Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, June 17, 1898, Sonntags-Blatt., Image 14

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    Klüfte Und Ebenen.
Roman von Herman Heiberg.
»Gebt langsam und ordentlich die
Treppe hinunter. Kinder. Jn der
Stadt muß man sich nicht so benehmen.
Und im Garten pflückt nichts ab und
betretet niemals den Rasen. Das leide
ich nicht! Jhr könnt Euch dort wohl
aufhalten, aber ihr müßt Euch gesetzt
dene men. Einer von Euch hat gestern
den cOtoei neben der einen Rose heraus
gerissen. Kommt dgg noch einmal vo:,
dürft Jhr nie wieder in den Garten!«
Der Mann, der diese Worte sprach,
war der reiche Chokoladenfabrilant
Kardel in der nordischenStadtBründc,
und die beiden blonden Kleinen, die
nach dieser Mahnung. scheu und öng t
ltch sich anfassend, wieder emporf « i- «
chen,. gehörtem demDoktor KarlGaartz, ;
der erst vor kurzer Zeit sich in Bründe !
niedergelassen und die obere Wohnung I
in dem Hause am Markt gemiethet
hatte· · I
- - «-- o- — « «
Trotz ves- yvycn Prenes- unu uucuci
Abrathens von anderer Seite hatte sich
Gaarz entschließen miissen, hier zu
mietben. Die wenigen zur Verfügung
stehenden Quartiere eigneten sich nicht .
siir ihn und seine große Familie. Sie ’
waren entweder zu llein oder äußerst
nngiinstig gelegen. Beim Fabrikanten
Kardel aber waren schöne. durchaus
passende Räume zur Bersüanng gewe
sen.
Kardels hatten auch nicht gleich Ja
gesagt. Die zwei Kleinen waren eine I
böse Zugabel Aber Gaarz schien ein .
sebr liebenswürdigerMann zu sein, der »
·eine Person zurückstelltc. Und seine E
s rau stal zwar nicht in übermäßig j
modernen Kleidern, und die Kinder
machten nicht denEindruct, daß sit-Ver
gnügen daran fänden, sich aus oier
Wiinde zu beschränken, aber sie schienen
set-r gutherzig und lenisuxn iu sein. So
würde Karoel, der sonst ein ungewöhn
lich pedantischer Hanswirth war, schon
aus die Familie einwirten und sie nach
seinem Wunsch erziehen.
»Nun, Jhr seid schon wieder da? Jst
wolltet doch unten spielen?« hul- Frau
Gaarz an, als die Kinder auf dem Flur »
erschienen.
»Ja-—der——der Herr Kardel war so
böse, Mama. Wir trauen uns nicht,"
erwidertern die Kleinen zaghaft.
Die Frau forschte noch weiter. Lang- -
sam, stuckweise berichteten sie. was der
böse Mann gesagt hatte.
Als Gaarz nach Hause lam, bat ihn
seine Frau, rnit denen unten doch gleich
über die Sache zu reden
»Wir sind aus diese Weise wie in ei
nem Gefängniß, Karl! Das geht doch
nicht. Die Mitbenutzung des Garten-s
ist «a ausdrücklich abgemacht. 5Zluch mit
unserer Lene hat Frau Kardel schon
gezankt wegen des Waschhausesl Bitte,
geh nach Tisch hinunter.«
»Ja, ja, ich werde sprechen, wenn
auch nicht heute,« erwiderte Gaarz.
»Und Du mußt das Alles nicht so
schwer net-men. Bertha,« fügte er bin
zu, als er ihrer enttäuschten Miene be
egnete. An den Stadthäusern ists
goch eben anders-, und die Kinder sknd
wir-lich bisweilen etwas laut. Gewiß,
iß! Wir sind im Recht. aber daraus
rrnmt’s nicht immer an, Man muß sich
gegenseiii einrichten. Ueberatl ist
etwas-—- ick die Kleinen doch auf
dkntziiirchhosplatz oder auf den Markt
pa —«
»Na, das muß ich denn doch sagen!
Wir haben-H im Kontrah, da sollen
wir uns ohne Weiter-es süaenf Wenn
Du nicht gleich sehr bestimmt ans
trittst, haben wir bei diesen Jllenschen
sicher verlorenes Spiel-Ihr sztänner
werdet von den Hausanaeleaenbeiten
nicht oeriibrt, wir Frauen aber um so
meht.«
Gaarz seufzte leise aus und bewegte
den Kaps.
