start erregte. »Sie haben das beste Herz von der « Welt, Sie möchten allen helfen, und bei Ihnen weiß wirtlich die rechte-Hand nicht« was die linle thut.« Guarz drückte, das Lob abwehrend, Afta sanft an sich. Dabei überflog er ihre Gestalt. Er mußte sich selbst ge stehen, daß es tauin ein reizvolleres Geschöpf geben könnte. Ihre llugen, neclifchen Augen, ihre weiche Stimme nahmen ihn immer wieder gefangen. Auch befand sich Gaarz heute in einer besonders lebensfrohen Stimmung. Es ging doch allmählich schon immer bes ser mit feiner Praxis, er fühlte, daß die Menschen ihn mochten, er sah, daß er Erfolg hatte, und die Seinigen zeigten, nachdem in die Hausangele genheiten Ruhe gekommen war, ein vergnügteg Gesicht. So schaffte ihm J die Umfchau iiber das, was ihm oblag und wag zu ihm gehörte, frohe Gedan - ten. Ueberdieg hatte er gegenwärtig leine schweren Fälle zu behandeln, die, die Veranttorttlichleit des Berufeg er böhend, ibn oft ernst und nachdenklich machten. Auch der herrliche Tag forderte seine gehobeneGemiitbsstimmung Die Ruhe in der Natur wirkte besänftigend. Doch kraus- nicht ganz einsam. Viel Fuhr I wert rollte iiber die Landwege dahin und Gruß und Gegengruß erfolgte. Dem Arin bot sich immer Neues, und der Reiz der norddeutschen Fluren kam gerade bei dem klaren Wetter beson ders zum Ausdruck. Wo einmal ein freierer, nicht durch die nKicke gehinderter Ausblick sich be fand, da boten sich dem Auge überaus libliche Bilder. Jn weiter Aug-deh nung fügte sich eine grüne durch Vieh belebte Wiese neben die andere; da zwischen vieltarbige Ackerstreisen, eben umgepfliigteø oder brach liegendesFeld, aus dessen tahler Mitte bisweilen ein einziger mächtiger Baum empor ragte und einen schönen Farbengegensaß schuf. Tiesschwarzes Land und grü nes Laubdach. Und dann wieder von silberglitzernden Auen durchzogene . Gras-streifen umsäumt von Gehölz. Zweimal tauchten in sanften Win dungen sich hinschlängelnde, an der : einen Seite von Wasser, an der ande - ren von dichtem Waldreviet umsäumte einsame Wege aus« Und Dörser und ; tleine Bauernstellen, Gutshöse und ; duntelbedachte weißschimmernde herr I schastssitze, umgeben von grünem Ge ; biisch und Gärten, und endlich, nach ! dem das Wagengeräusch eine Schoar i ungeschickter Gänse von der Landstraße ; verscheucht hatte, die Einsahrt in Kalt . hof. Das Pastorenbaug versteckte sich reden dem bochdeleaenen, aanz von alten Bäumen umschatteten Friedhof, in dessen Mitte sich eine ursprünglich in alten Feldsteinen ausge:)aute, neuer - dirgs v.tukqetnauerle stirche erbot-, hin ter zwei riesigen Linden, nnd man er: reichte dac- einem Herrenbesitz glei chende, hübsche Gebäude, indem man einen große zierlich aebaltenen Vor PlaX durchsänti » « sta stieg, nachdem sie »s;eit und Ort der Wiederbegegnung verabredet llatle, vor diesem ab, schlug aber nicht den ge raden, sondern einen lleinen versteaten Seitentveg zu dem Psarrbause ein. « Hinter demselben lag ein herrlicher, tsarlartiger Garten. Nachdem Asta ihn, Vorsichtig um sich spähend, betreten hatte, näherte sie sich der weinuniranl. ten Rückwand des hause-z und schaute in die tieilie ende Studierstube des Beste-m « Es war niemand da, aber aus dem geöffneten Fenster drang ihr, durch die unbewegte tust gefördert, ein s rser Duft von Tabal entgegen, auch s oebte noch über dem mit ochristen und Büchern bedeuten Schreibtisch ein « blaues, sich ’e t in weißen Streifen zer theilendes lieben, während die eben sitt sestr. ge n den Arbeit-se el e lehn e lanae leise in ihrer chi n Lage fast det· Gefahr des Ausgleitenj arsige th schien. Die alte, unendliche Gemüthli teit des Raumee drang auch ; heute aus sta ein. H Zwischen den fast bie an die Decke L erlitt-enden mit Büchern in altnio chen Ein-banden von oben bis unten be e ten Regalen befanden sich ein paar bequem eins-sehen mit sange ltitnteni St , et te So hat« Da vor Wcht T selx und St· le. OM Mis) . as