»Nun gut, ja, ich werde vIlles besor
Mnxss
Darauf betrat er dann sein Arbeits
sit-knien
Eben war Asta Gaarz, die älteste
Tochter-, im Begriff, durch durch Die g
genüberliegende Tbür das Gemach, in
dem sie mit dem Wischtuch nnd Staub
bean beschäftigt gewesen, zu verlass-3n,
blieb aber nun stehen und nickte ihrem
Vater mit einem liebevollen Blick zu.
Alsta Gaarz war ein in teizenderFülle
emporgewachsenes junges Mädchean
Inn Kopf bedeckte Mannes-, ins Dunkel
röthliche spielendes, stets aanz glatt an
denKopf gekämmtes Haar, und ein
ixsnsdruck von bestrickendem Liebreiz
M nie aus ihrem set-was blassen Ange
- Er gelangte so ut zum Ausdruck,
W die Gesichth e in Ruhe waren
. « lag etwas Träumnerisches um
. — » Mund-sinnt und die Augen blick
10 ll und-Himml- -—- wie wenn sie
« ·. I wirkte ihre weiche, sanft
Wche äußerst sympathisch
A Stän- uæat Vglangeäickjegtx
ztne - pt n zn ’ten, mi
F Als Asta ihn so zärtlich anblickie,
T nahm er sein Töchtekchen in die Arme ;
rnd hätfchelte es. ;
»Nun, mein A"ftelen, hist Du ver
gnügt?«
Gaarz hatte immer nur den Wunsch, »
glücklicheGesichter um sich zu sehen; sein
Herz litt, wenn einem seiner Angehöri
gen etwas bedrückte, und er ruhte nicht,
bis wieder Sonnenschein war.
Besonders liebte ek feine WetAsta.
Jht Gelegenheit zu geben. etwas Vom
Leben zu sehen, ihr die Tage ihrer Ju
gend nachKräften zu oerschönern, woll
te er sich durch die Veränderung feines
Wohnsitzes auch angelegen sein lassen.
Er wollte gern doppelt arbeiten,wenn
alle feine Angehörigen-der Vorzüge des
Daseins mehr tveuyamg werden con- «
ten als bisher
Asta Gaarz sah in ihrem Vater das
Tdeal eines Mannes-Seine mit seltener
enschenfreundlichteit gepaarte Her
zensgiite und dann und wann hervor
tretende Gleichgültigteit gegen Geld
und Besisädund andererseits wieder sein
schrosses esen gegen unwertlyi eMen
chen, sah sie nicht als Schweigen an,
sondern sie erhöhten ihn in ihrenAugen.
Sie bewiesen ihr, daß er neben seinen
Herzenseigenschaften Karalter besaß.
So erwiderte sie denn auch eute
seine Zärtlichkeiten mit fast stürmt chem
Eifer und sagte, einen liebenswürdig
neckenden Ton annehmend und seine
Wangen streichelnd:
»Haben der Herr Doktor schon einen
Kranken? Ich wünsche dem Herrn Dol
tor jeden Tag ein vaar Dutzend, aber
natürlich allen das Leben, Genesung
durch dieKunst des größten Arztes-. ven
der Norden aufzuweisen bai."
»Nein, Du Schelm!« lachte Gaul-z
und streichelte seiner Tochter die Wan
gen. »Noch hab-en sich nicht viel gemel«
det, obgleich wir nun schon drei Wochen
hier sind. Aber die Landvraris geht
fort· Jch war eben bei einem Bauer
Peter Rissen in Miter ein halb-III
Stundchen von hier. Wir wollen
Haushalt gehörenden Person allerlei
nzuträglichteiten mit sich. Das Mäd
chen von unten erschien Morgens, um
das Zimmer zu reinigen, und dem
Herrn — Leagrdus mit Namen —- be
gegnete man häufig aus Flur und
Treppe und sah sich beobachtet Auch
wars ein Unterschied, ob ein solcher
Hausgenosse ein liebenswiirdiger. höf
l«cher, oder ein Mensch mit wenig Le
bensart war. Als ein solcher erschien
Legardus Asta, und besonders an
ziehend fanden ihn auch der Doktor
und seine Frau nicht.
Aber auch iiber diesen Uebelstand
ging Gaarz mit seiner zum Frieden
reigenden Natur leicht sori und sagte,
Asta zuredend:
»Ich gebe zu, daß es angenehmer
sein wärt-h wenn wir auch noch dieses
Zimmer hätten mitmiethen können,
aber da es abseits an der Treppe auf
dem Flur liegt, kommt man wohl da
rüber fort, mein Kind. Wir haben ja
gar nichts mit dem Manne zu thun.
Seid andauernd höflich, so werdet Jhr
ihn mit der Zeit zu einer artigen Be
gegnung zwingen. Man lann eben
nicht alles haben, wie man es wohl
n.iichte!«
«- « «
Sehr bald nach dem Mittaaessen
sclxli.ipfte Anaelica staer ohen iu
ihrem Verlobten ins Zimmer hinaus.
Sie hatte ihm die Zeilen, in denen sie
irn uxri eine Unterredung gebeten, iiri
Laufe des Vormittags zugestellt und
er hatte sie beini Eintreten ins Chin
nrer Mittags in einer von Kardelz in
beinerkten Weise zu verständigen cic
irr-sit
Als Angelika die Thüe öffnet-,
nachte sich Legardug gerade bei seiner 1
Kommode zu schaffen, wandte sich aber, »
als er ein Geräusch hinter sich hörte, ·
sast erschrocken uni und ließ ein sehr ]
barscheg: ,,-Na wer ist denn da?« ver- ;
nehmen »Als er aber Angelika sah
nickte er ihr kurz zu und sacite ohne
Ueberganq mit gedänipster Stimme: .
«Sprich nur recht leise! Und schließe
lieber die Thür ab! Man kann nicht
wissen! Und so nun bin ich fertig.
Setze Dich doch!«
Und dann lief-, er sich neben ihr aus
dem Sopha nieder, strich — was seit
langer Zeit nicht mehr geschehen ivir
—- iiber ihre Wangen, sprach gütig aus
sie ein und forderte sie aus« ihm von
allem zu berichten, was heute vor sich
gegangen sei
Sie war's in langer, klarer Rede,
und nachdem es geschehen, schmiegte sie
sich bittend zisirt ich an ihn, sich nach
Mö lich-seit zu siigen und alles daran
gehen, damit nun endlich zur
zita rheit werde, was ir rund was
dcch auch sein sehnlicher unsch und
Wille sei.
»Sieh, wenn wir e unser eigen
heim haben, Rochus«, chloß sie ver
trauenon, »treten a die störenden
Dinxit von selbst in den hinter rund.
dann unabhängigen un was
Du bei pa entbehr, das will ich
Dir deir dappelteLie e und Aufmerts
»Ernst-it ersetzen —- Ach, ich se mich
nach. mein Rechtes, mit Dr allein
u sein, Dir an den Tag zu legen,wie
muDich liest-e. Ungd nicht wahr?
milder wirst Da in Jänimi
An liea sein!
Tod« ais-·- - mise- wes-Du
schroff und abstehend dist, am ichi
bin so leicht ein eschiichtett, ich werde l
iire an mir und ente sogar bisweilen,
daß ich Deine Liebe nicht mehr besitze.«
Legarduö hatte seiner Braut mit
allen Zeichen wärmster Empfindung
zugehöri. Einige Male war auch ·
etwas in seinem Angesicht erschienen,
wodurch er sogar an den Ta legte,
daß ihre demüthigen Worte i n mit
Rührung erfüllten. Und so gab er ihr
denn auch zunächst aus ihre legten
Worte eine Etwiderung und sagte mit
starker Betonung:
»Du erwähnst. ich sei schross und
häufig unfreundlich. Ich will eg nicht
sein, wenigstens gegen Dich nicht. Lai;
mich Dir noch einmal in’g Gedächtnifz
zurückrusem was ich Dir am Tag un
serer Verlobung sagte: Mich hat nie
nals jemand lieb gehabt, nicht einmal
ein Thier hat sich jemals an mich ce
schmiegt. Als ich geboren ward, sah
nsan mein Erscheinen geradezu wie ein
Unglück an. Meine Mutter, umgeben
von den vielen Kindern, täglich mit der
größten Sorae tömpsend war sehr
serter Natur und besaß daneben einen
sehr ernsten, fast an trankhasteSchwers
niutåstreifenden Charakter.
,, ein Vater war so beschäftigt, daß
er geh um uns kaum tiimmerte. Er
mu te angestrengt arbeiten, da er eine
so zahlreickx Familie zu ernähren
hatte. Jch war als tleiner Bursche
überaus liebebediirftig Zu jener Zeit
terlor ich mein Herz an ein reizendeH
fringes Ding unserer Nachbarschaft
Alle Knaben waren ihr gut und eiser
siichtig auf ihre Gunst. Eines Tages
überwand ich die lang zurückgedrängte
Scheu und ließ dukchöiicun was meine
Knabenseele bewegte. Sie aber —
sonst allezeit gütig und freundli —
schral förmlich zusammen und li mit
allen Anzeichen des Wbscheues davon.
Jmmer fühlte ich. daß man mich nicht
leiden mochte, daß ich nur geduldet
ward. Meine Züge hatten einmal ei
was Finsteres, Abstoßendes. Wenn
sich auch die besten Gedanken in mei
nein Innern gestalteten, vermochte mein
Angesicht sie nicht wiederzuspie eln,
wenigstens nicht so, daß die Mensch-In
sich von rnir angezogen fühlten. Und
nächstens einmal dahin spazieren gehen.
Es ist sehr schön dort. Ueberhaupt ist
die Umgegend herrlichv -——- Jch bin fort-.
irsiibrend im Entzücken, wenn ich mich
in Briinde umsehe.«
»Ah, wenn Du glücklich bist, dann
find wir es alle,« rief Asta lebhaft und
lel,nte sich an ihren Vater. Und dann
einst und schmeichelnd sortsahiendr
» öre, Papa, Du mußt aber einmal
nxit enen unten sprechen. Das ist ein
bEseH Volk. Weißt Du, wer, glaube
ich der Schlimmste ist? Der Geschäfts
fiihret, der künftige Schwiegersohn von
Kardelg. Ein unangenehmer Mensch,
der taum weiß, ob er ·riifzen soll.
Sehr satal, daß er überhaupt hier
oben zu thun hat. Man hat nie sein
Reich ganz allein.«
Diese Aeußerung bezog sich auf oen
Umstand, daß der Genannte neben der
Treppe, die zum Lagerboden hinauf
führte, ein nach Hof und Garten
schauendes Wohn- und Schlafziinmer
besaß. Wenn sie auch schon durch ihre
Lage von der Gaarz’schen Wohnung
gänzlich abgetrennt waren, so führte
rrch der Aufenthalt einer nicht zum
das ist so geblieben, in der Schule und
später im großen Wirrwarr in der
Welt.
»Ich lernte, daß es nur ein absolu
teiz Mittel gäbe, die Menschen gefügig
zu machen: der Besitz von Geld, der
bi·nden mit Anfseheni Und von dein
Ai.genblick, wo ich das in mir als eine
unumstößliche Wahrheit festsetzte, blieb
mein einziges Augenmert daraus ge
richtet. stivas »u erwerben, dadurch
endlich einmal dessen theilbaftig zu
werten, wag anderen schon durch ein
blcßes Lächeln zufiel! Es kann sich
schwer jemand in die Natur eines an
dern hineinversetzen Meinen Choral
tei begreift aber überhaupt Niemand.
»Sie meinen alle, ich wolle nicht, ich
gäbe mir keine Mühe. Es ist aber an
ders. J chsand nur niemals ein Ent
egentornnien; was den iibrigen mühe
r-s, sogar ohne ihr Zuthun ward, habe
ich mir schwer und auf ganz anderen
Wegen erstreiten müssen. Nichts ist
mir entgegengeeiitl m Gegentheill
Wo andere dur den ufall begünstigt
werden« lehrte ich das Schicksal gegen
mich. Auch fand ich niemals die rechte
Anerkennung sitt meinen Fleiß, sur
mein Streben. Und das hat mich
gänzlich verbittert, das hat mich oft
schlecht aemacht.
»Zum ich hin nicht aut. Llnqelicm
ich weiß es; aber ich fühlte, als ich
Dich tennen lernte, daß Du mich gut
n schen könntest, das-, ich Dir viel, alles
zis verdanken haben würde, wenn ich
Dich an mich fessele, und ich schwur
a1-ch, nichte- zu unterlassen, Dich glän
; lich zu machen. Aber ich sehe jetzt, ioie
; ixsenig ich es verstanden habe, Dich zu i
i befriedigen, und schaue ich mit unve- l
spugemm Blick zurück, degreife ich es. s
Jch habe im Grunde nichts gethan«
was Dich erfreuen konnte, im Gegen- s
theil, ich stieß Dich ab, statt Dir Deine
Eiite und Anhänglichkeit nach Kräften
zi. lohnen.
»Aber lassen wir alles, was hinter
uns liegt, und suchen wir unser Glück
von fest an neu zu gestalten. Und
damit es geschehe: Wie mir, was
auch immer kommen und ich ereignen
wag, es mide Namen un Charakter
haben, welchen es wolle, daßDu mir
halten, nicht von mir lassen will t, und
solltest Du, sollten wir beide darüber
untergehen! Jch habe Gesinde dafür,
Dich in so feierlicher eWise anzuspa
cheth ——— Und besinne Dich wohl recht,
bevor Du mir Dein Wort verpsändest.
Ueberleaez was Du auf Dich nimmst!
Du wißt, mit welchem Gedanken Dein
Vater sich trägt wie abhängigvsich
Deine Mutter von seinem illen
macht, welchen Charakter ich besitze,
und wie mich das Gliict nun einmal
meidet.
»Es ist ein Versprechen ernstester
und heiligster Art, möglicherweise so
ledeutsam in seinen Folgen, daß ich
begreife, wenn Du es nicht leisten
nicht die Tragweite auf Dich nehmen
willst. Ja, ich gebe Dich in dieser
Stunde frei! Meinst Du, es sei doch
besser daß unsere Wege sich trennen,
das-, Du Deinem Vater folgst und ge
horchst, so soll es geschehen. Jch werde
leine Vorwürfe gegen Dich erhebenf ja,
gleich das Haus Deiner Eltern verlas
sen. Was gewesen, ist damit ausge
wischt. Jch zieb von Neuem, ein
Glückssucher, meine Straßen.
»Ach, mein Kind, wenn Du in mein
Herz schauen, wenn Du wissen tönn.
test, wie grenzenlos elend ich bin, Du
würdest Dein-er Liebe noch das Mitleid
zugesellen —«
Der Sprecher brach ab. Ein herz
erbarmender Ausdruck neben der fin-j
steten Schwermuth trat in seine Züge. t
Unverfälscht trat zu Tage, was sich I
Qualvolles in dieser grübelnden Seele !
verbarg. s
Und da riß es Angelica fort, sie um- i
arinte ihn zärtlich und die Hand feier- i
lich erhebend, flüstert-e sie: !
»Ja, Rochus, ich schtviire Dir, daß s
ich zu Dir halten will, was auch tom- .
men mag, und wäre es das Furcht- T
darste, was ein Menschenherz treffen »
tannt ist Du zufriedent« !
»Mein Kind, mein Kindl« hauchte i
der Mann in tiefer Bewegung, um- !
schlang das junge Geschöpf und hielt es i
umarmt, bis ein Geräusch nebenan sie
ansschreette und — trennte.
Wenige Minuten später stand Ro
chus schon wieder neben den dampfen
den Cacaotefseln in der Fabrik, und
Angelika erhob in ihrem Zimmer die «
Hände und schaute mit einem tiefen l
Danlesbliel empor zu dem Höchsten, an
den sie glaubte.
Il- Iis L
Am Abend desselben Tages- saßen
nach ihrer Gewohnheit Kardels um
den runden Sophatisch der an der
Rückwand des langen zur Linken des
großen Flur-Z betegenen Wohnzimmers
seinen Platz hatte, und warteten aus
Legardus. Obschon es bereits gegen
neun Uhr geworden war, hatte er sich
nicht wieder lslicten lassen, aber gerufen
zu werden, liebte er nicht. Er war in
eder Hinsicht ein Tyrann, und seiner
Herrschaft fügten sich hiska auc, der l
immer nur auf materiellen Vortheil ·
bedachte Mann, die sich ganz aufs-Haus
beschräntende, einer übertriebenen
Ordnung huldigende, sehr geizige
Frau und die Braut, Fräulein Ange
lica. —- Angelica war indessen ganz
das Gegentheil ihrer Eltern. Während
jene nicht die Spur von Menschenliebe
tesaszen und sich nur bückten, wenn sie
einen Vorthen verniutheten, hatte An
gelica ein ungewöhnlich gutes herz
nnd besaß auch sonst alle Eigenschaften
eines wahrhaft vortrefflichen Men
schen.
Legardus hatte namentlich wegen
feines geistigen Uebergcwichts ihr Ja
wort erhalten« andererseits war die
Meinung der Eltern maßgebend ge
wesen. Das Mädchen sah zu dem
meist in verdrießlicher Abwehr sich ge
henden, aber stets arbeitsamen, pflicht
getreuen und dem gewöhnlichen Welt
treiben abgewendeten Manne, wie zu
eine-n Höhergearteten empor. Sie ging
den der Meinung aus, daß sein Wesen
sc sein müsse, sie nahm an, daß das, s
wag sie Abstoszendes an ihm empfand, »
zielbewußtem irn rechten Sinne ernst- J
lfasten und sittlichen Männern allezeit
eigen wäre.
Lächelte oder scherzte Legardus ein
mal, es war freilich so selten, wie eine
freiwillige Gabe aus der hand ihrer
Eltern an Be.)iirftige, so schwoll ihr
herz auf, und sie drückte ihren Dank
siir diesen Brocken seiner Gunst durch
überglückliche Mienen und Gebärden
all-.
Auch daß er jenen zarruch war,
schien ihr durchaus in der Ordnung.
Es war gewiß Sünde, eine leiden
schaftliche Regung auftommen zu tas
sen. Karoels fügten sich dem herrsch
füchtig-rnürriichen Wesen dieses Man
nes aus egoistischen Gründen. Er way
Morgens früy big Abends spät im Ge
schäft thätig, kannte nur Arbeit und
Pflichterfüllung. Das war nach des
Manne-Z und der Frau Geschmack.
Nach gewisser Richtung konnte man
einen vorzüglicheren Mann für Anae
lim, so urtheilen sie, nicht bekommen
Was that man mit den haltloien Ge
selten, die nur an ihr Vergnügen dach
ten, die das Geld nicht achteten? Auf
iallend war es, daß Legardus noch nie
von Heiratben gesprochen hatte, ob
gleich er er nun schon ein Jahr mit An
gelika verlobt war.
Aber von Angelicas Seite war es
begreifticherweise mehrmals ihren El
tern gegenüber geschehen, und auch an
diesem Abend redete sie- ibre Mutter,
als sie nach einer kurzen Abwesenheit
sich wieder niederließ und auch Kardei
die Brille abzog und die Zeitung bei
Seite legte« daran an:
»Bist Ihr, dastmorgen unser Ver
lobungstag ist's un ist es schon ein
Jahr. Sag’, Marm, hast Du eigent
lich rnit Rochui gespendet-erri« begann
Angelika, ein zartes Geschpr mit stil
len, dankten An n« un wshnlich
schwarzem Hm- IIW a blasses
Gesichtsfarbe und jenem auf Verzicht
gerichteten Ausdruck in den Zügen, den
man bei barmherzigen Schwestern fin
det.
»Nein, noch nicht, aber es soll jetzt
auch gefchehen,« bestätigte KardeL er
bob sich, um seitab einen Fidibus fiir
seine Pfeife an einer Zündtnaschine in
Brand zu seyen, und wanderte, sicht
lich durch die Frage zum Nachdenken
angeregt und zu einer gewissen Auf
lehnung veranlaßt, in dem mit-tapfer
stichen und vielen sorgfältig gehaltenen
Mahagonimöbeln angefüllten Gemach
auf und ab.
An der Wand über dem Sobbatisch
bing eine wundervolle AbnabmeChristi
vom Kreuz, zur Linken fanden sich-, da
Kardel Jäger war, Jagdstijcke, gegen
iibet wieder religiöse Sujets, darunter
eine sixtinische Madonna und daneben
ein trefflicher Abdruck von Alexander
und Darius. Auch eine alte englische
Uhr in der Ecke, nahe der Thür, fiel in
die Augen. Sie schlug eben gerade,
ibre Gediegenheit verrathend, laut
klingend die Stunde ab.
»Wie? Schon zehn?" schob"«Kardek,
seine Erörterungen über den bisheri
gen Gegenstand unterbrechend, ein und
blickte nach dem Zifferbkatt. »Und
Legardus ist noch immer drüben? Ich
will einmal hinübergehem der Laden
muß geschlossen werden, es kommt ja
doch niemand mehr. Jn dieser Hin
ficht treibt Legardus eine ganz unnö
tbige Verschwendungs
»Mein, ihn-H nicht, saoom Du weist,
er mag’s nicht,« wehrte die Frau.
»Gestern als Du im Club warst, er
schien er auch nicht, und wies Angelika
sehr turz ab, als sie ihm einen Vor
wurf machte. Es gab sogar eine recht
peinliche Seene.«
»Nun? —- Was denn?« fragte der ;
Mann sehr erregt, richtete seine schie
lenden Augen aus die Damen und ließ
sich neben ihnen nieder.
»Gerade als ihn Angelika holen;
wollte,« hub die Frau, ungeachtet der
obbittenden Gesten ihrer Tochter an,
,,eH war schon halb elf « und eigent
lich nur, weil Angelika und ich ihm
doch gute Nacht sagen wollten s« tam
er herein und schien sehr unangenehm
berührt, daß ich zusammenpackte, und -
daß er Angelika an der Thür sah.
»Na, was habt Jth — Wollt Jhr
schon zu eit? Natürlich! Das ist doch
immer so. Wenn man noch nach der
Arbeit ein wenig plaudern möchte, ist
niemand da, stieß er in einem so mür
risch unfreundlichen Tone heraus, das; «
ich sörmlich zusammenschral. f
»Du kamst noch immer nicht, es
wurde so spät, lieber Rochus. Da dach
ten wir -—— setzte Angelica entschuldi
gend an.
»Aber ohne sie aus-reden zu lassen,
wurde Rochus dunkelroth im Gesicht
und ries:
»Ich habe es wirklich satt, das-, mir -
immer und immer wieder das vorge- ;
halten wird! Jch soll gerade dann«
kommen, wenn es Euch paßt. Jchs
denke, wenn ich den ganzen Tag ar
beite, so ist’s nicht eben so sehr viel ver
langt, daß Ihr eine Stunde zugebtl
»Aber Noch-its, lieber Rochus!« br- ;
aann Angelika, obschon von der großen ’
Ungerechtigkeit seiner Worte betrossen, s
einlenlend, »wie annst Du so heftig
werden. Jch meinte ja aar nicht-«
Böses. Wir haben geglaubt. daß wenn
Du doch drüben blos- die Zeitung
liest, Du eben so aut bei uns sitzen
tonntestt Habe ich darin Unrecht, so
verzeih!«
.?lch was« — stief: Rochus heraus-,
verließ das Zimmer und lam nicht wie
der. Er hatte auch heute noch lein Wort
mit Angelica gesprochen,« schloß die
Frau ihren Bericht.
Jn diesem Moment öfnnete Nacht-S
Legardus die Thiir und schritt, blos
« unmecllich den Kopf bewegend, aus den
Tisch zu und liess sich dort nieder. Er
sprach nicht, gri s nach der von Kardel
» fortgelegten Zeitung und machte s:ch,
T rhne Notiz von den Anwesenden zu
nehmen, ans Lesen.
.- st
I Der Ujiunn hatte ein sehr charakter
volles Acuszerr. Ein runden nach hin
ten sehr ausgeprägten mit kurzen und
dichten Haaren versehener Kons, in dem
sinscere, den Ausblick meidende Augen
saßen, und ein.sestgeschlossener, mit
tiefen Seitensalten versehener Mund
sichtbar war, ruhte aus breiten Schul
tern, unter denen sein mächtig gewölb
ter Brustkasten sich hervorbriingtr. Eine
ungewöhnliche straft drückte sich über
haupt in dem sonst mehr kleinen al
groszen, aber äußerst rnustulösen Kör
per aus, und auch die breiten. tnochigen
Hände oerriethin eine außerordentliche
Stätte.
Da Legrrdus in dies-er stummen, ans
seine Umgebung gar leine Rücksicht
nehmenden Beschäftiguna noch immer
verharrte. ergrissKardeL der imGegens
satz zu jenem ein dürrer, dunllerMann
war. eine schlechte Gesichtssarbe und
hastige Bewegungen besaß, ein Gefühl
boghasten Zornesk Nicht zum ersten
Mal, sondern in den letzten Wochen
schon wiederholt war’s in ihm ausge
auollen, daß sein tünstiaer Schwieger
sohn sich so gehen ließ, ihn leichsam
wie einen Gelittenen behandel e« mäh
rend er do , der Fett des hauses, sein
Chef, der ater einer Braut war. Es
hatte ihn auch die Erzählung seiner
Frau gereizt, er sand, daß eßardus
sieh e n sie und Anaelica denn och zu
rüelfcchslos betragen habet
Und o sagte er denn. besonders auch
Heärgn , baß der Mann drüben das
teure Aas-verbrauchte, blos um seine
Zeitung zu lesen, ja besonders deshalb,
wie denn fast immer, auch bei weniger
engherzig heranlakiten Naturen, die
kleine-n Dinge mehr als die awßen den
Ausschlag geben, mit einer ttarten Er
regung in der Stimme:
»Es ist doch drüben das Glas ausge
macht Z«
Legardus rührte sich nicht« und An
l gelica, ahnendss daß fichtetwas vorbe
reite, warf einen ängstlichen Blick zu
ihrem Verlobten hinüber.
»Es ist doch drüben das Gas ge
löscht3« wiederholte Kardel mit noch
fiärterer Stimme.
Abermals nichts; der Mann las
weiter.
»Ich frage —« jetzt llancks zornig,
gebieterisch. »zum dritten Mal, ob das
Gas geldicht sei?«
Nun blickte Legardus. wie ein durch
ein ungewohntesGeräusch plötzlich Auf
geschreckter empor, sah jedoch die Da
» men an, als ob ihnen die Frage gegol
I ten und er nicht verstehe, weshal sie
i nicht Antwort gegeben hatten. Auch
; warf e: gleich darauf einen fragend
mißbilligenden und zugleich einen für
» des Angreifenden Zorn völliqe Unun
« pfindlichleit an den Tag legendenBlicl
auf den Mann, dem es neben seinen
übrigen unangenehmen Eigenschaften
» nun auch einftel, Scenen herbeizufüh
ren.
Jedoch Kardel qing auf die Rolle,
die es Legatdus zu spielen qefiel, weder
ein, noch ließ er sich durch den schul
meisterlich tadelndcn Blick belehren. Jm
GeqentheiL sein Zorn wuchs in’s Un
messene.
»Nun ——? Nun-? Können Sie nicht
antworten?« rief er und zeigte mit der
feuchten Pfeifen pitze zur besseren Be
stätigung auf Leaarduö.
» o, —- Sie —- sprachen mit mir?
——Ja, wer konnte das wissen? Jch war
beimLesen und nahm an, daß die ihrem
Sinne nach von mir aar nicht einmal
aufgefaßten Worten Jsbten Damen gal
ten. Und weshalb sprechen Sie denn
so iiberlaut Z« gab der Mann mit einem
unerhört impertinenten Phlegma zu
ruck. lind ,,Nein!« erqiinzte er dann.
»Das Gas brennt noch- Jch hatte die
Absicht, gleich wieder hinüberzugeheii,
.an noch die Fattur iiber die große
Findenhslgener Sendung auszuferti
sen!«
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So, diese Antwort saß! Was sollte
Kardel darauf antworten?
Aber diesmal täuschte sich Legardug
nach allen Richtungen.
stardel gab den Damen einen Wink,
sich u entfernen, und sagte:
» ch glaube, es ist sehr nöthig das;
wir uns einmal gründlich auseinander
setzen, sehr nöthia —— wenn nicht sehr
unerfreuliche Konsequenzen siir beide
Theile entstehen sollen, Herr Legardu5.
-—- Bitte, bleiben Sie sitzen! Und Ihr,
Ihr begebt Euch wohl zu Bettl« wie
derholte er seine Aufforderung an die
Damen mit einer ebenso entschiedenen
Miene, als er sie gegen den sich erheben
den, seine Rede mit einem aelangweilt
aufsässigen Gesicht begegnenden Legars
dus zur Anwendung gebracht hatte.
Nun gingen die Damen. obschon An
geliea, ter die starke Bliisse der Erre
ung in das Gesicht aetreten war, an
Fän lich noch hatte zögern wollen. Le
gar ug aber, seiner-Braut einen kurzen,
aussuclslosens Blick zuweriend, schlug
die Beine übereinander und qrisf aber
nials nach der Zeitung
Jedoch auch diesem Att der Jmpertiss
nen begegnete Kardel noch vor der
größeren Auseinandersetzuna in sehr
entschiedener und dem Inhalt itach
äußerst ausfallender Weise, indem er
der Frau nachrief:
» «öscht drüben die Lichter sämmtlich
ans und laßt mir durch das Mädchen
den Schlüssel zum Laden sofort her
übertragen."
Bei den letzten Worten erschien in
dein Gesicht des künstlich Phlegrnatisp
renden ein völlig anderer Ausdruck. —
Ueberraschung Zorn und Auflehnung
spiegelten sich deutlich darin wider.
»Nein, laßt nur! Ich werde das wie
immer selbst besorgen!« erklärte er, sich
» zur Ruhe zwingend, und schritt, bevor
. noch die Frauen das Zimmer verlassen
konnten, zum Ausgang.
Er that auch drüben. wie Kardel ge
wünscht hatte, schlosi die umherliegen
den Papiere in’s Pult, löschte die Lich
ter und schloß die Ladenthtire ab· Auch
trat er, statt seinen Widerstand fortzu
setzen, bei der Rückkehr aus Kardel zu,
schob ihm die Rechte hinüber und sagte,
als ob die Suche eine völlia gleichgül
ttqe Bedeutung haben —- er wollte sie
ihm dadurch anizwingen —- ruhtg, ge
lassen und mit überleaener baltunat
»Ich bitte! Lassen wir die Auseiw
anders-inultum Es ist die Sache wirt
lich nickt des Sprechens rvekth.'« Und
Fortfahrend als Kardel zu seiner höch
ten tieberrat«d)ttna nicht in die darge
botene Hand einschlna, sondern noch
immer mit derselben Miene dastand.
»Wollen wir uns unnöthisi das Leder-.
verbittern? Wir hckben dieselbenLebens
ielel Wes lb wean eines Mißver
ständnisses " cenen machen?« ·
»Ja —nein —- das aeht doch nicht
ss),« entgegnete KardeL in dem ei heftig
aus- und abwiihltr. »Ich will von mor
aen an meine Geschäste wieder mehr
selbst führen und Ihnen das anweisen.
was mir geeignet erscheint. Sie lönnell
sich, wenn unsere heutige About-unter
haltung uns nicht fiir immer trennt«
dann meiner Tochter mehr seidenen unt
meiner Frau die Höflichkeit erweisen,
Pelchft sie als Dame zu fordern sprech
igti .«
Einen Augenblick besann sich Le ak
daz, dann jagte er, sichdurch den Hin
weis aus se ne eben an den Tag ge ent
Versöhnlichleit schon von vornherein
ein Uebergewicht sichernd. in der Hi
wohnten ruhigen Weise
GMMMM »Ist-)